zum Begriff “Überlebende”

Es war eine Frage bei der Openmind Konferenz. Wie ich zu dem Begriff “Überlebende” stünde.
Mich hat es noch ein bisschen beschäftigt und jetzt kommen nachträglich  ein paar Worte von mir dazu.

Ich habe mich von dem Begriff für mich gelöst. “Überlebende” ist keine Selbstbezeichnung mehr für mich.
Eine ganze Weile fand ich den Begriff gut, weil er mir als Alternative zum Wort “Opfer” erklärt wurde und er auch die Wucht dessen, was ich erfahren habe, damals irgendwie passend transportierte.
Ich hatte ein Wort gesucht, das nicht nach Passivität klingt oder darüber definiert wird.

Und dann hatte ich mich an etwas erinnert, das mir klar machte, wie profan Über- und Weiterleben eigentlich ist.

Es ist keine Leistung und auch keine Fähigkeit zu überleben oder überlebt zu haben.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber mich macht der Versuch des Empowerments mit dem Satz: “You are not a victim – you are a survivor” inzwischen richtig wütend, weil er sich der simpelsten aller Maschen bedient, die das Sprechen und Verdrängen um Gewalt und ihre Folgen an sich hat: Abwertung von Opferschaft und der Implizit diese wählen zu können.

Der Satz könnte besser heißen: “You were a victim and you survived”.

In meinem Vortrag sagte ich, dass es keinen einzigen Begriff gibt, der Menschen, die zu Opfern wurden, in ihrem Leben nach der Gewalterfahrung benennt, ohne sie immer wieder als eine Person, die akut etwas oder jemandem unterworfen ist, anzusprechen.
Das ist die “ganz oder gar nicht”- Logik, welche die Macht – Ohnmacht – Dynamik mit sich bringt: Einmal Opfer immer Opfer- oder es ist nie etwas passiert.
Genau daraus kommt aber eben auch die Notwendigkeit, immer wieder auf das Gewaltereignis hinweisen zu müssen, um es (mit) zu erwähnen, wenn man sich selbst als Mensch, der zum Opfer wurde, beschreiben möchte, oder seine Perspektive erklären will.

Mir ist es heute natürlich nicht unwichtig, dass ich zum Opfer von Gewalt wurde. Es ist mir aber nicht mehr für andere Menschen wichtig, die mich mitsamt meiner Erfahrungen und Wuchsrichtungen anerkennen sollen, sondern für mich, um meine Erfahrungen vor mir selbst zu bewerten und auch zu beworten.

Für mich war dieses Überleben, das so oft fast glorifiziert herausgestrichen wird, zum Teil fast schmerzhafter als die Nahtoderfahrung vorher.
Zugeschwollen und blutend zu sich zu kommen ist auch “überlebt haben”.
Das Moment in dem man seine Glieder einsammelt und an sich dranbewusstet; das sich fragen, ob man da ist, oder nur so tut, oder sich selbst gerade träumt. Das ist auch “überleben”.
Es tut weh. Es ist vielleicht mit dem größten Ekel, den man je empfunden hat, verbunden. Es ist ohne Hoffnung, ohne Gedanke … es ist so verdammt weit weg von einem warmen Licht am Ende eines Tunnels, der einen ins Überlebendenwunderland mit Bällebad und Zuckerwatte führt.

Ich war 21 Jahre lang genauso Opfer, wie Überlebende und keins der beiden Wörter reicht an das heran, was ich an mir in Bezug auf das, was diese Erfahrungen mit und an mir gemacht haben, wahrnehme.
Ich bin weder stärker geworden, noch zäher, noch bin ich davon gebrochen oder zerstört worden. Es war mein Leben. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich bin eine “damit lebende”. Manchmal bin ich auch eine “damit versuchen zu lebende”, eine “damit hadernde” und manchmal bin ich auch eine “darunter leidende” Person.
Aber ich bin eine “Eine”. Ich bin immer ein Mensch, der unter bestimmten Bedingungen gewachsen ist, wie jeder andere Mensch auch.

Ich bin nicht an der Reihe mich und die Gewalt sichtbar zu machen.
Die Welt ist an der Reihe mich und andere Menschen, die zu Opfern wurden, die Gewalt und das Leben mit ihren Folgen zu sehen, auch wenn wir das nicht immer wieder sagen.


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5 thoughts on “zum Begriff “Überlebende”

  1. Ok, was ich verstehe ist: wenn Du all dieses erleben und überleben mußtest, dann ist das allein noch nichts Bewunderungswürdiges, sondern einfach Dein Leben. Was ich aber schon oft gemerkt habe, daß es Leuten gut tut, ihnen den Gedanken „und trotz alledem hast Du bis hierher überlebt“ zu sagen, weil er ja auch enthält: „obwohl Du dies alles erlebt hast, hast Du Dich nicht entschieden, Dich umzubringen, damit das Leid oder das Leid danach ein Ende hat“. Und / Oder: „Dadurch allein, daß Du überlebt und bis hierher weitergelebt hast, kannst Du bedeutungsvoll für jemand anderes in ähnlicher Lage werden“. Dafür zu überleben ist schon nah an einer „Leistung“. Du schreibst zwar, es sei Dir „nicht mehr für andere Menschen wichtig“ um deren Anerkennung willen. Aber es gibt bestimmt andere, die z.B. diesen blog lesen und so was wie Hoffnung schöpfen können. Das ist für mich etwas Wichtiges. Ich habe keine solchen traumatischen Erfahrungen machen müssen, aber ich weiß, daß in dem Moment, wo einE „ÜberlebendeR“ (wenn Du mir für einen Moment gestattest, es dennoch so zu sagen) sich entscheidet, zu sprechen, ganz viel Gutes in und mit anderen Menschen passieren kann. Und sprechen, viel mehr bloggen, tust Du ja.
    Danke dafür.

  2. Nein, ich habe nicht dadurch allein, dass ich etwas überlebt habe, die Möglchkeit Gutes zu tun, jemand der Hoffnung stiftet zu sein, sondern weil es mich physisch noch gibt und ich das tun kann. Ich hätte diese Dinge nicht erleben müssen, um Gutes zu tun, um Menschen zu unterstützen und so weiter.
    Ich halte es für falsch Menschen zu vermitteln: „deine Qual hatte einen Sinn für andere Menschen“, weil es für sie bedeutet sich selbst in Bezug auf oder in seinem Wirken für andere Menschen zu definieren und nicht für sich selbst und an seiner schlichten Existenz.

    Ich verstehe die Intension der Menschen, die das sagen durchaus und spüre da viel Wertschätzung für diese Personen und den Wunsch „das Positive dran zu sehen“
    Ich sehe aber auch: Da sieht jemand jemanden ausschließlich oder überwiegend in dem Kontext der Gewalt und dem Zufall des Überlebens und nicht der bloßen Existenz als Mensch, der Dinge tut, weil er sie tun kann (weil er eben am Leben ist und nicht tot).

    Ich lebe mit meinen Erfahrungen und das diese zufällig die gleichen oder ähnlichen wie die der Personen sind, die sich selbst als Überlebende oder Opfer oder oder oder und eben nicht als „damit lebende“ bezeichnen, macht mich nicht zu etwas oder jemand Besonderem.

    Ich danke dir daneben aber ganz herzlich für die Anerkennung meines Schreibens hier. Das ist schön zu hören.

  3. Danke – du sprichst mir aus der Seele. Genau das – es ist auch an den anderen dran dich wahrzunehmen – nicht sich ständig erklären zu müssen, weil etwas nicht so funktioniert wie „normal“

  4. Ein starker Text!

    „Ich bin nicht an der Reihe mich und die Gewalt sichtbar zu machen.
    Die Welt ist an der Reihe mich und andere Menschen, die zu Opfern wurden, die Gewalt und das Leben mit ihren Folgen zu sehen, auch wenn wir das nicht immer wieder sagen.“

    Genau so ist es!

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