so

Jemand soll

bloss nicht

kommen.

Eine Traurigkeit. Eine Agonie so dicht, dass es sich nach Ersticken anfühlt.
Eine sumpfige Schicht unter meinem Alltagstrallala.
Wenn ich mit mir allein bin, quillt sie durch die Risse in meinem Selbst.
„Ein anhaltender emotionaler Flashback“ Schlaubi-Hannah sitzt in ihrem Intellekt-Gummiboot und nutzt jede Gelegenheit, um den Auftrieb zu erhöhen.
Der emotionale Flashback, das Kernstück der komplexen PTBS. Das Ding, das eigentlich alles an dieser Therapie, diesem Leben, diesem Heilen so schwer macht. Der Kack, den man so schwer vermitteln kann an Leute, die weniger Schattierungen von Elend und Leid kennen. Der Scheiß, der nur entstehen kann, wenn es nicht nur einmal kurz schlimm war. Sondern

eigentlich,

in Wahrheit,

wenn man ehrlich ist,

LEIDER,

egal, wie es dann im Einzelnen, Konkreten war,

immer

immer

immer

(((schlimm)))

war.

Das Wissen um dieses Symptom macht den Boden von meinem Gummiboot durchsichtig. Ermöglicht mir Sichtkontakt. Gibt mir die Chance, einen Bezug herzustellen und zu erkennen, wo er spontan passiert ist. Was der Auslöser war und was ein Auflöser sein könnte.
Wenn es um emotionale Flashbacks geht, brauche ich nicht überlegen, ob es ein Geräusch, ein Geruch, ein Gegenstand, eine soziale Situation war, die sie ausgelöst hat. Ich muss wissen und verstehen, wie sich für mich angefühlt hat, was ich erlebt habe. In meinem Alltag. Meinem Jetzt. Sonst ergibt es keinen Sinn und ist nur verwirrend und belastend.

Es hat mit der Operation angefangen. Schon vorher. Ein bisschen. Wie eine Welle von seichtem Gewässer. Weit weg. Schwach. Zu wenig für meinen Relevanzrahmen. Zu wenig für mich, um zu begreifen, dass jemand in mir, ich, etwas fühlt. Jemand soll – bloß nicht – da sein. Kann bitte – auf gar keinen Fall – irgendjemand – NIEMAND – mich – sehen? Wer kommt? Wer kommt nicht? Kommt jemand? WER? Was passiert? Passiert DAS? Nein Ja Immer immer immer für immer immer immer seit immer immer immer
Und als mein Stein im Schuh, der in Wahrheit ein Gebirge ist, zu einem Lehmklümpchen geworden war, wurde aus der kleinen sachten Welle – dem Wellchen irgendwo im fernen Traumascheißeland – eine Überschwemmung, die ewige Sümpfe hinterließ. Ziehend kalte klamme Sumpftraurigkeit. Schwappende Lähmung. Unendlich tiefes Elend. Verlassenheitsgefühle, die sich wie ätzendes Gas anfühlen. Wie eine ganz eigene Todesfalle.
„Es wird niemand kommen“, das könnte so gut helfen, wenn es helfen würde. Aber es soll ja jemand kommen. Jemand soll ja da sein. Nur nicht so. So

so

SO

wie immer

damals immer

In diesem Sumpf k.lebt nicht nur ein Innen. Ein Opferkind. Ein Kinderinnen im Traumafreeze. Eine einzige Erfahrung, die ich prozessieren muss. Ein Blick, ein Reality-Check und zack bumm trilili sigh of relief.

Das ist etwas, das ich aus meinem Leben kenne und runterdrücke bis ich nicht mehr kann. Dann breche ich kurz zusammen und gehe weiter. Weil keiner kommt. So wie ich das brauche. Will. Möchte.
Ich kann nicht vorleben, wie der Umgang sein könnte. Wie diese Traurigkeit, diese wirre Widersprüchlichkeit zwischen Wollen, Durchhalten, Aushalten, Warten, Hoffen und Wünschen, Realitäten, Ängsten und Nöten, irgendwie geklärt werden kann. Wie die weggehen kann. Denn in meinem Leben geht sie – in Bezug auf ganz andere Sachen – weit weniger traumatische Grauenhaftigkeiten – ja auch nicht weg.
Außer mir ist niemand

so

für mich da.

Das ist nicht genug für eine Auflösung.
Aber das kann ich durch die kleine Scheibe in meinem Gummiboot vermitteln. In den Sumpf einsickern lassen.
Ich bin da.
Ich bin so.

So wie jetzt.

languishing Selbstgefühl – was pandemiebedingte Isolation und Psychiatrie für Wunden schlagen

Am Dienstag hatte ich einen Thread zu „Corona-Erschöpfung“ in meiner Twittertimeline.
Darin wurde eine für mich neue Vokabel verwendet. „Languishing“. Google-Translate übersetzte den Begriff mit „schmachten“ und in mir verband sich die Erinnerung an eine frühere Mitpatientin von uns, die ständig von ihrem Schmacht nach einer Zigarette, Alkohol, einem Joint erzählte.
Languishing is a sense of stagnation and emptiness. It feels as if you’re muddling through your days, looking at your life through a foggy windshield. And it might be the dominant emotion of 2021.„(Link zum Artikel, NY-Times, englisch)

Diesen Satz hätte auch ich mit 15, 16, 17, 18 schreiben können. An einem kühlen glatten Tisch vor einem Kunststofffenster, in einem sauberen Zimmer, das wie ein Hotel eingerichtet über lange Zeit mein Zuhause war. Wo fremde Menschen zum Dienst kamen und mir weder Eltern noch Freund_innen, aber doch versorgend, oft herzlich, immer über_wachend waren. Wo jeder Schritt beobachtet, eingeordnet und bewertet aber nur selten in mir kontextualisiert wurde. Wo ich – inmitten von vielen anderen Mitpatient_innen und Stationen drumherum – emotional wie sozial geschmachtet habe.

Es ist schwierig für mich ganz konkret zu beschreiben, was da gefehlt hat. Heute würde ich es als „soziales Hintergrundrauschen“ beschreiben. Als „das weiße Rauschen der Freiheit“, als „unterbewussten Takt der Normalität“. Und zwar, weil es bei dieser lange anhaltenden Deprivation nicht um den Entzug von Licht, Luft oder sozialer Interaktion ging, sondern um den Stoff aus dem Familie, Zuhause, Intimität, Vertrautheit und der Sicherheitsgefühle, die sich daraus entwickeln, gemacht ist.

Die Parallelen zur heutigen Situation sind frappierend, wenngleich die Unterschiede (glücklicherweise) ebenfalls. Auch damals gingen wir selten raus. Erst, weil es einen Beschluss gab, der es uns verbot, dann weil es kaum einen An_Reiz gab. Klar waren wir in der Stadt, haben Musik oder Kleidung gekauft, aber keine Freund_innen, keine Familie, keine Sehnsuchtsorte zum Besuchen gehabt. Die Umgebung war steril, wir der Keim, die Klinik unser Behälter. Es gab Interaktion aber kaum Ver_Bindung.
Dieses Zurückgeworfen sein auf sich selbst und das eigene Verhalten ist, was vielen Menschen kurzfristig helfen kann, um die Schwierigkeiten, in denen sie sind, zu begreifen und aus Re_Aktionsschleifen herauszukommen, die sie unfrei machen, weil sie sie mit dem Außen verwickeln und ver.w.irren. Über lange Zeit hinweg jedoch kommt es zu einem Verlust von etwas, das man braucht, um sich selbst überhaupt (ganz) wahrzunehmen. Man ist ja immer man selbst, aber wo beginnt man selbst und wo eine andere Person? Wie soll man das herausfinden, wenn da keine andere Person ist? Oder sehr viele Personen von denen keine mehr Nähe zulässt als es die professionelle Distanz erlaubt? Wie soll man sich als Teil von der Welt begreifen, wenn man von der Welt isoliert ist?

Menschen, die während der Pandemie praktisch die ganze Zeit zu Hause sind, bemerken jetzt, wie sehr der Weg zur Arbeit, das Milchschaumherz auf dem Kaffee mit dem kleinen Keks neben der Tasse auf der Veranda eines Restaurants, das Geknittel mit den Kolleg_innen, die Gelegenheiten, zu denen man die unbequeme Hose anzieht, weil man glaubt damit würde man ernster genommen, auch sie ist. Dass das nicht nur Dinge sind, die sie erleben und gestalten, sondern auch sie selber sind. Und das ist nun weg.
Das ist, was allen entzogen wird, die länger in einer Psychiatrie oder einem Pflegeheim sind – das ist aber auch, was zum Beispiel schwerbehinderten Menschen erschwert zugänglich wird, wenn die Mobilität verweigert oder Assistenzen verwehrt werden.

Was mich an dem Artikel und dem Thread berührt ist, dass es mir das Ausmaß des Schadens der Psychiatriezeit kontextualisiert.
Es ist das eine mit einer Biografie zu leben, in der das überhaupt passiert ist, das andere zu begreifen, dass das Gefühl, das ich seit einem Jahr mehr oder weniger aktiv weg reorientieren muss, ein emotionaler Flashback auf diesen Hunger, diesen Schmacht, nach sich selbst ist, hinter dem das Gefühl der drohenden Vernichtung des eigenen Ich, des eigenen Selbst steht.
Es ist anders, ja, aber doch auch nicht viel anders als Todesangst. Es ist Selbst_Verlustangst. Ja, die mag nicht existenziell sein, die mag nicht weh tun, aber sie wirkt genauso extrem ein, wie jede andere Vernichtungsangst.

Es hinterlässt ein emotionales Trauma dieser Angst, diesem Gefühl 24/7 über Monate, in unserem Fall Jahre, ausgesetzt zu sein. Und Trauma ist Trauma. Wenn da eine Wunde ist, dann muss sie versorgt werden. Ja, obwohl kein Blut fließt, ja obwohl es dafür keine_n konkreten Täter_in gibt, ja, obwohl emotionale Traumata als Ding noch so gut wie nie gleichwertig mit Traumata durch Natur-, Krieg- und „Zwischen – Menschengewalt“ begriffen werden.
Wunde ist Wunde. Egal wie, wo, wann geschlagen. Darin kann man sich verbinden, statt sich zu vereinzeln. Dies wird jedoch schwierig, wenn man die Erfahrung dem äußeren Kontext unterordnet und weiterhin weiße bisher gesunde Leute, die Behinderungen ohne Hilfe kompensieren können, dazu interviewt wie sie die Pandemie erleben, woran sie davon erinnert werden und was ihnen hilft, damit umzugehen.