zum Start von „Viele Leben“

Kalte feuchte Hände, Druck im Bauch, Schwindel. So glamourös war die Veröffentlichung der ersten Ausgabe von „Viele Leben“ gestern.

Vor 2 Jahren haben wir das Gespräch mit SomeOfMany aufgenommen. Dachten uns das ganze Projekt noch so leicht. So wenig viel anders als „Viele-Sein“. Bis mir klar wurde: „Ich bin verantwortlich für die Nummer.“ Bis in mir ankam: „Ich bin allein verantwortlich.“ Nachdem sich Förderanträge als praktisch nie passend und eigentlich immer als den ganzen Aufwand überhaupt nicht wert herausstellten. Als Unterstützer*innen keine Zeit oder keine Kraft mehr hatten. Als ich mit meinen Überlegungen und Plänen immer wieder auf Gesprächssandbänke auflief.

Ich hatte oft den Eindruck, das Projekt würde als verzichtbar gedacht werden. Dass sich viele dann doch irgendwie ganz wohl damit fühlen, wenn echte Journalist_innen, echte Psycholog_innen, echte Mediziner_innen irgendwas zum Leben mit DIS produzieren (lassen). Weil das einfacher ist. Einfacher mitzumachen, einfacher zu kritisieren. Einfacher, sich selbst davon abzugrenzen.
Und dann kam wieder so eine Dokumentation. Von einer echten Journalistin gemacht. Im echten Fernsehen. Und sie war nicht gut. Sie war für so viele Viele nicht gut, dass mein Aufruf sich für „Viele Leben“ bei mir zu melden, zu ordentlich Bewegung in meinem Mailpostfach führte.

Es waren keine tausenden, nicht mal hunderte, die sich gemeldet haben, aber genug, um mich in meinem täglichen Arbeitspensum zu überfordern. Und mir bewusst zu machen, dass ich mir mit dem Projekt sehr viel mehr auflade als den Druck, der mit einer Laienproduktion zu einem Thema von öffentlichem Interesse einfach einhergeht. – Perfekter Sound, perfekte Konsumierbarkeit, perfekter Fluss im Mainstream, das ist der oft unbewusste Anspruch. Eh schon. Und dann noch Erreichbarkeit, soziale Flexibilität, Verständnis. Emotionale Zuwendung, soziale Versicherung. Technik erklären, Reisen in der Pandemie. Trigger wegpacken, achtsam bleiben. Und das unausgesprochene Versprechen: „Das wird was. Was Gutes für dich. Ich strenge mich an, für dich und mich und alle. So gut ich nur kann. Wirklich.“ Und ohne es auszusprechen: „Vertrau mir.“

Ich musste mich fragen lassen, warum ich es denn mache, wenn es so schwer ist. Musste die Beschämung tragen, die damit einhergeht, wenn ich zugebe, dass es in meinem Leben nichts gibt, was nicht schwer für mich ist. Muss mich weiterhin von der Unterstellung abgrenzen, ich fände mich einfach cool als dauerüberforderter Mensch, als Märtyer_in für die Sache. Oder für eine Community, die sich nach wie vor nur schwer miteinander zusammentut.
Tatsächlich finde ich mich cool als verbindendes Element. Das treibt mich an. Die Idee, dass mein Projekt „die Multis mit Innies“, mit „den Menschen mit p/DIS/DSNND/kPTBS“, den „Vielen“ und ihren Verbündeten, Helfer_innen, Behandler_innen zusammenbringt. Dass man es wenigstens in und vielleicht sogar für diese Sache hinkriegt, dass die YouTube-Bubble mit der Insta-Bubble und die Blog-Bubble mit der Twitter-Bubble und der „heimlich Viele und Profi“-Bubble zusammenkommt. Also alle. Zusammen. Als Leute, die etwas gemeinsam haben und bestimmte Forderungen an diese Gesellschaft und Politik teilen, ob es ihnen bewusst ist oder nicht. Ob sie sich trauen es laut und radikal zu fordern oder nicht.
Das fänd ich geil. Wenn das klappen würde. Wenn ich das erleben könnte.

Ich bin mit dem Wunsch nicht allein und das hält mich. Gibt mir Kraft. Hält mich bei Laune, wenn mir der Arm weh tut und die Augen brennen nach zig Stunden am Computer.
Diese Verbundenheit trägt im Moment das ganze Projekt. Das erste dieser Art in Deutschland.

Vielleicht, so beruhige ich mich manchmal, muss es auch schiefgehen, damit jemand anderes es schaffen kann. Und so wenig wie mir das gefallen würde, so sehr entlastet es mich auch wieder.
Etwas ist mehr als Nichts. Etwas für alle muss von allen gestaltet werden. Wenn alle nicht mitmachen, dann kann es auch nichts für alle werden.
Ich bin nicht alle, ich möchte nur etwas für alle. Das ist ein Unterschied. Ein wichtiger.
An Möchten ist nichts falsch. Nur nicht alles erfüllbar.

Und so beobachten wir also, was jetzt passiert.
Wird die Ausgabe geteilt? Wird sie oft angehört? Finden sich viele Unterstützer_innen? Wie viele Mails an Vereine und Interessensgruppen sind wohl nötig, damit sie sich mit Projektspenden beteiligen? Wie wird das Feedback? Melden sich noch mehr Viele, die Teil davon sein wollen? Und wann kommt eigentlich die erste böse E-Mail, weil ich Geld für das Projekt brauche?

 

 

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Zweifel

Es begann mit dem Zeitungsartikel, in dem vom Insektensterben berichtet wurde.
Heute gibt es 75% weniger Insekten im Vergleich zu einem Zeitraum, der noch gar nicht so lange her ist.

Es ging weiter mit Artikeln zum Klimawandel. Nicht als “könnte eventuell vielleicht”-Blablabla, wie ich es als Jugendliche in den 2000ern noch lesen durfte, sondern als “HALLO WERDET AKTIV”- Ausrufezeichen mitten in meine Gefühle der Ohnmacht.
Dazu kam ein Atomstörfall in Russland, eine Regierung, die es gar nicht gibt, weil – ja warum eigentlich? Haben die Leute da vergessen, dass sie mit einem Job beauftragt wurden, oder was? – Puerto Rico hat noch immer keinen Strom überall, Flint kein sauberes Wasser, ständig brennt eine Unterkunft für Geflüchtete und immer noch gibt es Menschen, die anderen Menschen grundlegende Rechte nicht zugestehen wollen.

Ich saß unserer Therapeutin gegenüber und versuchte mich auszudrücken, obwohl ich gleichzeitig von der inneren Gewissheit eingenommen war, dass es sinnlos sein würde, darüber zu sprechen.
Mein Angefasstsein von solchen Dingen gehört einfach in mein kleines Kämmerlein, weil drüber heulen nur genau dort Sinn hat. Außerhalb dessen muss man den Arsch hoch kriegen, weiter machen, immer wieder ansprechen, bewusst machen, wo Verschwendung passiert und wie es anders besser funktionieren könnte sollte müsste.
Müllvermeidung, aufhören Tiere zu essen, Bus- und Bahn statt Auto fahren, solidarisch sein und bleiben, Gefallenen beim Aufstehen helfen – immer weiter immer weiter machen. Nicht aufhören, nicht ergeben, nicht fallen lassen, denn irgendwann bleibt man liegen und wofür hat mans dann überhaupt je gemacht?

Seit dem Klinikding, denke ich dauernd, ich müsse meine Motivationen und Gedanken rechtfertigen. Muss unterstreichen, dass ich wirklich und in echt nicht meinetwegen darüber verzweifle, nicht mehr tun zu können, als meinen Müll zu vermeiden, nachhaltig gewirtschaftet zu konsumieren und andere Leute damit zu nerven, dass sie die x-te Petition gegen Regenwaldzerstörung, Ölbohrungen im Meer, Monsanto und Glyphosat unterstützen sollen.
Jedes Mal drehe ich mich aus dem Gefühl nicht ernst genommen zu werden, weil man sich meine Worte zurechtdreht und in ihrer Wichtigkeit abtut. Jedes Mal unterdrücke ich den Wunsch Leute zu schütteln oder anzuheulen, wenn sie mir sagen, dass das doch eh alles gar nicht reicht oder genug ist. Noch mehr, wenn sie mir in ankumpelnden Ton sagen, sie halten Weltverbesserer für selbstsüchtige Gutmenschen und würden deshalb extra einfach gar nichts verändern.

Jedes Mal, wenn wieder sowas war und ich am Ende doch wieder in meinem Kämmerlein darüber heule, denke ich, dass das eigentlich alles ist, was das mit mir zu tun hat: dass es mich fertig macht und so viele andere nicht.
Vielleicht, eventuell, denn was weiß ich über die Kämmerlein anderer Leute.

Während der Therapiestunde kam noch eine weitere Komponente für mich über uns dazu.
Nämlich die des Dramas von Menschen, die an Dinge glauben und deshalb Dinge tun. Auch in anderen Kontexten.

Es ist ein Thema von uns, Dinge dafür zu tun oder wollen oder zu machen, weil wir davon überzeugt sind, dass sie das Richtige und Wichtige sind, um die Welt zu einem guten Ort für alles und alle zu machen. Dafür mache ich heute viel und dafür haben andere Innens früher viele Dinge getan. Und: an sich tun lassen.
Und zwar nicht, um selbst etwas davon zu haben oder deshalb für sich einzufordern, sondern, weil man ihnen sagte, dass es um den Fortbestand der Welt als eine bessere geht.

Natürlich kann man sich der Erzählung vom Sozialmärchen des Altruismus und der Selbstlosigkeit hingeben. Kann zynisch auf Gruppen wie die, in der wir über_gelebt haben schauen und sehen: “Ja ha genauso läuft das nämlich – mächtige Leute bringen dumme kleine Würstchen dazu zu denken, sie würden etwas für ein höheres Wohl tun, aber in Wahrheit…”
Man kann sich aber natürlich aber auch fragen, warum man selbst kein solches “höheres Wohl” im Kopf hat. Warum man so bereitwillig aufgibt, daran zu glauben, dass es mehr geben kann, als Unterdrückung, Zerstörung und Überlebenskampf. Oder warum man auf Menschen herabschaut, die das nicht tun.

Man kann sich fragen, warum manche Menschen so viel bereitwilliger Verantwortung für den Bockmist anderer einstehen und sich bemühen, Dinge besser zu machen und manche nicht. Warum manche Menschen im Grunde die ganze Zeit damit beschäftigt sind, sich nicht einzumischen, über Macher_innen zu lästern und selbst nichts anderes als Eskapismus zu zelebrieren und warum das für manch andere die schlimmste Form der Kapitulation vor den herrschenden Verhältnissen ist. (Selbst dann, wenn man erkannt hat, dass Eskapismus als solcher auch eine Protestform sein kann!)

Nach der Sitzung schrieb ich bei Twitter, dass ich festgestellt hatte, dass für mich die Apokalypse schon da ist.
Und zwar nicht, weil ich denke, dass jetzt schon alles kaputt ist, sondern weil ich bemerkt hatte, dass ich dieser unserer Gesellschaft nicht (mehr) zutraue, dass sie den Arsch hochkriegt, weil sie begreift, was hier gerade jetzt in dieser unserer gemeinsamen Lebenszeit passiert.
Zu einfach ist es, die Tage mit Dingen zu verbringen, die unser Klima negativ beeinflussen und Ausbeutung fördern, ohne es überhaupt zu bemerken. Zu leicht ist es, sich selbst nicht als Teil dessen zu empfinden, was alles krepiert, wenn Flora und Fauna, Klima und Planet abkratzen.

Und warum fasst mich das so an?

Weil ich dafür nicht überlebt haben will.
Weil ich die Enttäuschung darüber, dass es kein echtes “besser als früher” gibt, nicht einfach so akzeptieren will.

Es war für mich, für uns, damals schon schlimm genug zu merken, dass nach dem Ausstieg nichts aber auch wirklich gar nichts kam, das irgendwie “gut” war. Dass wir uns jedes und es sei es ein noch so kleines “besser” oder “okay” alleine erkämpfen und erbetteln mussten und selbst bei Erfolg nicht einmal davon ausgehen konnten, dass das für immer bleiben würde.
Es ist mir schlimm genug, bis heute diesen de facto unausgleichlichen Mangel im Leben zu haben und zu wissen, dass das niemand nachvollziehen kann, die_r das nicht genauso auch üb_erlebt (hat).

Wir haben in unserer Therapie noch nie viel darüber geredet. Über dieses Gefühl von Beschiss von beiden Seiten. Den “Guten” wie den “Bösen”.
Geschweige denn über das Gefühl, das auch nirgends wirklich genauso ausdrücken zu können, ohne diesen Touch von “Die glaubt wohl sie hätte was besseres verdient” oder “Undankbares Miststück, die Rosenblatt” oder “Das Leben ist kein Ponyhof – deal with it” als Reaktion miterwarten zu müssen.

Denn: ja klar haben wir was Besseres erwartet. Warum sonst hat man uns denn jahrelang damit unter Druck gesetzt auszusteigen und angebotene Hilfen anzunehmen, wenn nicht dafür, dass es uns besser er_gehen soll? (Vielleicht eventuell etwa doch, weil man uns etwas glauben lassen wollte, damit wir etwas tun, was wir aus uns selbst heraus gar nicht getan hätten, wenn wir es nicht geglaubt hätten…?)

Sicher erscheinen wir undankbar, wenn wir sagen, dass es uns nicht reicht so zu leben, wie wir gerade gezwungen sind zu leben. Gerade dann, wenn man sich schwer tut uns zu glauben, dass unser Leben ein unfreies und trotz vieler Fortschritte nachwievor scheiße nochmal schmerz_volles ist. Obwohl wir nicht mehr ausgebeutet und konkret verletzt werden. Und, obwohl es Millionen von Menschen noch ganz viel schlechter geht.

Es ist die Parallele, die es so unaushaltbar macht.
Für mich, weil ich zwar nicht genau weiß, was wir konkret nicht mehr erleben, aber sehr wohl weiß, was es bedeutet, keine Familie, keine gänzlich bewusste Geschichte und keine strukturelle Einbettung zu haben.
Und für uns als Person, die sich in einen Kontext einzubinden versucht, der von Trennung dominiert ist.

In jedem Fall geben wir viel uns weg, strengen uns an, verzichten, nehmen uns Verantwortungen an, auf die andere ganz gezielt scheißen – und bleiben mit nichts weiter da stehen, als dem Wissen, dass wir damit zwar nicht allein, aber auch nicht in einer Masse gemeinsam sind, die genau das verändern kann.
Manche Aktivist_innen beschreiben genau das Gefühl mit dem Begriff “activist burn out”. Das “sich aufrauchen” an einer Herausforderung, die überfordern muss, weil sie weit über das Individuum hinausgeht.

Vielleicht will ich am Ende einfach nur nicht akzeptieren, dass das Leben in dieser Zeit, dieser Gesellschaft, diesem Lauf der Dinge nun einmal so ist und wir einfach reingefallen sind. Vielleicht will ich es am Ende doch aus ganz eigennützigen Gründen nicht akzeptieren, für so eine Scheiße so gelitten und verzichtet zu haben, aber bedeutet das denn zeitgleich, dass meine Bemühungen nie um etwas anderes als mich selbst gekreist sind?

Immer wieder muss ich an den Grabstein denken, von dem H. uns mal erzählt hatte. “Ihr Leben war Last und Müh’ “ hatte da drauf gestanden.
Sowas nicht zu wollen – nicht akzeptieren zu wollen, dass es eventuell sein kann, dass dieses ganze Gekämpfe niemals aufhört, ganz egal was man warum und für wen und für welches Ziel auch immer – Himmel ja das ist egoistisch hoch zehn. Aber ist das nicht auch eine Hoffnung, die man braucht, um neugierig auf das zu sein, was man stattdessen tun könnte?

Als wir uns damals gegen die Familie* und alles entschieden haben, dachten wir, wir könnten ja vielleicht irgendetwas anderes lernen. Irgendwas machen, was für andere hilfreich ist. Irgendwas erschaffen, was das, was danach kommt, zu einem guten Zeit_Raum macht. Sowohl für uns, als auch für andere. Weil wir ja nicht mehr allein sein würden. Weil wir ja nicht mehr so seltsam fern und fremd von dem sein würden, was uns umgibt.
Ich hatte mir das so gut ausgemalt.

Vielleicht zu gut?
Vielleicht hätte ich das nie machen sollen? Würde es dann heute weniger weh tun?

“Bin ich schon erholt?”

Häufig bewegen wir uns auf Ebenen die wenig bis gar nicht konkret sind. Obwohl sie um das Konkrete kreisen und sich daraus ergeben.
Das fällt mir an Tagen wie heute besonders auf.

Am Freitag hatten wir einen Krampfanfall in der Schule und mussten danach allein nach Hause. In unseren Alleinhaushalt, unserm Alleinleben mit all dem allein klar kommen.
In manchen Köpfen mag das wie ein Vorwurf hallen, ist in unserem Leben aber einfacher Fakt, der je nach Umstand mal gut, mal schlecht, mal schlimm, mal genau richtig, manchmal auch perfekt ist.

Wir wissen, was wir nach einem Anfall tun müssen und welche Ressourcen wir brauchen, um uns zu erholen.
Worin wir allerdings noch nicht sehr geübt sind ist, zu spüren, wann wir wirklich wieder fit sind und wann wir uns das nur einreden, weil wir dem eigenen Entsprechungswünschen nach außen nachgeben (wollen können (müssen))

Erholung, Ausruhen, Kraft tanken, das ist in unserem Alltag schon so lange eine Aktivität, dass wir das Gefühl für den Zustand selbst noch gar nicht näher betrachtet haben.
Wir gehen nach der Schule nicht 7 km wandern – wir machen bilaterale Stimulation, um die Verarbeitung der Reizüberflutung zu unterstützen.
Wir basteln nicht das ganze Wochenende, weil es so toll unanstrengend ist – wir basteln das ganze Wochenende, weil wir an unserer Frustrationstoleranz und Feinmotorik arbeiten müssen (und natürlich auch ganz gern einfach Dinge erschaffen).

“Bin ich schon erholt?”, das habe ich mich heute morgen gefragt und dann gemerkt, dass ich nicht weiß, wie sich das eigentlich anfühlt. “Erholt”.
Da stelle ich mir einen Zustand vor, in dem ich gar nicht weiß wohin mit meiner Kraft und Energie. Oder zumindest einen Zustand, in dem ich mich zu Dingen motivieren kann, ohne, dass die Belohnung fürs Schaffen dessen extra viel Zeit im Bett ist.

Ich kenne Zustände von Dauerstrom. Posttraumatischem Hyperarousel.
Ein Zustand, in dem ich auch nie weiß wohin mit all meiner Energie und Kraft – gleichzeitig jedoch auch nicht wirklich fähig bin, irgendetwas Konstruktives zu tun. Schon gar nicht über längeren Zeitraum. Der Hyperarousel ist dann eben doch nur ein Erregungszustand und kein allgemeines Energielevel.

Früher – also letztes Jahr um diese Zeit – haben wir uns mehr Tage Ruhe zugestanden, um uns von Anfällen zu erholen. Jetzt sind wir unsicher.
Da spielt auch die Klinikerfahrung letztes Jahr mit hinein.
Dort hatten wir jeden Tag hinzugehen und uns überfordern zu lassen, obwohl offensichtlich war, was es mit und an uns macht. Und wir habens passieren lassen, weil wir (vielleicht auch fälschlicherweise) annahmen, man wüsste, was der (therapeutisch) sinnvollste Umgang damit ist.
Das Klinikding ist für uns nachwievor nicht aufgelöst und gut. Wir wissen nachwievor nicht, was hinter den Anfällen steht, ob wir da etwas auflösen müssen, oder ob das Fallen und Krampfen einfach unsere Art des Meltdowns ist.

Ungünstig.
Aber Realität.

Realität, mit der wir heute irgendwie umgehen müssen und in der wir all die Facetten des Alleinlebens spüren.
Wir allein sind verantwortlich für das, was wir entscheiden. Das ist nicht schlimm. Manchmal macht es uns Angst, aber grundsätzlich denke ich, können wir diese Verantwortung gut tragen.
Wir sind aber auch allein in der Frage, woran wir uns in den Entscheidungsfindungen orientieren sollen. Und das ist schwierig.

Wenn es um unser Leben geht, scheuen wir inzwischen das laxe Trial and Error, das wir vor ein paar Jahren noch gewagt haben, weil es für unser Gefühl ständig um Leben und Tod ging.
Heute ist das nicht mehr so sehr der Fall.
Heute geht es um Gegenwart und Zukunft – was manchmal genauso viel Angst, Sorge, Unterlegenheits- bzw. Überforderungsgefühle, aber auch Kämpfergeist und Aber will!-Trotz auslöst, aber dann doch ein ganz anderes Level ist.

Heute wollen wir eher sicher gehen.
Abschätzen. Prüfen. Nachdenken. Nachspüren.
Erst mal schauen, ob und was genau wir wann wie wo und wofür anfangen. Erst einmal alle Konsequenzen für Scheitern und Versagen klar haben, um dann ganz langsam zu testen, ob es geht.
Nach Möglichkeit ohne Angst zu haben oder eine Angst wegdrücken zu müssen.

Angst wegdrücken kostet nämlich Energie.
Überhaupt alles kostet Energie. Logisch eigentlich – und doch fürchte ich, haben wir lange “Energie” mit “Erregung auf Anschlag” verwechselt und tun das zuweilen heute noch.

“Bin ich schon erholt?” ist damit eigentlich auch keine Frage nach Motivation oder Bereitschaft zur Schule zu gehen und sich dem auszusetzen, was uns dort jeden Tag erwartet. Eigentlich ist es mehr die Frage danach, was wir alles wegdrücken müssen, um dort sein zu können und ein bestimmtes Level der Präsenz zu halten – und wie viel wir von dort wegdrücken müssen, wenn wir am Abend in die Traumatherapiestunde gehen und wie viel wir von widerum all dem wegdrücken müssen, wenn wir dann zu Hause sind und “Erholung machen”.

Interessanterweise ist Hausarbeit und Tüddelkram im Moment das, was am meisten zur Erholung beiträgt. Was auch nochmal vor Augen führt, wie wenig wir Carearbeit wert_schätzen. Denn obwohl wir merken, wie gut es uns tut und wie viel weniger anstrengend einfach alles für uns ist, wenn wir frische Kleidung, eine saubere Wohnumgebung – und sowas Profanes wie eine Haarlänge, die nicht stört – haben, kümmern wir uns in letzter Zeit viel zu wenig darum. Um genauer zu sein: nur ums Nötigste.

Wir pfeifen auf dem letzten Loch und rangieren mit einem Akku auf 25%. Manchmal weil wir denken: “Ach, wir haben schon mit weniger…”, manchmal, weil wir denken “Ja, aber das geht doch allen so…” (obwohl wir keinerlei Ahnung davon haben, wie es anderen mit ihren Akkus so geht) und aber auch, weil wir die Welt als einen rücksichtslosen, ja sogar gnadenlos vorwärtsströmenden Lauf der Dinge sehen, der es immer und immer von uns abverlangt weiterzumachen – ganz egal aus welcher Ressource heraus. Ob nun aus tollster Erholungsphase oder Todesangst.

Das Schlimme ist, dass das stimmt. Wenngleich vielleicht nicht ganz so brutal und gnadenlos wie das in uns etabliert ist. Aus Gründen.
Aber alles geht weiter und wir müssen Schritt halten, wenn wir Schritt halten wollen.
Natürlich können wir uns auch dagegen entscheiden. Natürlich können wir uns treiben lassen, loslassen und zurück in das, was wir vor der Ausbildung hatten.
Das hatte aber keine Zukunft.

Gerade denke ich, dass wir die Ausbildung vielleicht auch nur deshalb unbedingt so dringend schaffen wollen.
Wegen der Bildungslüge mit Zukunftsversprechen zum Einen, ja – aber auch wegen des Effekts den dieses Bildungs- und Zukunftsstreben auf uns hat.

Das Leben mit Traumafolgestörungen und Traumafolgen an sich, ist für uns sehr lange eins gewesen, das nur dieses Verschwimmen von Früher und Jetzt hatte. Das war kein “weniger leben” oder so – aber es war begrenzt und damit auch irgendwie eher statisch inmitten dieses großen Stroms der Dinge, die sich immer ändern und immer entwickeln.

Jetzt ist da Früher und Jetzt und Morgen und Übermorgen und in ein paar Jahren und so viele “Wir könnten auch…” und “Vielleicht machen wir …” ’s mehr, als wir uns selbst in den Phasen, in denen wir wer weiß was für große Höhenflüge hatten, als realistisch machbar vorstellen konnten.

Vorstellungen und Hoffnungen sind wie Trockenschwimmübungen. Manchmal. Wenn man sie sich ganz konkret machen kann.
Ich glaube, unsere Ausbildung ist unser Trockenübungsraum. Irgendwie.

Vielleicht müssen wir uns die Frage auch grundsätzlich anders stellen.
Nicht “Bin ich schon erholt?”, sondern “Sind wir wenig genug angestrengt?” oder „Was strengt uns gerade alles an?“.

Auf diese Frage fällt mir nämlich viel mehr auf, welche Kraftfresser wir sinnigerweise entfernen sollten.
Vielleicht ist das ja ein guter Schritt.

Chancen

Es sind ganz junge Füße, die mich durch die kalte Dunkelheit zu dieser Musik- und Kunstschule tragen. Ich merke das an dem Schwung im Schritt. An der Musik in meinen Ohren. An diesem ganz zarten Glimmen unterm Sternum. An dieser Fragenschleife: “Und dann darf ich das lernen? Also so richtig lernen? Und dann darf ich da was machen? Und dann ist das richtig echt? Und dann…”. An den großen Augen, deren Iris mich fast verschlucken.

Wir bekommen über 80% Rabatt, weil wir von Grundsicherung leben. Der Kurs geht, wenn alles klappt, 12 Monate. Am Ende könnten wir eine Mappe haben. So eine Richtige. Nicht so eine peinliche: “Ach nett, Sie machen also kleine süße Zeichnungen in ihrer Freizeit.” – Mappe, wie wir sie jetzt haben.
Es ist eine Chance.
Wenn sie uns vom Jobcenter als solche anerkannt wird und davor bewahrt, Bewerbungstrainings oder andere Maßnahmen machen zu müssen. Denn arbeitsfähig in dem Sinne sind wir inzwischen wieder. Maximal 4 Stunden am Tag – davon 3 am Stück. Die 4 te geht für den Weg hin und zurück drauf.
Die 4 Stunden, die uns noch zur “normalen Arbeitsfähigkeit” fehlen, die brauchen wir dann zu Hause, um die vorangegangenen 20 Stunden zu be.greifen, in den Mund zu stecken und nochmal zu essen.

Ist halt so. Wir haben die 50% im Schwerbehindertenausweis nicht, weil das Foto von 2004 darin so schön ist.
2004 da hatte das Innen, das sich zwischen die Mütter und Klein.Kinder setzte, um im Schulgewusel anzukommen und die Lautstärke mit den Haarspitzen zu erfühlen, das letzte Mal über eine Zukunft als um des Begreifens Willen lernende Person nachgedacht.
Jetzt krabbeln ihm Kinder mit Kekskrümeln auf den Kullerbäuchen um die Füße herum und könnten aus ihm selbst gekommen sein.

Der Leiter des Kunstbereichs ist nicht sehr angetan von den Zeichnungen. Er mag so gern lieber abstrakte Kunst, dass er uns markiert, wann die Kurse für figürliches Zeichnen sind. Das Innen zittert. Drückt sich die Wunschäußerung raus, alle Kurse des Angebots einmal zu probieren. Er reagiert nicht. Springt auf ehemalige Schüler_Innen zu, die zu Besuch kommen.
Der Leiter der Fotografiekurse kommt an den Tisch. Auf dem Bildschirm ist unser Fotoblog zu sehen.
Das Kinderinnen, das die Fotos macht, schiebt sich zaghaft zwischen das junge Innen, mich, den Schatten der Anderen und das Heute, das plötzlich so viele Gesterns gleichzeitig ist.

“Die Motive sind mir zu lieblich, aber dein Auge ist gut. Die Aufteilung, die Gestaltung, die Farben. Sehr gut. Du hast das drauf. Oh hier die Langzeitbelichtung – sehr sehr schön …” Er scrollt und ich frage das Kinderinnen, ob ich ihn etwas fragen soll. Oder, ob es ihm etwas zu den Fotos sagen möchte. Ob es Fragen zu seinem Kurs hat. Ob es den probieren möchte. Ich frage das mit der Generalschlüsselfrage: “Ist er ein Mensch*?” alles gleichzeitig und mein kleines Herz nickt eifrig. “Hier – niemand macht sich die Mühe so nah an die Wasseroberfläche zu gehen, um so etwas zu fotografieren- das ist sehr gut”, sagt er und erzählt dann, das man sich Kameras ausleihen kann, um bestimmte Dinge zu probieren. Manches von dem, was unsere Kompaktautomatikknipse nicht kann.

Das kleine Herz zappelt unter meinen Federn umher und strampelt sich heraus. Steht mit offenem Mund hinter den Augen und fuchtelt mit den Armen. Meine Wörter legen sich um seine Bewegung und klumpen aus dem Uns heraus. Der Leiter des Fotokurses hört zu. Schaut auf die Fotos. In unser Gesicht. Lächelt seine Augen zu einer dicken Linie zwischen vielen kleinen.

Dann verabschieden wir uns von ihm und folgen dem Kunstleiter durch die Ateliers.
Unser Schritt ist eckig geworden.
Wir sehen junge Menschen. Teenager. Kunst, die uns gnadenlos die Inspiration ins Hirn pumpt und an etwas zerrt, dem immer – dem seit mehr als 13 Jahren ein “hätte” oder “wäre” oder “wenn” vorausgeht.

Ich erinnere, was eines der anderen Herzen in der Therapiestunde aus sich herausstachelte: “Wenn ich nur länger durchgehalten hätte. Wenn ich nicht krank geworden wäre.”, und einfach nicht weiß, dass es in dieser Welt des Heute damit sagt: “Wenn ich die Gewalt, den Schmerz, die Qual, die Not, die Folter, die Ausbeutung nur länger durchgehalten hätte. Wenn ich keine (psychiatrische) Hilfe bekommen hätte.”.
Ich weiß: Es hat auch Recht.
Auf eine dieser perversen Arten, wie sie nur das Leben hervorbringen kann, hat es recht. Wenn wir nur bis zum Abitur durchgehalten hätten. Wir hatten die Chance singen, tanzen, Kunst machen und vieles mehr zu lernen. Wir hätten so viel mehr lernen können als das Notwendigste für Überleben und Realschulabschluss.

Wir kennen diese “Eigentlich wollen wir ja keine Elite sein”- Gymnasiumattitüde, die dann doch Markenkleidung trägt und Privat- oder Kursunterricht, wie den, den wir hier gerade mit unserer Besichtigung stören, erhalten kann. Neben Schüler_Innennachhilfe und Taschengeld, um am Wochenende ins Kino zu gehen.
Wir haben nicht dort reinpassen können und mussten das auch nie.
Aber da war die Chance.
Und wir haben sie nicht genutzt.
Warum auch immer.
Egal wie nachvollziehbar die Entscheidung war, wegzugehen und einen anderen Weg zu wählen.
Die Chance blieb ungenutzt und sie wird nie wiederkommen.

Unser Rundgang endet in einem Raum, in dem die Kurse für figürliches Zeichnen stattfinden. Es gibt einen Leuchttisch und die roten Haare des Innens lecken ihre Hitze bereits wieder in alle Richtungen. Mit einem Leuchttisch, kann es Trickfilmbilder besser zeichnen.
Wir fühlen uns durch den Raum, in dem viele Teenager sitzen, miteinander reden und uns verstohlen anschauen.
Mein Blick fällt auf das Grafiktablett eines der jungen Menschen dort.

Das Teil kostet neu über 800€. Frau Rosenblatt sabbert das Gerät seit der ersten Version durch das Internet an und fühlt jedes Mal den Schmerz des Wissens, dass es mehr kostet als das, was sie zum Leben vom Staat erhält. Weil das ihr Leben in einem Monat kosten darf.
Und dann liegt es einfach da.
Achtlos neben Wassergläsern abgelegt und mit Aufklebern verziert.
Es kostet so viel wie 100 Monate Kunstkurs für eine Hartz 4 Behinderte mit Splitter-Ich.
Würde der Kurs soviel kosten, wie es der Staat für Bildungsausgaben unter Hartz 4 vorsieht: 533 Monate.

Es liegt dort rum und würde es aufstehen und uns sagen: “Siehste- das haste nu davon!” – es wäre nur logisch.

Im Flur vor dem Raum liegt eine braune Labradorhündin und schläft mit dem Gesicht zwischen den Pfoten.
Wir tauschen Floskeln mit dem Kunstleiter und torkeln mit unseren Eindrücken im Kopf in die Kälte hinein.

Ich denke an den Artikel zum 10 jährigen Bestehen der Hartz 4 Gesetze, den wir uns seit Wochen aus dem Herzen rausschreiben wollen und daran, dass so viele Menschen von unserer Armut erfahren und dennoch denken, es hätte für uns jemals ein
“vor Hartz 4” gegeben. Ein “vor der Armut”. Ein “bevor es alles schwierig wurde”. Oder zumindest so mit uns sprechen.
Vielleicht, weil es so normal ist, dass jede_r mal ein “Früher war alles besser” hatte.

Wir hatten das nicht.
Wir hatten nur Chancen.
Und die haben wir nicht genutzt.

Weil wir statt auf ein Über.Morgen hinzuleben, ein Heute erkämpfen mussten.

Wir haben kein greifbares “wenn es vorbei ist”. Keine realistische Vorstellung, wie das Morgen nach dem Überleben, nach der Armut, wie das Ende des Hoffens erreicht werden kann. Wir wissen nur: das Bedürfnis der Therapeutin, der Welt, den Augen, die auf uns drauf schauen zu sagen, dass es in unserem Leben eine strukturell produzierte und aufrecht gehaltene Todesangst gibt, die für andere Menschen einfach nur “Hartz 4” heißt – das wird morgen wieder überlebt sein.

Genau wie alle Gewalt, Schmerz, Qual, Not, Folter und Ausbeutung, die wir überlebt haben bis wir 21 Jahre alt waren.

 

 

über Dinge sprechen, die mir wichtig sind

auch ein Wunsch für das neue Jahr, der nun in seine Erfüllung überzugehen beginnt

Wir sprechen mit den Sommers über das Viele sein und das Viele-Sein!

Aber das tun wir nicht in einer very special Veranstaltung, die sich wieder kaum eine selbst betroffene Person zu besuchen leisten kann, sondern in Form eines Podcast.
Des wohlgemerkt ersten öffentlichen deutschsprachigen Podcast zum Thema DIS, der von Vielen für Viele und Personen, die sich für die Er-Lebensrealität von Menschen, die Viele sind, interessieren, gemacht wurde.

Wir laden die Episoden, die alle 4 Wochen erscheinen werden, bei Soundcloud hoch und binden sie auf der Homepage ein. Jede Menge Möglichkeiten also keine Episode zu verpassen und uns Rückmeldungen zu schreiben.

SCN_0138Ich bin ziemlich stolz auf das, was wir da ohne jede Vorkenntnis in Sachen Audiobearbeitung und Podcasting als Format gemacht haben und im Hinblick auf das, was wir da an inneren und äußeren Bewegungen zu stemmen schaffen.

So – nu aber klicke di klick! rüber mit euch zu “Viele- Sein – ein Podcast über das Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur” und los gehts!

der Zukunftskongress “Inklusion 2025”– ein Rückblick mit neuen Selbst.Ansichten

Ich könnte jetzt einen Artikel schreiben, der hübsch in ein kleines Kästchen passt: “vom 2. bis 3. Dezember fand der Zukunftskongress “Inklusion 2025” ausgerichtet von der “Aktion Mensch” in Berlin statt. Etwa 450 Personen trafen einander und diskutierten. Alles war toll.”

So bin ich aber nicht.
Und jetzt mag ich schreiben: “und genau das ist wichtig.”.

Mein Viel(e)-Sein ist okay. Nicht okay ist, dass es keinen üblichen Platz hat. Weder in der Gesellschaft ™ noch in den Strukturen, die diese Gesellschaft nutzt, um sich selbst zu organisieren.
In den Tagen des 2. und 3. Dezembers sind in mir so ziemliche alle Konflikte, die sich in den letzten Jahren rund um meine Hochbegabung, die DIS, die Gewalterfahrungen, die Lern- und Arbeitsk.r.ämpfe und auch meine Zukunftsängste immer wieder gebildet haben, einmal durchgerauscht.
Da waren Momente von Angst, von Ärger, von Verzweiflung, Hoffnung, Heilung, von Verstehen und Begreifen. Für ein Kästchen ist das zu viel. Ein Kästchen würde abschneiden. Ein weiteres Kästchen mit Informationen, die in jeder Zeitung und auch manchen anderen Webseiten und Blogs stehen, braucht diese Bewegung zu einer inklusiven Gesellschaft einfach auch nicht.

Ich werde nun also wieder ein rosenblattsches Megaepos schreiben. Raum einnehmen.
Nach den zwei Tagen und all den Begegnungen mit Menschen, von denen manche für Zeiteinheiten der Widmung bezahlt werden, hat sich meine Haltung zu negativen Äußerungen darüber noch einmal mehr verändert.
Zum Einen dahin, dass ich mich weniger für den Raum, den ich mit mir als Körper, Geist und Seele.n bilde, noch für den Raum, den ich genau damit – mit meinem Körper, meinem Denken, meinem Seele.n.-Sein – einnehme, entschuldigen will.
Ich habe gemerkt, dass mir die Kraft, die ich permanent für eine Entschuldigung meines Da.Seins aufbringe, fehlt, wenn ich respektvoll, nährend, warm, offen, freundlich, annehmend und einander haltend mit Menschen umgehen möchte. Außerdem habe ich gespürt, dass diese Entschuldigung, dieses mein so vielfach, so tiefgreifend eingewurzeltes Schuldgefühl für meine bloßes Existenz, für den Rest der Welt kontextlos erscheint.

// Ich kann es nicht anders tun, als ich es tue, deshalb tue ich es, wie ich es tue.
Und das ist okay. //

Zum Anderen will ich mich noch häufiger daran erinnern, dass Widmung passiert, wie Leben einfach so passiert.

// Es kommt wie es kommt, es ist wie es ist und es muss nie mehr sein, als das. //

Der Kongress beginnt für mich damit, meinen ersten: “Aaaaah – die kenn ich von YouTube!!!” – Moment zu haben, als ich erst Kübra und später auch Christian, die für die “junge Aktion Mensch” seit 3 Monaten Webshows moderieren, in denen sie jungen Menschen Inklusion vorleben möchten, treffe.
Ich mag nicht alles an der Sendung, bin aber mit meiner Behinderung und meinem Alter wohl auch einfach nicht mitgemeint.  Christian erzählte mir, dass sie vornehmlich versuchen Berührungsängste abzubauen und junge Menschen grundsätzlich erst einmal für das Thema “Miteinander” und “Gesellschaft” zu begeistern.
Warum das mit teils opferfeindlicher Sprache (wie in der aktuellen Webshow zum Thema Mut der Fall ist) und für Menschen mit seelischer Behinderung (die einfach bis heute immer wieder mit “Verrücktheit” gleichgesetzt wird) schmerzlichen Bemerkungen, passieren muss, scheint daran zu liegen, dass “man einfach nicht alles rausnehmen und ja auch nicht mit dem Zeigefinger kommen kann”.

// Autsch.
Darf man Tipps und Ideen einreichen, wie der Zeigefinger ausbleibt und trotzdem solche Wörter und Phrasen nicht mehr vorkommen?//

Dann gibt es bis zur Eröffnung viel Kaffee und das erste Gespräch mit einem Menschen, der Unternehmen darin unterstützt, sich mit der Thematik der Teilhabe von Menschen mit Behinderung auseinanderzusetzen. Sehr spannend und erfreulich. Ich dachte, es gäbe gar niemanden, der das an genau dieser Schnittstelle tut.

// Davon sollten mehr Menschen (und Unternehmen) erfahren. //
In meinem Kopf lege ich einen Faden aus und binde ihm den Menschen an den Schnürsenkel.

Nach der Eröffnung: Professor Jonathan Kaufmann, Denker und Berater in den USA.
Er beginnt damit, dass er seine Behinderung als Geschenk oder auch Gabe empfindet und diese ihm eine ganz einzigartige Perspektive bietet. Er beschreibt, was für ein Potenzial im Leben mit Behinderung läge und wie außergewöhnlich das sei.
Und irgendwann hören seine Worte auf in mir und auf meinen ganzen hochpotenten und doch wertlosen Ichs herumzutrampeln. Nicht, weil sie in ihrem “Yeay – Kapitalismus geht für alle Menschen!” aufhören, sondern, weil ich anfange seine Perspektive stehen zu lassen.

// Ich lasse sie stehen. Unterstütze sie nicht. Ich lasse diese Perspektive einfach nur stehen.
Vielleicht im Geldregen. Aber allein. Für sich. //

Nach ihm spricht Professorin Elisabeth Wacker (TU München Diversitätssoziologie – you why i loved her?! ^^) , die viele gute Sätze formulierte als sie ein “Kursbuch Inklusion” aufbaute.
Sie beschreibt Inklusion als Ziel einer Reise und mir fiel zum ersten Mal auf, dass ich ein Wort falsch benutze.

// Inklusion sollte kein Verb haben. Inklusion wird gelebt – nicht “gemacht”. //

Die “interaktive Kurzpause”, von der ich annahm, sie hätte etwas damit zu tun, das man sich in der Warteschlange vor der Toilette unterhält, bis es weitergeht, füllte die Theaterwerkstatt Bethel mit der Darbietung der “Be.Bots”. Es spielten Menschen mit Behinderungen mit und das hat mir gut gefallen. Was sie dort gespielt haben, hat mir nicht gefallen. Vielleicht, weil ich den Witz nicht verstanden habe.

//Menschenausstellungen. Keine Pointe.
Oder doch? //

Und dann ploppten die Flügel meines Gehirns durch meine Schädeldecke und flirrten in dem großen viereckigen Saal umher, an dessen Decke blaue und grüne Sterne geleuchtet wurden.
Ich dachte an die “
Traumdisco” in Berlin und daran, dass der demographische Wandel, von dem vorne auf der Bühne die Rede war, nicht der demographische Wandel ist, der mich beschäftigt.

// Wer wird sich 2025 kümmern, weil er sich kümmert und eben nicht, weil er dafür bezahlt wird?//

Es gibt Mittagessen und es guckt mich komisch an.
Natürlich.
Es ist gelb und scharf, ist durcheinander gewürfelt und heißt trotzdem nicht “Salat” oder “Müsli”.
Der Salat war kein Salat sondern “Essen das komisch guckt und “Salat” heißt, weil es jemand dran geschrieben hat”. Ich hapse, drücke und schlucke so schnell es geht.
An meinem Tisch sitzen Menschen, die einen Film machen möchten.
Sie fanden “
Gold – du kannst mehr, als du denkst” ganz prima.

//Ich schlucke auch alles, was ich zu dem Film noch sagen möchte, direkt mit einem Puppentässchen Kaffee herunter.
Übrig bleiben viele gute Wünsche für ein Gelingen und Erfolg.
Ich weiß, wie viel Arbeit “Filme machen” bedeutet.//

Nach einer inhaltlichen Einführung geht es in die Themenpanels.
Ich habe mir das Panel “Gesellschaftliche Entwicklung und soziale Verantwortung” ausgesucht und twittere, was ich noch twittern kann, bevor mein Handy mit einem letzten Aufbegehren des Vibrationsalarms den Akkutod stirbt.
Um von mir tot Geglaubtes, geht es auch im Panel. Jeannette Gusko von
Change.org gab einen kurzen Input über das Potenzial von Onlinepetitionen als Bestandteil von Öffentlichkeitskampagnen.
Laut ihren Erfahrungen gibt es nachwievor die Chance über eine Petition auch zu erreichen, was man erreichen möchte. Allerdings nur, wenn daneben noch jede Menge andere Vernetzung und Unterstützung von Verbündeten steht.

// Ich denke an die #idpet und daran, dass die CDU unser Land quasi im Alleingang regiert.
Und schlucke erneut.
Mit Stellvertreter_Innen “neutraler” Plattformen kann man nicht politisch diskutieren. Neutralität ist apolitisch.//

Der Philosoph, Künstler und Kurator Günther Friesinger aus Wien, trägt eine schwarze Kapuzenjacke und ich kann ihn leider nicht fragen, ob er zufällig auch Twitterer ist. ^^
Er versucht und das Internet begreiflich zu machen, indem er uns alle Daumencatchen lässt und dabei miteinander verbindet.

//LOL//

Theoretischer wird es dann wieder mit der Vorstellung der explorativen Studie, die Professorin Dr. Berit Sandberg mit ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter_In vorstellt.
Es geht um die Motivation zu ehrenamtlichem Engagement von Menschen mit Behinderungen. Größte Faktoren: Arbeitslosigkeit und der Wunsch, der Gesellschaft etwas (zurück)zugeben.

// Ich erinnere mich an die “Plattform Inklusion” meiner Stadt und die scheelen Blicke, die mit meiner Nachfrage einhergingen, ob Ehrenämter als die Jobs der Zukunft für Menschen mit Behinderungen betrachtet werden. Aushilfen, die freiwillig und unentgeltlich tun, was sonst vom Jobcenter geschickte Minijobber tun – ja kann denn ein Unternehmerherzchen davor zurückschrecken?//

Studien wie diese sind wichtig.
Ich wünsche der Professorin, dass sie es schafft eine größere Studie zu dem Thema auf die Beine zu stellen.
Sie könnte dazu beitragen, das Vorurteil von einzig betüddelten Menschen mit Behinderungen zu brechen und in ein Bild von auch aktiven Menschen, die mit einer Behinderung leben zu verwandeln.

// Wenn sie es aus dem ewigen Kreislauf im Elfenbeinturm “Wissenschaft” herausschafft.//

In Erinnerung bleibt (weil mit ganzen vielen Geistesherzchen überschüttet) mir auch Dr. Mark Terkessidis, von dem ich nicht einen Satz behalten habe – aber alle Energie, die er in seine Sicht des Themas brachte.

//Geistesherzchen Geistesherzchen Geistesherzchen //

Am Abend treffe ich einen Menschen vom Verein “Menschen helfen Menschen in und um Berlin e.V.” welcher komplett ohne öffentliche Zuschüsse arbeitet und sich nur mit Spenden und ehrenamtlichen Helfer_Innen hält. Die Liste der Tätigkeiten dieses Vereins im Flyer hat mich umgehauen.
Wenn ihr noch ein klitzekleines Scherflein zum Spenden habt – da ist es gut aufgehoben.

//Werden wir es schaffen unser Nachwachshaus* aufzubauen und genauso hartnäckig bei der Sache bleiben können?//

Ich lasse mich von dem Berliner Abend zurück zu meinem Schlafplatz schieben.
Zweifel schlagen über meinem Kopf zusammen und alles Runtergeschluckte drückt sich an meinen Augäpfeln vorbei nach draußen.

Ich kann zu selten sagen, dass mich die Unsichtbarkeit meiner Behinderung als solche bewegt. Ich kann zu selten sagen, dass es mich stört, wie oft apolitisch und vertreter_Innenzentriert Diskussionen zum Thema Inklusion und Teilhabe aller Menschen funktionieren. Ich muss meine Abhängigkeit von anderen Menschen zu oft als Hilfebedürftigkeit bezeichnen. Ich bekomme öfter zu hören, ich müsse mich bewegen und etwas tun, als Fragen danach, wie meine Bewegungen und Projekte unterstützt werden könnten, damit sie überhaupt als solche bemerkt werden. Man kann keine Prothese an mich klemmen. Dass ich viele geworden bin, ist die Prothese, die zu entwickeln ich gezwungen war. Man kann mich nicht mehr gebrauchen und verwerten. Inmitten der Realität, in der wir uns heute befinden, ist meine Behinderung weder Sprungbrett für tolle Perspektiven, noch ist die Tatsache eine Person, die mit einer Behinderung lebt zu sein eine Qualifikation.
Was heute zählt, sind Entwicklungsmöglichkeiten, die sich mit kapitalistischen Strukturen vereinbaren lassen. Vielarmige Krausköpfe wie meiner, die obendrauf nicht einmal kontinuierlich an sind, weil so ziemlich alle Schrauben locker sind, die sind vielleicht noch als Objekte wichtig, wenn es um Lückenforschung geht.

// Wie wichtig Lücken sind, merkt man heute nur noch wenn die Leertaste am MacBook spinnt oder man einen Parkplatz in der Innenstadt sucht//

Ich weine und ekle mich vor dem Geräusch, das mir dabei aus dem Mund kommt.
Ich kann niemanden anrufen. Es ist ja schon alles gesagt. Ich sage seit Jahren kaum etwas anderes als das, was ich jetzt sagen würde. Es würde mich trösten, läge eine Hand auf meiner und sagte jemand: “Es gibt ein Morgen.” und es würde mich zerfetzen, läge eine Hand auf meiner, während mir jemand sagt: “Es gibt ein Morgen.”.
Als ich in die Nacht spüre, höre ich hinter mir Federn rascheln.
Etwas streichelt mein Herz in den Schlaf.

Am Morgen dusche ich die Trümmer des Abends von mir und zeichne kleine Dankegrüße.
Ich gehe mit neuer Kraft in den zweiten Tag des Kongresses. Jeder Schritt von mir zieht ein zartes Federstreichen nach sich.

Wir hören Anja Förster, die querdenken als Business betreibt. Sie erzählt von Fehlern, vor denen Angst zu haben Kraft raubt und die Geschichte von den Blumen in der Wüste, die bestimmte Bedingungen brauchen um zu blühen. Kennen wir schon aus dem schönen Mixtape von KapuzenAuf.

// Warum müssen es eigentlich immer die Blumen sein, die in der Story als lohnenswert erscheinen? Die Fähigkeit lange in der Erde ruhen zu können, ohne seine Potenz zu verlieren, ist ebenfalls ziemlich cool. Kakteen sind verdammt cool. Wüsten sind wichtige Bestandteile unserer Natur. Wüsten als Orte [Räume], sind Konsequenzen aus Folgen von Anpassungen an Gegebenheiten.//

Dinge anders machen zu wollen, finde ich aber gut. Schade, dass es mit dem bewährten “Motivations- Trau dich mal” einher gehen muss, bei einer Veranstaltung, die zu besuchen für viele Personen aus ganz unterschiedlichen Gründen, schon mit sehr viel “Trau dich mal” verbunden ist.
Aber wer weiß, vielleicht war dieser Input ja bei irgendjemandem das Quäntchen Wasser, das gebraucht wurde.

Und dann kam eine “steife Brise” auf – das Improvisationstheater “Steife Brise” um genau zu sein.
Ich kann nicht gut beschreiben, was sie gespielt haben – nur so viel: es hatte damit zu tun, dass das Publikum Wörter einbrachte, die in eine Szene eingeflossen sind und am Ende gab es “Weini” den Weihnachtsmann, der seine Frau an den Metzger verloren hatte und “Stefan”, den Elfen.

//so cool – einfach loslegen und spontane Ideen umsetzen – Fehler sind erlaubt//

Für den zweiten Tag habe ich das Themenpanel “Bildungschancen und Lebensweggestaltung” gewählt und twittere, so viel ich kann.

Dr. Siegfried Saerberg erzählt von der Kunstausstellung “artblind”, die von ihm für den Verein Blinde und Kunst e. V kuratiert wurde. Künstler_Innen, die mit Sehbehinderungen oder Blindheit leben, erfreuen mich. Meine Kunst war bisher eher etwas, das ich jetzt viel mache, weil ich nicht, weiß, wie sich die Funktion meines linken Auges im Alter auswirken wird. Ich profitiere bereits jetzt sehr von digitalen Möglichkeiten der Gestaltung, wenn es um Nachbesserungen oder Arbeiten mit bestimmen Mitteln geht. Aber die Haptik von Materialien ist für mich auch wichtig. Es hat mich ermutigt, zu hören, dass es Menschen gibt, die ihre Kunst nicht nur auf die visuelle Wahrnehmung auslegend machen und dann auch ausstellen.
Wir hören eine Audio Transkription zu einem Bild und werden darüber mit zwei Bildern beschenkt. Das eine entsteht beim Zuhören, das andere beim Sehen. Beides zusammen vermischt sich zu einem runden Subjekt (ja- nicht: Objekt, wie das sonst gerne bei Kunst passiert) in mir drin. Unter der Bildbeschreibung ist Musik, am Ende gibt es Worte zur Aussage des Bildes vom Künstler selbst.

//Schön, dass wir Zeit haben, um uns zu widmen.//

Es spricht Jun. – Prof. Dr. Ingo Bosse über die Medialisierung des Lernens und welche Probleme sich dabei zeigen. Es fehlen ordentliche Lehrmittel und Ausbildungen zum Lehren der Nutzung dieser Mittel.
Ich denke an Dr. Terkessidis und die Parallelwelten, die Rasse, Klasse und Alter voneinander wegspalten.
Ich denke an die Person, die mir im März bei der Tagung “Wir sind Viele” sagte: “Hoffentlich reichen meine technischen Fähigkeiten, Ihr Blog im Internet zu finden.”.
Ich denke daran, dass viele Unternehmer_Innen Facebook für das Internet halten, sich anmelden, Gelder in die Plattform bringen und die Nutzung für Non-Profit oder gemeinnützige Unternehmen und Privatpersonen ad absurdum führen.

//Facebook wird im nächsten Jahr auch ausgeloggte Nutzer_Innen in ihrem Surfverhalten ausspionieren.//

Um Mediennutzung und Einbindung in den Unterricht geht es im Vortrag von Norbert Schröder, der in seiner Schule Jugendliche, die mit körperlichen und Lernbehinderungen leben, unterrichtet. Sie machen Videotutorials zur Nutzung der Gerätschaften, die sie in ihrer Ausbildung verwenden und erstellen so quasi die Lehrmittel der nachkommenden Schüler_Innen – die wiederum die Lehrmittel der vorhergehenden Schüler_Innengeneration überarbeiten oder verbessern.
Eine Idee, die in ihrer Umsetzung mit einem Video gezeigt wurde, das sehr professionell wirkte und komplett von den Schüler_Innen selbst gemacht wurde.

Es folgen Worte von Prof. Dr. Olaf Burow zur Erkennung und Förderung individueller Potenziale, die in der Folge vom Journalist Erik Albrecht in einen Kontext mit Bildung als Lebensbausatzelement erneut auftauchen und von Prof. Dr. Hinz und Ines Boban (tolle Menschen! da flogen wieder Geistesherzchen- beide sitzen im Institut für Rehabilitationspädagogik der Universität Halle-Wittenberg) in einen Kontext des hinterfragbar kapitalistischen Wertes “Bildung” und “Entwicklung” gestellt werden.
Für mich entsteht ein angenehmes Knäul aus losen Fäden, festen Strängen und Mustern, die in der darauf folgenden Diskussion noch ergänzt werden.

// Unser sogenanntes Informationszeitalter instrumentalisiert Bildung vom Begreifen weg. Es wird weniger gelernt, als gebildet. Unsere Bildungssysteme führen zu Abzieh.Bildern, die wir in unsere Stickeralben kleben. Wer das schönste Album vorzeigt, bekommt die Möglichkeit weitere Sticker zu erwerben, um am Ende, das unvorhersehbar, unsicher und von wirtschaftlichem Denken und Taktieren Dritter abhängig ist, ein Einkommen zu haben. Das nicht sicher ist.
Nichts ist sicher und deshalb wünscht man sich eine “Kultur des Vertrauens”. Wir, ich bin Teil der Generation Y. Um mich herum, hätte die Welt schon zwei Mal massiv zerstört werden können. Tschernobyl, Fukushima. Es gab und gibt so viele Kriege und sie kommen alle zunehmend unausweichlich nah, denn jeder Monitor wird zum Fenster in die Nachbarschaft von Menschen, die mit dem Grauen Tür an Tür, oder Hütte an Zelt leben müssen.
Ich denke an transgenerationale und durch unsere technischen Möglichkeiten auch transnationale oder vielleicht besser gesagt: transmediale (Psycho)Traumatisierungen und daran, dass niemand Vertrauen von Menschen lernen kann, die in einer Zeit aufwachsen, in der nichts und niemand wirklich bedingungslos vertrauenswürdig ist, weil einfach nichts und niemand so sicher und kontinuierlich ist, wie der Lauf der Dinge selbst.
Ich sage zum ersten Mal in meinem Leben: “Ich bin hochbegabt – leider.”, vor anderen Menschen und bringe mein Bildungsdrama in einen Kontext von Klasse, als Diskriminierungsachse. Am Ende traue ich mich, meinen Wunsch nach stärkerer Etablierung der Langeweile als Quelle von Kreativität und Sozialität zu äußern.
Ich bin stolz auf mich und spüre, dass meine Worte auch willkommen sind. Es fühlt sich so unfassbar großartig an. //

Das Mittagessen guckt nicht komisch. Es gibt Tomatensuppe, rote Grütze mit Vanillesoße und klitzekleine Süßigkeiten. Der Cateringservice “Lebenswelten” ist übrigens integrativ – es arbeiten auch Menschen mit Behinderung dort. Ich führe wieder ein interessantes Tischgespräch und lerne später eine Mitbegründerin des Vereins “Wild:lachs für alle e.V.” kennen.

//Eine Mutwelle in Richtung Nachwachshaus*//

und dann treffe ich Mareice Kaiser und Raul Krauthausen.
Sie sitzt neben mir im Publikum und wir klatschen Raul auf der Bühne zu, der in der Talkrunde “Inklusion 2025 – Realistisches Gesellschaftsmodell oder Utopie?”, direkt mit wichtigen Punkten
loslegt.
Er sagt: “Überhaupt schon Utopie in dem Kontext Inklusion zu erwähnen, öffnet zu viel Platz für Bedenkenträger.”.
Raul wird als einzige Person geduzt und das ärgert mich. Er hat doch einen schönen Nachnamen, wie alle anderen auf dem Podium auch.

//Inklusion ist das Ergebnis einer emanzipatorischen Bewegung. Emanzipatorische Bewegungen sind wichtig. Man erreicht sie nicht mit Quoten – schon gar nicht mit Quoten wie einer von 30% für Frauen.
Dass diese Emanzipation schwierig ist, wenn Unternehmen und Politik erst auf Druck handeln, und immer wieder mit Optionenhonig um die Vorstand- und Vertreteregos gelockt werden müssen, was wiederum getan wird, weil Abhängigkeiten zu Hilfebedarf umbenannt werden, ist nach dieser Veranstaltung für mich sehr deutlich geworden.

Natürlich können Unternehmer_Innen ihr Konzept nicht von jetzt auf gleich umstellen. “Never touch a running system” – ist in der Wirtschaftslage, die wir nun einmal jetzt haben, wichtig und es doch anzutouchen ist mit einem Mut und einem Grad an Etablierung innerhalb von Systemen von bestimmten rassischen, klassistischen, age-istischen, sexistischen und vielen anderen *istischen Achsen, verbunden, das nicht alle Unternehmen vorweisen können und/oder auch nicht bewusst haben.
Seit dem Zukunftsdialog 2012 habe ich bereits mit verschiedenen Menschen, die aus Unternehmen jeder Schicht kommen, gesprochen und oft – sehr oft – fehlt tatsächlich ein Bewusstsein nach unten, weil der Fokus immer wieder auf dem Bewusstsein und den Vergleich nach oben liegt. Liegen muss, weil ein Überleben daran hängt. Es gibt diese Überlebensmuster auf jeder Ebene und ich erlebe es als wichtig, sie anzuerkennen, bevor kritische Forderungen gestellt werden, die mit Druck einhergehen.
Trotzdem bin ich natürlich nicht objektiv und immer wieder wütend, wie vor sehr großen Unternehmen seit Jahren argumentiert wird, dass Menschen, die mit Behinderungen leben, ein Gewinn seien. Dass es sich wirtschaftlich lohnt oder lohnen muss – je nach Argumentationsstandpunkt – auch Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben teilhaben zu lassen oder auch: Menschen in ihrem Arbeitsleben und Er.Schaffen nicht zu behindern. Es widert mich an.
Es triggert Erinnern in mir an, weil ich schon so oft gekauft wurde. Es macht und hält mich “psychisch krank”, weil ich als Mensch mit diversen Eigenschaften nie ohne Verwertungslogik zu folgen betrachtet werde, wenn es darum geht, was von mir kommt. Ich kann das immer wieder in mir aufkommende Bild von Sklavenmärkten und Menschenausstellungen nicht unterdrücken. Ich komme nicht dagegen an, immer wieder an Menschenhandel zu denken.

Viele technische Neuerungen kommen auf den Markt, wie die “Lorm Hand”, die es Menschen mit Seh – und Hörbehinderung ermöglicht, auch digital zu kommunizieren. Unsere rasend schnelle technische Entwicklung wird uns greifbar und im direkten Erleben des Alltags in der Zukunft emanzipieren – von anderen Menschen. Deren direkte physische Präsenz wird dann nämlich nicht mehr wie heute gebraucht. Gleichzeitig müssen diese Hilfsmittel produziert und erdacht werden. Warum es noch so viel Argumentation “Pro Teilhabe” genau daran geben muss – warum Menschen ihre altunwürdigen Denkmuster aus Ökonomie und “hat sich schon immer™ so bewährt” nicht verlassen und erst vom Querdenken überzeugt werden müssen, ist mir unverständlich.
Vielleicht habe ich zu viele Visionen.  Vielleicht hören aber auch noch einfach viel zu viele Menschen Sätze wie: “mit Visionen macht man keine Politik” und erleben es zu selten, wie darauf jemand antwortet “Aber ohne Vision, keine Mission”, wie es Raul Krauthausen tat.

Vielleicht ist es aber doch genau diese meine Sicht, die Professor Kaufmann zu Beginn der Veranstaltung meinte, als er sagte: “das Leben mit einer Behinderung bietet andere Perspektiven”.
Meine Gewalterfahrungen haben mich in einer Art zur Anpassung gezwungen, wie sie nicht vielen Menschen passiert. Die Art, wie ich die Welt und ihre Akteure wahrnehme, in mir verarbeite und mit ihnen interagiere folgt keinem Muster, das einen Bonus zur Folge hat.
Ich lebe, dass ich lebe.
Ich tue, dass ich tue.

und, dass das so ist und, dass es okay ist, dass es so ist; dass ich nicht jeden K.r.ampf ums Mehr und Besser mitmachen muss, um mir wünschen zu dürfen mit anderen Menschen warm, offen, freundlich, respektvoll, nährend und einander haltend in Kontakt zu sein,

das habe ich so bewusst, wie auf der Fahrt nach Hause durch das Dezemberdunkel noch nie gehabt.//

Vielen Dank an die Aktion Mensch, die mir mit ihrer Blogparade zu einem Kongressticket verhalf, der Mädchenmannschaft e.V. , der Redaktion von „Weird„, meinen sichtbaren, wie unsichtbaren Patroni und Gemögten, die mir alle zusammen diesen Artikel ermöglicht haben. Ohne euch hätte es nicht geklappt- vielen vielen Dank!

Bumerang und atmen

und ein bisschen lustig ist es doch
wenn man dann über Dinge wie Armut und “Aber das haben Sie jetzt nicht gehört” und “das wissen Sie nicht” und “wie gut, dass Sie das jetzt schon vergessen haben” die sich immer, zwangsläufig irgendwie, direkt daneben abspielen, spricht.

Auch deshalb werde ich nie nie niemals eine Biografie schreiben _können_, in der ich “mein Schweigen breche”.
Nicht nur, weil ich das pathetisch und unangemessen finde, sondern, weil Schweigen und gezielte Unkenntnisse der Kleister sind, der das, was ich hier mache bis jetzt zusammenhält.

Gerade ist die neue gesetzliche Betreuerin wieder gefahren und es war schön.
Mir ist schlecht, ich hab Angst, aber es geht mir richtig gut.

Weil sie alles und nichts gehört hat.
Sie weiß, dass ich mit zweidreiviertel Beinen in der Strafbarkeit stehe und gleichzeitig Opfer geworden bin. Und irgendwie alles gleichzeitig nebenher gelaufen ist. Manchmal ohne mich, manchmal wegen mir und manchmal auch, weil ich das so wollte und nicht anders und manchmal, weil andere da waren, oder nicht, oder etwas wollen, was sie nicht hätten wollen dürfen sollen.

Hach.
Atmen.

Ich weiß ja auch nicht, wieso ich eigentlich nicht schon längst unter einer Brücke wohne oder schon länger nicht am Essen knipsen musste.
Und wieso so viele Menschen irgendwie immer noch da sind und immer noch nicht gemerkt haben, wie ich stinke. Und ach überhaupt.

Ich hab damit ja irgendwie doch auch beruhigend wenig zu tun.
Menschen sehen, was sie sehen wollen.
Was sie sehen können.

Ich bin nur Projektionsfläche und manchmal Impulsquelle.

Ach ach ach
Atmen.

Ich hab mich so ungerächt gefühlt und jetzt sehe ich endlich den Bumerang in die richtige Richtung fliegen.
Nichts vergeht, nur weil man nicht drüber spricht.

”Was hast du denn geglaubt, was meine Optionen sind? Was hast du denn gedacht, wie sich so eine Nummer bei jemandem wie mir bedeckt halten soll?”, befinde ich mich in einem endlich endlich stattfindenden Streitgespräch,  mit dem Bild von H. in meinem Kopf.
”Hast du eigentlich nachgedacht? Oder hast du an mich als das kleine Huschi von 2006 gedacht, für das du deinen Rücken breit machen musst, weil “darum”? Weil du dich aufopfern musst, oder was? Weil “du und ich gegen die ganze Welt” ja schon immer eine so super gute Idee war?”, in Gedanken schaue ich ihr streng ins Gesicht. Von oben runter. Sehr groß. Kalt und unnachgiebig. Wie ich nie sein kann außerhalb meines Kopfes.
”Hast du gedacht- habt ihr gedacht” – ich drehe den Kopf an die Tür im Gedankenzimmer, wo S. steht und sich an einer Flasche Fensterputzmittel und einem Viskosetuch festhält, um nicht von meinem Wutsturm weggepustet zu werden – “wenn ihr euch einfach so verpisst- wenn ihr mich und uns sowas von mies und feige und rückgratlos verlasst – ALLES einfach so ebenfalls verschwindet?! Dass ihr euch vor euren Mitverantwortungen und Fehlern einfach so wegschleichen und … “ – ich schlucke, damit mir nicht noch mehr Spucke aus dem Mund herausschießt – “ ‘spurlos verschwunden’, spielen könnt?”.
Ich atme tief ein.
Daily Soapmusik im Hintergrund, Zoom auf mich. Mangatränen glänzen.
“Ihr habt Spuren hinterlassen.”
Irgendwas mit Klaviermusik.
”Und manche davon sind richtig scheiße.”
Cliffhanger. Bizarre Synthesizer.

Auch in meinem Kopf will ich die Antworten gar nicht hören, weil ich weiß, wie sie sind.
Weil sie seit Jahren immer die gleichen Phrasen, Geschichten, Anekdoten und Schenkelklopferkackscheißwitze darstellen. Weil die letzten richtigen Gespräche vor 6 Jahren waren. Weil sie mich nicht ernstnehmen können. Weil sie mich nicht hören und begreifen können. Weil … wir jahrelang abwechselnd dieses tote Pferd, diesen stinkenden, giftigen Kadaver durch die Zeiten geschleppt haben und aus Trotz nicht mit den Wiederbelebungsmaßnahmen aufgehört haben.

Nichts verschwindet.
Und sowohl in meinem Kopfkampf, als auch “in echt”, ist mir das ein Triumph.

Auch wenn es erbärmlich ist.

Als sie mir zuletzt in die Kniekehlen getreten hatten und ich wir vor Wut heulend eine mehrspurige Hauptstraße, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, überquerten, Laternenpfähle im Vorbeigehen boxten und immer noch kein Schmerz fühlbar war – da war es diese Ohnmacht, dieses Gefühl ein Nichts und Niemanden so verletzen und treffen, so ängstigen und ausliefern zu können, wie wir und ich es durch sie erlebt haben.
Wie erbärmlich war das am Straßenrand ins Handy zu hören und sich mit den Worten der Therapeutin vor dem Ertrinken zu retten?
Ich fands erbärmlicher, als die Aussicht, dass es einfach doch nicht von ihnen wegzureden, zu argumentieren und verstecken und verschweigen ist.

Keine Illusionen Baby.
Niemand ist sein Leben lang arm, krank und so lange schlicht überlebend, weil unterversorgt, wie wir, um jetzt ein Leben leben zu können, das dem nicht Rechnung trägt.
Niemand.

Es ist mein Leben.
Und es kann jetzt endlich in aller Ruhe so offen aussichtslos, trüb und minderwertig sein, wie es ist.
Es kann mein beschissenes 10 Jahre Hartz 4 ohne Berufsausbildung, mit selbstgemachter Arbeit ohne Lebenshaltungskostendeckendem Einkommen sein. Es kann mein “Wenn ich morgens aufstehe MUSS ich schreiben und Kunst machen” – Leben sein. Es kann mein “Ich bin eine zerstörte Person und es hat nie aufgehört weh zu tun” – Leben sein. Es kann mein von mir allein definiertes Leben* (mit Sonderzeichen) sein.
Es kann alles das sein, ohne, dass die Person, die für mich und in meinem Sinne spricht, mir immer wieder reindrückt, dass es ja alles nicht so ist. Dass man das ja so nicht sagen kann.

Dass es bei ihr ja auch geklappt hat.

Ich bin nicht du. Ich bin nicht ihr. Ich bin ich.
Und ich bin in echt so scheiße.
Und es würde mich nicht stören so ein Stück Scheiße zu sein, wenn ich es in Ruhe auch einfach mal sein könnte, ohne dass ich immer wieder in diesen bescheuerten Selbstoptimierungsstrudel gezogen werden würde. Dieses Vergleichen vor anderen Menschen mit DIS, mit Traumageschichte, mit Hartzkonto, mit ohne Beruf, mit was weiß ich, das immer nur wieder dazu führt, wachsen zu müssen. Zu müssen und nicht zu wollen.

Ich mag mich im Moment einfach doch viel lieber entwickeln und reifen, statt zu wachsen.

Atmen.

 

Ich hab jetzt eine gesetzliche Betreuung.
Ich darf jetzt Quittungen sammeln und in eine Kiste tun.
Ich darf jetzt Honorare kriegen und Sachen verkaufen, wenn ich mag.

Jetzt kann ich mich trauen
die richtig echten Erwachsenensachen zu probieren
wenn ich mag

Fehler werden ab jetzt nicht mehr verschwiegen.
Erwachsene, die von Erwachsenen umgeben sind, brauchen das nicht zu tun.

Badabamm

und ausatmen

und in 10 Jahren? #Inklusion2025

Die „Aktion Mensch“ hat eine Blogparade ausgerufen, in der es heißt: “Mit unserer Blogparade #INKLUSION2025 suchen wir … Ihre Ideen dazu, wie unsere Welt in zehn Jahren aussehen wird und was nötig ist, damit daraus eine inklusivere Gesellschaft wird.”.

„Was sollte sich ändern?“, fragst du “Aktion Mensch”
Ich denke: Vielleicht muss man aufhören eine Rederunde nach der anderen zur der Frage “Was muss sich verändern?” zu machen. Vielleicht muss man aufhören so zu tun, als müssten wir jedes Jahr neu darüber nachdenken und verhandeln “Ist das Mensch oder kann das weg?”, sondern loslegen, alle bisher aufgebrachten Vorschläge und Ideen, auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen. In Testläufen, kleinen und größeren Projekten, mit Freiwilligen, mit Lernenden, mit Wachsenden, die unser 2025 mitbestimmen werden.
Was war denn mit dem Zukunftsdialog 2012 – was passiert in jeder Vereinigung, jedem Verband, jeder Mitarbeiter_Innenversammlung, jeder Interessenvertretung, jeder sozialen Einrichtung, die sich um Menschen kümmert bzw. diese im Fokus hat, die mit Behinderungen jeder Art leben?
Jedes Jahr gibt es neue Ideen, jede Woche wird überall geäußert, was sich ändern müsste, damit Inklusion gelingt.

Die Umsetzung scheitert an der Inklusion des Themas “Inklusion” als etwas, das die Gesellschaft angeht. Das auch und immer mehr die Unternehmer_Innen angeht. Das auch Europa angeht.
Inklusion meint nicht nur, dass Lisa ohne Gehör überall ihr Abi machen kann, oder, dass Turgut ohne Beine uns bei den Paralympics vertreten kann.
Es geht nicht nur um die Höhen, die Möglichkeiten, die erreicht werden könnten, würde wäre wenn
Es geht auch darum, inklusives Denken zu ermöglichen und als selbstverständlich zu etablieren.

Dazu gehört sich Zeit für Barrieren und ihren Abbau nehmen zu können.
Dazu gehört Barrieren in erster Linie in sich zu finden – nicht nur in der Treppe, wo eine Rampe sein könnte.

Dazu gehört die Erfassung der Lebens – und Seinsform “Mensch” in all seinen Facetten, ohne Interessen, die von Diskriminierungsdynamiken geleitet werden.

 

Ich schaue nicht nur verheißungsvoll in Richtung 2025.
Meine Zukunft. Meine Zukunft in 10 Jahren.
Oh Baby, wenn wir alt sind…

2025, da werden viele soziale Systeme zusammengebrochen sein. Und von Privatunternehmen als “im Wandel” bezeichnet. Während die Einnahmen natürlich steigen.
Kapitalismus – oh Baby, der wird auch dann noch da sein und Menschenrechte mit Knebelverträgen und Abhängigkeiten untergraben.
Keine Illusionen Baby, das wird uns auch dann noch beschäftigen. Vielleicht auch auf die Straßen gehen lassen.

Wenn ich 38 bin, bin ich für den ersten, zweiten, dritten… Arbeitsmarkt vermutlich tot. Nicht mehr nur wertlos wie jetzt, sondern tot.
Ich werde nebenher laufen in einem anderen Gewand. Im besten Fall: als Selbstständige. Natürlich unterbezahlt, natürlich immer in Sorge: Wann kommt die nächste dürre Zeit? Immer auf der Suche, wie ein Tier auf der Jagd, nach dem nächsten großen Auftrag.

Vielleicht,
ich hoffe und wünsche mir das
begleiten mich Menschen und wirken therapeutisch auf mich ein. Die einen als Profis, die anderen einfach so.
Vielleicht kann ich wirklich heilen. Was auch immer “Heilung” bedeutet.
Vielleicht habe ich bis 2025 ein Level erreicht, auf dem mich so eine Arbeitsjagd nicht mehr an den Rand bringt oder davon herunter schubst.
Ich hoffe, den Krankenkassen wird bis 2025 verboten, Hilfeleistungen nach Wirtschaftlichkeit zu bemessen. Denn das ist ein Verstoß gegen Menschenrechte.

In 10 Jahren habe ich mir vielleicht meinen eigenen Arbeitsplatz geschaffen.
Das Nachwachshaus™  für Menschen, die komplexe Traumatisierungen erfuhren, könnte in 10 Jahren vielleicht schon stehen. Vielleicht sitze ich in 10 Jahren in einem Wintergarten neben jemandem, der eine Zigarette nach der anderen raucht, so wie ich gut 20 Jahre vor ihm allein in einem Wintergarten saß und eine Zigarette nach der anderen rauchte, weil das alles war, was ich noch sicher konnte. Ohne Angst.

Wir, unsere Gemögten und unsere Unterstützer_Innen haben einen Verein gegründet, unsere Fehler zum Lernen gemacht, uns gestritten und versöhnt, geweint, geächzt und gejodelt bei jeder weiteren geschaffen Etappe und könnten 2025 irgendwo sitzen und uns wundern, dass es geklappt hat. Ich könnte dort sitzen und Pastme sagen: “Gucke mal”.
Oh Baby, das wär sowas von krass.

Vielleicht lebe ich als 38 jährige ein Leben, in dem ich wählen kann, ob ich die Kleidung, die Möbel, die ungewollten Produkte anderer Menschen nutze oder mir selbst welche kaufe. Vielleicht lebe ich in einer Gesellschaft, in der nicht mehr zur Debatte steht, ob ich einen Fahrdienst nutzen darf, obwohl ich doch zwei Monate vorher gut ohne klar kam und quer durchs Land reisen konnte.
Oh Baby, wie cool wäre es, wenn in 2025, die konkret betroffenen Menschen definieren und bestimmen, was wann wie nötig ist, ohne sich an der Norm, die niemand eigenständig definierte, orientieren zu müssen.

In 10 Jahren, da werde ich Mode sehen, die fragt, ob man einen Rollstuhl nutzt, viel liegt, viel sitzt. Die auch bequem und passend tragbar ist, wenn man nur ein Bein hat. Oder gar keine. Oder…
Vielleicht wird es eine Modenschau geben oder gar ganz viele, die ganz anders aussehen, als die die heute … in Mode … sind.
Vielleicht meine ich 2025 mit dem Begriff “normschön” etwas völlig anderes, als jetzt.
Oh Baby, ich glaube bald sind Designer_Innen und Modemacher_Innen mutig genug dafür.

Vielleicht bin ich in 10 Jahren Mutter? Oh ich würde dann gern Mutter sein.
Oh Baby, bevor ich zu alt bin um ohne “RISIKOSCHWANGERSCHAFT Faktor eine Zillion” – Stempel im Mutterpass, schwanger, gebärend, wochengebettet sein zu können.

Aber vielleicht gibt’s in 10 Jahren eh keine Hebammen mehr und ich kann das mit der guten Begleitung und weniger Sorgen zu Vereinbarkeit von seelischer Behinderung und Schwangerschaft, Muttersein und allem schon in der Planung vergessen.
Und ach, wahrscheinlich sind Lesben, Schwule, Queers und alle Nichtheteros und “Behinderten” allgemein, dann eh auch noch immer gar keine richtig echt liebenden Menschen vor Gesetz und sogenannter „Mitte der Gesellschaft“ und mögliche Eltern, so, dass echte Ehe, Sperma- und/oder Eizellenspenden oder ähnliche Luxuswege zum eigenen Kind, einfach und legal ohne Nachteile für die Beteiligten funktionieren.

10 Jahre reichen nicht für Gesetzesänderungen und schon gar nicht für so grundlegende Wandlungen in den Köpfen der Gesellschaftsvertragspartner_Innen ™ , wir sehen’s ja jetzt.
ARD Themenwoche.
Oh Baby, wir müssen alt werden, um den Jungen die Rückendeckung zu geben, die wir* heute nicht erhalten.

Vielleicht ist es 2025 nicht mehr außergewöhnlich sich für Inklusion und Solidarität stark zu machen und der Brauch des stellvertretend für alle ™ Sprechens, ist endlich verbrannt.
Vielleicht sind wir 2025 damit beschäftigt uns zusammenzufinden und unsere bisher gesammelten Ideen und Pläne umzusetzen, zu überarbeiten, miteinander abzustimmen.

Oh Baby, vielleicht muss 2025 niemand mehr fragen: “Was muss passieren, damit unsere Gesellschaft inklusiver wird?”
Sondern nur noch fragen, wie inklusives Denken, Teil unserer üblichen Alltagskultur sein und bleiben kann.