das fremde Baby

Heute durfte ich ein Baby halten. Eins mit Haaren und runden braunen Augen.
Die Elternperson musste mal zur Toilette und ich stand gerade passend herum. In der Schwimmhalle. In meinem Badeanzug. Meine Wampe begutachtend. Irgendwo zwischen bodenloser Scham und Ach-was-solls-Egalness.
Sie fragte mich, ob ich das Kleine kurz halten würde und meine Arme breiteten sich schon vor meiner Antwort aus. Und dann dachte und fühlte ich vieles gleichzeitig.

Ich erwartete Irritation beim Kind und fand sie auch. Es betrachtete mich kurz und schaute sich nach dem Elter um. Ich ließ es sich drehen, so dass es sich mit dem Rücken bei mir anlehnen konnte, aber gleichzeitig noch stabil in meiner Armbeuge hing. Es war ganz entspannt, fast ein bisschen wobbelig. Ich dachte, wie merkwürdig das ist, dass Menschen so lange so wobbelige kleine Fleischbeutel mit Stöckchen drin sind. Dann drehte es sich wieder zu mir um und begann einen Laut zu machen. Irgendwie anlasslos, aber vielleicht auch nicht. Wie cool eigentlich, dass Vokale so früh schon funktionieren. A, E, I, O, U. Kleine Menschen können so viel mit so wenig aussagen.

Je länger ich dort stand, desto mehr spürte ich mich. Die 5, 6 Kilos des kleinen Menschen manifestierten meine linke Körperhälfte. Mein Wobbel, eben noch unangenehm und störend, wurde mir als Abstandshalter, als Schutzschicht bewusst. Meine Muskeln und Knochen als mächtige Waffe. Bei dem Gedanken schaute ich zur Toilettentür nach dem Elter des Kleinen. Wurde unsicher vor meiner Macht über dieses Kind, das eine Lautschlange aus As in die Luft warf.
Es wurde unruhig und begann, sich von mir abzudrücken. Drehte sich wieder um, stemmte seine dünnen Beinchen gegen meinen Bauch. Ich ließ es, machte einen Schritt nach vorne, hielt es in der Bewegung. Es begann nicht zu weinen, sondern drehte sich wieder zu mir und versuchte sich festzuhalten. Dann kam die Elternperson zurück.
Sie bedankte sich bei mir und betrachtete ihr Kind dabei, wie es sie wiedererkannte und sich entspannte. „I think they thought I’m a little suspect.“, sagte ich, „Shes is fine“, antwortete das Elter und bedankte sich nochmal. Dann ging es zurück zum anderen Kind, ich zum Sportbecken.

Ich war eine Woche nicht schwimmen, weil ich mich nicht um 5 aus dem Bett und in einen 8 und mehr Stunden-Tag bekam. Jetzt verwandelte ich mich in einen Blauwal und zog mich langsam und kräftig durch die Schnellschwimmerbahn, die als einzige noch frei war. Neben lauter Todeskraulern of the doom auf den Bahnen für alle. Ich spürte der Szene mit dem Baby nach und wie schön das war. Wie genau richtig. So will ich das, dachte ich. Ich will den ganzen Tag über einige Jahre ein Baby tragen. Jeden Tag ein paar Gramm mehr. Ich will von Vokalen eingehüllt werden und für meine konzentrierte Beobachtung eines Menschen belohnt und nicht verachtet werden. Ich will dieses Hier und Jetzt der scheinbar anlasslosen Existenz von Babys und kleinen Kindern. Und diese Eindeutigkeit.

Ich kam kurz aus dem Rhythmus. Diese Eindeutigkeit. Die Macht. Meine Ohnmacht als ich klein war. Ich stieß mich ab und verwandelte mich in eine Wasserschildkröte. Paddelte mich aus dem Gefühl, dass Eindeutigkeit allein kein Schutz ist. War. Für Kinder. In dem Alter. Der Größe. Dem Gewicht. Diesem Entwicklungsstadium.
Dann stieß ich mit einem Schnellschwimmer zusammen. Er dachte, ich hätte ihn schon gesehen. Wir lachten uns an und einigten uns auf einen Kreisel. Verwandelten uns in Delfine und stachelten uns zu 30 Minuten schnell schwimmen an. Das Sporthigh setzte ein, ich wurde ruhig, die Anspannung der letzten Woche löste sich. Aus dem Becken steigend, wurde ich wieder ein Mensch. Wobbelte unter die Dusche, zurück in den Alltag. Mit meiner Menstruation, meiner Arbeit, meiner Traumaarbeit drin.

5 thoughts on “das fremde Baby

  1. Ich muss auch fast weinen… schlucken… diese Sehnsucht, die in Euren Worten so, so deutlich fühlbar ist…puh… Danke fürs Berühren!

  2. So schön zu lesen…“…meine Arme breiteten sich schon vor meiner Antwort aus“…herrlich♡

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