Suizid ist eine Wahl

Suizidprävention.
Alleine schon das Wort.

Und dann die Dinge, die man anlässlich des Tages der Suizidprävention so sieht.
Da gibt es Filme in schwarz-weiß, die einen Anruf bei einer fremden Person, die Einweisung in eine Krisenstation, den Kontakt mit Freunden und Familie als Rettung präsentieren. Da gibt es Recoverygeschichten, die das Gleiche tun.

Da ist die Idee vom Suizid als Ende einer Depression, als Zeichen tiefer Hoffnungslosigkeit und Überforderung. Manchmal geht es um Scham, manchmal um Flucht und Verantwortungslosigkeit.
Selten geht es um die Dinge, die in hinterlassenen Abschiedsbriefen stehen. Nie werden die Strukturen thematisiert, welche die Leben der Suizident_innen beeinflusst haben und exakt eine Wahrheit vermisse ich immer wieder

Suizid ist eine Wahl, die einzig und allein von der Person getroffen wird, die sich suizidieren will

Niemand, außer dieser Person selbst, trägt die Verantwortung für ihr Handeln. Niemand, außer dieser Person selbst, kann ihren Suizid verhindern.
Nichts und niemand kann und darf über dieser Entscheidung stehen.

Die sinnvollste Suizidprävention ist Lebensqualität.
Wenn man jemanden kennt, die_der suizidal ist, dann ist es wichtig den Suizid als gleichwertig mit anderen Handlungsoptionen zu betrachten und nicht zu denken: “einmal verhindert ist für immer verhindert”.
Suizidalität kann immer wieder kommen, kann immer wieder Thema sein, kann immer wieder genau das Einzige sein, mit dem sich ein Mensch selbstwirksam im eigenen Leben und am eigenen Leib erlebt.

Es ist eine Mechanik des Egoismus, suizidalen Menschen den Suizid zu verbieten, weil man ihren Tod nicht ertragen könnte.
Es ist eine sozio-kulturelle Dynamik, sich für den Suizid einer anderen Person verantwortlich zu fühlen und Tage, wie der Suizidpräventionstag und seine Ausgestaltung tragen, meiner Ansicht nach, massiv dazu bei.
Bei Suizidprävention, wie sie derzeit gestaltet wird, geht es darum, Menschen das Gefühl zu vermitteln, der Suizid – das Ergebnis einer Handlungsentscheidung  einer Person, ihr Leben zu beenden – sei etwas, was zu verhindern sei, durch als kleine Gesten präsentierte Handlungen.

Unhinterfragt bleibt, wo suizidale Menschen anrufen sollen, wenn sie nicht reden können. Mit wem sollen sie chatten, wenn sie keine Worte haben, nicht schreiben können, keinen Internet- oder Telefonzugang haben? An wen sollen sich suizidale Menschen wenden, wenn sie eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit sind? Wenn ihr Umfeld so gewaltvoll ist, dass der Schritt dort heraus gar nicht möglich ist? Und was will man einer suizidalen Person, deren Leben von Mehrfachdiskriminierung geprägt ist, denn Hoffnungsvolles sagen, was nicht nach 2-3 Tagen auch als Lüge bezeichnet werden kann?

Aus dem eigenem Leben mit chronischer Depressivität, die eben auch bedeutet mindestens einmal in der Woche darüber nachzudenken, ob Suizid nicht vielleicht doch der zu gehende Weg sein könnte, weiß ich, wie das ist, wenn man sich an Menschen wendet für die Suizidalität immer die grellroteste Alarmstufe bedeutet – und eben nicht den Anteil von Lebensrealität, den sie für mich darstellt.
Es kostet mich immer wieder unfassbar viel Kraft, meinen Mitmenschen zu erklären, dass ich sie nicht als meine “vor dem Suizid-Retter_innen” brauche, sondern als Menschen, die mich unterstützen und begleiten, mich an mein Leben als okay in seiner Existenz und mit meinem Wirken erfüllend zu binden.

Positive Bindungserfahrungen tragen zu einer Wahrnehmung des eigenen Lebens als lebbar, als schaffbar, als wunder_voll und auch den Schmerz wert, bei. Ein Telefonat mit der Telefonseelsorge kann eine kurzfristige positive Bindungserfahrung sein – doch wenn am Morgen danach wieder niemand da ist, dann ist der Suizid noch lange nicht präventioniert.

Ich frage mich, warum der Suizidpräventionstag nicht auf die spontanen Krisen eingehen, die mit strukturellen Bedingungen zu tun haben.
Ich frage mich, warum die Suizide von alten Menschen (Männern*) so wenig thematisiert werden.
Ich frage mich, warum Sterbehilfe nicht als Suizidprävention diskutiert wird.
Ich frage mich, warum es in unserer Gesellschaft verboten ist, selbstbestimmt zu sterben, wo doch der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben für viele Menschen auch ein großes Thema ist.

Und immer wieder stoße ich an den Punkt, an dem irgendjemand zugeben müsste, dass der Suizid einer nahen Person als Kränkung und persönlicher Angriff gewertet wird, statt als das, was es ist: das Ergebnis einer selbstbestimmten, selbst zu verantwortbaren Handlung der verstorbenen Person.

Alles “aber man hätte doch”, jedes “es gab doch noch so viel zu erleben” dient einzig den Hinterbliebenen, um ihrer Kränkung Ausdruck zu verleihen und sich selbst auseinanderzusetzen.
Den Toten ist “hätte, würde, wenn” egal und den Suizidalen, kann jedes “hättest du, würdest du, könntest du” die eigene Überforderung noch zusätzlich belastend bewusst  machen.
Mir hat es noch nie geholfen, auf etwas eventuell vielleicht Gutes in meiner eventuell vielleicht erreichbaren Zukunft hingewiesen zu werden, wenn meine ganz sicher beschissene Akutsituation, diese massiv in Frage stellt und klar ist, dass ich sie allein nicht verändern kann.

Also – bitte erzählt den Menschen nicht, sie könnten Suizide verhindern, indem sie einfach Notrufnummern verteilen und 10-20 Minuten Händchen halten. Hört den unterschiedlichen Leuten zu, die selbst mit (chronischer) Suizidalität im Leben zurecht kommen – hört ihnen zu, wenn sie euch erzählen, was ihnen geholfen hat. Schiebt suizidale Menschen nicht von euch zu Ärzt_innen – diese werden sie euch (wenn es gute* Ärzt_innen sind) wieder zurückschieben, denn ihr spielt die größere soziale Rolle im Leben der suizidalen Menschen, als die Ärzt_innen.

Und am Ende, wenn alles nicht gereicht hat:
Es ist nicht deine Schuld. Es ist nicht deine Verantwortung. Es geht bei Suizid einer Person immer und immer einzig um die Person, die sich suizidiert.
Suizid ist eine Wahl.

Nicht mehr, nicht weniger.

6 thoughts on “Suizid ist eine Wahl

  1. Ich gebe dir in vielem Recht. Suizid ist eine Wahlmöglichkeit. Jeder hat das Recht sein Leben zu beenden und Sterbehilfe wäre tatsächlich eine Alternative. Ich wäre froh meine Mutter hätte diese gewählt.
    Allerdings bist du sehr hart mit den Hinterbliebenen. Und es geht nicht nur um, den der sich das Leben nimmt. Da bleiben welche zurück, die darunter leiden, unter dem Loch, dem fehlenden Abschied, der Angst wieder jemanden so zu verlieren, und, ja, den Schuldgefühlen, dem was wäre gewesen wenn – wenn ich ein besseres Kind gewesen wäre. Diese Frage kennst du ja auch (schwanger gehen). Da kann man schon versuchen so beziehungslos zu leben wie nur möglich, damit es ja keine Abhängigkeiten, Gefühle, Enttäuschungen oder Kränkungen gibt. Die gibt es leider trotzdem. Immer!
    Natürlich ist der „Freitote“ nicht verantwortlich für die Hinterbliebenen. Für die ist es trotzdem Scheisse. Ist so. Nicht mehr und nicht weniger.

  2. Ja. Auch ich hatte immer das Gefühl, dass der Tod mein einziger Freund ist. Die ultimative Kontrolle – oder auch der Notausgang, wenn alles andere nicht mehr funktioniert. Allerdings – ich habe einen Sohn, der ist mittlerweile erwachsen. Doch seitdem es ihn gibt, weiß ich um die Verantwortung um die Lebenden. Und für die besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen Sterbehilfe und Suizid. Sterbehilfe wird vom außen akzeptiert, wenn es nachvollziehbar erscheint, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist. Doch ab wann gilt nachvollziehbar? Bestimmt nicht immer dann, wenn Suizid als die beste Option erscheint.

    Ich habe Glück gehabt, ich habe mir meine Freunde im Leben suchen können. Ich bin sehr froh, dass ich den Notausgang nicht genommen habe. Ja, der Suizid ist eine Wahl. Aber eine schlecht, finde ich…

  3. Hi Hannah, ich habe deinen Artikel gerne gelesen und finde es gut, auch mal eine andere Perspektive auf das Thema Suizid zu sehen.

    Ich möchte trotzdem anmerken, dass du in meinen Augen eine große Gruppe von Suizidgefährdeten oder durch Suizid verstorbenen Personen auslässt, das sind üsychisch Erkrankte.

    Natürlich kommt nicht jede psychische Erkrankung aus dem Nichts, die meisten haben mit schwierigem Umfeld und Lebensproblemen etc. zu tun, und da gilt halt erstmal die Regel, bessere Lebensbedingungen zu schaffen.
    Und doch, es gibt sie immer wieder, und zwar nicht wenig: Menschen, die in ihrem Leben eine Phase akuter Suizidalität haben/hatten, die irgendwann wieder abklingt, sei es, weil sie mit ihrer Depression/Angststörung/Bipolarität besser klarkommen und sich wieder besser fühlen.
    Viele solche Krankheiten kommen und gehen in Wellen.

    In diesen Fällen ist es mMn unverantwortlich und feige, sich dem Willen einer Person zu beugen, die akut suizidal ist. Die meisten dieser Personen empfinden irgendwann später Erleichterung, sich nicht suizidiert zu haben, auch eben aufgrund solcher „Notfallmaßnahmen“, die eigentlich nichts an der grundlegenden Lebenssituation dieser Person ändern.

    Außerdem habe ich immer wieder mit Menschen zu tun gehabt, die zwar durchaus suizidale Gedanken äußern, aber immer das Gefühl haben, diese kämen „von außen“ und eigentlich sei der Suizid nicht ihr eigener Wunsch, die sich davor fürchten, tatsächlich einmal Suizid zu begehen, weil sie diesem imperativen Impuls nicht mehr widerstehen können. Solchen Menschen nicht akut zu helfen, würde bedeuten, ihrem eigenen Wunsch und Willen zu widersprechen. Dazu zählen auch solche Erkrankungen wie z.B. Schizophrenie und Psychosen, die ja auch wieder abklingen.

    Ich erkenne an, dass Suizid bei einigen Menschen eine durchdachte und hinterfragte Entscheidung ist und dass es Menschen gibt, die das im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte (soweit sie sie immer gehabt haben) tun. Das ist legitim.

    Die ganzen anderen, deren (versuchter) Suizid eine Kurzschlusshandlung in einer Phase der Verzweiflung oder des Höhepunkts (akut)-psychischer Probleme ist, sollten auf jeden Fall solche Hilfsmaßnahmen angeboten werden, und seien es eben solche Zettelchen oder Hotlines, whatever.
    Wichtig ist immer eine gute Weiterbetreuung, doch auch solche Projekte zur langfristigen Unterstützung Suizidgefährdeter gibt es und sie sind auch bei diesem Aktionstag zahlreich vertreten gewesen.

  4. Danke sehr.
    Treffende Worte.

    Alleine darüber zu reden ist für viele ein Affront, ein Angriff auf ihre „heile Welt“.
    Seelsorge und Co. bieten nur kurzfristig „Hilfe“ – und letztendlich sagen sie einem dass, was mensch selber überall lesen kann „du musst nur …“

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