Fundstücke #43

Am Abend liege ich im Bett und komme nicht umhin zu spüren, dass es mich gibt.
Mich, meine Krise, mein Ge.Denken, meine Muskeln, die wie mit glühender Lava gefüllte Weintrauben an meinen Knochen hängen.

Ich liege da und denke darüber nach wie das so ist.
Wie weh es tut und doch kein Schmerz ist, den ich anderen zufügen kann.

Es ist dieser Punkt, den ich als turning point kenne und fürchte.
Ein Bein steht im Lauf der Dinge. Arbeitet. Funktioniert. Kreiert. Ist offen und reagibel.
Und ein Bein steht in der Stasis. Ist dumpf. Existiert. Nimmt für wahr, doch keinen Anteil an dem was passiert.

“Wir haben jetzt keine Zeit für eine suizidale Krise. Wir haben noch Hausaufgaben, eine Buchrezension und andere Dinge zu tun.”, sagt es im Innen und ich merke, wie sie versuchen sich aus dem Treibsand zu strampeln. Sie streiten sich über Freitod und ich bin froh, dass die Menschen um mich herum sie nicht hören, sehen, fühlen können wie ich.
Wie absurd das ist, denke ich und möchte lachen, aber es kommt nur weinen heraus, das mir noch absurder vorkommt.

Und wieder denke ich, dass die Linderung meines Leidens unter dem was ist, einem Eigentlich folgt, für das ich mich entscheiden kann. Muss. Soll. Darf.
Eigentlich geht es um Assoziationsprozesse dissoziierten Materials früherer Traumatisierungen.
Eigentlich geht es um Überforderung durch die Schule.
Eigentlich geht es um schwierige Lebensverhältnisse.
Eigentlich sind wir einfach nicht passend für diesen Lauf der Dinge.

Es gibt so viele Eigentlichs, die sein könnten, dass wir damit überfordert werden, überhaupt nur einen Schritt zu tun. Eine Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung zu treffen, sich zu entscheiden.

Es zieht in alle Richtungen.
Und wir ziehen uns in alle Richtungen.
Von mitten rein bis so weit raus, dass es uns nicht mehr gibt.

Jetzt in eine depressive Episode zu rutschen, ergibt so viel Sinn.
Neuronaler Selbstschutzkrisenüberlebensschlaf – ich kann ihn so nachvollziehen.

Fundstücke #9

Immer wenn ich die Treppen zu unserer Neurologin hochsteige tue ich das, um hinauszuzögern, dort anzukommen.
Es gibt auch einen Fahrstuhl. In den springe ich hinein und halte die Luft an, bis ich oben bin, wenn es nur um ein Rezept geht. Das ist wie Pflaster abreißen. Tut fast gar nicht weh. Ist völlig harmlos.

Gestern stieg ich die Treppen hinauf und hörte das Blut in meinen Ohren, wie den Wellengang, den ich mir für dieses Jahr am Meer zu hören gewünscht hatte.
Ich stand in dieser Gischt und wühlte nach Worten, stierte in das weiße Rauschen hinein, um die Wörter, die ich gleich hinausgeben wollte wenigstens zu erahnen.
Und wieder nichts. Seit Tagen ist da so viel Nichts in meinem Kopf und in mir selbst, dass ich mich wie einen Fleischbeutel voller Nichts von der Schulter eines Hipsterg’ttes herunterbaumelnd empfinde.
Ich brauche lange bis die Worte vor mir auftauchen, erst im Sprechen kann ich an das Gefühl herankommen zu wissen, was ich eigentlich sagen will und am Ende sitze ich da und werde vom ersten Landen einer Träne auf meinen Schoß erschreckt.

Dieses blöde Geheule. Das so gar nichts bringt und Kraft kostet, die für andere Dinge gebraucht wird.

Und daneben der Dialog von dem uns die Therapeutin erzählt hat.
Die Ärztin in der Krisenstation hatte ihr gesagt, es würde sie erstaunen, wie jemand der so schwer krank ist bzw. so schwerwiegende Symptome hat, noch nie bei ihr auf der Station war. Und die Therapeutin hatte ihr geantwortet: “Frau Rosenblatt ist eben eine starke Frau.”.
Und daneben der Tobsuchtsanfall über diesen Dialog, der es nicht schafft durch die Wattewand der Medikamente zu kommen.

Die Neurologin glaubt nicht, dass die Sprechprobleme von den Medikamenten kommen und wir glauben nicht, dass in uns Programme laufen oder wir dauergetriggert sind. Wir ziehen unsere Erfahrungen mit Neuroleptika heran, unter denen es immer auch eine Verschärfung der allgemein immer bestehenden Schwierigkeiten der Kommunikation gab. Sie beruft sich wahrscheinlich auf ihre Erfahrungen der Behandlung von Menschen mit unseren Problemen.

Es gibt kein Einzelergebnis. Es gibt eine Vielheit von Optionen des Umgangs.
Und als wir die Tür hinter uns schließen knallt über dem Kopf die Gefängnistür wieder zu. Stille. Rauschen. Flirren. So wenig wir und so viel Angst vor dem was ist, war und könnte, würde, wenn.

Am Abend sitze ich auf dem Bett und versuche ein buntes Mobile fertig zu basteln, das über unserem Bett hängen soll. Daneben warten wir auf einen Anruf und als er kommt, gibt es das Gefühl von einem Sein ins nächste zu schlüpfen und währenddessen auszurutschen.
Nun stellen wir also doch einen Antrag auf Geld aus dem Fonds für Personen, die  – nein ich will das nicht ausschreiben. Die Formulierung ist so falsch – alles daran ist so falsch.
Ich warte auf einen Moment, in dem es so okay ist, wie es sich anfühlen sollte und merke doch nur den Gedanken: “Du wirst gerade angesprochen, als sei wahr, was du sagst. Ist dir das klar du verlogenes Stück Scheiße?!”.

Ich schaue dem Gedanken ins Gesicht und halte meinen Blick bis er in ein so provozierendes Starren übergeht, dass es mich zerreißt.

Ich stehe neben jemandem, der versucht zu schauen, was gut zu bean.tragen ist. Schäme mich dafür, wie teuer die Sachen sind. Schäme mich, weil es so tut als könnten wir irgendwas. Als wäre es nicht alles Zufall, hingepfuscht, rumgetrickst und so fadenscheinig, dass uns immer wieder leid tut, wenn jemand Gefallen daran findet.
Tröstlich ist, dass es anderthalb Jahre dauert, bis die Leistungen, sollten sie bewilligt werden, ausgezahlt werden. Beängstigend ist, dass es anderthalb Jahre dauert.

Ich habe Angst über folgende Wochen nachzudenken, weil ich mir nicht zutraue sie zu leben und tue jetzt etwas, das in anderthalb Jahren Wirkung haben soll. Könnte. Wenn.

Und während ich sehe, woran ich scheitere, weil ich einfach nicht mehr kann; einfach am Ende mit Nerven, Kraft, Herzblut und Kontakt zum eigenen Sein bin, dreht sich die Welt weiter und ich kratze eine Rille in sie hinein, weil ich starr, stumm, still innehalte aus Angst vor all dem hätte würde wenn, das meine Überlegungen, was wir wie verändern könnten, wie einen Ball auf stürmischer See hin und her wirft.

“Sie machen nichts falsch”, sagt die Neurologin.
“Sie kommen einfach her, wir trinken Tee und ich bin da.”, sagt die Therapeutin.

Und beide reißen damit etwas auf, was noch viel  mehr Angst macht, als das unbeholfene Füllen dessen, was man das eigene Leben nennen soll: die Idee, dass man okay sein könnte in Bezug auf etwas und jemanden in dieser Welt.

Trotz all dem.

sechsundzwanzig

“Sie machen also richtig Ferien”, fragt die Therapeutin in den Raum hinein. Ich betrachte die Frage in ihrem Flug an die Stirn des Kinderinnens, das vor ihr sitzt und möchte mich tot lachen, als dieses nickt.

You say „Ferien“ I say „Hartz4–Alltag“. You think „Ausruhen“ – I think „FUCK OFF“

Das Gespräch verwandelt sich zu einem entleerenden Frage-Antwort – Ping Pong und ich lasse los.
Weil Ferien sind und es egal ist, wie es uns nach der Stunde geht. So oder so gehen wir nach Hause, schlucken die zweite Zahnschmerztablette, lesen, teilen, zeichnen, bearbeiten Fotos, rangieren Not von links nach rechts, gehen mit dem Hund raus, kochen, schauen YouTube-Filme und schlafen ein, wenn die Frühschicht zur Arbeit fährt.

Es ist nichts da, was macht, dass es uns so geht.
Ich bin einfach traurig. Ich leide einfach und es gibt nichts, was das abkürzen könnte.
So ist Depression.

Keine Wörter, keine Gründe, die man wie ein Ursache-Folge-Spiel zusammenkonstruieren kann.
Es war halt viel und es war halt viel Scheiße und es wird auch später noch viel Scheiße da sein.

In zwei drei vier … Tagen, Wochen, Monaten werde ich weniger drunter leiden.

Kein Grund irgendwas zu sagen. Kein Anlass irgendwas zu teilen.
Keine Rechtfertigung um etwas zu bitten.
Es würde nichts verändern.

keine Fragen mehr

Schwarzweißbild einer Wiesenpflanze dessen Blütenkopf zu einem Ball zusammengelegt ist viele zarte Fasern und feine Stacheln sind von außen erkennbar

es gibt keine neuen Wörter
für das ewige Nicht.in.der.Welt.sein
das Immer.anders.als.Andere.sein

das Selbst sein

ich brauche keine Antwort auf ein Warum
ich brauche eine Antwort auf mein Sein

loslassen

“Lass los.”, berat_schlägt sie mich. “Stoß das ab – es hat keinen Sinn sich dafür aufzurauchen. Machs dir gemütlich im Everybodys-Arschloch-Land. Du bist die Böse, weil du dich nicht verpisst hast. Niemand redet mit dir, weil du da bist. Einfach weil du da bist. Lass los. Geh weg. Lass es sein. Das ist es nicht wert. Du hast gesagt, was du kannst und hast dich dran gehalten. Es hat so wenig mit dir zu tun, dass du es wirklich einfach lassen kannst.”.
Sie sagt das ganz ruhig. Mit einer Stimme, die so glatt wie ein Flusskiesel ist.

Sie atmet, als würde sie rauchen und hat die Augen halb geschlossen.
Sie beobachtet mich. Bohrt ihre Blicke in mich hinein, während ich mir meine Arbeit abringe, um nach einer halben Stunde erschöpft zurück ins Bett und in holprigen Dämmerschlaf zu rutschen.
Wenn sie sagt: “Lass los”, versuche ich sie loszulassen. Vielleicht, weil mich ihre kalte Sachlichkeit erschreckt und ich weiß, dass ich ihre Anwesenheit jetzt aushalten muss.

Wenn ich sie loslasse, lasse ich mich los.
Dann stehe ich da mit meiner unsühnbaren Schuld allein und sehe alles, was ich tun kann, nichtig.

“Wir könnten das Geburtstagspaket ja einfach so losschicken und reinschreiben: “Es tut mir leid, was mir immer leid tut” und “Ich bereue nicht, was ich immer wieder tun würde. “. Das ist doch gut.”. Die Andere spielt mit einem Bleistift in ihrem Feuerhaar und streichelt sich die Schläfen.
Er kneift die Augen zusammen. “Nee, weißte was – ich entschuldige mich für gar nichts. Hier gehts um gebrochene Absprachen, willentliche und wissentliche Demütigungen und Abwertungen unseres Tuns –  nur um letztlich sich selbst zu zerstören und dann nicht mal den Arsch in der Hose zu haben, sich dem Schaden zu stellen. Nee. Is nich. So’n Ding schickt ihr da nich mit meinem Okay hin. Ich will meine Chance auf ins Gesicht boxen, wenn schon.”.
Sie starren einander erschrocken an.

Mein Gehirn wummert und brandet in seinem Gefängnis. Ich schließe die Augen erneut und drehe mich um.
NakNak* rollt sich auf den Rücken. Lässt sich streicheln.
Ich dämmere dem Abend entgegen.

“Vielleicht sind es zu viele gebrochene Versprechen. Vielleicht ist es einfach wieder und immer noch nicht die Zeit für uns, sich mit Vergebung auseinanderzusetzen.”, sagt sie. “Lass los.”.
Sie hält dem Innen, das uns die depressive Symptomatik vorwerfen will, den Mund zu und übertönt es.

“Lass einfach los. Wenn du nicht kämpfst, kannst du einfach sein. Das ist schwer genug.”.

Es ist Nacht als wir draußen herumlaufen.
Atmen. Sind.
Es ist schwer. Es tut weh.
Und die ganze Welt hat nichts damit zu tun.

kein Anschluss

“Wo ist denn der Charakter in diesen Charakterköpfen?”, hatte sie vor der Reise nach Berlin gefragt.
“Ich will Menschen zu fotografieren üben und – wo ist denn der Charakter im Gesicht?”.

Der Raum ist voll mit neuen Fremden, die Luft walzt sich von Wand zu Wand. Der Lehrer schaut sie an und nickt. “Das findet man heraus, wenn man sich die Leute anguckt und fotografiert.”, sagt er und zeigt ein paar seiner eigenen Arbeiten.
Die Frage verdunstet in der Wärme und verliert sich ohne Antwort im Stimmengemurmel.

In Berlin angekommen, tragen wir uns in einem Kokon durch die Stadt. Halten uns an dem Wissen um die Funktionen und Möglichkeiten der Kamera fest. Konstruieren ein Motiv nach dem anderen. Sie steht streng neben uns und ermahnt uns immer wieder an das, wofür wir hingefahren sind: Menschen fotografieren – mal was anderes als Blümchen, Bienchen, Sonne rauf und Sonne runter.
Es ist unfassbar anstrengend und die meiste Zeit ist da Angst vor dem einen Schritt zu nah. Angst davor, dass sich die Menschen umdrehen und mit uns reden. Angst davor, dass das Foto nicht sofort klappt und ein zweiter oder dritter Anlauf nötig werden. Angst davor die Menschen anzusehen. Angst davor dabei von ihnen angesehen zu werden.

Das turbulenteste Treffen war das Schönste und vielleicht mögen wir nur noch Kindermenschen fotografieren. Wir waren ihnen so herrlich egal und für die Zeit zusammen unterbrach sogar sie die Suche nach dem Charakter im Gesicht.

Zwei Wochen später tauchte die Frage wieder auf.
“Was machst du denn um den Charakter zu zeigen?”, fragt sie. Und ihr Lehrer schaut sie verständnislos an. “Ich arbeite das raus…”, sagt er und fährt mit dem Coursor die hellen Linien im Portrait eines Mannes nach. “Ja, aber woher weißt du denn, dass das da der Charakter ist von dem Mann? Wie entscheidest du das denn?”, fragt sie. Diesmal wollen wir hartnäckig bleiben. Wir haben 1200 Menschengesichtfotos auf unserem Laptop und sind willens irgendwo einen Charakter zu finden.

Und er versteht nicht.

Er schwenkt zwischen dem Bild einer jungen Frau und dem eines alten Mannes hin und her. “Hier sieht man doch, dass das ganz unterschiedliche Typen sind.”. “Ja.”, sagt sie nickend. “Aber wo ist da der Charakter drin – woran merkt man den denn?”.  Er macht diesen einen Laut, den Menschen machen, wenn sie sich beherrschen uns nicht zu schlagen und irgendeine Erinnerung zerrt so heftig an ihr, dass es sie nach innen wegdreht.

Als wir im dunklen Fotolabor stehen und an den Abläufen entlang, ein Foto abzuziehen versuchen, ist es plötzlich ganz klar wieder da.  Das Nichtsgefühl im Fern-der-Welt-taumeln. Im hellen vollen Nebenraum wird geredet, geplänkelt, gelacht. Die Menschen, mit denen wir lernen, stehen dort und freunden sich an. Wir stehen allein im Dunkeln und suchen mit 60% Sehschärfe und ohne eine konkrete Idee nach dem Charakter im Portrait einer fremden Person.

Das Netzmittel ist qualitativ mies und hat mir Wassertropfen auf dem Film beschert. Irgendwas ist beim Entwickeln schief gegangen und hat einen Streifen mitten durch die Motive hinterlassen.  Frustriert beenden wir die Arbeit und versuchen den Faden zur Gruppe wieder aufzunehmen.

“Wollt ihr noch mitkommen und was trinken gehen?”, fragt der andere Lehrer.
Und guckt die Menschen neben mir an.

Draußen regnet es in Strömen.
Ich fahre mit einem neuen alten Lieblingssong in den Ohren, dem Hund an der Leine und dem klappernden Herzen im Arm, alleine nach Hause.

Schaue angestrengt und lange in einen Handspiegel. Finde keinen Charakter, egal wie ich mich anleuchte.
Ich höre auf. Gebe auf. Lasse endgültig los und den Spiegel auf den Boden fallen. Betrachte die glitzernde Scherbenpracht.
Ich schneide mich in den Körper zurück und aus dem Glitzern heraus. Weine ein bisschen um die Kluft zwischen dem Hiersein und dem ImFunkelnsein. Um die Kluft zwischen mir und dem Rest der Welt.

Dann fallen mir Wörter ein, die ich aufschreiben kann. Die Wörter zum Weg vor dem, was ich als “selbstverletzendes Verhalten” in mein Tagesprotokoll kringeln muss.

Beim Aufräumen fällt mir die Überweisung unserer Therapeutin in die Hände.
“rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode (F33.1 G9 )”

kurz: “ET merkt, dass es keinen Anschluss unter dieser Nummer gibt”

Suizid ist eine Wahl

Suizidprävention.
Alleine schon das Wort.

Und dann die Dinge, die man anlässlich des Tages der Suizidprävention so sieht.
Da gibt es Filme in schwarz-weiß, die einen Anruf bei einer fremden Person, die Einweisung in eine Krisenstation, den Kontakt mit Freunden und Familie als Rettung präsentieren. Da gibt es Recoverygeschichten, die das Gleiche tun.

Da ist die Idee vom Suizid als Ende einer Depression, als Zeichen tiefer Hoffnungslosigkeit und Überforderung. Manchmal geht es um Scham, manchmal um Flucht und Verantwortungslosigkeit.
Selten geht es um die Dinge, die in hinterlassenen Abschiedsbriefen stehen. Nie werden die Strukturen thematisiert, welche die Leben der Suizident_innen beeinflusst haben und exakt eine Wahrheit vermisse ich immer wieder

Suizid ist eine Wahl, die einzig und allein von der Person getroffen wird, die sich suizidieren will

Niemand, außer dieser Person selbst, trägt die Verantwortung für ihr Handeln. Niemand, außer dieser Person selbst, kann ihren Suizid verhindern.
Nichts und niemand kann und darf über dieser Entscheidung stehen.

Die sinnvollste Suizidprävention ist Lebensqualität.
Wenn man jemanden kennt, die_der suizidal ist, dann ist es wichtig den Suizid als gleichwertig mit anderen Handlungsoptionen zu betrachten und nicht zu denken: “einmal verhindert ist für immer verhindert”.
Suizidalität kann immer wieder kommen, kann immer wieder Thema sein, kann immer wieder genau das Einzige sein, mit dem sich ein Mensch selbstwirksam im eigenen Leben und am eigenen Leib erlebt.

Es ist eine Mechanik des Egoismus, suizidalen Menschen den Suizid zu verbieten, weil man ihren Tod nicht ertragen könnte.
Es ist eine sozio-kulturelle Dynamik, sich für den Suizid einer anderen Person verantwortlich zu fühlen und Tage, wie der Suizidpräventionstag und seine Ausgestaltung tragen, meiner Ansicht nach, massiv dazu bei.
Bei Suizidprävention, wie sie derzeit gestaltet wird, geht es darum, Menschen das Gefühl zu vermitteln, der Suizid – das Ergebnis einer Handlungsentscheidung  einer Person, ihr Leben zu beenden – sei etwas, was zu verhindern sei, durch als kleine Gesten präsentierte Handlungen.

Unhinterfragt bleibt, wo suizidale Menschen anrufen sollen, wenn sie nicht reden können. Mit wem sollen sie chatten, wenn sie keine Worte haben, nicht schreiben können, keinen Internet- oder Telefonzugang haben? An wen sollen sich suizidale Menschen wenden, wenn sie eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit sind? Wenn ihr Umfeld so gewaltvoll ist, dass der Schritt dort heraus gar nicht möglich ist? Und was will man einer suizidalen Person, deren Leben von Mehrfachdiskriminierung geprägt ist, denn Hoffnungsvolles sagen, was nicht nach 2-3 Tagen auch als Lüge bezeichnet werden kann?

Aus dem eigenem Leben mit chronischer Depressivität, die eben auch bedeutet mindestens einmal in der Woche darüber nachzudenken, ob Suizid nicht vielleicht doch der zu gehende Weg sein könnte, weiß ich, wie das ist, wenn man sich an Menschen wendet für die Suizidalität immer die grellroteste Alarmstufe bedeutet – und eben nicht den Anteil von Lebensrealität, den sie für mich darstellt.
Es kostet mich immer wieder unfassbar viel Kraft, meinen Mitmenschen zu erklären, dass ich sie nicht als meine “vor dem Suizid-Retter_innen” brauche, sondern als Menschen, die mich unterstützen und begleiten, mich an mein Leben als okay in seiner Existenz und mit meinem Wirken erfüllend zu binden.

Positive Bindungserfahrungen tragen zu einer Wahrnehmung des eigenen Lebens als lebbar, als schaffbar, als wunder_voll und auch den Schmerz wert, bei. Ein Telefonat mit der Telefonseelsorge kann eine kurzfristige positive Bindungserfahrung sein – doch wenn am Morgen danach wieder niemand da ist, dann ist der Suizid noch lange nicht präventioniert.

Ich frage mich, warum der Suizidpräventionstag nicht auf die spontanen Krisen eingehen, die mit strukturellen Bedingungen zu tun haben.
Ich frage mich, warum die Suizide von alten Menschen (Männern*) so wenig thematisiert werden.
Ich frage mich, warum Sterbehilfe nicht als Suizidprävention diskutiert wird.
Ich frage mich, warum es in unserer Gesellschaft verboten ist, selbstbestimmt zu sterben, wo doch der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben für viele Menschen auch ein großes Thema ist.

Und immer wieder stoße ich an den Punkt, an dem irgendjemand zugeben müsste, dass der Suizid einer nahen Person als Kränkung und persönlicher Angriff gewertet wird, statt als das, was es ist: das Ergebnis einer selbstbestimmten, selbst zu verantwortbaren Handlung der verstorbenen Person.

Alles “aber man hätte doch”, jedes “es gab doch noch so viel zu erleben” dient einzig den Hinterbliebenen, um ihrer Kränkung Ausdruck zu verleihen und sich selbst auseinanderzusetzen.
Den Toten ist “hätte, würde, wenn” egal und den Suizidalen, kann jedes “hättest du, würdest du, könntest du” die eigene Überforderung noch zusätzlich belastend bewusst  machen.
Mir hat es noch nie geholfen, auf etwas eventuell vielleicht Gutes in meiner eventuell vielleicht erreichbaren Zukunft hingewiesen zu werden, wenn meine ganz sicher beschissene Akutsituation, diese massiv in Frage stellt und klar ist, dass ich sie allein nicht verändern kann.

Also – bitte erzählt den Menschen nicht, sie könnten Suizide verhindern, indem sie einfach Notrufnummern verteilen und 10-20 Minuten Händchen halten. Hört den unterschiedlichen Leuten zu, die selbst mit (chronischer) Suizidalität im Leben zurecht kommen – hört ihnen zu, wenn sie euch erzählen, was ihnen geholfen hat. Schiebt suizidale Menschen nicht von euch zu Ärzt_innen – diese werden sie euch (wenn es gute* Ärzt_innen sind) wieder zurückschieben, denn ihr spielt die größere soziale Rolle im Leben der suizidalen Menschen, als die Ärzt_innen.

Und am Ende, wenn alles nicht gereicht hat:
Es ist nicht deine Schuld. Es ist nicht deine Verantwortung. Es geht bei Suizid einer Person immer und immer einzig um die Person, die sich suizidiert.
Suizid ist eine Wahl.

Nicht mehr, nicht weniger.

man nennt es

Ich bin das älteste von drei Geschwistern und vielleicht bin ich der misslungene Pfannkuchen. Die vertane Chance, das verschüttete Quäntchen, dass das Fass zum Überlaufen brachte. Ein Unfall, ein Missgeschick.
Auf der ganzen Linie.  Wäre ich nicht gewesen, was für meine Mutter die erste Schwangerschaft bedeutet hatte, dann…

Ich habe mich daran erinnert, dass die Baracken des Asta der Uni Potsdam nach Schluckimpfung, Linolkleister und Plaste gerochen hatte, als ich die letzten Stunden damit verbrachte nach Stipendien, Wettbewerben, Call for papers und participations zu suchen.

Zwischendurch stand ich auf, trank einen Schluck Wasser, weinte ein bisschen.
“Mach doch Pause”, sagen die einen. “Krieg den Arsch hoch”, sagen die anderen. Und ich folge den einen und folge den anderen.
Will, dass es aufhört und kann es doch nicht beeinflussen.

Ich versage. Verliere die Kontrolle und weiß nicht einmal, ob ich das schlimm finde.
Dass ich versage, weiß ja niemand. Denn niemand weiß, was ich leiste.

Lange hielt ich es für ein rein filmisches Element fern der Realität, am Schreibtisch einzuschlafen und deshalb kommt mir mein eigenes frühnachtmorgenliches Aufwachen vor dem Bildschirm surreal vor.
Irgendwann gehe ich doch schlafen und bin froh, wenn ich nichts mehr als den Atem des Hundes an meiner Seite wahrnehme.

2Ich bin so müde von all dem hier. So müde und doch so angestachelt, weil ich weiß, dass es nicht nur mir so geht.
Ich will etwas ändern, doch bin selbst so festgezurrt in Handlungsunfähigkeiten und Optionen, die ich nicht nutzen kann. Egal, wie viele Menschen mich wie schmerzhaft dorthin treten wollen oder auf eine Art auch hämische Freude an meinem Scheitern empfinden, die ich doch verhindern wollen müsste.

Jedes “Mach doch einfach”, ist ein Tritt, ein Stich, eine Ohrfeige.
Weil ich schon mache. Und doch nicht vorzeigbar bin.
Das haben erste Pfannkuchen und verkrachte Existenzen an sich. Egal was sie tun, es ist nicht präsentabel.

Man kann mich nicht mehr vorzeigen, ohne auch zu zeigen, dass auch das größte Potenzial nichts ist, ohne Raum, Zeit, Kraft und Sinn zu wirken.

Man nennt es “depressive Krise”.