Autismus und Trauma(therapie)

Unsere Form der Orientierung passiert am Handeln anderer Menschen.
Die Traumakomponente dabei ist die Furcht vor dem Fehler, da der Fehler als Ursache von Gewalt und damit Schmerz, (Lebens)Gefahr und Mangel erlernt wurde.
Die Autismuskomponente ist, dass zu Handeln für uns aktiv und bewusst eingeübtes Copy & Paste ist. Immer noch. Während die meisten Menschen diese Strategie anwenden, wenn sie neue Dinge lernen und einüben, wenden wir das bei praktisch allen Tätigkeiten an. Dabei geht es – besonders heute, wo keine akute Gewalt mehr droht – nicht um den Versuch ein „richtiges“ oder „perfektes“ Ergebnis zu erreichen, sondern darum, es richtig zu machen. Denn auch mit der Art, wie man handelt kommuniziert man mit anderen Menschen. Aus unserer Sicht kommuniziert man darüber besonders Zugehörigkeit und Anerkennung, manchmal sogar Wertschätzung, für den Umstand der Zugehörigkeit oder auch der Notwendigkeit von Zugehörigkeit in diesem Kontext.

Die fragmentierte Selbst- und Umweltwahrnehmung mit der wir leben, stellt bei diesem Unterfangen oftmals die eigentliche Behinderung dar. Wir brauchen länger als andere Menschen, um komplette Handlungsstränge zu erfassen, zu prozessieren, mit unseren Fähig- und Fertigkeiten abzugleichen und sie 1 zu 1 zu kopieren. Sich selbst nicht kontinuierlich spüren, erfassen und reflektieren zu können, bedeutet zusätzliche Zeit- und Raumaufwendung. Noch mehr, wenn es um Aktivitäten geht, die kritischer Prüfung bedürfen, weil sie MIssbrauchspotenziale enthalten oder zu direkten und indirekten Schäden an uns oder anderen führen.

Anpassung ist ein Vorteil in evolutionären Prozessen. Anpassung geht über „Unauffälligkeit“ weit hinaus.
Anpassung kann auch bedeuten so auffällig zu sein, wie andere eine_n haben wollen oder (für ihr Gewaltkonzept) brauchen. Anpassung kann auch bedeuten, immer weiter leben, überleben zu wollen und Sterben zu verhindern, weil sonst niemand anderes in der direkten Umgebung sterben will, sterben erlaubt oder Suizid duldet.
Es ist nicht zu unterschätzen, an wie vielen Punkten Zugehörigkeit und dazu nötige Anpassungsleistungen zutiefst menschliche Instinkte überblenden. Vor allem dann nicht, wenn man es mit Opfern von (organisierter) Gruppengewalt zu tun hat.

Auch hier müssen wir uns mit zwei Seiten befassen.
Auf der Traumaseite steht ein abhängiges Kind, das instinktiv (aber vielleicht doch auch sehr sehr früh bewusst) weiß, dass es Bezugspersonen braucht, um zu üb.er_leben und sich an die Gruppengewalt (die Familiengewalt)-Kontexte anpasst, um das eigene Leben zu schützen und auf der Autismusseite steht ein Kind, das diese Anpassung nicht schafft, weil es nicht alle sozialen Hinweise, nicht jede Ebene der Kommunikation und Interaktion so erfasst, dass die Anpassung zufriedenstellend (im Sinne von umfassend, „nahtlos“) passiert.

Man darf nicht vergessen, dass Anpassung an soziale Kontexte, zwischenmenschliche Interaktionsmuster und -praktiken die Zugehörigkeit kommuniziert. Und auch, ob man diese Zugehörigkeit stärken, wertschätzen oder herausfordern will. Zugehörigkeit trägt in nicht unerheblichem Maße zur Identitätsentwicklung bei. Wer zur Familie gehört, ist Familie. Wer zur Gruppe gehört, ist Gruppe.

Zugehörigkeit kann man gut vorzeigen. Vor allem mit einem umfassenden Repertoire von verbalen Skripten und Handlungsabfolgen in einem sozialen Kontext, dessen Kommunikation von Unschärfe und Ungenauigkeit geprägt ist. Häufig reichen nachgemachte Gesten ohne jede eigene, innere, emotionale Verbindung, damit sie ihre Funktion bei anderen Menschen (unbewusst) erfüllen. In der Regel reicht eine bestimmte Begrifflichkeit zu verwenden, um etwas zu beschreiben und dem Gegenüber damit zu sagen: „gleicher Kontext“, „gleiches Thema“, „Ich weiß, was du meinst“, „Ich weiß, wo du (inhaltlich) bist.“

Die Einsamkeit, die wir oft empfinden, speist sich aus genau diesem Umstand.
Wir fühlen uns nicht zugehörig. Wir fühlen uns wenn überhaupt verbunden. Und diese Verbundenheit produzieren wir über Kognition.
Die Person hat mich geboren – sie ist meine Mutter. Diese Person hat meine Mutter schwanger gemacht – das ist mein Vater. Diese Personen dürfen Dinge über mich bestimmen, die ganz konkret und direkt meine Er_Lebensqualität auf einem Spektrum von angenehm, gut, nährend bis unangenehm, schlecht, mangelnd beeinflussen und das ist (in wechselndem Rahmen) ausschließlich über folgende Gesten, Worte, Wortabfolgen, Mimiken steuerbar.

Als Kind und Jugendliche mussten wir mehr leisten als heute, weil wir mehr Autoritäten unterworfen waren. Die ganze Welt bestand für uns aus Menschen, die wir in ihrem Bezug zu uns erfassen und ertragen mussten. Heute als erwachsene Person dürfen wir Unverbundenheit mit Fremdheit synonym verwenden und unsere Energien in den Ausbau unserer Kontakte und Bindungen fließen lassen.

Das erscheint uns an manchen Stellen, wie ein Entwicklungsschritt, den andere Menschen in der Zeit zwischen 10 und 20 Jahren machen. „Hier bin ich, ich bin so, ich gehöre zu dem und dem und das das und das nicht.“.
Wir sind in einigen (psychischen) Entwicklungsschritten erheblich verzögert. Schon der Umstand erst mit 21 zu erfassen und zu begreifen, dass jeder Mensch einen eigenen inneren Kosmos hat, der bei allen anders ist und es entsprechend gar nicht unser Ziel sein muss, unseren zu verändern, um weniger einsam und fremd mit ihnen zu sein, deutet darauf hin.
Die Trauma-Erklärung dafür ist: „Abgrenzung – ihr habt gelernt, dass ihr nichts eigenes haben dürft und deshalb habt ihr nie eine Grenze zugelassen (durftet keine Grenzen entwickeln) zwischen euch und denen, die euch überlegen waren (also allen/der ganzen Welt)“
Unsere Erklärung damals: „Da ist ein Unterschied, der uns trennt, was uns gefährdet und wo wir, egal was wir mit welchem Drive versuchen, nicht drüber kommen, sondern nur überdecken können. Wir gehören nicht dazu, aber alle Kognition sagt, dass wir es tun. Hier passiert ein unaushaltbarer Widerspruch, den wir weder kommunizieren noch auflösen können.“ blieb unverstanden, weil sie immer wieder von „autistisch“ zu „neurotypisch“ zu „traumatisiert“ übersetzt wurde.
Bibel-religiöse Menschen können verstehen, was für fatale Probleme dadurch entstehen, wenn etwas zu oft in zu weit auseinanderliegende Sprachen übersetzt wurde.

Unsere Geschichte enthält lange Abschnitte psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Es hat nicht geholfen die eigene Alexithymie niemals ausdrücken zu dürfen bzw. nicht als solche anerkannt zu wissen, weil die allgemeine Übersetzung ausschließlich „Bedrohung für andere“ (krasser Fall von Psychopathie/ verletzt ohne Mit_Gefühle/ wurde auf Gefühlskälte programmiert (traumatisiert)) oder „absolute Zerstörung des Eigenen“ (armes traumatisiertes Huschi ist völlig zerstört/dissoziiert von den eigenen Gefühlen/darf (durfte) nicht mal was empfinden) für ihre Auswirkungen bereithält.

Die Anpassung an die Lebensumstände der Psychiatrie und der Behandlungskontexte der Psychotherapie decken wir noch heute an unerwarteten Stellen auf.
Zuletzt am Begriff der Reorientierung.
Da wir schon so lange in Therapie sind, schon so viele Fremdwörter benutzen, um bestimmte Themen zu umreißen und Gespräche schneller an ihren Punkt zu bringen, wird schnell vergessen, dass wir in der Regel skripten, wenn wir Lautsprache verwenden. Das bedeutet, dass wir (Fremd)Wörter verwenden und das auch inhaltlich angemessen, sie aber mitnichten auch immer mit uns in Verbindung bringen können, wo die Verbindung auch wirklich ist.

Am Beispiel der Reorientierung ist das meiner Ansicht nach besonders fatal, macht doch die Re_Orientierung einen erheblichen Teil dessen aus, was nötig ist, um erfahrene Traumatisierungen zu verarbeiten und zu integrieren.
Erst nach bald 18 Jahren Traumatherapie zu verstehen, dass Re_Orientierung nicht nur meint, dass alle von uns wissen, welches Datum wir haben und, dass wir der Familie*° nicht mehr ausgeliefert sind – als Information! – ist eine solche unerwartete Stelle.
Eine mit erheblichen Auswirkungen und Krisenpotenzial.

note on: Sprachführung um sexualisierte Gewalt/sexuellen Missbrauch/*

Vor ein paar Jahren haben wir einen Text veröffentlicht, in dem wir begründen, weshalb wir unsere Gewalterfahrungen nicht als “sexuellen Missbrauch” bezeichnen und auch nicht von anderen Menschen, dem Gesetz oder Institutionen so bezeichnen lassen wollen.
Inzwischen haben wir Betroffene kennenlernen dürfen, die um den Begriff “sexueller Missbrauch” für die eigenen Erfahrungen kämpfen und einige Gedanken dazu möchte ich hier nun teilen.

Ich beginne damit, dass nachwievor immer und überall Raum für die eigenen Worte zu eigenem Erleben sein muss und soll.
Egal worum es geht, muss es erlaubt sein zu sagen, was auch immer man wie sagen will. Und ja, für uns schließt das auch Begriffe ein, die auch eine rassistische, ableistische, sexistische oder anders *istische Konnotation mit sich bringen. Denn diese eigens für das eigene Empfinden passend empfunden Begriff spiegeln nicht nur die Person und ihr eigenes Wertesystem und Weltbild, sondern auch das des Umfeldes (oder der Umfelder), in dem man lebt(e) und aufgewachsen ist.

Solchen Begriffen Raum zu lassen bedeutet noch keinerlei Legitimation oder Zustimmung.
Ihnen keinen Raum lassen bedeutet jedoch Menschen stumm zu machen, die noch keine anderen Worte oder Identifikationszugänge gefunden haben und damit einen Ausschluss zu praktizieren, der mit dem Wunsch nach einem Miteinander, an dem man in sowohl Worten als auch Taten gemeinsam arbeitet, nicht vereinbar ist.
Was hier ein bloßer langer Satz ist, ist in der Realität schmerzhafter Prozess, zähes Ringen, sozialer Kampf um Be.Deutungshoheit und Ressourcen, der von Privilegien, struktureller und individueller Sicherheit und Machtausübung geprägt ist.
Es bedeutet, dass sich Nazis in die Innenstadt stellen und ihre entmenschlichenden Parolen grölen dürfen. Es bedeutet, dass Abtreibungsgegner einen 8 Tage alten Zellklumpen “Kind” nennen. Es bedeutet, dass manche Menschen “sexueller Missbrauch” sagen, wo andere von “sexualisierter Gewalt” sprechen.

Hauptsache man redet drüber?

Manchmal frage ich mich das. Obwohl ich den Unterschied zwischen Wortproduktion und Gesprächen, durch die etwas wächst und Prozesse angestoßen werden, in diesem unseren Informationszeitalter auch sehr klar vor Augen habe.
Heute wird sehr viel geredet. Heute wird zuweilen fast erwartet alles, aber auch wirklich alles, auszusprechen. Wo eine Grenze auftaucht, und sei es eine aus Scham motivierte, da soll es drüber gehen. Schließlich leben wir so frei, dass uns auszudrücken keine Grenzen mehr kennen darf.

Aber nicht jedes Gespräch hat Wert. Nicht jedes Aussprechen schwieriger Dinge hat Konsistenz oder ist etwas Neues, obwohl man selbst vielleicht den Puls im Hals gefühlt hat beim Reden. Besonders wenn wir uns selbst ausdrücken – also wir Rosenblätter uns – dann hilft es uns, uns daran zu erinnern. Alles was wir sagen, gibt es und hat es schon gegeben, bevor wir es aus Luft und Zungenbewegung geformt haben. Oder aus den kleinen Blitzen in unserem Gehirn gezaubert haben.
Eine Bedeutung und eine Identifikation mit dem Gesagten können wir jedoch erst dann entwickeln, wenn es gesagt ist. Auch dann, wenn das, was wir da sagen für andere Menschen problematisch, langweilig, wirr, unverständlich ist.

Die Frage ist an der Stelle nicht, wer was sagen darf oder soll, damit sich alle miteinander wohl fühlen – die Frage ist, wie man sich miteinander wohlfühlt, während man zueinander spricht. Worin muss man sich einigen, welchen Grad des Dissens kann man mit wem ertragen, tolerieren, aushalten? Welche Grundvoraussetzungen müssen zuvorderst erfüllt sein, um überhaupt zu überlegen, welche Art des Dissens man miteinander toleriert?
Ich weiß jetzt schon, dass ich mit einem Nazi niemals über Migrationspolitik sprechen würde – aber ganz sicher würde ich mit ihm sprechen, wenn sie_r blutend unter einem Laster im Sterben liegt.So gehen wir heute in Gespräche mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen wie wir gemacht haben, sie aber anders benennen. Wir fragen uns: Was ist uns wichtig? und Mit wem sprechen wir?

Wir nennen es “von Täter_innen sexualisierte Gewalt”, weil uns folgende Dinge beim Sprechen darüber wichtig sind:
– nichts an der Gewalt hatte mit Sexualität zu tun, denn Sexualität ist konsensuell und Gewalt ist es nie
– die Personen, welche die Gewalt an uns sexualisieren, sind die Täter_innen – auch die Mittäter_innen und auch die Personen, die sich durch eine Sexualisierung der Gewalt im Nachhinein (oft ungewollt und unwissentlich) zu Mit.täter_innen werden
– es geht um Gewalt – es ging immer um Gewalt und das zu Erkennen (zu identifizieren) und immer wieder mitzukommunizieren, geht für uns nur mit dieser Benennung

Von Betroffenen/Erfahrungsexpert_innen/früheren Opfern/* , die den Begriff des “sexuellen Missbrauchs” für sich passend empfinden, haben wir erfahren, dass ihnen andere Dinge wichtig sind.
Sie sagen so etwas wie “Ich wurde benutzt wie ein Gegenstand.”, “Ich wurde in der Situation entmenschlicht (denn es hat meine Sexualität oder mein Verständnis davon angefasst und ich halte Sexualität für ein Merkmal, das Menschen entscheidend ausmacht)” oder “Von Missbrauch haben alle schon gehört – ich will nicht immer erst klären müssen, was ich mit “sexualisierte Gewalt” meine (dafür habe ich keine Kraft/dazu hab ich keine Lust/das lenkt ab von dem, was ich mit.teilen will)”.

Wenn wir einander als Erfahrungsexpert_innen begegnen, wir also bereits voneinander wissen, dass wir sehr ähnliche Erfahrungen teilen, dann ist uns das genug gemeinsame Basis für die Toleranz der eigenen Begrifflichkeiten. Wir wissen: Wir reden über Persönliches. Wir sind einander offen und nah, haben gerade vielleicht sogar andere Schutzschilde oben, als Menschen gegenüber, die nicht diese Erfahrungen machen mussten. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sind wir beide froh überhaupt gerade reden zu können und eben nicht stumm zu sein, weil wir nicht wissen, was wir wie und wie viel wovon sagen können, ohne ausgeschlossen zu werden. Und sei es durch das bodenlose Schweigen derer, die weder hören wollen noch können, weil sie (noch) keine Umgänge gefunden haben.

Anders sehen wir es in politischen Kontexten. In den Nachrichten, in Reportagen und Dokus, in denen Erfahrungsexpert_innen wie wir gleichzeitig ein tragischer Einzelfall und eine homogene Gruppe sein sollen, ohne, dass dem angemessen Rechnung getragen wird. Auch bei Öffentlichkeitsarbeit sehen wir das anders.
Da fällt es uns enorm schwer damit zu leben, wenn überall von Missbrauch gesprochen wird. Schlimmer noch in einer Form, welche die Gewalt als solche weder benennt noch durch Umschreibungen aufzeigt. In dem Moment fühlen wir uns missbraucht und erleben das als etwas, das sehr schlimm ist. Weil dieser Empfindung Ausdruck zu verleihen auch bedeutet zu stören, zu belasten und anderen Menschen, für die es wichtig, richtig und gut ist, wenn das so passiert, die Plattform für die eigene Botschaft anzugreifen.

Obwohl heute anders und vielleicht sogar mehr darüber gesprochen wird, wird nachwievor nicht immer gut und genug darüber gesprochen.
Jede Gelegenheit ist gut und wichtig das Thema der Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun, anzubringen. Einfach, weil sie zerstört, verstümmelt, verdreht, tötet. Weil sie nicht richtig ist. Weil sie passiert. Jeden Tag.
Jeden. Jeden. Jeden. Tag.
Überall.

Und weil das so ist, ist es wichtig sich damit auseinanderzusetzen, wie man es gut machen kann.
Was “gut” in Bezug auf Berichterstattung und Aktionswording überhaupt meint. Gut für wen? Gut für wann? Gut aufgrund welcher Wirkung?
Und kann “gut” nicht auch bedeuten “gut genug, um konstruktiv damit zu arbeiten”?

Als Aktivist_in stellen sich für uns Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Aktivismus.
Wir wissen, dass es uns nachwievor stört, dass es im Gesetz heißt “sexueller Kindesmissbrauch” und eben dieses Gesetz auch noch ein sogenanntes “Sexualstrafgesetz” ist. Als würde mit einem Urteil eine rein von Sexualität gesteuerte Handlung bestraft und sei genau das kein Widerspruch zu dem, wie man Sexualität heute sieht, erforscht hat und auch lebt.
Wir wissen aber auch: Wie das Gesetz heißt, was die Justiz in der Sache macht, hatte nie und wird nie für uns irgendeine Rolle bei der eigenen Verarbeitung spielen. Wir brauchen keine_n Richter_in, die_r unsere Erfahrungen als solche anerkennt.
Wir brauchen ein soziales Umfeld, das es tut. Und deshalb setzen wir dort an.

Wir umgeben uns mit Menschen, deren Sprache wir gut genug tolerieren können. Sprechen selbst so, wie es für uns gut passt, machen Kompromisse, ändern unser Wording und sagen vielleicht sogar manchmal Dinge, die an anderen Stellen problematisch sind, wenn sie helfen, einander auf der subjektiven Ebene verständlich zu machen.
Manchmal, weil es nötig ist und inzwischen immer öfter auch, weil wir es können.

Wir haben nicht mehr so stark das Gefühl uns selbst zu verlieren oder nicht mehr authentisch zu sein, wenn wir verschiedene Begrifflichkeiten für unsere Erfahrungen zulassen. Oder, wenn andere Menschen aussprechen, was wir erfahren haben. Je mehr wir unsere Erfahrungen verarbeiten, desto stabiler ist auch das Spüren der so grauenhaft banalen Alltäglichkeit der Gewalt und der Beliebigkeit ihrer Opfer.
So funktioniert das bei uns. Wir merken: Wir sind nicht allein, waren es nie und werden es nie sein. Ob wir wollen oder nicht – die Wörter für die Erfahrung müssen wir miteinander teilen, obwohl die Erfahrung selbst ganz allein zu uns gehört.

Auf unseren Teebeutelzettel stand heute drauf, Erfahrung sei das Einzige, was man wirklich besitzt. Vielleicht ist da was dran. Denn so furchtbar es für uns ist, die Erfahrungen gemacht zu haben, so schlimm wäre es für uns, sie an irgendjemand anderes abzugeben.
Doch mit dem, was man besitzt kann man machen was man möchte. Man kann sie so benennen, wie man es gut und richtig findet, man kann ihnen den Raum geben, den man für sie braucht, wünscht, will. Man kann sie für sich nutzen, man kann sie unbeachtet lassen.
Doch eins kann man mit Gewalterfahrungen einfach nicht machen: verleugnen, dass sie auch mit anderen Menschen zu tun haben. Dass sie sowohl eine menschheitlich kollektive Erfahrung sind, als auch durch andere Menschen an einem_einer selbst passiert sind.

So ist das Ende dieses Textes eins, das Anerkennung individueller Umgänge wachsen lassen möchte, statt wie damals noch die Notwendigkeit von Einheit auf allen Ebenen zu fordern, als wäre nur so eine Veränderung möglich.

Autismus, Trauma, Kommunikation #1

Vor einigen Jahren haben wir eine Artikelreihe zum Thema Schweigen und Reden geschrieben.
In diesem Text, der vielleicht auch eine Reihe wird, wird es um Kommunikation gehen, denn das ist unser eigentlicher Dreh- und Angelpunkt, wie wir heute wissen.

Wir haben schon immer das Problem positiver Diskriminierung, unserer Ausdruckweise und sprachlichen Fähigkeiten betreffend, weil es das Missverständnis „Sprache“ = „Kommunikation“ gibt.

Wir sind sehr gut mit Sprache. Unser Wortschatz ist groß, unsere Metaphersammlung beeindruckend für viele Menschen. Wir lernen gerne und schnell Sprachen. Sprechen flüssig, moduliert und lang.
Wir sind allerdings eher mittelprächtig in der Kommunikation dessen, was wir eigentlich aussprechen wollen und eher untermittelprächtig gut in der Rezeption dessen, was uns andere Menschen kommunizieren wollen.

Denn Sprache ist Muster. Also: Grammatik und Wörter. Sprache ist lernbar. Das kann man sich einprägen, einüben. Sprache findet sich überall.
Kommunikation allerdings, erfordert auch das, was als Intuition bezeichnet wird, weil der Lernprozess unbewusst und basierend auf neurologischem Feedback passiert. Menschen bringen einander Kommunikation bei, ohne zu wissen, dass sie das tun oder wie genau sie das tun.

Besonders in unserer Ausbildung mit dem Schwerpunkt auf Medien und Kommunikation merken wir: den Kernpunkt einer kommunikativ intendierten Aktion, kann uns niemand erklären.
Man kann uns sagen, was was macht und wie was wirkt, aber wieso und woran sich das jeweils festmacht nicht. Eben, weil es hier um so tief verinnerlichte und durch die alltäglich bestätigte Funktion als nicht nötig zu hinterfragende Dinge geht, dass dort oft ein Ende der Selbstreflektion beginnt.

Unser Problem liegt an genau dem Punkt.

Während wir lange dachten, die Lösung aller Kommunikationsprobleme wäre eine Perfektion von Sprache und Timing, trugen wir durch diese Bemühungen immer weiter dazu bei, dass Menschen uns nicht glauben, dass wir sie oft nicht verstehen und uns nicht richtig ausdrücken können.
Zusätzlich gehen wir mir traumabedingter Sprachlosigkeit um.

Unsere Fragestellung an andere Menschen ist also oft: Wie müssen wir etwas sagen, damit du uns verstehst?
Und so viele Menschen können darauf keine Antwort geben, denn sie selbst sehen die eigenen Kommunikationstechniken nicht. Sie wissen nicht, worauf sie wie reagieren, weil sie sich das nie fragen mussten oder gefragt wurden. Selbst Menschen, die mit studiertem Blick auf Kommunikation schauen, könnten den für uns fraglichen Punkt nicht benennen.

Und während viele Menschen an der Stelle annehmen, dass wir uns darüber erhöhen und überlegen fühlen, weil wir einen sogenannten „blinden Fleck“ bei vielen Menschen gefunden haben, sind wir tatsächlich oft einfach nur verzweifelt und zuweilen auch zutiefst hoffnungslos, jemals ganz und gar erkannt und verstanden zu werden.

Früher waren wir in der Theorie verhaftet, wir würden Menschen einfach nicht genug vertrauen, um sie nah genug an uns heran zu lassen, um eine intime, im Sinne von vertraute oder innige, Kommunikation aufzubauen. Jedes unserer Sprech-, Sprach-, und Kommunikationsprobleme lag damit allein bei uns. Wir sind die mit dem traumatisierten Gehirn, mit den zu schlecht entwickelten Abgrenzungs- und Reorientierungsfähigkeiten – wir sind die, die nicht zwischen Bedrohung und zugeneigtem Miteinander unterscheiden können.

Die Rolle anderer Menschen beschränkte sich damit auf den „Sei lieb zu mir-Imperativ“ und damit auch den Anspruch, für uns bitte niemals auch als Bedrohung verstehbar oder sichtbar zu sein.
Eine fiese, aber leider übliche Falle, in die Menschen tappen, die versuchen mit traumatisierten Menschen umzugehen.

Man möchte den traumatisierten, vielleicht auch leidenden, Menschen nicht noch mehr leiden machen und schon gar nicht immer wieder an die Traumatisierung erinnern. Sobald das Konzept von Triggern verstanden ist, will man Trigger nicht mehr. Man will sie um jeden Preis verhindern, obwohl alles – das komplette Leben von Anfang bis Ende – komplett triggerbasiert ist.
Das Leben ist eine einzige Kette von Reiz-Reaktionsmustern. Sich Triggern zu verwehren, heißt sich dem Leben zu verwehren. Sich dem Leben zu öffnen, bedeutet sich für Umgangs- und Reaktionsmöglichkeiten zu öffnen.

Obwohl wir uns immer wieder dagegen gesperrt haben von anderen Menschen auf diese Art „geschont“ zu werden, waren wir da immer wieder drin. Und immer wieder waren es unsere Kommunikationsrezeptionsprobleme, die am Ende dafür gesorgt haben, dass wir Menschen nicht verstanden haben, die so mit uns umgegangen sind. Für uns haben sie einfach dauernd Dinge gesagt und gemacht, die für uns völlig irrational, unbegründet und unlogisch waren. Wir konnten sie nie durchschauen, konnten sie nie einschätzen. Egal, wie oft sie uns nicht miss.be.handelt oder ausgebeutet haben – in diesem Faktor haben sie sich einfach nicht von den Menschen unterschieden, die das mit uns gemacht haben und damit waren sie für uns eben doch nie „ganz anders als die Täter_innen“.

Je mehr wir an die Grenzen unserer kommunikativen Fähigkeiten kamen, desto mehr gewann die Psychosomatik als Kommunikationsmittel an Bedeutung. Und je mehr dagegen antherapiert wurde, desto stärker wurde der Druck auf uns, doch endlich die richtige Sprache, das richtig Timing, die richtige Sozialperformance herauszufinden, um dann die_r richtige_r Patient_in, die_r richtige_r Klient_in zu werden, um dann als Belohnung nicht mehr zu sterben zu wollen, weil das Leiden so unaushaltbar war.

Wir konnten das nicht lösen und heute merken wir, was für ein großer Anteil das für uns an der Traumatisierung durch Helfer_innen war und potenziell immer noch ist. Denn die wenigsten Behandler_innen und Helfer_innen kennen sich mit Autismus aus oder trauen autistischen Menschen so viel Innenleben zu, dass sie traumatisiert werden könnten.
Obendrauf kommt noch der Ausschluss von autistischen Menschen in der neurologischen Traumaforschung, aufgrund ihrer Neurodivergenz. Also: (möglichen) Aspekten ihrer Behinderung.

Inzwischen gehen wir ins dritte Jahr mit der Autismusdiagnose und skyrocken seitdem auf der Entwicklungskurve.
Wir sind in einer glücklichen Beziehung, sind auf dem Weg in eine passende Arbeitsform, können unsere Gesprächtherapie zu 95% nutzen und haben das Gefühl, dass der Boden auf dem wir stehen einer ist, der uns trägt. An 4 von 7 Tagen einer Woche gehen wir mit Grundglückszufriedenheit ins Bett und können Traumascheiße vor der Haustür bündeln.
Das wäre nicht der Fall, wenn wir nicht den Hang dazu hätten, Menschen so zuzuhören, wie wir das tun.

Für viele Menschen sind Sätze wie: „Tun Sie, was Ihnen gut tut.“, „Wir arbeiten hier so lange zusammen, wie es hilfreich ist.“ oder „Vertrauen Sie auf ihre Einschätzungen. Sie sind die_r Expert_in für sich selbst.“ nichts mehr als Phrasen.
Besonders dann, wenn das Verzweiflungslevel so hoch ist, dass Behandler_innen oder Helfer_innen zu Retter_innen in der Not werden. Also eine gewisse Abhängigkeit aufgebaut wird.

Für uns konnten solche Sätze als Jugendliche auch nur dumpfer Blablascheiß sein, denn selbst wenn wir nach unseren Einschätzungen gegangen wären, was wär dann passiert? Wunderheilung? Spontanrettung? Wer hätte uns genommen als chronisch suizidale Jugendliche? Das Heim hatte uns schon abgeschoben und in der geschlossenen Psychiatrie sagt man uns dann sowas, obwohl so so klar ist, dass man am Ende der Fahnenstange angekommen ist und mehr als das Ende aller Alternativen – und damit auch des eigenen Lebens (unter Menschen und relativer Nähe der Gesellschaft) – nicht mehr da ist.

Und auch an der Stelle: Wenn man schon nicht kongruent kommunizieren kann, was belastet und schwierig ist – wie soll man kommunizieren, was man sich entlastender und einfacher vorstellt? Insbesondere dann, wenn man als ultraintelligent und deshalb als befähigt und deshalb als stark (mächtig!) und deshalb auch gerne mal als frech, anmaßend, arrogant eingeordnet (und gemaßregelt) wird.

Unsere Therapeutin sagt keine Dinge, auf die wir nicht in irgendeiner Form auch mit einer Frage zurück kommen können. Wir müssen uns nicht an ihr orientieren, sondern an den Themen, die wir besprechen. Nicht jede.s abwesende oder undefinierbare Gefühl, Wort oder Idee ist gleich unsere Traumavermeidungsstrategie oder dissoziiertes Trauma. Nicht jede Unfähigkeit ist gleich eine traumabedingte Unfähigkeit.
Im Nachhinein denken wir manchmal, dass sie die erste Therapuetin ist, die uns nicht einfach nur predigt doch endlich mal Trauma von Welt zu differenzieren, sondern sich auch für unsere Differenzierungen interessiert.

Denn die sind ja immer schon da gewesen. Zum Einen in uns selbst – viele sein ist das Ergebnis von Differenz durch Unverbindung (also Dissoziation statt Assoziation) – und zum Anderen in dem, wie wir den Lauf der Dinge und seine Bestandteile wahrnehmen – denn wir nehmen mehr Details und breitere Komplexe als klare (bewusste) Informationen auf (was mit unserer Neurodivergenz zu tun haben kann, und durch die unter verschiedenen Bedingungen reproduzierbare Bewusstheit und Benennbarkeit von traumabedingter Hyperviglianz zu unterscheiden ist).

Wir hätten eine weitere Verzweiflungsrunde über die von uns angenommene Sprechunfähigkeit gedreht, hätten wir mit der Therapeutin damals, zum Zeitpunkt der ersten Autismusüberlegungen, nicht schon über 2 Jahre lang gemerkt, dass wir grundsätzlich total gut miteinander arbeiten können, aber da immer noch diese eine Stelle des Unverständnisses blieb.
Die sich ja dann auch noch einmal in der Musik- und Kunstschule wiederholte.

Fortsetzung folgt

Soldat_innen

Es nervt mich, wenn Leute das machen. Wenn sie posttraumatisch bedingte Schwierigkeiten mit Soldat_innen in Verbindung bringen. Manchmal vielleicht, um einen Impuls für Kollektivbewusstsein zu setzen und ebenjenem frisch empfundenen Kollektiv die Sirenen des Krieges, des Ausnahmezustandes, des NICHTNORMAL in die Ohren zu setzen.

Als ich auch in dieser letzten Nacht aufschreckte und in meinem Puls nach Hier und Jetzt wühlte, war es mir schon wieder normal. Das Zittern, das seine Zeit braucht, um sich in dem Tick Tack meiner Armbanduhr und dem Ein Aus meines Atems aufzulösen. Der saure Geschmack, der mir links und rechts aus der Zungenwurzel quillt und nicht schluckbar ist. Das dumpfe Summen im Kopf. Das Echo eines Früher in der Brust. Die Bilder, die zu krass sind, um sichtbar zu sein.

Das Bewusstsein von “Scheiße verdammt – es geht wieder los.”.
Eine weitere Schleife von Traumascheiß, der sich aufdrängt. Der eine Lücke gefunden hat und gnadenlos einnimmt, weil es geht.
Weil es genau jetzt gerade geht, sich zu erinnern.

Am Morgen sehe ich mich wie eine Soldatin.
Es ist wie die Vorbereitung auf einen Kampf. Sämtliche zur Verfügung stehenden Wörter werden wie Munition in einem Lager aufgeschichtet und verfügbar gemacht. Alltagsstrategien auf dem Reißbrett entworfen. Die Alliierten werden aufgelistet, in Kontakt gebracht. Die inneren Truppen stehen auf Linie und wickeln sich in Abgrenzungsstahl.
Es geht wieder los. Traumatisch bedingte Schwierigkeiten.

Unkontrolliertes Erinnern, das nicht verhindert, doch beendet werden kann.
Anspannung. Angst. Alleingefühle.
Mit Wörterwaffen gegen Schweigewände rennen.

Aufrecht. Ohne Lügen, die es leichter machen wollen, doch das Ist verqueren.
Nein, Traumascheiß ist nicht die Ausnahme. Nein, es ist nichts anderes als Erinnern. Doch, das ist zu überleben.

Ja, es wird aufhören.
Ja, es wird besser.

Wenn ES verarbeitet ist.
Irgendwann.

Fundstücke #49

Unser Bücherregal hat Jahresringe. Lebensphasenringe.
Während ich Titel um Titel in die Momox-App scannte, zogen sie an mir vorbei. Die Phase, in der wir Romane lasen, weil das “Ich lese gerne” bedeutet. Die Phase, in der wir Lexika lasen, weil wir unbeobachtet von irgendjemandem lesen konnten. Die Phase, in der wir überlegten Hebamme zu werden. Die Phase in der wir Handwerkskills gelernt haben. Die Phase, in der wir dachten, wir könnten unser Traumading auch ohne irgendwen lösen, wenn wir nur das eine richtige Buch dazu lesen.

Drei volle und versandfertige Kisten später, sitze ich im kalten Garten hinter dem Haus und spüre, wie an mir hochklettert, worin ich versinke.
Versagensangst. Zuvielzuvielgefühle. Ohnmacht. Diesen Scheiß werde ich nie los. Diesen Traumascheiß. Diesen Scheißscheißscheiß, der in an und mit mir verwachsen ist und an so vielen Stellen noch immer keine Worte hat.

Wir hätten der Therapeutin nicht sagen sollen, dass es kein Problem für uns ist erst irgendwann im September wieder einen Termin zu haben, denke ich. Und dann denke ich: es ist auch kein Problem. Was soll das denn ändern? In Sachen Traumascheiß ist die Therapie seit Jahren, wie eine Wüste mit einem Teelöffel von A nach B zu tragen.
Ist ein Fetzen sortiert, quillt ein weiterer hoch. Ist ein Komplex verstanden, wird spürbar, wo er sich mit einem anderen beißt.

Manchmal denke ich, da sei ein Ende denkbar. Da könnte es etwas geben, was bleibt und keine weiteren Termine mehr braucht.
Und dann ist sie wieder da. Irgendeine Angst, die mir sämtliche Fähig- und Fertigkeiten nimmt. Irgendeine Erinnerung, die ich als solche nicht einmal wahrnehme, weil ihr Inhalt so dissoziiert von mir ist. Irgendwas, was mir die Haut vom Inneren reißt und nackt in einer Reißnagelwelt zurücklässt. Einfach so. Nicht, weil ich irgendwas hätte könnte würde wenn besser oder anders machen können. Einfach nur so. Zack. Bäng.
Weils geht.

Und ja verdammt. Ich will nicht noch mehr lernen, wie ich damit leben kann, ohne mir alle paar Tage zu überlegen, ob wir nicht vielleicht doch besser für immer gehen, statt jeden Tag damit konfrontiert zu sein.
Ich will das weg haben. Ich will diesen scheiß Kompromiss nicht mehr okay finden müssen. Denn mehr ist das nicht.
Es ist ein Kompromiss. Ein “Ja gut, man kann hier nix mehr heil kriegen, aber wir könnens nett gestalten”.
Wie konnten wir uns je auf so einen Zynismus einlassen?

Wobei – naja. Wie wir uns darauf einlassen konnten, weiß ich schon. Es ist ja nicht so, dass man viel Auswahl hat, wenn es um sowas geht. Entweder du kommst klar oder nicht. Zack. Bäng.
Beimnichtklarkommen bleibt man allein, zum Lernendamitklarzukommen kriegt man eine handvoll Therapiestunden und je nach Performance noch Applaus von Zaungäst_innen, die irgendwas von sich darin finden.
Das ist doch abstoßend.

In unserem Podstock-Workshop zum Thema Trauma hatte Martin uns gefragt, wie es kommt, dass wir so einfach darüber reden können.
Meine eigene Antwort bringt mich jetzt zum Heulen.
Weil es einfach nur reden ist. Erklären. Fachliteratur in Alltagssprache übersetzen. Für uns ist das nicht viel mehr als ein Übersetzer_innenjob. Ein Wörterspiel wenn man so will. Wir reden in Workshops nicht über uns. Wir reden über den Traumascheiß über den in der Fachliteratur geschrieben wurde und nehmen Teile unserer Erfahrungen als Beispiel.

Wir wiederholen uns. Wir erzählen und erklären, was wir in den letzten 15 Jahren ständig irgendwelchen Betreuer_innen, Begleiter_innen, Interessierten oder Befreundeten erklärt und bewortet haben. Wir sind ein Traumascheißerklärungspapagei.
Nichts weiter.

Da heißt nicht, dass wir nicht sehen können, dass wir damit etwas für andere Menschen sein können, das ihnen hilft. Da heißt nicht, dass wir uns und unsere Kenntnisse abwerten. Denk mal über dein Verhältnis zu Papageien nach, wenn du das denkt. Blink Blink Karnismus Blink Blink
Aber es heißt, dass wir wissen, dass wir da etwas können, das mit uns nicht so viel zu tun hat. Und genau deshalb überhaupt nur funktioniert.

Im Garten ist es still wie in unserer Wohnung und nur deshalb fällt es mir auf. Auch nicht zum ersten Mal und doch so, dass es mich wirklich traurig macht.
Wie getrennt wir von der Welt und ihrem Lauf der Dinge sind. Und wie getrennt wir daneben auch untereinander sind. Und nur deshalb noch funktionieren. Immernoch. Nach all dem Traumascheiß.

Daneben haben wir ein Fädchen in der Hand.
Die Wörter.
Unsere Brücke zu Menschen. Das Fenster in ein Irgendwann, das so viel sein kann.

Das hilft.
Es hilft zu wissen, auch das zu haben. Auch das zu können. Immernoch. Trotz allem.

adultistischer Ableismus und Kinderinnens

Wir haben ein Problem an dem Umgang mit Kindern.
Das macht unsere Texte über Kinderinnens oft zu einer unflauschigen Angelegenheit.
Zu Beginn schreibe ich hier über Außenkinder, um die Abgrenzung aber auch den Bezug zu Innenkindern (Kinderinnens) deutlich erkennbar vorzunehmen.

Ziemlich stark ist in uns die Ablehnung von Kindern als “die Zukunft”.
Und richtig kirre macht uns der west-wohlstandsgesellschaftliche Blick auf Kinder, in dem sie so kostbar sind, dass man sie 24/7 fördern muss, damit sie auch nur den Hauch einer Chance haben, den übersteigerten Erwartungen und Ansprüchen der Generationen vor ihnen in irgendeiner Form nachzukommen.

Kinder können ja nix. Sie sind ja immer gefährdet. Man muss sie schützen. Man muss sie bewahren. Kinder sollen die Erwachsenen mal machen lassen, damit diese ihnen “das Beste” antun können. Damit Erwachsene noch immer mehr Gründe haben, weitere Forderungen als legitimiert einfordern können.
Und selbstverständlich wissen nur Erwachsene, was genau “das Beste” eigentlich ist.

Adultismus ist das Wort dazu.

Adultismus ist ein Kind des Ableismus und gehört also zur Familie der Scheiße-ismen, die das zwischenmenschliche Miteinander unserer Gewaltkultur vollständig durchdrungen haben.
Es geht um Macht und damit auch um Gewalt.en.
Im Falle des Adultismus, geht es um die Macht bzw. die Diskriminierungen, die erwachsene (dezidiert umfänglich befähigte) Menschen über noch nicht erwachsene (also (in der Mehrheit der Fälle) aufgrund des anderen Reifegrades anders umfänglich befähigte) Menschen inne haben und ausüben.

Diese Macht bzw. diese Diskriminierung manifestiert sich in normalisierten Handlungen, gleichzeitig aber auch in Handlungen, die gesellschaftlich abgelehnt werden.
Es ist üblich Kinder einfach so zu einzuordnen und zu reglementieren, ohne sie zu fragen. Und selbst in Familien, die Wert darauf legen, dass die Kinder ihre Grenzen selbst festlegen dürfen, gibt es X Ausnahmesituationen, in denen ebenjene Grenzen aufgeweicht werden, um etwas durchzusetzen, das als “das Beste” für das Kind verstanden wird – ohne, dass das Kind ein Bestes für sich definieren kann oder darf.

An dieser Stelle will ich nicht auf “Ja, aber Kinder können doch noch gar nicht wissen/entscheiden…” eingehen. Denn: Ja mag sein, dass ich keinen Konsens mit einem einjährigen oder dreijährigen Kind über eine Impfung aushandeln kann – aber ich muss mein übergriffiges Handeln nicht damit rechtfertigen, dass ich mehr weiß oder mehr kann, als mein Kind und leugnen, dass ich an der Stelle gerade etwas entschieden habe, weil ich das konnte und wollte und sollte und vom Gesetz zugestanden auch: durfte – und das Kind nicht.
Es ist nur ehrlich und fair, wenn ich an der Stelle transparent um mein Handeln bin und so dem Kind ermögliche (im Rahmen der zu dem Zeitpunkt bestehenden Möglichkeiten) zu erkennen, was da gerade passiert ist, um selbst eine Einordnung vorzunehmen.

Für die Kinder in dieser unserer Gesellschaft gibt so wenig frühe Chancen, die Erwachsenen um sich herum und deren Handeln auch mal scheiße zu finden, ohne selbst sofort um Leib und Leben fürchten zu müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass Kinder niemals in der Lage sind ganz und gar autark zu meinen oder zu finden oder zu urteilen. Und folglich auch: zu fordern oder zu wollen.
Was im Zusammenspiel mit den wenig geschätzten Fähig- und Fertigkeiten überhaupt erst zu ebenjener Abhängigkeit vom “good will” der sozialen Umgebung führt, die allgemein mit Kindern in Zusammenhang gebracht wird.

Wie gesagt: Wir müssen nicht darüber reden, dass Kinder nicht die 20 Sahnetorten haben können, die sie gerne hätten.
Aber wir müssen darüber reden, aufgrund welcher Machtstrukturen es die erwachsenen Menschen sind, die ihnen diese Sahnetorten verwehren und was das für die Realitäten der Kinder bedeutet.

Aus Kindern, die in adultistischen Umfeldern aufwachsen, werden Erwachsene, die eine spezifische Sicht auf die eigenen Fähig- und Fertigkeiten internalisiert haben und, die sie folglich immer entlang von Autoritäten oder in Abgrenzung zu versagen/scheitern/noch nicht können, definieren.
Ein Marker dafür kann die ständige Ausrichtung auf die Zukunft der eigenen Fähig- und Fertigkeiten sein.
Ein kindliches: “Wenn ich groß bin, dann …”, kann zu einem erwachsenem: “Wenn ich meine Koch- und Backskills als Masterdiplom of the universe schriftlich mit Brief und Siegel hab, dann…”, werden.

Gleiches gilt für die Bewertung eigenen Handelns.
”Wenn Mama/Papa/Lehrer_in/Doktor_in/Richter_in/Bürgermeister_in/Bundeskanzler_in… sagt, was ich gemacht hab, war gut/schlecht, dann… ”.

Adultismus ist ein wichtiges Instrument der Kontrolle über Menschen.
Im Kontext der konkret körperbezogenen Gewalt an Kindern, kommt es so zu einer ganzen Reihe von Diskriminierungsfaktoren, die auch nach der Tat bestehen bleiben und so verhindern können, die strafbare Gewalt durch Erwachsene von der legalisierten/normalisierten Gewalt abzugrenzen.

Aus so miss.be.handelten Kindern, können folglich Erwachsene werden, die zum Einen den adultistisch-ableistischen Blick auf sich internalisiert haben, zum Anderen aber auch eine diffuse Haltung gegenüber der Frage, welches Verhalten wie übergriffig ist und welches Verhalten womit zu legitimieren oder begründen sein könnte.

In der Auseinandersetzung mit Kinderinnens haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Idee vom erwachsenen Menschen eine ist, die einem Kind immer und in jeder Situation überlegen ist. Aufgrund der jeweiligen Fähig- und Fertigkeiten.

Die Schieflage ist uns gefallen, nachdem wir die gleiche Haltung uns gegenüber von Mediziner_innen und anderen Behandler_innen erlebten, die sich uns überlegen fühlten, weil sie diverse Fähig- und Fertigkeiten, als bei uns fehlend oder “krankhaft” eingeordnet hatten.
Nachdem wir in unseren früheren Lebenskontexten festgestellt hatten, dass man uns als weniger wert einordnet, weil wir bestimmte “Leistungen” nicht erbringen konnten.

Diese Parallele mit “Ableismus” beworten zu können, ist etwas, das uns heute sehr stärkt. Denn es gibt uns ein Wort für die Dynamik selbst, ohne näher an die Personen, die so mit uns interagiert haben, herantreten zu müssen.

Mit dem Verständnis des Ableismus haben wir auch ein Werkzeug zur Erkennung von Umfeldern, in denen wir sicher sind, in denen wir wachsen und werden können. In einem Umfeld, in dem wir unsere eigenen Fähig- und Fertigkeiten entwickeln können, ist genauso viel Raum zum Versuchen, wie zum Scheitern.
In Umfeldern, wo unsere Fähig- und Fertigkeiten beobachtet werden, um anhand von Leistungs- und Beurteilungsschemata eingeordnet zu werden, gibt es weder Versuchen noch Scheitern. Dort gibt es eher “Daumen hoch” oder “Daumen runter”, wie damals in Cäsars Arena. Was einer DER Trigger für komplex traumatisierten Menschen ist.

Für einen komplex traumatisierten behinderten /Menschen/ mit Behinderungen ist letzteres Szenario also zwangsläufig wie eine durchgehende Gewalterfahrung(swiederholung).
Denn sowohl die Gegebenheiten, welche die Behinderung letztlich verursacht, als auch die Traumatisierung, die gewisse Anpassungen abverlangt (und ihrerseits zu Gegebenheiten führt, welche Behinderungen (mit)verursachen), erfordern häufig Leistungs- und Beurteilungsschemata, die anders aufgebaut sind, als jene, die an Menschen ohne diese Eigenschaften angelegt werden.

Im Ableismus ist der normale Mensch, dem man mit Respekt und unter Wahrung seiner Würde begegnet, “gesund”, “reif”, “kognitiv umfassend befähigt”, “körperlich voll funktionsfähig”.
Das “gesund”, “reif”, “kognitiv umfassend befähigt” und “körperlich voll funktionsfähig” behinderter Menschen – aber auch von Kindern – ist grundsätzlich ein anderes. Jedoch nicht, weil geforderte Leistungen auf einem anderen Weg erbracht werden – nein. Die Notwendigkeit einen anderen Weg zur Erbringung einer Leistung gehen zu müssen, ist bereits ein Ausschlusskriterium von der Norm.

Mich hat diese Erkenntnis damals schockiert. Nicht zuletzt, weil sie mir damals schon – mit 14/15, als wir zum ersten Mal in einer KJP untergebracht waren – aufzeigte, dass mir die kleine Welt, in der ich lebte, ein Ort ist, der mich wegstößt, isoliert und als noch einmal anders, als ich mich selbst anders erlebte, wegsortiert. Nur, weil meine Art mit dem umzugehen, was mir passiert war, ein anderer Weg war, als der von all den anderen tausenden Menschen, die das Gleiche jeden Tag erlebt haben.

An dieser Stelle ein kurzer Ausschwiff.
Wir haben vor Jahren einmal einen Artikel geschrieben, in dem wir sagten, dass es im “DSM-Rosenblatt” keine Krankheiten gibt, sondern nur Reaktionen.
Heute würden wir sagen, dass wir keine Krankheiten sehen, sondern Reaktionen und spezifisch begründete Wege zum Ziel.
Gesundheit ist ein ableistischer Machtbegriff. Gerade, weil in der Betrachtung dessen, was als “krank” (aber auch “behindert”) gilt, weder die Menschen als grundsätzlich variable Basis, noch ihre Er_Lebenswege als unterschiedlich begehbar anerkannt und angenommen werden.

Hinzu kommt die Problematik, dass kritische Bildung in Psychologie, Psychiatrie und Medizin so leicht zu umgehen ist.
Ans akademische Ziel kommt es sich bequemer, wenn man die eigenen (ableistischen, sexistischen, rassistischen…) Annahmen als gegeben und einzig verifizierbar etabliert.
Das heißt: wenn man sich eine Idee macht und dann nur noch nach Beweisen dafür – und nicht dagegen – sucht.
Kritische Bildung (also eine Idee zu entwickeln und alle Hinweise dafür und/oder dagegen in die Ergebnisse fließen zu lassen) könnte zu Wisssenschaftler-/Behandler_innen führen, die zu arbeitsintensiven Forschungs-/Diagnose- und Behandlungsphasen führen.
Oh Schreck.

Kapitalismus und wirtschaftlich orientierte Räume, wie Krankenhäuser und andere Orte psychiatrisch, psychologischen oder medizinischen (wissenschaftlichen) Wirkens mögen sowas gar nicht.

Aber auch der zwischenmenschliche Wettkampf um Egostreichelei und Reputation spielt eine Rolle.
Turbo-Abi mit 17/18 – im OP-Saal eine Aorta abklemmen mit 25 – tollster Retter aller Zeiten mit 35. Auf dem Klassentreffen mit 40 die Person, die reden kann, wie es vor ein paar Jahrzehnten nur 70 – 80 jährige Rentner_innen konnten. Nach dem Tod eine Institiution für Generationen sein.

Viel ist viel – viel ist aber nicht zwangsläufig “viel Gutes”.
Geschweige denn: “nicht gewaltvoll” im Sinne von “nicht diskriminierend”.
Um viele Patient_innen durchzuschleusen, muss man menschlich wie fachlich bestimmte Aspekte diskriminieren. Das geht nicht anders.
Schwierig ist jedoch, dass es dabei um Menschenleben und Individuen geht. Wenn man daran etwas abschneidet, verstößt man gegen das Prinzip weder Leid noch Schaden an seinen Patient_innen zu machen.
Und sichert sich damit selbst die Arbeit bis zum Ende der Karriere.

“Nachhaltige Gewaltwirtschaft” nennen wir das.

Wer daraus aussteigen will, muss sich selbst zurückstellen. Muss sich auf die Kernelemente des menschlichen Lebens konzentrieren. Muss in der Lage sein, seine Arbeit zu kritisieren, ohne sich selbst dabei gekränkt zu fühlen. Muss sich mit Gewalt und ihren Formen außerhalb von „schlagen, foltern und beschimpfen“ befassen. Muss sich selbst als jemand an.erkennen, di_er Gewalt ausübt, ohne in den reaktiven Täter-Opfer-Dyadismus zu verfallen.
Muss langsam bleiben.

Ausschwiff Ende.

Als mir zum ersten Mal gesagt wurde, ich hätte mich wie ein kleines Kind verhalten, ohne dass ich mich daran erinnern konnte, verfiel ich in den eigenen internalisierten Ableismus: “Ich muss mich mehr zusammenreißen. Besser funktionieren, mich besser kontrollieren, meiner Entwicklung in Richtung “erwachsen sein” stärker nachgehen.”.
Und versagte.

Ich war 16 Jahre alt, in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und wenn ich eines nicht über mich und mein Leben hatte, dann war es Kontrolle. Und Verstehen. Und Ruhe oder Freiraum mich selbst unter nicht ableistischen Aspekten wahrzunehmen.

Die Diagnose der DIS wurde gestellt, eine Dauermedikation mit Tranquilizern wurde begonnen (diese sollte erst 5 Jahre später enden) und ich (wir) entwickelten alle möglichen Kontrolletti“krankheiten” (eine restriktive Essstörung, neue zwanghafte Anwandlungen, sehr strikte Vermeidungsmoves in der psychotherapeutischen Gesprächstherapie).

Auftauchende Innenkinder waren (sind) für mich der absolute Kontrollverlust. Die Rückmeldung von Außenstehenden darüber, eine nicht nur peinliche, sondern mitunter auch sehr demütigende Situation. Denn wo Außenkinder als nicht kompetent und bestenfalls süß (harmlos) und amüsant gelten, da gelten Kinderinnens wie eine Art Beweis für die “in Wahrheit” bestehende Inkompetenz, Harmlosigkeit und Berechtigung belächelt zu werden, einer gleichzeitig doch erwachsenen Person.

Erst als wir mit einer Therapeutin zusammenarbeiteten, die respektvoll und mit einer grundlegend offenen Haltung – trotz all der ableistischen und anderen Gewaltdynamiken um unsere gemeinsame Arbeit herum! – auf uns alle, die wir Innens in diesem einen Menschen sind, zuging, konnte sich das alles ein bisschen auflösen.
Bei ihr und auch bei der Therapeutin, die heute mit uns arbeitet, hatten wir nie das Gefühl, dass Kinderinnens nichts beitragen können. Oder ein aufreibender Quirk sind, der unnötig Zeit und Raum erfordert. Sie haben uns durch ihren Umgang vorgemacht, welche Sicht wir noch auf sie haben können und wie ein damit kongruenter Umgang aussehen kann.

Das ist so ein Aspekt, den wir oft nicht bewusst bei Behandler_innen (aber auch Verbündeten und sogar selbst Betroffenen) sehen. Es gibt einige, die Liebe und Fürsorge für Kinder(innens) “predigen”, aber Harmlosigkeit und Inkompetenz (die zu leiten/managen/kompensieren ist) dem eigenen Umgang zugrunde legen.
Also adultistische Interaktion vorleben bzw. fordern.

Dazu gehört zum Beispiel die Annahme, dass Kinderinnens nur bestimmte Dinge wollen oder brauchen könnten. Zum Beispiel spielen oder umsorgt werden.
Dazu gehören aber auch Forderungen danach, dass man nur mit erwachsenen Anteilen/Innens zu sprechen verlangt. Oder nur erwachsene Anteile/Innens zu sprechen erlaubt. Oder auf einer Station in einer Klinik verbietet, dass Kinderinnens irgendwo anders als heimlich ausnahmsweise in einzeltherapeutischen Settings sind.

Solche Forderungen sind im Kontext vom Bemühen um den effizienten und reibungslosen Klinikalltagsablauf, unter unmöglichen personellen und anderen strukturellen Gegebenheiten natürlich nachvollziehbar.
Unter dem Aspekt dessen, was Patient_innen mit so schweren Traumafolgestörungen brauchen, um von der Therapie_Zeit zu profitieren, jedoch nicht.

Im Gegenteil offenbaren solche Forderungen ein Verständnis der Dynamiken innerhalb dissoziierter Systeme, das nicht vereinbar ist mit dem, was die Diagnosen letztlich überhaupt erst definiert.
So ist das Verbot irgendwelcher Wechsel bei Menschen, die ihr ganzes Leben mit Wechseln jeder Art gerettet haben und deren Diagnose genau davon gekennzeichnet ist zu wechseln, wie das Verbot zu husten, wenn man Tuberkulose hat: irrational, sinnlos, ableistisch gesagt: strunzendumm.

Und: es reduziert die Personen selbst zur alleinigen Quelle ihrer Probleme und macht die Behandler_innen (und andere umgebende Personen) zu unbeteiligten Dritten und Räume wie Kliniken oder Praxen zu „neutralen“ Orte, die sie niemals sind und niemals werden können!

Doch gerade bei Traumafolgestörungen handelt es sich um Reaktionen auf Umfelder.
Um Anpassungsmechanismen, die nach Umfeldsveränderungen mehr oder weniger plötzlich dysfunktional sind.
In eine Klinik zu gehen bedeutet eine Umfeldveränderung.
In eine Praxis für Psychotherapie zu gehen bedeutet einen Umfeldveränderung.
In eine Selbsthilfegruppe zu gehen bedeutet einen Umfeldveränderung.
Neue Personen bedeuten eine Umfeldveränderung.

Für manche Behandler_in ist die Information, dass auch sie Akteur_innen im Leben(sabschnitt) ihrer Patient_innen sind, mehr oder weniger flash news.
Die sie von sich weisen (müssen).
Weil “professionelle Distanz”.
Statt “Anerkennung zwischenmenschlicher Beziehung in definierten Grenzen”.

Auch an der Stelle taucht manchmal wieder eine adultistisch-ableistische Grundannahme auf: “Jemand di_er als Kind so gelitten hat, dass si_er Kinderinnens entwickelt hat, braucht eine Art der Fürsorge und Nähe, wie sie im Kontext der Behandlung/Pflege unangemessen (“von mir nicht leistbar”) ist.”.

Die bei Außenkindern als notwendig anerkannte bedingungslose Globalfürsorge, wird bei Erwachsenen mit anderen Befähigungen (also Behinderungen oder Krankheiten) zu etwas, das nicht kritisch hinterfragt wird, sondern als mit oder von der Person ausgehende An_Forderung, die angenommen und/oder vorausgesetzt wird.

Das bedeutet für Menschen mit DIS, die (noch) oft zu Kinderinnens wechseln, dass sie nicht als erwachsene (befähigte) Person, die mit kindlicher Strategie auf etwas reagiert, gesehen wird, sondern als Person, die im Kern (auch) noch kindlich ist (oder schlimmer: sein will, weil sie ihr Umfeld kontrollieren oder manipulieren will).

Für uns haben sich Umfelder als hilfreich bewährt, die sich selbst als auch Wechsel/Flashback/Problem auslösende Quelle verstanden haben bzw. verstehen.
Denn ihr Umgang mit diesem Selbstverständnis liefert uns Ideen und Verhaltensblaupausen zum moderaten Umgang bzw. zur alternativen Strategieentwicklung für uns selbst.

Von Menschen, die dysfunktionales Verhalten einzig abstrafen und zu kontrollieren abverlangen, können wir auch nur lernen, unser dysfunktionales Verhalten abzustrafen und zu kontrollieren abzuverlangen.
Von Menschen, die andere Wege (als die eigenen, oder die der Mehrheit der Menschen) zum Ziel für unnormal, krankhaft, falsch, nervig … halten, können wir auch nur das übernehmen.

Von Behandler_innen wird nicht zuletzt deshalb auch ein grundsätzlich wertschätzender, anerkennender, respektvoller Blick bzw. wertschätzende, anerkennende, respektvolle Grundhaltung auf Klient_innen/Patient_innen abverlangt. Da geht es nicht darum einander zu mögen oder gut zu heißen, was die Personen jeweils tun. Da geht es darum, einander nicht zu demütigen oder herabzuwürdigen, weil man ist, wie man ist.

In einem früheren Artikel beschrieben wir Kinderinnens als eine Art innere “apokalyptische Reiter”.
Noch heute betrachten wir sie so.
Wir wissen, dass das Auftauchen eines Kinderinnens bei uns niemals für eine gute innere Gesamtverfassung spricht.
Immer geht es darum, sich (uns) so in Not und Bedrängnis oder innerer Inkongruenz zu erleben, dass ein früherer Zustand eintritt, der nur noch ganz spezifische Strategien zur Aufrechterhaltung des Lebens oder der Kommunikation – und Interaktion möglich macht.
Dieser Zustand ist es den wir mit “Kinderinnen” oder “Innenkind” bezeichnen.

Menschen, die nicht viele sind, können dazu sagen: “Ich fühle mich, als wäre ich wieder ein Kind.” – denn sie erinnern sich daran, wie es war ein Kind zu sein. Sie leben nicht mit einer umfassenden dissoziativen Amnesie für die eigene Biografie und können ihre inneren Zustände weniger fragmentiert erinnern.

Wir jedoch haben vermutlich schon als Kind dissoziiert er_lebt und erinnert. Entsprechend sind solche (erinnerten) Zustände fragmentiert und erlebt.
Durch das Zusammenspiel der fragmentarischen Wahrnehmung und immer wieder nötigen Dissoziation haben sich daraus Ich-Zustände entwickelt. Also etwas, das wir heute als “konsistentes Ich” also “Innens” bezeichnen.

Das bedeutet für uns in der therapeutischen Arbeit, dass wir uns nicht als eine Person, die in manchen Aspekten “unreif/kindlich/weniger befähigt” ist, sehen, sondern als Person, die unterschiedliche Zustände aus Zeiten der relativen Unreife/Kindlichkeit/weniger ausgeprägten Befähigung nicht kongruent und umfassend assoziiert.

Dieser Unterschied ist für uns ein wichtiger Punkt in er Therapiearbeit gewesen.
Denn lange saßen wir einem Missverständnis auf, das uns viele Jahre gekostet hat.
Man sagte uns (teilweise auch einzelnen von uns) immer wieder und wieder, wir müssten die Kinderinnens (aber natürlich auch alle anderen Innens) als Teil von uns akzeptieren und integrieren.
In unserem Verständnis bedeutete dies: Uns damit abfinden, dass wir ein fragmentierter und also immer irgendwie unfähiger, unreifer Mensch sind, der nicht in der Lage ist, jemals irgendwie kontinuierlich befähigt zu sein, wenn wir das nicht endlich mal begreifen.

Nun kann es sein, dass wir aufgrund unseres autistischen Strickmusters einfach sehr anfällig dafür sind, so fatale Missverständnisse über so unkonkrete Sprache zu entwickeln.
Daneben besteht jedoch durchaus auch die Möglichkeit, dass man sich als Behandler_in, gerade bei so diffizilen Diagnosen wie der DIS und DDNOS, die mit ihrem psychoanalytischen Überbau und der ganzen anderen Historie der Deutungshoheiten, sowieso schon immer irgendwie bedeutet, mit einem Bein in der Unglaubwürdigkeit oder dem Skandal zu stehen, lieber einmal mehr zu schwammig/waberig/unkonkret ausdrückt, als zu viel.

Auch hier wieder eine Stelle für flash news: Wo geraten werden muss, da kann falsch geraten werden – und wenn Menschen sich selbst ein Rätsel sind, dann hilft weiteres Rätselraten in 100% der Fälle nicht weiter.

Uns sind Behandler_innen, die das Rückgrat zum Fehler machen haben, in jedem Fall lieber, als “wischiwaschi irgendwie so durchschlängel-Künstler_innen”, denen das eigene Ego und die eigene Reputation am Ende wichtiger ist, als die Ergebnisse der Zusammenarbeit mit ihren Klient_innen.

Heute haben wir Kinderinnens als Marker für unseren allgemeinen Orientierungsstatus und als Informationsträger für bestimmte Strategien in unsere innere Arbeit inkludiert. Das heißt: Wir haben sie nicht als Teil von uns integriert, sondern als Teil dessen, was wir für unser (Über-) Leben zu leisten fähig sind.

Dass wir sie nicht als Teil von uns integriert haben, hat den einfachen Grund, dass wir nachwievor keinen umfassenden Ich bzw. Selbstbegriff haben, der uns alle umfasst, weil neben dem intellektuellen Erfassen von einander, noch kein emotionales/inneres/tieferes Begreifen und “natürliches” (also “unangestrengtes/unbewusstes”) Assoziieren von einander steht.

Wir sind nicht “Eine mit vielen” – wir sind “viele Eine mit vielen”. Ein Selbst haben wir nie entwickelt.
Es hat in unserem Fall also keinen Sinn, Kinderinnens als etwas zu sehen, das sich von einem Kern abgeleitet entwickelt hat und ergo zurück in diesen Kern hineinentwickeln könnte.

Unser Weg ist der, unsere Fähigkeiten jeweils miteinander zu erfassen, zu synchronisieren, miteinander kompatibel zu machen, gut zusammenarbeiten zu lassen und irgendwann vielleicht zu sehen, dass bestimmte Systeme zu einem System verschmelzen. Und dann mit einem anderen. Und dann mit einem nächsten.
Wenn sich daraus dann ein Kern entwickelt – dann können wir über die Anerkennung und Integration von Anteilen in diesen Kern sprechen.
Bis dahin besteht unser Kern aus dem Körper selbst als kleinster gemeinsamer Nenner.

Unsere Art Kinderinnens mit ihren Fähig- und Fertigkeiten in die innere Arbeit und auch Teile des Alltags zu integrieren, sieht wie folgt aus:

– wir analysieren die Situationen, in denen sie aufgetaucht sind, auf mögliche Trigger
– diese Trigger analysieren wir in der Therapie auf Missverständnisse (fehlerhafte Assoziationen traumatischen Materials, die die Ausentwicklung der Zustände zur Folge hatten, die wir heute als Kinderinnens wahrnehmen)

– wir versuchen herauszufinden, wie sie sich verhalten haben, welches Bild sie von sich und der Welt haben
– wir besprechen diese Dinge in der Therapie, um uns ihrer Perspektive anzunähern (um ihre Perspektive auf bestimmte Situationen, allgemein mitbedenken zu können, um Missverständnissen aktiv vorbeugen zu können)

– wir setzen uns mit Ableismus und Adultismus auseinander und arbeiten daran internalisierte Grundannahmen über unsere Fähig- und Fertigkeiten durch konkrete Selbsterfahrung zu revidieren oder zu ergänzen oder zu falsifizieren
– wir folgen Impulsen kindlicher Begeisterung und Neugier bzw. begleiten sie mit der Absicht sie durch unsere erwachsene Außenpräsenz (und damit auch den Rechten und Privilegien, die wir als erwachsene Person haben) zu unterstützen
(Konkreter formuliert: wenn wir merken, dass ein Kinderinnen etwas im Außen spannend findet, dann widmen wir uns dem spannenden Ding gemeinsam und ermöglichen die Auseinandersetzung damit als Person, die das auch darf – nicht weil sie erwachsen ist, sondern, weil man da etwas wahrgenommen hat, das man spannend findet)

– wir schützen unsere Kinderinnens vor adultistischen Übergriffen außenstehender Personen (“Oh wie süß ein Innenkind!”)
– wir schützen unsere Kinderinnens vor der Idee, sie wären “das Kind, dass wir nie sein durften”
– wir bieten unseren Kinderinnens Raum sich auszudrücken (in der Therapie, in der Freizeit, in Bereichen des Alltags, wo wir nur für uns funktionieren und Verantwortung tragen müssen)

– wir öffnen uns für ihre Erfahrungen, als Erfahrungen, die wir gemeinsam gemacht haben, obwohl es sich in den meisten Fällen nicht so anfühlt

Kinderinnens sind kein amüsantes Feature in Menschen, die viele sind.
In vielen Fällen sind autark nach außen agierende Kinderinnens der Grund, weshalb Menschen, die viele sind, überhaupt in psychiatrische Einrichtungen oder Psychotherapie müssen. Daran ist nichts amüsant oder niedlich.

Wir haben ein Kinderinnen, das sich tot stellt, wenn es sich (uns) zu stark von Menschen bedrängt erlebt.
Es gibt ein Kinderinnen, das Dinge erst isst, wenn sie so verfault sind, dass Maden drin rumkriechen.
Wir haben Kinderinnens, die Menschen nur anstarren und darauf warten miss.be.handelt zu werden.

Nichts daran ist süß. Keinem von ihnen hilft es betüddelt  und mit Liebe überschüttet zu werden. Sie brauchen völlig andere Räume und Wege, um sich überhaupt der Idee annähern zu können, dass ihr Er_Leben heute auch ein anderes sein könnte.
Da reicht oft auch nicht unser 10 km Waldwanderweg, auf dem wir uns einander nähern und der Welt bekannt machen.

Bei unseren Kinderinnens geht es um das 24/7 zu haltende Bewusstsein, dass sich (selbst) zu fühlen variabel und innerhalb bestimmter Grenzen von Zeit und Raum passieren kann. Dass Dinge und Erfahrungen einem_einer nicht einfach nur passieren, sondern auch selbst gemacht werden können oder selbst verhindert werden können. Dass es Kontexte gibt, in denen Verantwortung und verschiedene soziale Fertigkeiten eine Rolle spielen.
Adultistischer Ableismus verhindert jedoch genau diese Erfahrungen systematisch.

Deshalb wollen wir nicht, dass irgendjemand unsere Kinderinnens oder das was sie tun, für süß, niedlich oder harmlos hält.
Wir wollen, dass andere Menschen wissen, dass sie befähigt sind.
Dass sie Wege und Ziele kennen.
Dass sie Geschichten und Perspektiven auf den Lauf der Dinge haben.
Genauso wie wir erwachsenen Innens.

Sie haben den gleichen Respekt und den gleichen Anteil der Therapiearbeit verdient, wie wir.

 

* Text als PDF zur freien Weitergabe

fault

Später dachte ich an die Diagnose der “Anpassungsstörung” und sah mir dabei zu, wie ich die Anführungszeichen abmontierte, um sie um das Wort ‘Diagnose’ zu klemmen.

Die Anpassungsstörung ist da.
Ich bin die Störung und ihre Ursache gleichzeitig.

Anpassung ist etwas, das nur vom Außen gesehen und eingeordnet werden kann.
Anpassung ist ein Entwicklungsbegriff.
Ein Wort aus der Verhaltens_Evolution.
Niemand weiß, ob etwas oder jemand angepasst ist oder nicht. Es sei denn, man hat eine Vorstellung von angepasstem Sein und beobachtet ein Scheitern.

 

Menschen machen es sich mir gegenüber leicht.
Manche erklären das unpassende Fehlersein zur Kunst, zur Revolution, zu einem Teil des fernen Laufs der Dinge, der ach so öde und reizlos, kaum mit ihnen selbst verbunden ist.
Sie hören meine Not daran, doch halten sie für meinem Sein immanent. Nicht dem, das ich mit ihnen teile.

Und manche nutzen es für sich.
Werden von dem, worauf ich deute, was ich mit_teile und aufzeige, inspiriert und angestoßen. Sie stehen neben meinen Kämpfen und wärmen sich an der Hitze meiner Gefechte.
Ohne zu hinterfragen welche Rolle sie dabei spielen könnten.
Welche aktive Rolle sie dabei spielen könnten.
Sie denken an sich und vergessen mich.

Manchmal merke ich, wie ich nicht ernstgenommen werde und denke darüber nach, ob ich mich gekränkt oder unverstanden fühle.
Relativierung ist etwas, das meiner Not immanent ist. Klein machen. Entschärfen. Emotionalisieren. Subjektivieren. Und darüber: entwerten.
Nicht vor mir – aber vor denen, an die ich mich richte. Wenn ich mich an jemande richte.

In der Regel richte ich mich nicht mehr an konkrete Gegenüber.
Wenn ich etwas sage, spreche ich in eine diffuse Idee, die ich mir nicht konkreter wünsche.
Wenn ich etwas sage, dann sage ich es nicht, weil ich mir für mich etwas erhoffe. Sondern, weil es da ist. Und oft nicht okay. Oft ein Skandal. Oft ein Fehler.
Oft etwas, das zu ignorieren mir nicht in den Sinn kommt.
Wer ignoriert denn einen Elefanten im Wohnzimmer?

 

Ich weiß nicht mehr, warum ich mich einmal dazu entschieden hatte, mich und das, was ich sehe mit.zu_teilen.
Es gab nie einen Gewinn zu erwarten. Außer den der Gemeinsamkeit mit dem, was um mich herum ist und passiert.
Miteinander.

 

Miteinander ist für Gewinner_innen.
Nicht für Fehler.
Gewinne werden entlang von Verlusten definiert.

Mit anders sein, ist nicht_s zu gewinnen.

„Ausbildung inklusive“, Episode 7: „von Schüler_innenschwund und bewusstem Lernen“

“Seit Beginn des Schuljahres haben wir 4 Schüler_innen verloren.”, leitet unsere Klassenlehrerin ein Gespräch über Fehlzeiten, Entschuldigungsformularien und mögliche Konsequenzen  ein.
Es klingt, als wären wir im Krieg, oder unsere Klasse ein nicht sorgfältig beladenes Vehikel, das auf der Fahrt zum Abschluss, mal hier und mal da etwas verloren hat.
Abgelenkt von dem Häufchen falsch sortierter Wörter, sitze ich dort und bleibe auf Abstand mit meiner Angst vor den eigenen Fehlzeiten und ihren Aus_Wirkungen.

Es sind nicht viele. Schon gar nicht unentschuldigte. Aber doch – ich fehle häufig und damit fehlt mir Unterrichtstoff.
Mir fehlt die Inhaltwiederholungszeit, die Zeit zur Anwendung und Übung bereits bekannter Inhalte. Mir fehlen die Wortketten der Lehrer_innen, die sie im Unterricht auslegen und später von mir auf Test- und Klausurenzettel kopiert haben wollen.

Wenn ich lerne, dann tue ich es anders als in Seminaren zu Lernstrategien vorgeschlagen. Wenn ich mir Stoff selbst aneigne, dann tue ich das auf eine schwer mit dem Unterricht in der Schule in Einklang zu bringende Art.
Ich lerne nicht auswendig, ich lerne nicht intuitiv – mir “passiert” das Lernen neuer Inhalte nicht.
Und das ist von weitreichender Konsequenz dafür, wie ich vom Unterricht profitieren kann.

Diese Woche fand ich einen guten Vergleich dafür, wie es für mich ist – das Lernen, das Sprechen, die Interaktion mit anderen Menschen und so manches einander missverstehen.
Es war in einem Moment, in dem meine Englischlehrerin mich entstressen wollte, nachdem ich 2 Wochen gefehlt hatte. Sie sagte etwas, das schon die Deutschlehrerin und viele andere Menschen, die meine Texte lesen, zuvor oft gesagt hatten: “Du hast so ein gutes Sprachgefühl…(mach dir mal keine Sorgen um deine Noten im Unterricht)”.

Das Problem: Ich habe kein gutes Sprachgefühl – ich habe ein gutes Gefühl für Muster und Systematik

Für mich funktioniert Sprache wie eine schier unendlich große Steinsammlung.
Lesen und Gespräche anderer Menschen anzuhören, ist für mich wie Steine sammeln.
Es gibt schöne Steine, es gibt scharfkantige. Es gibt Brocken, es gibt Kiesel. Es gibt Steinlawinen, es gibt Schotterflächen.

Das Schreiben von Texten ist meine Art der Sortage. Mein eigenes Muster – manchmal auch das Herzeigen meiner eigenen Steinsammlung.
Manchmal bin ich mutig und spiele mit Rhythmus und Metaphern und lege Worte aus bis zu 5 verschiedenen Sammlungen zu einem mehr oder weniger harmonischen, schönen, passenden Bild zusammen.
So blogge ich. So schreibe ich Phantasiegeschichten, Gedichte und Texte, die in anderen Menschen ganze Panoramen entstehen lassen.

Doch für mich sind es Steine.
Also: konkrete Gegenstände. Werkzeuge. Hilfsmittel.

Menschen mit echtem* Sprachgefühl und intuitivem Spracherwerb können diesen Aspekt vielleicht in Teilen nachvollziehen – würden daneben aber vermutlich immer auch sagen: “Ja, aber Worte sind doch auch noch SO VIEL mehr!”.
Dieses “so viel mehr” habe ich bis heute nicht gänzlich erfasst. Wohl aber, habe ich eine Sammlung von Worten aus den Versuchen anderer Menschen, die mir genau das zu vermitteln versuchten.

Worte und Sprache sind für mich auch nicht gekoppelt an Stimme und Körper (einzige Ausnahme: Gesang und Poetry Slams)
Natürlich höre ich Betonungen und Zwischentöne – natürlich registriere ich Gesten und Gebärden – aber die Worte dazwischen werden schwer aufnehmbar für mich, wenn ich sie auch mit einsammle.

Dass die Wortwahl von Menschen auch von ihrer Klassenzugehörigkeit und ihrer sozialen Umwelt bestimmt wird – dass es Kontexte mit ganz eigener Sprachkonstruktion gibt, war für mich eine der größten Entdeckungen in den letzten Jahren.
Die Architektur der Lüge, des Witzes, der Spannung, der Vermittlung verschiedener Standpunkte und Kontexte – für mich passiert sie immer davon losgelöst.
Ich kann akademisch sprechen und schreiben, weil ich aus meiner Sammlung von akademisch sprechenden und schreibenden Menschen schöpfe – nicht, weil ich umgeben von Akademiker_innen eine akademische Ausbildung erfahren habe.

Wenn ich mit solchen Menschen zu tun habe, wähle ich diese Sammlung, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sie so am wenigsten anstrengend für mich mit mir kommunizieren – nicht, weil ich diese Art der Sprache für richtig, wichtig, gut befinde oder mich selbst über meinen eigentlichen Status erhöhen will.
Jedoch sagen Menschen einander genau das auch, wenn sie auf diese Art miteinander sprechen.
Ein Umstand, den ich in seiner Bedeutung für mich und die Art wie ich verstanden und als Person bewertet werde, tatsächlich erst vor wenigen Jahren wirklich begriff.

Und an dieser Stelle wird Unterricht für mich schwierig.
Schulunterricht sollte eine sachliche Informationsvermittlung sein – ist es aber nicht.
“Natürlich nicht!”, sagt der neurotypische Mensch. “Das wär ja stinklangweilig!”.
Menschen, die nicht von Gebärden und Gesten, von Beispielen aus einem anderen Lebensbereich (für mich: aus einer anderen Sammlung), Nebengeräuschen jeder Art und dem Druck, den es eben macht, wenn man weiß, dass alles Gesagte verstanden und später unter Beweis gestellt werden muss, abgelenkt werden, haben in der Folge so enorm viel mehr Raum für Langeweile, dass diese in ihrem Auftreten nur logisch erscheint.

So entwickeln sich die Lehrmethoden auch immer mehr zu Gruppen- und Projektarbeiten, zu Unterricht zum Anfassen, zu Mediennutzungseinheiten und an unserer Schule auch: weg von Hausaufgaben.
Es wird immer schwieriger für meine Mitschüler_innen mir nach einer Stunde zu sagen, was sie gelernt haben – denn sie haben sehr viel gemacht und das Lernen ist ihnen dabei unbewusst passiert.

Als ich zur Grundschule ging (im Ostdeutschland der 90er Jahre), kam ich immer mit Hausaufgaben aus der Schule.
So hatte ich jeden Nachmittag einen Anlass, die über den Schultag an mich geklammerten Wörtersammlungen  loszulassen und zu sortieren. So konnte ich lernen, welche Worte wohin (zu welchem Lehrer (und damit: zu welchem Fach, welcher Tageszeit, welchem gewünschten Verhalten)) gehören und so hatte ich eine Chance mir herzuleiten, welche Sammlung welches Ding bzw. welchen Kontext beschreibt und damit eine Chance darauf, den Transfer zur Anwendung zu schaffen – obwohl um mich herum gequatscht, geraschelt, verwirrendes Zeug getan wurde.

Heute merke ich, wie wichtig so sortierte Sammlungen für mich sind. Habe ich keine, oder ist die, die ich habe, nicht auf dem neusten Stand, habe ich keinerlei Möglichkeit zu verstehen, was wir wieso wozu gerade tun, was ich selbst tun soll, was von mir erwartet wird, welche Worte und Inhalte relevant sind.
So fange ich an wahllos nach allem zu grapschen, was ich finde – was jedoch bei Gruppen- und Projektarbeiten zum Beispiel, zu 95% keinerlei Hinweise für mich enthält, welche Sammlung jetzt heranzuziehen ist.
Und das ist unheimlich anstrengend.

Ich komme durch diesen Energieverlust schnell in Stress, reagiere darauf mit Dissoziation und verliere dadurch Zeit (Stichwort: dissoziative Amnesie, andere Menschen erleben so etwas, nach schweren Autounfällen oder Momenten der akuten Lebensgefahr – you get the idea of my Stresslevel an der Stelle).
Mein Persönlichkeits-Zustand verändert sich. Alles in mir schaltet auf hart sein, festhalten, durchhalten, aktiv nach allem greifen was fassbar ist – für Lehrer_innen sieht das aus wie “aktive Mitarbeit” und Himmel!, was hab ich für ein Glück, dass das in die Noten mit einfließt.

Doch meine “aktive Mitarbeit” ist ein Kampf um Verstehen und Begreifen. Es ist ein bewusstes Handeln, das nur deshalb aktiv wirkt, weil meine Art zu lernen eine aktive im Sinne von: “sehr bewusste” ist. Und das lernen Lehrer_innen für Regelschulen nicht als übliche Form des Lernens im Unterricht – sondern als Form der Prüfungsvorbereitung oder der Hausaufgaben, wenn die Schüler_innen sich bewusst und in Eigenregie mit dem Stoff beschäftigen oder als Verhalten von stark intrinsisch motivierten Schüler_innen. Also als etwas, das eher wenig mit den Lehrenden oder den Fähig- und Fertigkeiten der Schüler_innen bzw. deren Lernverhaltenskonstruktion zu tun hat.

Der Begleitermensch zitiert in unseren Gesprächen über die Schule häufig aus internationalen Studien, die sagen, dass autistische Schüler_innen mindestens den doppelten Energieaufwand haben, um zu lernen.
Ich kann mir nicht vorstellen, was von meinem Lernen anders sein müsste, damit Schule an sich nur noch halb so anstrengend für mich ist, wie jetzt.

Manchmal denke ich, wenn meine Angst nicht mehr so stark wäre, würde es sicher leichter. Manchmal denke ich, wenn ich weniger verwirrt wäre, wäre es leichter. Und immer öfter merke ich, dass es schon viel erleichtern würde, würden Schein und Sein nicht erst über Inkongruenz als zwei eigenständige Dinge betrachtet. Es gibt viele Dinge, die Menschen unbewusst und intuitiv machen. Doch das heißt nicht, dass sie nicht auch bewusst und gezielt gemacht werden können. (Gleiches gilt anders herum.)

Ich kann mich seit Beginn der Berufsausbildung immer häufiger als jemand wahrnehmen, die_r Menschen irritiert, weil der Einsatz bzw. das Aus_Wirken von bewusstem und unbewusstem Re_Agieren teilweise grundlegend anders passiert. Und während ich keinen Schmerz daran habe, mich zum Zwecke des Verstandenwerdens auch zu erklären, gibt es durchaus die Momente, in denen Menschen durch diese Erklärungen merken, wie wenig aktiv, bewusst, kontrolliert und vielleicht: selbstbestimmt im Sinn von “das mache ich mit Absicht aus diesen und jenen Gründen”, sie in ihrem ganz üblichen Funktionieren sind.

Manchen tut das weh. Manche sind irritiert und doch auch fasziniert von dieser Entdeckung eigener Ränder. Und manche reagieren mit nebulöser Furcht aus Überforderungsgefühlen heraus.

Doch immer geht es weiter. Gnadenlos schnarrt der Klingelton aus dem Lautsprecher im Klassenraum. Unbarmherzig drängeln Lehrplan, Schulbürokratie und Bildungspolitik unser aller Lebensrealität durch das Stück gemeinsamen Laufs der Dinge.

Und manchmal verliert man dabei Schüler_innen.

Fundstücke #40

In der Deutschklassenarbeit gab es eine Aufgabe,
die mir geholfen hat etwas über (Innen)Kinder zu verstehen.
Das will ich mit.teilen.

Die Aufgabe zeigte eine Zeichnung.
Die Zeichnung sah so aus:

Man sieht 2 Figuren, die auf unterschiedlichen Ebenen stehen.
Die Figuren werden durch einen Dialog verbunden.
Das sieht man, an der Form des Wortes “Dialog”.
Die Form soll an eine Leiter erinnern.

In der Aufgabe sollten wir erklären, warum es wichtig für gute Kommunikation ist,
wenn man auf der gleichen Ebene zueinander spricht.

Was ich über (Innen)Kinder verstanden habe,
zeige ich jetzt auch mit einer Zeichnung.
Die Zeichnung sieht so aus:

Man sieht eine kleine Figur und eine große Figur.
Die kleine Figur bedeutet ein (Innen)Kind.
Die große Figur bedeutet eine erwachsene Person.

Die Figuren werden durch den Dialog verbunden.
Das Wort sieht wieder wie eine Leiter aus.
Weil das Kind kleiner ist als die erwachsene Person.

Obwohl beide Figuren auf einer Ebene stehen
funktioniert jede Kommunikation zwischen ihnen wie eine Leiter.

Ich kenne Leitern.
Ich finde es anstrengend Leitern zu benutzen.
Man muss aufpassen
– dass man nicht daneben tritt
– dass man das Gleichgewicht behält
– dass man nicht vergisst, was man machen will
– dass jemand da ist, der die Leiter gut festhält

Wenn (Innen)Kinder einen Dialog mit erwachsenen Personen machen,
müssen sie auch aufpassen.
– Dass sie die richtigen Wörter benutzen
– Dass sie alles sagen, was sie wollen
– Dass sie beim Sprechen nicht vergessen,
dass sie laut genug sein müssen

Mir ist aufgefallen, dass viele Kinder, die mit erwachsenen Personen sprechen,
Hilfe beim Dialog machen bekommen.
Zum Beispiel:
– die erwachsene Person gibt Wörter, wenn dem Kind eins fehlt
– die erwachsene Person versucht alle Wörter zu verstehen
– die erwachsene Person macht leicht verständliche Dialoge mit dem Kind
– zum Beispiel mit leichten Wörtern
oder mit kurzen Sätzen

Mir ist aufgefallen, dass wir andere Dialoge machen.
Dafür habe ich eine Zeichnung gemacht.
Die Zeichnung sieht so aus:

Man sieht zwei Gesichter und zwei Sprechblasen.
In der oberen Sprechblase* steht:
“Monolog
– Einleitung/These
– Begründung/Beispiele
– Fazit/Spiegelfrage/Überleitung”

In der unteren Sprechblase steht:
“viele Wörter-Antwort”
Man sieht viele kleine Pünktchen und Linien,
die durcheinander sind.

Ein Pfeil zeigt auf die untere Sprechblase.
Dort steht:
“dazwischen verstecken sich die Wörter,
die man zum Überlegen einer Antwort braucht”

Das soll darstellen, dass wir ein festes Schema beim Reden haben.
Und, dass wir die Antworten von anderen Menschen nicht als Schema erkennen,
sondern als Aufgabe.
Oder als Rätsel.

Jetzt schreibe ich, was ich über Innenkinder verstanden habe.

Ich habe verstanden, dass sie einen Dialog immer wie eine Leiter machen müssen,
weil sie noch klein sind.
Und gleichzeitig die  Wörter für eine Antwort finden müssen,
und ihnen niemand hilft.
Weil die anderen Menschen eine erwachsene Person sehen
und anders mit Wörtern und Sprache umgehen,
als wir.

Ich habe verstanden, dass wir den Innenkindern helfen können,
damit es nicht so anstrengend für sie ist.
Zum Beispiel
– wenn wir unsere gesammelten Wörter mit ihnen teilen
– wenn wir bei ihnen sind, wenn sie einen Dialog mit einer erwachsenen Person machen
– wenn wir alles leicht verständlich für sie sagen
– wenn wir versuchen alles zu verstehen, was sie uns sagen wollen

Wir sind erwachsen.
Wir können für die Innenkinder gute An.Sprechpartner_innen sein.
Dann wird es weniger anstrengend für uns alle.

Dafür habe ich auch eine Zeichnung gemacht.
Weil ich Lust dazu hatte.


*Das Sprechschema ist von Innensystem zu Innensystem unterschiedlich starr bzw. wird unterschiedlich flexibel gehandhabt.