wenn man lebt, kann man lernen

Es ist Mittwoch und gestern haben wir uns aus der hiesigen Psychiatrie entlassen lassen.
Noch fließen Medikamente durch den Körper, die machen, das sich die Finger-, Zehen- und Zungenspitze taub anfühlen und wir uns tatsächlich einen Timer stellen müssen, damit wir uns selbst Schritt für Schritt durch den Prozess des “aufs-Klo-gehens” und “Nahrung* bereitens” zu hieven erinnern, wie einen nassen Mehlsack durch Treibsand.

Wir sind nachwievor so betrübt wie das Meerwasser vor Fukushima. Aber die Zeit zum nächsten Workshop, die Zeit zum nächsten Fotokurs, die Zeit zum nächsten Podcast ist nicht mehr so lang, dass der Gedanke, man könne sich ja bis dahin umbringen, damit es weniger lang dauert, keinen Raum mehr finden kann. Zu voll gestapelt ist der Kopf bereits wieder mit Folien, die zu füllen sind, mit Fachliteratur, die aufzufrischen ist, mit dem dicken Panzer, den wir brauchen, um zurecht zu kommen.

Heute morgen wachten wir mit Fieber und Husten auf und freuten uns darüber.
Offensichtlich hat uns etwas in der letzten Woche gut getan und psychophysisch soweit entlastet, dass sich der Körper neben allem auch ein Fieber zu leisten in der Lage sieht. Vielleicht war es der Schritt NakNak* vorrübergehend in Obhut von jemandem zu geben. Vielleicht war es der viele Schlaf. Vielleicht das psychische Einknicken und stückweise Runterbrechen auf das, was hinter uns funktionierenden Rosenblättern als rudimentäre(re) Schleife immer mitläuft. Vielleicht aber auch die Erfahrung, dass die Therapeutin solidarisch bleiben konnte, der Mensch (rätselhafterweise) irgendwie jeden Tag? für uns da war und wie noch immer verlässlich ist, womit man seine (Klein-) (Kinder-) Jugendzeit überstanden hat.

Wir haben aus den Tagen im Krankenhaus die Einsicht mitgenommen, dass wir wahrscheinlich nie eines der ungehörten kindlichen Gewaltopfer waren, sehr wohl aber eines der unverstandenen und mit (trotz der) besten Intensionen miss_be_handelten.
Menschen brauchen mehr als stereotype Schablonen um Schlüsse egal welcher Art aus dem Verhalten und Beworten anderer Menschen zu ziehen. Sie brauchen Zeit. Sie brauchen direkten Kontakt. Sie brauchen eine Routine miteinander, um individuelle Normen/Muster_Schablonen zu kreieren.
Und genau das ist es, was von Geburt an misshandelte Menschen zum Verhängnis wird. Denn: es gibt kein Vorher und kein Nachher.

Wir haben verstanden, dass wir diesen Teil unserer Traumatisierungen hier über das Blog wenn nicht reinszenieren, so doch Raum dazu übriglassen und zwar über die Kommentarfunktion und die vielleicht nicht häufig genug geforderte Reflektion derer, die sich an uns richten.
Entsprechend schließen wir die Kommentare hier bis auf weiteres und erleben das als gleichzeitig schade, wie wichtig.

Einerseits gab es hier nie eine Flut von Kommentaren – andererseits gibt es hier jede Woche mindestens einen übergriffig wie unangebrachten Rat_Schlag, verbale Verletzungen und immer wieder auch Kommentare von Menschen, die geflissentlich übersehen, dass das Blog von Vielen in über 900 Artikeln bereits vieles von dem was als fehlend angemerkt wird, besprochen hat.
Es wird gern vergessen, dass wir gerade 29 Jahre alt sind und unsere konkreten zwischenmenschlichen Gewalterfahrungen im Rahmen organisierter Gewalt gerade einmal 8 Jahre her sind.
Wir sind keine Person, die durch ihre Traumafolgestörungen aus scheinbar geordneten Bahnen gefallen ist.
Wir leben, wachsen, entwickeln uns. Über das Blog tun wir das quasi in aller Öffentlichkeit– und sind gleichzeitig noch so weit davon entfernt, uns selbst erfassen und halten bzw. tragen zu können.

Heute morgen habe ich gespürt, wie viel von unserem Alltag in Krisenzeiten wie jetzt von einem völlig fremden inneren System getragen wird und ganz ehrlich: nach inzwischen 13 Jahren unter der Diagnose der dissoziativen Identitätsstruktur war und ist das das Letzte mit dem ich gerechnet hätte.
Dabei ist es so logisch: Man kann nicht bewusst für Dinge sein, die unbewusst sind bzw. die unbewusst im Sinne von “in einem dissoziativem/dissoziiertem Zustand” getan werden.

Je näher wir an Routinen und geordnete Bahnen kommen, desto mehr bricht auf und in sich zusammen, weil immer weniger Energie in Dissoziation, als in Assoziationen am eigenen Sein fließt. In diesem Jahr haben uns die Aufnahme des Vorstudiums an der Kunstschule, das Hineinfuchsen in die Rolle eines Wissen vermittelnden Menschen, der bestätigte Verdacht des auch autistisch seins, einen erheblichen Schritt näher an das, was man “geordnete Bahnen” nennen könnte, gebracht.
Genauso wie die Erkenntnis weder Inklusionspüppi noch feminist riotgrrrl zu sein. Weder Freundin noch Feindin zu sein. Weder Mann noch Frau zu sein. Im stetigen Zweifel ein Mensch zu sein. Nicht zu sein, was andere in und an dem sehen, zu sehen glauben, was ist und als Schluss ins eigene Bild von “Hannah C. Rosenblatt” hineinmeißeln, ohne sich selbst, ob der eigenen Fähig- und Fertigkeiten als Meißelnde_r zu hinterfragen.

Wir haben uns, obwohl nachwievor depressiv, instabil und in einigermaßen desolatem Zustand entlassen _müssen_ , weil uns das von außen unreflektierte Unverstanden sein, in einen Zustand triggert, der über “dysfunktional” hinaus geht und nicht kompensierbar war.
Wenn die, die einem helfen wollen/sollen/möchten nicht verstehen können/müssen/sollen, dass sie nicht verstanden werden und nicht verstehen, dass ihnen genau das gesagt wird, dann ist es vielleicht, wenn nicht das überhaupt grundlegende Drama der Irren ™, so doch auf jeden Fall unser ganz persönliches.

Wir denken darüber nach, in wie weit der Autismus und auch unser viele sein – zu allererst aber doch unser in Gewalt aufgewachsen sein, uns zu einem Menschen macht, der Unterstützungen und Hilfen jeder Art, nicht ohne Erklärungen und grundlegendes Verständnis ihrer inneren Mechanik anzunehmen in der Lage ist.
Wo beginnt eigentlich der Wunsch nach dem Verstehen der Hilfe und wo geht es viel mehr um ein so tief verwurzeltes Misstrauen in die menschliche Spezies, dass wir uns ausgeliefert und dem Tode nahe fühlen, sobald wir nicht mehr verstehen, was warum und wie genau passiert?
Und was ist es, was da wie eine Sirene meine Innenansicht benebelnd schreit, in dem, was wir “das Inmitten” nennen, ohne selbst konkret zu wissen, was wir damit meinen?

Mir ist heute eingefallen, dass wir nicht für Menschen schreiben und doch immer versucht haben für das Verständnis von Menschen zu schreiben.
Ein anderes Innen lehnte sich zu mir und legte eine Erinnerung dazu.
“Ich kann jetzt noch nicht sterben, weil ich noch nicht verstanden habe, wie die Menschen funktionieren.”.
Das hatte die 16 jährige „Darkcloud“ ihrer Lehrerin anvertraut. In einem dieser nahen Momente. Damals. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie, als alles – zumindest äußerlich – noch tausend Mal schlimmer war, als heute.

Heute steht in unserer Nicht-Suizidvereinbarung: “Grund für die Bindung [an den Vertrag] = Wörter/ Kommunikation finden [mit Therapeutin, dem Menschen, der Begleitenden]” und als vielleicht das “rosenblattsche inner perpetuum mobile” die Erinnerung “Wenn wir den Vertrag brechen, werden wir nichts mehr lernen (finden) können”.

Vielleicht ist es also gut, wie wichtig, wie lebensrettend, dass wir uns dem Unverständnis der Menschen hier immer wieder ausgeliefert haben.
Vielleicht hätten wir die Teilchen so nicht verbinden können.
Vielleicht, lapidar gesagt, mussten wir halt 8 Jahre auf die Fresse fliegen, Rat_Schläge einstecken und an unserer Fähigkeit der Kommunikation ver_zweifeln bis wirs endlich kapiert haben.

Man lernt halt nie aus.
Wenn man lebt.

snap

“Sie sind viel zu aktiv für ihre Krankheit”, resümiert meine gesetzliche Betreuerin, nachdem wir gemeinsam festgestellt haben, dass mein Leben eine ökonomische und bürokratische Katastrophe ist, die man nicht mit Arbeit entsprechend unserer Kräfte und bestem Willen verändern kann.

“Und was sagt ihre gesetzliche Betreuerin dazu, dass Sie von – wieviel waren das? 150? 100? Euro leben und arbeiten?”, fragt meine Therapeutin 28 Stunden später und statt mir die Kleider vom Leib zu reißen und in einem weißglühenden Atompilz die ganze Welt zu sprengen, antworte ich: “Sie sagt: “Sie sind viel zu aktiv für ihre Krankheit.”, dabei ist es das Logischste, was man mit meiner “Krankheit” tut.”.

Ich sage ihr, dass meine Tage damit beginnen mich zu spüren und es Stunden dauert bis mir das nicht mehr weh tut. Ich kläre sie darüber auf, dass das Muster, das der Mensch mit Autismus assoziiert und sie mit einem inneren System, etwas ist, dass wir alle haben.
Ich sitze da mit dem Rücken an der Heizung und reiße von mir runter, was mir der Blick anderer Menschen auf mich draufklebt. Zwischendurch bemerke ich den Stich des Absurden, weil ich weiß, dass wir eigentlich die Verabredung haben, dass wir uns in ihrem Raum nicht selbst verletzen oder zerstören.

Es ist absurd, weil ich merke, wie unsichtbar mein Leiden tatsächlich ist. Unsichtbar und fern der Welt, weil es in mir und an meinem Sein passiert.
Im Innen rastet etwas ein, dass mich in der Annahme versichert, jederzeit verschwinden zu können ohne, dass auch nur irgendjemand verstanden hat warum.

Was bliebe sind Fragen wie: “Was ist denn passiert?”
und Antworten wie: “Sie hatte Behördenschulden und kein gutes Leben.”

Und nicht das Begreifen der Tragweite, die das Aushalten der eigenen Seins, des Nichtwissens um ein eigenes Selbst, das Tragen der Gewalt- und Traumafolgen an sich und schon gar nicht die stetige Inkompatibilität und die permanente Unverbindbarkeit mit der Welt darstellt.
Man würde von uns als eine Person sprechen. Als eine Frau, die sich für viele hielt. Man würde uns misgendern, man würde uns falsch zitieren. Man würde sich uns nehmen und so zurecht reißen, wie es selbst am Besten tröstet.

Obwohl wir seit Jahren hier schreiben. Obwohl wir seit Jahren immer wieder das Gleiche sagen. Obwohl wir seit Jahren so ein special Sonderfallproblemrotz an der Schuhsohle von Sozialsystem und Rettungslobby sind. Nervig, aber da. Anstrengend, aber doch das perfekte Beispiel für die Notwendigkeit von spezifischem Engagement und by the way die Ressource, die man verpassen könnte, obwohl sie doch gut zu be_nutzen sein könnte.

Wir sind immer gut zu wissen. Es lohnt sich uns zu kennen, weil es erschütternd und beinahe unerträglich die eigene Comfortzone berührend ist. Leider ist es genauso unerträglich sich mit uns zu verbinden, denn so richtig integrierbar ist es dann doch nicht. Spätestens bei der Frage, wie das denn gehen soll, ist das zu spüren.
Aber wir sind ja da und das ist ja immer gut zu wissen, denn wer weiß, wozu es mal noch gut ist, uns zu kennen.
Vielleicht braucht man mal jemanden, der einem was zeichnet, was aufschreibt, was erklärt, ein Tier rettet oder eine Wohnungseinrichtung zusammenzimmert. Vielleicht braucht man irgendwann mal wieder so einen erfrischenden Schock, der einem das Weltbild zurechtrückt und die eigenen Privilegien ins Bewusstsein ruft.

Ich weiß nicht, ob irgendjemandem klar ist, dass wir leiden und genau deshalb irgendwie relevant für Menschen in bestimmten Situationen, Lebenslagen und Weltbildern sind.
Ich weiß nicht, ob meiner gesetzlichen Betreuerin klar ist, dass sie mir auf eine Art gesagt hat: “Es wäre besser, wenn sie sterben, weil das System mit ihrem Tod besser umgehen kann.”.

“Wir sehen uns am Donnerstag”, sagt die Therapeutin und ich antworte noch im Verbrennen “Okay.”.

die Gewalt im Trost #Worldmentalhealthday

Heute ist “World Mental Health Day” und das Erste, das ich heute lese, ist dies:
ein Screenshot von einem Kommentar von
Das ist, was eine fremde Person zu meinem Leiden sagt. Zu meinem Leiden unter inzwischen 10 Jahren Zwangsferien mit Freizeitpark Hartz 4 mit den Attraktionen “Traumafolgen-Achterbahn”, “der Diskriminierungsgeisterbahn” und dem von allen hochgeschätzten “Nervenkitzelkabinett der enttäuschten Hoffnungen und der vergeblichen Anstrengungen”.

Ich denke: “Du bist dumm und deshalb schreibst du dummes Zeug in mein Blog.” und ich denke “Ich wünsche dir meine letzten 12 Jahre an den Hals.”, weil ich verletzt bin und ich nur diese Qual in meiner Lebensrealität als etwas greifen kann, das man anderen Menschen nur wünschen würde, würde man sie gleichermaßen quälen wollen.
Ich schäme mich, weil ich ableistisch und brutal reagiere.

Erfahre Trostversuche und den Tipp mir ein Video anzusehen bei Twitter.

Es ist dieses:

und ich fange an zu weinen, weil ich merke, was da für eine unbesehene Lücke klafft.

Weil ich weiß, wie leicht es ist, sich zu schützen und zu trösten, indem man denkt: “Was weißt du denn schon?”.
Weil ich weiß, dass man zu Nichtwissen nicht gleichermaßen, wie zu Leiden und Überleben gezwungen wird.
Weil ich weiß, wie viel leichter es ist, einfach immer wieder zu unterstellen, niemand hätte eine Kenntnis von dem, was im Leben, fern derer, die einen herabsetzen, demütigen, verletzen und stigmatisieren – derer, die ihre Schlimmskala an einen dran halten ohne zu verstehen, was daran gewaltvoll ist, passiert.

Mein Schmerz ist der, dass es jede_r wissen kann. Und eigentlich in seinem Inneren auch schon lange weiß.
Man tut nur gerne so, als wüsste man es nicht, weil es ein so viel besser auszuhaltender Vermeidungstanz ist, so zu tun, als handle man aus Unwissenheit – und nicht aus Einfältigkeit, Boshaftigkeit oder Ignoranz. Es ist leichter Belehrungen links rein und rechts rausrauschen zu lassen, als zuzugeben, dass man ein ignorantes Arschloch ist, das froh ist, weder arm, noch krank noch behindert noch jemals so global ohnmächtig gewesen zu sein, wie die Person über deren Rücken man sich erhebt.

Es ist weniger kraftaufwändig Menschen zu unterstellen, sie hätten keine Ahnung, als ihnen aufzuzeigen wieviel Wissen sie eigentlich haben.

Es ist unser alter Konflikt von Anbeginn des Blog von Vielen.
Wir sehen keinen Sinn in der klassischen Aufklärungsarbeit und halten die klassische Öffentlichkeitsarbeit beim Thema “seelische Gesundheit” im Kontext mit “Trauma” und “Gewalt” für nicht möglich, wenn man auf klassische Gewaltausübung verzichten möchte.
Wir sind nicht diejenigen, die anderen Personen erklären können, was richtig und was falsch ist. Wir lehnen es ab, als ein Mensch wahrgenommen zu werden, der alles weiß, der überlegen ist oder besser als andere.
Wir haben nichts davon außer einen besonders angreifbaren Platz innerhalb der Gewaltspirale um Deutungs- und Definitionsmacht.

Wir schreiben hier über uns. Unser Leben heute und das Überleben, das wir erinnern. Wir teilen unsere Gedanken, Gefühle, Ideen und geben uns die Stimme, die von der Gewalt innerhalb von Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit stumm gehalten wird, weil sie davon profitiert und komplett auf der Idee einer globalen und immerwährenden Stummheit, derer um dessen Leiden es geht, basiert.

Wir haben einen Krankheitsbegriff, der nicht kompatibel ist mit einer Gesellschaft, die sich Hörigkeiten nötig hält und Gewalt reproduzieren muss, weil sie zu feige/bequem/ängstlich/unsolidarisch ist Alternativen zu formulieren und zu etablieren.
Wir lehnen Pathologie ab. Wir richten nicht über jene, die uns verletzt und verdreht haben. Wir sprechen nicht für andere.
Wir sind nicht krank. Wir sind nicht gesund.

Wir sind wir und das ist genug, woran wir zu tragen haben.

Wir nehmen uns ein Recht auf Platz und Stimme, das uns innerhalb der Strukturen, die es derzeit gibt, nicht zugestanden wird und bitten nicht um Legitimation dessen. Das ist, was unser öffentliches Tun wertvoll und so verdammt revolutionär macht.

Hier kann jede_r lesen, di:er möchte und hier kann sich jede_r nehmen, was ihm_ihr hilft.
Niemand braucht unsere Worte hier – es ist aber gut, dass sie da sind, denn sonst würde niemand wissen, dass es sie gibt.

Heute ist ein Tag, an dem man sehr viele Leidens- und Lebenswege nachlesen kann. Besonders unter #WorldMentalHealthDay.
In diesem Blog kann man das jeden Tag, seit 2008, tun.

Man kann erfahren: zu Leiden ist im Leben mindestens eines Menschen ein Aspekt von “Normalität”. Man kann begreifen: “Armut” bedeutet mehr als “kein Geld haben”. Man kann miterleben: Das Leben mit einer Behinderung wird nicht von dem definiert, was nicht geht, sondern von dem, was möglich ist und möglich sein könnte.  Man kann begreifen: Hier ist es möglich etwas zu wissen, wenn man etwas wissen will.

Man kann begreifen, wie wichtig es ist sich von seiner Trostfloskel: “Was weißt du denn schon?”, zu verabschieden, weil sie auch gewaltvoll ist.

sechsundzwanzig

“Sie machen also richtig Ferien”, fragt die Therapeutin in den Raum hinein. Ich betrachte die Frage in ihrem Flug an die Stirn des Kinderinnens, das vor ihr sitzt und möchte mich tot lachen, als dieses nickt.

You say „Ferien“ I say „Hartz4–Alltag“. You think „Ausruhen“ – I think „FUCK OFF“

Das Gespräch verwandelt sich zu einem entleerenden Frage-Antwort – Ping Pong und ich lasse los.
Weil Ferien sind und es egal ist, wie es uns nach der Stunde geht. So oder so gehen wir nach Hause, schlucken die zweite Zahnschmerztablette, lesen, teilen, zeichnen, bearbeiten Fotos, rangieren Not von links nach rechts, gehen mit dem Hund raus, kochen, schauen YouTube-Filme und schlafen ein, wenn die Frühschicht zur Arbeit fährt.

Es ist nichts da, was macht, dass es uns so geht.
Ich bin einfach traurig. Ich leide einfach und es gibt nichts, was das abkürzen könnte.
So ist Depression.

Keine Wörter, keine Gründe, die man wie ein Ursache-Folge-Spiel zusammenkonstruieren kann.
Es war halt viel und es war halt viel Scheiße und es wird auch später noch viel Scheiße da sein.

In zwei drei vier … Tagen, Wochen, Monaten werde ich weniger drunter leiden.

Kein Grund irgendwas zu sagen. Kein Anlass irgendwas zu teilen.
Keine Rechtfertigung um etwas zu bitten.
Es würde nichts verändern.

drin drin drin

Zwischendurch denke ich Sätze, die mit “Im Gegensatz zum Rest der Welt, weiß ich…” beginnen und weiß doch, dass ich den Rest der Welt weder kenne, noch dieser irgendetwas mit mir anfangen kann. Ich bestrafe mich für den Gedanken irgendwas zu wissen, denn tatsächlich weiß ich gar nichts. Tatsächlich ist dieser Satz ein Zitat aus einer Serie. Tatsächlich ist dieser Gedanke kein Gedanke, sondern ein durchweichter Fetzen auf der Suppe in meinem Kopf.
Rederest. Gesprächsrand. Plapperschnipsel.

Inzwischen sind die Gefühle bei mir angekommen und ich verstehe, was mich so verwirrt.
Es ist die Abstoßung innerhalb der ultimativ nahen Verschmelzung, die mit der Verletzung durch die Person einher ging. Es ist das “Ich hasse dich/verachte dich/entwerte/demütige dich”, das Abstoßung bedeutet, noch während der An_Griff meine Seele und damit mein Inneres berührt, was eine Verbindung bedeutet.

Es ist, was jedes Geschlagenwerden mit mir gemacht hat. Einerseits spürt man den Hass und andererseits spürt man die Verbindung.
Man kann nicht weg – kann nicht unsichtbar sein, obwohl es der Hass in der Person verlangt und als Botschaft in jede Zelle hineingraviert.

Mir ist aufgefallen, dass ich wieder einen Menschen verloren habe, gerade als es darum geht vor einer ersten Chance zu stehen, die mehr Selbstständigkeit, mehr Wertschätzung unserer Arbeit, mehr Unabhängigkeit für uns ganz greifbar zur Folge haben kann.
Ich frage mich, ob wir etwas reinszeniert haben und wenn ja, was.

“This is not for you.”, fliegt an mir vorbei und kleistert sich zwischen meine Gedanken an einen Rest der Welt, der irgendwo dort draußen ist und noch viele weitere Menschen für mich enthalten könnte.
Mein Warten ist eine Wiederholung. Ich stehe hier wie damals mit meinem Rucksack in der Hand und  dem Weh im Inmitten und warte darauf, dass mein Ummichherum bemerkt, dass ich zu gehen im Begriff bin. Für immer und ohne Wiederkehr auf dem Weg zu etwas von dem ich nur weiß, wie es nie wieder werden soll.

“Ich werde dich nie wieder in mein Leben lassen”, überlege ich hinauszustoßen und hinterlasse bereits damit einen nicht revidierbaren Abdruck in mir drin.

Gewalt ist eine Spirale und ich bin mittendrin drin drin drin

keine Fragen mehr

Schwarzweißbild einer Wiesenpflanze dessen Blütenkopf zu einem Ball zusammengelegt ist viele zarte Fasern und feine Stacheln sind von außen erkennbar

es gibt keine neuen Wörter
für das ewige Nicht.in.der.Welt.sein
das Immer.anders.als.Andere.sein

das Selbst sein

ich brauche keine Antwort auf ein Warum
ich brauche eine Antwort auf mein Sein

ein Montag, der drei Tage dauerte

Der Schlussakkord der Therapie lautete auf: “Wenn du ein Problem hast, dann hast nur du ein Problem.” und fügte sich wunderbar in die Scheißesinfonie der letzten Wochen ein, die von schwierigen Dynamiken und Entwicklungen erzählt und davon, dass einige der Menschen, mit denen ich versuche und versuchte zusammenzuarbeiten sich von mir entfernen, mich verlassen, mich allein lassen mit Schmerz, Angst, Ohnmacht und genau dem, von dem ich weiß, dass ich allein es nicht tragen kann.

“Dass ich überfordert bin, ist mein Problem und deshalb ist es legitim mich mit dem Schaden aus diesen Überforderungen allein zu lassen und mir das Gefühl zu geben unzulänglich, böse und unfähig zu sein.” – keine neue Erkenntnis, sagt doch eigentlich jede Gewalt- und Vernachlässigungserfahrung genau das auch.
Trotzdem ist es ein Schmerz und trotzdem ist es falsch.
Und trotz genau diesen Umstandes ist es mein Problem und völlig egal für das Ummichherum. Ich werde angeschwiegen und zwischendurch fühlt es sich an, als würde man mich totschweigen wollen. Oder müssen.

Mein Kopf summte diese Sinfonie in der Nacht vor der Fahrt nach Hamburg immer wieder vor sich hin. Ließ mich nicht schlafen. Ließ sich aber von der Angst den Wecker nicht zu hören ablösen.
Ich stand um 4 Uhr auf und tröstete mich damit, eine gut durchgeplante Fahrt zum Inklusionscamp anzutreten.
Ich hatte eine Sitzplatzreservierung, hatte meine Route innerhalb von Hamburg genau ausgekundschaftet. So wie man das macht, wenn man alleine fremd unter Fremden ist.  Ich weiß, was ich brauche, um gute Arbeit und gute Anteile meiner Arbeit teilen zu können und habe mich darum gekümmert.

Und dann war Montag.
Es kann nur Montag gewesen sein, denn nur Montage schaffen solche Konstellationen aus Verspätungen und Notwendigkeiten in Regionalbahnen steigen zu müssen, in denen bereits um kurz nach 8 Uhr morgens angetrunkene Fußballfreunde und ihre praktischen 5 Liter-Siegerbierfässer sitzen.
Außerdem fährt der alte Penner, der uns in der Hamburger S-Bahn unter den Rock gegriffen hat, sicher auch nur Montags in der gleichen Bahn, wie Leute, die von sowas in Flashbacks getriggert werden.
Da bin ich ziemlich sicher.
Außerdem fahren nur Montags die Busse, die nur einmal in der Stunde fahren, direkt so weg, dass man ihre hämisch grinsenden Schlusslichter noch sehen kann.

Wir haben uns umgeschaltet.
Man nennt das “positive Ressource” obwohl es im Grunde bewusstes Spalten ist und nichts Anderes oder Gesünderes, als die Dissoziation, dessen Wirkung uns zu einem Menschen macht, der viele ist.
Nach vorn treten Innens, die funktional sind, aber wenig schwingungsfähig. Sie sprechen mechanisch und saugen Informationen auf ohne sie zu berühren. Ich treibe neben ihnen her und habe ab und zu die Idee, ich könnte mich ja mit meinen gemochten und gemögten Menschen verbinden, um diese Innens weniger notwendig zum Überstehen dieser Stresssituationen zu spüren.
Doch auf die Idee kam die Erinnerung an den Umstand, sein Problem immer selbst zu haben und die Idee, einfach nicht mehr zurück zu fahren. Einfach noch ein Stück weiter Richtung Norden, dann ein bisschen nach rechts und dann ist es schon nur noch das Drücken eines Klingelknopfes, das davon trennt, endlich das zu bekommen, was man braucht. Will.

Zwei Mal sprachen wir vor Menschen, die sich für das Thema “Komplextrauma” interessiert haben, davon, wie wichtig kontinuierliche Begleitung, klare und transparente Strukturen und eine Idee vom Entstehen einer posttraumatischen Belastungs”störung” ist. Gerade bei Menschen, die daneben eine Behinderung haben bzw. behindert werden.

Und selbst bewegten wir uns auf Notstrom und voller Spannung auf allem, was uns erreicht, um uns zu regulieren.
Vor allem als nach dem Ende des zweiten Camptages unsere Fahrt von Hamburg nach Hause um 19 Uhr genau nicht begann und erst am Folgetag um 16 Uhr 25 endete.

~Fortsetzung folgt~

loslassen

“Lass los.”, berat_schlägt sie mich. “Stoß das ab – es hat keinen Sinn sich dafür aufzurauchen. Machs dir gemütlich im Everybodys-Arschloch-Land. Du bist die Böse, weil du dich nicht verpisst hast. Niemand redet mit dir, weil du da bist. Einfach weil du da bist. Lass los. Geh weg. Lass es sein. Das ist es nicht wert. Du hast gesagt, was du kannst und hast dich dran gehalten. Es hat so wenig mit dir zu tun, dass du es wirklich einfach lassen kannst.”.
Sie sagt das ganz ruhig. Mit einer Stimme, die so glatt wie ein Flusskiesel ist.

Sie atmet, als würde sie rauchen und hat die Augen halb geschlossen.
Sie beobachtet mich. Bohrt ihre Blicke in mich hinein, während ich mir meine Arbeit abringe, um nach einer halben Stunde erschöpft zurück ins Bett und in holprigen Dämmerschlaf zu rutschen.
Wenn sie sagt: “Lass los”, versuche ich sie loszulassen. Vielleicht, weil mich ihre kalte Sachlichkeit erschreckt und ich weiß, dass ich ihre Anwesenheit jetzt aushalten muss.

Wenn ich sie loslasse, lasse ich mich los.
Dann stehe ich da mit meiner unsühnbaren Schuld allein und sehe alles, was ich tun kann, nichtig.

“Wir könnten das Geburtstagspaket ja einfach so losschicken und reinschreiben: “Es tut mir leid, was mir immer leid tut” und “Ich bereue nicht, was ich immer wieder tun würde. “. Das ist doch gut.”. Die Andere spielt mit einem Bleistift in ihrem Feuerhaar und streichelt sich die Schläfen.
Er kneift die Augen zusammen. “Nee, weißte was – ich entschuldige mich für gar nichts. Hier gehts um gebrochene Absprachen, willentliche und wissentliche Demütigungen und Abwertungen unseres Tuns –  nur um letztlich sich selbst zu zerstören und dann nicht mal den Arsch in der Hose zu haben, sich dem Schaden zu stellen. Nee. Is nich. So’n Ding schickt ihr da nich mit meinem Okay hin. Ich will meine Chance auf ins Gesicht boxen, wenn schon.”.
Sie starren einander erschrocken an.

Mein Gehirn wummert und brandet in seinem Gefängnis. Ich schließe die Augen erneut und drehe mich um.
NakNak* rollt sich auf den Rücken. Lässt sich streicheln.
Ich dämmere dem Abend entgegen.

“Vielleicht sind es zu viele gebrochene Versprechen. Vielleicht ist es einfach wieder und immer noch nicht die Zeit für uns, sich mit Vergebung auseinanderzusetzen.”, sagt sie. “Lass los.”.
Sie hält dem Innen, das uns die depressive Symptomatik vorwerfen will, den Mund zu und übertönt es.

“Lass einfach los. Wenn du nicht kämpfst, kannst du einfach sein. Das ist schwer genug.”.

Es ist Nacht als wir draußen herumlaufen.
Atmen. Sind.
Es ist schwer. Es tut weh.
Und die ganze Welt hat nichts damit zu tun.

kein Anschluss

“Wo ist denn der Charakter in diesen Charakterköpfen?”, hatte sie vor der Reise nach Berlin gefragt.
“Ich will Menschen zu fotografieren üben und – wo ist denn der Charakter im Gesicht?”.

Der Raum ist voll mit neuen Fremden, die Luft walzt sich von Wand zu Wand. Der Lehrer schaut sie an und nickt. “Das findet man heraus, wenn man sich die Leute anguckt und fotografiert.”, sagt er und zeigt ein paar seiner eigenen Arbeiten.
Die Frage verdunstet in der Wärme und verliert sich ohne Antwort im Stimmengemurmel.

In Berlin angekommen, tragen wir uns in einem Kokon durch die Stadt. Halten uns an dem Wissen um die Funktionen und Möglichkeiten der Kamera fest. Konstruieren ein Motiv nach dem anderen. Sie steht streng neben uns und ermahnt uns immer wieder an das, wofür wir hingefahren sind: Menschen fotografieren – mal was anderes als Blümchen, Bienchen, Sonne rauf und Sonne runter.
Es ist unfassbar anstrengend und die meiste Zeit ist da Angst vor dem einen Schritt zu nah. Angst davor, dass sich die Menschen umdrehen und mit uns reden. Angst davor, dass das Foto nicht sofort klappt und ein zweiter oder dritter Anlauf nötig werden. Angst davor die Menschen anzusehen. Angst davor dabei von ihnen angesehen zu werden.

Das turbulenteste Treffen war das Schönste und vielleicht mögen wir nur noch Kindermenschen fotografieren. Wir waren ihnen so herrlich egal und für die Zeit zusammen unterbrach sogar sie die Suche nach dem Charakter im Gesicht.

Zwei Wochen später tauchte die Frage wieder auf.
“Was machst du denn um den Charakter zu zeigen?”, fragt sie. Und ihr Lehrer schaut sie verständnislos an. “Ich arbeite das raus…”, sagt er und fährt mit dem Coursor die hellen Linien im Portrait eines Mannes nach. “Ja, aber woher weißt du denn, dass das da der Charakter ist von dem Mann? Wie entscheidest du das denn?”, fragt sie. Diesmal wollen wir hartnäckig bleiben. Wir haben 1200 Menschengesichtfotos auf unserem Laptop und sind willens irgendwo einen Charakter zu finden.

Und er versteht nicht.

Er schwenkt zwischen dem Bild einer jungen Frau und dem eines alten Mannes hin und her. “Hier sieht man doch, dass das ganz unterschiedliche Typen sind.”. “Ja.”, sagt sie nickend. “Aber wo ist da der Charakter drin – woran merkt man den denn?”.  Er macht diesen einen Laut, den Menschen machen, wenn sie sich beherrschen uns nicht zu schlagen und irgendeine Erinnerung zerrt so heftig an ihr, dass es sie nach innen wegdreht.

Als wir im dunklen Fotolabor stehen und an den Abläufen entlang, ein Foto abzuziehen versuchen, ist es plötzlich ganz klar wieder da.  Das Nichtsgefühl im Fern-der-Welt-taumeln. Im hellen vollen Nebenraum wird geredet, geplänkelt, gelacht. Die Menschen, mit denen wir lernen, stehen dort und freunden sich an. Wir stehen allein im Dunkeln und suchen mit 60% Sehschärfe und ohne eine konkrete Idee nach dem Charakter im Portrait einer fremden Person.

Das Netzmittel ist qualitativ mies und hat mir Wassertropfen auf dem Film beschert. Irgendwas ist beim Entwickeln schief gegangen und hat einen Streifen mitten durch die Motive hinterlassen.  Frustriert beenden wir die Arbeit und versuchen den Faden zur Gruppe wieder aufzunehmen.

“Wollt ihr noch mitkommen und was trinken gehen?”, fragt der andere Lehrer.
Und guckt die Menschen neben mir an.

Draußen regnet es in Strömen.
Ich fahre mit einem neuen alten Lieblingssong in den Ohren, dem Hund an der Leine und dem klappernden Herzen im Arm, alleine nach Hause.

Schaue angestrengt und lange in einen Handspiegel. Finde keinen Charakter, egal wie ich mich anleuchte.
Ich höre auf. Gebe auf. Lasse endgültig los und den Spiegel auf den Boden fallen. Betrachte die glitzernde Scherbenpracht.
Ich schneide mich in den Körper zurück und aus dem Glitzern heraus. Weine ein bisschen um die Kluft zwischen dem Hiersein und dem ImFunkelnsein. Um die Kluft zwischen mir und dem Rest der Welt.

Dann fallen mir Wörter ein, die ich aufschreiben kann. Die Wörter zum Weg vor dem, was ich als “selbstverletzendes Verhalten” in mein Tagesprotokoll kringeln muss.

Beim Aufräumen fällt mir die Überweisung unserer Therapeutin in die Hände.
“rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode (F33.1 G9 )”

kurz: “ET merkt, dass es keinen Anschluss unter dieser Nummer gibt”

Blitzlicht

Jahreswechsel.

Ich glaube, ich bin noch nie so wütend, traurig und beschämt ins neue Jahr gegangen.
Tausende Menschen sind auf der Flucht und das Land, in dem ich lebe, schließt die Grenzen. Ständig begegnet mir Alltagsrassismus und, weil ich ein blütenweißes Toastbrot bin, komme ich mir falsch vor, den immer wieder anzusprechen. Awkward white tears – ich weiß. Sie sind aber trotzdem da.

Ich merke, wie genervt Menschen von mir sind – und kann nicht reagieren.
Ich merke, dass ich meinen eigenen Selbsthass zunehmend unkontrollierbarer erlebe – und kann nicht reagieren.

Im Grunde hasple ich seit Wochen von Handlung zu Handlung, scheitere, rapple mich auf, zerre an mir, mich zusammenzureißen und weiter zu machen.
Hier ein Autsch – da ein Erstarren durch den Schmerz hindurch. Einfach immer weiter machen. Komm schon, das ist alles nicht neu. Hatten wir alles schon mal – ist gleich vorbei – dann gehts weiter weiter weiter.

Ich hab den Drang einen Laut rauszuschreien und kann damit nichts anfangen.  Möchte mich Menschen mitteilen und spreche gefühlt nur Mist aus.
Meine Wochen sind so unruhig und chaotisch – machen mich unruhig und chaotisch.

Eine gute Sache passiert und zieht gnadenloses Chaos mit sich.
Aktuell: meine Zähne.

Wir haben mindestens 2 Jahre durchgehend Zahnschmerzen gehabt und uns durch viele Behandlungen gequält, die allesamt nichts brachten, weil sich die leichte Angst bei der Zahnärztin zu waschechten Panikattacken und Vermeidungsverhalten entwickelt hatte. Endlich fanden wir erst Erleichterung durch eine Wurzelspitzenresektion in einer Operation und erhielten gestern eine Komplettsanierung des Gebisses wiederum unter Vollnarkose.

Und wer sitzt Stunden später vor seiner Suppe und kann sie nicht essen, weil sich die Zähne anfühlen, als wären sie nicht mehr da, aber gleichzeitig doch anwesend? Richtig.
Da ist etwas Fremdes in meinem Mund und das nennt sich “keine Schmerzen” und das geht einfach nicht wieder weg.
Ich merke so einen Impuls mich zu verprügeln, mir so richtig tief weh zu tun, weil es so dumm ist zu fühlen, was ich gerade fühle. Und daneben drängt der Impuls sich einzurollen und zu warten. Sich zu absorbieren und einfach in ein Detail hineinzukriechen bis nichts und niemand mehr an mich herankommt.

Stattdessen begebe ich mich unter Menschen. Jetzt bloß nicht isoliert werden. Wenn ich jetzt noch wirklich den Faden verliere, dann wird es wirklich gefährlich. Ich weiß nicht, welche Gefahr das ist, aber ich merke sie wie sie in meinen Nacken atmet.
Und was passiert Frau Rosenblatt, wenn sie unter Menschen geht? Richtig: sie verhält sich nervig bis awkward, verärgert diese Menschen und spürt mit jedem Wort, das sie äußert, wie die Ablehnung ihrer Person näher rückt.

Und dann geht es wieder los. Dieses bescheuerte Spiel um die Gunst von Wesen die unverständlich, überreizend und unangenehm wahrgenommen werden, zur Rettung des eigenen Lebens, vor etwas, das man gar nicht benennen kann.

Und wenn ich müde davon bin und nur noch heulen will, weil ich selbst nicht weiß was los ist und was besser hätte würde wenn könnte sollte müsste, weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.

Shana tova.