Autismus und DIS #4

Es gibt diese Tage von denen man nicht weiß, dass es Tage sind. Dieses Sein voll Reiz und Reaktion, ohne irgendeine Dimension, die ihre Hand austreckt und vor dem Ertrinken bewahrt.
Wenn man den Absprung aus dem intrusivem Erleben in die Orientierung hinein nicht geschafft hat, sondern von Impuls zu Impuls springt und froh ist, wenn man einen Fetzen seines Intellekts sieht und sich ver_stehend erlebt.

Wir müssen sortieren. Vor der Flut des Innen und Außen stehen wir. Sind seltsam unberührt, doch Schreie fühlend, die aus dem Inmitten quellen, dringen und drängen wollen.
Man kann nichts damit anfangen, weiß keine Reaktion und am Ende ist der Impuls egal, obwohl er macht, das man kopflos getrieben wird.

Während die einen noch vor dem Wort “Autismus” stehen, als sei es ein Kleid, in das hineinzuschlüpfen, man sich errechnen muss, obwohl die Zahlen im Kopf weh tun, ruft es im Innen nach einer höheren Instanz, die anleitet und beruhigt. Sicherheit, Entlastung schafft.
Andere lauern auf ihren Moment an ihren Projekten zu arbeiten – um ihr Ende finden und genießen zu können, um sich von der helldunkelbunten Masse  des Inneren lösen zu können, die stiert und starrt und dumpf pulsend versucht das eigene Sein möglichst wenig fühlen.

Es ist der Gedanke, die Verheißung, die Idee, ein Sein – ein Sosein zu haben, das nicht impliziert ein So-tun-als-ob-Spiel zu spielen, damit man überleben kann.
Die Idee, dass kein Innen mehr so tun müsste, als wäre es wie die, mit denen sie es zu tun haben. Die Verheißung, aufhören zu können diese eine Kluft zu überbrücken zu versuchen und trotzdem noch zu sein.
Das ist ein Maß an Orientierung, im Hier und Heute, das wir nicht kennen.
Das wir nicht sortieren können, weil es zu viel bedeutet.
Es bedeutet nicht nur anzuerkennen: mein Innenalter, entspricht nicht dem Körperalter; mein Selbst ist von einem fragmentierten Ich (vielen ichs) umgeben und definiert oder “ES und DAS DA ist vorbei” – es bedeutet auch: Die Kluft ist wirklich und das Spiel “So tun, als ob sie überwindbar sei”/ “So tun, als ob sie nicht da wäre”, könnte jetzt aufhören. Ist vielleicht schon vorbei und wartet darauf, dass auch wir aufhören.

Es bedeutet Gespräche für andere genauso anstrengend wie für uns zu machen.
Indem wir aufhören so zu tun, als würden wir wissen, was das gegenüber meint. Indem wir schweigen, wenn eine Antwort von uns bedeuten würde, sie wäre unbefriedigend eingedampft für uns – aber bereichernd und inspirierend für andere. Indem wir äußern, wann wir verwirrt sind, uns gestört, bedroht, unberührt fühlen.

Es bedeutet Alltagsgewalt an uns zu unterlassen und uns in der Folge nicht mehr zu Konventionen zu zwingen, die uns unsinnig und schmerzend erscheinen.
Es bedeutet zuzulassen, dass das Konzept von innerer und äußerer Sicherheit, die Gewalt an uns bedeutet, die wir wahrnehmen doch bis heute nicht nach außen getragen haben, weil die Norm es nicht gern hat, normativ genannt zu werden.
Es bedeutet Selbstfürsorge als so schwer und überfordernd sichtbar zu machen, wie wir sie erleben.

Es bedeutet ein Zugeständnis an die Alleinigkeit, den Autismus als Lebensform, vor dem man sich verschlossen hat, weil unsere Gesellschaft die Alleinigkeit mit Einsamkeit, mit Asozialität und darüber mit Anormalität verbunden hat und so tut, als wären Kluften, wie die über deren Überwindung wir uns schon unser ganzes Leben lang aufrauchen,  schlicht inexistent, weil nur wir sie spüren.

Es bedeutet ein Zugeständnis an den Unterschied zwischen der Einsamkeit der Opfer und derer, die Opfer waren und der Einsamkeit, die sich aus Inkompatibilität und Lügen_leben ergibt.
Es bedeutet die Anerkennung einer Isolation, die beides ist: Entlastung und Auslieferung

Es bedeutet: Dinge werden sich verändern.

danach

“Hm, wollte ich am Ende eigentlich nicht eher fragen, ob sie uns jetzt anders sieht?”, frage ich mich und betrachte das rote Ampelfigürchen auf der anderen Straßenseite.  “Vor allens hast du vergessn zu fragen, ob sie uns jetz trotzden noch gern hat”, denkt es durch meinen Hinterkopf hindurch.

Die Ampel schaltet, ich zupfe ihm am Denken. Er stößt das Rad an und rollt über die Straße.
Während er und sein Begleiter sich bemühen, nicht im warmen Gegenwind zu versinken, drehe ich mich um.
“Das habe ich nicht vergessen. Die Frage ist irrelevant.”. Das Mädchen schüttelt den Kopf. “Stimmt nich.”, schiebt es hervor, “Es ists megaobersuperwichtig!”.

“Äh ja.”, ein Innen mit gekräuselter Stirn stützt sich auf den Kopf des Kinderinnens und wackelt mit seinen Fingern vor dessen Augen herum.  “Voll wichtig. Ph. Voll peinlich!”. Es fuchtelt mit den Armen durch meine Konzentration und ich merke, wie sich meine Ränder auflösen.

Ich verlasse die beiden und setze mich in den Fahrradkorb.
Der Wind streichelt mich und einen Moment lang bin ich gar nicht da.

Wir warten erneut vor einer Ampel und ich denke an Abendbrotgespräche.
Meine Mutter fragte, wie es im Kindergarten war. Mein Geschwist konnte nichts erzählen. Später verstand sie, dass es erzählen konnte, was es zu essen gab, wenn sie es aufzählte.
“Kartoffeln, Reis, Nudeln oder Suppe? Gemüse oder Fleisch? Pudding, Jogurt oder Obst?”.
Ich weiß nicht mehr, was ich auf die Frage antwortete. Ob sie mir gestellt wurde.

Ich denke darüber nach, ob das Erinnern daran, etwas verändern würde. Denke, dass es vielleicht diese Dinge sind, die Menschen, wenn sie in einer Familie erwachsen werden, einfach wissen, weil sie manche Geschichten und Begebenheiten immer wieder mal hören.

Was ich am Klarsten von dem, was ich in meinen Eltern bewegt habe, erinnere ist:
1) die Frage, ob mir klar ist, was ich ihnen mit meiner “Krankheit” antue
2) “Wir wussten ja nicht, ob wir dich am nächsten Morgen tot im Bett finden würden”

Er streckt die Hand aus, um sie durch einen Busch, dessen belaubte Äste auf den Weg ragen, gleiten zu lassen.

Ich glaube, meine Eltern sind sehr hilflose Menschen gewesen. Vielleicht sind sie es heute weniger, weil die Probleme, bei denen sie Hilfe – gute umfängliche Hilfe – gebraucht hätten, von ihnen wegkompensiert sind.

Die Kleine baumelt kopfüber in meine Gedanken hinein.
”Kannst ruhig weinen, wenn du willst. Is oke.”. Sie schaut einem Reiher hinterher, der über uns hinweg durch die Luft gleitet.

Ich überlege und merke, dass ich nicht weinen will.
Ich will eine Familie. Eine äußere Mehrsamkeit  zum erwachsen werden. Zum Aushalten des Umstandes erwachsen zu sein und doch noch immer weiter zu wachsen.

“Du willsts, dass dich jemand auch gern hat und bei dir is, ne?”, sie piekst mit ihrem Finger auf meinen Kopf und setzt sich dann neben mich.
Wir halten unsere Gesichter in den Fahrtwind und hören seinem wohligen Brummen zu.

“Bisschen is das schon wie Familie, wenn man weiß, da sinds welche Leute draußen, die haben einen gern.”. Sie hebt eine Augenbraue und öffnet sich vor mir, bis ich ihr Herz sehen kann.

“Wenn du willst, frage ich sie nächste Woche, ob sie uns trotzdem noch gern hat.”.
Sie lächelt und hält mir ihre Hand hin.

Autismus und DIS #3

“Autistin, klingt nach Artistin.”, denke ich und schwanke aus der Straßenbahn direkt gegen eine Wand aus feuchtwarmer Luft.
Es ist kurz vor 20 Uhr und meine Bewegungen haben nichts mehr mit mir zu tun.

Während ich das Rad losschließe, denke ich darüber nach, wie es jetzt weiter geht und wer noch bleibt.
Ich denke an Mensch XY und wie er den Kopf schüttelte, als ich ihm sagte, dass ich mich auf die Diagnostik einlasse. “Nee – Autismus. Du nicht… oder?”, war seine erste Reaktion und obwohl ich weiß, dass die Zweite und Dritte nicht die Gleiche sein muss, ist mir klar, dass ich mich wieder in einer Situation befinde, in der ich Kraft aufbringen muss, wenn ich mit Menschen darüber reden werde. Ich muss mich auf Verletzungen und Anforderungen einstellen.

Als die DIS-Diagnose gestellt wurde, war das ähnlich.
Wir haben niemanden mehr aus der Zeit vor der DIS-Diagnose in unserem Leben und jeder Mensch, den wir danach neben uns fanden, hatte den Kontakt zu uns gewollt und dafür auch ausgehalten/ertragen/geduldet/akzeptiert, dass wir viele sind und damit manches einhergeht, das nicht einfach ist.

“Ich wünsche mir, dass die Menschen, die jetzt sind, bleiben.”, denke ich und merke, wie ein Jemand ein Kinderinnen verprügelt.
Menschen wünschen ist noch immer schwierig. In jeder Hinsicht.

Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die in meinem Gesicht und unter der Haut zuckenden Muskeln. Atme durch.
Mit dem Fahrtwind im Gesicht und auf den freien Armen ist es schön. Federstreichelluft.
Ich habe ein Wimmern im Kopf und am Rand meines Bewusstseins pocht ein Schmerz. Vielleicht mache ich es nur schlimmer mit dem Gedanken, dass ich jetzt gern jemanden hätte, der statt mir einkauft. Oder auf mich warten kann, ohne selbst in Not zu kommen.

Sie stampft durch den Laden und geht die Route ab. Milch, Jagdwurst, passierte Tomaten, Wassereis. An der Kasse frage ich sie, ob wir uns das überhaupt leisten können. “Nein.”, antwortet sie mit einem Stolz in der Stimme, der deplatzierter nicht sein könnte.
Ich frage nicht nach. Nehme mir aber vor, in dieser Woche mein Honorar und die Fahrtkosten, die mir noch immer nicht gezahlt wurden, einzufordern.
Ihr Stolz stärkt mich. Ihr Stolz sagt: “Ich bin es wert, nicht betteln zu müssen.”.

Im Blindflug fahren wir nach Hause.
Als die Welt zu schwanken beginnt, steigt er vom Rad.
Zu Hause wartet NakNak*. Wir füttern sie, gehen mit ihr in den Garten.
Ich will meine Arbeit weiterführen. Ein Krampfanfall tritt mir in die Kniekehlen.
”Vielleicht habe ich Krampfanfälle, weil mein Körper versucht auf alles zu reagieren, was mein Denken und Fühlen anstößt.”, denke ich noch im Fallen.

Ich sehe diesen Körper ziellos durch die Luft um sich herum zucken.
“Hilflos, ohnmächtig, überfordert von den Prozessen, die alle gleichzeitig in mir und um mich herum passieren. “.
Der Satz will an mir vorbei fliegen. Vergessen werden.
Aber ich will ihn nicht vergessen.

Damals als die DIS-Diagnose gestellt wurde, hatte ich ihn einfach ziehen lassen.
Ich habe nicht geäußert, wie es für mich war damit konfrontiert zu sein und mich von den Implikationen überfordert zu fühlen.
Diesmal will ich es anders machen.

NakNak* legt ihren Kopf auf meine Brust und schließt die Augen.
Ich spüre ihrem Fell unter meiner Hand nach und merke, dass ich nicht verlassen bin.
Das Wimmern im Innen verstummt.

Aufräumen

Manchmal ist Aufräumen eine Option.
Leben, das bedeutet ein wogendes Meer und irgendwo sammelt sich immer etwas, das man Treibgut nennt, doch heimlich als wichtige Schätze behandelt.

Ein, zwei Notenblätter hier, ein zwei Kompositionen da.
Ein Übungsheft fürs Piano, eins für die Gitarre.
Ich habe nie ein Instrument gespielt.
Aber.

Ein noch nicht entwickelter Farbfilm auf einer Spule. 4 Fototaschen mit Daten zwischen 1995 und 2002.
Eingefangene Bildergeschichten aus einem fernen, fremden Leben.
Man muss sie behalten, weil ihr Verlust das Herz zerreißen würde.
Auch, wenn man sie nie öffnet.
Weil.

Die Hände werden rau und staubklebrig.
Kopien, Flyer, Berichte, liebe Grüße an E.
Alle falsch adressiert.
Außer der kleine Schlüsselanhängerbär.
Der ist von Oma.

“Packst du unsere Sachen?”, fragt sie und zupft an meinem linken Sehnerv.
Sie legt den Kopf schief. “Willst du weglaufen?”.

“Nein.”, antworte ich, “Ich erleichtere uns nur ein bisschen”.

Wir stehen zur Trauerfeier vor den Mülltonnen und stellen uns vor, wie der feine Nieselregen das Weinen ist, zu dem ich im Moment nicht komme.

Aufräumen ist eine Option, wenn ein Neuanfang nicht geht.

spontan

“Das ist doch die einzige wirklich gute Konvention in Psychogesprächen: dass manche Konventionen nicht sein müssen.”, sagt es ins Telefon und verabredet sich. Spontan.
Weil darum und weil. Und so.

Ich weiß nicht genau, wann wir zuletzt die Möglichkeit hatten, mehr oder weniger risikolos über unser Denken und Wahrnehmen zu sprechen. Eigentlich könnte man ja annehmen, dass wir das ständig in der Therapie tun, doch das ist nicht der Fall.
In unserer Therapie geht es auch darum zu schauen, wie der Umgang mit Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen aussehen kann. Könnte. Sollte.
Es geht um Selbstwahrnehmung. Nicht um die Qualität und die Wege dahin oder darum, wie man seine Kommunikation er- und bearbeitet.

Sie wartet an der verabredeten Stelle. Läuft ein Stück vor. Betrachtet das T-Shirt der Person im an ihr vorbei fahrendem Auto.
“Dunkel. Ein dunkles Shirt. Das ist er.”. Ich weiß nicht, ob sie mich hört oder bemerkt.
Es kommt keine Reaktion auf meinen Hinweis, dass dunkle Shirts kein Alleinstellungsmerkmal sind.

Das Auto kommt zurück. Der Mensch darinnen ist tatschlich die Person, mit der es sich verabredet hat, damit sie sprechen kann. Und die anderen auch. Wenn sie wollen.
Wenn es überhaupt geht.

Es ist seltsam, wie viele Schrauben an dem Treffen sind.
Wir begegnen uns auf einem der Friedhöfe, auf dem sie sich wohl fühlen und setzen uns auf die Wiese, die am wenigsten stresst.
Der Mensch fragt, was wir von ihm brauchen, damit es okay ist.
Mir fällt ein, dass wir uns die Frage in Bezug auf unser Sitzen im Therapieraum bis heute nicht zu Ende beantwortet haben.

Während sie und es einander die Brocken zuwerfen, um sie nach außen zu bringen, fangen wir die Worte des Menschen ein und breiten sie vor uns aus. Schnörkellos und linear.
Hm.
Komisch.

Vom Rand dringen Warnungen und ein dumpfes Weinen.
Donner rumpelt durch die Wolken und das Gewitter tanzt bereits durch die Haarspitzen.
Es beginnt zu regnen und wir setzen uns in einen überdachten Durchgang der Trauerhalle.

Der Regen rauscht und potenziert den Verkehrslärm zu einem reißenden Nervenfeuer unter der Haut. Der Hall des Tunnels zerrt an den Worten und mein Wunsch für sie den Faden nicht zu verlieren hält dagegen.
Ich halte einfach alles irgendwie zusammen, weil kein Gewitter endlos ist.

Man könnte meinen, wer so viel Ansprache und Widmung wie wir bereits erfahren hat, der hätte schon alles durch.
Ich denke oft, dass wir schon alles gesagt haben. Dass wir eigentlich leer sind.
Dass wir eigentlich nichts mehr zu geben haben.

Und dann sehe ich, wie groß die Kluft zwischen Geben und Annahme mitunter ist.
Und falle hinein.
Erinnere, dass ich sie mit aller Macht vergessen wollte, weil sie mir unüberbrückbar erscheint. Erinnere eine Episode nach der anderen, in der wir uns verausgabten um uns verstanden und angenommen zu fühlen. Erinnere wie viele in dieser scheinbar unsichtbaren Tiefe ertranken und verstarben.

Vielleicht war es eine gute Idee, die eigene Intelligenz endlich ernst zu nehmen und sich zu trauen, sie durch die eigenen Augen anzusehen. Sie orientiert am eigenen Er-Leben zu erkunden.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem das Ergebnis mitgeteilt wurde und daran, was für eine seltsame Aufregung im Raum lag. Es war eine dieser erwartungsvollen Aufregungen, in der wir uns als im Auge eines Tornados sitzend erlebten und nicht wussten, welche Re_Aktion jetzt zu wählen sei.
Egal, was wir getan oder nicht getan hätten – unsere Rolle in dem Moment war ganz klar, es zu verderben. Aktiv – etwa, indem wir sagen, was wir sagten:”Okay.” oder passiv, indem wir waren, was wir damals schon waren: allein und ohne jede Möglichkeit nach außen dem zu entsprechen, womit andere Menschen ihre Zahlen, Worte und Werte aufladen.
Ich weiß noch, dass ich mich bei der Psychologin damals für ihren Aufwand, die Auswertung überhaupt machen zu können, entschuldigte und gleichzeitig dachte: “Ey – ja aber wieso glaubt sie mir denn auch nicht einfach und gut is?!”

Während der Mensch spricht und fragt, merke ich, wie dankbar sie ihm dafür sind.
Einfach fürs Fragen. Fürs wissen wollen.
Obwohl viele Obwohls ihre Ecken in die Schläfeninnenseiten bohren.

Es ist diese Verheißung des Loslassens, die da wieder auftaucht und von der wir dachten, im Laufe unseres Erwachsenwerdens, würde sie weniger verlockend auf uns wirken.
Wenn wir erwachsen seien, dachten wir, dann könnten wir besser mit dieser Kluft umgehen, mit Menschen umgehen, uns verstehbar machen, uns irgendwie soweit integrieren, dass es uns nicht mehr stört…
Das Erwachsensein würde alles ausgleichen, was wir als fehlend wahrnahmen.
Erwachsenwerden und Erwachsensein verlor damit seinen Status als Teil des Lauf der Dinge und wurde zum Werkzeug.

Der Mensch fragte, was es bedeuten würde, eine Aspergerdiagnose zu haben.
Und während sie und es sich auf Ebenen des Außen und des Mehr beschränken, wird mir klar, dass meine Ebene das Innen und das Weniger umfasst und ich vielleicht genau deshalb keinen Zugriff auf die Worte hatte, die sie nach außen fallen ließen.
Für mich würde es bedeuten: Loslassen und sein zu können.

Nicht viele, nicht ich, nicht etwas oder jemand zu sein, sondern einfach zu sein und diesen in meine Handinnenfläche gedrückten Faden, in diese so überbordend nicht- bis missverständliche Welt loszulassen.
Ich würde das Inmitten nicht mehr zusammenhalten, “weil man das so macht” und mir genau das zur kraftzehrenden Angewohnheit wie eine Sucht aus äußerem Zwang geworden ist.
Ich würde helfen einen Platz zu finden, in dem sie und ich und wir und die anderen auseinanderfallen könnten, damit wir uns in Ruhe erkunden können.

Ich glaube nicht, dass andere Menschen verstehen können, wie das ist, wenn man sein Leben lang etwas zusammenhält, das man nicht einmal kennt.
Nicht: “Sich zusammenreißt und sich anders verhält, als man vielleicht will.”
Ich meine das, was man für sein Selbst hält. Das, wo nie ein Trauma seinen Weg hinfinden konnte, weil es sich nicht dort befindet, wo ein Trauma allgemein verortet wird, wenn es nicht körperlich sichtbar ist.

Die Luft ist dicht und feucht, als sie auf der Bank sitzen.
“Ich halte es für wichtig, die Testung machen.”, sagt der Mensch und begründet sich mit einem Artikelabschnitt aus dem Blog von Vielen.

“Ich halte es für wichtig, die Testung zu machen.”, will sie nach vorn geben.
Ich fange es ab. Stopfe es zurück.
Sie wählt ein anderes Wort.
“Okay.”.

Ferien

“… und über den Wolken scheint immer die Sonne”, denkt es in meinem Kopf an mir vorbei, als ich auf die Fahrradpedale eintrete und den Fahrtwind meine Haut kalt machen lasse.
”… und über den Wolken, da könnten wir gleiten, wie damals als…”.
Es will denken und bröckelt über das schrillscharfe Reißen neben sich auseinander. “Nicht dran denken, sonst denkt man an…” erinnert es sich und schmilzt wie Butterflocken auf warmen Toast.

“Ich muss die Handbremse nachziehen. Die Schläuche austauschen. Den Flugrost entfernen. Das Schutzblech ersetzen. Die kleine Acht im Vorderrad rausholen lassen.”, pulst es von links.
“Macht umme siebzsch Jeuro meene Deern”, keckert es irgendwo rechts davon.

Ich denke darüber nach, ob meine Seele verletzt ist und was Seele bedeutet.
Ich denke darüber nach, wo der Himmelwunsch herkommt. Die Sonne ballert mir ihre Hautkrebsstrahlen direkt auf die geschredderten Unterarme.

Und überhaupt, wie kommt es, dass in meinem Kopf – in diesem durchgehenden Kreischsirenengebrüll noch Platz für ein zartes Trällern ist?
“Über den Wolken… muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…”

Auswandern. Nach Schweden vielleicht. Das wär doch was.

“Was machen wir heute?” deplaziert sich die Frage direkt auf die To-Do-Liste der Woche.

“Arbeiten Herzi. Mein Leben gehört wieder mir. Jetzt wird hier endlich mal was fertig gearbeitet.”. Ich klinge wie ein schräges Fräulein Rottenmeier und fühle mich auch so, als das Inmitten zu einem Protest anhebt.
Mir ist klar geworden, dass der Einfluss “der Anderen” dann doch weit umfassender als um die Kunstschule und die Therapie wirkte. Ich bin zu  nichts gekommen. Meine Projekte liegen noch immer ihren Warteschleifen, manche Probleme sind noch immer nicht gelöst.

Ich habe einen Plan und ich werde ihn abarbeiten.
Immerhin sind Ferien.

viele_s nicht werden // Fundstücke #6

~ Fortsetzung ~

Manchmal wünsche ich mir, ich sei für andere Menschen auf die Art sichtbar, wie ich mich sehe. Mich und meine Lage. Unser Sein und Werden.

Ich sehe mich oft vor so einem Moment mit anderen Menschen, in denen ich angeschaut werde und nicht gesehen bin, weil jemanden anzusehen immer mit Perspektiven der Ansehenden zu tun hat.

Als “ich” mit 14 anfing zu rauchen, obwohl “ich” Sängerin in einer Band und zwei Chören war, obwohl “ich” Sport trieb, obwohl “ich” ein Mädchen aus der Mittelschicht, das ein Gymnasium besuchte war, sagte man “mir”, das Rauchen würde “mir” nicht stehen. Es würde “mich” hässlich machen. Es würde “mich” krank machen. Es würde überhaupt nicht zu “mir” passen.
Nie hat jemand gefragt, warum “ich” das tue. Es war Fakt, was gesehen wurde und das war das Rauchen und das, worüber man dieses “mich” konstruierte.

Ich dachte lange, mein Sein sei eine Geschichte, die ich mir ausgedacht habe und irgendwann vergaß. Ich hielt mich nicht für echt in dem, was ich tue und sage, weil die Kluft zwischen meinem Bild als Beobachtende, die sieht, dass sich etwas (an einer Kippe) festhält, weil es keinen Halt hat, so groß war.

Es war eine Entlastung zu erfahren, dass meine Perspektive auch ein Sein ist. Dass ich bin, obwohl andere Menschen etwas wie mich als Handlung erleben.

Schwieriger erlebe ich die Konsequenzen.
Menschen stellen Anforderungen an mich, die mehr als mein Sein implizieren und gehen von einem kontinuierlichem Werden aus – nicht aber von einem kontinuierlichem Sein. Ich denke oft, dass dies die Schnittstelle ist, an der soziale Rollen mit der DIS vermischt werden und genau dort beginnt der Punkt, an dem nicht mehr ich gesehen werde, sondern die, die es gibt, weil es soziale Rollen gibt.

Ich denke oft, dass ich allein bin, weil ich allein neben der Welt stehe und sie betrachte, wie eine Freakshow, die ich aus Versehen betrat und nur mit Absicht verlassen kann. Ich weiß, dass meine Ausweglosigkeit darin besteht, dass ich irgendwie an dieser Freakshow, diesem sozialen Zirkus, dieser Aneinanderreihung von Inszenierungen einer unlogischen Norm beteiligt bin, es aber nicht sein soll, doch muss, auch ohne zu wollen. Es gibt keinen friedfertigen Weg hinaus, keinen Weg, der niemanden stört, weil immer und alles von und an mir stört.

Mein Leben, wie mein Tod. Mein Sein, wie mein Werden.

Immer werde ich sein und werden, was andere nicht wollen, aber gemusst ist und als ein Soll auf mich geladen wird, weil es ein Teil dieses ständigen “So tun als ob”-Spiels ist, dessen Ursprünge gleichsam ausgedacht und irgendwann vergessen sind.

Ich habe nie um dieses Sein gebeten. Weder um das Hiersein, noch das Wegsein, noch das Anderssein, noch das Niemandsein.
Ich bin und werde.
Und das tut mir leid.

~ Fortsetzung folgt ~

Herzensangelegenheiten #6

“Und das ist also Apparatemedizin”, denke ich, während ich meine Arme vor meinen nackten Oberkörper verschränke und warte.

“Ich bin ein Wellenbrecher”, denke ich. “Ein FlashFlashFlashwellenbrecher…”, ich lache beinahe, weil ich die Melodie von Flipper im Kopf habe. “Denn das ist ein Flää’ hääsch Flää’ hääsch ti didel di …”.

Die Krankenschwester, die mir sagte: “Machen Sie ihren Oberkörper ganz frei und legen die Sachen dorthin.”, steht mit dem Rücken zu mir und tippt in einen Computer.
“Können sie mir sagen, was jetzt gleich passiert bitte?”. Ich ärgere mich über das Bitte in dem Satz, weil – Hallo ich stehe halb nackt in einem Raum vor einer Fremden, in einem Raum mit 3 Türen, einer Liege, schwer einsehbaren Ecken und vielen Gerätschaften. Warum zum Teufel sage ich noch “Bitte”. Warum zum verdammten Mistdreckshenker muss ich darum betteln, mich orientieren und versichern zu können?

Ich denke: “Oh oh, wenn ich mich jetzt aufrege, dann verfälscht das die Werte.”. Und dann lache ich wirklich, weil ich schon seit 20 Minuten jenseits von cool bin und das auch weiß. “Scheiß auf die Werte”, denke ich.
Die Krankenschwester misst links und rechts den Blutdruck – warum ich dafür so ganz ausgezogen sein musste, verstehe ich nicht. Hinter mir brodelt es und ich zittere. Sie sagt nichts. Notiert die Werte.
Sie sagt, ich solle mich hinlegen. Ganz entspannt hinlegen. Und ich denke hochgradig ressourcengeimpft an eine Gitarre. Die ist auch immer gespannt, kann aber auch ruhig irgendwo herumstehen. “Das ist ein Fläää’ häsch Fläää’ häsch ti didel di…”

Ich weiß noch, dass ich früher immer irgendwie hart geworden bin und einfach nur hab machen lassen. N. der Wellenbrecher, der Stein in der Brandung.
Und jetzt liege ich da und auf meiner Brust saugen sich Elektroden fest. Ich lasse sie einfach machen. Lasse die Krankenschwester einfach machen. Ich bin ein Stein.
Ebenfalls sehr steinig ist die Ärztin, die in den Raum tritt. Sie schaut auf das Gerät, schaut auf die getippten Worte der Krankenschwester.
Fragt, ob ich rauchen würde. Ich hätte gern ein medizinisches Belohnungsbienchen dafür, dass wir vor inzwischen fast 3 Jahren aufgehört haben.

Sie fragt, weshalb wir da sind. “Zufallsbefund”, krächze ich.
Ich weiß, dass dieses Anamnesegespräch die einzige Chance für Patient_innen ist, sich irgendwie kurzfristig an ihre Behandler_innen zu binden. Kurz zu ermöglichen, miteinander durch die Untersuchung bzw. später auch die Behandlung zu gehen. Die ganzen Ziffern und Zahlen und Nummern und Werte schreddern uns das.
Die Ärztin fragt nur nach Zahlen und Werten, gibt Anweisungen zu atmen, während sie ihr Stethoskop auf meiner Brust umherschiebt.

Von innen kommt der Druck etwas zu sagen. Kontakt nach Außen zu machen, damit das Innen nicht so nah rückt. Ich weiß nicht mehr, welches Außen jetzt eigentlich das Richtige ist und bleibe still. Ich lasse machen und es ist egal. Wellenbrecher-N. ein Stück Fleisch unförmig, bleich, zerstört. Egal.

Ich soll mich auf die Seite legen während die Ärztin meine Lunge behorcht und dann einen Ultraschall vom Herzen macht.
Mein Herz ist schön.
Es hat kleine flatternde Klappen und bewegt sich in aller Ruhe.

“Na, die Aufregung geht jetzt langsam?”, fragt die Krankenschwester und ich würde sie gerne hauen. Wenn sie doch gemerkt hat, dass ich “aufgeregt” war, wieso zum – naja – hat sie nicht mit mir geredet?
Aber mein Herz wackelt noch immer so schön auf dem Monitor herum. Wir hören uns die Klappengeräusche an. Verfolgen den Blutfluss. Betrachten das Gewebe. Irgendwo innen lacht es, dass man das irgendwie auch Selbstberuhigung nennen könnte: das eigene Herz angucken.

Schade, dass sie nichts erzählt hat. Sie musste Zahlen aufsagen und Tasten auf dem Gerät anschlagen.
Ich denke, diese Gerätemedizin macht erstaunlich wenig Spaß, wenn die Menschen, sie nur benutzen, aber nichts von ihr haben. Also Spaß an der Nutzung oder Faszination oder so.
Ich bin hingerissen.

Und dann soll ich Fahrrad fahren und darf mich schon wieder nicht anziehen. Ich habe eine Jacke, die hätte offen bleiben können. Aber nein. Mich streift ein Kinderinnen und ich lasse es in den Wogen, die sich an mir brechen ertrinken.
Ich trete mechanisch auf eine Mechanik ein und die Untersuchungsmaschinistin aka Krankenschwester tippt auf ihren Computer ein. Die Ärztin bespricht ein Diktiergerät. Ich soll mich auf eine Zahl konzentrieren und diese halten. Die Nummer 60 und ich werden Untersuchungsbegleiter.

“Ihr Herz funktioniert gut soweit. Was sie da haben, haben viele andere auch und können gut damit leben. Es ist wie Sommersprossen. Niemand weiß woher man das bekommt und es geht nie wieder weg.”, sagt die Ärztin, als sie mir zum ersten Mal konkret gegenüber sitzt.
Auf einem Zettel, den sie mir reicht steht, was wir machen können, um unser Herz zu entlasten.

“Sie werden nicht sterben” von jemandem zu hören, steht nicht auf diesem Zettel.

viele_s nicht sein

~ Fortsetzung ~

ein übler Effekt von künstlich verknappten Hilfestellungen ist die Notwendigkeit von Verknappung dessen, was man als Hilfebedarf äußert.

Wir hatten Zeiten, in denen wir sehr pflegeleicht, unanstrengend, unbedürftig waren.
Und nebenbei von 70 runter zu 60 zu 50 zu 48 Kilogramm auf 1,72m gingen. Einfach so. Ganz feder_pflege_leicht.
Es gab Zeiten, in denen wir keinen Hintergrunddienst anriefen und nebenbei lernten, wie man sich selbst Wunden nähen kann, ohne sich mit irgendwas zu infizieren. Es gab Zeiten, in denen wir unseren Betreuerinnen erklärten, was komplexe Traumatisierungen mit Menschengehirnen so anstellen und was es mit dem viele sein eigentlich so auf sich hat.
Unbezahlt. Natürlich.

Unser Körper wurde misshandelt und die Psyche verknotet, zerrissen, in die Luft geworfen und im Aufprall ausgelacht. Und sieben acht Stunden später saßen wir im Büro der Jugendhilfe, unterschrieben den Zettel zur Abrechnung nicht geleisteter Hilfen und hielten uns für ein verlogenes Miststück, weil uns die Betreuenden sagten, mit uns zu arbeiten wäre angenehm, weil wir zur Schule gingen, über die Zukunft nachdachten und etwas im Kopf hätten, statt Drogen zu nehmen, zu schwänzen, zu stehlen, uns zu prügeln.

Wir würden unseren Weg schon gehen, vermittelte man uns.
Irgendwie würden wir das schon schaffen.
Bis heute hören wir das.
Und bis heute sammeln wir regelmäßig unsere Kraft bis wir sagen können: Nein, tun wir nicht. Irgendwie, werden wir überleben – ja. Irgendwie, werden wir nicht blind vor Hass durch Behörden rennen und Menschen niederschießen – ja. Irgendwie, werden wir nicht blind, taub, starr in einer Isolationszelle landen, weil wir nicht aufhören können zu schreien – ja. Irgendwie, werden wir immer versuchen unseren so wahnsinnig hungrigen Kopf satt zu machen und dabei Dinge erschaffen, die andere Menschen erfreuen – ja.
Aber “es schaffen” – nein.

Wir haben kein Ziel – wohin sollen wir es also schaffen?
Wir haben keine Ahnung, was wir hier tun und wozu eigentlich – was sollen wir hier also eigentlich schaffen?

Es gibt dieses Bedürfnis in die Welt zu rufen, dass wir nicht eure* verdammte Held_innengeschichte leben. Dass wir nicht diejenigen sind, die bereit sind so zu tun, als wären die “sie hat so viele Qualen überlebt, aber sie war unzerstörbar und ist deshalb heute ein zufriedener Mensch mit Job, Familie und breitem Lachen überm Herzen” – Geschichten, die mehrheitliche Realität von Personen, die zwischenmenschliche Gewalt und Ausbeutung erfahren haben.

Wir wollen der von uns als so unbeteiligt, so ungeschlagen erlebten Welt da draußen zurufen, dass sie uns überfordert mit diesem Anspruch. Mit dem Anspruch an uns, unsere Überlebensstrategien unser ganzes restliches Leben lang beherrschen zu müssen, weil das so viel interessanter, inspirierender, so viel ermutigender ist, als das üblicher wahrgenommene Leben ohne existenzielle Bedrohungen.

Es gibt den Wunsch zu sagen, dass wir traurig darüber sind, dass immer wieder wir es waren, der unsere körperlichen wie seelischen Behinderungen aufgefallen sind und nicht den sozialen Welten um uns herum. Dass immer wieder wir diejenigen sind, die sich um Kompensationsmittel und –möglichkeiten bemühen, während andere – vielleicht viel befähigtere – Menschen daneben stehen und über all unsere Kraft “es zu schaffen” Applaus klatschen oder auch genervt davon sind, dass wir schon wieder eine special Extraschleife fahren (müssen).

Es scheint uns manchmal, als hätte man es lieber,  dass Gewalt ohne Spuren vorbei geht. Es scheint, als hätte man es gern all die grausamen Details unserer Misshandlungserfahrungen zu lesen, doch nicht die Details über die Grausamkeit dessen, was als Hilfe zu bezeichnen wir so lange gezwungen waren.

Heute besuchen wir die Kunstschule und merken: “Verdammte Axt – wir sind tatsächlich sehbehindert.” und stehen vor Fragen wie “Kann man als sehbehinderte Person eigentlich eine gute* Künstler_in sein?” und “Welche Mittel und Wege gibt es, unsere Behinderung zu kompensieren?”
Stehen vor der inneren Frage: “Verfolgen wir diesen Wunsch uns die Welt mittels eigens gemachter Bilder anzusehen weiter oder lassen wir das, weil es uns zu viel Kraft kostet runterzuschlucken, dass wir mal wieder nicht die gleichen Bedingungen, Mittel und Wege zur Nutzung haben, wie die Mehrheit der Menschen dort?”

Ich bin es leid für andere zu sein, was und wer ich nicht bin.
Viele Menschen, die bloggen oder allgemein im Netz sichtbar sind, schreiben das irgendwann. Irgendwann kommt immer der Punkt, an dem man schreibt: „Hallo- du kennst mich nicht. Du liest nur meine Texte, du siehst eine Filme, meine Fotos – du bist Zuschauer_in und nicht meine Freundin, auch wenn dir das anders vorkommt.“.

Wir denken oft darüber nach, ob wir einen Teil unserer (Re-)Traumatisierung im Hilfesystem über das Bloggen reinszenieren, denn es ist genau dieser Aspekt des Angeschaut, doch nicht gesehen werdens, der uns viele Situationen hat unaushaltbar werden lassen und am Ende immer neue Innens hat entstehen lassen.

Wir leben mit einer tertiären DIS. Das bedeutet wir haben nicht eine Person, die den Alltag lebt und amnestisch für traumatische Erfahrungen ist und viele andere, die das nicht oder nur teilweise sind; sondern mehrere Alltagssysteme, die so oder so ähnlich aufgebaut sind.
Wir funktionieren wie ein Desktoprechner. Das Gerät sind wir als Einsmensch, der Desktop ist das Bewusstsein selbst und alle Ordner und Programme darauf sind wir Innens.

Wir haben uns durch den Ausstieg gespalten und damit unsere Festplatte geteilt. (Ja – ist nochmal was anderes).
Weil während des Täterkontaktes, ständig Bereiche unseres Betriebssystems ansprangen, die nicht zu vereinen waren mit den Funktionen, die uns abverlangt wurden (zum Beispiel zu überleben, aber auch: Therapie machen, Schulabschluss machen, ignorante Betreuungen und soziale Isolation ertragen), wurde es nötig alles, was im Innen mit der Lebensrealität unter Täter_innen verbunden war (ist), abzuspalten.
Nicht alle Spaltungen, die wir in uns haben, haben wir selbst gemacht und selbst, die die wir selbst gemacht haben, wie jene über die ich gerade schreibe, funktionieren nicht, ohne den Druck, den existenzielle Bedrohungen bzw. die Angst vor existenzieller Bedrohung auslösen.

Während unserer Ausstiegszeit befanden wir uns in einem so schweren Beziehungskonfliktgeflecht, dass es nicht anders ging.
Unsere Gemögte kümmerte sich aufopfernd um uns – und wir konnten (und sollten) nichts davon zurückgeben. Die Schuldgefühle waren (und sind bis heute) toxisch und mit ihr unlösbar, da sie sie nicht erlebte. Die Kontakt brach nicht zuletzt auch darunter zusammen.
Unsere Betreuerin hatte uns zu ihr geschickt, weil sie keine andere Option kannte, uns zu schützen. Die Gefühle des Abgeschobenwerdens, waren (und blieben) toxisch und unbesprechbar, weil sie bis heute das Drama, in dem wir lebten nicht begreifen kann.
Unsere damalige Therapeutin und die Neurologin, taten was sie konnten und das war nicht genug, denn sie haben uns immer wieder auf uns selbst zurück geworfen – obwohl wir bis heute nicht klar haben wer oder was wir eigentlich (noch) sind.

Wir wussten nicht, was wir machen sollten. Wir wussten nicht, welche Kapazitäten wofür eigentlich in uns drin sind.
Für uns klang ihr Verhalten uns gegenüber wie das lapidare “Ihr werdet das schon schaffen”, das wir von allen, die sich nicht mit uns und unserem Überlebenskampf belasten wollten oder konnten oder durften oder sollten, zu hören bekamen.

Wir haben getan, was alle Kinder tun, wenn sie merken, dass sie etwas bestimmtes tun oder lassen sollen, um zu bekommen, was sie brauchen oder wollen. Und wir haben eben die Innens weggesperrt, die niemand wollte: die täter_innenloyalen, pseudoreligiös lebenden, “bösen”, nicht mitgemeinten, unartigen Innens (die immer wieder Kontakt aufnahmen).
Wir haben über Monate hinweg Schmerzen gehabt, für die es keine Worte gab und über die wir ergo auch nicht gesprochen haben.
Und dann waren diese Innens “weg”, der Kontakt zu Täter_innen blieb aus und wir durften (zur Belohnung quasi) weiter Therapie machen, in die ambulante Eingliederunghilfe für Erwachsene wechseln, die Schule beenden, die ersten Jobs machen, die Pflegestelle anfangen, den Hund halten und die Art normales Leben leben, das uns irgendwie normal vorkam.

Bis zu dem Unfall bei dem ein Welpe vor unseren Augen von einem Pferd zergetreten wurde und auf unserem Schoß im Auto auf dem Weg zum Tierarzt starb, hatten wir ein Leben, in dem es so lief das man sagen konnte, wir würden es gut schaffen zurecht zu kommen. Das Ziel war unbekannt und für uns war es tatsächlich egal. Wir hatten ab und zu Heimweh, fühlten uns einsam und merkten, dass wir inaktiv und dick waren, aber es gab keinen Anlass mal zu schauen warum das so war.

Wir hatten unsere gesamte Bedürftigkeit, die mit dem Ausstieg und seinen Folgen zusammenhing weggespalten, weil niemand in unserem Leben in der Lage gewesen wäre, uns dabei zu helfen das zu ertragen.

Der Unfall mit dem Welpen brachte Risse in diese dissoziative Barriere, unsere therapeutische Begleitung ließ uns fallen und es kam wie es kommen musste. Wir brachen mit allen und allem, bis auf jene, die nah aber nicht mittendrin waren, zogen um, verließen das Hilfesystem und kämpften für die Aufrechterhaltung der inneren Zweiteilung unseres Inmitten.

Niemand versuchte wirklich uns zu halten und wir fühlten uns erneut darin bestätigt für jene, die auch fürs Halten bezahlt werden, zu schwer, zu viel, eine Belastung, um deren Wegfall man froh war, zu sein und nicht die junge Frau, die nicht weiß, wo oben und unten ist, die keine Ahnung hat, was sie mit sich machen und wozu sie leben soll, weil sie sich das aus Versehen weggespalten hat, die wir nun einmal doch waren und bis heute sind.

Innerhalb von 4 Monaten nahmen wir um die 40 kg ab und begannen eine neue ambulante Therapie, mehr aus dem Wissen heraus, dass wir uns tothungern würden, wenn wir nicht von irgendjemandem aufgefangen werden würden, als mit einem klar in uns definiertem Ziel.

Heute empfinde ich Mitleid für uns deshalb, weil ich denke, dass andere Menschen in unserer damaligen Situation vielleicht nicht das Gefühl gehabt hätten in Lebensgefahr zu sein, weil es keine Hilfe, keinen Halt, kein Wissen um das Morgen und das eigene Selbst gibt.

~ Fortsetzung folgt ~

weiter_gehen

Es ist eine Frage des Atmens. Weil ich gegen den Strom atme und immer schön weiterknirschKRACHplapfschepperBÄNGsplitter…gehe, habe ich noch nicht geweint.
Weil die Welt doch so schön ist. Zum Niederknien und in der Luft zerfleddern schön. Reich. Voll.

Ich spare mir das Weinen auf, weil ich weiß, dass ich die Kraft, die es kostet mich in Tränen aufzulösen, noch brauche.
Für den Herztermin, einen Testtermin nächste Woche. Für zwei 4 Stunden Zugfahrten mit Hund. Für 4 themenintensive Arbeitsstunden in 6 Tagen.
Für die Foto- und Filmbearbeitung. Fürs nicht Loslassen. Fürs Aushalten dieses weiterkaputtgehens, ohne zu wissen wohin und wozu eigentlich.

Vielleicht geht man nur um zu gehen.
Ich weiß es nicht.

Unsere Therapeutin hat bald Urlaub und zum ersten Mal habe ich wirklich Angst davor den Sommer nicht zu überstehen, weil ich mir zu viel und zu wenig vorgenommen hab und nicht einmal weiß, ob ich irgendetwas davon wirklich schaffe.

Der Körper ist im Moment ein mitunter unaushaltbarer Ort, weil er auf vielen Ebenen als zu raumeinnehmend erlebt wird. Zum Einen, weil er seit Wochen, wenn nicht Monaten immer irgendwie irgendwo weh tut, versorgt werden will und doch dauernd den Dienst versagt und zum Anderen, weil die einzige Antwort, die mein Denken darauf hat, die MagersuchtBulimie ist, die nur auf der Verhaltensebene aktiv gedämpft werden kann.

Daneben rieselt es vom Inmitten bis zu mir, wie krass der Schmerz um soziale Verluste eigentlich ist und wie viel Untröstlichkeit um die Nichtlösung, die wir leben müssen. Es reicht nicht, dass sich weite Teile in ihrem Denken um die menschliche Natur bestätigt fühlen, es reicht nicht, dass andere Menschen uns in unserer Abgrenzung und Perspektive bestätigen, wenn ich doch eigentlich nur darauf warte auch mal positiv von Menschen überrascht zu werden.
Wenn ich eben doch darauf warte, dass das Telefon klingelt oder das Mailpostfach blinkt.

Da ist diese Versuchung loszulassen. Diesem Sog nachzugeben und einfach nicht zu denken. Mich eben nicht mehr an die Dinge zu erinnern, die ich machen willmusssollkannmöchte damit ich sie nicht aus Versehen dissoziiere. Da ist diese Idee, in den Zug nach Budapest zu steigen und einfach eine ganz wirklich Fremde unter Fremden zu sein. Ein Nichts. Ein Niemand. Ein ganz und gar richtig im Falschen und Unbekannten.
Und diese Hoffnung dann irgendwie okay weg zu sein.

Da ist der Wunsch nie ausgestiegen zu sein.
Da ist der Wunsch nie weggelaufen zu sein.
Da ist der verzweifelte Schrei ins Universum um 15 Jahre Fehlentscheidung.

Vielleicht lebt man nur, um zu leben.
Ich weiß es nicht.