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Bank221

„Ich würde wirklich gern mit meiner Mutter sprechen.“
– „Warum?“
„Weil es angeboren ist.“

– „Es wird nichts verändern, Hannah.“
„Ja. Vielleicht.“

“Fehlerbekämpfung”

Kennst du diese Filme, milchig verträumspielt, glitzernd und leicht. Es geht mehr um Atmosphäre und Gefühl, als um die Bilder.
Am Ende ist da Leere und die Rasierklinge in deiner Hand ist nicht mehr, was sie ist.

In so einem Film hört man im Hintergrund immer ein Windspiel oder ein Xylophon, das so tut als wäre es eins. Es gibt Text, den man in der immer gleichen Moll-Tonart gesprochen hört und die Worte der gezeigten Menschen werden zum Stimmenwind_spiel.
Kurze Sätze. Nichts weniger.
Als Kunst.

Irgendwie so.
Tropf tropf.

Ich denke manchmal, ich bin zu alt für den Scheiß.
Vor 600 Jahren noch, wurden die Menschen in Europa etwa 30 Jahre alt und ich werde in 2 Monaten 29.

Mein erstes weißes Haar habe ich nicht wachsen sehen und bin traurig darüber. Ich habe es erst entdeckt, als es bereits wie eine kleine Antenne aus meinem Scheitel ragte. In meinem eigenen Kunstfilm wäre es eine Aufnahme mit wanderndem Schärfebereich und Linsenpunkten.

Das Tropfen auf den Boden, wäre vielleicht eine schwarz-weiß Aufnahme.
Es hätte so viel WÄMMS wenn anderer Menschen Augen das Schwarz von aus mir raus sähen.
Es wäre so traurig.

Kennst du diese Filme, die eigentlich nichts erzählen. Dich aber berieseln mit milchigem Bilderfluss und Windspielplinkerplänker.
So ist mein Bluten von dem ich denke: Ich bin zu alt für diesen Scheiß.
Es sind bald 20 Jahre Selbste verletzendes Verhalten. Schlitzritzratz. Bluttropftropf.

Ich bin zu alt um nicht mehr zu sein. Wenn man etwas angefangen hat, dann sollte man es auch zu Ende gehen lassen können.
Und aufhören zu versuchen, es gar nicht erst zu beginnen.
Wenn etwas angefangen hat, dann geht es nicht mehr zurück.
Es geht nur noch so, wie es gehen kann.

In mir drin ist die Erinnerung daran, wie sehr ich ein Fehler war. Bin.
Nicht “wie ich bin”, nicht “was oder wer ich bin”, sondern ich. Physisch, psychisch, Ich.

Wie gut, dass entschieden ist, dass ich ein Fehler bin.
In meinem Film, wäre das ein Bild von meinen Füßen. Leicht überbelichtet, milchig, Fokus auf die Fesseln.
Links und rechts tropft es fast unmerklich auf den Boden der Tatsachen und man hört das Schluchtzecho mehr, als das Weinen selbst.

Ich habe die Angewohnheit zu denken, wenn man ein Fehler sei, dann müsse man sich berichtigen.
Obwohl gerade Fleischgeist gewordene Fehler nicht gerade dafür bekannt sind, irgendwann berichtigt zu sein. Am Ende ist es das Los des Fleischfehlers ein ewiges Mahnmal zu sein.

Kennst du diese Filme, die kurz nach der Erstausstrahlung als Thinspirations in deinem Fress-Kotz-Hungerhungerhungerforum auftauchen. Verlinkt auf irgendeinen nicht europäischen Server. Out of focus. Out of space. So wie du mit diesem Hungerbauch voller Lebensmittel, die deine Lunge quetschen und in mühevoller Arbeit auf kalten Fliesen rausgewürgt werden müssen. Müssen, weil es so  weh tut. Weil es einfach zu viel ist um rausgeblutet zu werden.

Dafür verwendet man ebenfalls viel Licht. Harte Schatten. Der Fokus liegt auf dem Aufklatschen des Erbrochenem.
In meinem Film wären die Hände zu sehen. Das Rauschen. Dieses Moment, in dem man mittendrin nicht mehr kann, nicht mehr will, nicht weiß, wer wo wann wieso man ist. So viel mehr als weniger.

Das Rauschen wäre mein Windspielplinkplank.
Die Stille, die direkt aufs Gedankenhören drückt.

Mein Film wäre eine lange Reihe von Schreitoden, die man überleben wollen muss.
Weil es kein Ende gibt. Keine schlichte Buchstabenzeile, die dich wissen lässt, dass alles gut wird.

Vielleicht gäbe es ein Stillleben am Ende. Eine Aufnahme von 20 Sekunden, in dem das, was ich in einer einzigen Fressattacke esse, angeordnet ist. Neben dem Verbandszeug, den Klingen. Einem Zettel auf dem steht:
Ich bin seit 29 Jahren und kämpfe seit 20 Jahren dagegen an.

“Fehlerbekämpfung” könnte er heißen.
Und nichts verändern.
Aber ich hätte gezeigt, dass ich versuche, etwas wieder gut zu machen.
Etwas Jemanden Mich zu berichtigen.

Leben, lernen, Viele sein 2.0

“Du hast doch hier … Foto – Wasser und so Schnecken und Zeugs .. Foto…”, hatte er gesagt, “Willste die nicht auch mit ausstellen?”, hatte er gefragt.
Und Frau Rosenblatt stand da und “antwortete”: “Öh, wurschtel wurschtel blasülz schwallawurschtel…, ja ….?” und die Erde drehte sich weiter.

Es heißt, man lerne für das Leben in der Schule.
In Wahrheit lernen wir gerade eine Facette von Leben, die für uns ganz lange verloren geglaubt war und jetzt auf eine Entfernung herangerückt ist, aus der wir sie betrachten, aber auch erspüren können, wenn wir das möchten. Das sind Dinge wie Anerkennung von Menschen, die weder mit uns befreundet sind, noch einen (staatlich) verordneten Gedeihauftrag an uns haben, noch nur auf uns konzentriert sind. Das sind aber auch Dinge wie, Individualität als nicht störend sondern allgemein bereichernd in einer Gruppe zu erfahren.
Das sind Erklärungen zu Fehlern, die man gemacht hat, um der Erklärung willen. Nicht zur Vermeidung einer Wiederholung oder um einen Status zu belegen.

So funktioniert das Leben nicht. Schon gar nicht unseres. Aber diese kleine Facette davon gibt es und sie funktioniert so. Und wir dürfen sie leben.

Ich merke, dass es mir im Moment sehr gut tut, mal wieder Kontakt mit Menschen zu haben, in dem es nicht um mich geht oder darum, was in der Welt fehlt oder schwierig ist oder sich verändern sollte. Und ich merke, dass es mir gut tut, Hannah Rosenblatt, die gerne fotografiert und rumkunstet und wurschtelt und ein klitzebisschen verquer ist, zu sein und nicht die Hannah Rosenblatt, die sich im Internet öffentlich zu Gewalt, ihren Formen und Traumafolgen äußert und für politischen Opferschutz einsetzt.

Ich muss nicht straight sein, ich muss mich nicht zusammenreißen auf Emails, die mich von oben herab in meiner inzwischen 7 Jahre lange andauernden völlig autonomen öffentlichen Arbeit zu Trauma und Gewalt, zurechtweisen wollen, nicht zu antworten. Ich brauche mich nicht zu verteidigen, sondern kann tun, was ich eben tue, ohne, dass ich als Konkurrenz oder potenzielle Aufmerksamkeits-Twitterfame-oder “Multiszenenbekanntheits” – Diebin gelte.
Es tut mir gut, einmal Dinge zu tun, die nicht auf einen (vermeintlichen) Status zurückfallen.

Was ich tue ist
dramatische Taschentücher zu zeichnen und als Illustration auf einem Blatt miteinander zu verbinden

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dramatische Kompositionen in Plastikfolien zu ritzen, die später als Tiefdruckplatte verwendet werden

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Gerätschaften zu benutzen, die wir vorher noch nie benutzen konnten

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zu lernen, wie wir mit unseren Gerätschaften auch arbeiten können
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zu versuchen die kleine, fast ganz erwachsene Eule und das Eulenelter, zum Leben zu erwecken

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und  ganz bewusst zu lernen, dass, wenn wir, nach einem langen Tag des Lernens und Erfüllung spüren, einen Sonnenuntergang sehen, das einfach nur bedeutet, dass wir nach Hause gehen, wo uns außer NakNak*s Wiedersehensfreude und Abendbrotshunger, nichts erwartet, was uns genau diesen Tag aus dem Bewusstsein schwemmt.

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Neben all dem Schönen und vielleicht auch durch all den Raum für Kreation und Produktion, brechen Bodenplatten unter uns auf.
Wir verlieren (Therapie-) Zeit, fremdeln mit dem Uns, das wir schon so lange leben, erinnern, statt zu schlafen, zweifeln und k.r.ämpfen.
Wir lernen “die Anderen” kennen.

manchmal…

blubbern
“manchmal denke ich,
dass ich mir ein Loch unter der Nase graben muss,
damit das ganze Kopfblubbern raus kann”