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In dem Fach mit ~dem~ Lehrer wird es eine 3 zum Halbjahresende. Meinen Frust darüber merke ich, wie durch dickes Eis. Ich bin müde. Hatte gestern einen Durchfall-Bauch- und Magenschmerztag mit viel liegen, etwas arbeiten, etwas dissen. Heute morgen kam ich zur Schule und dachte nur: Der kann mich nicht mal, so sehr will ich mir die Probleme mit ihm egal sein lassen.
Es soll mich nicht berühren. Nicht so. Nicht dafür. Es ist so egal.
Er wird es einfach nicht mehr raffen. Ich behalte meine Kraft.

“… Das, was du da hast … diese ~Krankheit ..?” Ich bin eiskalt. Es berührt mich nicht. Es trifft mich. Ich bin kalt kalt kalt. An meinen Rändern stapeln sich die Eiskristalle zu langen spitzen Stacheln, um die Entfernung zwischen ihm und mir zu füllen. “Behinderung” denke ich. “Sag doch einfach Behinderung, meine Fresse, das ist kein böses Wort, bedeutet nichts schlechtes, ist nicht ansteckend. Nenn es einfach beim Namen.”

Nichts. Ich lasse das wegplätschern. Ist egal. So egal.

Die Lehrerin in dem Fach hat mir heute gesagt, dass wir die praktische Prüfung von 6 Stunden in einem Rutsch, in 2 Teile von je 3 Stunden aufteilen. Enthinderung. Wunderbar.
Nachteilsausgleich, was bist du für ne geile Scheiße.

das Gespräch

Was ich immer wieder auch spannend finde – und ja tatsächlich auf die Art spannend, wie sie zum Streichen eines langen weißen Bartes Anlass gäbe, besäße ich einen solchen – ist die Art Beschämung oder auch peinlich berührt seins von Menschen, denen ich von meiner Behinderung erzähle, mit der Intension gemeinsam zu einem Umgang zu kommen, der weder für mich erniedrigend und schlicht nicht hinnehmbar ist (wie etwa die Notwendigkeit sich auf den Boden eines Schulklos legen zu müssen, weil sich auf die Schnelle kein anderer Ort finden lässt, an dem es einem einigermaßen privat grottenschlecht gehen kann) noch für andere Personen mit Überforderung oder auch dem Eindruck verbunden ist, irgendwie benachteiligt oder gestört zu werden.

Dass ich mit dem Lehrer, dessen Verhalten am Vortag massiv dazu beigetragen hatte, nicht zu sagen: “Äh – du ich kriege gleich einen Krampfanfall – wo ist bitte ein ruhiger Raum/eine stille Ecke/ eine Möglichkeit das hier nicht zu einem riesen Ding werden zu lassen?” , noch nicht gleich reden konnte, war mir klar. Vielleicht, werde ich das erst nächste Woche können, oder in zwei Monaten. Mir ist das erst einmal egal, weil ich weder den Lehrer noch den Kurs im Moment als etwas erlebe, das ich akut wirklich brauche. (Letztlich brauche ich ihn natürlich doch, weil meine Mappe auch solche Sachen, wie die, die wir da machen können, braucht.)
Wichtig war mir einen “Verbündeten” zu finden, dem ich sagen kann: “Hör mal – ich lebe mit diesen Krampfanfällen und ich brauche einen Landeplatz, an den ich gehen kann, wenn ich merke, dass einer anrauscht und ich brauche eine Person, die davon weiß, damit es im Fall, dass ich es mal nicht mehr dorthin schaffe – ja sorry diese Möglichkeit gibts auch – jemanden gibt, der anderen Leuten sagen kann, was los ist.”
Ich habe also versucht eine Ver-Bindung herzustellen und ich glaube, wie schwer so etwas Personen fällt, denen genau das immer wieder zum (lebensbedrohlichen) Verhängnis wurde, kann man sich ein bisschen vorstellen.

Ich habe mir am Abend nochmal durchgelesen, was das schlaue Buch zu gewaltfreier* Kommunikation so rät, habe im Internet nach Texten und Foreneinträgen gesucht, in denen es darum geht, mit Menschen, die nicht mit der gleichen Behinderung wie man selbst leben, über solche Dinge zu reden.
Selbstverständlich habe ich das noch am gleichen Abend gemacht, obwohl mir jeder Muskel wehgetan hat und ich eigentlich Dinge wie menschliche Nähe und Wärme, Trost und das Gefühl von aufgehoben und nicht verlassen sein, gebraucht hätte.
Aber hey, man kann ja nicht alles haben. Das Leben hart und die Welt ist kalt – nach 8 Jahren Herzischaukeln im Kuschelparadies ohne Lohnarbeit oder Bildungsmaßnahmen unter anderen Menschen, darf man sich auch nicht so verhätscheln. (Ja – mein Kopf denkt solche Sachen wirklich, lacht sich aber gleichzeitig auch aus dafür, weil klar ist, was das für ein Schwachfug ist)

Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren, hätte nicht wieder in die Schule gehen können. Sie hätte vielleicht im Sekretariat angerufen, den Bildungsvertrag gekündigt und sich auf unbestimmte Zeit mit Dingen wie hungern, fressen, sich aufschneiden, Medikamente überdosieren oder 24/7 Deals mit Täter_Innen eingelassen und sehr wahrscheinlich an keiner Stelle etwas von ihren Gefühlen und Gedanken abgestellt.
Die Hannah Rosenblatt von vor 8 Jahren hätte schlicht keine gehabt.

Heute weiß ich, wie auch politisch mein Re-Agieren in solchen Situationen ist. Für mich ist es keine persönliche Agenda, die sich um meine Flauschgefühle dreht, wenn ich an einen Ort gehe, an dem ich mich einige Zeit am Tag bewege und schaue, wie dieser mit meiner Behinderung nutzbar ist.
Zu einer persönlichen Sache gemacht, erlebte ich aber meine Formulierung dessen, als ich dann vor dem Leiter des Fachbereichs stand und ihm zuhörte.
Ich weiß jetzt nach ein paar Gesprächen und Austauschen und auch eigener Reflektion, dass ich alles richtig gemacht habe, aber vor einer Person stand, die mir zum Einen nicht den gleichen Respekt entgegenbringt, wie ich ihr und zum Anderen, vermutlich noch nie bewusst und aktiv mit der Behinderung eines anderen Menschen umgegangen ist, weil sie es nie musste.

Ich stand in diesem Büro, gestählt aus tausend Gesprächen dieser Art in der Jugendhilfe, den Hilfen für junge Erwachsene, der Psychiatrie, jeder – wirklich jeder – “Diskussion” im Internet und dieser etwa 25 Jahre ältere Mann fängt an, mir eine Vermeidungstanzrevue vorzumachen, die den Titel “ein Kessel Buntes” sehr gut tragen könnte.
Erst die Leugnung eines Problems über Derailing, dann der Apell an mich “dramatisier mal nicht”, dann die Individualisierung des Leidens unter der Situation, dann der oberpeinliche Versuch mir ein Vorbild und Role-Model zu sein “ich würde an deiner Stelle…” und dabei zu vergessen, dass ich diejenige mit den Anfällen bin und nicht er, dann kommt der Höhepunkt über den Versuch mich mit völlig unangebrachten Komplimenten zum Schweigen zu bringen “Hannah du hast Talent und du bist ein toller Mensch – echt jetzt”, die ich – 10 Jahre Psychotherapie olé! – mit einem schlichten “Ja, weiß ich, danke.” beantwortete, was er dann wiederrum scheiße finden musste, damit er mich darauf hin als borniert in die Situation stellen kann und seinen Vermeidungstanz mit einem lösungsbefreitem Schweigevorhang beenden konnte.

Ich glaube, es war ihm peinlich und wirklich unangenehm sich von mir angesprochen zu sehen. Vielleicht hätte ich ihn noch mehr flauschen müssen in der Situation, aber ehrlich gesagt halte ich es für falsch, mir solche Dinge, wie einen ruhigen sauberen Ort zum Krampfen bzw. zum gegen das Krampfen anarbeiten und ein Miteinander in dem meine Behinderung wenigstens bekannt ist, quasi zu erschleichen oder zu ermanipulieren. Mal abgesehen davon, dass einfach nicht gut darin bin, Menschen zu manipulieren oder “mir zurecht zu biegen” oder sowas. 

Es ärgert mich, dass das Gespräch so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, weil ich jetzt zwar weiß, dass es einen ruhigen Raum gibt, aber noch immer keinen Notfallkontakt unter der Lehrer_Innenschaft habe und also im Fall des Falls immer noch genug Kraft und (neurologische) Fähigkeit haben muss, um Personen, die keine Ahnung haben und vor denen ich vielleicht in dem Moment auch ein bisschen Angst habe oder so, zu sagen: “Bitte schließ mir den Raum auf, ich darf da sein.”.
Ich fühle mich allein gelassen mit etwas, das nicht nur mit mir allein zu tun hat, aber nur so betrachtet werden will.

Und ich kann das verstehen.
Wenn man mit Menschen mit Behinderungen immer wieder so umgeht, als sei das Leben mit einer Behinderung eine Privatsache, die ganz eigentlich ergo im öffentlichen Leben keine Rede wert sein darf, dann sind solche Haltungen wie von dem Fachbereichsleiter logisch und üblich.
Ich habe gemerkt, dass ich ihn mit meiner Festigkeit im Thema irritiere und überfordere. Dass ihn meine Forderung nach Würdigung meiner Gefühle von auch Demütigung und nach einem Umgang mit solchen Situationen, der ihn mit einbezieht, auch erschreckt, weil plötzlich Grenzen (Barrieren) für ihn sichtbar wurden, die lange nicht sichtbar waren.
Deshalb habe ich ihn letztlich auch in Ruhe gelassen, obwohl ich genau weiß, dass es nur einen Krampfanfall die Treppen runter dauert, bis er seinen Bezug zu meiner Behinderung unumgänglich fühlt, weil ihm dann nämlich Versicherung und Schulleitung aufs Dach steigen und Schuld ein Thema wird, das dann wieder zu mir wandern muss und letztlich wieder für mich einen Bildungsweg verunmöglicht.

Ich bin 28 Jahre alt und dort, weil das die einzige zeitlich flexible Vorbildungsoption für mich ist um meinen Lebenslauf aufzumotzen, um mich irgendwo zu bewerben, wo man mich am Ende mit 100€ im Monat entlohnt, wo andere Menschen etwa 1.200€ erhalten.
Mein Leben ist kein Ding in dem ich mir den flauschigsten Ort für mich suchen kann, weil es ja so wahnsinnig viele Optionen gibt.

Ich weiß, dass ich von Menschen, die ihr Leben lang nie so massive Abhängigkeiten gefühlt haben, wie ich, nicht erwarten kann zu verstehen, wie groß der Druck für mich ist, mich zurecht zu finden und freiwillig am Leben zu bleiben.
Aber ich weiß auch, dass es keine falsche Forderung an diese Menschen ist, meine Behinderung als Teil eines gemeinsam verlebten Tagesgeschehens zu sehen, die einen bestimmten Umgang miteinander erfordert.

Wie es jetzt weiter geht, weiß ich noch nicht.
Aber das weiß ich im Moment ja sowieso in Bezug auf nichts in meinem Leben und vielleicht muss ich das jetzt einfach aushalten.
Das Leben ist hart und die Welt ist kalt.

K.r.ämpfe

Es ist eine Autoritätsperson, die ihr etwas beibringen soll.
Sie möchte das. Fragt an dem Kloß im Hals vorbei. Wird losgeschickt. Ohne Zielangabe. Um der Erfahrung Willen. Natürlich. Wozu auch sagen, was auf sie zu kommt? Wozu auch vorbereiten – das Leben fragt auch nicht.
Die schwarze klebrige Farbe schwemmt Ekel hoch. Sie soll sie auf der Platte verteilen, mit Gaze in die Rillen drücken und vom Rest abwischen. Sie reibt und schiebt gegen das Erbrechen an. Ist still, wie die Jugendlichen um sie herum.
Es redet ein Junge im Kumpelton. Unter Kumpels ekelhaftes Zeugs anfassen, nicht wissen worum es geht – irgendwo wird nach Wörtern gejagt, um Luft gekämpft.
“Oh G’tt heute wurde so viel um irgendwas zum Festhalten, um Klarheit, um ein Später gekämpft.”. Die Welten krachen kreischend ineinander.

Es wird immer mehr ekelerregende klebrige Schwärze. Sie schaut hoch. Sieht in ein leeres Gesicht, das sie betrachtet. Erschrickt. Macht ihr verqueres Lächelgesicht. Reibt weiter. Die Autorität guckt. “Ich glaub, ich hab zu viel Farbe genommen – kann ich was tun, um…?” – “Ja ist gut, dass du zuviel genommen hast- das ist ne Erfahrung. Ohne gehts nicht.” umgeht er ihre Frage. Sie reibt. Kann sich wieder nicht durchsetzen.
Der Lehrer geht durch den Raum und redet von der Wichtigkeit von Fehlern. Alle wissen, dass es um sie geht. Niemand sagt etwas. Niemand sagt ihr etwas.

Sie steht auf. Sucht den Wasserhahn. Er steht vor ihr, breitet die Arme aus, versperrt ihr den Weg. “Nee jetzt nich Hände waschen, mach doch weiter – das ist doch…”

“Ja blöd ist das. Total blöd. So blöd. Ich bin so blöd. Ja ich bin so blöd. Ich bin so blöd, dass ich dachte, du bringst mir was bei. Ich bin so blöd. Wieso bin ich immer so blöd. Wieso gehe ich auch hier hin?”. Sie sagt: “N… kann nich.”.
Im Inmitten hat es zu schreien angefangen. Ein erster Krampf in der linken Hand bahnt sich seinen Weg.

Sie zieht sich an. Zittert, haspelt, stolpert mit ihren Lauten durch den Raum. Will was sagen und kann nur wurtscheln. Ein Kumpeljunge lacht. Ein zweiter stimmt ein. Kein Beistand. Keine Beruhigung. Kein Raum. Keine Luft. “Wieso bin ich so blöd Wieso bin ich immer so blöd Wieso bin ich hier hingegangen Wieso hab ich was gesagt”

Ein Zucken, das im Krampf endet. Lichtblitze. Rauschen im Kopf.
Wieso bin ich so blöd Ich habe vergessen, nach einem ruhigen Raum zu fragen Ich habe vergessen, mir einen Notfallkontakt unter den Lehrer_Innen zu besorgen Ich habe vergessen, mir ein Netz für solche Fälle zu machen Ich habe vergessen, nicht nur okay gefunden werden zu wollen

Ich habe vergessen, jemandem von meiner Behinderung zu erzählen
Ich habe vergessen mein Lernumfeld barrierenärmer für mich zu machen
Ich wollte hier nichts von “diesem DAS DA” haben

und liege kurze Zeit später auf dem Boden eines stinkenden Schulkos.
Hoffe, dass niemand – keines der gefühlten tausend Kinder und Jugendlichen, die im Schulgebäude herumlaufen – reinkommt und mich so sieht.

Ich weine ein bisschen, schaue der anderen beim Erdungstwittern zu, bemerke, wie andere überlegen, ob sie einfach in einen anderen Kurs gehen. Höre Gedanken zu einem Projekt, zu einer Gemochten, die wie ein weißes Rauschen schon den ganzen Tag begleiten. Das Inmitten ist still. Weint statt mir weiter. In meinem Innen herrscht Ebbe mit Springsinflut.
Die Erde dreht sich weiter.
Das unwillkürliche Zucken bleibt.
“Ich muss endlich einen Termin bei diesem special Neurologen machen”, raunzt es neben mir. Jemand wechselt Strumpfhose und Unterwäsche. Tastet den Kopf ab. Es ist so eine erbärmliche Krisenroutine. Oder erbarmungswürdig. So richtig weiß ich nicht, was ich dazu fühle.

Der Lehrer ist so einer, der sich vielleicht entschuldigt, aber nicht nachfragt, was schwierig ist. Er ist einer, der gesagt bekommen will und nicht begreift, was für ein Umfeld manches zu Sagendes braucht. Vielleicht lieber von Empfindlich- und Befindlichkeiten ausgeht, als von echten, komplexen Problemen, die auch irgendwie mit ihm, seiner sozialen Rolle, seinem Status zu tun haben, obwohl es mein Körper, mein Gehirn, mein einfach von Traumata schief und krumm verwurschteltes Ich ist, das quer schießt.

Als ich nach Hause gehe, höre ich Jugendliche einander “voll behindert” an den Kopf werfen.

Die Welt guckt komisch und die Erde dreht sich weiter.
Und heute nachittag werde ich ein Gespräch einleiten mit “Es tut mir leid, dass ich gestern aus dem Kontakt gegangen bin. Ich hätte dir sagen müssen, dass …”

Nichtbehinderte Menschen finden es meistens geil, wenn die Menschen, die Rücksicht auf ihre Behinderungen einfordern, so reden, als hätten sie eigentlich überhaupt nichts damit zu tun.
Als wären sie kein Teil der Barrieren.
Kein Teil des Lebens mit Behinderung eines anderen Menschen.

Sie finden es geil, wenn die Leute, die ein Problem haben, sich alleine drum kümmern. Sie finden es geil, weil sie dann denken können “Ach, dieses Inklusionsding ist ja total einfach.”. Sie findens geil, wenn sie nichts weiter wissen müssen. Sie findens geil, wenn die Behinderung etwas ist, was sie nicht stört.
Eigentlich wollen die meisten nur wissen, was sie potenziell stören könnte an meiner Behinderung.
Sie wissen ja nicht, dass ich weiß, dass ihnen das Herz einmal durchs Hosenbein rutscht, wenn ich irgendwo nahe einer der Altbautreppen hinfalle und einen Krampfanfall habe. Sie wissen ja nicht, wie das ist, kleinen Kindern zu erklären, “was die Frau da hatte”. Sie wissen ja nicht, wie mich Sanitäter_Innen und so ein Massenauflauf nach einem Anfall nur noch mehr stresst und meine Sprache ganz weg geht. Sie haben ja keine Vorstellung davon, was für eine innere Hölle Krankenhäuser in mir aufmachen. Sie wissen ja nicht, dass ich kein flexibles Notfallnetz mehr habe.

Beziehungsweise: Ich weiß, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass sie es wissen.
Die Mehrheit der Menschen lebt eben nicht mit dissoziativen Krampfanfällen nach komplexer Traumatisierung.

Die Mehrheit kann einfach mal losziehen und ihre Erfahrungen machen.

und in 10 Jahren? #Inklusion2025

Die „Aktion Mensch“ hat eine Blogparade ausgerufen, in der es heißt: “Mit unserer Blogparade #INKLUSION2025 suchen wir … Ihre Ideen dazu, wie unsere Welt in zehn Jahren aussehen wird und was nötig ist, damit daraus eine inklusivere Gesellschaft wird.”.

„Was sollte sich ändern?“, fragst du “Aktion Mensch”
Ich denke: Vielleicht muss man aufhören eine Rederunde nach der anderen zur der Frage “Was muss sich verändern?” zu machen. Vielleicht muss man aufhören so zu tun, als müssten wir jedes Jahr neu darüber nachdenken und verhandeln “Ist das Mensch oder kann das weg?”, sondern loslegen, alle bisher aufgebrachten Vorschläge und Ideen, auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen. In Testläufen, kleinen und größeren Projekten, mit Freiwilligen, mit Lernenden, mit Wachsenden, die unser 2025 mitbestimmen werden.
Was war denn mit dem Zukunftsdialog 2012 – was passiert in jeder Vereinigung, jedem Verband, jeder Mitarbeiter_Innenversammlung, jeder Interessenvertretung, jeder sozialen Einrichtung, die sich um Menschen kümmert bzw. diese im Fokus hat, die mit Behinderungen jeder Art leben?
Jedes Jahr gibt es neue Ideen, jede Woche wird überall geäußert, was sich ändern müsste, damit Inklusion gelingt.

Die Umsetzung scheitert an der Inklusion des Themas “Inklusion” als etwas, das die Gesellschaft angeht. Das auch und immer mehr die Unternehmer_Innen angeht. Das auch Europa angeht.
Inklusion meint nicht nur, dass Lisa ohne Gehör überall ihr Abi machen kann, oder, dass Turgut ohne Beine uns bei den Paralympics vertreten kann.
Es geht nicht nur um die Höhen, die Möglichkeiten, die erreicht werden könnten, würde wäre wenn
Es geht auch darum, inklusives Denken zu ermöglichen und als selbstverständlich zu etablieren.

Dazu gehört sich Zeit für Barrieren und ihren Abbau nehmen zu können.
Dazu gehört Barrieren in erster Linie in sich zu finden – nicht nur in der Treppe, wo eine Rampe sein könnte.

Dazu gehört die Erfassung der Lebens – und Seinsform “Mensch” in all seinen Facetten, ohne Interessen, die von Diskriminierungsdynamiken geleitet werden.

 

Ich schaue nicht nur verheißungsvoll in Richtung 2025.
Meine Zukunft. Meine Zukunft in 10 Jahren.
Oh Baby, wenn wir alt sind…

2025, da werden viele soziale Systeme zusammengebrochen sein. Und von Privatunternehmen als “im Wandel” bezeichnet. Während die Einnahmen natürlich steigen.
Kapitalismus – oh Baby, der wird auch dann noch da sein und Menschenrechte mit Knebelverträgen und Abhängigkeiten untergraben.
Keine Illusionen Baby, das wird uns auch dann noch beschäftigen. Vielleicht auch auf die Straßen gehen lassen.

Wenn ich 38 bin, bin ich für den ersten, zweiten, dritten… Arbeitsmarkt vermutlich tot. Nicht mehr nur wertlos wie jetzt, sondern tot.
Ich werde nebenher laufen in einem anderen Gewand. Im besten Fall: als Selbstständige. Natürlich unterbezahlt, natürlich immer in Sorge: Wann kommt die nächste dürre Zeit? Immer auf der Suche, wie ein Tier auf der Jagd, nach dem nächsten großen Auftrag.

Vielleicht,
ich hoffe und wünsche mir das
begleiten mich Menschen und wirken therapeutisch auf mich ein. Die einen als Profis, die anderen einfach so.
Vielleicht kann ich wirklich heilen. Was auch immer “Heilung” bedeutet.
Vielleicht habe ich bis 2025 ein Level erreicht, auf dem mich so eine Arbeitsjagd nicht mehr an den Rand bringt oder davon herunter schubst.
Ich hoffe, den Krankenkassen wird bis 2025 verboten, Hilfeleistungen nach Wirtschaftlichkeit zu bemessen. Denn das ist ein Verstoß gegen Menschenrechte.

In 10 Jahren habe ich mir vielleicht meinen eigenen Arbeitsplatz geschaffen.
Das Nachwachshaus™  für Menschen, die komplexe Traumatisierungen erfuhren, könnte in 10 Jahren vielleicht schon stehen. Vielleicht sitze ich in 10 Jahren in einem Wintergarten neben jemandem, der eine Zigarette nach der anderen raucht, so wie ich gut 20 Jahre vor ihm allein in einem Wintergarten saß und eine Zigarette nach der anderen rauchte, weil das alles war, was ich noch sicher konnte. Ohne Angst.

Wir, unsere Gemögten und unsere Unterstützer_Innen haben einen Verein gegründet, unsere Fehler zum Lernen gemacht, uns gestritten und versöhnt, geweint, geächzt und gejodelt bei jeder weiteren geschaffen Etappe und könnten 2025 irgendwo sitzen und uns wundern, dass es geklappt hat. Ich könnte dort sitzen und Pastme sagen: “Gucke mal”.
Oh Baby, das wär sowas von krass.

Vielleicht lebe ich als 38 jährige ein Leben, in dem ich wählen kann, ob ich die Kleidung, die Möbel, die ungewollten Produkte anderer Menschen nutze oder mir selbst welche kaufe. Vielleicht lebe ich in einer Gesellschaft, in der nicht mehr zur Debatte steht, ob ich einen Fahrdienst nutzen darf, obwohl ich doch zwei Monate vorher gut ohne klar kam und quer durchs Land reisen konnte.
Oh Baby, wie cool wäre es, wenn in 2025, die konkret betroffenen Menschen definieren und bestimmen, was wann wie nötig ist, ohne sich an der Norm, die niemand eigenständig definierte, orientieren zu müssen.

In 10 Jahren, da werde ich Mode sehen, die fragt, ob man einen Rollstuhl nutzt, viel liegt, viel sitzt. Die auch bequem und passend tragbar ist, wenn man nur ein Bein hat. Oder gar keine. Oder…
Vielleicht wird es eine Modenschau geben oder gar ganz viele, die ganz anders aussehen, als die die heute … in Mode … sind.
Vielleicht meine ich 2025 mit dem Begriff “normschön” etwas völlig anderes, als jetzt.
Oh Baby, ich glaube bald sind Designer_Innen und Modemacher_Innen mutig genug dafür.

Vielleicht bin ich in 10 Jahren Mutter? Oh ich würde dann gern Mutter sein.
Oh Baby, bevor ich zu alt bin um ohne “RISIKOSCHWANGERSCHAFT Faktor eine Zillion” – Stempel im Mutterpass, schwanger, gebärend, wochengebettet sein zu können.

Aber vielleicht gibt’s in 10 Jahren eh keine Hebammen mehr und ich kann das mit der guten Begleitung und weniger Sorgen zu Vereinbarkeit von seelischer Behinderung und Schwangerschaft, Muttersein und allem schon in der Planung vergessen.
Und ach, wahrscheinlich sind Lesben, Schwule, Queers und alle Nichtheteros und “Behinderten” allgemein, dann eh auch noch immer gar keine richtig echt liebenden Menschen vor Gesetz und sogenannter „Mitte der Gesellschaft“ und mögliche Eltern, so, dass echte Ehe, Sperma- und/oder Eizellenspenden oder ähnliche Luxuswege zum eigenen Kind, einfach und legal ohne Nachteile für die Beteiligten funktionieren.

10 Jahre reichen nicht für Gesetzesänderungen und schon gar nicht für so grundlegende Wandlungen in den Köpfen der Gesellschaftsvertragspartner_Innen ™ , wir sehen’s ja jetzt.
ARD Themenwoche.
Oh Baby, wir müssen alt werden, um den Jungen die Rückendeckung zu geben, die wir* heute nicht erhalten.

Vielleicht ist es 2025 nicht mehr außergewöhnlich sich für Inklusion und Solidarität stark zu machen und der Brauch des stellvertretend für alle ™ Sprechens, ist endlich verbrannt.
Vielleicht sind wir 2025 damit beschäftigt uns zusammenzufinden und unsere bisher gesammelten Ideen und Pläne umzusetzen, zu überarbeiten, miteinander abzustimmen.

Oh Baby, vielleicht muss 2025 niemand mehr fragen: “Was muss passieren, damit unsere Gesellschaft inklusiver wird?”
Sondern nur noch fragen, wie inklusives Denken, Teil unserer üblichen Alltagskultur sein und bleiben kann.

Behinderungsmerkmal “mehrfachdiskriminiert”

Eine umfassende Reform der gesetzlichen Regelungen um die Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen soll es geben und das Ergebnis soll “Bundesteilhabegesetz” heißen.
Verschiedene Punkte der Reformpläne wurden vorgestern in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales hinterfragt. Dabei zeichnete sich ab, dass über die Wege zur Reform des § 9 SGB IX [die Vorschrift, die bis heute ausreichend sicherstellen soll, dass Menschen hinsichtlich ihrem Wunsch- und Wahlrecht zur Teilhabe entsprechend ihren Bedürfnissen Unterstützung erhalten] keineswegs nur Einigkeit herrscht. Auf der Webseite des Bundestags wurde aber auch festgestellt: „Einigkeit herrschte jedoch darin, das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen zu stärken, die Beratungsangebote und die Durchlässigkeit der Werkstätten für Behinderte zu verbessern.“

Bisher werden nicht alle Personen mit Behinderungen gleichgestellt, was sie in ihrem Recht auf Einforderung von Leistungen zur Teilhabe  einschränkt.
So wurde von der Universität Kassel das Bundesgleichstellungsgesetz (kurz BGG) evaluiert, die zu dem Ergebnis kam, dass nicht alle Gruppen der Menschen mit Behinderungen berücksichtigt wurde.
Waltraud Wolff (SPD) führte an, dass Menschen mit “schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache”, hörgeschädigte Menschen, Frauen mit Behinderungen, aber auch Menschen mit “geistigen und Lernbehinderungen” betroffen seien und richtete die Frage an Antje Welke von der Bundesvereinigung “Lebenshilfe”, was nötig sei, um diesen Menschen ausreichend Berücksichtigung zu geben.

Diese antwortete darauf, dass die Etablierung leichter Sprache, die Abgrenzung “hörgeschädigter” Menschen von sogenannten gehörlosen Menschen als eigenständige Gruppe, so wie die Flexibilisierung von Verwaltungsabläufen und die Möglichkeiten zu alternativen Kommunikationswegen für Menschen mit sogenannten “seelischen Behinderungen” eingebettet werden müsse. Welke führte aus, dass es für Frauen mit Behinderungen, wie auch für “Menschen mit Migrationshintergrund”, wegen des Umstandes der Mehrfachdiskriminierung eine eigene Vorschrift geben müsse.

Es ist mir, als Frau*, die mit einer Behinderung lebt,  ein gutes Zeichen, wenn nach 10 Jahren eher fruchtlosen Bemühungen für die Gleichstellung (und damit implizit die Teilhabe) von Frauen mit Behinderungen, diese im BGG eigens erscheinen sollen, denn bekannt ist ja auch: Wer oder was nicht in irgendeinem Gesetz oder einer Vorschrift zu einem Gesetz benannt wird, existiert nicht als eigenständiges Problem bzw. eigenständige Personen/Betroffenengruppe bzw.  als Rechtsgegenstand, was zur Folge hat, das weder Schutz noch Strafe noch Regulierung allgemein für/an/mit/aufgrund von eben diesem Rechtgegenstand verbindlich festgeschrieben sind.

Allerdings hat sich in meinen Augen auch die Politik ™ damit kein gutes Zeugnis ausgestellt, denn was dieser Vorschlag auch sagt ist ja: “Mehrfachdiskriminierte Personen, die mit wie auch immer gelagerten Behinderungen leben müssen, benötigen einen gesetzlich regulierten Anspruch zur Gleichstellung (und damit eben auch zum Recht auf Teilhabe am Leben) in der Bundesrepublik Deutschland, weil sie ihn sonst nicht erhalten”.

Und dies steht neben dem Spannungsfeld einerseits niemandes Wunsch- und Wahlrecht beschneiden zu wollen, andererseits aber bereits jetzt, mit der sogar gesetzlich festgeschriebenen Beschneidung durch die Kostenträger eben jener Teilhabeleistungen, noch immer nicht gewährleistet ist, dass Menschen, egal mit welcher Behinderung sie leben, auch an jedem Standort in Deutschland entsprechend ihren Rechten auch erhalten, was sie wünschen und wählen.  So wurde in der Anhörung die Öffnung des Wunsch- und Wahlrechtes von Menschen Behinderung letztlich (und nach meinem Verständnis der Sachlage) aus Kostengründen bzw. Gründen lokaler Infrastrukturen abgelehnt, was für mich persönlich nicht hinnehmbar ist.

Denn apropos Kosten und Finanzierungen: Personen, die wie die Anwesende Nancy Poser, die als einzige offensichtlich konkret betroffene Person unter den Sachverständigen sprach und dieses offen bedauerte, auf eine Assistenz angewiesen sind, die ihnen helfen, können weder mehr als 2600€ als Schonvermögen ansparen, noch davon ausgehen, das ihre EhepartnerInnen* von ihren Finanzen unberührt bleiben.
Gerade die Wortmeldung Posers erschien mir als Mensch mit nie mehr als Hartz 4 auf dem Konto als unfassbar bitterer Ausblick auch in die Leben anderer Menschen mit Behinderungen. Sie ist Richterin am Landgericht und hat kaum mehr auf dem Konto als andere in einem Monat verdienen. Weil sie mit einer Muskelatrophie lebt. Weil sie damit geboren wurde.
Gut, sie hat ein Studium geschafft, hat einen Job gefunden und steht im Berufsleben – das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, wenn man mit einem so großem Unterstützungsbedarf zur Interaktion und Anpassung an die bestehende Umgebung(snorm) lebt, doch am Ende unterscheiden sich ihre sowohl finanziell als auch die daran gebundenen anderen Möglichkeiten kaum von denen, die ich habe mit meinen 10 Jahren Hartz – weil keine angemessene Möglichkeit zur Berufsausbildung für Menschen mit seelischer Behinderung – 4.

Auch das wurde thematisiert. 18% aller im Jobcenter landenden Menschen mit Behinderungen, werden in Werkstätten eingegliedert, die oftmals gar nicht passend konzipiert sind. So sind inzwischen etwa 30% der Menschen, die in Werkstätten arbeiten, Personen, die mit “seelischen Behinderungen” leben. Tendenz steigend und das nicht zuletzt auch, weil viele Menschen erst durch krankmachende Arbeitsbedingungen auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu chronisch Kranken und damit ebenfalls schwerbehinderten Menschen gemacht werden.

Als schön zu hören, erlebte ich den Einwurf, dass das Recht auf Teilhabe nicht allein durch das Schaffen von Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt für Menschen, die mit Behinderungen leben erfüllt werde. So wurde angeführt, dass der übliche Lebensrhythmus von verschiedenen Tätigkeiten geprägt sei (was für mich implizierte, dass auch zum Beispiel die Sorgearbeit von schwerbehinderten Frauen oder der “2 Stunden die Woche”- Job von Senioren mit Behinderungen, wie die Überlebensarbeit für akut unter der ihre Behinderung definierende Krankheit leidenden Personen gesehen wurde) und immer auch mit sozialer Teilhabe am Leben einher gehen müsse und ergo auch entsprechenden Leistungen zu ermöglichen seien.

Alles in allem bleibt: der Weg zu einem Gesetz, das umfassend und ohne weitere Ausschlüsse und Diskriminierungen zu produzieren, Menschen, die genau davon in ihrer Lebensqualität und ihren Entfaltungsmöglichkeiten zum Teil massiv eingeschränkt werden, stärken und sichern soll, ist steinig.

Das Video zur Anhörung ist hier zu finden.
Eine schriftliche Stellungnahme der teilnehmenden Personen wurde angefertigt und ist hier zu finden.

Kinderbücher mit Behinderung

Ich kann es so gut verstehen, wenn Kinder und ihre Eltern sich mehr Vielfalt in Büchern wünschen, wie Mareike das bei sich im Blog tut.

Für mich fängt es schon bei den Namen, der Hautfarbe und spezifischen Kultur- und/oder Religionseinflüssen in verschiedenen Alltagen an, die mir oft fehlen, aber natürlich fehlen auch die Leben von Kindern, die mit zum Beispiel Down Syndrom und und und und auf die Welt gekommen sind, in aller Regel in Kinderbüchern.
Für meine Eulengeschichte suche ich noch immer einen Verlag und arbeite nebenbei als kleines Ausruh-Eskapismus-Novemberüberstehdings an einer anderen Kindergeschichte. Deshalb stecke meine Nase gerade verstärkt in diese Szene und mir fallen da ein paar Dinge auf, die mitverantwortlich für wenig Diversität in Kinderbüchern sein könnten.

Meine Eulengeschichte ist so ein typisches Stück in Sachen “ein Kind bekommt etwas von einem Erwachsenen erklärt”. Davon gibt es ziemlich viele Kinderbücher, finde ich. Eigentlich kommt kaum ein Kind in Geschichten ohne elterliche/erwachsene Erklärung weg, was auf adultistischen Gesellschaftsstrukturen beruht. Erwachsene denken (und bekommen immer wieder von allen Seiten präsentiert), dass Kinder absolut hilflos sind und Dinge nicht verstehen oder nicht richtig verstehen und immer alles erklärt haben müssen.
Sicher ist das nicht nur falsch – aber in der Repräsentation schlägt es sich dann eben doch auch in Kinderbüchern nieder, in denen es so läuft, wie in meiner Eulengeschichte. Eltern wie Kinder finden sich darin wieder und kaufen solche Geschichten entsprechend (Überraschung- der Kreis ist geschlossen).

Die Eulengeschichte ist allerdings etwas philosophisch und sprachknickerig angehaucht. Da geht es um den Grat zwischen “ausgewachsen” und “erwachsen” sein – um Reife, die manchmal zu vermitteln schwierig ist. Für Kinder, die genau in dem Alter sind, in dem sie lieber stundenlang allein ein Treppenhaus hochklettern wollen, als wie “als sie noch klein waren” getragen zu werden, ist meine Geschichte vielleicht noch nichts. Für Jugendliche, die Dinge tun wollen, die den Handlungen von erwachsenen Personen nahekommen, ist der physische Aspekt des “Auswachsens” vielleicht nicht mehr so greifbar.
Das sind bis jetzt jedenfalls so die Rückmeldungen, die ich mit den Absagen erhalten habe. Es sind die Einschätzungen Erwachsener über die Rezeption von Kindern und Jugendlichen, die sicherlich auch begründet sind, keine Frage. Aber es sind eben nicht die Einschätzungen von den Personen, für die ich die Geschichte geschrieben habe und dieser Aspekt von Perspektive ist es, der eine Rolle spielt und den ich in der Geschichte, die ich jetzt angefangen habe, auch an mir selbst bemerke.

Es geht in der Geschichte um ein Kind, das sich etwas fragt und in einem Traum dann die Lösung findet.
Ich habe bemerkt, dass ich beim Schreiben und Zeichnen immer wieder mich selbst zum Vorbild nehme – obwohl es a) ein Kind ist, das b) einen Rollstuhl benutzt und, das c) in einer Familie (also nicht allein) lebt.
Meine Figur ist weit von meinem (Er-) Leben entfernt und ich sehe die Auswirkungen davon auf meine Ideen. Zum Beispiel wollte ich das Kind im Traum laufen lassen, weil es ja ein Traum ist und ein schöner Traum sein soll. In solchen Momenten bin ich dann froh darum, dass ich so viele Menschen, die Rollis und andere Hilfsmittel nutzen, direkt übers Internet erleben kann, sonst würde ich nicht den Impuls zur Reflektion bekommen haben, was das für eine Quatschidee ist.
Es gibt keinen Grund den Traum so weit von der (Er-)Lebensrealität meiner Figur zu entfernen und so nah an mich selbst heranzubringen, aber die “Verlockung” ist ganz klar da und kommt ja auch nicht aus dem Nichts.

Die “guten” Rolemodels für Menschen, die behindert werden, sind immer* die, die _trotzdem_ (nicht _auch_ ) klar kommen. Es sind immer die, die besonders strahlend von ihrer Lebensfreude und ihrer Kraft sprechen und natürlich “totaaaal normaaaaal” sind.
Sichtbar wird da nicht, dass es sich um Menschen handelt, die ohne (finanzielle) Unterstützungen gar niemals da angekommen wären, wo sie sind. Abhängigkeiten werden nicht als Abhängigkeiten benannt, sondern als Lebensstil oder großartig- fast unmenschlich aufopferungsvolle – Hilfe markiert. So, als hätten diese Personen die Wahl zur Hilfe getroffen, weil sie es wollten – nicht, weil ihr Überleben oder die Sicherung von Lebensqualität und Teilhabe an gesellschaftlichem Leben daran hängt. Also etwas, das man _braucht_ und deshalb will.
Das ist der Unterschied, den Behinderungen jeder Art einfach immer auch mit machen. Die Intension von Entscheidungen, die getroffen werden, haben immer auch mit dem Grad der Abhängigkeit von der Umgebung, in der diese Wahl getroffen wird, zu tun. Natürlich kann ein Rollifahrer zu den Paralympics fahren – wenn er genug UnterstützerInnen* hat, die die Ausrüstung, Hilfsmittel, Training, Transportkosten mitstemmen und er genug Resilienzfaktoren in sich hat, sich durch diese Herausforderung durchzubeißen.
Die Dynamik von Verwertungsinklusion, die derzeit überall gefördert (weil von KapitalistInnen* gefordert) wird, funktioniert auf Diskriminierungsachsen immer gleich und macht keinen Unterschied.

Ich glaube nicht (aber ich irre mich da gern), dass diese “Traum ohne Rollstuhl – Sequenz” bei einem Verlag direkt als schwierig markiert worden wäre, denn da ist ja noch “Heidi”.
Das Heidianime von 1989 – ich liebe es!
Klara war das erste Kind im Rollstuhl, mit dem ich als Grundschulkind in Berührung kam. Dass diese Figur durch das liebevolle Zuwenden und Üben; die gute Alpenluft und ihren Willen am Ende laufen konnte und alle Menschen damit glücklich macht, hat in meinem Bild von Menschen, die Rollstühle benutzen, bis heute eine Spur hinterlassen, an der ich nun als Kinderbuchautorin in Spee herumradiere.

Ich lebe heute allein und Rollstühle sind kein Alltagsgegenstand mehr für mich. Ich bin nicht mehr viel umgeben von Menschen, die körperliche Wuchsrichtungen mit Hilfsmitteln kompensieren (müssen), um sich an andere Menschen bzw. die auf sie und ihre Möglichkeiten ausgerichtete Lebensumgebung, anpassen zu können und ich merke, dass das etwas ist, woran ich mich jetzt aktiv erinnern muss, um nicht eine weitere Geschichte nach dem Heidistrickmuster bzw. mit einer Essenz von “Heidi” zu erzählen.

Das ist ein Faktor, der mich an der Darstellung auch meiner Behinderung nämlich sehr nervt: der Implizit der Veränderbarkeit der Behinderung (und nicht der Lebensumgebung).
Meine Behinderung aufgrund psychischer Faktoren wird immer und immer wieder als eine Phase, ein Lebensabschnitt, als krank (und deshalb von ÄrztInnen* “wegmachbar” oder zum Positiven veränderbar) dargestellt – nicht als etwas, das mich als jemanden sichtbar macht, der aufgrund bestimmter äußerer Faktoren so gewachsen ist. Es wird nicht klar, dass es sich um die Folge von Anpassungsreaktionen handelt, die bis heute und vielleicht auch für immer, wenn auch nicht immer gleich intensiv und umfassend, in mir und meinem Erleben wirken.

In meinen Fantasien über mich selbst, kommt nie drin vor, dass ich ohne Angst bin oder ohne Innens. Wenn ich mir ein Bild von mir in bestimmten Lagen mache – egal, wie fantastisch sie sind: “die Anderen” sind immer da, wie jetzt – meine Belastungsgrenze, meine emotionalen Kapazitäten, sind genauso ausgerichtet, wie jetzt. Meine Lebensumgebung verändert sich- aber ich selbst nicht.
Meine Fantasie sprengt immer nur die Grenzen, die ich auch real sprengen könnte (und sei es in Metaphern) und genau das jetzt bei dieser Kindergeschichte zu beachten.. woah- das ist wirklich überhaupt gar nicht so einfach, wie ich mir das am Anfang vorgestellt hatte.

Ich weiß, dass man in seine Figuren hineinschlüpfen muss, um sie voll und rund wirken zu lassen.
Es ist aber auch klar, dass ich nur so viel “Füllmaterial” mitbringen und positionieren kann, wie ich selbst wahrnehme.
So wird dieses kleine Ausruhprojekt auch eine Lektion in Demut vor meinen Fähigkeiten für mich.

Ich möchte keine Geschichte schreiben in der das Kind besonders ist, weil es den Rolli nutzt, sondern, weil es sich die Frage stellt, die es sich stellt und sich selbst beantwortet. Aber dadurch, dass es den Rolli nutzt (was es tut, gerade weil ich eben keine 08/15 Profitkindergeschichte schreiben möchte) wurde es für meine Vorstellung irgendwie doch wieder beinahe logisch, einen für viele junge wie alte Menschen alltäglichen Gegenstand zu etwas zu machen, das eben nicht so normal ist, dass er auch in einem Traum vorkommt.

Das ist, was Behinderungen zu Behinderungen im Sinne von Hindernissen macht: die eigenen (unreflektierten) Vorstellungen über die Lebensrealitäten anderer Menschen
und das ist, was Kinderbücher dann auch nicht divers macht.

Sonntag im Bett

Ich hatte gedacht, ich würde einen Tag brauchen, um meine Akkus aufzuladen, mich zu sammeln, auszuschlafen, mich zu fokussieren.
Jetzt weiß ich, dass ich ihn brauche und mir nicht selbst machen kann.

Ich habe einen Podcast gehört und gezeichnet. Mir fällt nicht mehr ein, worum es ging.
Ein Umschlag liegt im Regal. Der Name meiner Therapeutin steht drauf.
Heißes Zeug also. Pfoten weg, Nase raus.
Das verschwindet schon von allein.

Mein Herz klopft bis an den hinteren Teil meines Gaumens und nichts ist okay.
Ich merke, dass sich in mir irgendetwas anstrengt mir den Rücken freizuhalten, mich zu halten. Ich fühle diese Anstrengung als Schweißtröpfchen auf meiner Oberlippe.

Ich habe mal eben ein Comixxeblog gemacht und weiß nicht mal wieso.

Im Ofen bäckt Essen. Mir ist schlecht und schwindelig.
Am Freitag habe ich meinen Termin bei der Ärztin vergessen.

Vergessen, weil oder obwohl? ich nach der Therapie am Donnerstag auch noch das Gespräch zum Gutachten mit der Neurologin hatte.
Ich war so müde und zerrieben zwischen dem Therapiefieber, den Bilderresten, die mir im Kopf waberten und dem Austarieren, wie die Neurologogin zu uns steht. Zu uns und diesem Behindertending. Ich war da und sah den Wutmutigen beim Schnellreden und so- tun- als- wäre- alles- gut- tun, zu.

Es macht mich kaputt dieses: “Ja, ich weiß, dass du meine Behinderung nicht sehen kannst- kannst du bitte trotzdem die Behinderungen, an denen ich mich gerade abarbeite, sehen?”.
Und es macht mich nicht kaputt, weil manche Menschen wirklich einfach keinen Blick dafür haben oder ignorant sind, sondern, weil ich mir meine Schwäche, meine Müdigkeit, meine- diese- innere Anstrengungen noch immer nicht zugestehen kann, wenn mir niemand von außen bestätigt, dass sie da sind.

Ich weiß, dass ich das nicht brauche.
Ich weiß, dass mir die ganze Welt egal sein kann, wie sie mir wichtig ist.

Aber.

Inklusionsjauche am Sonntagabend

 TropfeninPusteblume Gestern Abend – Jauche im Fernsehen.
Ich schaltete ein, weil es um die Einschulung von Henri geht. Der Junge lebt mit Trisomie 21 und wird vom Schul- bzw. Bildungssystem und Le(e)hrkörpern wie Kraus behindert.

Ich fand die Sendung nicht besonders feierlich. Obwohl eine Frau* mit Downsyndrom und eine Frau*, die zeitweise einen Rollstuhl braucht, dort sprechen konnten. Ich nehme Sichtbarkeit und Autonomie in der Selbstdarstellung als wichtig wahr, wenn es um von der (sozialen/kulturellen/ *) Umwelt behinderte Menschen geht.

Ich selbst erlebe meine Behinderung auch nicht als etwas, das nur in mir allein verankert ist und auch nur mit mir allein zu tun hat. Wenn ich allein bin und mir meine Umgebung allein zurecht klöppeln kann, spüre ich nichts bzw. weniger von ihr. Wenn ich aber mit anderen Menschen zusammen lebe (und das ist, was ich gerne möchte), dann geht es darum eine gemeinsame Umgebung zu erschaffen, in der weder ich, noch andere Menschen in irgendeiner Art behindert werden, in dem was sie tun oder tun möchten.

Nun ist es so, dass ich viel in der Diskussion um Inklusion schwierig wahrnehme und mich damit befasse.
Um Negativbeispiele für diesen Diskurs zu finden, war die Jauche am Sonntag wieder einmal perfekt – obwohl es, wie gesagt, löbliche Babystep- Anfänge gibt.

Ich halte es für unpassend, wie der Film zu Karina Kühne gemacht wurde.
Die Sprachführung ist entlarvend für ein Weltbild, in dem Menschen ohne Trisomie die Norm sind und genau das ist das Problem. Man mag mich radikal nennen, aber ich finde, wenn Menschen mit Trisomie 21 oder irgendeiner anderen sogenannten Behinderung ihr Leben und ihre Fähig- und Fertigkeiten zeigen möchten, dann sollten sie das allein tun dürfen bzw. mindestens selbst einsprechen.
Zur Lebenswelt von umfassend behindert werdenden Menschen, gehört es nicht nur “anders” auszusehen oder Dinge “anders” zu machen, sondern auch “anders” zu bewerten und einzuschätzen, was sich wiederum auch in der Art ausdrückt, wie sie darüber sprechen.
Die Norm ist dann nicht der ablierte Körper bzw. “Geist”, wie es das bei nicht gleichsam behindert werdenden Menschen der Fall ist, sondern die, die relevant ist für diese Menschen.
“Man hat der jungen Frau nicht viel zugetraut” – das ist ihre Behinderung und nicht die Trisomie 21 “trotz” der sie Klavier spielen und im Supermarkt arbeiten kann.
Das hätte in dem Film nicht fehlen dürfen.
Tat es aber.
Natürlich.
Wir sind ja bei Jauch.

Ich lese es immer wieder mal, dass die Leidmedien, ein Projekt, das sich mit der Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen auseinandersetzt, als eine Art Sprachpolizei wahrgenommen werden. Auch an mich wird immer wieder herangetragen, ich solle mich zurückhalten mit meiner Kritik an der Sprachführung zu Gewalt und anderen Themen.
Interessant ist dabei, dass es in der Debatte dazu nie um den Kern “Machtbestätigung bzw. – erhalt durch diskriminierende, behindert/ klein/ schwach/ ohnmächtig machend/ haltende Sprache” und, dass sehr oft auch hier der ablierte weiße Mann als Norm nicht in Frage gestellt wird, sondern als etwas gilt und weiter gelten soll, an das sich “trotz aller Wider und Missstände” anzupassen; zu integrieren ist- ja ja ja- notfalls auch zu inkludieren ist.

Gemerkt?
”Ja ja ja- auch du mit deiner Behinderung darfst dich mir jetzt anpassen- ich sperre dich nicht mehr ins Heim, wenn ich es nicht schon vorher mittels Pränataldiagnostik geschafft habe dein Leben zu verhindern- aber die Sonderbehandlung, die bleibt, denn du bist nicht wie ich.”
Inklusion ist kein Zauberwort, ist kein riesiger Akt, ist nicht sagenhafte, schier unglaubliche Irgendwas, das in unseren Köpfen als Framing aufploppt, wenn wir sehen, das zum Beispiel Karina Kühne, die in der Sendung saß, in einem integrativen (!) Supermarkt arbeitet oder die Norm ist, über Menschen als Teil einer besonderen Gruppe zu sprechen oder immer wieder trennende Marker setzen. Zum Beispiel das “trotz der Trisomie 21” oder auch “behinderte und nicht behinderte Kinder”, das in den Einspielern und Worten Jauchs immer wieder auftauchte.

Das ist Geschwafel im Geiste der Integration, die aber eigentlich lieber die Exklusion hätte.

Inklusion beschreibt in der Debatte eigentlich eine Gesellschaftsform, in der eine Einheit mit vielen unterschiedlichen – auch widersprüchlichen – Eigenschaften entsteht. In der es eben nie “trotz Rollstuhl/ Blindenhund/ Hörgerät/Lernhilfen/ großem Hilfebedarf” heißt, sondern “mit”.

Als These zur Behinderung der Debatte, denke ich über den Einfluss der Marktwirtschaft nach.
Es drängt sich mir eine Verlagerung im Diskurs auf, die viel mit kapitalistisch verwertbaren Eigenschaften und Potenzialen zu tun hat. Wir sprechen über inklusiven Schulunterricht – aber (noch) nicht über inklusive Ausbildungsmodelle außerhalb von integrativen Werkstätten (in denen es btw weder Streikrecht noch gleichen Lohn gibt!). Wir sprechen auch noch lange nicht über Inklusion im Alter. Und wir sprechen auch nicht, und darüber schrieb ich bereits im
Artikel über das Teilhabegesetz, über Inklusion für alle Menschen mit Behinderung.
Des weißen Mannes liebstes Lockbonbon ist wirtschaftliche Machtsicherung durch Menschenmaterial, das nutzbar bis ausbeutbar ist.
Wir würden überhaupt gar nicht erst über Inklusion sprechen können, wenn es diesen Faktor nicht gäbe.

Und vielleicht ist es auch dieser Faktor, der mich bei der bis heute (und noch immer überwiegend) stattfindenden Berichterstattung zum Thema “Behinderung”, an Menschenausstellungen der Jahrhundertwende denken lässt.
Da ist der Blick auf die Defizite – aber hochmodern und integrativ: auch der Blick auf das “was noch zu retten und zu nutzen ist”.

Das ist ekelhaft und genau das sollte, meiner Meinung nach, endlich ganz ganz dringend hinterfragt werden.

Ich will nicht in eine Gesellschaft inkludiert werden, die mich in seine Mitte lässt, weil sie in mir etwas sieht, was sie nutzen kann und mir ebenjenen Platz nur im Tausch anbietet. Ich will mir Inklusion nicht mit meinen Potenzialen quasi erkaufen, sondern selbstverständlich angeboten bekommen bzw. später selbstverständlich inne haben.
Wenn es nur um diese meine Potenziale geht, wie es jetzt gerade passiert, dann geht es auch darum, diese zu suchen und zu finden, zu rechtfertigen und einzuschätzen- völlig an mir vorbei und ausschließlich unter wessen Norm? Richtig- die der mächtigen weißen reichen nicht gleichsam behindert werdenden Männer*.

Wenn man sich ständig auf die Suche nach verwertbaren Funktionen und Potenzialen machen muss, dann kann es durchaus passieren, dass man Menschen dann auch einfach mal so als Last bezeichnet, wie es Kraus dann in der Sendung- Sonntagabend im ZDF – vor Millionenpublikum getan hat.
Ohne rot zu werden oder aus der Sendung geworfen zu werden.

Ich glaube, wir gehen die Sache mit der Inklusion falsch an.
Es funktioniert nicht, wenn wir nicht die grundlegenden Machtstrukturen unserer Gesellschaft in Frage stellen und ihre Ausläufer verändern.

und macht das Teilhabegesetz, dass meine Behinderung sichtbar wird?

klitzeschnecke 2017 soll es dann in Kraft treten: das Teilhabegesetz, welches Menschen mit Behinderungen zu ihrem Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kommen lassen soll.

Ich mache mir seit einiger Zeit Gedanken darüber, wie eigentlich abstoßend es ist, dass die Gesellschaft an deren Rand ich vor mich hinlebe, in unserer Zeit noch immer daran arbeiten muss, Menschen nicht auszuschließen.
Dass ich mir noch immer anhören muss, ich solle mich nicht selbst am Rand ebenjener Gesellschaft verorten.
Dass Menschen mit Hilfebedarf, Hilfe erhalten, aber letztlich auf einer anderen Achse in unter Umständen Hilfe bedürftiger Position gehalten werden.
Dass Menschen durch die
menschenverachtende Praxis von Hilfegewährung zu schwerbehinderten Menschen gemacht werden- dieses aber in der Regel weder wissen, noch Fürsprache erhalten.

Ich lese Berichte über Teilhabe, Behinderungen und Inklusion und fühle mich ausgegrenzt, weil meine Art der Behinderung nie benannt, geschweige denn problematisiert wird.
Immer wieder gibt es diesen Umgang mit dem Thema der Inklusion, der seinen Fokus auf körperliche und/ oder geistige Defizite, die mittels spezieller Assistenz, bestimmter Raumumbauten und technischem Equipment “ausgeglichen” werden, hat.
Es wird über Inklusion gesprochen, doch agiert, als spräche man über Integration und erklärt so – auch ganz ohne Worte – wieso Menschen mit psychisch bedingten Behinderungen niemals in solchen Berichten auftauchen oder gar gehört werden, wenn es um Konzepte für Teilhabe und Zukunft für alle Menschen geht.

Ich komme mir mit meinen Unzulänglichkeiten so oft wie der Sondermüll unter “den Behinderten ™” vor, weil es für mich weder Seelenprothesen noch gesellschaftlich anerkannte Arbeitsumgebungen gibt.
In meinem Fall reicht es einfach nicht, das Klo zu vergrößern, Haltegriffe anzubringen oder den PC umzurüsten.
Um mir zu helfen braucht es, was der Begriff “Humanität” meint und genau das ist ein Problem.

Psychisch begründete Behinderungen werden immer wieder individualisiert und so auf einer Ebene betrachtet, die die Gesellschaft ™ von der Aufgabe das Grundrecht aller Menschen auf Hilfen und Gleichberechtigung zugänglich zu machen, enthebt.
Immer wieder begegne ich Sprüchen wie “Depression? Ja hatte ich auch mal- ich hab Urlaub gemacht und dann gings wieder. Depressionen haben ja alle irgendwann mal- hast du das gewusst- ist total normal so ne Depression” oder “Traumafolgestörung? Noch nie von gehört- aber ich kann mir vorstellen, dass dein Leben nach dem Trauma, nie wieder sein wird wie vorher. Da muss man sich durchbeißen und du schaffst das auch- du bist so ne starke Persönlichkeit!”.
Wenn ich solche Gespräche führe, blinkt in meinem Kopf ein Leuchtschild, dessen Schrift ich manchmal gerne durch meine Stirn hindurch leuchten lassen würde, einfach, weil ich zu beschäftigt bin, darüber nachzudenken, ob es sich nun lohnt diesen Menschen über seinen Ableismus und seine Ignoranz aufzuklären, um mein Missfallen laut zu äußern.

Ich erlebe es als großen Mangel, dass Menschen mit psychisch bedingten Beeinträchtigungen keine FürsprecherInnen haben, weil Individualismus und das dazugehörige Stigma noch immer so massiv um sich greift.
Für mich begänne gesellschaftliche Teilhabe an genau diesem Punkt: Teilhabe am öffentlichen Diskurs um Inklusion

Meine Kämpfe um Autonomie und Lebensqualität sind so eng mit der Gesellschaft ™ verbunden, dass eine Wortmeldung immer wieder mehr als symbolische Rampeneinweihung, Blindenschriftkurse für alle oder Werkstättenaufbaufinanzierungen zur Folge haben muss.
Oh weia.
Dann müsste neu über die Krankenkasse als Bürokratie um Menschenleben gedacht werden. Medizinische und auch therapeutische Ethik müsste ihre Themenfelder auf allgemeine Zugänglichkeit erweitern. Wir würden plötzlich über marktwirtschaftliche Barrieren sprechen, die sich allein aus bereits bestehenden Diskriminierungen entspannen und immer wieder neu entwickeln.

Wir würden tatsächlich darüber sprechen, dass Geld einen abstoßend menschenverachtenden Gradmesser in der Frage nach lebenswertem Leben darstellt.
Ja, wir müssten uns der Frage nach lebenswertem Leben stellen.

In der derzeit öffentlichen Debatte um Inklusion von Menschen mit Behinderungen gibt es diese Haltung von “Nein, nein- Menschen mit Down-Syndrom sind nicht wertlos- sie können noch arbeiten! Und schau mal hier: dieser Mensch im Rollstuhl kann ebenfalls noch super arbeiten, wenn man nur diese und jene Barriere wegnimmt!”
Es geht um (Weiter) Ver _ Wert_ ung, Leistung – diesen Traum von “Wenn du nur willst- wenn du dich nur anstrengst- wenn du nur arbeitest und irgendetwas aus dir machst- dann bist du jemand und deine Existenz hat einen Zweck. So wirst du zur Stütze unserer Gesellschaft und ergo völlig inkludiert.”.

Wie unsere Gesellschaft derzeit mit genau der Frage nach dem Wert des Lebens umgeht und welche Preise sie für die Nichtbeantwortung zu zahlen bereit ist, ist aktuell sowohl in der noch immer krassen Situation der Hebammen, wie in der letzten Planung des GBA in Bezug auf die Psychotherapierichtlinie zu erkennen.

Es geht darum das Minimum zu investieren und das Maximum herauszuholen. Wer dem nicht entsprechen kann, fällt raus und braucht ein Gesetz um noch – nun seien wir doch ehrlich- mindestens im rein kostenverursachendkonsumierendem Teil der Gesellschaft ™ existieren und dies als “Teilhabe” bezeichnen zu dürfen.

Meine gesellschaftliche Teilhabe begänne mit Sichtbarkeit, Entstigmatisierung, dem Ende der Pathologisierung, Schutz vor Gewalt, aller Hilfegewährleistung und der Anerkennung (und Wahrung) meiner Würde in Kontexten der Hilfen.
Das ist eine ziemlich lange Liste, die ich in weiten Teilen auch mit allen Menschen gleich bereits jetzt teile.

Das ist ziemlich peinlich für ein Land, das bereits 2007 die Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat und seit 2009 verpflichtet ist, ihr nachzukommen.

all the storys…

Im Moment geht ein PoetrySlam viral, in dem Julia Engelmann darüber spricht, wie “wir” so drauf sind…
Es ist nicht mein “Wir”. Das wird sich Nadia Shehadeh auch gedacht haben- also setzte sie sich hin und schrieb den Text um.
Ich hab heute jemanden, der mit meinem Hund für mich raus geht.
Also verschieße ich meine Tageskraft, um mein “Wir” in diesen Kontext zu bringen.

___

Eines Tages Baby, werden wir noch mal zusammensitzen und uns sagen, dass wir stark sind, weil wir das heutige Jetzt überlebt haben und unsere Geschichten, die zu erzählen wir versuchen, bis es uns von innen nach außen umstülpt,

noch immer niemand hören will.

Wir brauchen uns nicht mehr zu reflektieren, zu überlegen, wieso denn bloß niemand ein Ohr für uns hat, was wir denn bloß falsch machen
Wir sind die Steine unter den Lebenswaisen

die geheimen Funkelsteinchen in Fragen wie: “Wie nennt man diese Zeit, in der man stirbt bei lebendigem Leib?”
”Depression” würden wir sagen und mit unserem Schimmer die Gedankenwelt eines Anderen erhellen
der ohne Dank weiter an uns vorbei zieht

auf seiner Jagd nach Selbstoptimierung,
Verwachsung
bis zur Verschmelzung mit einer Welt, an die anzupassen wir

Mais2 oh Baby, auch wenn wir alt sind

am Besten nur noch zu Testzwecken, ob der Geschwindigkeit des Scheiterns
versuchen und versuchen

Versuchen müssen
sie sind faul, heben Dinge später auf, warten auf Freitag, sparen sich Dopamin
und, weil sie sie sind
müssen alle sie sein

sie sind eben auch zu faul, die Gedanken zu denken
die zu etwas führen könnten

Und wir?
Wir leben des Rest unseres Lebens, denn was anderes haben wir nicht
und fragen uns was leben, Leben und am Lebenssein ist
und landen immer wieder an der Basis
dem Sein
dem Dasein
und sind immer wieder neu verunsichert

weil sie uns anbrüllen, schubsen, schieben, stoßen

in ihrem Dreck festdrücken mit dem, was sie als Leben und lebenswert bezeichnen
Was sie hoheitsgütig definieren, als mit dem einen,
für sie fremden,
Leben in Würde vereinbar

Wegen all dem Können, dem Machen, dem Werden
dem Sein allein wegen etwas, das gekonnt, gemacht, geworden ist

Oh Baby,
falls wir “alt” noch selbst definieren dürfen, dann werden wir noch immer die Geschichten von Diskriminierung und Ausgrenzung
Ausbeutung
und Gewalt
zu erzählen haben
wie jetzt, wie heute

wo wir uns schon als so alt betrachten, dass wir unsere Hoffnungen, Wünsche und Träume
bereits im Keime demaskieren
und mit Alkohol von uns wischen

bevor wir mit ihnen verschmelzen
und uns ihre Nichterfüllung
die Haut vom Sein reißt

und eine neue Geschichte zu erzählen ist,
die niemand hören will

Schon gar nicht die,
die denken
ohne zu sehen, zu spüren,
unsere Schreie zu hören,

das Leben, dass Menschen führen, sei frei wählbar.

Oh Baby,
während wir alt werden
sind wir Teil ihrer Hamsterräder
haben sie mit unserem Waisensein angeekelt, abgestoßen, angetrieben sich von uns als Lebensform zu entfernen
Bis wir tot sind, werden wir sie erinnern, dass sie
geworden sind, durch ihre Fähigkeit etwas tun zu können
geworden sind, durch ihre Fähigkeit ihr Sein mit Handlungen wie Schleifen zu behängen
die allein
sie frei wählen können

Und, oh Baby, wenn sie alt sind
werden sie sich wünschen
unsere Geschichten gehört zu haben

denn wenn sie alt sind
werden sie mit dem Rest ihres Lebens vor ihren Füßen
an einem Fenster sitzen
und auf jemandes Hand warten

der denkt:
das heb ich später auf
Horror dieser Alltag
hier

im Abstellgleis Wartesaal des Jobcenters Klinikums Gefängnisses
Lebens

zwischen all den Menschen, die den ganzen Tag vor sich hinsabbeln