Das Tagebuch. Sein Sinn und das, was sonst noch damit zu tun hat

Das Tagebuch ist wieder da.

Vor ein paar Wochen- oder Monaten?- war es verschwunden. Zerrissen, verboten, Hoheitsgebiet der BÄÄÄMs.
Es gab wieder Listen und Zettel. Aber natürlich nicht vom Block oder in einem Heft, denn Besitz ist so eine Sache im Denken der BÄÄÄMs.
Bonbonpapier, Verpackungsmaterial, die eigene Haut, ein Zeitungsfetzen, die Rückseite eines Kassenbons… alles wurde zum versteckten Plätzchen. Kontakt- und Suchanzeige nach innen. Mahnmal und sichtbare Drohung. Erinnerung an das zu füllende Alltagsgeschehen.

Wenn wir eines führen ist mehr Überblick möglich.
Symptome die sich häufen oder abnehmen; das Gewicht, eine Dokumentation der Verletzungen und der Versuch sie zu versorgen. Die Finanzen, Ämtergänge, Jobangebote und Arbeit die bereits gemacht wird. Wann wer was gegessen hat, wann der Körper wie lange geschlafen hat (oder es ein „schlafen“ war). Wann NakNak* Auslauf hatte und wie viel. Wo und evtl. mit wem und wenn ja, was dort besprochen wurde. Welche Menschen mich in Zukunft vielleicht anrufen und warum. Welche Einstellungen wann, warum und wie am Blog vorgenommen wurden. Welche Kleidung/ Bücher/ Gewerke wann an wen und über welches Portal verkauft, gekauft oder getauscht wurde.
Wer was denkt. Was wer fühlt. Was wer warum gemacht oder gedacht oder gesagt hat. Die Therapie mit allem was sie aufwirbelt oder niedertritt.
Unser ganzes (Er)Leben steckt in diesen meist billigen Chinakladden von denen im Monat etwa 2-3 vollgeschrieben werden. Sie sind vergänglich und nur begrenzt wichtig.

Unser Tagebuch ist wie ein Liveticker im Sportkanal: Einmal benutzt, vielleicht zweimal oder dreimal, dann ist das, was darin erwähnt wird, schon wieder nicht mehr aktuell.
Es eignet sich nicht zur Analyse eines Gesamtzustandes, weil es mehr Konstruktion einer Gesamtheit ist, als die Dokumentation des Erlebens einer Gesamtheit.

Als de Diagnose gestellt wurde, hatte uns die Therapeutin damals gesagt, wir sollen doch mal versuchen eines zu führen. Ich meine, es war nach einer Stunde in der ich wieder einmal nicht mehr sagen konnte als „alles scheiße“; zwischen den verschiedenen Gedanken und Impulsen nicht trennen konnte und direkt konfrontiert war mit dem Verlust von 3 Wochen Zeit.264967_web_R_by_BirgitH_pixelio.de Ich dachte damals, sie meinte eine Art Tagebuch in dem es Einträge gibt á lá „Heute habe mir ein Eis gekauft. Es war lecker. Mir gehts gut, morgen fahre ich in den Zoo.“. Und ich unterstelle der Therapeutin von damals einfach mal, dass sie etwas in der Art auch im Kopf hatte.
Ich scheiterte natürlich mit Pauken und Trompeten an der Aufgabe und irgendwann gab es auch eine gewisse Resignation. Gut, dann eben kein Tagebuch das schön alles zusammenfasst. Und irgendwann, irgendwo zwischen der Entwicklung von Hospitalismus als Nebenschauplatz und dem infernalischem Chaos, das auf die Entlassung und die Umsiedlung hier in diese Stadt folgten, endeten auch die Bemühungen Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Wünsche festzuhalten. Und sei es nur auf der unbedruckten Ecke einer Buchseite.
Das Außen war durcheinander und desinteressiert, später sogar offen demütigend und gespalten. Wir wurden missachtet und trugen alles ins Innen hinein.
Erst viel später dann, erklärte uns die Kliniktherapeutin hier, wie ein Tagebuch richtig aussehen könnte. Was wir für Möglichkeiten testen und für uns erkunden könnten.
Es war nur eine Stunde und das Thema war als solches gar nicht explizit auf dem Tisch, aber die Nebensätze: „Nehmen sie einfach was kommt und tun Sie es da rein“ und „geschrieben oder gemalt oder geklebt… “ fielen und sie blieben bei mir.
So brauchten wir nur noch die 2 jährige Schleife, bis wir uns den Besitz von Kladdenbüchern erlauben konnten und konnten dann aber loslegen.

Und doch. Trotz dem das Schreiben eines Tagesbuches etwas ist, dass uns sehr hilft und zeitweise gut tut, ist es bis heute Nichts, das wir für uns tun. Es geht dabei nicht um ein seelisches Gleichgewicht oder einer Art Ordnung des Lebens. Es geht bis heute darum, besonders gut so tun zu können, als gäbe es keine Amnesien und als gäbe es eine Ordnung, die man analysieren und für sich nutzen könnte. Es ist ein Kontrollversuch durch striktes Protokoll.
Es ist für uns manchmal nur nützlich, weil es für unsere Therapeuten nützlich ist.

Manche Menschen führen ein Tagebuch, um Abstand zu ihren Erlebnissen zu bekommen. Ihre Probleme und Konflikte objektiver betrachten zu können.
Dadurch, dass wir einander und die Dinge, die wir jeweils tun bereits als objektiv und voneinander unabhängig erleben, sind wir- auch wenn wir es so aufgezeichnet vor uns liegen haben, nicht in der Lage die Einträge als etwas zu betrachten, das einen Verlauf oder eine Entwicklung noch objektiver darstellt. Dies ist vielleicht sogar Stoff für geistige Hochglanzdiskussionen: Wieviel objektiver kann Objektivität in Bezug auf eigentlich ganz subjektive Erlebensweisen sein? Ist der Anspruch einer Objektivität nicht erst dann gerechtfertigt, wenn ich die Dinge grundlegend als subjektiv betrachte?

Jedenfalls ist es jetzt wieder da. Nicht für uns oder weil wir es so dringend wollten. (Wollen dürfen.. oy vey was für ein Thema gerade im Moment!) Sondern, weil unsere jetzige Therapeutin endlich von ihrer Autorität Gebrauch gemacht hat. Ziemlich peinlich, nicht wahr?
Da sitzt man da und redet so vor sich hin, lässt sie teilhaben am stetig tiefer kreiselndem Weltendreh im Innen und hofft und wartet doch irgendwie, dass sie in diesem beängstigend strengen Tonfall sagt, dass man das und das (Guttuende, Hilfreiche) gefälligst nicht aufzugeben bzw. von sich wegzuschmeißen habe. Das man gefälligst zum Arzt gehen solle, dass man gefälligst die getroffenen Absprachen einzuhalten habe. Einfach nur, weil es bis heute mehr gilt, wenn jemand Außen (der per se einfach, weil er nicht man selbst ist, eine nicht zu hinterfragende/ bekämpfende Autorität stellt) etwas bestimmt, als wenn wir selbst etwas für uns bestimmen.

Das Tagebuch fällt in die Kategorie „mitarbeiten“.
In der Therapie und im sozialen Miteinander allgemein, ist es hinderlich amnestisch zu sein.Und es ist unsagbar peinlich dies zuzugeben.
Außerdem ist es ein Zeitfresser.
Eine Therapiestunde hat 50 min, die Krankenkasse bewilligt im Schnitt 120 davon.
Würden wir in jeder Stunde damit befasst sein, die Amnesie des Alltags (nur des Alltags und der aktuellen Lebensrealität) auszugleichen, wäre das Ergebnis vermutlich die Erkenntnis: „Wow ich bin multipel und meine ganzen Parallelleben sehen so und so und so aus.“ Badabing badabumm- für diese Erkenntnis bin ich aber gar nicht da.
Ich will ja lernen, wie ich das Ganze als zu mir gehörig erlebe und erinnere (es überhaupt erinnern zu wollen ist, denke ich, logisch), in der Hoffnung, dass dies dann irgendwann dazu führt, dass der ganze somatische Kladderadatsch aufhören kann, mich kaputt zu machen.
Also ist das Führen eines Tagebuches eigentlich der Teil Therapiearbeit den wir unbegleitet (und teilweise auch ungeschützt) machen (müssen).

Mein neues Tagebuch ist jetzt 8 Tage alt und ich bin entsetzt.
Hatte ich neulich in einem Chat noch gewitzelt, dass „wir das mit dem multipel sein, irgendwie grad viel zu gut machen“, sehe ich nun, wie weit wir wieder auseinander driften können, wenn es nötig erscheint. Was für eine Suizidalität, Verzweiflung, Todesangst, aber auch tiefe Hoffnung, Kampfgeist und Menschenliebe in meinem Innen vor sich hin brütet und sich gegenseitig einen Schützengrabenkrieg liefert. Wie viele Tote es bereits gegeben hat und was für neue Soldaten der Entwicklung inbegriffen sind.
Und das, obwohl draußen die Sonne scheint, uns niemand von außen Gewalt antut, viele neue tolle Chancen und uns guttuende Kontakte da sind… wir doch verdammt nochmal einfach nur zugreifen müssten.
Irgendwie tut mir das weh.*
Und ganz eigentlich merke ich an mir, dass ich, einfach nur um diesen Schmerz nicht zu fühlen, das Tagebuch gern schon wieder weggeschmissen haben will.

P.S. Das Blog könnte man wohl auch als Tagebuch begreifen, doch da es- bei aller Nähe und anscheinender Kohärenz- in der Regel von Einzelnen mit lediglich dem Innen, das gut schreiben kann, zusammen geführt wird, ist es mehr Prisma, als global umfassendes Ausführen. Man bekommt hier lediglich Eindrücke, Ideen und Gedanken von Einzelnen von uns zu lesen. Man kann sich wohl seine Gedanken machen, wie unser Leben wohl so aussieht, doch es würde nicht gelingen. Es ist eben doch nur die Reflektion eines einzelnen kleinen Spiegels

P.P.S. Eigentlich… das fällt mir gerade noch so ein, sollte ich vielleicht doch mal ein Tagebuch von heute aufbewahren.
Vielleicht schaffen wir es ja doch uns irgendwie zu integrieren und später ein Tagebuch zu führen, das nicht aus lauter Snippets besteht.
Es wäre vielleicht interessant beide vergleichend zu betrachten.

P.P.P.S. (ja heute lange ich hier richtig zu) *Edit: Den Bezug zu mir selbst habe ich beim Lesen überwiegend „kopfisch“, da ich weiß, dass mein Körper das geschrieben hat.  Erlebten Schmerz fühle ich im Moment, eher als „Hauch der mir zu nahe kommt“

von Intelligenz, Bildung und Giftsuppe

„Glotz nich so dämlich!“
„Du bist dumm, wie Bohnenstroh und das kann man nicht mal essen!“
„Frag nich so bescheuert!“
„Was weißt du denn schon?!“
„Du hälst dich wohl für oberschlau!“

Sätze von Menschen die unser gesamtes Versorgungsuniversum dargestellt haben.

Jemandem zu vermitteln, er sei dumm und intellektuell fehlentwickelt geht ganz einfach. Man vermische soziale (und auch gerne strukturelle) Minderwertigkeit mit einem Biologismus und Voila! zeichnet man jemandem ein Selbstbild in den Kopf, dass eine Dummheit, eine Retardierung von Natur aus beinhaltet und genau deshalb keine ernstzunehmende Meinung oder allgemeiner: Aussage, aus ihm heraus kommen kann.

Ich weiß noch, was der erste Intelligenztest für Folgen hatte. Es war eine Zahl, die auch genannt wurde, doch ihre Wertigkeit war egal- wichtig war nur: „Habe ich bestanden? Darf ich noch in die gleiche Schule gehen oder muss ich jetzt in eine Sonderschule?“. Es wurde nicht weiter darüber gesprochen. Irgendwo im Innen versackte diese Episode, denn nichts hätte sich verändert, außer eben das Denken, dass man wohl bestanden haben muss, weil man ja auf seiner Schule bleiben durfte.
Der zweite wurde in einer Klinik gemacht. Huch- ja hm, nennt man „überdurchschnittlich“ . Okay… und das bedeutete nun was?
Nichts! Klinikschule wie bisher, nach der Entlassung auf die Hauptschule. Nicht mehr aufs Gymnasium. Versagerin mit dreistelligem Nummernschild.
Der dritte war ein Marathon. An den erinnere ich mich, weil ich ihn gemacht habe.
Gerade muss ich schmunzeln, weil ich noch weiß, wie dumm es mir erschien, meine Dummheit hier so in Mustern, Reihenfolgen, Zahlen und meiner Fähigkeit zur Übertragung ausgeschlossen sehen zu wollen. Der Psychologe fragte mich, wieso ich so unwillig sei („Oder willst du für immer hier bleiben? Du musst schon mitmachen!“) und ich wunderte mich darüber, wie unglaublich eng sein Kopf mit dem Brett davor verwachsen gewesen zu sein schien. Ich war voll bis oben hin mit Neuroleptika, Tranquilizern und Antidepressiva. Gegessen hatte ich noch nichts und es war 9 Uhr morgens (eine Zeit in der mein Gehirn noch schläft- ob nun chemisch niedergeknüppelt oder nicht) und dieser Mensch meinte ernsthaft, er würde in diesem meinen Zustand, einen realistischen Überblick über die Art Intelligenz erhalten, die er mit seinen Parametern erfassen kann?
Wir mussten uns beugen. Meine Wut darüber, dass jemand der so eine Kurzstreckendenkweise verfolgt, darüber bestimmen darf, wann ich frei gelassen werde, hatte mich angestachelt. Ich lief zur Hochform auf.
Am Ende wurde uns ein Zettel, auf dem „Hochbegabung“ draufstand, um den Hals gehängt.
Aus dem Nummernschild wurde ein Aushängeschild, das dann aber doch niemand genauer betrachtete. Die Diagnose der Schizophrenie hat manchmal diese Wirkung. Du kannst unglaubliches Potenzial haben- doch wenn entweder das was als Wahn bezeichnet wird, oder die chemische Keule das Gehirn dazu abschaltet, ist es nichts weiter, als eine Art Projektionsfläche des eigenen Ideals, über dem andere Menschen stehen und beweinen, was jemandem so durch die Lappen gehen kann.

Wie es kam, dass uns niemals eine wirkliche Förderung dieses Potenzials entgegen gebracht wurde?
Tja… Wir sind ja nun ziemlich gestört, nicht wahr?
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„Gestört“ war das neue „Dumm“.
Wozu einen hoffnungslosen Fall fördern?
In den verschiedenen Klinikschulen sagte man uns uns nicht, dass wir dumm seien. Eher im Gegenteil, doch akademische Förderung ist in diesem Setting schlicht nicht möglich, wie an einer Regel- oder Förderschule.

Mit 17 hatten wir bereits zwei Hauptschulabschlüsse. Zusammengestückelt in einer Gewerbeschule- irgendwo zwischen Tür und Angel aus Alltagstraining und Entlassung aus der Klinik in der wir bereits über ein Jahr wohnten.
Heute haben wir insgesamt vier Hauptschulabschlüsse und einen Realschulabschluss von einer Abendschule.
Wenn wir das Abendgymnasium schaffen, werden wir sagen können: Ich habe 6 Hauptschul(entsprechende)- und 2 Realschul(entsprechende)abschlüsse, 1 Fachabitur und 1 Vollabitur.
Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich darüber lachen oder weinen will. Erscheint mir doch weniger mein Hirnschmalz verschwendet, als jede Menge staatlicher Ressource.
Für die wiederum ich mich zu entschuldigen gezwungen fühle, weil ich noch immer nichts dafür getan habe, um diese Ressourcen in irgendeiner Form zurück zu erwirtschaften. Was aber dann eigentlich wiederum gar nichts mit mir selbst zu tun hat, sondern damit, das man in Deutschland einer gewissen Norm entsprechen muss, um leicht an Förderung oder Maßnahmen zur Integration zu kommen. Sie ist nicht verwehrt, wenn man dieser Norm nicht entspricht, doch es macht kaputt, wenn man beginnt, dafür zu kämpfen. Und das ist, so mein aktuelles Empfinden, gerade auch im Hinblick auf meine Verwahrung in der Rehaabteilung der Agentur für Arbeit, schlicht auch so gewollt.
Schwund ist immer. Menschen sind eine nachwachsende Ressource.

Letzten Freitag saß ich dann abends beim Netzfeministischen* Bier zusammen mit lauter Akademikerinnen.
Vielleicht ist das interessant: Hätte ich in einer Runde offen psychisch erkrankter Menschen gesessen, die alle einem Beruf oder einem Studium nachgehen, hätte ich mich im Bereich „zu gestört, um so schlaue Dinge zu tun, wie sie“- verortet. So saß ich auf dem alten „zu dumm, um jemals in ihre Sphären stoßen zu können“- Giftsuppentopf.
Wir saßen da, schauten den Rauchkringeln zu, hörten, verstanden, sprachen, wurden nicht ausgelacht.
Und dann haben sie Topf angestoßen. Einfach so.
Ich hatte gedacht, vielleicht sei es eine Art Vorwarnung vor eventuell komplett dummen Dooffragen, wenn ich zugebe, dass ich zeitweise knietief im Büchern stehe, um (feministische) Texte zu verstehen. Große Augen: „Was?! Echt jetzt?!“
Nachfragen. Anerkennung der Bemühung.
Kein Lachen.
Irgendwo da unter dem Stuhl, den ich besetzte, dunstet nun dicker Schwapp dieser Giftsuppe vor sich hin.

Ja, wir studieren, um politische, feministische, soziologische, naturwissenschaftliche Texte und Theorien überhaupt erst einmal zu verstehen. Wir studieren, ohne Student zu sein, ohne die Berechtigung zum Studium zu haben oder einen offiziellen Gasthörerstatus zu haben. Nicht weil wir müssen, sondern, weil wir wollen. Und auch, weil wir sonst verdursten würden. Verwissensdursten sozusagen.
Und auch, weil es nicht anders geht.
Man mag es niedrig einschätzen, wenn man im Elfenbeinturm (oder im Fachbereich seiner Uni sitzt) und vielleicht ist es auch nicht sonderlich wichtig, denn viel des Wissens ist meiner Meinung nach Theorie über Theorien, die nur erschaffen wurden, um Dinge zu beweisen oder zu erklären, die auch ohne all das passieren und stimmen und wahr sind. Ich betrachte die Universitäten immer eher als eine Art Dampfstampfpressdruckmaschine zur Wortproduktion von Zusammenhängen. Vorne rein- durch viele Wortsiebe und Aufsatzformen hindurch- und am Ende, kommt ein (meist englischer) Begriff heraus, der nur in der Maschinerie selbst verstanden werden kann. Und das, obwohl er wichtig für das Verstehen des Geschehens (oder auch der Natur und den Menschen) außerhalb selbiger sein kann.

„Du dumme Kuh- du weißt nicht, wovon du sprichst!“
Wissen ist Macht. Die Macht eine Meinung zu haben. Die Macht eine Meinung haben zu dürfen, weil man weiß, wovon man spricht.
Die Macht sich vor Mächtigen nicht still und klein halten zu müssen.
Die Macht eigenständig und frei zu sein, weil man keinen mehr über sich stehen hat.

Heute Nacht dann blinzelte mir ein Halbsatz mit Bezug auf mich ins Auge, gerichtet an viele Menschen: „eine kluge Frau“
Von jemandem der global um mich weiß. Sowohl von der Unbildung, als auch der Gestörtheit.

Und plötzlich waren es meine Wangen, auf denen die Giftsuppe zu verdunsten die Chance bekam.

Klug.
Trotzdem.
Trotz dem Ganzen.
Ich, in der Wertung eines anderen Menschen.

Darauf ein Lakritzbonbon.

Hinter den Bildern

Da gibt es etwas, dem ich Raum geben will.
Nochmal, vielleicht ganz explizit hier und jetzt in einem eigenen Artikel und nicht eingeflochten in die Basis des Blogs.

Antikindesmissbrauchspropaganda.
Bei Facebook. Bei Twitter. Bei StudiVz. Bei MeinVz. Bei MySpace. In den Kommentarspalten unter Webartikeln. In den (Selbsthilfe-)Foren von und für Menschen, die als Kind (sexuelle) Gewalt erfahren haben.
Überall gibt es sie. Bilder von Kindern mit Verletzungen. Das Kind in der Ecke das den Kopf auf die Knie legt und sich einrollt. Die zerschlagene Puppe. Der zerfetzte Teddy. Die Kulleraugen mit Tränen drin. Das Kind aus Täterperspektive mit dem Schatten daneben.
„Stumme Schreie, der verletzten Kinderseele, die rote Tränen weint“
Oh man…

Ganz ehrlich? Ich sehe das und möchte kotzen.
Nicht, weil ich schlicht kein Freund von plakativem Zwangsbewusstmachen bin oder, weil mich manche der Darstellungen triggern sondern, weil ich Vorstellungen transportiert sehe, die teils maximal von der Realität abweichen und sich mir oft genug eher die ohnmächtige Hilflosigkeit der Ersteller in den Kopf drückt, als der herzliche Wunsch den Betroffenen zu helfen.
Ja, es sind stumme Schreie. Ja, es geht um Verletzungen. Und ja, manche Betroffenen, weinen auch „rote Tränen“- ritzen sich lieber die Haut auf, als zu weinen.
Es ist einThema das Sichtbarkeit braucht. Das Prävention erfordert. Es ist ein Thema bei dem es um Menschenleben geht und man muss ihm Raum geben.
Aber nicht so!

Gleich mal zu Beginn: „Kindesmissbrauch“ gibt es nicht. Wo es Missbrauch gibt- muss es einen richtigen Gebrauch geben. Menschen sind aber keine Gegenstände!
Gewöhnt euch dieses Scheißwort ab! Auch wenn ihr von „Kindesmisshandlung“ oder „sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ sprecht, werden euch die Leute verstehen! Ja- es dauert etwas länger, bis man fertig gesprochen hat. Ja, es werden mehr Buchstaben gebraucht. Ja, man kann nicht mehr einfach so im laxen Rausch dahersprechen. Aber das Ergebnis ist eine klare Sprache und wenn es einen Bereich gibt, in dem Klarheit wichtig ist, dann ist es dieser.
Es darf keine Ausrede sein, dass „ja aber die ganzen Vereine und so, sich so nennen mit dem Wort drin“ oder auch, dass „ja aber in den Medien überall so geredet wird“.
Zum Einen: Nur, weil die Masse das Gleiche redet, heißt das nicht, dass sie Recht hat- gerade in Deutschland sollte uns das wohl klar sein. Oder ist das Wort „Schacherjude“ auch eines, das so richtig ist, weil es viele Jahre durch alle Medien ging und in aller Munde war?!
Und zum Anderen, sind die Medien nicht jene, die unsere Sprache bestimmen sollten- sie sollte sie abbilden, als beobachtender Zeuge- fertig! Wir sind die, die Zeitung machen- nicht andersherum!

Wenn ich mir diese Bildchen und Fotos ansehe, fällt mir ausserdem eine Art Darstellung auf, die einer Art Ideal entspricht. Es ist sauber, aufgeräumt, kalt auf der einen Seite (zum Beispiel das in die Zimmereckenwand gedrückte Kind, mit den Händen vor den Augen) und offen brutal zerstörerisch auf der Anderen (die zerschlagene Puppe).
Beides Dinge, die symoblisch sind und Dinge krass darstellen, die, an sich, nicht auf diese Art krass sind.

Sexuelle Misshandlung ist nicht sauber und gerade die Misshandlung, die über Jahr hinweg passiert, ist nicht immer offen zerstörerisch.
Was sauber ist, ist das Lächeln, dass die Opfer als Anpassung drüber schmieren. Was zerstört ist, sind nicht die materiellen Dinge und auch nicht ausschliesslich die Seele.

Und es findet eine gefährliche Darstellung von Kindern statt, die meiner Meinung nach, erst recht Täter anlockt und befriedigt. Gerade bei Facebookbildern ist mir das aufgefallen.
Süße kleine Mädchen in sachtem rosa- oder direkt gleich weißen Kleidchen, derartig ausleuchtet, dass ihre reine Unschuld, ein Gänseblümchen daneben, wie eine Schlampe aussehen lässt. Jungen mit glänzenden Lippen und großen Augen, in deren Winkel sich eine Träne befindet. Immer schön von oben nach unten fotographiert.
Ich mag es nicht weiter ausführen, aber wenn man sich vor Augen hält, dass es vielen Tätern gerade um kindliche Unschuld, Größe und Wehrlosigkeit geht, ist denke ich klar, worum es mir geht.

Weiterhin sehe ich eine große Gruppe ausgegrenzt, nämlich die heute erwachsenen Betroffenen.
Es wird sehr oft Kinderseelen gesprochen. Viele Vereine haben ihren Fokus auf der Prävention oder Aufklärung (gegenüber den Kindern). Nur sehr wenige setzen sich dafür ein, erwachsenen Betroffenen zu helfen. Ihnen zu helfen selbst nicht zum Täter zu werden oder ihnen bei der Suche nach einem Therapieplatz behilflich zu sein. Oder auch durch die ganzen Kämpfe, um die Therapie bis zur Heilung finanziert zu bekommen.

Wir leben leider nicht in einer Gesellschaft, in denen Tränen in Kinderaugen harte Herzen weich werden lässt. Wäre dem so, hätten Straftäter keinen Platz in unserer Mitte.
Was aber hier Herzen erweicht, Köpfe anspringen lässt und Hände ins Handeln zu treiben in der Lage ist, ist GELD.

Die Versorgung von Straftätern im Gefängnis. Die Therapie der Opfer. Die Verdienstausfälle von Betroffenen in der Blüte ihrer Jahre. Die Kosten für die Kompensation der körperlichen Folgeschäden von sexueller Misshandlung. Das ganze viele Geld, dass Hersteller und Verbreiter von (Kinder)Folterdokumention (Kinder“pornografie“- auch ein Wort, dass sich bitte endlich abgewöhnt werden soll!) einfahren und für sich behalten…

Genau das ist der Grund, weshalb mich diese Facebookbilder wütend machen.
Mir zeigen die Bilder, wie ohnmächtig und hilflos irgendjemand da draussen im Internet ist und wie sehr er sich wünscht, dass es aufhört. Dass es niemand anderem mehr passiert. Da steht dick und fett: „Bitte lasst uns friedlich und liebevoll miteinander umgehen. Kämpft dafür, dass nichts mehr passiert. Lasst uns die Täter alle kaputt machen- guckt doch, wie traurig und ängstlich dieses Kind ist, dem das passiert.“
Da steht nicht, dass misshandelte Kinder selten vor einem stehen und mit Kulleraugen versuchen ihr Leid zu vermitteln.
Da steht nicht, dass der prügelnde, schreiende, spuckende, einnässende, Drogen nehmende, klauende, lügende, hässliche, stinkende, schimpfende Mensch von 1,50m Körpergröße auch- genauso wie der völlig Unauffällige, derjenige sein kann, der ständig und ständig misshandelt wird.
Da steht nicht, dass die Kosten der Heilung aller, in der Folge von (sexueller) Misshandlung, erkrankten Menschen, in unserer Bundesrepublik, mehr kosten würde, als das, was die letzte Drohne gekostet hat.

Und da steht vorallem nicht, dass WIR ALLE diejenigen sind, die etwas verändern können. Nicht nur die Menschen, denen diese Art der Gewalt nicht angetan wurde, sondern alle!541602_web_R_by_Karl Dichtler_pixelio.de

Vielleicht klingt es blöd, aber an diesem Punkt stehe ich oft da und denke: Wir sind das Volk. Wieso tun nur immer wieder alle so, als sei das nicht so?
Niemand von uns sitzt dem ganzen Drama hilflos und ohnmächtig gegenüber, weil er es will- sondern, weil die Handlungsalternativen so beschränkt sind und sich niemand politisch so beschwert, wie er es privat tut .
Opferschutz gibt es derzeit nur nach Kriterienerfüllung und dann ist dieser auch noch lückenhaft. Entschädigungen gibt es nur nach Entblössung und Rechtfertigung der Opfer. An alles sind Bedingungen geknüpft, die maximal von Herz und emotionalem Hirn entfernt sind. Reglementiert von einem System in dem Geld mehr wert ist, als das zerstörte Innenleben von Menschen.
Doch statt am System zu rütteln, wird im Privaten gerüttelt und Verletzungen dadurch in Kauf genohmmen.

Ich lösche solche Bilder inzwischen rigoros aus meiner Facebooktimeline. Ich unterstütze keine Vereine mehr, die nicht mehr mir direkt helfen möchten oder zu können in der Lage sein wollen. Ich möchte das Private zu etwas Politischem machen, weil ich die Politik als das Organ betrachte, dass unser Privatleben beeinflusst, das es ist.

Ich will nicht, dass jemand von mir denkt, ich wäre ein Kind gewesen, das große Augen hatte und in der Ecke eines Kinderzimmers hockte.
Ich war ein Kind, das völlig normal großkotzig über den Schulhof gerannt ist. Ein Kind, das geklaut, gelogen, manipuliert, eingenässt und später sogar geprügelt hat.
Und heute sind wir eine Betroffene, die ihre schwarzen Momente hat. Eine von denen, die sich eben doch jeden Tag mindestens einmal erschreckt und irgendwie mit ihrer Todesangst zurecht kommen muss und überlegt, ob sie es schafft ihren Alltag und ihre Therapie zu überleben.
Aber ich bin auch  eine von denen, die sich nicht mehr ohnmächtig machen lassen will. Eine die Antworten findet und konsequent in der Durchsetzung von Veränderungen bleiben will.

Und wenn das bedeutet, dass ich Facebookbilder lösche und nicht weiterverteile, nicht öffentlich „Anti-Missbrauchs-Vereine“ unterstütze, dann ist das eben so.
Da steht etwas hinter. Mehr jedenfalls, als hinter diesen Bildern.

beobachtete Flucht

Es ist eine Schwärze, die sich nicht zwischen Samt und Unendlichkeit entscheiden kann.
Es ist eine Kälte, die nicht weiß, ob sie beißen oder stechen soll.
Es sind Schritte eines Kindes im Körper eines Erwachsenen.

Es ist Angst im Heute vor etwas Gestrigem.
Es ist immer die gleiche Frequenz, immer der gleiche Satz, immer der gleiche Ton.

Ein blitzschneller Zug des Schlüssels aus dem Schloss, ein Aufreißen und hinter sich zuschlagen.
Abschließen. Einschließen. Wegschließen.
Und dann jeden Treppenabsatz im Ganzen runterspringen.
So schnell wie es nur geht.

Ein Rasen.200888_web_R_K_B_by_tom-sawyer_pixelio.de
Ein Rennen.
Ein Laufen.
Ein Joggen.
Ein schnelles Gehen.
Ein Schritt nach dem Anderen.
Ein mechanisches Traben.
Ein Vorwärtsschleppen.

Bis zu dem Moment in dem Raum genug für das fragende Innen ist.
„Weißt du eigentlich, wo du bist?“
Dann erst kommt die Angst, die sie sterben lässt.

Sie ist 8 und sah ihren Besitzer.

Ich bin 27 und sehe das Ortschild einer Stadt ca. 24km von meiner Wohnung entfernt.

#unsichtbar

Heute ist der Weltfrauentag. Frauenkampftag.
Die Taz möchte die Unsichtbaren zeigen.

Auf Twitter zwitscherte sie folgende Fragen:
„Was bedeutet es, übersehen zu werden? Ist das für euch Schutz oder Ignoranz? Antwortet uns zum
#Weltfrauentag unter #unsichtbar.“
„Manchmal ist es besser, „unsichtbar“ zu sein. Welche Erfahrungen habt ihr damit? Eure Verschleierungstaktiken am
#Weltfrauentag: #unsichtbar

Meine Fähigkeit mich 140 Zeichen kurz zu fassen ist begrenzt, doch diese Fragen zu beantworten halte ich für wichtig.
Ich habe bemerkt, dass ich nie unsichtbar war. Oder wirklich übersehbar.
Eigentlich, und das fällt mir gerade jetzt auf, wo ich mich etwas näher mit dem Zeitpunkt meiner Befreiung und meiner Biographie überhaupt befasse, war es nie so, dass ich- wir als Einsmensch unauffällig, übersehbar, übergehbar oder ignorierbar waren oder agiert haben.
Wenn die Menschen in unserer Umgebung gewollt hätten, zu wollen gekonnt und gedurft hätten; wenn sie Macht gehabt hätten, hätten sie uns und die Gewalt an uns (und den anderen Mitbetroffenen) sehen und beenden können.

Unsere „Verschleierungstechnik“ war und ist bis heute, die strukturelle Dissoziation.
Praktikum in der Zimmererwerkstatt, BauCamp im Handwerksbildungszentrum, männliche Kunden, die eine Vogelvoliere in Auftrag geben, einkaufen im Baumarkt… badabumms taucht ein fast klischeehaft männliches Innen auf, dass niemand auf die Idee kommt, der Körper könnte weiblich sein. Dass niemand auch nur im Entferntesten glaubt, vor ihm stünde ein Mensch dessen Körper Gewaltorgien und systematische Folter überlebt hat.
Hundesitting, Haustierhalterberatung, Pflegestelle… zack, tauchen Innens auf, die freundlich zugewandt, sachlich offen und neutral eine Verbindung aufzubauen helfen zwischen Mensch und Tier. Niemand käme auch nur auf die Idee, durch welche Qualen es zu dieser Fähigkeit gekommen ist. Was für grässliche Bilder und Gefühle hinter den Augen dieses Menschen toben, während diese Arbeit getan wird.
Diese und viele andere kleinere und größere Alltagssituationen, lösen einen stetigen Wechsel von Innens aus. Jedes Innen steht auf seine Art, wie eine Schutzmauer vor einem tiefen Elend und macht es nach außen hin unsichtbar. Aus Selbstschutz. Um selbst nichts von dem Elend zu spüren oder gar zu wissen. Um nach außen hin perfekt angepasst zu sein, an jene Gesellschaft, die ebenfalls ihre Schutzmauern hat.

Es ist eine Verschleierung, die nicht gezielt und geplant ist. Erst wenn sie angewendet wird, fällt auf, dass es auch dabei um eine Art Überleben geht.
Ein Bestehen in einer Welt, in der nur jene bestehen, die möglichst weit von ihrem Schmerz entfernt sind. Die möglichst kalt und angepasst sind. In der jene ohne Schlenker im Lebenslauf, ohne Falte im Jackett, ohne Makel im Lächeln, eine reellere Chance auf einen Arbeitsplatz, der sie finanziell absichert, haben, als jene, bei denen das nicht so ist.
Unsere Gesellschaft- unser Miteinander macht unsichtbar, weil Unsichtbarkeit heute ein Garant für finanzielles- und damit auch soziales und am Ende direkt biologisches Überleben ist.
Sind unsere Körper so dünn, dass sie fast unsichtbar sind, gelten wir als schön und stark, was wiederum Eigenschaften sind, mit der man zu einer Absicherung kommen kann.
Ist unsere Meinung so gleich wie die der Gruppe, dass sie in der Masse unsichtbar wird, können wir uns des Schutzes selbiger sicher sein und so wiederum unsere Chancen auf ein Überleben sichern.
Geben wir uns selbst auf und werden zum ausführenden Organ jener, die über unsere Absicherung verfügen, werden wir überleben.

Nein, wir waren kein Kind, dass man leicht übergehen konnte. Keck, gewitzt, arrogant, sportlich, musisch begabt, extrovertiert.
Kein Wettkampf wurde ausgelassen, kein Turnier, kein Wettbewerb, kein Konzert je abgesagt. „Schau was ich kann!“ brüllten wir in die Reihen des Publikums und stärkten unseren Selbstschutz mit ihrem Applaus- dem Gradmesser der Beachtung, der Wertschätzung, des Maßes an Sicherheit durch erbrachte Leistung.
Niemals brüllten wir gleichsam in die Gesichter der Lehrer, Betreuer, Freunde, Ärzte, Eltern von Freunden, Nachbarn-  den Bekannten und Verwandten ins Gesicht: „Sieh, was mir gerade Schreckliches passiert! Sieh, wie ich und die anderen Kinder zerstört werden! Sieh… mich

Unsichtbarkeit hat zwei Seiten. Jene, die nicht sichtbar macht und jene die Sichtbarkeit gefährlich macht.
Was geschieht mit männlichen Menschen die hässliche Dinge sichtbar machen?
Denen wird in aller Regel zu ihrem Mut gratuliert, da sie eine Minderheit stellen.

Was geschieht mit weiblichen Menschen die hässliche Dinge sichtbar machen?
Denen wird in aller Regel nicht einmal zweifelsfrei geglaubt.

Was geschieht mit männlichen Menschen, denen hässliche Dinge passiert sind und sich sichtbar machen?
Was geschieht mit weiblichen Menschen, denen hässliche Dinge passiert sind und sich sichtbar machen?
Ihnen passiert genau das Gleiche. Sie machen sich auf eine Art angreifbar, die ihr direktes Leben auf mindestens einer Ebene bedroht.

Einen wirklichen Schutz erfährt nur, wer geschützt wird.
Vom Gesetz und dessen gleichberechtigter Anwendung; vom sozialen Umfeld; von seiner Fähigkeit sich blitzschnell auch wieder unsichtbar machen zu können und das System für sich zu nutzen.
Und wer hat dabei bis heute die besseren Chancen?
Der männliche Mensch.

Ja, heute in der Frauentag. Der Frauenkampftag.
Der Frauensichtbarmachtag.

Doch, was für Frauen genau, hast du heute schon gesehen?342533_web_R_B_by_onkel jo_pixelio.de
Hast du die Frau im Frauenhaus gesehen?
Hast du die Frau, die eine andere Frau liebt gesehen?
Hast du die Frau unterm Hiab gesehen?
Hast du die Frau, die sich als Mann fühlt gesehen?
Hast du die Frau im Asylantenheim gesehen?
Hast du die Frau im Rollstuhl gesehen?
Hast du die Frau gesehen, die jetzt noch ein Kind ist?

Hast du die Frau hinter der Schutzmauer gesehen?

Oder nicht doch eher das makellose Lächeln auf einem Werbeplakat, das dir sagt, dass es heute 50% Rabatt auf Schuhe gibt?

aus der Zeit, in die Freiheit- Warten auf die Dämmerung

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke, “der Panther”, 6.11.1902, Paris

Sie kriechen aus dem Innen, in das Jahr 2013.
Der Vorhang lichtet sich und lässt ein Bild hinein.

Meiner oder ihrer?
Mein Sein- dein Schein- ich habe das in einem Brief der BÄÄÄMs an mich gelesen.
Was ist wahr und was nicht- was ist früher und was ist heute?
Was ist echter? Welche Bedrohung ist gleich, obwohl es nicht die gleiche Zeit ist?

Stab an Stab an Stab
Tastend, jede Ebene erspürend. So mutig diese Stäbe zu berühren, müssen sie doch darauf achten, nicht erwischt zu werden, wollen sie ihre Finger behalten.

Sie fragt, ob sie eine offene Rechnung schließen muss. Hat den Berg der Sprachbarriere irgendwie erklommen. Manche Buchstaben fehlen, die Grammatik ist ein Albtraum. Es sind viele Fragezeichen, die durch den Äther rauschen. Irgendwohin. Nicht wissend an was für eine Autorität genau gerichtet. Doch es ist klar, sie lebt mit zwei Bezahlsystemen und fragt nur, welches bei wem nötig wird.

„Nein, mein Herz du bist nicht in der richtigen Zeit.
Aber deine Angst passt in die Angst, um die Situation. Eine Verwechslung ist nur logisch.
Auch wenn sie uns unglaublich tief erschreckt.“
Der Vorhang schließt sich.

Schritt für Schritt für Schritt
Stolpern über Zeitfalten, verwickeln im Zeitstoffband, einen Strick daraus drehen und um den Hals legen.
Einer nach dem Anderen. Auf der Suche nach dem Galgen.
Auf der Suche nach einem Rezept, das es zu einem Zeitkuchen werden lässt.
„Damit ich dich besser fressen kann.“

Zeitfresser. In dich hinein, aus dir heraus.
Zeit, die wie schwarze Tinte über den Boden leckt.
Pfoten tauchen hinein und tragen sie weiter.
Schritt für Schritt für Schritt
Vorbei an Stab für Stab für Stab.

Es war meine Hand, die ihm aufgefallen war.
Flüssige Zeit, tropfenweise aus dem Moos neben der Regenrinne herausgedrückt. Sachte balanciert, durch das eingeschlagene Loch, in meine finstere Hölle. Meinen Käfig.
Fallengelassen in meinen staubig, ausgedörrten Mund.

Schritt Schritt links
Schritt Schritt Schritt links
Schritt Schritt links
Schritt Schritt Schritt links
Quadratur des Kreises

Vorhang auf, Bild hinein.
Wieso war ich da?
Vorhang zu.
Guck nicht hin.
Vorhang auf, Bild hinein.
der Sprachberg baut sich auf, lässt Lawinen herunter segeln.
Vorhang zu.
Wir begraben sie unter ihren Wortbrocken, bis sie nichts mehr sagen.

Schritt Schritt Schritt
Stab Stab Stab

Du hast Zähne, Krallen, Kraft.
Du könntest uns schützen.
Eröffne dich und trete in die Sonne.
Er hat dich gerettet.
Die Tür ist offen
Schon fast 12 Jahre lang.

Der Vorhang wackelt,die Realität scheint immer wieder in kleinen kaltheißen Blitzen hinein.
Blendet und verstört.
Dieses Tier ist nachtaktiv.
Vielleicht ist es ein Warten auf die Dämmerung.
Der Moment, in dem beide Seiten ein vages Erkennen schaffen könnten.

fertig geschlafen

“Wow, seht ihr scheiße aus!”
Sie hebt die Augenbrauen und mustert mich mit einem Blick in dem sich Erstaunen und Mitleid paaren.
“Wow- dass ich wenigstens noch die Klinke jener Tür in der Hand hab, mit der du ins Haus gefallen bist!”, höre ich meinen Kopf denken.
– “Komm rein, ich bin gleich fertig, dann können wir los.”, höre ich meinen Mund sprechen.

“Bist du sicher, dass ihr überhaupt in der Lage seid, jetzt ne Wanderung zu machen? Wann habt ihr zuletzt geschlafen?”, sie geht durch in die Küche und begrüßt die freudige NakNak*. Ich versuche zu rekonstruieren und scheitere. Jetzt meine Listen und Zettel der letzten Tage durchzugehen, würde die Frage beantwortbar machen, aber es sind einfach zu viele und manche sind alles- außer lesbar oder verständlich.
Es ist sowieso offensichtlich, dass es schon wieder eine ganze Weile gegeben haben muss, in der sich niemand weiter um den Körper gekümmert hat, als bis zur Dusche.

Rigoros schiebt sie die Papier- und Bücherberge auseinander, die unseren Küchentisch bedecken. “Wahnsinn, was ihr für ein Chaos verbreitet, wenn die Frontfrau nicht da ist- Hammer! Soll ich dir mal grad helfen?”.
– “Äh… öhm… ich dachte… Hund…?”
”Schatz- hier siehts aus wie bei Messiehempels unterm Sofa und guck dich mal bitte an- du kippst mir sowieso nur wieder aus den Latschen.”, sie fängt an die Bücher zusammenzuklappen und zu stapeln. NakNak* und ich sitzen auf der Eckbank und gucken dumm. Ziemlich überrumpelt und plötzlich irgendwie selbstentkernt.
Innen motzt es: “Ein Mal! Ein einziges Mal, bin ich ohnmächtig geworden und jetzt schmiert sie mir das aufs Brot, als würde das dauernd passieren!”.

Ich schaue der Gemögten zu und verpasse irgendwann den Anschluss. Sie erzählt etwas von ihrem Studium. Psychologie. Menschenseele ausrechnen.
Irgendwo winkte mir das letzte Wort zu, ohne auf eine Reaktion von mir zu warten.
Es ist ein Schweben in weißer weicher Watte. Da ist nichts, außer dem sachten Wogen des Atems, der wie ein Dauerton jede Faser durchdringt.
Alles ist weg. Die Angst, die Sorge, die Gedankenschleifen. Sogar das dröhnende Dauer
BÄÄÄM.

“Hey, Du weinst ja.”
-“Nich verraten bitte.”, ertapptes Zusammenzucken.
Panik bricht sich seine Bahn.

Und plötzlich beginnt ein Dialog, der mich zwischen Watte und Bewusstsein festlötet.
Ich will das alles gar nicht hören. Diese giftige Kinderangst, dieser Schmerz, diese Realität, diese Zeitverschiebung, dieses Gefühl in einem Körper zu stecken, der 3 Nummern zu groß ist.

“Du bist ganz schön müde, ne?” Sie guckt in meine Augen. Total direkt und es ist, als würde alles von mir abplatzen. Abgeschält offen und bar jeden Schutzes bin ich da, obwohl ich gar nicht da bin. Es ist ein Gefühl von Nacktheit, das nichts mit meiner Kleidung zu tun hat.
Wie an einem Scharnier befestigt, wird der Kopf zum Nicken gebracht. Der Atem versucht verzweifelt den ganzen Heulrotz in der Nase zu lassen. Was für ein Kampf, um ein bisschen Rest Würde.

Ich weiß nicht, wieso wir auf dem Boden sitzen. Wieso ich es nicht einmal mehr schaffe, mir selbst das Gesicht abzuwischen, aufzustehen und mir trockene Unterwäsche anzuziehen. Es geht einfach nicht. Diese Watte lässt das Falsche durch.
Ich spüre ihr Mitgefühl, ihre Fürsorge, meinen Zerfall, meine einfach nur abgrundtiefe Erschöpfung.

“Komm, ich helf dir, ja?”
Was ist meine Passivität- mein “mich nicht gegen ihr Handeln wehren” jetzt? Ist es das Eingeständnis, wie dringend wir auf Hilfe von außen angewiesen sind? Das Zugeben, dass wir nur noch ein Haar breit vor dem totalen Zusammenbruch stehen? Oder das früher so oft vorgeworfene “sich fallen lassen und Verantwortung abgeben”?
Sie hilft mir beim Umziehen, als wäre ich einer der alten Leute, die L. noch bis vor Kurzem an- und ausgezogen hat. Sie hält mir ein Glas an den Mund, wie W. es noch bis vor Kurzem bei den kleinen Kindern gemacht hat. Und ich?
Ich lasse sie einfach machen. Mache einfach mit. Überlasse mich ihr.

Sie bringt uns ins Bett, sitzt daneben und ist einfach da. Es dauert nicht lange, vielleicht 2 Minuten und wir schlafen ein. Endlich.

Sie nimmt NakNak* mit auf eine Hunderunde, macht den Abwasch, schmeißt eine Ladung Wäsche in die Maschine, kocht Suppe für drei Tage, fegt die Wohnung durch, leert den Briefkasten, bringt den Müll raus.

Sie bleibt die ganze Zeit unserer ersten Schlafetappe von 6 Stunden und entscheidet sich erst dann gleich bei uns zu übernachten. 313705_web_R_by_slicer_pixelio.de
So schaffen wir es zum ersten Mal, seit August letzten Jahres, zu schlafen, bis wir wirklich ausgeruht sind. Natürlich nicht, ohne ein Echo des Hasses und der Strafen aus dem Innern. Natürlich nicht, ohne, dass sie sagt, es sei doch selbstverständlich zu helfen und keinen besonderen Dank nötig machend. Natürlich nicht, ohne, dass ich mich in Grund und Boden schäme und fühle, wie sich ihr angeboten werden will.

Aber, aufzuwachen, weil man fertiggeschlafen hat. Das Gefühl, dass jemand über den Schlaf wacht…
Das ist ein Gefühl, für das sich dieser Tausch irgendwie doch gelohnt hat.

was dann kommt

Vielleicht hat schon mal jemand Geschichten von sogenannten “Wolfskindern” oder auch gehört- mindestens aber von Mogli aus dem Dschungelbuch.

Eigentlich sollte dieser Artikel hier eine der beliebten Disneyinterpretationen werden. Aber ich bemerkte schon beim Lesen der Inhaltsangabe, dass dies eine Geschichte ist, bei der es mir nicht gelingen würde, die rosarote Happy-Lifestyle-Zuckerscheiße mit dem Disneyemblem drauf runterzukratzen.

Zu nah ist die Isolation. Zu genau kennt mein Innen die Art von absolut existenzieller Überlebenskraft, welche hinter der Annahme von Tierischkeit oder, in etwas anderer Form, Verhaltensweisen des Hospitalismus stehen.
Zu genau, kennen wir die Gefangenschaft bzw. Umgebung die “wilde Kinder” produziert.
Deshalb verweise ich hier lediglich auf die Geschichte des Dschungelbuches und versuche mich anzunähern und das Eine oder Andere auszuformulieren.

Den ersten Teil des Geschehens der Befreiung bzw.den ersten Eintrittsakt hat Frau Kampusch in ihrem Buch “3096 Tage” schon gut angerissen. Man befreit sich- kommt endlich endlich raus- kommt endlich im Dorf an und was kommt dann?
“Hände hoch! Wer sind sie? Was wollen sie?”

Als würde man mit seiner Befreiung diese Worte in die Haut- die Seele- die Großhirnrinde gestickt bekommen, verlassen einen diese drei Punkte nicht mehr. Auch Jahre später nicht.
Wer bin ich?
Was will ich?
Ich muss zeigen, dass ich keine Bedrohung bin. Meine Waffenlosigkeit beweisen.

Von nun an gilt alles was ich gelernt und mir angeeignet habe, um zu überleben als falsch, deplatziert, unpassend, zu viel, unsozial. Und wenn ich das Pech habe durch die Tür einer Psychiatrie gehen zu müssen, weil es für Menschen wie mich schlicht keine staatlich geförderte Alternative gibt, auch noch als krank!
Die inneren Ergebnisse jahrelanger Misshandlung, Isolation und gesellschaftskonträrer Sozialisierung fallen nicht immer sofort als solche auf, weil kaum jemand einen so weiten Fokus hat, der auch beinhaltet, dass jemand Dinge für Wunder hält, die er selbst als selbstverständlich empfindet.

Als wir das erste Mal Freiheit erlebten, wurden wir eingesperrt. In eine Psychiatrie.
Zum ersten Mal in unserem Leben, erlebten wir eine einzige Welt- eure Welt- die Welt “der Anderen”. Eine Einzel-Welt, weil hermetisch verschlossen. (Eigentlich so ein Gleichnis)

Und statt Erleichterung und Glückseligkeit, war da Angst. Todesangst und permanente Verwirrung.
Niemand hat das gesehen. Und niemand sieht sowas bis heute an uns.
Vieles, was für andere selbstverständlich ist, ist für uns nachwievor mindestens verwunderlich oder ganz eigentlich verboten und nicht zustehend.

Wir schreiben hier unsere wirklichen Gedanken zu Disneyfilmen auf! Das hier sind keine gewollten Perspektivschwünge. Wir haben diese Filme nie zuvor gesehen- sind nicht mit dieser Art Verwischung und dem Dauerentertainment- diesem eigentlich gesellschaftlich akzeptiertem Abtöten des Geistes- aufgewachsen und empfinden sie nicht als normal bzw. sortieren das Sehen eines Filmes nicht als reine Unterhaltung ein.
Die Fragen, die hier stehen, stellen wir uns wirklich.
Die Dinge über die wir uns wundern, wundern uns ganz wirklich!

Und die Einsamkeit die wir hier beschreiben und in Worte zu bringen versuchen ist auch wirklich da. Nicht immer, weil wir wirklich real und physisch allein sind- aber immer weil wir oft wie auf kleinen Eisschollen durch menschliche Interaktions- , fremde Werte-, Vorstellungs-  Moralsümpfe treiben. An einer anderen- vielleicht basaleren Stelle verhaftet, als unsere Mitmenschen.
Wir haben keine Ahnung davon, wie man was am Besten sagt oder tut oder wie man was wann und wo am Besten macht oder auch nicht macht, wenn es plötzlich  nicht mehr ums schiere Überleben geht. Die Welt in der wir das noch ganz genau wussten und für die wir gewappnet sind, liegt hinter uns. Sie hat uns verletzt, verkrüppelt und auf eine Weise wachsen lassen, die uns niemals passend erscheinen lassen wird.

Mogli wird vermutlich auch vor einem Spind stehen und denken: “Was für Sachen?! Bett?! Essen am Tisch?! Keine Nacktheit vor Fremden?! Privatsphäre??? HÄÄÄÄ?!”
Doch Mogli ist ein Kind. Er hat wie viele andere “wilde Kinder” je nach Ausmaß der Schädigungen und Defizite, die Chance ganz offen nachsozialisiert zu werden. Da wird es jemanden geben, der versucht ihm das alles beizubringen.

Und bei uns?
Die Menschen, die professionell andere Menschen nachsozialisieren fragen: “Was wollen Sie (erreichen)?” und die Menschen, die mir so im Alltag begegnen fragen: “Wer bist du?”, bevor sie überhaupt nur irgendwas mit mir zu tun haben wollen. Sie erwarten ein Selbstkonzept und ein Gespür für soziale Identität, dass sich bei uns aber gerade erst entwickelt bzw. wahrgenommen und sortiert wird.
Kindern, unschuldigen Kindern, wird diese Schutzlosigkeit, diese Art des Ausgeliefertseins eher anerkannt als Erwachsenen. Kindern wird zugestanden, dass sie Dinge noch lernen müssen, dass sie ihre Position und ihren Weg erst finden müssen.

Verständnis für Schutzreaktionen, Ängste und die Art Unwissenheit- mindestens aber Unsicherheit, können wohl aber  insgesamt nur wenige Kinder und auch Erwachsene mit diesem Hintergrund erwarten.
Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, wie sich die innere Welt füllt und entwickelt, wenn man einzig sich selbst hat. Man fängt an Stellvertreter zu benutzen um das, was aus sich selbst heraus kommt, zu etwas zu machen was in sich hinein kommt. Einfach nur, um dieses Bedürfnis nach Ansprache zu befriedigen. So geschieht es, dass das Schottersteinchen, das man vor sich hat, einen Namen bekommt, eine Meinung, ein Gesicht. Es zum Zeugen und Tröster, aber auch Herausforderer oder Verhöhner wird.

Wenn ein Mogli bei Wölfen groß wird, hat er diesen (sozialen) Input natürlich. Doch ist es einer der nicht seiner Natur, seinen Fähigkeiten und seinem Potenzial entspricht. Ein Mensch ist ein Mensch. Ein Wolf ist ein Wolf. Es kann eine Kommunikation geben, einen Austausch und eine Verbindung, die das Überleben als Gruppe sichert, doch auf keiner der beiden Seiten, werden jeweils alle verfügbaren Kanäle benutzt und trainiert. Es geschieht eine Anpassung, aber nie eine komplette Verwandlung, wie es die frühen Darstellungen von “wilden Kindern” gerne weismachen wollen.

Was passiert mit Menschen(kindern), die lange Zeit nur sich oder einen (auf der biologischen Ebene) unzureichenden Kontakt hatten?

Dinge zu lernen und zu beherrschen ist ein Schutz. Je breiter das Interaktionsspektrum und die Möglichkeit diese auszuprobieren und anzuwenden, desto mehr Schutzmöglichkeiten gibt es. Hatte man nicht die Gelegenheit so zu trainieren bleiben ein- zwei Strategien alles was es gibt.

Kampf, Flucht, Starre.
Zerstörerische Ausbrüche
Vermeidungstänze in Form von Verhaltensstörungen, Süchten und anderen “Stellvertretern”
Unterwerfung, Anpassung, Dissoziation

Um zu lernen wie man in der neuen Welt besteht, muss man Platz für seine Verwunderung haben. Auf Verständnis für seinen Schutz stoßen. Auf jemanden treffen, der geduldig und vielleicht aus vielen verschiedenen Perspektiven heraus erklärt, wie die Welt funktioniert und gleichzeitig genug Halt gibt, um nicht unter der wachsenden Erkenntnis zerdrückt zu werden. Vielleicht braucht man eine Art Nach(ge)wachshaus.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass das etwas ist, das nicht gesehen wird. Vielleicht weil sich nicht jeder in dem Maß wundert und erschreckt wie wir. Vielleicht, weil für die meisten Menschen Sonnenlicht und Bewegungsfreiheit immer völlig selbstverständlich waren. Wenn etwas selbstverständlich ist, dann wird es wohl nicht mehr so oft hinterfragt.

Vielleicht ist es auch einfach auf eine Art basal, die nur dann wahrgenommen wird, wenn man selbst über lange Zeit hinweg auf der zutiefst eigenen Basis seiner Existenz zu stehen gezwungen war.

Vielleicht ist es diese Nähe zu sich selbst, die später trennt und vielleicht niemals zu überbrücken ist. Auch wenn man längst kein “wildes Kind” mehr ist, ein Bett benutzt, Kleidung auf der Haut aushält und menschsozialer Konventionen entsprechen kann.

Vielleicht ist es das, was meine Augen hat weinen lassen, als der Film zu Ende war.
Das Wissen, dass Disney verzuckert hat, was der bitterste, tiefste Bruch im Innern eines Menschen sein kann. Das Wissen, dass die ganzen Menschen, die “wilde Kinder” dokumentiert und beforscht haben, sich genau darüber nicht klar zu sein schienen.
Die Befürchtung, dass die Menschen die uns heute umgeben genau das auch nicht im Bewusstsein haben.

Die Angst im Innern vielleicht für immer diese Art “wildes Kind” zu bleiben.

Tanzstunde

Du bist phobisch? Du hast was zu verbergen? Du brauchst dringend eine Vermeidungsstrategie?

Willkommen zur Einführungsveranstaltung: “How to Vermeidungstänze and everything about”

Wir beginnen mit der Grundhaltung
Folge deiner Angst! Hör auf sie bewältigen zu wollen!
Du brauchst nicht mal genau wissen, wovor genau du Angst hast, damit du sie wegbekommst- das klappt sowieso nie. Wichtig ist nur, dass du nicht anfängst darüber nachzudenken, ob sie nun berechtigt ist oder nicht. Oder, ob sie irrational ist oder nicht. Oder, ob es vielleicht einfach albern ist, jetzt Angst zu haben.
Nachdenken und Selbstreflektion sind Feinde von Angst.
Für einen anständigen Vermeidungstanz ist Angst unabdingbar!
Nimm deinen rasenden Puls und lass ihn zum Takt deiner Füße werden.

Vertraue niemandem.
Sowas macht nur unnötig sicher. Auch ein Angstfeind.

Nutze deine (durch deine Gewaltsozialisierung eingeübte) Fähigkeit Menschen bis aufs Kleinste zu beobachten und herauszufinden, was sie so für Typen sind. Verlasse dich dabei niemals auf Klischees. Alles was du siehst ist wahr- fang bloß nicht an deine Wahrnehmung mit der Wahrnehmung anderer abzugleichen.
Nochmal- Nachdenken und Reflektion sind tödlich für die nötige Grundangst!

So, nun zur Praxis.
Eine Freiwillige einmal bitte! Ah sie Frau Rosenblatt- sie können das ja schon so gut, sie…

“Huch, ich habe gar nicht das Richtige an für eine Freiwilligendarstellung, wissen Sie? Heute ist ja auch Samstag. Eigentlich ist tanzen jetzt heute nicht so angebracht. Wissen Sie, einmal war ich in der Disco und da… “

Grandios Frau Rosenblatt! Eine perfekte Darstellung, wie man von einer lobenden Erwähnung und einer direkten Ablehnung meiner Aufforderung wegtanzen kann! Gut gemacht! Eigentlich brauchen sie diesen Kurs hier gar nicht mehr- sie sind schon so gut!

Schauen sie mal- das, was Frau Rosenblatt jetzt macht- dieses Dissoziieren- das ist aus ’nem anderen Kurs! Dafür braucht man ein lange und extrem trainiertes Angstgehirn. Das bringe ich ihnen hier aber nicht bei. Sowas sollte niemand gut können müssen. Es ist auch ein Schutz- wie die Tänze, die sie hier lernen möchten, aber den kann man in der Regel nicht so gut gebrauchen, weil er reflexhaft vom Gehirn gemacht wird, ohne, dass zum Beispiel Frau Rosenblatt hier viel dagegen tun kann, außer sich durch grandiose Tänze im Vornherein davor zu retten.
Außerdem hat das Dissoziieren in dieser Form viele unangenehme Nebenwirkungen wie Amnesie, (Körper- Empfindungs-) Kontrollverlust und schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sowie ein eher rudimentäres Beziehungsleben und einen Fokus so weit wie ein Stecknadelkopf.

Vermeidungstänze sind keine leichten Spaß- oder Gesellschaftstänze. Es sind Tänze mit Angst als Motor- nicht der Macarena oder das Gehopse zu Sommerhits!
Sie müssen sich klar machen, dass Arbeit auf Sie zu kommt und sie einsam werden bzw. zu einem Automaten, der pro Person ein Tanzrepertoire abspult.

Um ihre Angst aufrecht zu halten, dürfen sie auf keinen Fall Bewusstsein für sich und ihre Themen entwickeln. Das heißt ganz deutlich, das soziale Beziehungen strikter Auslese und Konstellationsplanung unterworfen sein muss.

Niemals dürfen ihre unterschiedlichen Tanzpartner gemeinsam ihnen gegenüber auf diese Themenbereiche zu sprechen kommen.
Es sei denn sie haben unseren Fortgeschrittenen- Kurs besucht.

Zum praktischen Teil nochmal.
Belesen sie sich, studieren sie Menschentypen, richten sie ihre Aufmerksamkeit auf alles, was sie umgibt und gleichen diese Gegebenheiten mit ihren Tanzpartner ab. Je subtiler sie vorgehen und je mehr sie ihrem Gegenüber entsprechen, desto unauffälliger  und damit wirksam ist ihr Tanz.

Am besten starten sie bei ihnen unbekannten Menschen. Diese Menschen wissen noch nichts von ihnen und den Dingen, die ihnen (Todes)Angst einjagen.
Im günstigsten Fall haben sie eh schon gelernt, niemals nach außen zu zeigen, wann sie in Panik kommen oder Angst haben- dies ist sehr förderlich, da so das Gegenüber keinerlei Anhaltspunkte darüber hat, was in ihnen vorgeht. Es ist abhängig davon, dass sie Worte sprechen, die ihm einen Eindruck vermitteln.
Das ist ihre Chance!

Sie haben vielleicht ein festes Themenkorsett in dem sie sich gefahrlos (im Sinne von die Angst besetzten Bereiche ausgrenzend) bewegen können. Vielleicht ist es so steif, dass jeder Schritt heraus bereits genug phobische Unruhe verursacht, um einen Minimoonwalk hinzulegen. Das ist natürlich perfekt.
Anderen sei geraten sich vorzubereiten und die möglichen Tanzvarianten gezielt zu üben.

Menschen hören gern gute Nachrichten. Komplimente. Lustige Anekdoten. Diese Tanzvariationen gehören zum Einmaleins. Small Talk ist nicht anderes als ein Vermeidungstanz- nur wird hier der Faktor Angst oft umbenannt- das muss sie aber nicht irritieren. Nicht jeder kann zu seiner Angst oder gar Phobie stehen.

Im weiteren Verlauf wird es nötig eine sachlich- pseudovertrauliche Tanzatmosphäre aufrecht zu erhalten. Niemand ist immer fröhlich und wenn sie- warum auch immer- Kontakt über eine längere Zeit mit ihrem Tanzpartner haben, ist es wichtig normal zu wirken. Bauen sie auf Insidern zwischen ihnen auf, versuchen sie sich in immer längeren Schleifen bis sie sich in einem Niveau bewegen das ihnen angenehm ist.
Als Beispiel: Sie haben möchten den Themenbereich Katzen vermeiden, weil sie schon bei dem Gedanken an diese Tiere eine Gänsehaut bekommen.
Ihr Gegenüber arbeitet aber in einer Tierpension und würde auch ohne zu Zögern einfach von Katzen zu sprechen anfangen. Menschen sprechen gern von ihrem Beruf. Seien sie doch einfach mal der Erste, bei dem der Mensch die Gelegenheit hat sich über die gesetzlichen Regelungen seines Berufes auskotzen kann! Oder die Steuer. Oder die Kunden. Oder die baulichen Anforderungen. Oder die Zukunft dieses Berufes. Von all diesen Punkten können sie sich immer weiter entfernen. Kunden, Steuer, bauliche Anforderungen und Berufszukunft gibts für so ziemlich jeden Beruf.
Diesen ersten Tanzschritt müssen sie machen- sie müssen ihren Partner schon in eine Richtung führen- ist es der richtige Kanal bei dem Menschen, sind sie in Nullkommanichts von der Tierpension mit maunzendem Klientel, bei den Bauvorschriften von Tiermastbetrieben und der Bio-Vegan-Fleischfressdebatte angekommen.

Sagen sie ihrem Tanzpartner niemals, dass er ein Tanzpartner ist!
Er wird versuchen sie zu stören, anstatt mitzumachen. Auch hier ist es, im Fall des Falls, dass ihnen das doch mal so rausrutscht (Niemand ist perfekt! Auch Vermeidungstänze müssen geübt sein), hilfreich, wenn derjenige weder genau weiß, wie ihre Tänze aussehen, noch wann genau sie damit anfangen.
Nutzen sie eigentlich sinnbefreite Konventionen- auch wenn sie für den Kontakt eigentlich eher unprioritär sind. Machen sie eine nette Bemerkung über die Einrichtung, die Kleidung ihres Gegenübers, vielleicht bieten sich Fragen nach Urlaub und Familie an. Bemerken sie Augenringe? Versuchen sie es mit einem Diskurs über Matratzen und Bettgestelle… IKEA ist auch immer wieder ein sehr breites Feld- von dort aus kann man auch gut zum Thema Kinderarbeit und nun aktuell auch Pferdefleisch hinübergleiten.

Es gibt auch Situationen in denen ihr Gegenüber sehr hilfreich sein kann- selbst wenn er weiß, dass sie Vermeidungstänze machen. Da sie ihm ja nie sagen werden, wovor genau sie so phobisch sind, weiß er es nicht und versucht es aber vielleicht herauszufinden.
Aaaah na- ich merke schon das treibt ihren Puls schön hoch- super! Nun brauchen sie nur noch zu warten, wann der erste Schritt vom Tanzpartner kommt. Steigen sie ihm auf die Füße und beginnen sie einen philosophisch-neurowissenschaftlich- anthropologisch- kulturhistorischen Diskurs über sein Interesse an ihrer Angst.

Die wenigsten Menschen geben zu, dass sie es einfach nur spannend um der Sache willen finden und dass es ihnen nicht um sie dabei geht. Genauso wenig Menschen geben zu, dass sie sie einfach nur reinlegen wollen. (Sie wissen ja- vertrauen sie niemandem- sie alle wollen sie nur reinlegen!).
Die Menschen werden anfangen sich zu rechtfertigen und ihre eigenen Tänze aufzuführen. Wenn sie richtig in Schwung sind, brauchen sie sich nur noch zurückzulehnen und zuzugucken.

Vielleicht fragen sich manche Kursteilnehmer: “Wozu der ganze Aufwand?”

Sehen sie Frau Rosenblatt hier. Sie wird ihnen ihre Sicht erzählen.
“Angst ist ein Warnzeichen. Angst bedeutet Gefahr.
Angst ist tödlich für einen selbst. Mit jedem Moment in dem ich Angst habe, gehe ich innerlich weiter kaputt. Für mich ist es- gerade mit dem Reflexschutz meines Gehirns zusammen- fast unmöglich zu sagen, wovor genau ich so eine Angst habe.
Was ich allerdings sehr genau weiß ist, wovor ich keine Angst habe.
Ich habe keine Angst davor einsam zu sein. Ich habe auch keine Angst vor dem Gefühl der Demütigung oder Erniedrigung, wenn mich andere Menschen als unfähig oder dumm betrachten. Das sind alles Dinge, die ich selbst schon weiß. Ich mag es nicht besonders, wenn es andere von mir denken- doch Angst habe ich nicht davor.

Ich habe irgendwann bemerkt, dass aus dem leichten Kribbeln in der Haut, schnell richtige Todesangst wird, die ich nicht aushalten kann. Zusammen mit dem Hirnreflex der Dissoziation, habe ich ab einem Zeitpunkt keine Chance mehr mich in Gefilde zu bringen, in denen ich die Kontrolle über die Situation habe.
Solche Situationen führen in der Regel dazu, dass die Menschen auch noch anfangen Mitleid mit mir zu haben oder ganz besonders lieb zu mir zu werden- was mich in nur noch grässlichere Angst bringt.

Also habe ich gelernt mich wie in einem Swingmedley von Thema zu Thema zu bewegen.
Viele Menschen mögen Swing. Sie freuen sich über Gelegenheiten in denen ihnen jemand zuhört, sie von sich reden können, über Themen sprechen können, die sie bewegen.
Alles was ich tun muss, ist den Takt zu wahren und ab und an die Führung zu übernehmen.

Inzwischen kann ich es so gut, dass ich kaum noch darüber nachdenken muss.
Was allerdings proble…”

Na na na Frau Rosenblatt. Sollte das etwa der Anfang einer Reflektion werden?!
Nein, nein- damit fangen wir gar nicht erst an.
Wir fangen jetzt an zu üben.

>Suchen sie sich bitte einen Partner!
Ich verteile jetzt die zu umtanzenden Themen…

existent

“Ich bin so müde”

– “Ich weiß mein Herz.”

“Schaffen wir das?”

– “Ich weiß es nicht.”

“Aber wir versuchen, ja?”

– “Ja mein Herz. Wir versuchen.”

 

Ja, wir versuchen unser Leben zu retten.
Nennen wir es kämpfen ist es gelogen, denn aktiv sind wir nicht.
Wir sind.
Wir sind existent.
Immer noch.
Einfach so.

Mehr ist Überleben einfach nicht.

Es hat keine Dramatik.
Keine Massen an Blut. Keine Schreie. Keine Tränen.

Es ist ein Muskel der rhythmisch zuckt.SONY DSC
Biostrom der durch Nerven flitzt.

Einfach so.
Existenz geht so einfach.

Leben muss man schaffen.
Leben muss man versuchen.