Die erste Etappe – Radtour 2021

Ich trage keine Kopfhörer, der Fahrtwind ist mein Auftaktgeber. Wir haben gebummelt, sind eine Stunde später als geplant los, es ist okay so. Kein Zielstress. Möglichst gar kein Stress. Dann erschreckt mich das Navi mit seiner Ansage.

Unsere erste Etappe besteht hauptsächlich darin, die eigentliche Tourstrecke zu erreichen. Es sind 20 Kilometer bis dahin, danach sind es noch mehr als doppelt so viele bis zum ersten offiziellen Ziel. Ich merke meinen Kopf leer werden, spüre jemand anderen, freue mich über dessen Neugier auf die Fährfahrt, die mir eher Sorge bereitet.

Blick von einer Fähre über die Weser.

Unser Weg führt durch eine Nadelbaumplantage. Ein Reh steht auf dem Weg und beobachtet mich eine Weile bevor es weghüpft. Später sehen wir ein Eichhörnchen, das durchs hohe Gras hüpft wie eine Antilope. Und noch später eins, das im Baum sitzt und etwas zerknuspert.

Der Weg ist gut, das Wetter perfekt. Wir sind überwiegend allein, treffen nur auf andere Menschen, wenn sie uns überholen. Was nicht schwer ist, denn wir channeln die Schnecke als unsere mentale Tempovorgabe.

Wir machen eine Pause an einer alten Mühle, neben einem Pfeiler, in die Erde gerammt 16hundertirgendwann. NakNak* ist müde, will nicht einschlafen, ich bin müde, will es nicht zugeben. Google Maps wollte uns schon wieder mit einem Streckenvorschlag umbringen, der Umweg führte 16 extra Kilometer durch Wäldchen mit Sandwegen und Feldwege ohne Schatten, von dem uns Komoot unbedingt wegleiten wollte. Doch ab jetzt wird alles einfacher. Dieser Weg ist betreut und gut ausgeschildert. Es sollte keine Umwegeabenteuer mehr geben.

Irgendwann tun mir die Hände weh, ich fange an mir die 20, 18, 16 Kilometer zum Ziel schön zu rechnen. Zeit einen Zeltplatz zu suchen, alte Wanderregel.

Wir finden einen netten kleinen Platz direkt am Fluss, werden eingehüllt von Kinderlärm und der Aussicht auf eine Dusche.

So wund an der Stelle um die eigene Familie werde ich schwer bei dem Geplapper und Geschnatter der Familien an der Badestelle. Aber auch weich, weil es diese Familien eben gibt. Meine gibt’s, diese gibts, es gibt so viele Familien und dann auch noch die, in der wir heute leben. Die vermisse ich auf einmal.

Kann mich aber trösten, denn morgen muss uns der Partner unseren Impfausweis nachtragen. 😅

Eltern, die ihre Kinder hassen

Diesmal ist es kein Schnelldurchlauf, sondern eine Zeitlupe und das Quietschen meiner Nackenmuskeln. Gedämpfter Straßenlärm, das Atmen der Therapeutin mir gegenüber.
„Meine Eltern hassen mich.“ „Ich glaub, er wollte mich umbringen.“ So schieben sie sich zusammen. Sie von links aus der Sitzung mit der Autismustherapeutin, er von weiter weg aus der Traumatherapie. Keine Kinder mit großen feuchten Augen, die einem das Mitleid aus dem Herzen zapfen wie den Sirup aus dem Baum, sondern bodenlos hoffnungslose, verdreckte, abstoßende … Ichs in einem Zeit-Raumempfinden von vor über 20 Jahren.
Ich bin so weit weg, dass ich sie wahrnehme aber nicht spüre. Sie bleiben Fremde für mich. Sind Einheimische in einer Welt, die ich nur begleitet aufsuche, um zu vermitteln, dass ES vorbei ist und DAS DA nicht wieder passiert. Jedenfalls nicht so. Nie wieder so.

Diesmal habe ich keine Feldnotizen. Kriege meine Gedanken nicht um die Dimension ihrer Not, weil es nicht um Mangel geht, sondern um etwas, das über das Tabu der Gewalt an sich hinaus geht.
Gegen Hass kann man nichts machen. Der ist nicht in Liebe zu verwandeln. Nicht einmal in achtsame Zuwendung oder Fürsorge. Hass ist absolut, deshalb kann man aus ihm heraus so einfach gewaltvoll sein. Braucht fast so wenig Anstrengung wie aus Ignoranz oder Todesangst.
Und ja, was anderes sollte ein Kind über die Motive von jemandem denken, der es praktisch zu zerreißen versuchte, als dass es um einen Tötungsversuch ging?

Elternschaft ist ein Status, kein Zustand.
Liebe, Achtsamkeit, die Fähig- und Fertigkeiten sich selber zu regulieren, um die eigenen Kinder zu begleiten, Fürsorge, Mitgefühl, Geduld – ja nicht einmal das Interesse am Mensch „Kind“ sind nicht einfach so da, nur weil man ein Kind geboren und es am Leben erhalten hat. Am Ende sind alle Eltern einfach nur Leute, die sich an jemanden gewöhnen, den sie selbst gemacht bzw. für immer in ihr Leben eingeladen haben. Sie bedeuten für ihre Kinder nichts, weil sie Eltern sind, sondern weil sie überlegen sind und mit jeder ihrer Entscheidung für oder gegen den liebevollen, achtsamen, interessierten, fürsorglichen Umgang eine Entscheidung über das Über_Leben treffen. Wenn Eltern hassen sind ihre Kinder nicht nur machtlos, wie es Kinder nun einmal sind. Dann sind sie ausschließlich über die Gewalt an sie gebunden, denn das ist alles, was Hass will und braucht. Dann ist das eigene Kindsein kein Zustand, sondern ein Status, der keinerlei Bedeutung für das Leben mit den Eltern hat. Es macht dann also weder einen Unterschied noch ein Kind zu sein, noch das Kind dieser Eltern zu sein. Man könnte auch ihre Haustür, ein Stück Klopapier, der Biomüll von letzter Woche sein.

Ich kann mich nicht erinnern schon mal davon gelesen zu haben. Hassende Eltern.
Natürlich wird das oft unterstellt, wenn jemand das eigene Kind getötet hat. Oder anderen zum Töten überlassen hat. Oder sich einfach nicht gekümmert hat. Es ist so leicht zu glauben, dass man nur tötet, was man hasst. So viel leichter als sich Mörder_innen zu widmen. Gewalttäter_innen. Leuten, die getötet haben, ohne so richtig klar zu haben, warum eigentlich.
Wir leben in einer Zeit in der Mütter nicht bereuen dürfen Kinder bekommen zu haben. Wo soll da der Raum für das Thema „Hass auf die eigenen Kinder“ herkommen? Wie soll das kein Tabu bleiben?

Und dann bin da auch ich selbst. Die_r mit dieser kindlichen Wahrheit in Kontakt geht und weiß, dass es für immer eine innere, eine vielleicht ausschließlich traumalogische Wahrheit bleibt, weil wir nie den Tag erleben werden, an dem sie uns sagen: „Ja, wir hassen dich.“ oder „Nein, wir hassen dich nicht.“

Noch so eine Opfersache mit der man Ende völlig allein zurückbleibt.

ein verbindendes Element

In der Autismustherapie sprachen wir darüber, dass Menschen manchmal Dinge sagen und keine Aussage damit machen wollen. Dass sie einander manchmal einfach nur Phasen vortragen, als wären sie Teil des traditionellen Miteinander-Tanzes, über deren Schritte man nicht nachdenkt, die vielleicht unnötig sind aber irgendwie doch dazugehören. Und, dass es weder eine Konzentrationsfrage noch eine Motivationsfrage ist, diese Kommunikationsform zu bemerken. Es ist vielleicht nicht einmal nur eine Frage des Erkennens oder Entschlüsselns, sondern der Ver_Bindung. Das denke ich zumindest jetzt, eine Woche später.

Denn ja, manchmal bemerken wir es nicht, wenn man uns aus einem Gespräch herausphraseln möchte oder auf einer unverbindlichen Ebene des Gesprächs bleiben möchte oder unausgesprochene Ziele verfolgt. Was darunter allerdings leidet, ist in unserem Fall nicht unbedingt das Gespräch, sondern die Bindungsbereitschaft der anderen Person und damit eine Grundlage für das Miteinander als Ganzes.

Wir können es nicht verhindern, wenn Menschen zum Beispiel unangenehm finden, dass wir ihnen auf (für sie) kurz zu beantwortende Fragen, alles antworten, was wir dazu wissen, weil ihre Frage zu unspezifisch für eine kurze Antwort war. Oder wenn sie sich ertappt (oder bedroht) fühlen, weil wir ihnen im Versuch einer Problemlösung statt prosozialer Phrasen eine Analyse mitteilen, in der sie vielleicht nicht so harmlos, lieb und gut gemeint wirken, wie sie sich selber sehen.
Wir können es nicht verhindern – merken aber deutlich, dass wir Erwartungen enttäuschen und deshalb oft unverbunden mit anderen Menschen bleiben oder eine Ver_Bindung haben, die von Furcht vor Exposition, eigennütziger Intention oder Projektion auf uns motiviert und getragen ist.

Es gibt nur wenige Menschen, mit denen wir zu tun haben, die unsere Bemühungen die Erwartungen anderer Menschen zu erkennen (für) wahr_nehmen und noch weniger, die dies nicht als nur traumabedingt einordnen. Denn die Erzählung über komplex traumatisierte Menschen mit DIS enthält nach wie vor auch, dass Kinder zum Überleben davon abhängig sind, immer zu wissen, was von ihnen erwartet wird und immer auch herstellen/präsentieren/machen können, was von ihnen erwartet wird. Und weil sie es als Kinder so perfektionieren mussten, haben sie auch als Erwachsene noch dieses Muster, um sich selbst zu schützen, beziehungsweise darin Sicherheit zu finden.

Auf meiner „Traumaachse“ kann ich das durchaus auch sehen. Ich sehe aber vor allem die Traumalogik darin. Wenn ich aus traumalogischen Gründen, die Erwartungen anderer Menschen erfahren will, dann tue ich das aus Todesangst heraus. Ich habe Angst zu sterben, wenn ich nicht verstehe oder erfülle, was Menschen erwarten, denen ich eine momentane oder generelle Autorität zuschreibe.
Auf meiner „Autismusachse“ bin ich manchmal beeinflusst von meiner Traumalogik, in der Regel jedoch funktioniere ich nach allgemeiner Überforderungslogik und dem folgend nach den Prinzipien der Effizienz. Autorität zum Beispiel ist extrem ineffizient in einem 1 zu 1-Kontakt, also beachte ich sie nicht weiter, sondern konzentriere mich auf den Gegenstand des Kontaktes, um genug Energie dafür bereitzuhalten. Dabei treffe ich keine Entscheidung gegen die Autorität der Person oder gegen das Zeremoniell oder die Person selbst, sondern nur die Entscheidung mich auf das zu konzentrieren, weshalb wir in Kontakt sind. Beziehungsweise das, wovon ich glaube, dass es der Grund für den Kontakt ist.

Das ist etwas, worüber ich mich anderen Innens – auch die, die noch gar nicht orientiert sind, also sich noch im Trauma erleben – nähern kann. Wir teilen die Zerrissenheit etwas auslassen zu müssen, um Kontakte machen, halten, gestalten zu können – die Unverbundenheit mit Menschen, die wir ganz sehen und verstehen, aber nicht gleichermaßen ganz fühlen können – die Fragmentierung, die nicht (nur) (trauma)reaktiv dissoziativ, sondern auf eine Art irgendwie bio_logisch ist – und die Verwirrung darüber, welche Funktion und welche Bedeutung die Erwartung anderer Menschen an uns hat. Besonders dann, wenn diese Menschen gewaltvoll mit uns umgehen.

Willen wollen

Die Regenjacke klebt auf der feuchten Haut, dem feuchten Shirt. „Hat wohl aufgehört zu atmen“, denke ich. „Letzte Dinge für die Radtour“, denkt es mir und schwimmt zwischen Früher und Heute, wie ein Korken mit eigenem Sein.

Ich bin zu dick für Sportsachen, zu dick für Outdoorsachen, ärgere mich darüber, dass ich mich nicht mehr ok fühle und die Mitarbeiterin im Laden mir auf die kurz einärmelten Arme guckt, als hätten die irgendwas damit zu tun.
Es soll schön werden. Ein letztes Mal wollen wir mit NakNak* länger unterwegs sein. Sie spüren, uns spüren, ein gemeinsames Heute haben, das wir nicht mit Arbeit, dem Partner, Bubi, dem tagein Dies tagaus Das teilen müssenkönnensollten. Und so werfe ich mir die tote Jacke wieder auf die Schultern und gehe in einen anderen Laden.
Die Pandemie ist hier vorbei, ich lerne Seitenstraßen kennen, die ich noch nie entlang gelaufen bin.

Angekommen merke ich ihre Aufmerksamkeit auf mir. Warten vielleicht, ob ich mich gleich wieder zu dick und also falsch finde, Er_Warten, ob ich an dem inneren Weinen ertrinke oder mich im Heute halten kann. Ob ich weiter will oder schneller aufgebe. Ob ich weiß, dass etwas zu wollen grundsätzlich falsch ist.

„Das kann ich dir zeigen“, denke ich und stürze mich in die Flut von Zeug und Reiz. Finde ein Oberteil in meiner Größe, gehe in die Umkleidekabine. Spüre meinem Willen nach, merke, wie banane es ist, so etwas wie Willen an etwas so serviertem wie Konsum als in Ordnung markieren zu wollen. Frage mich, ob es wichtig ist so niedrig anzusetzen und ob das überhaupt wirklich niedrig ist oder nur leichter als so etwas Krasses wie sich selber zu wollen – in dieser Gesellschaft, dieser Welt, diesem Heute – durchzusetzen.
Sie ist mir so nah, dass ich sie im Spiegel sehe, ihre Aufmerksamkeit in meine tropft. Ich merke, dass sie mich beobachtet, weil sie sich nicht ertragen kann. Ihre Verletzung, ihren Schmerz, ihren Willen. Das Inferno hinter sich, von dem ich nur Konturen erahne.

„Ist ok“, denke ich. „Ich bin hier und wo ich bin ist es vorbei.“

Sackgasse

„I’m blue da ba dee da ba daa…“ Im Intro von Iron Man 3 läuft dieser Song. Sommer 1999. Die Hitze strahlt von den Häuserwänden, Summertime Sadness. Mein Geschwist ist mir nah, mag diesen Song auch. Die Erinnerung ist wie ein schlafwarmes Bett an einem Morgen dem ein anstrengender Tag folgt. Ich möchte drin bleiben, möchte zurück in diese Nähe, möchte dieses Stück Erinnerung ohne Gewalt ausbreiten und über alles Schlimme der Zeit legen – und mache mir die Realität damit umso schmerzhafter.

Ich google mein Geschwist. Finde es bei Instagram, Facebook, Soundcloud. Merke, wie ich in die Profilbilder krabbeln und jeden Millimeter befühlen will. Wer bist du? Wie bist du? Hast du mich noch lieb? Hab ich dich verlassen oder war ich einfach nur nicht da?
Du erwachsener Mensch, dem ich so fremd sein muss wie er mir.

Wir leben schon lange ohne Kontakt zueinander und das, was fehlt, weil wir keinen Kontakt haben, ist nichts, was unser Leben zer_stört. Es geht schon. Ist nicht schön, ist nicht, was wir je wollten, ist, was wir tun mussten, um nicht noch mehr zu schaden.
Punkt.

Daneben orientieren wir ein Innen aus den Jahren vor dem Sommer 1999. Das heißt, wir versuchen es und verdrehen uns dabei in Zeitgefühlen und Ohnmacht vor dessen Rigidität.
Wieder träume ich von Kindern, die sich das Selbst aus der Hülle schreien. Von Luftnot, von Schmerzen im Körper und Druck auf den Kopf, Davon, dass ich losmuss, schnell, dringend, jetzt sofort, um etwas zu tun, das ich nicht richtig kann. Weiß, dass das Erinnerungen an mein Leben – das Ist dieses Innens – sind. Und kriege es doch nicht zueinander. Es ist vorbei, aber nicht zu Ende. Nicht gut und vielleicht nie wieder gut.

Das ist relevant. Das bedeutet etwas, das kann nicht losgelassen werden. Hier haben wir etwas gemeinsam. Wir können nicht einfach hinnehmen, wenn schwierige Dinge einfach ungelöst bleiben sollen. Und wir haben beide das Problem, dass wir nicht wissen, wie man das schafft. Wie kann man so ein ignorantes Arschloch sein, so ein abgestumpftes Herz, so ein klitzekleiner Geist … ~ so~ sein, dass man Unfertiges einfach liegen lässt. Einfach nicht mehr versucht es zu lösen, zu ordnen, zu verstehen. Einfach … puff … halt nicht.
Es ist ein Mysterium.

Und damit eine Sackgasse.

„And everything is blue for him
And himself and everybody around
‚Cause he ain’t got nobody to listen (to listen, to listen, to listen)…“

follow up „die Update-Reihe“ – ein Versuch

Ich wollte meine Gedanken zur „Update-Reihe“ weiter aufschreiben. Und dann stolperte wieder alles durcheinander. Dieser Text ist mein Versuch zu ordnen.

Es ist diffizil. Komplex.
Mein Hauptproblem an unserer Helfer_innentraumatisierung ist die Dopplung. Die Übergriffigkeit von Hilfe als Konzept und soziale wie kulturelle Praxis und die Angewiesenheit auf etwas, das in unserer Kultur praktisch ausschließlich mit Hilfe beantwortet wird, während alternative Praxen und ihre Theorien kaum einen Raum zur Ausentwicklung erhalten.
Das ist kein Konflikt zwischen „Ich möchte keine Hilfe annehmen“ und „Ich brauche Hilfe“, sondern zwischen „Ich habe ein Problem“ und „Mir wird nur Hilfe angeboten.“

Und dann die Schutz-Reihe. Die Update-Reihe.
R., die_r, so verstehe ich das gerade, seit mehr als 20 Jahren Hilfe sucht, aber nie die bekam, die sie_r brauchte oder wollte? – und heute auch nicht mehr bekommen kann – und ich, die durch übergriffige Helfer_innen oder psychologisch/psychiatrische Kontexte nicht an Kindheitstraumata erinnert wird, sondern an Psychiatrietraumata – und deshalb ein ganz eigenes, anderes, Thema habe als sie_r.

Für mich stehen Widersprüche, Doublebinds, globale Ohnmacht vor unsichtbaren, unansprechbaren, unbeberührbaren Eminenzen, wie „das Team“ oder dem spezifischen „Wir“, in dem Klinikbehandler_innen oder Betreuer_innen sprechen, im Vordergrund.
Der Umstand, dass man für sich sorgen soll, aber das nur in bestimmter Form (häufig welchen, die der Selbsthilfe eher im Weg stehen oder erfordern Grenzen zu übergehen, die in der Regel aus Gründen bestehen); dass man sich als freiwillig gerahmt (be)zwingen lassen soll und das alles nur, weil man nirgendwo anders hin kann.

Ich treffe auf Psycholog_innen oder Psychiater_innen und panzere mich gegen das Gefühl durch Schablonen angeschaut und in Kategorien eingeteilt zu werden. Nicht, weil ich so eine zarte Schneeflocke bin, sondern, weil ich weiß, dass bereits das ein gewaltvoller Akt ist. Dass ich schon in dem Moment Gewalt erfahre, in dem mir jemand sagt, dass sie_r diese und jene Diagnose vergeben könnte oder dieses und jenes bei mir vorliegt, noch bevor ich irgendeine Chance hatte, selbst etwas von mir einzuordnen oder meine eigene Ordnung mitzuteilen.
Ja, ich blute nicht; ja, niemand wird verknastet, weil sie_r eine Diagnose stellt, aber genau diese Erwartung ist das Problem. Wenn immer jemand bluten oder verknastet werden muss, damit etwas als Gewalt verstanden und behandelt wird, dann hat man einfach noch nicht verstanden, was Gewalt ist.

Für mich ist es schwer auszuhalten, wie unscharf die meisten Menschen miteinander umgehen. Wie undifferenziert geredet wird, wie hoch der Anspruch an eine möglichst unterkomplexe Vermittlung von Sachverhalten ist. Wie selbstverständlich erwartet wird, dass man okay damit ist, wenn nicht alles, was dazu gehört auch ausgesprochen, dargestellt oder wenigstens als ausgelassen markiert wird.
Im Kontext der Hilfen steigert sich das noch einmal, weil ich weiß, dass es weder falsch noch zu viel verlangt ist, sondern eigentlich ganz eindeutig zum Prinzip von Diagnose und/oder psychologischer/psychiatrischer Diagnostik und Hilfe gehört, so präzise wie möglich zu beobachten, die eigene Deutung nachrangig der Deutung des_der Klient_in (über bestimmte Kernelemente wie z. B. Leidensdruck, Leidensursache oder was nötig ist, um Leiden zu lindern/beenden) vorzunehmen und die gesamte Arbeit (hier Hilfe) nicht für sich selbst zu leisten oder für alle Patient_innen, die es gibt, sondern für diese_n eine_n Patient_in, die_n man da gerade begleitet/behandelt.

Unsere innere Update-Reihe ist entstanden, weil die meisten Menschen unscharf kommunizieren und mit unscharfen Lösungen zufrieden sind – und entsprechend erwarten, dass alle Menschen so sind. Alle wussten, dass wir ein_e Jugendliche_r sind, die_r Not hat und haben sich auf uns konzentriert – statt auf unser Umfeld oder den Ursprung der Not. In meinen Augen ist das nachvollziehbar aber auch völlig unsinnig. Wir waren nicht das Problem – wir hatten ein Problem. Und das wurde nicht gelöst. Das wurde, wenn man ehrlich ist, bis heute nicht gelöst. Aber man hat unseren Zustand verändert und das wiederum positiv gedeutet. Im Grunde als notwendige Teillösung des Problems.
Dass diese Zustandsänderung besonders in den ersten 7 Jahren nach Ersteinweisung vor allem auf dissoziativen Selbstschutzstrategien beruhten, hat kaum jemand verstanden und noch weniger ändern können. Keine Zeit, kein Geld, hier ne Pille, unzählige Fremddeutungen, die allesamt das Ziel hatten mich_uns als Zentrum von Problemen zu verorten, die ich_wir selber gar nicht als solche wahrnahmen. Das war die Hilfe. Und ja, wäre das alles nicht gewesen, vielleicht würden wir heute nicht mehr leben. Aber hey – wie würden wir wohl heute leben, hätte man 2001 unser Problem gelöst, statt uns?

Und Stichwort Unschärfe.
Man redet von Vielen oft als wären die Innens das Problem oder die Situationen, in denen sie auftauchen. Tatsächlich aber sind wir gewissermaßen die Kanarienvögel in der Mine. Deshalb schrieb ich über unsere Update-Reihe.
Weil es für mich wichtig ist, mich einzuordnen – meinen Bezug zu R. klarzumachen. Sie_r schiebt mich nicht vor, weil sie_r keinen Bock auf Konfrontation hat oder weil sie_r mich als Expertin für Gespräche mit Psycholog_innen einordnet – sie_r macht in dem Moment einfach nur etwas anderes als ich und das ist hochrelevant. Sowohl um sie_ihn zu verstehen, als auch zu verstehen, dass sie_r mich in diesen Situationen nicht wahrnehmen können wird. Zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht irgendwann, mal sehen. Für sie_ihn wird in solchen Situationen vermutlich nicht wahrnehmbar sein, wer ist, wenn sie_r nicht mehr ist. Es wird ihr_ihm gehen, wie mir früher mit anderen Rosenblättern. Man weiß, dass man denkt: „Nein“ oder „…“ und sich ganz zusammenzieht – aber dem nichts folgt, was irgendwie bewusst oder gesteuert ist.

Ja, manche Viele können das, die schicken X zum Einkaufen und verabreden sich dazu, ne Stunde später wieder zu wechseln und haben richtige Schichtpläne für Außenzeit. Wir haben das nicht und können das auch nicht. Wir brauchen das aber auch nicht. Wir wollen unsere Wechsel nicht mehr problematisieren, sondern verstehen, auf welche Probleme hin wir wechseln. Dass wir wechseln können, ist gut. Es ist etwas Gutes. Für uns.
Vielleicht nicht immer für unser Außen und die Menschen, die sich von uns eine gewisse innere Statik wünschen, aber auch das ist keine problematische Eigenschaft von uns, sondern ein Faktor, der zu problematischen Situationen beitragen kann wie jeder andere auch.

Entsprechend glaube ich auch nicht, dass wir allein gucken müssen, wie wir heute mit Hilfe und Helfer_innenthemen umgehen. Wir haben unseren Helfer_innen und Behandler_innen nie verschwiegen, dass wir Widerstände haben, dass man manche von uns schwer aushaltbare bzw. lenkbare Ängste haben und wir vor jedem Termin, jedem Kontakt einige innere Filme und alte Überzeugungen orientieren müssen. Nur direkt in aller Konsequenz verstanden wurde das oft nicht und wir müssen damit leben, dass das vielleicht für immer irgendwie so bleibt.

Das bedeutet für uns nicht, dass wir damit ok sein müssen. Wir lehnen es ab, uns allein in der Sache als Problem oder Fehler anzuerkennen. Nicht weil wir so geil sind, sondern weil es in jedem Kontakt zwei Enden gibt. Auch in dem, in dem die eine Person der anderen helfen soll/kann/möchte.

Neulich hatten wir das Thema Konsens. Im Nachhinein habe ich darüber nachgedacht, dass Hilfe oft etwas ist, in dem kein Konsens ausgehandelt wird, sondern als gegeben angenommen wird. Es wird erwartet, dass man einfach hinnimmt, wenn Mediziner_innen wie Psycholog_innen die Grenzen übergehen, die vor anderen Menschen eher verteidigt werden.
Entsprechend ist in unserem Fall logisch wie Wasser nass ist, dass wir als Einsmensch mit der Ausentwicklung von Fähig- und Fertigkeiten, die in solchen Situationen schützen reagieren und kein Fehler. Es sollte auch kein Problem darstellen.
Es wird und wurde in unserem Leben immer wieder ein Problem, weil Hilfe als grundsätzlich konsensuell gedacht wird – und nicht als Ergebnis konsensorientierter Verhandlung. Es wurde immer wieder ein Problem, wenn wir es mit Mediziner- oder Psycholog_innen zu tun hatten, die das Bewusstsein dafür verloren haben, welche Rolle ihre Funktion (!) im Leben allgemein, aber auch speziell in der Behandlungs-/Diagnostik-Situation spielt.

Schönes Beispiel dafür war unser Klinikaufenthalt 2016, der – je länger wir darüber reflektieren (und ja, das tun wir bis heute jede Woche mindestens einmal und werden nach wie vor davon belastet) – schon deshalb zum Scheitern verurteilt war, weil man nie ins Aushandeln über Behandlungsziele, Grenzen, Themen oder mögliche Strategien, zur passenden Verständigung ging, sondern direkt ins Be_Handeln basierend auf ungeprüften, unreflektierten Vorannahmen, die man sich über unkritisch hingenommene Projektion und ein Erfahrungswissen, das vielleicht gar nicht mal so wirklich auf uns anwendbar war, gebildet hat.
Was da passiert ist, würde mir auch passieren, wenn ich eine E-Mail von jemandem bekäme, die_r im Nebensatz erwähnt, dass sie_r ein Buch schreibt, und einfach mal eine Buchsatzvorlage zusammenklöpple, statt mich auf das zu konzentrieren, was in der E-Mail steht. Ich bräuchte mich nicht wundern, wenn die Person mich abwehrt und sagt, dass sie etwas anderes von mir möchte. Ich bräuchte nicht die Person zum Problem machen, müsste sie nicht abwerten oder pathologisieren, sondern schlicht mich selber fragen, ob ich eigentlich noch alle Spatzen in der Hecke habe.

Oft, wenn wir zu unserer Helfertrauma-Thematik schreiben, erfahren wir Solidarität gegen Helfer_innen. Gegen die Psychiatrie. Das ist nett, aber auch eine Wiederholung des Problems, das wir beschreiben.
Es geht mir nicht darum einzelne Personen, einzelne Hilfesysteme zu kritisieren. Oder aufzuzeigen „wie kaputt das System eigentlich ist“. Es ist nicht kaputt. Es funktioniert hervorragend. Und das ist das Problem.

Uns geht es um Macht. Speziell die Macht der Institution und das Verhalten, mit dem man als Individuum aber auch als Gesellschaft diese Macht erhält, statt sich selbst (wieder) zu ermächtigen oder der ganz eigenen Macht über sich den gleichen Raum zu geben, zu lassen, zu erkämpfen. Das ist unser Ding. Unsere Ohnmacht vor Problemen und der Zwang dazu ohnmächtig zu bleiben, weil andere bestimmen, was ~eigentlich~ ~“das Problem“~ ist und wie man ~eigentlich~ ~“am Besten“~ damit umgehen sollte oder müsste, um in diesem Gesellschaftssystem nicht unter dessen kultureller wie sozialer Praxis zu leiden.

Ich glaube, dass ich R.s Thema darunter summieren kann. Ich glaube nicht, dass sie_r ein ganz grundlegend anderes Problem hat als ich. Aber ich kann nicht einfach davon ausgehen, dass sie_r genau das auch als Problem markiert. Ihre_Seine Erfahrung ist eine andere. Ihre_Seine Angewiesenheit ist eine andere. Ihre_Seine Werte und Loyalitäten sind andere als meine. Es kann sein, dass es um total konkrete Dinge geht. Um irgendetwas, das damals eine ganze Welt war – vielleicht auch genau nur ihre_seine Funktion. Da hat es überhaupt keinen Sinn zu schauen, wovor sie uns geschützt hat – sondern wen sie_r warum zu schützen versucht hat.

Mir diese Frage zu stellen hat mir in der Auseinandersetzung darum, ob wir uns auf das Angebot der Therapeutin einlassen oder nicht sehr geholfen. Ich habe verstanden, dass ich in der Situation nicht nur Ja oder Nein wählen konnte, sondern auch Wie und Wozu.
Wen habe ich geschützt, als ich darüber nachdachte, ob wir ohne therapeutische Begleitung an unserer Traumaverarbeitung arbeiten und wem habe ich geholfen, als ich der Therapeutin sagte, dass wir es weiter versuchen können, aber diese Thematik nicht wieder umpriorisieren dürfen, wenn das was werden soll?
Ich habe darauf keine konkreten Antworten bekommen, aber wieder deutlich gespürt, dass es richtig und wichtig ist, mich nicht als ~irgendwie Handelnde~ zu verstehen, sondern als Re_Agierende. Als ein System, das für andere Systeme innen Sinn ergibt.

note on: Selbstvertretung von Vielen, die nicht selbst sind

Vor einigen Wochen hatten wir Kontakt mit jemandem die_r Viele ist und uns lange beschäftigt hat, weil uns die Person irgendwie leer vorkam. Nicht im Sinne von „hat keine Hobbys“ oder „hat keine Gefühle gezeigt“, sondern eher im Sinne von „hat keine Persönlichkeit“ oder „ist nicht greifbar“. Also ein klassisches Schutz- und Abwehrverhalten von Menschen, die Viele wurden, weil Menschen, auf die sie angewiesen waren, sie misshandelt haben.

Es hat mich beschäftigt, weil es Wut in mir ausgelöst hat. Wut und Aggression.
Und später die Frage, wie man Menschen, die so sein müssen oder wollen (oder auch einfach so sind) in eine mehr oder weniger organisierte Selbstvertretung integrieren könnte.
Als ~“Aktivistin“~ zeigen mir solche Menschen auf, dass sich selbst zu vertreten, sich für die eigenen Belange hörbar zu machen und Forderungen zu formulieren, einfach „high level“ ist. Man muss entweder schon einigermaßen weit in der Therapie sein oder sehr privilegiert im eigenen sozialen Netz, um eben nicht beim kleinsten kritischen Unterton, beim ersten Konflikt, einer Meinungsverschiedenheit oder schlicht „grad keinen Bock haben, wenn alle lostoben wollen“ zu einer waberig ätherischen Masse zu werden, und sich aus der Situation zu verpdissen.

Aber was macht man denn dann als Community, die sich selbst vertreten will?
Das Leben ist bedrohlich. Menschen haben Konflikte. Selbstvertretung bedeutet, sich vor Menschen für das eigene Leben einzusetzen. Es ist eine Triggerbombe 3000. Aber wenn man weiter zulässt, dass ausschließlich Psychologie, Medizin, profitorientierte Medien oder praktisch entmenschlicht organisierte Stellvertreter_innen-Organisationen über Viele sprechen und sie so definieren, wird das auch immer so bleiben.
Und wenn immer nur die aktiv sind, immer nur die gehört werden, die das schon können, dann werden diese Leute zu Stellvertreter_innen, für jene, die es noch nicht können. Man würde also im Kleinen wiederholen, was im Großen schon problematisch war.

Ich habe gemerkt, dass ich anfange, mich zu fragen, ob manche Menschen das aber auch gar nicht anders wollen.
Dass sie uns sagen: „Yeah Selbstvertretung!“, weil sie wissen, dass wir keinerlei Vorteile darin erkennen, sich von Autoritäten beschreiben und behandeln zu lassen, statt selber zu schreiben und zu handeln. Und weil sie wissen, dass wir sie in ihrer Haltung kritisch herausfordern würden. Allein schon durch die Frage: „Wie sieht du dich selbst?“ oder schlimmer noch: „Wer bist du und was möchtest du für dich erreichen?“

Heute Morgen dachte ich, dass das vielleicht einfach nicht zu lösen ist. Man hat die gleichen Spannungsfelder auch in politischen Gruppen. Und Widersprüchlichkeit ist ja auch, was Viele ausmacht. Es ist eben genau die Problematik, nicht an sich selber heranzukommen. Genau dieses Ausgeliefertsein vor den eigenen Schutzmechanismen, die von anderen Menschen dissoziieren, auch wenn man sich die Verbindung sehr wünscht. Vielleicht können die Vielen nur von ihrer Existenz vertreten werden und sonst nichts.
Das ist machbar, wenn man sie als Menschen an.erkennt, erfordert jedoch, unsere Gesellschaft entsprechend zu bilden und ihre kulturellen wie sozialen Praxen dahin gehend zu beeinflussen. Und wie sieht es an der Stelle aus? Man lässt Menschen im Mittelmeer ertrinken, Polizisten junge Menschen töten, man plant den Tod von Menschen am gleichen Reißbrett wie die Profite von Konzernen.

Ist das vertretbar?

zum Weltautismustag 2021

Gerade setzen wir „Sprechen und Schweigen über sexualisierte Gewalt, Ein Plädoyer für Kollektivität und Selbstbestimmung“ von Lillian Schwerdtner (Link zur Verlagsseite). Es ist ein Buch, in dem mit vielen Fußnoten beschrieben wird, wer wann wie wo mit welcher Wirkung und warum über sexualisierte Gewalt spricht oder schweigt.
Während ich von Absatz zu Absatz scrolle, klicke, setze, verwebt sich in mir die letzte Therapiestunde – in der über erfahrene sexualisierte Gewalt gesprochen wurde – mit mir. Ich erfahre von den Gedanken eines Kindes, von einem Moment, in dem Bewusstsein über Unbewusstsein für alles außerhalb des eigenen Funktionierens auf dringenden Hilfebedarf von außerhalb trifft. Begreife, dass wir vielleicht nicht auf den Punkt des Innens gekommen wären, wüssten wir nicht vom Autismus und nicht, was „unser Autismus“ ist.

„Vielmehr wird Sprechen über sexualisierte Gewalt regelmäßig für Zwecke instrumentalisiert, die mit den Intentionen und Bedürfnissen der Sprechenden nicht übereinstimmen oder diesen sogar entgegenlaufen. Die Offenbarung von Erfahrungen sexualisierter Gewalt wird in solchen Fällen etwa zur Reproduktion und Rechtfertigung sexistischer, rassistischer oder klassistischer Vorurteile missbraucht“, fliegt aus dem Buch an mir vorbei und berührt einen Punkt, an dem ich zum Weltautismustag morgen kaue.

Seit wir hier darüber schreiben, werden wir öfter angeschrieben von Vielen, die sich „autistisch fühlen“ oder als Erklärung für „nicht traumabedingtes Verhalten“ Autismus heranziehen und sich fragen, wo man als erwachsene Person zu einer Diagnose Diagnostik kommen könnte. Wir antworten immer was wir können und wissen, urteilen nicht, wollen helfen und schaffen das wohl manchmal auch.
Aber.
Die Vorurteile bemerken wir auch. Die Annahmen, was Autismus sei und woran man ihn erkenne. Die Idee, Autismus sei eine Traumafolgestörung, eine von den ganz krassen ultra deepen für immer bestehenden Verletzungen, die man nicht sieht, aber eindeutig angetan wurden. Voll logisch bei Opfern. Die ja, ebenfalls voll logisch, auf jeden Fall für immer und ewig davon gezeichnet sind, was ihnen passiert ist und nur durch unfassbare Stärke/ein Wunder/ganz exzellente Traumatherapeut_innen Traumatherapie so etwas wie unauffällige Alltagsfunktionalität hinkriegen.
auch die ableistischen Vorurteile über Autismus und autistische Menschen bemerken wir. Das Konglomerat aus dem sich das Bild des zarten, weißen, cis, hetero und ergo zutiefst unschuldigen autistischen Mädchens ergibt, welches eigentlich super klug/konzentriert/über_natürlich ist und alles hätte sein und schaffen können, müsste es nicht immer schaukeln, weil es Zentrum der Gewalterfahrung war und durch die Unwillkürlichkeit der global überfordernden, schrecklichen, gewissermaßen retraumatisierenden Erinnerungen, praktisch immer wieder zum Opfer wird.

Wir stellen uns nicht so dar, schreiben nicht so, weder über „unseren Autismus“ noch über unsere Gewalterfahrungen bzw. unser Er_Leben mit deren Folgen, sodass wir uns nicht als Ursache für diese Vorurteile sehen müssen. Wohl aber werden unsere Erzählungen benutzt, um im Weltbild anderer Menschen Sinn zu erzeugen, den sie für sich annehmen und in ihre Selbstsicht integrieren können. Was nicht mit Absicht passieren wird und erst recht nicht mit dem Bewusstsein dafür, was das mit uns persönlich und dem, was wir hier erreichen wollen, macht, aber – as always – geht es bei getaner Gewalt nicht um Absichten, sondern um Verantwortungsübernahme und Veränderung, um (wieder) gut zu machen.

In meinem Text zum Weltautismustag wollte ich meine Unzufriedenheit über die Besonderisierung autistischer Menschen, die mehrfach marginalisiert sind, zum Ausdruck bringen und formulieren, wie frustrierend es ist, dass ebenjene Mehrfachmarginalisierung als Begründung für diese ausschließende Zuordnung herangezogen wird. Nun denke ich, dass ich mir das auch schenken kann, weil der Raum, in den wir hineinerzählen, einer ist, der unsere Erzählung einfach nicht aufnehmen, begreifen, ver-ich-lichen will, sondern einer, der uns als Quelle fremder Einflüsse wahr.nimmt und benutzt. Auch schon tausend Mal aufgeschrieben.

Schon die Einordnung in „Betroffene“ und „alle anderen“ ist ein Problem. – Auch eine schöne Fußnote in dem Buch übrigens: „If it takes a village to raise a child, it takes a village to abuse one.“ [1] – Ich weiß nicht, wie oft, wie lange, mit welcher Performance, zu welchen Punkten in der Geschichte noch erzählt werden muss, dass es so etwas wie „Unbetroffenheit“ nicht gibt, wenn Menschen anderen Menschen Gewalt antun. Wir sind nicht alle eins, aber die Welt ist ein Dorf und außer den Tod gibt es keinen realen Ausschluss.
Realer, wirklicher Ausschluss würde es ermöglichen, ganz eigene Strukturen zu entwickeln. Wir könnten sie einfach haben die Nachwachshäuser, die Dörfer voller Autis, Depressiver oder Zwängler_innen und könnten drauf kacken, was die Normalen machen. So läuft es ja aber nicht. Und zwar, weil es diesen Ausschluss braucht. Er wird gebraucht um normal, funktional, fähig zu definieren.

Scheiße ist das.
Und Realität.

Eine, in der ich mich frage, ob, wenn ich hier veröffentliche, was ich über „unseren Autismus“ lerne und verstehe, dies als Vorlage missbraucht wird, um sich nicht aufrichtig mit sich selber und den Gründen dafür zu befassen, weil es nach wie vor die Denke gibt, ausgeschlossene Menschen könnten nicht selber ausschließen, Verletzte nicht selbst verletzen, als „richtig echte Opfer“ eingeordnete Menschen, nicht selbst der Grund dafür sein, dass es „nicht echte Opfer“ gibt.
Dafür muss ich keine Verantwortung übernehmen und das wird auch nie der Grund sein, hier nicht mehr zu veröffentlichen – aber: Es braucht alles das hier nicht, um zu wissen, dass es das gibt. Ich brauche das hier für mich und mache es für alle zugänglich, weil ich damit nicht allein sein möchte. Das ist das eigentliche Dilemma und das, was mich einfach sehr schmerzt: Der Versuch, der Wunsch, das zutiefst menschliche Bedürfnis, sich mit einer Gesellschaft zu verbinden, von der nicht zu erwarten ist, dass sie sich gemeinsam mit mir macht, weil sie sonst anerkennen müsste, was sie Menschen wie mir warum antut und sehr viel ändern müsste.

 

[1] Brachmann, Jens (2019): Täter, Tätersysteme, Ermöglichungsbedingungen sexualisierter Gewalt. In: Jens Brachmann (Hg.): Tatort Odenwaldschule. Das Tätersystem und die diskursive Praxis der Aufarbeitung von Vorkommnissen sexualisierter Gewalt. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, S. 27–311.

Und was, wenn..?

Ganz oder gar nicht, das ist etwas, was uns häufig als problematische Haltung eingeordnet wird. Oft, weil man denkt, wir würden traumalogisch urteilen, manchmal weil man selbst mehr als zwei Optionen zu sehen glaubt und uns diese Alternativen vorschlagen möchte.

Ja, wir sind ein rigider Mensch. Sehr scharf, sehr klar, sehr starr in unseren Entscheidungen. Einmal etwas angenommen, wird es schwierig etwas davon wieder aufzulösen. Das gilt im Positiven wie im Negativen. Wir sind konsequenter als viele andere Menschen und hartnäckiger. Damit sind wir aber auch nerviger und verursachen mehr Umstände als viele andere Menschen.
Wenn wir wissen, was wir wollen, dann tun wir alles, was nötig ist, um es zu erreichen. Auch, wenn wir eigentlich nicht mehr können. Auch, wenn es vielleicht für alle anderen Menschen als zum Scheitern verurteilt erscheint. Wir ziehen durch, weil wir uns durchzuziehen vorgenommen haben.

Wir haben uns vorgenommen zu leben, also sind wir ausgestiegen, haben angefangen zu essen, zu trinken, uns zu versorgen. Obwohl es weh getan hat, obwohl es schlimm war und manchmal noch heute ist. Wir ziehen das durch mit allen Konsequenzen. Das war eine Entscheidung und damit in unserem Empfinden keine Wahl mehr. Wir hätten wählen können, ob wir uns entscheiden oder nicht, aber einmal entschieden ist ent_schieden, also vereint auf die eine Linie.

Fehlannahmen sind für uns schwierig, aber lösbar. Wir treffen unsere Entscheidungen in der Regel basierend auf Fakten und Erfahrungswerten. Stimmen die Fakten nicht oder sind unvollständig, fällt es leicht, die darauf beruhenden Entscheidungen zu widerrufen und zu neuen Einsichten zu gelangen.
Was aber bei Dingen, die eine Folge unserer Entscheidungen sind und selbst eine Entscheidung abverlangen?

Wir können bei unserer Entscheidung für das Leben bleiben, sind aber dennoch mit den Entscheidungen über unsere Lebensqualität konfrontiert. Ist unsere Lebensqualität nicht gut, müssen wir unsere Entscheidung für das Leben neu überdenken, was wir nicht mehr wollen. Wir wollen nicht mehr infrage stellen, ob wir leben wollen, können, dürfen, sollten. Und doch müssen wir auch diesen Strang immer mitdenken. Denn entweder wir denken vollständig über Dinge nach oder nicht. Wie tragisch wäre ein halb durchdachter Suizid, wie grauenhaft ein halb erfülltes Leben?

Unsere Neurologin regte mich, in Bezug auf unser Therapie~ding~, dazu an, auch daran zu denken, dass die von uns gewollte Traumaverarbeitung als Therapieziel vielleicht nicht erreichbar ist. Ein Gedanke, den wir von Beginn der Therapie an vermeiden, um so wenig Raum wie möglich dafür entstehen zu lassen, dass das, was wir da tun sinnlos, falsch, zum Nachteil von anderen belasteten Menschen und der Therapeutin sein könnte. Wir wissen, dass, sobald wir dem Raum geben, der Fall in Altes sofort folgt. Traumawahrheiten wie „Du kannst nichts dagegen tun“, „Es wird nie aufhören“, „Was hast du gedacht – hast du gedacht, du könntest irgendwas bestimmen/kontrollieren.“ und Ähnliches senken unsere Therapiearbeitsmoral, lassen uns Kraft verlieren und am Ende auch Lebensqualität. Es wird schwierig nach innen zu motivieren und unmöglich innere Bünde aufrechtzuerhalten, die komplett auf Hoffnung und Vertrauen in die Möglichkeit der Zielwerdung beruhen.

Seit wir mit der DIS diagnostiziert sind, haben wir als Therapieziel, das Erfahrene zu verarbeiten. Seit 18 Jahren trägt uns diese Entscheidung und seitdem nehmen wir es als Auftrag an uns als Patient_in an. Wir müssen wollen, wir müssen therapiearbeitsfähig sein, wir müssen unsere Vermeidungsstrategien erkennen und auflösen, denn das ist unser Ziel. Traumaverarbeitung, um klarzukommen, um ein insgesamt befriedigendes, erfülltes, selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Weil in den letzten Jahren vor allem die Vorarbeiten für dieses Ziel im Vordergrund standen, war nie Thema, ob es überhaupt wirklich erreichbar ist. Was wenn nicht? Was machen wir dann? Sind wir bereit unser Leben lang, mit unverarbeitetem Trauma zu leben? Mit Flashbacks, mit Alpträumen, mit dissoziativen Brüchen, mit biografischer Amnesie, mit all dem psychosomatischen Kladderadatsch? Als wir uns für das Leben entschieden haben, haben wir uns nicht für so ein Leben entschieden, sondern für eines, das wir uns gut gestaltet haben würden. Eins ohne Trauma als alles bestimmende Größe.

Ich bin nicht bereit für so ein Leben. Für irgendeine funktionale Vermeidungsstrategie. Für dunkle Geheimnisse oder unberührbare Themenzonen haben wir nicht Kraft, nicht dauerhaft, nicht den Rest unseres Lebens.
Ja, „der Rest unseres Lebens“ ist wieder eine sehr absolute Aussage. Ja, wer weiß, was in 10 Jahren ist blablabla – aber die 10 Jahre müssen erstmal gelebt werden. Irgendwie muss man ja aushalten, zu leben ohne Aussicht auf eine Veränderung oder natürliche Auflösung der Schwierigkeiten. Ich bin nicht bereit, mich durch 10 scheiß Jahre zu quälen, nur weil danach eventuell vielleicht irgendetwas passiert, das alles anders macht als jetzt.
Wir sind Mitte 30, wir haben noch so viel mehr Zeit für ein geiles Leben mit ordentlich aufgeräumter Traumascheiße auf dem Dachboden, wie um alles in der Welt könnte ich mich damit ok kriegen, das nicht zu erreichen? Und wozu? Und für wen?

Ich würde damit sagen: „Ja, gut, gibt halt keine oder nicht die richtigen Therapieformen oder -mittel, dass ich das hinkriege“ und die Hände in den Schoß legen, weil ich halt kein_e Therapieform- und mittel-Ausdenker_in bin, sondern irgendwelche Leute, die bei ihren Formungen nicht an autistische traumatisierte Menschen denken.
Und wie zum Henker soll mich das kaltlassen. Warum um alles in der Welt soll ich das ok finden und mich halt damit abfinden, dass es ist wie es ist, kann man nix machen, muss man halt leiden.
DAS IST DOCH DER GLEICHE SCHEIß WIE FRÜHER UND OB ICH DAFÜR 18 JAHRE PSYCHOTHERAPIE GEMACHT HAB WILL ICH WISSEN

Atmung

Nein, es ist keine Option. Kann es nicht sein.
Wir haben uns für etwas anderes entschieden und vielleicht schützt uns, unsere Rigidität an dieser Stelle vor etwas, das uns das Leben kurz erleichtert, weil es uns einen Kampf abnimmt, aber auf lange Sicht nicht dazu beiträgt überhaupt für sich einzutreten, sich um sich zu kümmern und also an der eigenen Lebensqualität mitzuwirken.

Vorbereitung mit dem Begleitermensch

Ist es eine Angewohnheit oder beobachte ich gerade wie ihre Selbstverletzung aussieht, ich weiß es nicht. Und egal ist es mir eigentlich auch. Wir sind nicht mehr an eine Therapie gebunden, in der es zu den Regeln gehört, Selbst_Verletzungen zu versorgen und zu besprechen.
Sie beißt sich in die Fingerkuppen, quetscht sich die Lippen an den Zähnen taub und beobachtet die Bilder, die wir beide sehen.
Fünf Erwachsene mit Zetteln auf dem Tisch, im Halbkreis vor ihr, das Fenster im Rücken, dessen Licht sie blendet. Ich merke, dass sie voll in ihrem Ding ist und ich nicht. Für mich ist das ein Stummfilm, den ich ähnlich künstlich nachvollziehe, wie sie meinen Heutealltag.
Ich warte auf einen Anruf vom Begleitermensch. Wir sind verabredet, um einen Termin mit der Therapeutin vorzubesprechen. Ich weiß nicht mehr, wieso ich dachte, das wäre eine gute Idee. Weiß nicht mehr, was mein erwachsenes Ziel an dem Termin war. Und als ich darüber nachdenke, was die Ziele der anderen gewesen sein könnten, stoße ich an ihr Trauma und rutsche ab.

Sie fragt ihn, wozu wir den Termin denn machen. Kriegt die Antwort nicht prozessiert. Wackelt zwischen Abwehr dieses Erwachsenen, der diesen Termin ermöglicht hat und Ab_Tasten nach einer Ver_Bindung. Ihr Stress spült mich immer weiter weg und macht es ihr gleichzeitig immer schwerer sich zu halten. Dann fällt mir auf, dass er ihr eine Brücke zu bauen versucht. Das löst mich aus ihrem Erinnerungssturm.
„Was soll denn nicht passieren?“, fragt er. „Sie solln nich so reden und dann hängt alles an mir und ich bin selber schuld, dass es nicht aufhört. Ich weiß, dass es nicht meine Schuld ist. Sie soll nich sagen es ist nicht meine Schuld, aber es ist doch meine Schuld, weil sie wegen mir weg ist.“
Ich merke, dass sie mit ihrer Antwort nicht unbedingt etwas für ihn erklärt, aber ein Stück Brücke zu ihm angelegt hat. Er wird antworten und sich sichtbar machen, da bin ich sicher. Sie werden sich irgendwie verbinden, ohne sich gegen die Therapeutin zu verbünden. Das ist anders und gut. So als ob man etwas mit Kraft und Gewalt stemmen könnte, aber dann eher im richtigen Winkel hebt.

Sie glaubt nicht daran, dass es klappt und ich lasse ihr das, um den Kontakt nicht zu zerstören. Ich glaube selber nicht daran. Weiß, dass ich hingehe, weil ich keine andere Möglichkeit habe, wenigstens für mich irgendetwas an der Sache zu verstehen.

Aber ja, es ist wie die Hilfeplangespräche, die Klinikvisiten, die Patienteninquisitionen zur Besiegelung jedes Abbruchs, der uns mit allem allein gelassen hat. Ohne Halt, ohne Hilfe, ohne Perspektive und viele Male auch zurück in die Gewalt, von der alle wussten, die aber niemand zu beenden fähig oder willens war.

Dass ich verstehen will, ist neu. 2016 Klinikkonfliktrest-neu.
Aber kein Raum für Hoffnung oder Illusion. Am Ende bleiben wir allein und müssen aus uns selber entwickeln, woraus wir Halt und Kraft, sich halten zu können, ziehen. Zu verstehen, warum das so ist, wird mit aller Wahrscheinlichkeit alles noch viel unerträglicher machen. Denn Wissen ist eben nicht gleich Macht.