k.eine Lawine

Es ist Jahre her, dass mich mein Shampoo zum Kotzen gebracht hat. Und wie lange Jahre vorbei fühlt es sich an, dass ich zuletzt unter so einer massiven Lawine von Erinnerungen begraben wurde. Vorbei ist mein eitler Höhenflug, bald wäre ich durch. Nicht mehr lange. Bald bin ich fertig mit der Therapie. In Kürze nur noch little fires everywhere und ich wie Fiona Feuerwehr kompetent und alltagsnormal am Start.
Jetzt saß ich am Fenster, mein Telefon noch in der Hand. Meine schwere Decke auf den Beinen, müde, das Nachgespräch mit meiner Therapeutin prozessierend.
Ich kam mir so dumm vor, dass ich nicht damit gerechnet habe. Das Prinzip, dass man irgendwo rüttelt und aus dem Unsichtbaren fällt etwas runter, so unbemerkt ist meine Angst davor geschrumpft.

Aber „Lawine“ ist eigentlich das falsche Wort. Das Problem mit Lawinen ist, dass sie viele wichtige Dinge begraben. Sie rollen sich aus und die Arbeit danach ist restaurativ. Man verliert Dinge, die man kennt und bekommt jede Menge Material dazu, aus dem man sie sich nicht wiederherstellen kann.
Bei Erinnerungen an Erlebnisse in meiner Kindheit ist es eher so, dass ich ganz vorsichtig an einem Stück Erinnerung zupfe und dann durch den Boden breche. Tausend Jahre falle und in einer Dimension lande, über die mir niemand etwas sagen kann. Ich kann nicht wissen, ob das echt ist, nur ob es sich echt anfühlt. Ich kann nicht wissen, wie die Abläufe sind, nur wie ich sie verstehe. Keiner meiner üblichen Maßstäbe wird meinem Erleben gerecht, die Orientierung ist praktisch unmöglich. Es geht nur vorwärts oder weg. Bis man raus hat, wie man im Übergang stehen kann. Wenn es einen Übergang gibt.

Und dann das Material. Ich kann nichts damit anfangen. Vielleicht kam ich deshalb auf das Bild der Lawine.
Eine Bemerkung der Therapeutin war, dass niemand von uns Mitgefühl mit ihnen hat. Ihnen, Kindern, die wir nicht wie Kinder erleben, nicht wie Kinder fühlen, nicht wie Kinder denken. Die sie aber als Kinder identifiziert. Das ist die schwierige Ebene. Ich habe Erinnerungen bekommen. In Form von Traumascheißekonfetti. Wild umherwirbelnd, verwirrend in seiner Mischung der Emotionen, Impulse und Gedanken_reste_stücke_anfänge. Das ist etwas, was diese so eingeordneten Kinderinnens betrifft, aber nicht sie selbst sind. Das ist etwas, was ich wahrnehme, aber nicht ich bin.
Identität vs. Erfahrungshintergrund. Hat beides miteinander zu tun, ist aber nicht das Gleiche. Mitgefühl erfordert ein Miteinander, in dem man einander fühlt und das ist nicht da. Auch jetzt nicht. Ich kann die Gefühle nicht benennen und einordnen, ich kann die Gedankenfitzel nicht sinnig mit dem Erlebnis verbinden, fühle mich elend, verlassen und hilflos, wenn ich versuche Ordnung hineinzubringen und es nicht schaffe. Fühle mich von der Therapeutin abhängig, wenn ich denke, dass ich das lieber nur noch versuchen will, wenn sie dabei ist. Bekomme Angst während der Überlegung, wie ich das in einer Therapiestunde machen will, wenn sie immer wieder Fokus auf die Kinderinnens legt, während ich versuche deren Erinnerungen zu etwas zu ordnen, das Sinn ergibt und Bedeutung hat. Beides ist wichtig, ich weiß. Aber gleichzeitig? Das ist zu viel.

Zum Glück war es keine Lawine. Mein Alltag läuft weiter, praktisch unberührt von all dem. Manchmal flackert eine Geräuscherinnerung bis zu mir. Manchmal ein Bild. In der nächsten Zeit benutze ich wieder festes Shampoo. Mein nächster Therapietermin ist in 3 Wochen.
Vielleicht ist es eher eine Welle gewesen.

Schmerzfamilie

Ich habe mir einen Vortrag zum Zusammenhang von Schmerz und Trauma im Kontext von Traumafolgen angesehen.*
Neben mehr Ansätzen zur Erklärung meiner Schmerzen ging ich mit dem neuen Wort „Schmerzfamilien“. Damit sind Familien gemeint, in denen Schmerzen das einzige oder das effektivste Mittel der Kommunikation sind. Statt Dinge auszusprechen, haben einzelne oder auch alle Familienmitglieder unterschiedlich gelagerte Schmerzproblematiken und entwickeln mehr oder weniger effektive Strategien des Umgangs und der Ver_Bindung.

Ein jugendliches Innen reagierte auf meine Erklärung des Wortes: „Dann war meine Familie voll die Unschmerzfamilie, haha.“ Eine kleine Erinnerungsblase öffnete sich erneut für mich, etwas erweitert durch die Verbindung zu der Jugendlichen. Meine Mutter, wie sie sich vor Schmerzen in der Küche krümmt. Die Hände um den Bauch, schwer atmend, über ihr stechend brizzelndes Essen in der Pfanne. Ihr Kopf ohne Gesicht, die Anspannung im Raum, Zeitlupe und Lichtgeschwindigkeit. Das Innen im Heute neben mir sagt: „Sieht aus wie in „Alien“, ne?“
Ich gehe weiter. Sehe, wie die Mutter sich aufrichtet, wegdreht, die Pfanne schüttelt. Mich, die_r immer noch starr im Türrahmen steht, zur Seite schiebt und meinen Schmerz der Berührung genauso ignoriert wie ihren eigenen keine fünf Minuten vorher. Da ist die Verbindung zum Innen schon wieder weg.

Im Nachdenken über meine Schmerzwahrnehmung und Einordnung tauchten weitere Blasen auf. Wie ich in meinen Führerschein von der Legoland-Fahrschule unter „Überempfindlichkeiten“ „Schmerz (Weh-Wehchen)“ schreibe und es absolut ernst meine.
Wie stolz ich bin, meine Selbstverletzung zu schaffen, um mich anschließend mit Grund zu verbinden. Mit wie viel, ja, euphorischer Freude ich mich gegen Wände werfe, meinen Kopf anschlage, mich vom höchsten Punkt des Klettergerüsts fallen lasse, weil es sich so gut, so körperhaft – und eben nicht schmerzhaft – anfühlt. Obwohl ich doch so überempfindlich bin. Wenn mich jemand ganz ~“normal“~ berührt, einfach mal anspricht, ich mich an- oder ausziehe, wasche oder die Kleidung wechsle.

Was ich nach dem Vortrag denke ist, dass mein Körper einerseits gelernt hat, dass es von Vorteil ist, so schnell wie möglich zu erfahren, wann es potenziell gefährlich für ihn wird. Er ist sehr sensibilisiert und leitet alles schneller weiter, um entsprechend schneller in die Selbstschutzkaskade gehen zu können.
Andererseits kann mein Körper auch nur mit dem Input umgehen, der bei ihm als Schmerz ankommt bzw. von ihm als Schmerz erkannt wird. Entsprechend begreife ich einfach nur selten und wenn dann stark verzögert Verspannungsschmerzen oder so Dinge wie schmerzende, weil entzündete Organe. Aber lande praktisch sofort in – ich weiß, dass das übertrieben klingt, aber so ist es für mich – schlimmen Schmerzzuständen, wenn es sensorische Ausreißer in der üblichen Alltagskakophonie gibt. Ich also unerwartet angefasst oder angesprochen oder mit lauten Geräuschen (Sirenen, Klingeln, z. T. das Tuten beim Telefonieren) konfrontiert werde.

Irgendwie bin ich sowohl überempfindlich als auch unterempfindlich. Schon im Normalzustand. Kommt Stress dazu, verstärkt sich alles und löst dissoziative Mechanismen aus. Und wird unterscheidbar. Für mich jedenfalls. Ertauben, betäubt sein, ist sehr anders für mich als unempfindlich sein. Dissoziation verändert die Wahrnehmung, die man üblicherweise hat.
Ich habe gelernt, dass meine Wahrnehmung nicht richtig ist. Und ich kann an dieser Stelle nicht sagen: „Weil die Täter_innen das so wollten.“ Ich will es auch nicht. Denn viel häufiger war ich in meinem Leben mit einer ganz normalen, ganz alltagsgewaltvollen Abwehr meiner Empfindlichkeiten konfrontiert. Ganz üblich hat mir die Schulglocke den Schädel zersägt. Voll normal haben mir die Sockennähte die Zehen aufgeschnitten. Easypeasy mit Lächeln im Steingesicht habe ich mich jahrelang durch Händeschütteln, Freundschaftsumarmungen und mein ganz eigenes Desensibilisierungstraining gequält. Immer mit dem Gedanken: Irgendwann werde ich mich daran gewöhnen, dass es sich anfühlt, als würde meine Haut aufreißen. Weil ich nicht wusste, weil niemand in meinem Leben wusste, dass es bei den meisten Menschen anders ist als bei mir.

Bisschen paradox vielleicht – ich wollte gerade schreiben, dass die Gewalt an mir eigentlich immer eher die dankenswerte Ausnahme-Schmerzerfahrung war. Weil der Schmerz in diesen Situationen von allen Beteiligten erwartet war. Aber naja, „dankenswert“, hm. Das macht es irgendwie noch trauriger und schlimmer alles. Hm, hm, hm.

Jedenfalls.
Ich gehe auch mit dem Gefühl aus dem Vortrag, dass ich mit dem Schwimmen als Ausgleich und den Radtouren im Sommer tue, was sich therapeutisch an der Front anbietet. Defokussierung üben, andere Körpergefühle kennenlernen, die Schmerzerwartung aktiv reflektieren und beobachten, was passiert. Sich immer wieder darin verwurzeln, dass jetzt darauf reagiert wird und gut tuende Umgänge probiert werden können. Heute darf es sich auch gut anfühlen – es gibt einen Raum über „Schmerz“ und „Geht“ hinaus. Wir können ihn erforschen.
Und verteidigen. Gegen die Schmerzerwartungen anderer Menschen.

* der Vortrag wurde vom THZ München angeboten und ist Teil eines kontinuierlichen Angebotes – reinschauen lohnt!

der Text zur Debatte nach der Absage des Kongresses in München

Wir kommen aus Zeiten, in denen „das Schweigen der Opfer“ als gegeben hingenommen wurde. So sehr, dass man sich als Person, die zum Opfer geworden ist, zuweilen verpflichtet fühlte, außerhalb bestimmter Räume zu schweigen, um als Opfer an.erkannt zu werden und eine („richtige“) Stimme verliehen zu bekommen. Von Fürstreiter_innen, Stellvertreter_innen … Menschen, die sich einsetzen und ein Schweigen brechen, das über sie selbst hinaus geht. Menschen, die gehört werden, weil sie einen bestimmten Status haben und damit bestimmte Positionen vertreten können, die es ihnen erleichtern, bestimmte Interessen durchzusetzen. Formal vielleicht unabhängig von eigener Opferschaft, eigener Betroffenheit, persönlicher Involviertheit – rein praktisch aber nicht. Denn Opferschaft schwächt. Immer, alles. Auch politische Positionen, politisches Gewicht, soziale Macht. Entsprechend wichtig ist, dass Stellvertreter_innen selbst nicht als Opfer sichtbar werden und ihr soziales Kapital teilen – in diesem Fall also den Menschen, die zu Opfern wurden, Raum verschaffen, in dem sie gehört werden und ihre Forderungen ausdrücken können.

Im Kontext organisierter Ritueller Gewalt gab es diese Stellvertreter_innen lange nur bedingt. Behandler_innen haben sich zusammengetan. Auf Konferenzen und Tagungen gesprochen. Es gab Veranstaltungen, zu denen auch Überlebende kamen, manche konnten auch mal was sagen. Zeitung und Fernsehen haben sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal der Thematik gewidmet. Mal mit einer Spurensuche, mal ganz nah am Innen_Leben einer Person, die sich als Viele erlebt und Rituelle Gewalt als Ursache beschreibt, aber regelmäßig auch mit Beiträgen, die die Existenz Ritueller Gewalt anzweifeln und das Schweigen der Opfer zu einer Waffe machen.
Raum wurde also gegeben. Wenig, sehr wenig, und auch nie bedingungslos, barrierearm und wirklich frei, aber im Hinblick darauf, dass diese Räume überhaupt erst einmal geschaffen und durchgesetzt und etabliert werden mussten, ist es nur bedingt fair, daran große Kritik zu üben. Zumal sich Betroffene auch gewissermaßen öffentlich zusammengetan haben. In Foren, Selbsthilfezeitschriften, Facebookgruppen, Mailinglisten. Oft exklusiv. Anonymisiert. Aber nicht versteckt. Nie still_schweigend.

Und heute ist es vergleichsweise einfach, sich den Raum selbst zu nehmen geben. Ein Instagramprofil reicht aus. Eine Googlemailadresse. Ein Blog, ein Podcast. Es war noch nie zuvor möglich, gleichzeitig so privat und öffentlich zu sein, mit einem Thema. Man hat es dadurch leichter, sich zu positionieren und eigene Interessen zu verfolgen. Schöne Sache eigentlich. Verbindend auch. Viele erleben sich zum ersten Mal verbunden und gestärkt durch die Vielzahl von Menschen, denen es ähnlich geht wie ihnen.
Das trifft auf Gewaltüberlebende zu wie auf Menschen mit anderen Über_Lebensgeschichten. Gewaltüberlebenden gönnt man das aber vielleicht eher als Leuten, die leichteres Gepäck haben. Und Gewaltüberlebenden wird oft auch nur dieses Interesse unterstellt zugetraut: Schweigen brechen. Für die Gerechtigkeit. Die Rache. Der mal mehr, mal weniger diffuse Gedanke an Prävention.
Gibt es Zweifel an der Über_Lebensgeschichte kippt das Ganze in die Unterstellung, Lärm um nichts zu machen, eine Rampensau zu sein, soziale Bestätigung mit Zuneigung zu verwechseln – oder auch: davon zu profitieren, für ein Opfer gehalten zu werden.

In diesen Dynamiken bewegt sich der Diskurs zu Gewalt und ihren Folgen nach wie vor am meisten. Zumindest aus meiner Perspektive.
Es wird viel geschwiegen, um nicht als Lügner_in wahrgenommen zu werden und es wird viel darüber gesprochen, wen man warum für wie glaubwürdig hält und von welchem Ausmaß, welchen Formen und welchen Verstrickungen in gewaltvolle Kontexte man denn nun aber jetzt mal wirklich richtig und echt – LIKE ACTUALLY!!! – ausgehen kann. Bevor man sich irgendwie involviert. Bevor man an Strukturen herumschraubt. Oder sich umfassend informiert. Meinung und Gefühl mit Fakten ergänzt. Glauben schenkt.
Immer wieder werden die Interessen der Betroffenen, die sich aus Grundbedürfnissen ergeben, den strukturgewordenen Interessen, die sich aus sozialen Positionen ergeben (die irgendwann am Ende der Kette etwas mit Grundbedürfnissen zu tun haben) gegenübergestellt. Deshalb sehen wir – wenn wir denn mal Opfer mit eigener Stimme sehen – tendenziell eher Opfer, die (erfolgreich) angezeigt haben, deren Täter_innen(netzwerke) bekannt, verstorben oder im Gefängnis sind. Die „guten Opfer“ sozusagen. Vielleicht auch krank oder behindert durch die Gewalt, vielleicht sogar mal nicht deutsch und weiß, aber eben doch überwiegend Überlebende, die sich vor.bildlich verhalten haben. Die ordnende ordentliche Befragungen haben über sich ergehen lassen, die sich von jeder Behörden- und begutachtenden Person haben anzweifeln lassen, die materialistische Beweise haben anbringen können.

Die „schlechten Opfer“ sind die, die als lügend oder psychisch zerstört und also als unwert eingeordnet werden können. Weil sie dieser Systematik, die es nur gibt, um die sozialen Interessen unserer Gesellschaft zu sichern, nicht entsprechend handeln. Können. Wollen. Sie sind zu kaputt, zu schwer und/oder auf eine Art geschädigt, für die das bestehende System keine andere Verwaltungsoption hat als den Dropout. Den Ausschluss und damit die Diskriminierung.
Man muss sich das klarmachen. Es gibt die Justiz oder irgendwelche anderen Behördenstrukturen nicht, damit alle in unserem Land gut versorgt sind und alles haben, was sie brauchen, um ein gutes Leben zu führen. Es geht um Recht und Ordnung. Das schließt das Recht auf vieles ein – es gibt aber kein Recht auf ein gutes, rundum versorgtes Leben. Es wird primär die Existenz gesichert. Wie die aussieht und ob das fair ist, ist sekundär. Antragssache mit Ermessensspielräumen, die pervers und abstoßend sind, wenn man sich das mal genauer überlegt.

Es geht darum, dass niemand unbe.recht.igt ermächtigt wird. Denn Macht geht immer auch mit der Möglichkeit zu schaden einher. Es geht also – ganz grob heruntergebrochen – um einen Verteilungsvorgang, der von vornherein erfordert, dass man gewissen Normen folgen kann. Auch denen, die an Opfer von Gewalt angelegt werden. Und wie immer gibt es Menschen, die durchrutschen. Wer nicht kann, hat Pech. Es gibt keinen doppelten Boden in diesem System. Wer durchrutscht, ist auf das soziale Kapitel angewiesen, das außerhalb dieses Systems generierbar ist. Freund_innen, Familie, Fans und Follows. Mit genug Freund_innen und Fans kann man auch Recht bekommen und sich ähnlich frei und versorgt bewegen, wie jemand, die_r Recht hat. Vor allem, wenn unter diesen Freund_innen und Fans „die richtigen“ sind.
Das ist der Grund, weshalb die Einen immer Frau Benecke, die im Fernsehen viel Bühne bekommt, zitieren und sich ihr anbiedern und die Anderen an Frau Huber und andere Behandler_innen, die in der psychotherapeutischen Fachwelt (und ebenfalls in den Medien) viel Raum bekommen.

Die Wahrheit der Masse ist nicht die Wahrheit, aber Macht. Wahrheit ist Machtsache. Entsprechend ist Macht, worum die ganze Geschichte um die Abwehr der Anerkennung von organisierter Ritueller Gewalt, DIS als komplexe Traumafolge, Opferschaft als sozialer Status und die Verantwortung des Staates sie zu ver.teilen geht.
Es geht nicht um die Personen, die Stellvertreter_innen hinter denen man sich versammelt, weil sie „die richtigen Sachen“ sagen, die „die Wahrheit ans Licht bringen“ und „aufklären, damit sich etwas zum Guten verändert“. Es geht darum, dass allein mächtige Menschen über die Lebensrealitäten ohnmächtiger Menschen entscheiden und zusätzlich noch definieren (wollen/dürfen), wer denn nun wirklich und wahrhaft ohnmächtig ist.

Es geht um falsche Vorstellungen von Opferschaft und die Er_Lebensrealitäten von Menschen in organisierten, extrem kontrollierenden, ideologisch indoktrinierenden Umfeldern – genauso wie es um falsche Vorstellungen von Täter_innenschaft, Hilfe und Macht durch Wissen(schaft) geht. Beide Fronten, die im Zuge der letzten Aufregung um die Dokumentation in der Schweiz und die Absage des Kongresses in München sehr deutlich wurden, sprechen sich öffentlich als „für die Opfer“ aus. Und verlassen sich beide auf Konstanten, die es so nicht mehr gibt: Unwissen über die Gewalt und ihre Aus_Wirkungen, Unwissen in der Justiz, den Faktor „Seltenheit“ sowie letztlich auch das Schweigen der Opfer.

Hört man zum Beispiel der Vorsitzenden von False Memory Deutschland e. V. in diesem Radiofeature (Link zur WDR-Mediathek) zu, könnte man meinen, wir leben weiterhin in den 80er Jahren. Als hätte es keinerlei Fortschritt in Psychologie, Medizin und Justiz gegeben.
Das Gleiche könnte man aber auch denken, wenn man die_n eine_n oder andere_n Psycholog_in oder Überlebende_n mitkriegt, die_r auf der eigenen Plattform immer noch dafür trommelt, dass man doch endlich glauben solle, schließlich seien SIE überall und immer und die Arbeit damit begründet, dass ja immer noch niemand wirklich Bescheid wüsste. Als wäre Glauben alles, was es braucht, um zu wissen.

Ich kann nur über die Interessen dieser Fronten spekulieren. Ziemlich sicher bin ich mir darüber, dass „für die Opfer zu sein“ nicht das tatsächliche Interesse ist.
Wer „für die Opfer ist“, braucht die Opfer als aktive, handlungsfähige, ermächtige Stimmen und Akteur_innen in eigener Sache und nicht in einer untergeordneten Position, die die eigene Argumentation stützt. Wie ein Objekt. Ein seelenloser Fakt, beliebig einsetzbar, um Aussagen zu verstärken oder zu belegen.
Wer sich für Opfer einsetzt, spendet für ihre Selbsthilfegruppen, ihre Aufklärungsprojekte, verbündet sich mit ihnen auf Augenhöhe und gleicht sich mit ihnen ab. Behandelt sie wie gleichwertige Gegenüber und kritisiert sie also auch mal. Weißt auf Fehler und Fehlschlüsse hin. Verlangt Fakten statt Glauben und anekdotischer Evidenz. Schweigt nicht über eigene Gewalterfahrungen und ihre Folgen.

Ich sehe auf beiden Seiten einen Kampf um soziale Positionen und den Versuch, die jeweils andere Position zu schwächen. Während die Folgen dieses Kampfes von Betroffenen thematisiert werden. Angst, Sorge, existenzielle Bedrohungsgefühle.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücken, dass ich mich als Opfer ausgenutzt fühle in diesem Gerangel. Angelogen und ausgenutzt. Einmal mehr auch schmerzhaft daran erinnert, dass wir an diesem Punkt tatsächlich einfach noch nicht weitergekommen sind: Die Anerkennung von (schwer kranken, behinderten) Opfern als Menschen in einer sozialen Position der Schwäche und Unwertigkeit, die mehr oder weniger absichtlich immer wieder hergestellt wird. Man muss sich klarmachen, dass Behandler_innen, die das Kreuz „für uns“ breit gemacht haben, uns immer krank und völlig zerstört gebraucht haben – genauso wie die Menschen, die, um „die echten Opfer“ zu schützen, umfassend vor „falschen Erinnerungen“ und schlechten Traumatherapeut_innen warnen. Unser Leid ist ihr Argument. Deshalb darf es nicht enden. Es muss so lange neue Opfer geben, bis eine Seite Recht und also die Wahrheit zugesprochen bekommt.
Wer auch immer das jemals zusprechen können sollte.
Diese Frage ist für mich nach wie vor offen in dem Interessenkonflikt. Wer soll durchsetzen, wer Recht hat? Und wie wird dieses Recht dann durchgesetzt? Was für Folgen wird es haben? Wessen Machtgewinn ist tatsächlich ein Gewinn für die Opfer? Die „guten“ wie die „schlechten“.

In der Schweiz hat die Fernsehserie um den auslösenden Fall bereits Folgen für Menschen mit DIS. Auch für die „guten Opfer“ mit DIS. Sie haben nämlich nun einen Behandlungsplatz weniger und eine Debatte darüber, was Behandler_innen glauben dürfen, um als „gute Behandler_innen“ zu gelten. Sie haben keine Debatte darüber, was Menschen, die von schlechten Behandler_innen indoktriniert wurden, brauchen. Wie sie entschädigt werden. Wo sie welche auf welchen Überzeugungen und Fakten basierende Hilfe erhalten. Sie haben, soweit ich das weiß, auch keine Fachdebatte darüber, wie professionelle Abstinenz von Behandler_innen und Verschwörungs_Glaube zusammengehen – oder wie man denn fachlich fundiert feststellen will, ob jemand aufgrund persönlicher Weltbilder oder (pseudo-) religiöser, esoterischer oder anderer (fundamentalistischer) Überzeugungen nicht geeignet für den Beruf ist. Man hat aus meiner Perspektive bisher mehr Menschen geschadet als geholfen. Und zwar nicht – und das will ich hier ganz klar verstanden wissen – weil man gegen jemanden vorgegangen ist, dem vorgeworfen wurde, er hätte jemandem etwas Falsches eingeredet, sondern weil man das ohne jede Rücksicht auf die Sachlage und die Realitäten vieler Menschen getan hat, denen das nie passiert ist – und die das nie getan haben.

Es ist dieses umfassend grobe Handeln und hinzukommend die reaktive Vereinnahmung des Falles für die eigene Argumentation gegen die Anerkennung organisierter Ritueller Gewalt im Rahmen satanistischer Indoktrination, die natürlich Auswirkungen hat und Reaktionen provoziert. Selbstverständlich. Es wäre dumm, nicht darauf zu reagieren. Es ist sinnvoll und klug, sich selbst zu reflektieren nach so einem Fall. Wer sich sachlich, fachlich und auch persönlich richtig mit dieser Thematik befassen und am Ende tatsächlich etwas für die Üb.erlebenden erreichen will, prüft sich auf Fehler. Kritisiert sich selbst, verbessert sich, prüft sich bis in die Tiefe. Schaut sich an: Mit wem ist welche Zusammenarbeit sinnvoll und mit wem (erst einmal) nicht? Nimmt übernommene Verantwortungen ernst und gibt sie wieder zurück, wenn sie nicht (mehr) 100 % sicher getragen werden kann.
Meiner Ansicht nach ist die Absage des Münchener Kongresses daher nur richtig und gut. Die Kommunikation hätte besser laufen können, ist aber sekundär in dieser Situation. Man muss sich immer erst ein Mal auf sich konzentrieren, für soziales Lieblieb und Beschwichtigen und Versichern nach Außen ist später noch Zeit. Genug Zeit. Unfassbar viel genug Zeit, denn es wird immer wieder vorkommen, dass so etwas passiert.
Es ist nicht das Ende der Welt. Es ist kein umfassender „Sieg der Bösen über das Gute“ oder überhaupt irgendeine Aussage über die Realität organisierter Ritueller Gewalt.
So sieht es aus, wenn jemand die eigenen Interessen mit dem eigenen Handeln abgleicht und selbstsichernd handelt. So sieht es aus, wenn jemand reagiert, um handlungsfähig zu bleiben. Konzentration auf die Basis, Überprüfen der Ressourcen, Bündelung der Kräfte, selbst_versichert weitergehen.

Das ist das Verhalten, das es braucht in dieser Auseinandersetzung, um die Dynamik ums Rechthaben und Wahrheiten „ermachten“ aufzulösen. In diesem Sinne ist mein Verständnis für hoch emotionalisierende Aufrufe in die Öffentlichkeit gering und geht nicht wirklich über die Anerkennung der großen Gefühle hinaus. Sie sind da, ja, es schlimm, dass jetzt viele Betroffene (wieder) Angst haben – aber ich persönlich finde viel schlimmer, dass diese Ängste eine Berechtigung haben, weil der Normalzustand bereits von Unterversorgung und viel Leid geprägt ist und sich daran auch in nächster Zeit nichts ändern wird – egal, ob diese Überlebenden tatsächlich und echt und wahrhaft organisierte Rituelle Gewalt erlebt haben oder nur davon überzeugt (worden) sind.

Die Sachlage enthält genug Baustellen. Niemand hilft, wenn nur soziale Interessen im Fokus stehen.

Tipp: „Das neue Soziale Entschädigungsrecht – Besonderheiten für ein betroffenenzentriertes Verfahren bei sexualisierter Gewalt und Ausbeutung – Fachtag für Betroffene“

„Mit der interdisziplinären Fachkonferenz wollen wir Politik, Sozialverwaltung und Sozialgerichtsbarkeit zusammenbringen mit Traumaambulanzen, Fachberatungsstellen und Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung, um gemeinsam die Möglichkeiten des neuen Rechts für ein betroffenenzentriertes Verfahren aufzuzeigen und zu diskutieren.

Die Expertise Betroffener ist für uns wesentlich. Der Fachtag soll es Betroffenen ermöglichen sich im Vorfeld der Konferenz untereinander auszutauschen und gemeinsame Positionen für die Fachkonferenz im Mai zu erarbeiten und abzustimmen, die sie dann auch in die Fachkonferenz einbringen können.

Wir laden Sie hiermit herzlich zur Teilnahme am Fachtag für Betroffene am 17. März 2023 in Präsenz in Berlin ein.“

Mehr Infos hier: https://ubskm-veranstaltungen.bafza.de/fachtag-soziale-entschaedigung-fuer-betroffene-sexualisierter-gewalt/start.html

note on: Hannah mach doch auch endlich was

Urlaub also. Und das Auto ist wieder heil. Back to normal?
Ich bin so runter mit allem, dass nichts mehr normal laufen kann. Bin genervt von Sprachnachrichten, genervt von Nachfrage-, Abklär-, Soll das so-, Entscheide du-Mails. Bin ohne jeden Überblick, was die aktivistische Community in Sachen „Aufklärung der Massen über rituelle Gewalt“ so auf die Füße stellt, werde aber dauernd auf das Instagramvideo und YouTube hingewiesen und seit Wochen per Mail angeschrieben, was ich denn denke, finde, glaube, machen will, auch in der Causa Schweiz/Satanic Panic/Missinformation deluxe. Bin verwirrt, weil immer noch niemand zwischen Interessen und Positionen unterscheidet. Denke die meiste Zeit „Hä?“ und spüre dem Rutschen dieser Bubble von mir weg nach.

Gefühlt steht mal wieder auf dem Spiel, dass niemand mehr glaubt, es gäbe organisierte Rituelle Gewalt. Gefühlt muss die DIS-Diagnose schon wieder verteidigt werden. Gefühlt sind Behandler_innen in Gefahr. Gefühlt ist alles ganz dramatisch und muss jetzt ganz schnell irgendwie eingefangen werden und Aktion Aktion von allen! Jetzt hier und gleich und mit voller Durchschlagskraft, weil so muss man das doch machen. Mit aller Gewalt gegen die Gewalt!
Weil uns das ja zuverlässig immer irgendwas bringt.

Es ist extrem herausfordernd für mich, meine Solidaritäten beieinander zu behalten in dieser so sehr verstreuten, schnellen, kurzlebigen Community. Aus der ich persönlich niemanden wirklich kenne und für die ich gefühlt auch einfach nicht (gut, aktiv, laut, offen, echt, kompetent) genug bin. Die Währung ist „lieb“. Ist Freund_in, treue Follower*innenschaft, privates Kennen und Mögen, soziales Feelgood, Bestätigung. Und ich habe nur Überzeugung und Solidarität auf Faktenbasis. Das reicht nicht, um als Nichtfeind_in an.erkannt zu werden. Vor allem nicht in Zeiten wie diesen.

Meine Solidaritäten sind systemisch. Ich stelle so etwas wie „Viele Stimmen“ auf die Beine, während ich ein unfassbar schwieriges, schmerzhaftes Buch schreibe, das der Community helfen soll, fast Vollzeit in einem Verlag arbeite, der ebenfalls vielen Communitys solidarisch zur Seite steht und eine Podcastreihe ausrichte, die der Community helfen soll, das Stigma selber aufzulösen. Ich bezahlte das Supportticket für die nun abgesagte Tagung, damit andere Betroffene auch kommen können. Obwohl ich als Mitmacher_in auch kostenlos reingekommen wäre.
Sich nicht wie Menschen, die mit sozialer Bestätigung handeln, zu beteiligen, heißt nicht zu schweigen. Oder unsolidarisch zu sein. Oder sich nicht zu interessieren. Oder doof zu finden, was andere machen.

Schon, dass ich diesen Text schreibe, um das zu erklären, ist für mich eins von vielen Zeichen dafür, dass ich gerade traumanah fühle. Ich erkläre mich einer diffusen Gruppe, die mich als Individuum gar nicht erst erfasst, sondern einfach nur als Masse hinzugewinnen will, obwohl ich schon längst dabei bin. Nur eben nicht so wie sie. Klassisches Ding in meinem Leben. Drinnen und Draußen sein gleichzeitig.

Jetzt aber gehe ich erst einmal rein. In meinen Urlaub. Erarbeite mir zurück, mich jeden Tag zu pflegen, mich gesund und ausreichend zu ernähren, zu bewegen und mich selbst zu spüren. Meine Gedanken zu hören, meine Ideen zu erforschen. Und dann schreibe ich das mit den Interessen und Positionen auf. Und warum uns die Beschäftigung damit weiter bringen kann, als eine Wall of Hashtags und Solidaritäten aufgrund von „lieb“.

Reblog: Wenn Störer*innen triumphieren: Zur Absage des Fachtages zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt in München

Wir haben von der Absage des geplanten „2. Münchner Fachtages zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt“ gelesen und kauen an der nebulösen, unklaren Begründung des „TraumaHilfeZentrums München“ herum: „Auch in der aktuellen Berichterstattung verbreiten sich unterschiedliche Narrative (zu oben genannten Gewaltformen; vor allem leugnende Narrative, Anmerkung der Autorin) zunehmend. Diese Medienberichte haben keinen direkten Bezug […]

Wenn Störer*innen triumphieren: Zur Absage des Fachtages zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt in München

Fundstücke #85

„Ich hab in den letzten Monaten echt geastet.“ Mein Partner liegt neben mir. Vor zwei, drei … noch mehr? Wochen. Tief erschöpft. Vom Bett aufs Sofa gekommen, als ich endlich losgerissen bin von meinem Geaste. Der Satz klingt bis heute in mir nach. Ich stelle mir vor, wie wir Bäume sind. Riesengroß und langsam wachsend. Tag um Tag, Meeting um Meeting, Arbeitsphase um Arbeitsphase, Termin um Termin, Text um Text. Jeden Tag, mit viel zu kurzen Unterbrechungen seit dem Sommer. Geastet. Nicht gesprosst. Nicht gelaubt. GeASTet.

Meine Fehlerrate ist enorm geworden. Ich vergesse Dinge, übersehe Handlungsschritte und bemerke es nicht ein Mal. Ohne das Schwimmen vergesse ich zu duschen. Mir die Zähne zu putzen. Aufstehen, PC an, schreiben, korrigieren, lesen, denken, planen, Hunderunde, PC an, schreiben, planen, organisieren, projektieren, überblicken, durchdenken, Abendbrot in trauter Seligkeit bei Deep Space 9, mit dem warmen schweren Kopf von Bubi auf dem Bein. So sind meine Tage. Außer am Wochenende. Da spiele ich zwischendrin „Sims 4“ bis mich die Angst, den nächsten Termin zu vergessen, ablenkt oder ich den Partner sein Geäst ausstrecken höre und meins hineinschieben will. Ich denke, dass wir uns so gegenseitig vor Astbruch schützen.

Der Garten sieht aus wie Schwein. Im Urlaub.
Meine Wohnung ist ein Mahnmal des Unerledigten. Im Urlaub.
Es gibt Dinge zu recherchieren. Im Urlaub.
Ich muss meine Diät anfangen. Im Urlaub.
Es sind nur zwei Wochen. Mein Urlaub.

Aber im Sommer. Oder Herbst. Was besser passt.
Wenn ich bis dahin keinen mit Leben gefüllten Uterus umhertrage, werde ich mich tragen lassen. Bei einem Tandem-Paraglyding-Flug. Ich werde einen scheiß hohen Berg hochlaufen und mich dann runtergleiten lassen. Panoramisch. Hoffentlich bei Sonnenschein. Ich will alpinen Sonnenbrand zu meinem Muskelkater. Wenn schon, denn schon. Schließlich diäte ich vor allem dafür.
Wenn ich schlafen gehe, stelle ich mir das vor. Wie wir da schweben. Mit so viel Abstand von allem und allen. Mit so viel Schwung, dass all die Äste, die nötig, aber ohne tragende Funktion sind, von mir wegfliegen. Ohne, dass ich sie groß betrauern oder verabschieden kann. Ich denke mir das wie extremes Schaukeln. Bisschen kribbelig, bisschen schwere.los. Mit der Gefühlsidee schlafe ich oft ein und manchmal fliege ich dann im Traum.

Noch 8 Tage. Dann Urlaub.

Netzwerk im Aufbau, verstetigte Gruppen | Links und Hinweise

Aus unserer Sicht

Anfang Januar erreichte uns der Aufruf zur Beteiligung am Gründungsprozess des bundesweiten Netzwerks „aus-unserer-sicht“ von Betroffenen für Betroffene
von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend. Hier geben ihn nun an euch weiter.

Grundlegende Ziele des bundesweiten Netzwerkes (e. V.):

  • Das Netzwerk bringt die Expertise von Betroffenen in die gesellschaftlichen und politischen Prozesse ein.
  • Das Netzwerk soll regionale, nationale und internationale Vernetzung und das Empowerment Betroffener fördern. Dazu sollen Austausch- und Aktionsformate wie zum Beispiel bundesweite Kongresse, Fachtage zu wechselnden Schwerpunktthemen, Dialoggespräche und regionale Aktionen unterschiedlichster Art und Zielsetzung organisiert und durchgeführt werden.
  • Betroffenen aller Tatkontexte werden Beteiligungs- und Handlungsspielräume im Sinne von Empowerment ermöglicht. Beteiligungsprozesse in allen Bereichen – zum Beispiel in Forschung und Aufarbeitung – werden gefördert.
  • Das Netzwerk bietet fachliche Unterstützung bei Selbsthilfe-Aktivitäten.
  • Das Netzwerk hat eine digitale Präsenz mit eigener Webseite und informiert transparent über aktuelle Entwicklungen (z.B. über Social-Media-Kanäle und mit einem Newsletter)

Mehr über die Initiator*innen und das Projekt selbst findet ihr auf ihrer Webseite. https://aus-unserer-sicht.de/
Dort gibt es auch Informationen in Leichter Sprache und Gebärdensprache. Die Webseite verfügt außerdem über einen „Notausgang“.

Um euch an der Planungsphase zu beteiligen, könnt ihr den Fragebogen auf der Seite ausfüllen oder per Mail einsenden. Bleibt auf dem Laufenden, in dem ihr euch für den Newsletter anmeldet.

Netzwerk Trauma und Dissoziation (Schweiz)

Ist eine Dienstleistungsplattform zur Informationsvermittlung über Traumafolgestörungen: Die Initiator*innen schreiben über sich auf ihrer Webseite https://www.netzwerktrauma.ch/:
„Wir sind eine Gruppe von Studierenden und Forscher*innen zu Themen rund um Traumafolgestörungen und kultursensitive Psychologie. Wir nehmen dabei eine persönliche als auch medizinisch-psychologische Sichtweise ein und versuchen dieses Wissen an eine breite Öffentlichkeit auf verständliche, aber nicht minder präzise Art und Weise weiterzugeben. Regelmäßig werden hierzu aktuelle Forschungsergebnisse aufbereitet und in den Kontext eingebettet. Unser Hauptziel ist es, eine breite Öffentlichkeit für die Thematik zu sensibilisieren und dass dadurch Betroffene einen kompetenteren Umgang mit ihrer Erkrankung finden.“

Ein Projekt des Netzwerks ist die Gruppe DISpositiv. Sie versteht sich als „eine Bewegung, die sich für die Rechte von Patient:innen mit dissoziativer Identitätsstruktur einsetzt und ihre Interessen und Bedürfnisse öffentlich vertritt.“ Sie gründeten eine Selbsthilfegruppe und klären in ihrem Newsletter zur DIS als Erkrankung in Folge von komplexer Traumatisierung auf. Mitmachen lohnt – Solidarität unter Betroffenen ist für die Vielen in der Schweiz gerade auch bitter nötig.
Deshalb mein Aufruf an euch: Newsletter abonnieren, mitmachen, vernetzen!
Alle Informationen findet ihr auf dieser Webseite: https://www.dispositiv.info/

verstetigt: die stabilisierende Onlinegruppe

Wir haben sie euch schon vorgestellt als sie anfing – die stabilisierende Onlinegruppe mit geleiteten Imaginationen zur Stabilisierung und Ressourcenfindung über Zoom vom Meike Märtens und Rebekka Leitlein. Sie konnten ihr Angebot nun verstetigen und bieten weiterhin jeden Dienstag ein Treffen zum Runterkommen, Stabilisieren und Stärken an.

Für wen ist dieses Angebot? Sie schreiben auf ihrer Webseite: „Dieses Angebot ist für alle, die sich in diesen Zeiten etwas Stärkendes wünschen. Es ist für Menschen, die sich auf Imaginationen einlassen können oder Interesse haben, dies auszuprobieren. Alle Termine sind traumasensibel gestaltet und somit auch – aber nicht ausschließlich – für Menschen geeignet, die Traumata erlebt haben bzw. das Gefühl haben, unter Traumafolgen zu leiden.

Über diese Webseite könnt ihr euch anmelden: https://traumatherapie.berlin/gruppenangebote/

Alltagskrümel

Montagmorgen. Wie gern würde ich jetzt nach Chlorwasser riechen und dem Gebrizzel der Dorfschwimmbaddusche auf meiner Haut nachfühlen. Stattdessen warte ich auf die Antworten vom Inhaber der Dorfautowerkstatt. Sage ihm, dass der ADAC-Mensch gesagt hat, es sei das Steuergerät, obwohl der eigentlich gar nichts zu meinem Auto sagen konnte. Der hatte so eins noch nie gesehen und Fotos für die Kollegen gemacht, bevor er es mit Schwung und Glück auf die Rampe des Abschleppfahrzeugs fuhr. Im Dunkeln auf dem Acker neben der Bundesstraße, meinem absoluten Angststück vor und nach der Schwimmhalle.

Im Nachhinein muss ich darüber nachdenken, ob ich nicht mehr Angst vor mir als vor einem Unfall hatte. Ich war so wütend über die neuerliche Fehlfunktion der elektrischen Steuerung, fühlte mich so verraten von diesem Kasten, dem ich nichts getan hatte, der mich aber so einfach auslieferte auf dem schlimmsten Straßenstück meines Fahralltags. Doch statt ungezielter Bewegungen, Schreien oder Weinen, war ich ein eiskalter Steinmensch. Nicht ruhig und geordnet, sondern eine angststeife Hülle, mit kaltem Schweiß auf der Oberlippe und leerem Sprechkopf. Ließ mich anblinken und hupen, bedachte den Seitenstreifen mit bloßer Kenntnisnahme seiner Abwesenheit und starrte unempfänglich für alles andere auf die Dunkelheit der rechten Fahrbahnseite. Irgendwo war eine Abfahrt, die war mein Ziel. Sogar noch als ich in sie einfuhr. Die Warnblinkanlage blinkte weiter, vermischt mit den völlig taktlosen Blinkern. Links und rechts donnerte das Auf und Zu des Türschließmechanismus. Im Scheinwerferlicht eine kleine Maus mit etwas in den Pfoten. Darüber hinaus Dezemberdunkelheit und kalter Wind.

Der ADAC hat eine App, das war gut in dem Moment. Nicht sprechen müssen, einfach alles eingeben, erst mal runterkommen. Wissen, bei dem Fahrzeug rufen sie eh nochmal an. Bei dem Wetter ist sowieso schon jemand seit Stunden unterwegs und pflückt Autos aus Gräben. Ich begann zu frieren und wickelte mich in die Hundedecke ein. Hörte ein Hörbuch, begann im Kopf mitzusprechen, konnte dann leicht ins Sprechen mit dem ADAC-Menschen gehen. Das nutzte ich, um zu sagen, dass die Maske für meinen Haushalt weiterhin wichtig ist und dass, ja, über die Dörfer zu fahren, um diese Zeit die schnellere Option ist. Die Werkstatt war zu, der Partner noch im Bett. Wäre ich nicht vorher schwimmen gewesen, hätte es mich vielleicht entbeint.

Und nun beginnt das Warten auf das Steuergerät, nachdem ich letzte Woche das Ende des Urlaubs in der Dorfautowerkstatt abgewartet habe. Mein Partner sagt, er würde mich auch morgens zur Schwimmhalle fahren. Dass er dafür um viertel 6 aufstehen müsste, obwohl er oft noch schläft, wenn wir wieder zurückkommen, hat er bei dem Angebot vermutlich noch nicht so ganz umfassend bedacht. Aber annehmen werde ich es. Die letzten Wochen konnte ich nur versprengt mal hier mal da schwimmen gehen. Auto kaputt, Arbeit im Weg, Erschöpfung zu groß, Monatsbluten mit 0 Kapazität für Verstöpselungsaktionen, irgendwas war immer in den letzten Wochen.

Ich hoffe, das wird besser.
Bald. Schnell. Bitte.

letztes Ziehen

Es ist der erste Tag, an dem ich nicht erst um 11 aufwache. Der xte Tag in diesem Jahr, an dem ich aufstehe und sofort im Meer meiner Aufgaben, Vorhaben, Verantwortungen schwimme. Es ist so viel, dass ich eigentlich keinen Jahresrückblick schreiben kann. Eigentlich überhaupt keine freien Stunden für meinen Sims-Haushalt habe. Eigentlich genau so weitermachen sollte wie vor den Feiertagen. Tatsächlich aber merke ich: Wenn ich mich nicht jetzt mal kurz hinsetze und wenigstens etwas davon aufschreibe, dann verfliegt es wie ein Parfüm, das ich für immer vermissen würde.

Anfang des Jahres haben wir eine verstrauchte Ecke des Gartens in ein Beerenbeet umgestaltet. Himbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren. Davor Dahlien und irgendwelche Blumenzwiebeln, vergessen welche. „No dig“ bewährt sich bei uns. Genug Mulchmaterial aus dem Garten selbst zu generieren, liegt noch in weiter Ferne.

Im Februar hatte mein Auto eine kaputte Starterbatterie. Im März habe ich nach 18, knapp 19 Jahren eine Behandler_in aus meinem Leben verabschiedet und über 40 Erdkröten über die Straße getragen. Im April schrieb ich sieben Texte zum Autism Awareness Month und einen über meine Realität im 15. Jahr nach meinem Ausstieg. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat mich mit kindlichen Todesängsten konfrontiert und mir bewusst gemacht, was ich nicht bewusst haben wollte und bis heute nicht begreife.

Im Mai war der 20. Jahrestag meiner Flucht Selbstrettung – ich weiß nicht mehr, wie ich es nennen will.
Meine Autismustherapeutin hatte keine Lust Kraft Kapazität mehr für die Arbeit mit mir und ich schrieb meine besten Texte über mein Hilfetrauma und seine Wiederholungen.
Ich sprach zum ersten Mal und gemeinsam auf Englisch zum Thema organisierter Ritueller Gewalt (YouTubelink) und plante mit Paula Rabe das Sommerpicknick für Viele und ihre Angehörigen im Juni. Außerdem dachte ich, dass jemand die Hunde und mich in meinem Auto totfahren würde.

Im Juni haben wir gesommerpicknickt, radgetourt und geurlaubt. Mit einem ersten lustigen Text gewann ich zum ersten Mal den Podetry Slam auf dem Podstock Festival. „Viele Stimmen“ hatte zu dem Zeitpunkt bereits ein Konzept und eine Webseite von mir bekommen.
Katja ist gestorben und fehlt jeden Tag.
Ich fand eine Lektorin und verstand im August, dass doch nicht. War aber nicht schlimm, ich wurde ja sowieso erst im Juli wirklich fertig. Nach zwei Wochen im tiny Einsiedel meiner Freundin in den Wallakutten vorm Teutoburger Wald. Wo ich fast nicht hingefahren wäre, weil es NakNak* schlecht ging. Das Alter, die Gelenke, das Gehör. Alles nicht mehr so toll. Aus dem Sporadisch-mal-dran-denken, dass das Leben mit ihr nicht mit meinem, sondern ihrem Tod endet, wurde ein konkreter Plan um ihr Sterben und den Umgang mit ihrer Leiche.

Im August hatte ich mich an meine neue alte Kurzhaarfrisur gewöhnt und die Kollegin, die mir am wichtigsten ist, in die USA zum Kluge-Dinge-Machen verabschiedet. Bei der Arbeit war es bis dahin unfassbar anstrengend für mich. Wir haben neue Stellen geschaffen, Bewerber*innen gesprochen, Bewerbungen gelesen und das neben dem üblichen Betrieb. Den hatten wir zwar runtergefahren, um alles für alle schaffbar zu gestalten, aber schaffbar war ja nie mein Problem. Nun lernten wir eine neue Kollegin kennen und fuhren den Workload wieder hoch. Ich habe noch nie so viel aus Frust und Überforderung geweint.
In dem Monat hörte ich auch zum letzten Mal von meiner Jobcoachin beim Jobcenter. Vermutlich Burnout. Wie die Coachin vor ihr.
Auch im August: Die erste öffentliche, gemeinschaftlich formulierte Stellungnahme zu einer schlechten Dokumentation mit dem Thema DIS. Fühlte sich gut an für mich. Nicht der Anlass, aber die Verbundenheit. Auch wenn die Antwort vorhersehbar ernüchternd war.

Im September wurde Malte getötet. Ich schrieb „Transfeindlichkeit tötet“ und emanzipierte mich ein Mal mehr von einer transfeindlichen Traumatherapeutin. Ich führte schmerzhaft aufklärende, unfassbar intime Gespräche mit Menschen, die noch nicht wussten, dass Psychotherapie für trans Menschen alles andere als gewalt- und/oder verletzungsfrei sein kann. Erinnerte meine Mitmenschen daran, was sie mir antun, wenn sie mich misgendern und als ihre Freundin oder Partnerin vorstellen. Also – ohne Gender_Gap oder *.
Dann öffneten wir die Anmeldung für die ersten drei Workshops bei „Viele Stimmen“ und widmeten uns all den Menschen, die uns auf unseren neuerlichen Aufruf für die Interviewreihe „Viele Leben“ schrieben. Ich ging durch meine dritte Magenschleimhautentzündung und argwöhnte, ob das vielleicht nicht doch immer noch die erste vom Jahresanfang war.

Meine vierte Coronaimpfung bekam ich im Oktober. Mit dem Impfstoff von Moderna, denn so krasse Menstruationsprobleme wie nach der Impfung von Biontech will ich nie wieder haben. Hat funktioniert, lief gut. Bin trotzdem unfassbar coronamüde-müde geworden. Hatte überfordernde Hassgefühle auf alle, die keine Maske mehr tragen und so den Lockdown für alle chronisch erkrankten und behinderten Menschen verlängern. Ich hörte auf, Nachrichten zu lesen und machte meinen Partner zu meiner persönlichen Nachrichtenagentur.
Ich traf I., die Lektorin für mein Buch. Arsch auf Eimer. Zufall ist einfach unschlagbar.
Ich veröffentlichte den Trailer und die Nullnummer von „Viele Leben“.

Fast alle „Viele Stimmen“-Workshops waren ausgebucht als der erste mit Frieda dann stattfand. Es lief nicht perfekt, für mich selber nicht ein Mal gut, aber beschwert hat sich niemand und darüber war ich froh, denn noch mehr hätte ich in diesem Monat nicht leisten können.
Auch, weil ich in der Therapie gezielt an Traumadingen und mit jugendlichen Innens arbeitete. Im November konnte ich mir eine schwere Decke für die Therapie leisten und veränderte damit viel alles für mich. Der bittersüße Nebeneffekt: Ich begriff noch ein Mal mehr, weshalb mein Buch zu schreiben so wichtig für mich war.
Das könnt ihr euch jetzt übrigens in der Frühjahrsvorschau ansehen. Aber auch auf der Verlagswebseite.
Am 13. veröffentlichte ich die erste Ausgabe von „Viele Leben“ mit dem Titel „multipel“. An dem Wochenende, an dem meine gesamte Netzreichweite flöten ging. Twitters Verkauf wurde bekannt gegeben, fast alle sind rüber zu Mastodon. Die wenigsten haben mich mitgenommen.

Jetzt im Dezember war ich zu einer Gesprächsrunde zu Neurodiversität eingeladen. Das war toll, aber nicht so toll wie ein Baby zu halten und den ersten lektorierten Durchgang meines Buches zu bekommen. Mein Auto hatte eine kaputte Starterbatterie. Ja, schon wieder. Warum weiß niemand.
Meinen „Viele Stimmen“-Workshop haben alle angemeldeten Teilnehmer*innen auch besucht. Es lief nicht so gut wie analog, aber viel besser als befürchtet.
„Viele-Sein“, mein Podcast, der seit 7 Jahren jeden Monat erscheint, sollte eine Gruppenaufnahme zum Jahreswechsel bringen, denn eine Gruppe, das wollen wir, die wir uns dieses Jahr gefunden haben, sein. Nächstes Jahr arbeiten wir weiter daran, es auch zu werden. Bis dahin gibt es dieses Jahr noch eine Episode mit Renée und mir. Ganz klassisch.

Die zweite Ausgabe von „Viele Leben“ ist nicht finanziert. Die Ausgabe ist nur von Unterstützer_innen zugänglich. Für mehr Werbung, besseres Branding meiner Projekte, mehr Netzwerken, mehr mehr mehr … alles, habe ich zu diesem Zeitpunkt im Jahr keine Kraft mehr. In meinem Kiefer brütet seit Monaten eine Entzündung, die nach drei Wochen Antibiose noch immer nicht weg ist und im Januar rausoperiert wird. Mein Magen muckt nach wie vor, wenn er nicht aktiv gehegt und mit Pantoprazol gepflegt wird. Schmerztabletten sind tabu für mich. Mit allen Flashbackrisiken und Traumanebenwirkungen.

2022 war viel. Oft viel zu viel.
Aber geschafft hab ich alles.