vom Essen und Reden

Rein oder raus
oder liegen lassen?

Reinstopfen oder rauskotzen.
Schweigen oder sprechen.
Oder es lassen wie es ist?

Die Erfahrungen mit „es liegen lassen“ gleichen den Erfahrungen beim Backen der Challah zum Shabbat.
Den Hefeteig stehen zu lassen ist wichtig- genauso wichtig ist es aber, die Schüssel nicht zu vergessen. Sonst gibt es am Ende mehr Luft als Brot.

Und dann steht da wieder die Frage: rein oder raus? Egal, ob sie gut geworden ist oder nicht.
Essen oder raus aus sich halten?
Essen und wieder rausbringen?
Nicht essen und alles stehen lassen? Vor dem Tisch stehen, in die Kerzen gucken und sich fragen: „Was mache ich hier eigentlich?“

Vielleicht ist es ein Muster der Essstörung, das mir auffällt.
Vielleicht habe ich etwas zu lange liegen gelassen und jetzt mehr Luft als Masse im Kopf.

Mir fällt nicht ein, was ich hätte rauslassen können oder in mich hineingefressen habe.
Nur, dass die Gedanken wieder da sind, die ich als so vertrauten Nebenschauplatz erkenne.

Der und der Knochen- den sieht man kaum noch.
Dieses und jenes Lebensmittel hat diese und jene Eigenschaften.
Ich muss…

Ich kenne Essbrechphasen sehr genau. Wenn ich mich ausgekotzt habe, dann auf der körperlichen, wie seelischen Ebene. Ich dachte nicht: „Raus mit dem Essen“ sondern: „Raus damit- es soll weg weg weg“.
Raus mit diesem sperrig klebrig brockigen DAS DA. Umhüllt von Nahrung und nicht näher erkennbar.

Manchmal entpuppte es sich als Gefühl. Oder als Erinnerung.
Immer als ein Klumpen Ungesagtes.

419944_web_R_by_Günter Havlena_pixelio.deWenn ich nichts aß; nichts in mich einbrachte, so brachte ich in der Regel auch andere Dinge nicht in mich ein. Vor allem keine Selbsterkenntnis. Selbst- Bewusstsein hing wie die Waggons an einer Holzlok, gekoppelt an ausschließlich die Gefühle von Hunger und dem Schwinden auf allen Ebenen.
Das ist ein Ein-Weg-Zug. Eingleisig. Mit Hochgeschwindigkeit.
Keine Zeit Worte aneinanderzureihen- kein Platz, um irgendetwas Sagenswertes zu äußern.

Wenn ich mich vollstopfte, nahmen sich die Lebensmittel wie eine Dämmschicht aus. Eine Isolierung um einen Vulkan vor dem Ausbruch. Irgendwann weiß man nicht mehr, was da genau eigentlich ausbrechen könnte. Aber, dass es unbedingt nötig ist zu dämmen, erschien immer wieder in grell blinkender Leuchtschrift.
Vielleicht hatte man irgendwann etwas runtergeschluckt statt es auszusprechspucken, das dann verweste, zu einem Gift wurde, das durch die ersten Dämmschichten zu neutralisieren versucht wurde und dann bloß immer weiter in Schach gehalten werden wollte.

Vielleicht ist die Lautsprache deshalb immer wieder so eine blöde Klippe.
In meinem Mund ist ja auch dauernd irgendwas los. Ein rein- oder rausrasender, mal voll mal gar nicht beladener D-Zug, der Schäden anrichtet und ganz eigentlich von vornherein einem Konstruktionsfehler der Gleisverläufe unterworfen ist.
Vermutlich gibt es deshalb auch immer so ein Verkehrschaos zwischen Gedanken und Worten, Sprachen, Dialekten, Heute und Früher. Anscheinend ist der Bahnhof an dieser Stelle mein persönliches Mainz: alle krank und der Rest im Urlaub am Dissosee.

Und nun?
Ich weiß nicht mal wo der Dissosee liegt- gibts da überhaupt Telefon?
Ich könnte natürlich auch den D-Zug auf ein Abstellgleis stellen. Stünde aber trotzdem noch vor dem alten Problem: rein oder raus- oder abgestellt lassen, und Verwesung oder Luft statt Masse in Kauf nehmen.

Manchmal hilft es wenn ich weine. Aber das braucht ein bestimmtes Weinen.
Nicht so diese Rotzwasservariante, bei der man eher Gefahr läuft zu ersticken und eigentlich nur aufhört, weil man noch müder ist als vorher.
Ich brauche dann mehr so die Laufenlassvariante, bei der sich der Heulrotz in bequemer Ausschnaubposition sammelt und mit einem abschließenden Befreiungströten in ein Taschentuch befördert werden kann, um dann mit Schwung in den Müll gepfeffert zu werden.
So wie eine Art Hurrikan, der alle Bahnhöfe zum Neuaufbau zwingt.

Blöd nur, dass ich gerade nicht weinen kann, weil ich nicht wüsste wieso.

Überzeugt uns!- Uns?!

Ein junges frisches Sendungskonzept soll es sein- „die PolitikerInnen“ stellen sich den Fragen ihrer (jungen) WählerInnen im öffentlich rechtlichen Fernsehen, um sie von sich bzw. ihrer Partei zu überzeugen.
Am Ende steht „
Überzeugt uns!“.

Nun ja.
Grundsätzlich halte ich diese Idee für gut.
Schon
der Bürgerdialog, den Angela Merkel Anfang letzten Jahres startete, hatte eine alle Erwartungen übertreffende Resonanz zur Folge.
Ganz offensichtlich gibt es ein Interesse der Regierten, an der Art ihrer Vertretung. Ideen und Wünsche, die in die Politik getragen werden wollen und sollen.

Dem gegenüber steht eine niedrige Wahlbeteiligung.
Allgemeiner Tenor in der Presse: Politikmüdigkeit- vor allem bei den jungen Wahlberechtigen.
Gegenmittel der ARD: eine Sendung die gezielt JungwählerInnen anspricht.

„Sie wissen schon- diese jungen Leute die „fresh“, „tight“ und von diesem ominösen „SWAG“ sprechen“, so stelle ich es mir vor, wenn der Altherrensender ARD eine Sendung für junge Menschen konzipiert.
Es wird geduzt, wilde Schnittfolgen eingebracht, „Pop/Rock“-Musik eingespielt, Worte wie „verarscht“ in der Sendung gesagt, Twitter und Facebook eingebunden und diverse Showelemente eingebracht, wie zum Beispiel das Format „Speeddating“ in der die PolitikerInnen innerhalb von 15 Sekunden auf zum Teil sehr komplexe Fragen reagieren sollen.
Letzteres, meiner Meinung nach, ein Versuch der didaktischen Reduktion, die absolut unangebracht ist.

Doch kommen wir zur Sendung an sich.
Im Großen und Ganzen wurden die Themen: Arbeit und Mindestlohn, Rente und Zukunftsperspektive, Familie und Beruf sowie das Bündel rund um den Datenschutz im Internet aufgegriffen.

Ich möchte verdeutlichen, was die Sendung außen vor gelassen hat und mich (wie viele andere Menschen) weder von irgendetwas überzeugt noch überhaupt wirklich angesprochen hat.

Schon im ersten Teil geht es um einen jungen Mann der in Teilzeit arbeitet, obwohl er eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen kann.
Es geht nicht um eine Frau. Es geht nicht um einen Menschen ohne Berufsausbildung. Es geht nicht um einen Menschen mit Schwerbehinderung. Es geht nicht um einen Menschen mit Familie. Es geht nicht um einen Menschen der „ausländisch“ aussieht. Und es geht nicht um einen Menschen über 50. Es geht nicht um einen Menschen ohne familiären Rückhalt.

In der Diskussion wurde wieder das bequeme Ideal des minderbeschäftigten Menschen aus dem Niedriglohnsektor aufgegriffen und natürlich kamen dem entsprechende Phrasen aus der Politik, die genau die Menschen aus von mir als fehlend dargestellten Gruppen nicht ansprechen.

Da haben wir den Herrn Bahr (FDP) der dem jungen Mann rät, sich einfach woanders zu bewerben- oder die Branche zu wechseln „in die Pflege- da gibts sehr viele Vollzeitstellen und Ausbildungsplätze!“
Ja großartig Herr Bahr- der Mann hat bereits eine Berufsausbildung- was glauben Sie, verdient er Gutste denn so während der Ausbildung zum Kranken- oder Altenpfleger? Ist ihnen nicht aufgefallen, dass er dann noch weniger Geld zur Verfügung hat, als jetzt? Und, dass er selbst, wenn er dann in die Vollzeitbeschäftigung in diesem Bereich wechselt, so ziemlich genau die gleiche Summe am Ende des Monats auf dem Konto hat, wie jetzt- vor allem wenn er kein Mann- sondern eine Frau wäre?
(Die Tatsache, dass weibliche Menschen bis heute noch bis zu 22% weniger als männliche Menschen verdienen, brachte Frau Roth an, was mir gefiel.)

Mal abgesehen von der Eignung- vielleicht hat der Mensch einen schwachen Rücken, ist seelisch nicht belastbar genug, um sich mit alten und kranken Menschen auseinanderzusetzen. Vielleicht hat der Mensch bereits alle Hände voll damit zu tun, neben dem Beruf seine alten und kranken Verwandten zu pflegen, weil deren Rente eine Unterbringung im hochwertigen Pflegeheim nicht hergibt? Vielleicht hat er aber auch einfach keinen Bock auf einen Job, bei dem er sich mit 2 Aushilfen und einer Teilzeitkraft um eine ganze Station zu kümmern hat, bei der menschliche Zuwendung und seinen eigenen Körper schonende Arbeitsweise viel zu kurz kommen.
Vielleicht möchte er sich nicht ausbeuten lassen, nur um in Vollzeit arbeiten zu können.

Der Mindestlohn von 10€ für alle Sparten erschien mir lediglich von Gregor Gysi (die Linke) plausibel dargestellt. Obwohl auch die SPD Politikerin Schwesig schlüssig argumentierte, wobei ihre Forderung nach 8,50€ in Anbetracht der aktuellen Inflation bereits weniger stark erschien.

Nur eine Person aus dem Kreis der PolitikerInnen nahm überhaupt den Begriff der „Würde“ im Zusammenhang mit Arbeit in den Mund und das war Claudia Roth von den Grünen.

Ich fühlte mich gar nicht erst angesprochen von dem ganzen Thema, denn schon in den Grundlagen dafür bin ich ausgegrenzt und – obwohl es sich irgendwie falsch für mich anhört: diskriminiert. Der Zugang zu Berufsausbildungen in vielen Bereichen schließt Menschen mit Schwerbehinderungen oder eben auch weiblichen Geschlechtes aus. Da kann auch eine Frau Aigner mit ihrer Forderung nach einer besseren Mischung aus männlichen und weiblichen Menschen in allen Berufen kommen- das ist dem Großteil der handwerklichen Ausbildern egal und auch eine gesetzliche Vorschrift wird daran, so zumindest meine persönliche Einschätzung, nichts ändern.

Bei meinem letzten Praktikum, war ich die Beste. Aber auch die einzige Frau, die Einzige mit grünem Zettel und die Älteste. Darauf wird geachtet, weil darauf geachtet werden muss. Kaum ein kleinerer Betrieb kann sich Ausfälle oder größere Problemstellungen und Anpassungen daran leisten. Und die Größeren dürfen sich von dieser, meiner Meinung nach, sozialen Verantwortung auch Menschen mit Schwerbehinderungen einzustellen oder auszubilden, freikaufen oder in Werkstätten abschieben, wo zu empörend niedrigen Löhnen gearbeitet wird, ohne Aufstiegschancen in besser bezahlte Arbeitsverhältnisse.

Ebenfalls ausgelassen (und auch wieder nur von Frau Roth kurz eingebracht) sind junge Menschen ohne Schulabschluss. Arbeit für Menschen mit nichtdeutschem Pass, aber Hauptwohn- und Lebenssitz in Deutschland, kam überhaupt nicht vor.

Dann kam der Themenpunkt „Rente und Zukunftsperspektive im Hinblick auf den demographischen Wandel“.
Herr Bahr appellierte daran zu sparen. Privat natürlich.Das hat er ja auch gemacht. Damals… als es noch die Mark gab. Damals… als er noch Banker war. Damals… als er als nicht diskriminierter, gesunder, junger Mann in Lohn und Brot stand. Da hat er immer 20 Mark an die Seite gelegt. Das sollen sie jungen Menschen mal auch machen.
Auch hier sprach Gregor Gysi für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung. Sparen kann man nur, wenn das Leben nicht bereits aus dem Sparen, etwa für Lebensmittel und Gesundheitsleistungen, besteht.

So wie mein Leben etwa. Wer Grundsicherung erhält, erhält Geld um seine Grundversorgung zu sichern. Für Extras und Kürschnörkel, wie eine frühzeitige private Rentenversicherung oder auch Lebensversicherung ist da schlicht kein Platz.
Wer noch nie gearbeitet hat- nie in die Arbeit hinein kommt, der hat sein Leben lang Angst vor einem kaputten Haushaltsgerät oder sogar einer Erkältung oder sonstigen Krankheit, die eine (Zu) Zahlung zur medikamentösen Therapie erfordert- da ist die Angst vor dem Alter nichts was abwendbar erscheint.

Wie eng die Arbeitsverhältnisse, und auch die Befähigung zur Arbeit, mit der Rente und eben auch dem demographischen Wandel zusammenhängt wurde mir da sehr deutlich. Und das lag sicher nicht nur an dem Kloß im Hals, der sich ausbreitete, als ich den PolitikerInnen dort im Fernsehen zusah.
Für mich persönlich klang das alles sehr nach: „Wer nichts macht/ nichts kann- der kriegt auch nichts. Weder um etwas zu machen, noch um etwas zu können.“.

Die Grundsicherung von überhaupt irgendeiner Arbeit für alle Menschen ist irgendwo auf dieser Argumentationsachterbahn liegen geblieben.
Schade. Genau das hätte mich und Menschen in meiner Situation angesprochen.

Der vorletzte Teil bezog sich auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Dargestellt wurde eine Mutter, Vater, 2 Kinder- Familie. Weiß, sicher passdeutsch, beide im Beruf, sich akribisch auf die Stunde genau anpassen müssend auf Kindergartenöffnungszeiten und Schichtdienst.

Das ist schlimm- kein Thema.
Aber wäre es zu viel verlangt gewesen, ein alleinerziehendes Elter darzustellen, das genau den gleichen Kampf zu führen hat? Oder eine Familie in der ein Elternteil arbeitet und das andere nach der Elternzeit nicht wieder zurück in den Job kann und von Jobcentermaßnahme zu Jobcentermaßnahme tingelt und genau den gleichen Zampano mit den KiTa-Öffnungszeiten hat?

Auch hier wieder kein richtiger Anknüpfungspunkt für mich. Ich werde erst gar keine Elternschaft für mich planen, so lange ich keinen festen Job habe, der mich ernährt und das Potenzial hat noch einen kleinen Menschen mit zu ernähren und zu sichern. Immerhin erwähnte auch dies Herr Gysi und auch Frau Schwesig holte die das Betreuungsgeld hochlobende Frau Aigner auf den Boden der Tatsachen, in dem sie anmerkte, dass auch 100€ Betreuungsgeld nicht für die Bezahlung einer privaten Tagesmutter ausreicht.
Die sollte wohl auch in Teilzeit und zum Niedrigstlohn arbeiten, hm Herr Bahr? Frau Aigner? Herr Steinmaier? Dann würden 100€ wohl ausreichen?

Es wurde nicht zum Thema gemacht, dass sich auch die ArbeitgeberInnen anpassen müssen. Das war zum Beispiel eine Wortmeldung im Bürgerdialog, in der eine Frau schilderte, wie schwer es ihr von ihrem Arbeitgeber gemacht wird, nach der Elternzeit zurück zu kommen, weil sie durch die Kinder eben nicht mehr so flexibel ist, wie gefordert. Da kam die Politik mit dem Betreuungsgeld- kurzsichtig und unzureichend, wie man es nun bemerkt.

Soweit ich es mitbekommen habe, haben die ArbeitgeberInnen weder Auflagen dazu noch evtl. unterstützende finanzielle Möglichkeiten angeboten bekommen, die eine Veränderung dieser Stelle möglich machen. Etwa in Richtung Betriebskindergärten oder Schichtpläne, die mit den Kindergärten der ArbeitnehmerInnen zusammenpassen. Oder eben auch die selbstverständliche Weiterbeschäftigung nach Elternzeit oder anderen Unterbrechungen, wie längeren Ausfällen nach einer Krankheit. Es ist nachwievor möglich einen fadenscheinigen Kündigungsgrund anzugeben, der nicht anfechtbar ist.
Auch hier gibt es wieder jede Menge Freiraum, um sich vor sozialer Verantwortung zu drücken. Völlig legal und als weniger schlimm darstellbar durch die Einführung eines Betreuungsgeldes und der Möglichkeit die Pflege als Fachkräfte- bedürftigen Bereich hochzuhalten.

Aber nun zum letzten Themenpunkt, in dem sich der inoffizielle Twitterminister in meinem Augen absolut lächerlich machte.
Datenschutz. Prism. Facebook. Die Amerikaner, die unsere Daten auffangen und damit machen, was sie wollen.
Keiner wills gewusst haben. Herr Bahr hätte sich das nicht mal vorstellen können.
Aber „frei“ sei das Internet und so solle es bleiben.

Ich frage mich ja, in welchem Internet sich Herr Steinmaier so aufhält, denn da würde ich auch gern hin. So frei!
In meinem Internet ist nichts frei. Kostenlos zur Verfügung gestellt, ja- aber frei von Fremdbestimmung, nein.

Ich nutze im Internet verschiedene Dienste. Und sobald ich das tue, stimme ich sämtlichen Nutzungsbedingungen zu. Auch denen, die mir eigentlich nicht gefallen. Das hat etwas mit der Auswahl, den Zugangsmöglichkeiten und auch meinen Fähigkeiten zu tun.
Ich kann mir keinen eigenen Chat programmieren- also nutze ich Skype.
Ich kann mir keinen privaten Hochleistungsserver in den Keller stellen und dort meine Homepage oder Emailaccount einrichten- viel zu teuer und auch wieder eine Frage der Fähigkeiten- also nutze ich das, was sich als praktikabel und kostenlos darbietet. Und bezahle wieder mit meinen Daten.

Wer das Internet als frei bezeichnet, der vergisst, dass die Währung unserer Zeit „Information“ lautet. Gerade im Internet.
So betrachtet, tauchen sowohl Prism, als auch Tempora und Anbietermogule wie Google und Yahoo als Geldeintreiber auf. Völlig gerechtfertigt durch unsere Zustimmung und abhängig von den Gesetzen der Länder in denen die Server der Anbieter stehen.
Das worüber wir uns gerade aufregen, ist die Verwendung dieser Daten- nämlich gegen uns und das Grundrecht der Menschen dieses Landes. Wir haben ein Recht auf Privatsphäre- deshalb richten wir unsere Emails, SMS und Telefonanrufe an eine/n EmpfängerIn und nicht öffentlich zugänglich bei Facebook und Konsorten.

Die Verquickung dieser Anbieter und ihrer Dienste damit wurde leider nicht thematisiert.
Herr Steinmaier verlor sich sogar in der steilen These, die Justiz sei unabhängig, worüber ich im Hinblick darauf, dass kein Mensch (auch wenn er das nicht glaubt- die Justiz wird von Menschen gemacht) jemals unabhängig ist, wirklich nur sehr hart lachen kann.
Frau Roth hat es sehr drastisch formuliert und doch hat sie meine Zustimmung, wenn sie von einer Kernschmelze unserer Rechte spricht.

KernSCHMELZE- ja das Internet verschmilzt mit uns. Es verbindet viele Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Täglich werden wir Zeuge vom Leben anderer Menschen, sobald wir die gleichen Plattformen verwenden. Jeden Tag haben wir die Möglichkeit uns zusammen zu tun um Gutes, aber auch Schlechtes zu tun.
So wir denn einen Internetzugang und keine körperliche oder geistige Einschränkung haben, die uns daran hindert.

Das ist Internet ist kein Neuland- aber die Möglichkeiten einander zu schaden sind neu.
Darauf zu reagieren hat unsere Bundesregierung bis heute verpennt. Da waren andere schneller und umfassender und jetzt ist das Geschrei groß.

Ich will nicht verteidigen, dass wir ausspioniert werden. Auf keinen Fall- aber ich will es als so logische Folge betrachten, wie sie derzeit ist und was in der Sendung auch nur Gregor Gysi mit einem relevanten Lösungseinschub anmerkte.

Die Sendung an sich wird kaum einen 18 jährigen Erstwähler angesprochen haben- nicht einmal beim Thema „Internet und Datenschutz“. Da lehne ich mich jetzt vielleicht weit aus dem Fenster. Ich bin ja selbst schon über 25 und habe kaum eine Vorstellung davon, was diese jungen Menschen bewegt.
Was ich aber sehe ist, dass ein FreshTorge bei YouTube mehr (junge) AbonnentInnen hat, als diverse PolitikerInnen bei Twitter und Facebook.
Was ich weiß ist, dass viele junge Erwachsene, die sich gerade in einer Ausbildung befinden, nicht mehr mitten in der Woche um 22.30 Uhr ausgerechnet bei der ARD reinschalten, sondern entweder im Bett liegen oder sich eher seichte Inhalte zur Unterhaltung ansehen, statt sich komplexen sowohl angsteinflößenden wie wütend machenden Themen, die in einer platt herunter gebrochenen Diskussion auftauchen, zu widmen.

Was mich außerdem an der Sendung störte, ist die Doppelbelegung der CDU.
Bei der Wahl ist es nicht möglich sich zwischen CDU und CSU zu entscheiden. Sehr wohl aber sind auch noch andere Parteien wählbar, die überhaupt keinen Platz bekamen, obwohl auch sie zur Bundestagswahl antreten.
Das empfinde ich als eingeschränkte Darstellung aller Möglichkeiten, die die WählerInnen haben.
So betrachte ich die Sendung mit dem Abschluss, das nur bestimmte Parteien überhaupt in Betracht kommen sollen für junge Menschen und sich von diesen jungen Menschen auch nur Bestimmte angesprochen fühlen sollten.

Das ist nicht das „uns“ das angesprochen wurde. Und das ist auch nicht das, wovon viele (alle) Menschen überzeugt werden möchten.

Die Wahlen sind „frei“- das Wort in Anführungsstrichen, weil nicht alle Regierten über ihre Regierung wählen dürfen, was nicht mit meinem Verständnis von Demokratie d’accord geht- so sollte auch die Darstellung frei sein.

Also ARD- für einen ersten Versuch geht das gerade mal noch so durch.
Beim nächsten Mal (ich hoffe es gibt ein zweites Mal, denn die Idee an sich, halte ich für gut): mehr Diversität auf allen Ebenen, respektvolle Augenhöhe, eine Sendezeit zu der mehr Menschen wach und aufnahmebereit sind und bitte- so peinliche Sachen wie den Jugendsprachecheck oder Speeddating raus.

Die ErstwählerInnen sind jung- nicht dumm.

Frei- von- heit

145840_web_R_by_bbroianigo_pixelio.deFrei- von- heit
Schnurstraks darauf zu gestolpert, gefallen, aufgerappelt und immer weiter im Takt des pulsenden Wunsches auf Erfüllung einer Hoffnung.
Und plötzlich setzt er aus.
Der Boden bricht weg.
Ein Fallen oder ein Schweben?

Haltlosigkeit bringt beides hervor.
Was jetzt?
Fragen kann man stellen. Aufstellen. In sich hineinbohren, wie in ein Nadelkissen und hoffen, dass sie zu einem Verbindungsglied werden. Vielleicht eine Antwort finden und darauf eine Siedlung erbauen lassen.

Mit jeder nicht beantworteten- ignorierten- herabgewürdigten Frage, bohre ich sie mir tiefer hinein und blute irgendwann sogar nach Außen. Irgendwann schmerzt jede Berührung und niemand sieht mehr warum.

Aus mir brechen nur noch Wortbrocken und geronnener Schmerz. Ich bin unverständlich, wie mein Befragtes, kann mich nirgendwo mehr lagern, ankommen, passen, irgendwo sein, ohne blindtaubstumm vor Weh zu sein.

Über allem liegt dieser drückende Nebel aus Unsicherheit bis zur handfesten Angst auf allen Ebenen.
Bindungsunsicherheit durch Abwesenheit von Halt.
Verhaltensunsicherheit durch Ver- Halt. Stasis aus Angst vor der Angst.
Überzeugungsunsicherheit durch Abwesenheit von Be-Zeugung.

Wo bin ich? Was mache ich? Was ist jetzt? Wer bin ich? Was will ich? Was kann ich? Was darf ich?
Wo sind die Menschen? Was machen sie? Was ist jetzt mit ihnen? Wer sind sie eigentlich? Was wollen sie? Was können sie? Was dürfen sie?

Habe ich zu viel in Frage gestellt? Warum gibt es keine Antwort? Oder bemerke ich sie nicht? Stehe ich eigentlich schon längst in meiner Siedlung und habe es noch nicht gemerkt? Wenn ja, wieso merke ich es nicht? Woran sollte ich es denn merken? Ist es die Abwesenheit von Schmerz auf die ich warte, die aber nie kommen wird? Muss ich das jetzt für immer aushalten? Ist das Ziel „Freiheit“ also eigentlich von Anfang an ein Trugbild gewesen? War ich so durstig, dass ich eine Fata Morgana sah und Sand zu trinken versuche? Habe ich noch die Kraft für den Weg zurück? Würde ich ihn überhaupt zurück finden? Kann ich überhaupt noch irgendeinen Weg sehen?

Da ist ein Schaukeln und Ruckeln um mich herum. Ist es der Rhythmus, der sich weiter drehenden Welt oder sind es Halluzinationen kurz vor meinem Auseinanderbrechen?

Nein.
Es sind die Frontgänger, die mir die Fragen aus dem Sein zu operieren versuchen. Zaghaft, mit feinsten Pinzetten. Eiterpralle Abszesse aufstechend und mit neuen Lebensoptionen füllend. Blutverlust mit Solidarität auszugleichen versuchend, während die Federn des Schwans mit mir verdreckt werden. Meinem Gedankendreck. Meinem stinkenden Angsteiter. Den Splittern von meinem inzwischen verwestem Weltbild, das mich nicht mehr tragen kann.

Ich verdrecke alles. So bin ich wohl.

Doch, egal wie oft ich ihnen in dieser Operation sage, dass sich nicht mit mir beflecken sollen; ich es nicht aushalte und sehe, dass auch sie schweißbedeckt und zitternd arbeiten… Es mir leid tut, ihnen ihren Schwan zu verdrecken… sie machen weiter und sagen mir, ich solle sehen, wie alles von den Federn tropft.

Es ist eine Operation mit ungewissem Ausgang. Bei vollem Bewusstsein und ohne Hilfe von erfahrenen Operateuren. Das ist bei neuen Verfahren wohl immer so.
So ist es wohl in der neuen Welt der Frei- von- heit.
Ich weiß nicht, ob der richtige Patient dafür bin.
Und niemand beantwortet mir diese Frage.

Werbung- eine Form von Gewalt

Einmal hatten wir fast „die Gluthitze“ dieses Jahr, doch nun knabbern die Nächte wieder mehr vom Tag weg. So langsam gleiten wir in den Spätsommer.
Nichtsdestotrotz finden sich hier und da noch immer die Urlaubsfotos von der scharfen Heidi Klum, der knackigen Gwen Stefani, den süßen Engeln von Victorias Secret und nicht zu vergessen dem unglaublich heißen David Beckham. Ein ganzes Menü!

Zum Fressen gern hat man sie- obwohl sie selbst von gefrosteten Weintrauben und Proteinshakes zu leben scheinen, um wie gewachste Früchte im Sortiment des Luxusbiokaufshauses von Klatsch und Tratsch zu erscheinen.
Ein Schelm, wer hier an Rotkäppchen und den großen bösen Wolf denkt; sich fragend, wie viel Nährwert diese Körper-Bilder wohl haben und wo diese ansetzen.

Irgendwann hatte ich mal getwittert, dass mir Unterwäschemodels sehr leid tun, weil sie immer „heiße Wäsche“ tragen müssen. Das müsse doch weh tun.
Sieht man die Hitze? Nö- was man sieht sind BHs, Schlüpfer, schwingende Babydolls und tief sitzende Boxershorts, die sich, vor allem im Sommer, wie Briefmarken auf Menschenfleischpaketen ausmachen.

Nein, ich will nicht darauf hinaus, dass zu wenig Natürlichkeit, zu wenig Speck, zu viele weiße* Menschenkörper, viel zu viel Sex(ualität) durch die Presse und Werbung wandert.
Mir ist die Sprache aufgefallen und es beschäftigt mich, dass viele Adjektive eine Nähe zu Nahrung oder Körperempfindungen haben, gerade wenn es um vermarktete Menschenkörper geht.

Vielleicht sind diese Worte wie eine Potenzpille eingesetzt?

Vor ein paar Jahren gab es Jogginghosen (für Frauen*) die über dem Po „juicy“ also „saftig“ stehen hatten.
Ein saftiger Po- in den Geschmacksrichtungen „Apfel“ oder „Birne“?
Oder nicht vielleicht doch eher saftig, wie die Konsistenz des Speichels der dem Betrachter aus dem Mund tropft?
Was genau meint die Bildunterschrift: „Ambrosio in heißem Bikini“ ? Warum ist der heiß?
Weil die Ohrfeige heiß brennen würde, würde mensch einfach zupacken? Oder, weil es heiß in der Unterhose wird?
Wo genau landet das „scharf“, das in fast jeder Fotostrecke von extrem unangezogenen Menschen auftaucht, bei uns?
Das scharfe Einatmen um seine Erregung zu unterdrücken oder die Würze im faden Alltagseindrucksbrei?

Wir Menschen essen um zu leben. Und leben um neues Leben zu produzieren. Oder eben nicht. Jede/r nach seinen Möglichkeiten oder Wünschen.

Sex ist eine Trieb-feder. Logisch also, dass die Werbung zu Sex-ismus greift.
Es geht um die Fortpflanzung, Lust, große Gefühle, also guckt mensch hin. Ich glaube, unsere Gehirne sind da alle mehr oder weniger gleich.
Doch ist es nötig?
Wer rennt mit einer Erektion in der Hose
zur nächsten Autoschrottpresse, zum Duschgel kaufen oder ruft gleich erst mal bei dem Aboservice einer Zeitung an?
Was passiert, wenn sich immer mehr Druck aufbaut, weil von allen Seiten starke Reize auf einen Menschen einwirken? Richtig- es gibt Stress und die Notwendigkeit zur Kompensation- vielleicht in Form von „Einkaufen“? Wenn schon nicht die beworbenen Güter, so doch Mittel und Möglichkeiten, diesem Körper- und/ oder Rollenbild zu entsprechen.

Stress ist ein Katalysator für viele physische Prozesse, bis in unsere Gene hinein.
Ja, unsere Gene. Die Dinger, die mittels Sexualität weitergegeben werden, wenn wir uns fortpflanzen.
Sind wir gestresst, werden Gene mittels Neurotransmittern an- oder abgeschaltet. Sind wir chronisch gestresst hat dies direkte Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Sowohl physisch als auch psychisch.

Als Mittel dagegen werden aber nicht etwa: „Fernseher aus und Reizüberflutung meiden“, sondern wiederholt „Tu dir mal was Gutes- geh ins Kino oder shoppen- oder mach mal Urlaub, wie die sexy Klum“ angepriesen.
Introjektion und Selbstbesinnung könnte dazu führen, dass mensch das, was mensch als „sexy“, „knackig“, „heiß“, „süß“ – eben essbar (im Sinne von „konsumierbar“) dargestellt bekommt, enttarnt und ergo nicht mehr als passender Rezipient zur Verfügung steht.
Wer sich seiner (sexuellen) Präferenzen bewusst ist und nicht auf diese Art der Bebilderung anspringt, der muss eben über die Sprache noch dran glauben.
So werden Adjektive, die physische Empfindungen implizieren, zur Potenzpille. Vielleicht wie eine Art Zwangsviagra, das jede/r zu schlucken hat und mehr oder weniger stark darauf reagiert.

Die Einen mit (vielleicht nicht einmal bewusster) sexueller, die Anderen mit emotionaler Erregung. In diesem Bild wäre also die Kritik an sexistischer Werbung eine Art Nebenwirkung einer Zwangsmedikation.

In jedem Fall kann von „aggressiver Werbung“ gesprochen werden und das nicht nur wenn selbige sexistisch ist. An dieser Stelle beginnt Kapitalismuskritik, als Kritik an einer Form von Gewalt.
Neulich sah ich ein Plakat mit der Aufschrift: „Außenwerbung trifft.“.
Ich konnte, vor allem nach den sexistischen und auch
rassistischen Komplettangriffen der letzten Zeit, nur noch denken: „Oja- und wie sie trifft!“.

116203_web_R_by_Jörg Klemme, Hamburg_pixelio.deFür mich persönlich ist jede Werbung, die sich in Bild und Ton präsentiert schon zu viel.
Durch den toxischen Stress dem ich früher ausgesetzt war, haben sich jede Menge auch biologische Anpassungen entwickelt. Toxischer Stress ist „normal“, wenn man ein Trauma erlebt- erlebt man viele und hat ständig damit zu rechnen, erneut eines zu erleben, passt sich der Körper an.

Auch hier wieder der Bogen zu den Genen: Erleben Menschen Stress, wird eine von Genen gesteuerte Produktion von Stoffen angeregt, die neben den bekannten Fight-Flight-Freeze Optionen, auch Nervenzellen im Gehirn- genauer gesagt, dem Hippocampus, abtöten können. So erklärt sich auch der Masseverlust dieses Hirnbereiches bei Menschen, die als Kinder durchgehend miss-be-handelt und entsprechend traumatisiert wurden.

Um Reize aufnehmen und verarbeiten zu können, wird das Gehirn gebraucht. Und zwar möglichst funktional.
So ist, denke ich, meine Annahme, dass Werbung, in Form von immer aggressiverer Bildermast und Zwangsviagra in der Sprache dazu, eine Gewaltform ist.
Sie wird uns Menschen aufgedrückt und, weil sie uns nach und nach dabei das Gehirn kaputt macht, muss sie immer krasser werden, um überhaupt noch etwas in uns zu bewegen. Es ist ein Mittel, das erst über Nervenzellenleichen und dann über an chronischen Krankheiten gestorbenen Menschen steigt, um zu verkaufen. Stress im Übermaß beeinflusst auch das Immunsystem und entsprechend den Umgang selbigens mit Erkrankungen und sogar Zellwachstum- genau das macht das „Burn-Out-Syndrom“ übrigens auch tatsächlich zu einer realen Erkrankung und positive
soziale Pflege im Krankheitsfall so erfolgreich.

Ich schaue seit 5 Jahren kein Fernsehen mehr und selbst Filme und Serien nur in Maßen (heißt ein- zwei Sendungen am Tag á maximal 45 Minuten). Ich versuche mich der Werbung zu entziehen und habe dabei nur noch Erfolg, wenn ich entweder auf das Internet und den Gang vor die Tür verzichte.
Fällt es auf? Das ist ein „Häschen in der Grube“-Verhalten. Verstecken um geschützt zu sein, weil weg zu laufen keinen Zweck hat.

Das empfinde ich als Haft aus Schutzgründen.
Muss das sein?

Ich denke nicht.
Ich kaufe im Supermarkt, in der Drogerie oder im Bekleidungsgeschäft auch Güter, die nicht beworben sind. Da orientiere ich mich an dem, was sich mir direkt darbietet, was ich mir leisten kann und sich als passend herausstellt. Und das mache ich ganz freiwillig und einfach um mein Leben zu sichern.

Insofern könnte ein Punkt zur Veränderung vielleicht sein, klar zu machen, dass man in jedem Fall kauft- solange das Produkt gut ist und jede Werbung eine Überzeugungsgewaltanwendung darstellt.

So als erste Idee…

obwohls alle™ machen

Es ist kein neues Thema.
Eigentlich.
Und doch kommt es immer wieder auf. Ist Anlass für Tränen, Wut, Fragezeichen, die wie Pilze aus dem Boden der sicher geglaubten Basis schießen. Verletzung, Kränkung, durch diesen, objektiv betrachtet, winzigen Schritt zu nahe an einen heran.

Trolle und Schwarmdummheit, wie es der Autor Arno Frank in der Fluterausgabe zum Thema „Internet“ in seiner Polemik: „Was sagt man dazu?“ nennt.

An vielen Stellen seines Textes nicke ich zustimmend.
Ja, das Internet ist ein Raum, der eine breite Öffentlichkeit anspricht und so frei gestaltet ist, dass, wenn schon nicht direkte Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt werden, jeder Mensch in der Lage ist, sich dort ein Nest zu bauen und von dort aus gegen AutorInnen von Blogs, Webseiten und Foren zu kommentieren oder großflächig Ketten rasseln zu lassen.

Niemand kann sie hindern, denn das Recht auf freie Meinungsäußerung greift, sofern sie nicht gegen andere Gesetze verstoßen.
Es ist entfernt von sozialem Anstand, von Respekt und dem Bewusstsein über die eigentliche Fremdheit zwischen AutorInn und KommentatorIn.

Das Internet stellt eine künstliche Form von Kommunikation dar.
Tatsächlich passiert im menschlichen Gehirn auch real nicht genau das Gleiche, als wenn man sich über die gleichen Themen analog austauschen würde. Ein Großteil unserer Spiegelneurone gehen schlafen, wenn wir im Internet chatten, Emails schreiben oder Twitternachrichten austauschen. Das sind genau die Neurone, die uns im direkten Austausch helfen würden Gefühle von Empathie und Nähe zu entwickeln. Kompromissbereitschaft verstärken oder auch Toleranz walten zu lassen.

Wir empfinden Texte oder auch virtuelle Kommunikation dann als „echt“ und „real“, wenn sie gewalt-ig ist oder einen ganz erheblich wunden Punkt bei uns trifft (und verletzt).
Ob dies bei allen Menschen so ist, weiß ich natürlich nicht, aber wenn ich von mir ausgehe, erklärt sich so auch, warum viele Kommentare in Foren, oder unter Artikeln hochgradig emotionsbelastet sind. Es sind starke Affekte, die da walten. Ein mittleres oder niedriges Erregungslevel senkt die Bereitschaft überhaupt einen Kommentar zu hinterlassen. Der Text hat ja auch nichts mit einem gemacht, was man nun unbedingt mal noch eben los werden will. Was soll man dann also noch darunter schreiben als: „Schöner Text“?

Unsere Haltung war zwischenzeitlich einmal die, dass wir davon ausgingen: „Es meckert niemand- dann kanns ja nicht so schlimm sein.“. Das ist eine Positionierung, die wir für uns allerdings ablehnen oder mindestens ungern hinnehmen. Einfach, weil sie bedeutet: „Ich muss gerade keine Gewalt aushalten, dann mache ich wohl alles richtig.“. Das ist, als würde man von einen Hundeerziehungserfolg sprechen, weil der Hund nicht mehr an der Leine zieht, weil er Schläge als Strafe zu erwarten hat.

So haben wir 21 Jahre lang leben müssen und wissen, dass viele Menschen da draußen noch immer so leben müssen. Das finden wir furchtbar, weil es Gewalt als normalen Bestandteil des Miteinanders impliziert.

In diesem Blog sind wir bisher fast verwöhnt worden. Zumindest erscheint es uns so, wenn wir erleben, was andere Menschen zu ertragen haben oder durchstehen mussten.
Wir hatten auch unter den feministischsten Artikeln noch keine Kommentare von sogenannten „Maskutrollen“ und wir haben keine direkt körperlichen Gewaltandrohungen erhalten.
Alles fein?
Nein.
Bereits drei Mal erhielten wir Kommentare von Menschen, die uns davon überzeugen wollen, dass Kinderfolterdokumentation auf freiem Willen der Opfer basierend entstehen. Acht Mal waren wir damit konfrontiert, dass uns jemand davon überzeugen wollte, dass wir es als erfüllend erleben würden, vergewaltigt zu werden.
Mehrere Male sahen wir uns Kommentaren gegenüber, in denen zumindest für uns ein Bild von uns als Person deutlich wurde, das einfach nicht stimmt.

Das Wunder der Rezeption!
Man sucht das Bekannte und verknüpft es mit den gemachten Erfahrungen, moralischen Werten und seinem Weltbild. Daraus entsteht auch die Kette: „Das muss der bloggende/ schreibende Mensch jetzt so und so meinen- geht ja gar nicht anders- meinen ja alle so“.
Schlimm, wenn dann jemand versucht ohne Wertung zu schreiben oder mindestens einen möglichst breiten Interpretationsraum zu erschaffen versucht. Das ist anstrengend und keine leichte Kost für zwischendurch.

Mir fallen solche Texte selbst oft schwer als Leserin, weil sie mich vornehmlich informieren oder mir Aspekte zum Nachdenken mitgeben, statt mir eine persönliche Meinung oder eingleisige Sichtweise zu präsentieren.

Entsprechend trifft es mich- uns als Autorin, die sich wirklich darum bemüht eben nicht auf Stereotypen und Eingleisigkeit zurückzugreifen, in der Hoffnung noch besser und noch richtiger verstanden zu werden, wenn mir Kommentare begegnen die implizieren, das wäre der Fall.
Das ist dann zum Einen eine Nichtachtung unseres Bemühens (mit dem Implizit einer journalistischen Leuchtfeuerleistung, die hier frecherweise enttäuscht wird, denn Überraschung: Wir sind weder Journalistin noch Leuchte) und zum Anderen eine unverschämt anmaßende Haltung uns als Person gegenüber, die nicht mit sozialer Nähe erklärt werden kann, wie man es vielleicht im analogen Leben tun kann, wenn man einander schon lange kennt, jeden Tag sieht und spricht.

Das löst ein berechtigtes Empfinden von Grenzverletzung aus, die wir hier für uns und auch unsere LeserInnen ausschließen wollen.
Wir sind darum bemüht hier eine sichere Insel für so viele Möglichkeiten des Lebens ohne Gewalt zu erschaffen, wie möglich. Doch natürlich ist dieses Bemühen angreifbar.
Schon allein durch unsere Position als Administratorin, die einzig durch die Verantwortung, die wir uns hier sowohl annehmen als auch einfach vor dem Gesetz haben, begründet ist, ist dieses Blog de facto kein gewaltfreier Raum. Doch das ist kein Freifahrtschein in Richtung: „Na wenn die das macht…“.
Auch nicht für uns.

Wir möchten uns hier aufhalten, ohne, dass uns, wie in den letzten Tagen, Übelkeit überkommt, sobald wir unser Emailpostfach öffnen oder die Website an sich.
Ich mag es nicht, festzustellen: „Yeay verdammt- wir können ja doch ganz schön giftstachlig werden, wenn uns jemand hier zu nahe kommt.“. Genauso wenig, wie ich es mag zwischen vernünftig denkenden Erwachsenen, wie eine Kindergärtnerin Grenzen aufzuzeigen. Vor allem, wenn sie für mich persönlich eigentlich mit Flatterband, Leuchtschildern und Warnhinweisen ausgestattet im Bewusstsein sind.

Wir haben diese Position inne, doch halten es für grundsätzlich möglich miteinander Kontakt zu haben, ohne, dass wir diese nutzen müssen.

Und da komme ich an einen Punkt, an dem ich nicht mit dem Artikel, der oben verlinkt ist, d’accord bin.
Nein, ich muss es nicht akzeptieren, wenn sich jemand hier so verhält. Und nein, nur weil es die Masse ist, muss ich ihr hier keinen Platz lassen. Nur, weil Gewalt im Miteinander als normal dargestellt und oft genug mit der Öffentlichkeitspräsenz legitimiert wird, ist sie noch lange nicht auch wirklich legitim!

Wir erinnern uns mal kurz was von 1939 bis 1945 eine Menschenmasse so richtig und normal und legitim fand…

Nur weil es viele Menschen tun, ist es nicht automatisch auch richtig.
Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt gegen andere Menschen, als Gewalt selbst.

Nur weil es noch nicht überall praktiziert wird, ist es kein unerreichbares Ziel, das wir hier verfolgen.

Was wir verstehen ist, dass auch wir Gefühle verletzt haben werden, falsch rezipiert haben können und mitunter eine Linie in unseren Texten fahren, die nicht die Gleiche unserer LeserInnen ist.
Verletzungen tun uns leid, natürlich- (ja, wir meinen Mariesofie und Mosine im Moment)- aber, sie entstanden nicht aus Willen heraus auch tatsächlich zu treffen, sondern aus einem Affekt, der auf etwas folgte, das nun einmal passiert, wenn man einander weder analog kennt, noch Körpersprache und allgemeinen Habitus lesen kann.

Wir haben dafür mit Psychosomatik deluxe bezahlt; uns Strategien für die Zukunft überlegt und uns klar gemacht, dass dies nicht alle Beteiligten auch tun.
Das ist etwas, das wir im Grundsatz akzeptieren, doch hier nicht dulden werden.

Wir sind nicht unsere Texte.
Wir veröffentlichen Texte von uns, doch versuchen dabei so wenig tendenziös wie möglich zu sein.
Wir haben eine Position inne, die uns eine gewisse Gewaltausübung möglich macht, doch wollen sie nicht nutzen müssen.

Es ist unser Blog, unser Wirken, unsere Gedanken, die hier sichtbar werden.
Wir wollen sie im Grundsatz akzeptiert haben, genauso, wie wir die Texte anderer AutorInnen im Grundsatz akzeptieren, stehen lassen und kommentieren, ohne die AutorInnen als Person in Frage zu stellen, zu bewerten oder über ihre Motive zu mutmaßen.
Das ist weder zu viel verlangt, noch impliziert es eine Intension von uns, immer und mit allen Texten unsere LeserInnen glücklich zu machen, oder das Denken, dies auch zu können.

Es geht um genau den Respekt vor der eigenen Person, den man in der analogen Welt schon oft genug vermisst.
Das Internet und unser Blog mit seinen Möglichkeiten Gemeinschaften und Austausch entstehen zu lassen, muss nicht so gestaltet werden, wie das Umfeld, mit dem man umgehen muss, wenn der Computer aus ist.

Auch wenns alle so machen.

der Fragebogen

Wir hatten heute den Anamnesebogen einer Klinik im Briefkasten.
Nachdem ich meine „Mimimi“ piepsende Chuzpe unterm Tisch hervor geholt habe, schaue ich ihn mir genauer an.

Solche Fragebogen sind für uns manchmal wie eine Art Minenfeld. Kam mir die Frage der Sekretärin der Klinik nach meinem Alter schon vor wie eine Trickfrage, so sind solche Bögen eine Mischung aus Spiegelkabinett mit doppeltem Boden und Jokergesichtern, die aus dem Nichts auftauchen.

Mit dem Personalausweis und Schriftstücken als Balancestab in der Hand, lassen sich noch Namen, Adressen, Telefonnummern; die Frage nach Geburtsort und Nationalität leicht meistern. Manches kann ich auch auswendig aufsagen, wie ein Gedicht von jemand anderem.

Aber dann:
Familienstand- unverheiratet… oder? Bin ich gerade in einer Beziehung? Was meint „Beziehung“? Kontakt mit Mög/ Sex/ sonstigen Additiven oder „Ich liebe dich so ever and ever und wir werden nie auseinander gehen?“ Gilt auch die Bezeichnung „in die Welt rausgespuckt und an anderen Menschen festgeklebt“?

Ha! Immerhin kann ich einen Schulabschluss richtig angeben. Ätschibätsch in einen einen doppelten Spiegel.

Beruf.
Wie lautet ihre genaue Berufsbezeichnung?
Versagerin, Sitzwärmerin und Statistik-positiv-Beeinflusserin beim Jobcenter, Sozialrotzbeton im Pflaster der kapitalistischen Leistungsgesellschaft die unser Leben antreibt…? Hm. Nee, das geht nicht. So jemandem helfen die da bestimmt nicht.

Wie lautet ihre genaue Berufsbezeichnung? Tätigkeitsbezeichnung
Bloggerin, „Frau, die dir baut, was du dir wünschst“, inoffizielle Beraterin
Na? Ich find das gut. Wäre das ein Bewerbungsschreiben und ich Chefin, würd ich Talent zur Schönfärberei sehen und so jemanden in meine Werbeabteilung setzen.
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Wie ist ihre derzeitige berufliche Situation?
Sehr geil- da gibts ein Kreuzchen für „unbekannt/ unklar“- zack! Hin da.

Ne- so gut in Schwung und dann kommt doch die Jokerfratze aus dem Boden geschossen und fragt:
Welche zukünftigen Berufspläne haben Sie?
Autsch. Nach dem ganzen Bewerbungsmarathon, den Einblicken in die Förderungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt (eins bis drei) für Menschen mit (seelischen) Behinderungen, haben wir das irgendwie mehr oder weniger abgehakt. Uns erscheint es immer wieder wie eine Möhre die uns Eseln vor die Nase gehalten wird, damit wir nicht sehen, durch was für eine ekelhafte Scheiße wir gerade laufen.
Antwort: utopische
– um dann wieder zu denken, dass wir sicher keine Hilfe da kriegen, wenn wir das so stehen lassen. Also wird ein kleiner Text zusammengefrickelt, der deutlich macht, dass es schon noch realistische Wünsche gibt, die aber eben noch Zeit brauchen.

Es wird persönlicher.
Sind sie schwanger? -Himmel- ich hoffe nicht?! Ja? Nein? Ja? Nein? Hat irgendjemand gerade eine Sexbeziehung und ich weiß nichts davon?
Wie ist ihr Appetit? -existent- Haken hinter. Das weiß ich ganz sicher. Phu.
Probleme in der frühkindlichen Entwicklung – bitte fragen sie ihre Familie. Autsch. Würde gerne hinschreiben, dass ich meine frühkindliche Entwicklung nicht mitgekriegt hab und glaube, dass es meiner Familie genauso geht. Gilt aber nicht. Schreibe auf was ich irgendwann mal mitbekommen hab.

Dann 37 mögliche Beschwerden zum Ankreuzen.
Ich hab das alles und eigentlich aber nichts davon. Ich frage mich, ob sich die MacherInnen des Fragebogens darüber im Klaren sind, dass für manche ihrer Klienten der Begriff des „Leidens“ eine Definitionsfrage ist. Offenbar nicht.
Jetzt kommen noch Drogen, Süchte, selbstverletzendes Verhalten und Suizidversuche.

Erst kurz vor knapp kommt eine schöne Frage:
Welche positiven Fähigkeiten haben Ihnen in der Vergangenheit geholfen, emotionale Belastungen zu meistern?
Hach. Das ist schön. Ich fands immer total cool, wenn sich irgendwann in einer Klinikzeit oder so gezeigt hat, dass irgendein Innen irgendwas kann. Ob richtig gut oder einfach nur so mittelgut oder irgendwas halt gerne macht, ist mir da egal. Ich hab lange gedacht, dass ich die bin, die alles können muss, weil ich von den Anderen immer nur mitgekriegt hab, was sie nicht können oder wovor sie Angst haben oder was sie blöd finden. Dann war ich nämlich da. Wenn ich weiß, dass die Anderen etwas Anderes können (vielleicht ja sogar, was ich nicht kann) dann ist es irgendwie leichter. Jedenfalls fand ichs dann leichter auszuhalten, dass die überhaupt da sind.

Zum Schluss Erwartungen an die Behandlung.
Würde gerne: „Rettet mich einfach“ hinschreiben. Sowas wird aber meistens nicht so gerne gelesen. Oder gehört. „Repariert mich halt“. Hm. Geht auch nicht.
Ich finde die Frage blöd und will sie nicht beantworten. Ich müsste lügen und das ist kacke.
Vielleicht ist es keine echte Lüge, wenn ich schreibe, dass wir was klar kriegen müssen, weil wir sonst richtig zusammenbrechen, aber es ist auch nicht, was ich denke.
Solche Fragen wollen immer hören, dass man ein lieber Patient sein will und alles für den Behandlungserfolg tun wird. Das Ding ist aber, dass wir uns dahin wenden, weil wir schon alles tun bzw. getan haben, was wir konnten, das aber halt nicht reicht.
Das Feld ist noch frei. Vielleicht fällt mir noch was Knackiges ein wie: „Ich erwarte, dass mir da jemand gegenüber sitzt der mir nicht sagt, dass ich was ändern soll, aber verschweigt was.“ oder „Ich erwarte, dass ich da rausgehe und ohne Theater essen, trinken,schlafen, laufen… halt einfach besser leben kann.“ Vielleicht krieg ich da noch die Rettung untergeschoben, ohne, dass es klingt als würd ich mich da abgeben wollen.

Vielleicht bau ich mir in diesem Fragebogen auch einfach ein Nest und lass das ein anderes Innen beantworten.
Meine Chuzpe winselt immernoch und ich merke, dass mich der Satz schon wieder total runterzieht in sein fieses schwarzes Loch. Vielleicht ist das mit der Klinik so eine dieser wundergut-fantastischlimm Kisten. Ich bin nicht gut darin sowas auszuhalten.

Hänschen und Gretchen

Es gibt keine Mädchenversion von „Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein“.
Gretchen gehen ja auch nicht allein in die weite Welt hinein.
Und wenn doch, dann ist etwas an ihrem Selbsterhalt kaputt.

Hänschens Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Hänschen mehr- wird vermutlich so Vieles dahinziehen sehen, was ihr Gretchen nicht an sich hat.
Versorgung und Schutz. Familientraditionspflege.

Gretchen hat keine Hörner zum Abstoßen mehr, wie Hänschen. Vermutlich schon wurden ihr die als Baby schon mit einem Helm in den Kopf gedrückt, oder mit Gewichten, bestehend aus Rollenanspruch und Demütigung, behängt, bis sie abrissen.

Hänschen besinnt sich und kehrt zurück. Wird offenen Armen empfangen.
Gretchen besinnt sich und hat nichts davon. Sie will niemand mehr haben.

Mir dämmert, wieso die Mädchenversion kein Lied für Kindchens erste Jahre ist.
Die Realität der Gretchens ist ja sogar für Erwachsene so traurig, dass sie sich lieber die Köpfe davor verschließen.

von Bücherwissen und Seelenhingabe

Ich glaube, ich war 11 oder 12 und mein Bibliotheksausweis erschien mir wie alles, was ich je gebraucht hatte. Meine Lizenz zum Lügenmorden, mein Schlüssel zu Türen, die mir ständig verschlossen schienen. Meine Karte durchs Land hinter den Spiegeln.

In der Bücherei gab es noch Lochkarten mit Nummern, die man um Himmels Willen nicht verlieren durfte, und die zusammen mit dem Buch und dem Ausweis abfotografiert wurde.
Ich mochte die Karten. Sie rochen nach „alt“ und die Löcher kribbelten so wunderbar unter meinen Fingerspitzen, wenn ich langsam darüber hinweg strich. Diese Karten waren mir die Katze, die ich während des Lesens streichelte.

Ich las zum Zeitvertreib, zur Sättigung, zur Beruhigung. Es ging um den Akt des In-sich-geschlossen-Seins.
Es gab diese Zeit in der wir die Wohnung für ziemlich genau 2 Stunden und 20 Minuten für uns allein hatten. 10 Minuten Hausaufgaben, 30 Minuten Sailor Moon im Fernsehen und der Rest der Zeit verwob sich zu meinem Lesenest in der Höhle unter meinem Schreibtisch.
Gegenüber von unserem Wohnhaus gab es eine Kaufhalle. Eine Tafel Schokolade kostete 29 Pfennig. Meistens bezahlte ich nicht, sondern schob die Tafeln einfach in meinen Ärmel und ging wieder. Erwischt wurde ich nie- Angst davor, erwischt zu werden, hatte ich aber auch nie.

Heute morgen dachte ich, dass ich mir mal wieder so ein Nest bauen könnte.
Ich habe es immer so genossen bäuchlings auf dem Bett zu liegen, links die Schokolade oder anderer Süßkram, rechts die Lochkartenkatze und in der Mitte der Schlüssel zur Welt.
So kam es mir wirklich vor. Die Buchstaben, die Reihe für Reihe in meinen Kopf hineinwanderten und sich dort zur etwas zusammentaten, das viele Fragezeichen unter sich begrub.

Ich merke, dass ich nicht nur die Ruhe, die Geschlossenheit wünsche. Sondern auch dieses Gefühl der Sicherheit, weil ein weiteres Fragezeichen weg ist. Dieses Gefühl, das ich früher auf meinem roten Fahrrad immer hatte, wenn ich zur Bibliothek fuhr. Der Wind vorn vorn, die Schweißtropfen im Haaransatz und das Gefühl auf dem Weg zum Wissen zu sein. Wissen und Handeln.

Da gibt es so eine Krimireihe von einem Jungdetektiv, der zum Nachdenken kalte Milch und eine bestimmte Sorte Kaugummi braucht. So ähnlich ging es mir: mein Bett, meine Sachen, ein Buch und alles wird sich richten. Das Buch würde mir sagen, worauf ich meine Lupe richten müsste, aufgrund welcher Fakten womit gerechnet werden müsse.

Heute bin ich 27 Jahre alt.
Die Bücherei ist mir entzaubert als Hort des Wissens. Vielleicht liegt es am Wunsch nach Bestätigung, der erst erfüllt sein muss, bis ich mich wieder öffnen kann. Es ist eben auch- neben allem Anderen, was bei uns so passiert- so eine Phase mit Mitte Zwanzig. Die erste Midlifecrisis, die kaum einer wirklich ernst nimmt, weil es eine Mischung aus Postpubertärem: „Ich weiß schon alles.“ und Jungerwachsenem: „Ich weiß verdammt nochmal nicht, was mir noch fehlt, um zu wissen, was ich will…“ ist.539925_web_R_K_B_by_johnnyb_pixelio.de

Ich weiß grundsätzlich, was mit mir und uns los ist.
Es ist nicht die Zeit wahllos abzustoßen. Nicht die Zeit sich nicht zu verletzen. Nicht die Zeit einem Schmerz den Raum zu lassen, den er braucht und stetig pochend einfordert. Es ist nicht die Zeit, einsam zu sein. Es ist aber auch nicht die Zeit nicht einsam zu sein. Es ist nicht die Zeit, in der Schokolade links und Lochkarte rechts, der Garant für das Gefühl, in sich selbst sicher zu sein, weil es eine Ahnung von einem Plan der eventuell vielleicht klappen könnte, vermittelt. Es ist nicht die Zeit, in der wir uns verändern müssen, sondern uns auf den Prozess selbst einlassen müssen.

Es ist die Zeit, die begann, als die Lochkarten verschwanden und durch ein Scannersystem ersetzt wurden.
Es ist die Zeit, in der wir uns klar machen müssen, was wir können, was wir haben, was wir wie jederzeit noch beeinflussen können, obwohl plötzlich fehlt, was immer da war.

Es ist die Zeit, in der wir uns hingeben müssen, obwohl wir alle wissen, dass es noch nie schlau war, dies zu tun.

Klapse und Leute, die denken, sie hätten Erfahrung damit

Oh man… ob das jemals ein Ende nimmt?
Das Thema „Psychiatrie“ kommt auf und bumms!- kleben die Rosenblätter überall an der Decke verteilt.

Dieses blöde Kurz-vor-in-die-alte-Ohnmacht-kipp-Gefühl, dieser Wutstrudel, dieses Bedürfnis in die dumm labernden Gesichter reinzubrüllen, die Körper, auf denen die stecken, durchzuschütteln, nur um bloß nicht sofort in Tränen aufgelöst dahinzuschwinden, wie ein Schneemann im Juli.

Ich hab einen Spaziergang gemacht vorhin. Das hilft meistens. Heut ist Tag 1 vom wieder mit dem Rauchen aufhören und ich fand die Klapse als Stressgrund für doch wieder Kippen zu kaufen doppelt zu niedrig.
Und dabei hab ich gemerkt, dass mich (also mich jetzt als Einzelinnen von uns Rosenblättern) gar nicht mal die Psychiatrie so an sich aufregt, sondern so auch die Leute, die mir gegenüber so tun, als hätten sie Ahnung davon was „Psychiatrieerfahrung“ ist.

Die hatten meinethalben vielleicht mal ne erstes oder zweites Date mit dieser janusköpfigen Hybris. Waren mal 3 Tage bis 3 Wochen zur Krisenintervention oder Diagnostik in der psychiatrischen Abteilung ihres Kreiskrankenhauses, das ne Warteliste hat und vielleicht sogar 4-5 stationäre Therapieplätze. Haben vielleicht mal ne depressive Episode gehabt, oder mal n halbes Jahr nichts essen können oder was weiß ich. Den gings halt mal halbes Jahr richtig grottig und die sind dahin und die tollen Doktores haben sie fein wieder hingebogen.

Und deshalb stehen sie da und sülzen irgendeinen Mist von „Selbstbestimmung geht auch in der Psychiatrie“ oder zweifeln einfach, weil sies können, an dem was wir so für Erfahrungen gemacht haben.
Was ne arrogant-privilegierte Kackscheißenlaberei!

Ja nee- es ist keine Psychiatrie-Erfahrung, wenn man nicht fixiert wurde. Abknallende Medis nehmen musste, weils einem einer gesagt hat. Ist auch keine Psychiatrieerfahrung, wenn man nicht erlebt, wie das ist, wenn alle „Muh“ hören wollen- man selber, aber eben nur „Mäh“ kann und dafür seiner Freiheit beraubt wird- vor aller gesellschaftlicher Augen, die einfach nur nicht sehen wollen, wie es ist und einem immer wieder ne Wahl unterschieben wollen, die de facto nicht da ist.

Ja echt Sorry- wenn ihr das nicht erlebt habt, dann habt ihr eben nicht die volle Macht der Psychiatrie am eigenen Leib erlebt und dann habt ihr mir gegenüber einfach gefälligst die Fresse zu halten mit diesem Kackscheiß!

Keiner muss, wie wir als Jugendliche, eine Klinik nach der anderen durchgeeiert haben. Uns wollte keiner haben und „der Gesellschaft“ gehen wir bis heute am Arsch vorbei- ein Gefühl, das ich echt keinem gönne.

Aber ehrlich- nennt so ne kurzen Abstecher ins Land der Psychos und Abgründe der menschlichen Seele weder „Psychiatrie-Erfahrung“ noch „Ich weiß, wie du…“. Das ist ne Lüge und ne Ohrfeige, um die ich nicht gebeten hab.

eine multiple Persönlichkeit ansprechen…

…geht eigentlich ganz einfach: Mund aufmachen und lossprechen.

Ich schrieb bereits, dass die Begrifflichkeit „multiple Persönlichkeit“ für uns schief ist und wir die Bezeichnung: „Mensch mit dissoziativer Identitätsstruktur“ sinniger empfinden. Beim Thema „Ansprache“ und vielen Kleinigkeiten drumherum, bemerke ich die Folgen des schiefen Begriffs auch wieder.

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„Uh- viele Persönlichkeiten- Singular oder Plural?“, fragen sich manche Menschen, obwohl sie es eigentlich mit einem (Singular) Menschen zu tun haben, der in sich eine subjektiv wahrgenommene Gruppe (Pluralität) trägt.
Wir biegen uns inzwischen jede Ansprache hin, wie wir sie aufnehmen.
Sprechen von „wir“, wenn wir uns als Einsmensch meinen, von grundlegenden Entscheidungen oder Umständen, die uns alle betreffen, sprechen. Sagen aber „ich“, wenn nur einer von uns über etwas spricht, das er allein so wahrnimmt und denkt- was etwas sein kann, was andere Innens entweder nicht einmal wissen oder auch ganz anders empfinden und denken.

In manchen Kontakten oder Situationen, erleben wir es als übergriffig immer im Plural angesprochen zu werden.
„Ihr macht ja dies und das, so gut…“, „Ihr seid ja so und so…“; „Ihr könntet doch dies und das…“, „Macht ihr mal dieses und jenes für mich?“.
Immer wurden wir so als Einsmensch angesprochen, obwohl das, worum es ging nur von Einzelnen gemacht wird, bzw. ein Bild nach außen durch die Art Einzelner von uns entstand.

Da taucht zum Beispiel im Kontakt mit HelferInnen jemand auf, der kompetent ist und emotional belastbar. Das ist so jemand, der locker viele Hebel in Bewegung setzen kann und als gute Fürsprecherin auftreten kann. Doch dann sagt die Helferin: „Ruft ihr mal gerade da und da für den Klienten an und…?“.
Nein, können wir nicht- kann nur dieses Innen, das da gerade vor ihr sitzt. In der Frage: „Ruft ihr..?“, ist für uns impliziert, dass wir als Einsmensch das könnten. Was aber so, zumindest für unser Empfinden, nicht wahr ist.

Natürlich kann der Körper das- aber nur mit der richtigen Füllung und die ist eben nur dann passend, wenn wir uns in dem Kontakt selbst befinden. Sind wir wieder zu Hause, ist ein anderes Innen da und dieses kann es eben nicht- macht sich aber fertig, weil es serviert bekommt, dies doch aber können zu müssen, weil im Notizbuch steht: „Ruft mal da und da an“ oder, weil es vielleicht von irgendwo im Innen mitbekommen hat, dass es den Anspruch an uns alle gibt, dies zu tun, bzw. das Denken, dass wir es alle könnten- „sonst hätte derjenige ja doch nicht uns alle angesprochen…“ und dann kommt der zerstörerische Entsprechungswunsch. Das Gefühl bei dem Menschen „unten durch zu sein“ (mit allen Konsequenzen, die man früher immer erfuhr), wenn man dem nicht entspricht.

Wir fahren ganz gut damit vornehmlich im Singular angesprochen zu werden- in der Therapie mit dem Anstoß mal zu gucken, wer sich davon noch angesprochen fühlt.
Oder in so einer Situation, wie mit der Bitte um einen Anruf in Fürsprecherinnenposition: „Kannst du oder jemand bei euch, da und da anrufen?“.

Den Plural haben wir ganz gerne bitte nur für uns. Es ist unser Empfinden- ein rein subjektives Erleben, Viele zu sein im Innen. Das Außen kann gern von „den Rosenblättern“ sprechen, wenn es etwas meint, was uns als Einsmensch betrifft, aber Fähigkeiten und Zuschreibungen betreffen einfach immer nur Einzelne von uns bzw. liegen nur Einzelnen von uns inne.

Es gab auch einmal die Frage, ob sich jemand im Innen dann ungesehen fühlt, wenn man immer nur den, der vorn ist anspricht. „Ich will doch zeigen, dass sie alle okay sind und willkommen.“.
Ach wie löblich… und unvoreingenommen- aber ist das wirklich wahr? Sind auch jene willkommen, die dich hassen, beschimpfen, dir Angst machen oder mit ihrem Leid komplett überfordern? Sind auch jene willkommen, die dir weh tun wollen? Auch jene, die gnadenlos auf deinen wunden Punkten herumspringen, wie auf einem Trampolin? Oder möchtest du sie nur wissen lassen, dass du ansprechbar bist, solange sie sich an bestimmte Regeln halten? Sie wissen lassen, dass du weißt, dass sie auch da sind und in vielen Punkten nicht mit dir d’accord sind?

Das ist ein Unterschied.
Es gibt Momente, in denen Innens vorn sind, um eine Funktionalität im Alltag aufrecht zu erhalten. Nur sie anzusprechen, kann in jedem Fall dazu führen, dass sich Innens ungesehen fühlen, denen es sehr schlecht geht- unabhängig davon, ob es sich um die Therapeutin oder eine Gemögte im Außen handelt, die so agiert.
Es ist aber nicht besonders schwer, beiden Seiten das Gefühl zu geben, sie werden wahrgenommen. (Obwohl- naja, ich empfinde es zumindest nicht als besonders schwer- kann aber sein, dass das mein „Multi-Plus“ ist.)

Anstatt ausschließlich über Alltagsdinge zu sprechen, kann man genauso auch immer wieder etwas einflechten, das unterstreicht, dass es im Hintergrund schwierig sein kann. Zum Beispiel indem man sagt, dass man sich vorstellen könnte, dass es gerade für andere im Innen schwierig sein könnte. Oder einfach direkt fragt: „Boa, du rührst ja gerade in ganz schön vielen Töpfen- rühren die anderen auch mit?/ Hast du noch Zeit etwas für die anderen Innens zu tun- haben sie noch Platz oder ist es gerade zu viel für sie?“.

Man merkt, denke ich, an den Beispielen schon, dass so eine Kommunikation viel Nähe erfordert.
So kann man nur mit Menschen sprechen, die a) ein Wissen über die DIS haben und b) einfach nah dran sind und mehrere Innens direkt „kennengelernt“ haben.
Jemand ganz weit außen, wird solche Gespräche schlicht nie mit jemandem führen der Viele ist- und wenn er es versucht, wird er unter Umständen übergriffig.

Wenn wir Emails auf den Blog bekommen passiert uns das zum Beispiel ganz gerne mal.
Dann spricht uns jemand in einer Reaktion auf einen persönlichen Blogartikel durchgehend im Plural an- übersieht aber, dass der Artikel in der Einzahl geschrieben wurde. Dass es also einem Einzelnen von uns vielleicht nicht gut geht. Das heißt aber nicht, dass es das gleiche Innen ist, dass auch die Emails beantwortet bzw. , dass es uns allen so geht.

Und um das Ganze noch ein bisschen zu verkniffeln Folgendes:
Auf welche Art man gerne angesprochen werden möchte, ist bei jedem Menschen mit DIS anders.
Ich habe auch schon Menschen mit DIS getroffen, die den reinen Plural als gut für sich empfinden, weil dann mehr Innens „zuhören“. Und auch einen Menschen mit DIS, dem der Plural so viel Angst gemacht hat, dass es immer wieder einen Wechsel zu jemandem gab, der die DIS negierte.
Und- als Sahnehäubchen der Kniffelei noch obendrauf: Der Wunsch verändert sich vielleicht auch mit der Zeit!

Als Laufzettel kann ich also nur mitgeben: Mund aufmachen und losreden. Fragen, wie es stimmig ist und Platz für Veränderungen lassen. Achtsam sein und die Grenze zwischen objektiver und subjektiver Wahrnehmung im Blick behalten. Sich vielleicht zwei Mal fragen, was man jetzt genau ausdrücken möchte. Wen genau man anspricht und in Bezug worauf.

Wir halten es inzwischen so, dass wir uns unbeabsichtigte Übergriffigkeit durch Pluralnutzung bei fernen Kontakten von selbst zurecht wurschteln, wie es passt. Sie kennen uns nicht und dann passiert es eben. Wir müssten sie näher an uns heran lassen, damit die Ansprache gut klappt. Müssten mehr von uns zeigen und erklären. Doch, ob wir das wollen oder nicht, entscheiden wir allein für uns.

Ich hoffe, dass dieser Artikel vielleicht ein bisschen Klarheit in das “ „Du“ oder „Ihr“?“- Dilemma bringt.
Wenn nicht: die Kommentarfunktion ist an.