Angst, Panik, Medizin oder: für eine Kurznarkose reichen keine Todesängste

Wiesenblüte2Manchmal denke ich, dass es daran liegt, dass man auf diesem Stuhl irgendwie aufgeklappt wird.
Man liegt überstreckt auf dem Rücken, der Mund ist offen und außer der Decke und dem Kopf der Zahnärztin, sieht man nichts.
Manchmal denke ich: “Wenn ich mir wenigstens angucken könnte, was sie da macht. Wenn ich sehen könnte, was sie sieht, dann könnte ich ihr Schritt für Schritt folgen, mitmachen und mitdenken. Verstehen, was dort passiert.”.

Dass ich es nicht kann, erklärt mir manchmal meine Panikschübe bei der Zahnärztin.
Ich bin in dem Moment so passiv wie es nur geht. Mein ganzer Kommunikationsapparat ist außer Gefecht und empfängt trotzdem noch alle möglichen Warnsignale.

Manchmal denke ich kurz, dass mich jemand anfassen könnte und manchmal kippt es in die Überzeugung, jemand würde mich jetzt gleich sofort anfassen und wie einem vorauseilendem Gehorsam folgend, fühle ich auch schon, wie es ein jemand tut.
Ich merke, wie sich die Muskeln in meinem Brustkorb zusammenziehen und der Panikzug rollt über mich drüber. Dann ist es aus. Keine Luft, der saure Geschmack im hinteren Teil der Zunge, das Rauschen im Kopf, die Ziellosigkeit des Handelns, die Wortlosigkeit, die Verwirrung über die Stasis der Umgebung.

Ich dachte, es wäre mir eine gute Hilfe das Tavor (ein Beruhigungsmittel) zu nehmen und die Behandlungen so etwas gedämpfter zu erleben.
Das Problem ist, dass Dämpfung auch die Gefahr des Kontrollverlustes birgt. So gerate ich in Panik und bin körperlich dabei aber gebremst in den Fight or Flight- Modus zu wechseln.
Für meine Zahnärztin ist das super- die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihr vom Stuhl springe und wie ein Schmetterling durch ihre Praxis flattere, ist geringer. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich reflexhaft die Arme vor den Kopf hebe und sie anstoße, während sie mit einem Werkzeug in meiner Mundhöhle arbeitet, ist geringer.
Emotional ist es aber ein Wiedererleben von Gewalterfahrungen.
Ich schalte in den Freezemodus und versinke in einer Wolke.  Ich bin nicht mehr da und könnte selbst die Frage, ob ich noch lebe, nicht mit Sicherheit beantworten.

Sie könnte dann alles an mir und mit mir machen- ich würde es nicht richtig wahrnehmen.
Und das ist schlecht für uns beide.
Sie fragt mich, wie sich eine Füllung anfühlt, ob alles gut sitzt. Sie fragt mich nach Schmerzen und/ oder wartet auf eine Schmerzreaktion während der Behandlung. Und ich kann ihr diese Fragen nur selten korrekt beantworten. Entweder, weil die Nervbetäubung das Beißgefühl sowieso beeinträchtigt oder, weil ich mich fühle, als würde ich beißen ohne das eigene Gebiss zu benutzen.
Ich reagiere so rudimentär auf das, was sie fragt oder sagt, dass die Wahrscheinlichkeit einer falschen Angabe hoch ist und am Ende sitze ich häufiger in ihrer Praxis als eigentlich nötig.

Ich bin Kassenpatientin ohne Einkommen. Sie verdient nicht an mir und mein Risiko Zähne zu verlieren, weil Zahnerhaltende Maßnahmen zu teuer sind, ist enorm hoch.
Für mich ist es zum Heulen.
Vor Schmerzen zum Einen, denn ich kann inzwischen eigentlich gar nichts mehr essen, ohne irgendwie vorsichtig und/ oder in Schmerzerwartung zu sein. Und vor Angst zum Anderen. Denn nicht nur die Angst vor der Angst dort zu liegen und in Panik zu rutschen, vereinnahmt mich, sondern auch die Angst, die zur Panik wird und die Angst, dass es sich nie verändert und es keine Alternativen gibt- keine Chance auf Rettung und Erlösung auf einer dieser Achsen, weil sowohl finanzielle als auch medizinisch vertretbare Möglichkeiten schwer zu erschließen sind.

Nach der letzten Zahnbehandlung wünsche ich mir mehr denn je eine Kurznarkose für alle weiteren zahnmedizinischen Eingriffe an mir.
Ich kann einfach nicht mehr.
Also schaute ich, was andere Praxen anbieten.

Eine Praxis in meiner Stadt bietet medizinische Hypnose und Lachgasbetäubungen an.
Lachgas wird schon seit 150 Jahren erfolgreich in der Medizin eingesetzt, um den PatientInnen* ein Wohlgefühl zu vermitteln.
Dennoch- für mich klingen die Beschreibungen der PatientInnen* sehr nah an dem, was ich “die weiße Wolke” nenne (anstatt “ich dissoziiere” zu sagen) und neben Händen, die meinen Mund eröffnen und Geräte darin parken, die mir Schmerzen verursachen, auch noch eine Lachgasmaske über meiner Nase zu haben, macht mich schon bei der Vorstellung ängstlich.

Medizinische Hypnosen fallen für mich ebenfalls flach, weil allein eine Leerhypnose (eine Sitzung ohne Behandlung um herauszufinden, ob es bei mir funktioniert) um die 200€ kostet, die ich selbst aufbringen muss. Außerdem haben medizinische Hypnosen das Ziel einer Trance bzw. eines tranceartigen Zustandes. Von Schmerzen befreit auch eine Hypnose nicht und, ob ich mit meiner dissoziativen Störung nicht bereits in der Vorbereitung der Hypnose dissoziiere (anstatt in Trance zu gehen- was tatsächlich ein Unterschied ist) ist für den anderen Menschen, der mich hypnotisiert, nicht unbedingt leicht erkennbar.

Und: das Gefühl der Passivität bei vollem Bewusstsein, das für mich durch das jahrelange Erleben von Gewalt noch immer untrennbar mit der absoluten Passivität (der absoluten Unterwerfung) verbunden ist, würde nach wie vor bestehen.

Mein Kopf, mein Bewusstsein, meine Wahrnehmung der Situation ist das “Problem” und das ist etwas, das mir bis heute im Bewusstsein vieler MedizinerInnen fehlt, wenn sie mit mir als Angstpatientin mit Traumahintergrund zu tun haben.

Deutlich gemerkt habe ich das letztens bei meiner Gynäkologin.
Auch sie ist, wie meine Zahnärztin auch, sehr freundlich, nimmt sich Zeit zum Erklären, was dran ist. Auch bei ihr schaffen wir es in freundlich scherzhaftes Geplänkel zu gehen, das uns über das Gefühl hinweg hilft in einem kritischen Fokus zu stehen. Dass das Gefühl berechtigt ist, wissen wir (einfach ja schon dadurch, dass wir nur medizinische Hilfe annehmen, wenn es (unaushaltbare) Schmerzen gibt oder allgemein etwas “nicht richtig (=wie immer)” läuft), aber die Unterscheidung, dass von der Sichtbarkeit eines Mangels oder Defizits nicht unser Leben abhängt- wie früher in Gewaltkontexten- ist sehr wichtig für uns.
Wenn wir es nicht schaffen das Gefühl einer Mängelprüfung abzulegen, dann wird die Wahrnehmung aller Beschwerden und allgemeiner Körperempfindungen nach wie vor blockiert (abgetrennt) und es fühlt sich für mich an, als wäre nie etwas gewesen – bis ich die Praxis verlassen habe.

Meine Frauenärztin musste meinen Körper untersuchen und wir sprachen darüber, was ich brauche, um nicht von der Angst in die Panik zu rutschen.
Ich hatte meine Karteikarten dabei, auf denen ich meine Stichpunkte aufgeschrieben hatte, konnte es aber auch so gut aussprechen (was für mich schon ein Marker war für: “Yeay- ich habe einen guten Tag, bin gut orientiert und klar”). Ich sagte ihr, dass ich wissen muss, was sie macht- aber nicht nur was sie direkt tut, sondern auch warum und wozu (und gegebenenfalls womit). Es erstaunte sie, dass ich sie darum bat auch Fremdwörter zu verwenden und im Zeitraum der Untersuchung auf Einschätzungen und Untersuchungsergebnisse zu verzichten und mir diese erst dann zu sagen, wenn ich wieder angezogen (gesichert) sei.

Ich erklärte ihr, dass ich bereits Angst habe und die Schwierigkeit der Panikverhinderung darin besteht, dass es mir schwer fallen bis unmöglich sein kann, die Situation in dem medizinisch sachlichen Kontext wahrzunehmen (und geistig für mich präsent zu halten) in dem sie stattfindet. Es reicht nicht, wenn sie mir sagt, dass sie mich gleich berühren wird – das werde ich merken, ob sie es sagt oder nicht. Wenn sie mir aber sagt: “Ich werde Sie mit meiner Hand und diesem und jenem Instrument da und da berühren, um dieses und jenes zu tun, um dies oder das zu untersuchen, um das und das auszuschließen” , bekommt sowohl die Situation, als auch die Berührung einen Kontext und mein Gehirn bekommt Futter um den langen Weg der Reizleitung zum Frontallappen zu schaffen, anstatt aufgrund von zu wenig Informationen auf altbekannte Selbstschutzreflexe zurückgreifen zu müssen (was dann die Fight, Flight, Freeze- Reaktion (der kurze Weg) ist).

Das Angefasst werden allein ist nicht, was Panik in mir verursacht. Es geht auch um den Anspruch dabei still zu sein, sich Schmerzen nicht ansehen zu lassen, lächeln zu müssen und auf Fragen (richtig) antworten zu müssen- obwohl man nicht weiß, was eigentlich warum gerade vor sich geht.
Die Gynäkologin hatte mir Schmerzen bei der Untersuchung verursacht, aber einfach, weil mir klar sein durfte: “Sie hat das und das gemacht, um das und das auszuschließen und sie braucht meine Äußerungen von Schmerz (oder auch anderen Gefühlen), um die Symptome einzuordnen.” und, weil ich bei der Einordnung dieser Symptome auch direkt beteiligt wurde, (indem sie mir sagte, was sie wie einordnete) konnte ich genug Marker wahrnehmen, die mich in meinem Sein als mündige erwachsene Patientin versicherten.
Natürlich habe ich gezittert, hatte kalte Hände und schwankte zurück in die Kabine, aber ich bin weder in andere States oder zu anderen Innens gewechselt, noch hatte ich Panik, noch kam es zu einem Wiedererleben, obwohl sie im Grunde alles getan hat, was mein Gehirn zu traumareaktiven Mustern hätte greifen lassen können.

Ich habe das Gefühl, dass bei MedizinerInnen* durchaus das Bewusstsein dafür da ist, dass ihre direkten Handlungen zu Verwechslungen und Fehlwahrnehmungen der Gesamtsituation führen können.
Doch die Reflektion auf sich und die PatientInnen* zusammen in einem bestimmten Kontext fehlt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass unsere Medizin als Wissenschaft die maximale Trennung zu den PatientInnen impliziert und vorschreibt. Also ganz bewusst keine Gemeinsamkeit mit den Menschen, die behandelt werden, produziert werden dürfen.
So entsteht allerdings auch der blinde Fleck des einfach immer gemeinsamen Kontextes einer Situation, in der es um Defizite oder Mängel (“Krankheiten”), Macht und Ohnmacht, (Zu-/Ver-/ sich) Trauen und Verantwortung geht.

MedizinerInnen* sind keine Geister oder eine Art Metakraft, die sich nur in Form von Instrumenten an den PatientInnen* manifestiert.
Wenn ein Mensch zu ihnen kommt und ihnen sagt: “Ich habe (zwischenmenschliche) Gewalt erfahren”, muss in ihnen alles anspringen, um das Gewaltverhältnis MedizinerIn* (aktiv behandelnd) – PatientIn* (passiv behandelt werdend) zu begradigen, um dem traumatisierten Gehirn in dem Menschen so wenig Verwechslungsmöglichkeiten wie möglich zu bieten und damit einer Retraumatisierung entgegen zu wirken.

Ein Marker für “Heute ist Heute und nicht Damals, als…” ist manchmal schon die Möglichkeit der Patienten, kleine Handgriffe selbst tun zu dürfen.
Ich finde es zum Beispiel gut, wenn ich beim Augenarzt mein gesundes Auge selbst zuhalten kann, damit ich den funktionierenden Kanal selbst regulieren kann, während der Arzt mein Auge mit wenig Sehvermögen im Fokus hat oder auch bei der Zahnärztin den Speichelsauger selbst zu halten, oder bei der Gynäkologin die Wahl treffen zu können, ob sie ein Spekulum verwendet, das sie einhändig verwenden kann oder eines bei dem ich die zweite Hand werde.

Ein weiterer Marker ist auch die Wahl über die Art der Information, die man erhält, zu haben. Ich finde es gut, wenn ich so viele Fragen stellen kann, wie ich brauche, um mich für den Moment der Untersuchung und/ oder Behandlung so richtig in das Thema, den Raum und den Kontext einzuwurzeln, anstatt einen standardisierten Vortrag erzählt zu bekommen, der an meiner (LaiInnen-) Sicht vorbeigeht.

Nicht alles was ich bei MedizinerInnen* sage, hat Hand und Fuß, ist wichtig oder relevant – aber ich sage und erkläre alles, weil ich denke, dass es wichtig und relevant ist. Ich glaube, meine Theorien über bestimmte “Krankheiten” an mir sind für manche ÄrztInnen eher amüsant als hilfreich zur Diagnose und Behandlungsplanung, aber ich habe Gründe dafür zum Beispiel zu denken, dass sich unter meinem Backenzahn ein Hämatom gebildet hat und es deshalb immer so einen komisch dumpfen Schmerz unter meinem eigentlich toten Zahn gibt; oder, dass es so etwas wie Beckenbodenmuskelkater geben könnte oder, dass in meinem Glaskörper irgendwas zu viel drin ist.
Ich darf von meinen BehandlerInnen* erwarten, dass sie mir zuhören und mir sagen: “Ja, ich verstehe, dass sich das für Sie so anfühlt, das kann manchmal kommen, wenn….” und dann kommt eine ordentliche Erklärung, die mir logisch schlüssig und unter Beachtung aller meiner Nach- und Nebenfragen dazu vermittelt wird.
Weder Zeitdruck, noch dass ich nicht daran sterben werde, dürfen Gründe sein, weshalb mir nicht erklärt wird, was los ist. Und zwar ohne herablassende oder mahnende Grundhaltung- wie gesagt: MedizinerInnen* sind keine Schwebegeister über den Dingen, sondern InteraktionspartnerInnen in einer bestimmten sozialen Situation, die durch ihr Verhalten und ihre Machtposition definiert ist und entsprechend markiert werden muss.

Ein weiterer Marker, der meinem traumatisiertem Gehirn hilft das Heute nicht mit dem Früher zu verwechseln ist: respektvolle Interaktion
Beispiel Chirurgie: Es macht einen Unterschied, ob mir ein Arzt einfach die Betäubungsspritzen setzt und dann losnäht, oder, ob er mir erzählt, was er womit betäubt und womit er wie näht.
Als ich noch häufiger an selbstgesetzten Schnitten genäht werden musste, habe ich das stumme zugemacht werden, wie eine Strafe empfunden, bei der symbolisch auch meine Gefühle und die Botschaft hinter den Wunden wieder in mich zurück gestopft wurden. Das war für mich wie eine Art Stopfmast und damit ebenfalls eine Wiederholung von Gewalterfahrungen auf emotionaler Ebene.
Irgendwann hatte ich verstanden, welchen Sinn diese Schnitte für mich haben und äußerte das auch so. Ich sagte, dass ich es brauche, dass mir der Chirurg sagt, was er, warum tut, damit ich die Situation in der Ambulanz von der Situation allein bei mir zu Hause trennen kann.
Ich sagte ihm das etwa so: “Ihr Job ist grad nicht mich dafür zu bestrafen, dass ich mich gerade verletzt habe, sondern die Hautnaht- erzählen Sie mir bitte von ihrem Job an mir.”- das hat überraschend gut geklappt und es fiel mir in der Folge leichter mich grundsätzlich für medizinische Versorgung von Selbstverletzungen zu entscheiden (wenn ich die Kraft habe, mich dem Setting und dem Einfordern von Respekt zu stellen – gerade nach Selbstverletzungen ist es damit nicht besonders weit her- kein Mensch verletzt sich selbst, weil er das Gefühl hat eine gute Behandlung wert zu sein/ verdient zu haben. MedizinerInnen sollten das eigentlich wissen und präsent haben, wenn sie mit Menschen, die sich selbst verletzt haben, zu tun haben).

Es geht schnell für mich über meine Körpergefühle getriggert zu werden.
Selbst ein einfacher Schnupfen verleitet durch die Unfähigkeit zu atmen, die Schwäche vom Fieber etc. mein Gehirn in einen Zustand von Über- oder Untererregung zu schalten.
Wenn dann jemand kommt und sagt, ich solle mal nicht übertreiben, weil ich nicht daran sterben werde, weiß ich: “Ah, ich muss still sein. (Ich darf nichts haben/ muss funktionieren/ tun, was der Mensch sagt, denn er weiß es ja… usw. ). “
HausärztInnen sind ganz groß darin weniger gravierende Erkrankungen so runterzureden.
Ich brauche niemanden, der dramatisiert oder in meine Ängste voll einsteigt- aber ich brauche Respekt vor meiner Angst- so unbegründet sie nach außen erscheint, so sehr ist sie mit meinem (Er-)Leben verwoben und manchmal sogar: mein Leben bestimmend.

Meine Angst ist immer da. Mal kippelnd am Rand der Panik und mal wie eine schlafende Katze in meinem Bauch: ein Ohr ist immer offen.

Was ich immer wieder erlebe ist, dass meine BehandlerInnen* sie wegmachen wollen. Mit aufmunternden Phrasen oder auch besonders freundlicher Zuwendung.
Aber mit Angst nach Gewalterfahrungen ist es wie mit Schamgefühlen: die gehen auch nicht weg, nur weil derjenige, vor dem man sich schämt, einem sagt, dass man sie nicht haben muss.

Was für mich funktioniert ist, wenn ich mich handlungsfähig genug fühle mit ihr und der Situation umzugehen. Wenn ich fühlen kann: “Ja, da ist Angst – hier, hier, hier und hier sind meine Optionen zu flüchten, zu fliehen oder die Situation in anderer Weise für mich zu verändern.”
(Apropos Optionen: Meine Gynäkologin hat einen Untersuchungsstuhl bei dem eins die Füße aufstellt- kein Modell, bei dem  die Beine in Halterungen liegen. Das hat einen Unterschied von einer Glitzertrillion in Sachen Sicherheitsgefühl gemacht, weil ich das Gefühl hatte, jederzeit sofort aufspringen zu können, oder die Ärztin zu treten oder so. Vielleicht ist das als Kriterium für manche Menschen auch gut, wenn man nicht weiß worauf zu achten sein kann- oder auch, wenn man nur diese Käfer-auf-dem-Rücken-Modelle kennt und denkt, es gäbe da keine Alternative)

 

Leider kann ich alles das immer schlechter auf meine Zahnbehandlung übertragen.
Jedes Mal muss mir die Ärztin weh tun, jedes Mal mehr geht es über meine Kraft, sie daran zu erinnern, was ich von ihr brauche. Und inzwischen macht mir sogar das Tavor Angst.
Meine Krankenkasse war mir bisher keine große Hilfe. Für Behandlungen unter Dormicum (einem Beruhigungsmittel, das zur Sedierung eingesetzt wird) gibt es bei mir noch keine ausreichende Indikation.

Ich bin eben noch nie aufgesprungen, als ein Instrument in meinem Mund war. Habe eben noch nie wie am Spieß gebrüllt.

Umfrage zur therapeutischen Versorgung von multiplen Menschen und Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung

LARA Krisen – und Beratungszentrum führt in Kooperation mit der Universität Potsdam eine wissenschaftliche Studie zu der therapeutischen Versorgung von Menschen mit Dissoziativer Identitätsstörung und Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung durch. Mit der Studie möchten wir die Erfahrungen auf der Therapeut_innensuche und innerhalb der Therapie erfassen. Es wird auch nach der Zufriedenheit mit der Versorgung und nach eventuellen negativen Erfahrungen im therapeutischen Versorgungssystem gefragt. Unser Ziel ist es, die Missstände in der therapeutischen Versorgung aufzuzeigen und Verbesserungen zu erwirken. Wenn Sie eine der beiden Diagnose erhalten haben, möchten wir Sie gerne zu der Befragung einladen. Falls Sie beide Diagnosen erhalten haben

und an der Befragung teilnehmen möchten, füllen Sie bitten den Fragebogen für Menschen mit Dissoziativer Identitätsstörung aus. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich Zeit nehmen und den Fragebogen unter dem folgenden Link aufrufen und ausfüllen:

Menschen mit DIS

Menschen mit PTBS

Die Befragungen sind anonym und freiwillig. Ansprechpartnerin für Fragen ist Anne Roth. Es wäre toll, wenn möglichst Viele an der Befragung teilnehmen, sodass die Aufmerksamkeit für das Thema in der therapeutischen Fachwelt erhöht wird.

 

Vielen Dank!

 

LARA Krisen- und Beratungszentrum Fuggerstraße 19 // 10777 – Berlin
Website: lara-berlin.de Telefon: 030/216 88 88
Email:
anne.roth@lara-berlin.de
Universität Potsdam Humanwissenschaftliche Fakultät // Beratungspsychologie Karl-Liebknecht-Str. 24-25 // 14476 Potsdam-Golm
Verantwortliche: Anne Roth // Prof. Dr. Petra Warschburger
Telefon: +49/331/977-2678
E-Mail:
annroth@uni-potsdam.de // warschb@rz.uni-potsdam.de

eine multiple Persönlichkeit ansprechen ~ Teil 2 ~

Bärlauch “Ich bin keine multiple Persönlichkeit”, hatte ich der Rechtsanwältin gesagt. “Ich bin eine Persönlichkeit mit einer dissoziativen Identitäts(wahrnehmungs)struktur.”. Kurz wurde ich unsicher, weil ich Angst hatte, ob ich zu forsch war. War dieses Gespräch der richtige Moment, um Multimythen zu sortieren?
Jetzt, wo ein paar Wochen vergangen sind, kann ich denken: “Ja, und einen besseren hätte ich nicht finden können.”.
Es ging mir darum zu unterstreichen, was aus mir heraus kommt und was von außen in mir reagiert. Ich wollte nicht schon wieder eine rechtliche Vertretung, eine Betreuung, einen sozialen Kontakt mit Auftrag, der mich in sich selbst genauso zerfleddert, wie es meine Selbstwahrnehmung mit mir macht.

Es hat auch mit der Frage zu tun “Soll ich dich im Singular oder im Plural ansprechen?” – mit dem Unsicherheitswust, der sich in Menschen auftut, die Interaktionswünsche haben. Verstehen wollen, Futter möchten, um sich einfühlen zu können.
Schmunzeln kann vermutlich nur ich über die Fragestellung: “Soll ich dich im Plural ansprechen?” , vielleicht sind auch Kopfschütteln und inneres Zusammenkrampfen nur auf meiner Seite, wenn es um den Umgang mit mir als Vielheit geht.
Ich versuche immer wieder zu unterstreichen, dass ich, wenn ich mit einem Menschen zu tun habe, immer ich bin.
Dass ich nicht einfach umschalten kann. Dass das niemand kann und bei mir nicht anders ist, als bei allen anderen, außer in der Selbstwahrnehmung bzw. in der Folge in der Wahrnehmung meines Selbstes von anderen.

Es gibt Menschen, die mein Erklärungsmodell meiner Abhängigkeit vom äußeren Kontext, eigener Erregungslevel und angepasster Neurophysiologie ablehnen.
Manche denken, dass es so ein Marionettenleben gar nicht geben kann- und wenn doch, mein Bewusstsein darüber doch alles verändern müsste. Das ist das Pinocchio – Modell, das übersieht, dass auch ein Pinocchio eine Holzpuppe blieb, bis er von einer anderen (äußeren übergeordneten) Instanz verwandelt wurde.

Manche verwechseln meine Erklärung dazu auch mit Rechtfertigungsverhalten. Sie denken: “Aha, für sie sind immer alle anderen Schuld, wenn sie die Kontrolle verliert”, selbst wenn das Wort “Schuld” gar nicht in meiner Erklärung auftaucht, sondern meine eigenen reflexhaften Anpassungsreaktionen beschreibt.

Manche geraten auch in eine Übertragung und fühlen meine Ohnmacht vor dem, was Leben und Alltag, Interaktion und Entwicklung, Veränderung und Dynamik zwangsläufig für mich bedeutet, und schwanken zwischen Blaupausenübertragung auf ihre Erklärungsmodelle (das wird dann gerne das Modell der verschiedenen sozialen Rollen, die alle Menschen in unserer Gesellschaft inne haben und mehr oder weniger gut spielen, und daraus, dann die “Überzeugung”, dass alle Menschen multipel sein müssen) und Abwehrverhalten, das ebenfalls mit einer Verquerung meiner Angaben einher geht und in den meisten Fällen gesellschaftlich anerkannte Wege der Unterdrückung geht (“Du willst dich nur besonders machen”; “Du willst dich nur deiner Verantwortung entziehen”; “Du willst nur Mitleid/ Aufmerksamkeit/positiven Status”).

Ich hatte versucht der Anwältin klar zu machen, dass es ein spezifisches Reaktions- und Interaktionsmuster gibt, das sie an mir erleben würde, würde sie mich anwaltlich vertreten. Ich weiß inzwischen, was es für Situationen sind, die zum Beispiel kindliche oder handlungsunfähige Innens nach außen wirken lässt und versuchte ihr zu vermitteln, was ich brauche, damit solche Situationen nicht in unserem Kontakt entstehen.
Ich erlebe zum Beispiel als einen massiven Auslöser, dass es eine Nähe gibt, die mehr als eine Sachebene umfasst.

Wir haben zwischenmenschliche Gewalt erfahren- selbstverständlich ist menschliche Nähe ein Auslöser.
Keine andere Art der Gewalt hat so viele Kontextverknüpfungen, Querverweise und Knotenpunkte- so einen Mikrokosmos aus Interaktion aus Aktion und Reaktion, die sich sowohl in den Opfern als auch in den TäterInnen einfügen, verfestigen, weiterentwickeln, wieder ablösen und weitergetragen werden können.
Mein Problem ist einzig, dass ich oder/ und mein Gehirn oder/ und mein Bewusstsein keine Chance hatte, etwas vom Erlebten zu verknüpfen (assoziieren).

Wenn ich mit der Rechtsanwältin einen sachlichen, wenig persönlichen, nicht privat beeinflussten Kontakt gestalten und erhalten kann, dann gibt es dort auch keine Innens, die unsachlich, hochemotional, privatverquickend sowohl reagieren, als auch selbst agieren.
Es wird schwierig an der Stelle, an der ich ihr etwas hochgradig Persönliches, wie von der Struktur meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung erzählen muss, damit sie die Problematik meines Falls versteht.
Sie muss begreifen, dass ich ihr das erzähle, damit sie Krankenakten, Amnesie für Gewaltabläufe und unterschiedliche Bewertungen (und entsprechend auch vielleicht widersprechende Angaben) einordnen kann- nicht, damit sie in ihrer Art und Weise mit mir umzugehen anders ist, als gegenüber anderen MandantInnen.
Würde sie das tun, wäre unsere Sachebene zerstört und damit das Spektrum, das es mir ermöglichen würde einen konstruktiven Interaktionsraum zu gestalten. Ich könnte dann nicht mehr zurück- egal, wie sehr ich es wollte.

Ich finde es wichtig, Menschen, mit denen ich mehr als “Hallo” und “Tschüss” wechsle, zu sagen, dass ich eine DIS habe, weil es dabei um meine Identität und meine Wahrnehmung von ihr geht. Schwierig erlebe ich dabei, dass es immer wieder so ist, dass Menschen sich gezwungen sehen darauf mit Selbstbezug zu reagieren und darauf aufbauend ihre Interaktion verändern, ohne sich zu überlegen, ob das überhaupt gewollt oder wirklich immer nötig ist.

Neulich hat meine Therapeutin angerufen. Ihre erste Frage war mit wem sie spricht- obwohl  es, selbst wenn jemand ans Telefon gegangen wäre, der sie nicht kennt (oder, den sie nicht kennt), irrelevant für den Umgang mit der Information und ihren Konsequenzen gewesen wäre.
Das “Wer ist da?” ist wichtig für Informationen, die aus uns herauskommen- nicht für Informationen, die in uns hineinkommen. Zumindest erlebe ich das so, weil mit dem Hintergrund des Innens, das Informationen äußert, auch bestimmte Bewertungen, Dynamiken, soziale etc. Kontexte bzw. die Annahme bestimmter Kontexte transportiert werden, die für die Sortierung des Gesagten wichtig sein können. Sowohl für mich, als auch für die Menschen, von denen ich auf meinem Weg begleitet werde.

Die Frage “Mit wem spreche ich?” ist ein Mittel der Versicherung und hat mit mir nichts zu tun, sondern nur mit dem Menschen, der sie stellt. Bei meiner Therapeutin oder auch bei BetreuerInnen, erlebe ich diesen Akt von Versicherung auf Kosten meines Gefühls von Sicherheit noch einigermaßen okay, wobei ich in der Hinsicht auch nicht unkritisch bin. Ich empfinde es manchmal, gerade in Zeiten, in denen ich mich sehr viel verletzbarer als sonst fühle, gut, nach Außen nicht sofort in meiner Identität lesbar und damit zusätzlich verletzlich zu sein. Wenn dann die Frage nach meinem Namen kommt, wird das schnell zu einem Abwägen in der Frage: “Gebe ich jetzt mein bisschen Schutz zu Gunsten eines Sicherheitsgefühls meiner Therapeutin/ Betreuerin auf? Was habe ich davon, wenn sie sich sicherer im Umgang fühlt?”

Während ich wunderbar eingewaltet bekommen habe, wie viele “Vorteile” (selbst)sichere HelferInnen, psychologisch/psychiatrisch/medizinische Deutungshoheiten für mich bieten, habe ich in Bezug auf Menschen, die mit mir auf einer Ebene stehen, bereits wechselnde Erfahrungen machen können.
Inzwischen interagiere ich flexibel mit anderen Menschen und erkläre Ihnen mein Modell der Ansprache:
Singular = Gegenwart
Bewertung, Selbstpositionierung entspringen einem Moment innerhalb eines spezifischen Kontextes- zu einem anderen Zeitpunkt und in einem anderen Kontext, kann es sein, dass mein Körper etwas anderes sagt
Plural = allgemeine, ganzheitliche Verortung in Zeit, Raum, Kontext

und erkläre ihnen meine “Faustregel”: je mehr (von mir wahrgenommene) Ebenen der Moment hat (Kontext, Anspruch und damit Druck an mich reagibel zu sein), desto höher die Wahrscheinlichkeit mit mehr als einem Innen zu tun zu haben, die nicht zwangsläufig nach außen erkennbar sind und noch weniger zwangläufig durch Veränderung von Ansprache, Haltung etc der InteraktionspartnerInnen in ihrem Wirken gehindert und/oder beeinflusst werden können
(Wichtig ist, dass mein Gehirn zulassen kann gegenwärtige Situationen als “auch anders als früher nötig zu begegnen” zu erkennen – dabei spielt natürlich auch eine Rolle, welche Reize es von den InteraktionspartnerInnen aufnimmt, doch sämtliche andere Faktoren (Erregungslevel, äußerer Kontext, klare “Beweise” für Selbstwirksamkeit zum Beispiel) spielen eine gleichrangige Rolle)

Ich versuche zu vermitteln, dass die Frage nach dem Namen eines Innens manchmal unverhältnismäßig für mich ist.
Nur weil klar ist, dass ich als Mensch viele Ichs, viele Leben und Erlebens in mir trage, heißt das nicht, dass andere Menschen ein Recht auf Kenntnis davon haben- schon gar nicht für die Beruhigung von Ängsten, die sie ohne dieses Wissen gar nicht hätten.
Ich weiß es nicht genau, aber ich denke mir, dass meine Therapeutin nichtmultiple KlientInnen “Wie siehts aus- passt der Anruf gerade?” fragt. Eine Frage, die ich erst gestellt bekomme, nachdem ich mich (für mein Gefühl) schutzlos gemacht habe.
Hm.
Manchmal finde ich es gut, weil ich dann lernen kann, dass mir von ihr nichts passiert, das Schutz nötig macht und manchmal ärgere ich mich darüber, dass ihre Hilfe oder der Kontakt mit ihr, sehr oft mit Gefühlen von Schutzlosigkeit auf meiner/ unserer Seite einhergeht.

Bei der Juristin war es mir auch wichtig, ihr den inneren Schluss (und damit ein Verantwortungsgefühl) zu lösen, sie hätte es mit vielen Menschen zu tun.
Auch wenn nur ein Mensch vor ihr steht, hätte sie sonst das Gefühl mit einer Gruppe zu interagieren, obwohl es keine Gruppe in dem Sinne ist und ergo auch nicht gut/richtig/passend auf ihre gruppenentsprechenden Interaktionsmuster reagieren wird, was wiederum nur Gefühle von Ohnmacht, Frust, Hilflosigkeit, Unsicherheit und damit ein unbefriedigendes Verhältnis zur Folge haben kann, was dann wiederum für mich schwierig wäre, weil ich mir dann eine andere Anwältin suchen muss.

Neulich hatte ich einen Emailaustausch mit einem Menschen, dessen Mensch an der Seite multipel ist. Er klagte darüber, dass die Innens sich nicht vorstellen und immer einfach so auftauchen und ihn mal nett behandeln und mal ablehnend. Mal tauche einfach so ein Kind auf und sage nicht, wie es heißt und was es hat und niemand von den anderen Innens käme dann, um ihm zu helfen.
Ob ich ihm nicht vielleicht ein paar Tipps geben könnte, wie er sie dazu bringen könnte, anders zu agieren und ihn nicht immer so allein zu lassen.

Vielleicht merkt man schon ein bisschen, wie eigentlich übergriffig, die Wünsche dieses Menschen sind, der sich eindeutig ohnmächtig, ausgeliefert hilflos und in der Position sieht, regulierend eingreifen zu müssen, weil er nicht multipel ist.
Er sieht sich gar nicht im Kontext aus dem heraus Wechsel passieren, sondern als Objekt des multiplen Menschen, das behandelt wird – nicht als Subjekt auf das reagiert – mit dem interagiert wird.

Ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, die Wechsel erst einmal zu verstehen, statt sie gleich irgendwie abzuschaffen, verändern oder zu seinem Gunsten beeinflussen zu wollen. Außerdem versuchte ich ihm ein bisschen zu vermitteln, dass die Wechsel eventuell aus einer anderen Perspektive sogar genau nur für das wofür er steht passieren. Nur eben nicht in unserer heutigen Gegenwart und aus der Sicht von Erwachsenen im konsensualen Verhältnis zueinander.

Und ich sagte ihm, dass Multiple keine Persönlichkeitssupermärkte sind.
Man geht nicht einfach zu jemandem hin und sagt ihm: “Jetzt wechsel sofort in den Zustand, in dem du warst als…”. Niemand macht das- außer die Menschen, die von Multiplen verlangen, jetzt mal mit Innen XY sprechen zu dürfen.
Ich sage nicht, dass das unmöglich ist. Aber eine Übergriffigkeit ist es alle mal- egal, ob nun im positiven Sinne für den betroffenen Menschen, etwa, weil man statt eines verängstigten Kinderinnens ein handlungsfähiges erwachsenes Innen sprechen will (einen unangenehmen Zustand beenden möchte) oder für sich selbst. Etwa, weil man keine Lust darauf hat, sich die x-te Schleife von Innen XY anzuhören und lieber mit Innen AB Spaß haben will.

Seit ich diese Grenze spüre, kann ich gut mit einem anderen Innen wechseln, dass sich jedes Mal (und das sehr zuverlässig) darüber aufregt, wenn es irgendwo hinter mir wabert und merkt, dass da jemand außen gerade meint, in unserer Persönlichkeit herumlatschen und Forderungen stellen zu dürfen, anstatt zu überlegen, warum eben gerade nicht das da ist, was er gerne haben möchte oder sich für uns als Einsmensch wünscht.
Dann kriegt das Außen einen Wechsel, wie verlangt (reaktives Muster: “Du musst machen, was andere verlangen”, das sich verschärft, wenn es eine Autorität verlangt) und trotzdem nicht das, was sie wollen (antherapiert wie ansozialisiertes Muster: Selbstschutz- sie kriegen die Feuerlöwin unter den Rosenblatts vor die Nase und sind froh, wenn sie weg ist –> Schutz durch Verhalten, das Menschen eher abstößt, als bindet).

Die Folge ist also eine verdeckte Spaltung und damit kein Umlernen von alten Spaltungsdynamiken, sondern eine weitere Spaltung, die sich an aktuellen Anforderungen orientiert. Und ja: Wer einmal so global dissoziiert, dass eine DIS entsteht, der kann immer und in allen Kontexten Dissoziationspotenzial freisetzen, um sich zu schützen.
Das Dissoziieren und Viele werden- mehr werden, endet nicht mit den traumatisierenden Gewalterfahrungen.
Die Spaltung passiert ja auch nicht wegen der Gewalt, sondern wegen dem, was die Gewalt bedeutet, nämlich: erzwungene Passivität, die das eigene Überleben massiv gefährdet und/oder das Individuum sein eigenes Überleben massiv gefährdet fühlen lässt.

Und “massiv gefährdet” ist als Grundgefühl eben genau das, was andere Menschen bis heute in uns auslösen. Wir haben Menschen als das gefährlichste Tier auf diesem Planeten verinnerlicht und freundliches Gebaren immer wieder an Bedingungen geknüpft erlebt.
Bedingungslose Annahme erfahren wir noch nicht lange und bis zum gegenwärtigen “mit einem skeptischen Blick aus einem Augenschlitz aus weiter Entfernung mal Angucken und Annehmen, dass es sich dabei nicht um einen Trick handeln könnte- eventuell vielleicht- hypothetisch!”, dauerte es Jahre.

Eine dissoziative Identitätsstruktur zu haben heißt in gewisser Weise, permanent eine Sektglaspyramide auf einem Tablett zu balancieren, während man, vielleicht auch noch mit einem erkrankten, geschädigten, gleichfalls immer wieder reagierenden Körper, einbeinig die Alpen überquert, wie dereinst Hannibal mit seinen Elefanten.
Man kann nicht einfach mal ein Glas verschieben, damit irgend ein Bergsteiger, der einem begegnet es im Kontakt vielleicht bequemer hat. Das Mittel der Wahl ist immer genau das Glas zu reichen, das abgetreten werden kann. Ist es nicht gut genug und wird gefordert ein anderes zu reichen, kann alles kippen- es muss nicht- es kann aber und jemand der schon 20- 30 Jahre lang eine Gläserpyramide balanciert hat, der wird einen Scheiß tun, das für irgendjemanden als Risiko auf sich zu nehmen.
Im Zweifelsfall wird ein neues Glas entstehen, ohne dass es jemand merkt.

Vielleicht ist es ein Paradoxon, wenn ich hier viele Punkte anbringe, die eigentlich jede Kontaktaufnahme, jede Interaktion als für mich extrem heikel und gefährlich markieren und zeitgleich aber darauf beharre, dass das keine Veränderungen im Verhalten der Menschen hervorbringen muss bzw. dass das kein Ziel von mir ist.

Mein Ziel ist, den Blickwinkel zu erweitern und Raum für Bewusstsein zu schaffen.
Im Grunde ist es eine Art zu sagen: “Du, weißt du was? Menschen machen mir Todesangst und ich reagiere so und so darauf – nur, dass du Bescheid weißt. Ich lerne noch, wie Leben ohne direkten Grund zur Todesangst geht und sicher passieren mir dabei „Fehler“. Ich sage dir das, weil du ein Teil meines Lebens und meiner Lebensumgebung bist und vielleicht meine „Fehler“ im Lernprozess bemerken könntest.”

Manchmal erlebe ich es als schwer den Menschen begreiflich zu machen, dass ich sowohl sie, als auch mich, als auch mein Leben als Einsmensch fragmentiert (dissoziiert) wahrnehme. Dass einfach niemand und nichts “mein Leben ist”, aber alles und jede/r * ein Teil davon ist, der mit einem Teil von einem “Gesamt- Ich” zu tun hat.

Manchen Multiplen hilft es, wenn jedes Innen mit Namen und Eigenschaft(en) bekannt ist und alle individuell, als ganz und gar abgetrennte Menschen behandelt werden.
Ich erlebe das als Kontrollverlust, weil es eine innere Spaltung nach außen holt (und also von meinem Innen ablöst), während mein Bemühen eigentlich ist, keine Spaltungen mehr entstehen zu lassen und Abgetrenntes näher aneinander heran zu führen.
Manchmal auch über einen Umweg nach Außen- etwa in der Therapie, doch in der Regel bevorzuge ich mittelbare Äußerungen, die ich nicht aus der Hand geben (anderer Menschen Wertung, Umgang, Machtausübung aussetzen) muss, um sie zu verändern und sachte und vorsichtig von selbst an die Stelle gleiten zu lassen, an der sie dann näher oder anders gut stehengelassen werden können.

Vielleicht ist meine Art des Umgangs falsch oder auch nicht für jeden Menschen passend.
Vielleicht haben wir hier den epischen Durchbruchartikel, der alle Einsamkeiten und Verlassenheiten in meinem Leben erklärt.

Vielleicht ist es aber auch etwas, das Menschen, wie dem Leser, der mir schrieb, weil er unsicher war, hilft, jemanden der Viele ist ein bisschen besser zu verstehen, oder mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen, was für ihn selbst wichtig und wahrnehmbar ist.
Mir war es wichtig, meine Gedanken dazu noch einmal festzuhalten.

ES ist nicht vorbei

Ich weiß noch wie das war.
Die erste eigene Wohnung, in der man in jedem Raum mit den Dachschrägen ins Gehege kam und die gerade klein genug war, um mir räumliches Zerfallen zu ersparen.

Wir mussten ausziehen, weil zwei Mal dort eingebrochen wurde.
Einmal wurden wir da überfallen.

Wir haben immer gesagt, es wäre jemand in unserer Wohnung gewesen und wir hätten das nicht gewollt.
Mehr Worte gab es nicht für diese Episode aus etwa 30 Minuten [… … …]

Damals hatte ich noch die Drogen. Das Tavor und das Zopiclon, die Antidepressiva.
Wir mussten nicht darüber reden, wie das für uns war, woran wir uns erinnern, was eigentlich gewesen ist.
Eigentlich waren da auch nur Schemen, Gefühle, die sich wie Gedanken anfühlen und ach –  das Etikett “es gab Täterkontakt” machte den Menschen um mich herum schon genug Fantasien in den Kopf. Wir haben uns durch die Ausstiegsspaltung gedrogenrauscht und versucht nebenbei das eigene Wachsen auszuhalten.

Die “Sache” mit den Polizisten und den Männern* vom Krisendienst

Ich würd lügen, würd ich schreiben, dass wir seitdem auch nur eine Nacht ohne Hilfsmittel hier haben schlafen können.
Ich würd lügen, würd ich schreiben, dass es mich nicht unaushaltbar wütend macht, dass der Mensch, der das alles ausgelöst hat, nicht ein einziges Mal – nicht einmal den kleinsten Hauch von Rückgrat in sich hat, sich mit uns persönlich auseinanderzusetzen.
Egal, denke ich
Ich würde den Menschen verprügeln, würde er vor mir stehen und das ist jetzt keine Rhetorik. Ich würde meine Ohnmacht vor der ganzen egozentrisch rettungsmoralischen Kackscheiße in seinem Kopf nicht ertragen und einfach losschlagen.
In meinem Kopf mache ich das. Immer wieder. So doll, dass ich das selbst kaum aushalte.

Und ja- ganz so blöd bin ich auch nicht- ich weiß, dass ich, wenn ich mir das vorstelle, mich selbst sehe, die Schmerzen zugefügt bekommt.
In meiner ersten eigenen Wohnung, von einem Typen, der sicher nicht einmal meinen echten Namen wusste, aber schon wusste, wieso er tat, was er tat.

Ich weiß, dass das hier das Hamstergrübelrad in Richtung Depressionmoloch nach (Re-) Traumatisierung ist.
Ich fresse und lebe, wie ein Schwein. Fühle mich wie eins. Ich bin überreizt und froh, wenn ich Laute aus der Buchstabensuppe in meinem Gedankenkochtopf gefischt kriege.
All die hübschen positiven Ressourcen liegen in meinem Notfallköfferchen und lächeln mich an. Lassen mich Alltagskomptenz halten und ausüben.

Und währenddessen denke ich an Drogen, Gewalt, Zerstörung, Ohnmacht, Schmerz.
Das ist alles wortlos. Das geht alles ohne Anstrengen, ohne Enttäuschung. Überall. Immer.

Ich hab bis heute keine Wörter in mich reintherapiert bekommen.

Irgendwie ist nur die Zeit vorbei gegangen.
ES nicht.

Keins von all den ES –en.
Keine dieser ganzen Episoden aus [… … …]

 

Aber,
ich hab einen Hund mit dem ich nicht reden muss, um mich ein bisschen besser zu fühlen.
Daran will ich mich später mal genauso krass erinnern, wie an
ES

jetzt

Pfote2 Ich schaue durch die Löcher vor mir.
Die Nacht trage ich durch meinem Rücken, um sie an NakNak*s Körper entlang wandern zu lassen.

Ich liege da und warte auf den Tag.
An meinem Hals zittert ein Tierchen unter meiner Haut.
In meiner Brust kullern Wackersteine zwischen den Muskeln herum.

Der Geruch von verbrannter Haut liegt unter dem Knistern ihrer Asche. Direkt an meinem Ohr.

Ich bin ein waberndes Es, das ist und nicht ist. Ich denke Gefühle und fühle Gedanken einer Zeit, die vergangen ist, als ich den Blick aus dem Käfig wandte.

Ich weiß nicht, ob ich träumte oder erinnerte.

Ich weiß nichts.
Doch ich spüre den sachten Atem meiner Hündin, wie einen Wellengang, der sich an der Linie zwischen meinem Nacken und meinen Oberschenkeln bricht.

Vorsichtig schiebe ich meine kalte Hand hoch und beginne das zitternde Wesen in meinem Hals zu streicheln.
Dass ich Atmen muss, daran erinnern mich ruhige braune Augen, deren Anwesenheit mitten im Irgendwo sein muss.

Also atme ich.
Stoße an meinen Panzer, torkle gegen den Käfig, wecke NakNak*.
Sie schmaucht und öffnet ihre Augen.
Gähnt und rollt sich neu ein.
Legt ihren Kopf auf meinen aufklaffenden Bauch und leckt meine Hand ab.

Ich atme, streichle, sehe durch die Löcher des Käfigs eine feine Morgenröte.

Und ich weiß, dass jetzt alles in Ordnung ist.

die Nacht

„Weißt du wie sich das grad für mich anfühlt?“, auf eine Antwort warte ich gar nicht erst, „Wie ein „Auf die Plätze fertig los“ mit „Versaus jetzt nicht H.!“ dazu.“.

Sie rollt sich auf die Seite und guckt über den Bettrahmen auf mich herunter. „Es geht nur ums Schlafen. Viel mehr als es nicht passieren zu lassen, kann man dabei nicht falsch machen.“.
Ich will so viel antworten und belasse es dann doch dabei sie anzugucken und NakNak*s feine Ohrhaare zu streicheln.
Ich schaue ihr zu, wie sie einschläft. Wie sie alles richtig macht.
Wie NakNak* ganz richtig gemacht einschläft.
Wie nach und nach das Draußen dunkler wird, weil meine NachbarInnen einschlafen.
Zwei Mal fällt mir auf, dass ich schlafe und erschrecke mich darüber.

Ich muss irgendwann eingeschlafen sein. Oder ich war wach und zu dumm zu merken, wie sich meine Wohnung… mein Gefühl- das gesamte Raum- Zeit- Kontinuum in diesen Schlund verwandelte, in dem ich wie Alice im Wunderland herumstolperte. Auf der Jagd nach dem weißen Kaninchen, das sich Orientierung nennt.

Ich bin schon so weit denken zu können: „nicht echt“, versuche aufzustehen und kann nicht. Meine Käfigbegrenzung ist nicht da. Ich weiß nicht, wo ich mich abstoßen muss. Das verwirrt mich noch mehr, drückt mir aber auf einer Ebene auch das weiße Kaninchen fast in die Arme.

Ich weiß, dass sie das ist, die da auf mich einredet. Ich weiß das. Ich kenne sie.
Und sie macht mir trotzdem so eine scheiß Angst und versinkt zeitgleich in mir.
Vielleicht bin ich gerade die Angst selbst. Kann Angst denken? Was sind die Ansprüche an Angst? Irgendwelche Kernkompetenzen, die über die bloße Existenz hinausgehen, gefordert?

Der Hund drückt sich in mein viel zu großes Menschenkostüm. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht oder nicht doch irgendwie einfach nur so abgrundtief vertraut mit meinem Sein ist, dass es schlicht passend ineinandergreift.

Und plötzlich kriecht Kälte durch mich hindurch.
„H.?“, sie guckt mich ganz direkt an und zerrt mich damit richtig in die Gegenwart, wo ich eigentlich gleich schon wieder einen Tod sterben will, weil mir da alles einfach nur peinlich ist. Sie soll weg sein. Ich will hier meine kleine Privathölle bitte nur für mich haben. So jemand Gutes soll nur glitzernd gute Rosenblätter sehen. Nicht sowas wie das, was ich gerade abgebe. Nicht so. Nicht jetzt. Eigentlich nie. Niemand. Nicht einmal ich selbst.

„Du kannst deine Augen aufmachen.“- wieso kommt mir der Satz so absurd vor? Ich hab sie doch auf- ich sehe doch alles was ich nicht sehen will. Meint sie andere Augen als ich habe? Wo sind meine eigentlich?
In diesem ganzen Wirrwarr gibt es nur diese Konstante: die Kälte.
Ich spüre sie und empfinde sie durchgängiger, verlässlicher als mein Denken und Fühlen, das sich, wie eine Mischung aus Falltüren und Landminen, in mir bewegt. Also gehe ich dahin, wo es kalt ist.

Wo es kalt ist, ist es auch hell. Sie hat das Licht angemacht.
Ich bin ganz da und starre zu ihr hoch. Werde vorsichtshalber erst mal starr und halte die Luft an, als ich merke, wie wir da sitzen. Warte darauf, dass sie mir sagt, was ich machen soll. Was sie will, das ich mache. „H.? Atmen nicht vergessen. Du darfst meinen als Referenz nehmen“.
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Oh mein G’tt oh mein G’tt oh mein G’tt
Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass sie den Verstand verloren hat und ich in einer Parallelwirklichkeit gelandet bin. Licht anmachen- in meinem Haus. Mich anfassen- in so einem Zustand. Das hier ist alles nicht echt. Kann ja nicht.
In Wahrheit ist alles anders- ich weiß nicht wie- und das hier ist einfach nicht echt. Ich warte einfach bis es vorbei ist.

„H. es ist okay. Wir haben den… äh ich glaube schon 24. September 2013. Ich schlafe heute hier bei euch und was gerade war, war was Altes. Ich habe N. gebeten das Kind mit zu sich zu nehmen und dich weiter nach vorn zu bringen. Hier-“ sie hält mir das gefrorene Gemüse an den Hals, „halt das mal fest. Es ist echt und hier ist alles in Ordnung. Du kannst einatmen und auch wieder ausatmen.“.

Sie redet und redet. Hat offenbar vergessen, dass ich das mit dem Schlafen falsch gemacht habe.
Ist entsetzt, als ich das Blut in meinem Mund ausspucke.
Besorgt, als ich mich für einen Moment allein in den Raum mit der Toilette einschließe. Will mir meine Scham und so viel mehr abnehmen und kann nicht. Ich überlege kurz, ob ich aus dem Kippfenster krieche und mich einfach runterfallenlasse.
Denke in ihre Richtung, dass sie bitte normal spielen soll. Denke, dass sie mich bitte nicht so vor Augen haben soll, wie gerade.

Denke, dass meine Hölle einfach privat sein muss, weil es doch immer wieder schlimmer für mich ist, wenn es jemand anders direkt sieht.

Ich bitte sie, sich hinzulegen und mich ein bisschen für mich zu lassen. Ich muss meine Angstzeugen ermorden, muss die Schlieren des Scheintodes von mir runterkratzen, muss meine Augäpfel durchspülen. Das geht am Besten unter der Dusche und allein.
Ich sage ihr, sie soll sich hinlegen und ein bisschen zu schlafen versuchen.

Als ich wiederkomme tut sie das schon halb. Mit NakNak* im Arm.
Es tut mir so leid, dass sie einander trösten müssen.
Leid, dass ihr Wecker in weniger als 2 Stunden klingelt.
Leid, dass mein Hund sie kurz vor Ablauf dieser 2 Stunden noch aufweckt, weil er Durchfall hat.

Es tut mir leid, dass ich es nicht richtig kann.
Das mit dem Schlafen ohne Zustände.
Das mit dem Leben ohne Traumafolgen.
Das mit dem Sein ohne Angst.

Intrusion, Konstriktion und Skills

Im letzten Blogartikel stehen zwei große Fremdwörter drin, die nicht jedem Menschen direkt sagen, was sie bedeuten: Intrusion und Konstriktion.
Damit mein Blog seinem Türöffnerauftrag nachkommt, versuche ich sie nachfolgend zu erklären.
Hierzu ein kurzer Überblick in klinischer Symptombeschreibung zur Posttraumatischen Belastungsstörung (kurz PTBS)

Es wird eingeteilt in 3 große Kategorien:
1) Überregung
Der Betroffene befindet sich in einer Art innerer Alarmbereitschaft. Das vegetative Nervensystem ist auf „Überleben“ eingestellt und ermöglicht durch vermehrte Produktion von Botenstoffen und auch Hormonen, erhöhter Muskeldurchblutung etc. die Fähigkeit dazu. Die Folgen sind unter Anderem (auch, wenn das Trauma längst vorbei ist) eine enorm sensible Wahrnehmung seiner Umgebung (Hyperviglianz), Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Herzrasen.
Im direkten Traumakontext kann Übererregung solche Episoden wie „der Mann, der vom Ort seines Autounfalls mit offenem Beinbruch die Straße überquert und in den Wald läuft“, bedeuten. Oder auch „die Frau, die mit übermenschlichen Kräften, den Stahlträger anhebt, um ihr Kind darunter hervor zu holen“.
In diesem Zustand kognitive Aufnahmefähigkeiten herabgesetzt. Es ist kein Lernen (auch kein Umlernen!) möglich.

2) Intrusion
Unter Intrusionen versteht man sich ungewollt aufdrängende Erinnerungen, die sich anfühlen, als würden sie  ganz real und genau gleich wieder geschehen. Es gibt die gleiche Haptik, optische Wahrnehmung der Umgebung, genau die gleichen Gefühle (etwa Todesangst, Ohnmacht, Wut etc.). Dies wird kurz mit „Flashback“ benannt. Eine Orientierung in der Gegenwart, sowie den aktuellen Lebensumständen ist in dem Zustand nicht vorhanden, was oftmals die Diagnose der „psychotischen Episoden“ begründet, wenn keine Traumavorgeschichte bekannt ist (oder geglaubt/ anerkannt wird *räusper)

3) Konstriktion
Ist ein anderes Wort für „Vermeidungstanz“ bzw. Vermeidungsverhalten oder Vermeidungsreaktion. Dazu zählt auch die Dissoziation in Form von Derealisation („das hier ist ein Film- nicht echt“) und Depersonalisation („out-of-body-experience“, Schmerzunempfindlichkeit). Aber auch manche eine Zwangsstörung oder Esstörung und sonstige Suchterkrankungen können in diesem Zustand begründet sein.

Ist das Trauma länger her (und unverarbeitet) können traumaassoziierte Trigger (Gegenstände, Geräusche, Gerüche, aber auch Gefühlszustände, die als Katalysator von Erinnerungsprozessen wirken) diese Zustände auslösen. 

In dem Blogartikel kann man das Gleiten in diesen Zustand ganz gut wahrnehmen: „Ich stehe am immer offenen Fenster und starre ins Nichts. Ich merke, dass ich rauche und doch ist es der Anblick meiner Tränen, die auf die Fensterbank fallen, der mich fesselt.“- Innere Leere erzeugt eine Art Unfähigkeit das Haus, auf das ich sonst immer schaue, wenn ich aus dem Fenster gucke, zu sehen. Wenn ich anfange zu dissoziieren- sehe ich dort kein Haus mehr, sondern tatsächlich ein Nichts.
Wenn ich mich noch nicht ganz „wegdissoziiere“, nehme ich noch Teile meines Verhaltens oder auch meiner Umgebung war. Wenn auch unglaublich schwammig und so als würde entweder nicht ich so agieren, oder so, als sei ich nicht wirklich in meinem Körper (etwa um das Fell meines Hundes zu fühlen).

Ich deutete auch an, dass ich dies jederzeit beenden könnte.
Das ist ein Therapiefortschritt. Ich kann mich inzwischen einigermaßen sicher aus diesen Zuständen herausarbeiten.
Ich versuche nun zu beschreiben wie ich das mache.
Zu Beginn merkte ich ein allgemeines Gefühl von Ohnmacht. Ich bin gerade in verschiedene Konflikte involviert, die ich noch nicht lösen kann. Es ist mehr oder weniger typisch für mich, wütend zu sein und auf Stasis im Miteinander mit Gefühlen von Ohnmacht konfrontiert zu sein. Dieses Gefühl triggert traumaassoziierte Erinnerungen an, die ich nicht auf ein mir klares Ereignis zurückführen kann. (Also ich merke: Yeay- da hängt was dran- weiß aber nicht, was genau.)

Ich versuche also mich in andere Zustände zu bringen. 460648_web_R_B_by_Oliver Haja_pixelio.deDafür eignet sich für mich unsere Skill-Liste (auch als „Notfallkoffer“ bekannt). Darauf stehen Dinge wie: mit dem Hund spielen, spazieren gehen, mit Gemögten telefonieren, Computerspiele spielen, Icepak auflegen, diverse Übungen bei denen Muskelgruppen gezielt an- und entspannt werden, das Schreiben im Blog, etwas kochen, etwas bauen, malen, Telefonbücher zerreißen, Altglas in den Container werfen, duschen gehen, Papiere sortieren, handarbeiten.
Es geht dabei nicht um die stumpfe Ausführung dieser Tätigkeiten- nicht um Ablenkung, sondern ums Wachwerden- wieder ganz da sein- wieder in einen normalen Erregungszustand kommen.

Ich habe diese Skills lange „falsch“ angewendet, weil ich es als hilfreich empfand eine Liste abzuarbeiten. Aber das war der -ich sag mal- „positive Fehler“. So komme ich zwar in einen funktionalen Zustand, doch bin noch lange nicht klar in der Gegenwart verankert. In diesem Zustand „bin ich meine Tätigkeit“- nicht: „Ich bin mit einem Alter, in meiner Wohnung, im Jahr 2013 hier und mache Tätigkeit XY.“

Letzteres ist aber das Ziel.
Also begleite ich diese Tätigkeiten mit einer Art rationalem Mantra:
So, ich werde jetzt den Laptop anmachen- Ach guck das Bild von NakNak*- mein Passwort gebe ich ein, indem diese, diese, diese … Taste drücke, mein Desktopbild ist ein Schwan mit kleinen plüschigen Küken auf dem Rücken- Ach ja, diese innere Kraftquelle habe ich- kann ich sie spüren?- Ja, da ist sie- sie gibt mir ein Gefühl nicht verlassen zu sein- Ich öffne das Programm mit einem Klick auf dieses Symbol. Ich schreibe und verwende dieses und jenes Wort dafür. Ich stehe auf und gehe an den Kühlschrank, öffne die Tür indem ich sie anfasse und leicht ziehe. Trinke jetzt einen Schluck kalten Saft- er schmeckt nach … ist kalt und säuerlich. „Wie wird Saft eigentlich hergestellt? Was bedeutet „Konzentrat“? Uh ja Konzentration- ein gutes Ding zum Herausfinden!“. Ich schließe die Safttüte indem ich sie festhalte und den Deckel draufschraube, stelle sie in die Seitentür des Kühlschranks und schließe ihn, indem ich sie leicht andrücke. Ich mache einen Schritt- versuche mal einen Schritt auf Zehenspitzen, schicke meinen Blogartikel jetzt ins Internet. Coole Sache, dieses Internet. Wie fühle ich mich gerade? Immer noch etwas diffus- Zeitcheck mit einem Klick auf die Weltuhr. Datum stimmt mit meinem Gefühl überein- immerhin. Also jetzt- wie kommt es zu Saftkonzentraten…

So habe ich die Nacht bis etwa halb 5 Uhr morgens verbracht, bis ich wieder „klar war“ und schlafen gehen konnte. Konstriktion und Orientierung in Zeit und Raum.

Ich konnte ein als real und direkt empfundenes Wiedererleben eines Traumas verhindern und mich in ein mittleres Erregungslevel bringen.
Etwa 5 Jahre habe ich gebraucht, um den Trigger als solchen wahrzunehmen und ungefähr 3 Jahre, bis ich dieses Verhalten in solchen Situationen etablieren konnte. Dabei half mir ein Protokoll, das ich erst zusammen mit meinen Gemögten geführt habe, weil ich zu stark dissoziiert habe, um Ursache und Wirkung zu abstrahieren und dann später allein führte. Es beinhaltet die Punkte: Welches Ereignis/ Gefühl oder welche Aktivität war vor dem Flashback? Was half diesen Zustand zu beenden?

Meine Erfolgsquote der Orientierung steigt, je sicherer mein soziales Netz und meine ökomonischen Ressourcen ist. Habe ich an allen Ecken und Enden Konflikte, Existenzängste und ein (selbst-) unsicheres Grundgefühl, sinkt sie.
Es hilft mir nicht zu wissen, dass es mir helfen würde Altglas in den Container zu schmeißen, wenn ich kein Geld für Produkte im Glas habe. Genauso wenig, wie es mir hilft zu wissen, dass es mir helfen würde mit Gemögten zu telefonieren, wenn ich keine habe.

Will heißen: Skills sind nicht alles, um mit den Symptomen einer PTBS zurecht zu kommen. Es braucht Kenntnis über die Trigger und die gesicherten Möglichkeiten sie anwenden zu können- und zwar immer- egal zu welchem Zeitpunkt.

der Bostoner Marathon und die PTBS durch Fernsehbilder

„und dann ist da dieser Moment in dem ich froh bin, kein TV zu konsumieren. Es ist als sei das Grauen sehr fern- so fern wie es real fern ist“

Als am 11. 9. 2001 das zweite Flugzeug ins World Trade Centre hineinflog, war ich mit Millionen anderen Menschen live auf der ganzen Welt dabei. Wir sahen alle verzweifelte Menschen in den Tod springen. Wir waren gefangen in den wild hin und herschwenkenden Bildern der Livereporter am Unglücksort. Sahen von oben bis unten mit Staub bedeckte Menschen hilflos und verwirrt durch die Straßen voller Schutt um ihr Leben laufen.

Es war ein Schock und ein Ereignis, das den Lauf der Dinge veränderte.
Doch nicht alles hat sich verändert.

Am Montag um 2:56 Uhr (nach Bostoner Ortszeit) explodierten nahe des Bostoner Marathonziels mehrere Sprengsätze. Verschiedenen Medienberichten zufolge, starben mindestens 2 Menschen und wurden ca. 110 weitere verletzt. Der Präsident spricht. Bei Twitter wird für die Menschen gebetet und die Medien berichten.

Und zeigen wieder Fotos und Videos von schwerverletzten Menschen und auch den Toten.

Nein, sie haben es nicht gelernt.
Nein, die amerikanische Presse hat aus den Fehlern der Vergangenheit noch immer nicht gelernt.

Fernsehbilder können ebenso traumatisieren wie das unmittelbare Erleben eines aversiven Ereignisses. Zu diesem Ergebnis kommt ein US-amerikanisches Forscherteam, nachdem es über 2 000 New Yorker vier Monate nach den Ereignissen des 11. September 2001 interviewt hatte. Die Befragten hielten sich an diesem und in den folgenden Tagen in New York auf und verfolgten die Geschehnisse teilweise tagelang am Fernseher mit. Viele hatten Angehörige und Bekannte unter den Opfern. „Befragte, die besonders lange vor dem Fernseher saßen und die erschütternden Szenen immer wieder sahen, entwickelten mehr als doppelt so häufig Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wie Befragte, die weniger fernsahen“, sagen die Forscher. Doch nicht nur die Dauer des Fernsehens, sondern auch die Art der Bilder beeinflusste das Risiko, in der nachfolgenden Zeit an PTBS-Symptomen zu erkranken. Schockierende Details von Explosionen, schreienden Verletzten, verzweifelten Rettungsbemühungen, Leichenteilen, Bränden und Menschen, die aus den Twin Towers stürzten, lösten Panikattacken bei den Zuschauern aus und gruben sich in ihr emotionales Gedächtnis ein. Besonders involviert fühlten sich die Zuschauer, wenn sie jemanden unter den Opfern und Verletzten erkannten. TV-Zusammenfassungen von den Ereignissen und Szenen, aus denen die blutigen Details herausgeschnitten waren, hatten hingegen weniger destruktive Wirkungen und konnten von den Zuschauern eher verkraftet werden. ms
Ahern J et al.: Television Images and Probable Posttraumatic Stress Disorder After September 11. The Journal of Nervous and Mental Disease 2004; 3: 217–226.
Dr. Sandro Galea, Center for Urban Epidemiologic
Studies, Room 556, New York Academy of Medicine, 1216 Fifth Avenue, New York, NY 10029–5283
(Quelle)

Die Studien sind bekannt. In jedem Jahr seit 9/11 werden um den Gedenktag herum, Menschen zu dem Tag interviewt. Werden befragt, wie es ihnen heute geht, es werden Studien vorgetragen und viele schlaue Menschen referieren über PTBS und Traumafolgestörungen.
Seit Jahren redet man sich den Mund fusselig. Nach jedem Krieg, nach jedem großen Unglück, werden alte und neue Erkenntnisse auf einen Haufen geworfen um Verstehen und Veränderung zu ermöglichen.

Doch was passiert?

Bei Hunden, heißt es, braucht es etwa 100 positive Abläufe bis sie einen Befehl korrekt, auch ohne direkte Belohnung, umsetzen. Wie viele Massaker, Schulamokläufe, Terroranschläge, Kriege und Katastrophen braucht die Medienlandschaft von Amerika noch, um seine journalistische Praxis zu überdenken?
Welches ist das richtige Leckerli, wenn die Belohnung nichts weiter ist, als ein paar Menschen weniger, die eine akute Belastungsreaktion entwickeln, weil sie stets und ständig mit dem Grauen in ihren Medien konfrontiert sind?

In Amerika öffentlich zu stillen bringt Mütter unter Umständen sogar ins Gefängnis.
„Nippelgate“ war ein Skandal, weil man die geschmückte Brustwarze von Janet Jackson beim Superbowl sah.
Tragen Stars keine Unterwäsche werden kleine Sternchen u.Ä. vor ihre Scham bearbeitet.

Die Leiche eines kleinen Kindes in seinem eigenen Blut aber, wandert in Null Komma Nichts im heimischen Wohnzimmer, genauso wie die offene Beinfraktur eines Bombenanschlagopfers.

Es ist absurd.
Und ich hoffe,dass sich in Amerika genau jetzt, zeitgleich mit mir, viele andere Blogger genau auch darüber aufregen und ihre Medien zur Änderung ihrer Richtlinien auffordern.

Was geschehen ist, ist schrecklich. Es ist furchtbar und jeder Mensch mit Herz, wünscht den Menschen dort nun alles was sie brauchen, um sich zu erholen und verarbeiten was ihnen heute geschehen ist.
Doch damit sie dabei Hilfe haben, sollten sie von Menschen umgeben sein, die nicht auch noch Fernsehbilder wie diese von heute verarbeiten müssen.

Das ist doch das Mindeste, wobei die Medien noch mithelfen könnten, oder?

 

 

 

für die Toten und alle, die sich gerade fragen, ob es für sie je wieder Licht im Herzen geben kann

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Herr Trigger und das Aktenordnergehirn

Es ist wie beim Domino Day:

fällt ein Stein- fallen sie alle.

Und wer beim Aufbau schlampt, der verhindert, dass wirklich alle Etappen abgeräumt werden.

Unser Gehirn schlampt nie.
Ein Trigger und die Schotten fallen herab.
Manche direkt, manche indirekt, manche bewusst und manche unbemerkt.

Unter anderen Umständen-. wenn wir einigermaßen ausgeruht und versorgt sind. In der Lage sind Sozialkontakte zu machen und ach überhaupt gesund sind, ist ein Trigger in der Regel nicht mehr sehr schlimm. Nach kurzer Zeit schaffen wir es die Schotten innen wieder zu öffnen.

Nach 10 Jahren vornehmlicher Stabilisierungsarbeit ist es genau das, was wir einigermaßen gut können: Herr Trigger sagen, dass er nur ein Reiz ist und, dass er nun jetzt bitte mal aufhören soll in unserem unordentlichen Aktenordergehirn herum zu machen.

Wir kennen einander inzwischen so gut, dass manche Wechsel vorhersehbar und sicher durch die Belastung eines bestimmten Hirnareals (eines anderen als den, der uns das HD mit Gefühlsimitation ins Kopferinnerungskino treibt) sind.

Doch es gibt nachwievor Zeiten, wie jetzt in den letzten Tagen.
Eigentlich rasten wir mit angezogener Handbremse auf eine Wand zu und hätten das merken müssen- konnten wir aber nicht, weil die entsprechenden “Melder” bereits abgeschottet waren.

Man muss in der Lage sein, Herr Trigger als solchen wahrzunehmen.
Wenn es sich um etwas ganz profanes, wie zum Beispiel der Klang von Wasser auf Wellblech ist, oder der Druck in der Kniekehle wenn man die Beine übereinander schlägt, kann allein schon die Wahrnehmung sehr dauern.
Dann muss man ihn als solchen anerkennen- und wie oft sagt man sich dann doch: “Ach komm-  ist doch Quatsch- steht doch in gar keinem Verhältnis”.
Und dann muss man in der Lage sein, die Kraft haben, genug offene Schotten haben, sich zu reorientieren und in der Gegenwart zu verankern.

Genau die hatten wir nicht mehr am letzten Samstag.
Es gab eine Situation die uns komplett überforderte- sowohl sozial, als auch emotional- als auch rational. Eine Bekannt-Gemögte, die uns noch nicht gut kennt; eine Situation, die schreckliche Angst machte und das alles auf leerem Bauch, nach einer Nacht mit einem Fremden; nach 3 Wochen Therapeutenurlaub; viel Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und Vergebung; einem sehr schlimmen Stromausfall und latentem Schlafentzug…

Klar fielen noch die letzten Schotten und purzelten einzelne Innens herum, die einerseits zwar sehr entfernt von Erinnerungen sind- andererseits aber definitiv bewusst haben, dass sie verletzte Innens schützen.SONY DSC

Die Therapiestunde heute, wirkte wie ein Klotz vor den letzten kippenden Steinen und Öl im Motor des Apparates, der die inneren Schotten sowohl heben als auch senken kann.

Wenn die Kraft bei uns fehlt, brauchen wir Außen jemanden, der uns verdeutlicht und nach innen mitsagt, dass es vorbei ist. Dass es eine Erinnerung ist und das die heutige Realität lebbar ist.

Langsam öffnet sich wieder etwas und es wird nicht mehr nur überlebt.
Der Körper scheint sich sogar noch richtig was Gutes zu tun, indem er sich für Fieber und Virenkrieg entscheidet…

Mach mal ruhig du toller Mitkämpfer… putz sie ruhig alle weg… Herr Trigger könntest du vielleicht gleich mit… ach Atommacht, hm? Ja… hm… friedliche Akzeptanz, wie?
Naja…
erst mal einen Krieg gewinnen… Minensuche und politische Arbeit kommen dann dran.

die Sekte des Herrn Peter P.

Wer mal genauer wissen möchte, wie eine Sekte funktioniert und was eine PTBS aus Menschen machen kann, der sollte sich mal “Peter Pan” anschauen.

Meine Güte, das ist der bis jetzt brutalste Disneyfilm, den wir uns bisher angesehen haben!
Da wird gemordet, mit Mord gedroht, gedemütigt, gekidnapped; da werden Frauen offen ausgenutzt und unterdrückt. Immer mit heftigem Personenkult der stets von Neuem genährt wird.

Gleich am Anfang der Geschichte erfahren wir,dass Peter Pan nur zu denen kommt, die auch an ihn glauben. Ziemlich schlau dieser Herr Pan- sich sein Zielpublikum von vornherein so auszuwählen…

Man bekommt einen Einblick in das bunte Treiben des Kinderzimmers von Wendy, Klaus und Michael, denen es ganz offensichtlich an nichts mangelt. Sie haben jeder ein Bett, sie mögen sich und spielen schön.
Doch dann kommt der Papa hinein und zerstört die kleine Spielwelt seiner Kinder mit seinem gestressten Fokus. Er hat nur sich im Kopf und zeigt kein Verständnis für die zum Leben erweckte Fantasie seiner Kinder- selbst als er die Chance hat einzusteigen, beharrt er auf seiner Perspektive und will sich durchsetzen.
Leichtfertig und- wie er später zugibt- unbedacht, erklärt er seiner Tochter, dass diese ab dem nächsten Tag erwachsen sein muss und nicht mehr im Kinderzimmer schlafen wird. Wendy ist sehr traurig. Ganz offensichtlich hat sie kein Verständnis von dem Begriff des Erwachsenseins. Es bedeutet für sie lediglich, dass sie nicht mehr bei ihren Brüdern schlafen und nie mehr Spaß haben darf. Alles andere was Erwachsensein auch bedeuten könnte, hat sie schon längst verinnerlicht- weiß das nur noch gar nicht!

Zum Beispiel kommt ja dann Herr Pan herein geschneit und sucht seinen Schatten, den er zuvor dort bei den Kindern “verloren” hatte (so macht man das übrigens bei Sekten: man lässt zufällige Begegnungen los- mal hier ein Infostand, mal da ein Flyer, mal ein hier ein Kurzkontakt, mal da ein kleines Gedankengutbonbon und nicht zuletzt die guten alten Missionare, die das Auto zwei Straßen weiter “verloren hat”…) und Wendy macht sich gänzlich uneigennützig daran ihm den Schatten anzunähen. Einfach so und völlig selbstverständlich- einem Kind müsste man sowas in der Regel erstmal beibringen und kaum ein wirkliches Kind würde ohne Aufforderung wissen, wann so ein Verhalten von ihm erwartet wird. Anscheinend ist also das Erkennen, wann welche Fähigkeit, in welchem Umfang von ihr erwartet wird schon etwas, dass Wendy schon gelernt hat. Das ist bereits ziemlich erwachsen!

Nun da Herr Pan wieder komplett ist, befasst er sich kurz mit dem Kummer des Mädchens und beginnt von seinem tollen Nimmerland zu erzählen. Neiiiin! Da müsste sie nie erwachsen sein! Da wäre es ja so wunderschön und toll. Alle sind glücklich.
Ohja! Sofort will sie mit! Klar! Und ihre Brüder kommen auch gleich mit! Die wollen sich so ein Abenteuer doch nicht entgehen lassen. Doch- halt! Was werden Mutti und Vati dazu sagen?

– Ach! Schwamm drüber Wendy- du wirst halt die Mutter für alle! Dann passt das schon!
Äh… korrigier mich gern einer- aber Mütter sind doch in der Regel schon ziemlich erwachsen nicht wahr?!
Tja, Wendy… willkommen in der Sekte des Hern Pan!

Ein häufiger Grund für Sekteneinstiege sind genau diese Art Eskapismus aus Überforderung durch hohe Ansprüche oder offene (schwerwiegende) Konflikte. Erleichtert durch einen charismatischen Guru, (oder Führer oder Meister oder wie auch immer sie sich nennen) vollmundige Versprechen und einer Prise Übernatürlichkeit.
Herr Pan ist ein Sohn des Götterboten Hermes und in der Regel umgeben von Satyren oder auch Nymphen, die ihm zu dieser Übernatürlichkeit verhelfen und sich gleichzeitig komplett hingeben. Vielleicht denkt sich die kleine Naseweis, der große Herr Pan würde sie schützen oder wenigstens nicht allein lassen, wenn sie ihn nur brav anhimmelt und ihre Fähigkeiten hergibt. Der offene Aspekt der Sexualtität und Pan´schen Wolllust kann hier leider (durch die Verwischung der Proportionen im Disneyfilm) nicht angeführt werden. (Ist aber eigentlich unübersehbar, wenn wir uns mal kurz die “Kleidung” der Nymphe ansehen…)

Warum Wendy, das nicht sieht und bemerkt? Ja, wie denn? Naseweis ist komplett ohne Sprache die Wendy versteht, grad so groß wie eine Menschenhand und Herr Pans Werkzeug, um den Kindern das Fliegen beizubringen, damit sie nach Nimmerland kommen.

Fliegen lernen. Einkreiseln. Eine Testsession besuchen… es gibt viele Begriffe für diese Einstiege.
Die meisten Menschen sind komplett high von den Versprechen und ersten Sektengeschenken. Wie die drei Kinder im Film merken sie eher nicht, wie weit und wohin genau sie sich entfernen: “bis zum Stern und dann immer der Nase nach”, kann auch auch heißen: “vom Infostand bis zum Logenhaus und dann immer den Ritualanweisungen nach…”
Und dort angekommen, fragt man sich nicht mehr goßartig, warum alle so komische Kleidung tragen, sich nicht mehr an ihre Familien erinnern und eine seltsame Beziehung zu Gewalt und Vorstellung von der Welt haben.

Wendy freut sich sehr endlich mal Meerjungfrauen zu sehen und ist nur kurz empört, als diese sie “zum Spaß ertränken” wollten- immerhin ist ja Herr Pan da, um sie zu schützen!
Herr Pan schützt ja alle- sogar die kleine Tigerlilly- die aber lediglich deshalb gerettet werden muss, weil der von seiner PTBS gebeutelte Käpt´n Hook, sich an Herrn Pan rächen will.
Der arme Käpt´n Hook ist verrückt vor Angst und nach dem traumatischen Verlust seiner Hand (durch Peter Pan) nicht mehr in der Lage seiner Arbeit als Piratenkapitän nachzukommen. Einzig sein immer wieder entfachter Hyperarousel (durch dieses gemeine Krokodil und die ständigen Quälereien Pan´s) verhindert, dass er sabbernd in Ecke hockt und von seinen Piraten kielgeholt wird.
Ich glaube ja, dass Herr Hook ein Aussteiger ist, dessen OEG (mit dem er seine Traumatherapie bezahlen will) nicht durchging und dessen einziger Lebensinhalt überhaupt nur noch die Entschädigung durch Tätertod sein kann…

Herr Hook geht für seine Rache sogar richtig kriminelle Wege. Er entführt die vor Eifersucht auf Wendy glühende Naseweis und nutzt ihre Verletzung, um das Hauptquartier der Sekte zu finden.
Dort wird die ganze (bereits irritierte und im Glauben an das Leben in Nimmerland erschütterte) Gruppe von ihrem Führer separiert und auf das Piratenschiff verschleppt, während Herrn Pan eine Bombe als Geschenk hinterlassen wird.

Hook stellt die Gruppenmitglieder vor die Wahl: der Gang über die Planke in den Tod oder die Heuer auf seinem Schiff.
Indoktrination gewohnt und gern am Leben seiend, wollen alle natürlich direkt bei ihm anheuern- ausser die getreue absolut irrational loyale Wendy.
Und wie das so ist in Sekten, wird Naseweis der Ernst der Lage klar. Sie befreit sich und rast zu Pan um ihn zu retten- immerhin steht nun die ganze Gruppierung auf dem Spiel!
Die Rettung gelingt, Pan rettet fix mal noch Wendy und auf das fehlende Platsch hin entbrennt ein Kampf auf Leben und Tod.

Pan ist wieder da und stellt sich dem scheinbar ungleichen Kampf mit Hook- welcher aber gar nicht so ungleich ist, wie er scheint.
Er ist noch um ein vielfaches ungleicher! Pan nutzt die Todesangst Hooks vor dem Krokodil, welches natürlich wieder zur Stelle ist und nur darauf wartet, dass Hook ins Wasser fällt.
Jemand der unter einer so krassen PTBS leidet wie Hook, ist in der Regel alles- ausser fähig zur Konzentration und Zielgenauigkeit. Schlafmangel und zeitweiser Realitätsverlust tun ihr übriges und Herr Pan braucht nichts weiter zu tun, als noch ein paar Mal gezielt zu verängstigen und zu verhöhnen und schon ergreift Käpt´n Hook die Flucht. Das Krokodil ihm nach…

Wendy hatte schon am Vorabend ihre Brüder, vom Mütterkult der 50er Jahre getragen, zum Heimweh motiviert. (Übrigens eine Stelle bei der meine Augen plötzlich ausliefen- das wird dann wohl die Stelle sein, an die die Kritiker damals dachten, als sie den Film “herzerwärmend” nannten)
Sie war beleidigt und ihrer Illusionen vom Leben in Nimmerland beraubt, als sie beim Feiern mit den Indianern die Arbeiten einer erwachsenen Sqaw machen sollte- Herr Pan aber mit der jungen Tigerlilly und den anderen (männlichen) Gruppenmitgliedern unbeschwert herumtanzte.
Also erinnerte sie alle mal daran, was eine Mutter ist.
”Eine Mutter- eine richtige Mutter, ist das Schönste auf der Welt. Sie ist dein Schutzengel. Sie behütet dich- Tag und Nacht. Sie hat dich lieb und sie singt dich in den Schlaf.”
Zack! Ist die Kriegsbemalung abgewischt und die Sehnsucht entfacht. Was eine Leistung bei Kindern, die einfach von Natur aus noch auf ihre Mutter (oder die Familie allgemein) angewiesen sind.

Herr Pan und sein übernatürliches Werkzeug Naseweis werden wissen, dass sie gegen diese Art Kult und Bindung nicht so einfach anstinken können. Sie bringen die Kinder wieder zu sich nach Hause.
Dort gibt es einen reuigen Vater, der nach den wirren Erzählungen (von denen- oh Wunder was!- er natürlich nichts glaubt!) seiner Tochter, in großer Sorge ist und ihr verspricht noch weiter im Kinderzimmer schlafen zu dürfen.

Das Wolkenschiff des Herrn Pan allerdings, ist nachwievor am Horizont zu sehen…jederzeit bereit zurück zu kommen… man muss ja nur an ihn glauben… und schon kann man wieder in eine Welt in der man niemals erwachsen, verantwortungsbewusst, mitfühlend, rücksichtsvoll… menschlich handeln, denken, fühlen muss…

So ist es auch mit Sekten. Egal wie offenkundig man “einfach gehen kann”- es ist nie- niemals!- so einfach wie es aussieht! Entweder sie kreist in Form von ständiger äusserer Verführung und Kontrolle um einen herum oder im Kopf in Form von Handlungsmustern, Gedankenkonstrukten und Reflexen. Und so ziemlich jede Sekte kann sich darauf verlassen, dass das was in ihr geschiet von der breiten Masse schlicht und einfach nicht geglaubt wird.

Sollten Sie, lieber Leser, ein Betroffener sein und Information zum Thema “Ausstieg aus einer sog. Sekte oder Psychogruppe” suchen, kann ich ihnen diese Seite und auch diese sehr empfehlen.

Freiheit nach dem Ausstieg macht einsam. Aber Freiheit kann machen, dass man sich- wenn schon nie als Kind, so doch als befreite Erwachsene “Peter Pan” anschauen und Artikel dazu schreiben kann wie diesen hier!