Fundstücke #85

„Ich hab in den letzten Monaten echt geastet.“ Mein Partner liegt neben mir. Vor zwei, drei … noch mehr? Wochen. Tief erschöpft. Vom Bett aufs Sofa gekommen, als ich endlich losgerissen bin von meinem Geaste. Der Satz klingt bis heute in mir nach. Ich stelle mir vor, wie wir Bäume sind. Riesengroß und langsam wachsend. Tag um Tag, Meeting um Meeting, Arbeitsphase um Arbeitsphase, Termin um Termin, Text um Text. Jeden Tag, mit viel zu kurzen Unterbrechungen seit dem Sommer. Geastet. Nicht gesprosst. Nicht gelaubt. GeASTet.

Meine Fehlerrate ist enorm geworden. Ich vergesse Dinge, übersehe Handlungsschritte und bemerke es nicht ein Mal. Ohne das Schwimmen vergesse ich zu duschen. Mir die Zähne zu putzen. Aufstehen, PC an, schreiben, korrigieren, lesen, denken, planen, Hunderunde, PC an, schreiben, planen, organisieren, projektieren, überblicken, durchdenken, Abendbrot in trauter Seligkeit bei Deep Space 9, mit dem warmen schweren Kopf von Bubi auf dem Bein. So sind meine Tage. Außer am Wochenende. Da spiele ich zwischendrin „Sims 4“ bis mich die Angst, den nächsten Termin zu vergessen, ablenkt oder ich den Partner sein Geäst ausstrecken höre und meins hineinschieben will. Ich denke, dass wir uns so gegenseitig vor Astbruch schützen.

Der Garten sieht aus wie Schwein. Im Urlaub.
Meine Wohnung ist ein Mahnmal des Unerledigten. Im Urlaub.
Es gibt Dinge zu recherchieren. Im Urlaub.
Ich muss meine Diät anfangen. Im Urlaub.
Es sind nur zwei Wochen. Mein Urlaub.

Aber im Sommer. Oder Herbst. Was besser passt.
Wenn ich bis dahin keinen mit Leben gefüllten Uterus umhertrage, werde ich mich tragen lassen. Bei einem Tandem-Paraglyding-Flug. Ich werde einen scheiß hohen Berg hochlaufen und mich dann runtergleiten lassen. Panoramisch. Hoffentlich bei Sonnenschein. Ich will alpinen Sonnenbrand zu meinem Muskelkater. Wenn schon, denn schon. Schließlich diäte ich vor allem dafür.
Wenn ich schlafen gehe, stelle ich mir das vor. Wie wir da schweben. Mit so viel Abstand von allem und allen. Mit so viel Schwung, dass all die Äste, die nötig, aber ohne tragende Funktion sind, von mir wegfliegen. Ohne, dass ich sie groß betrauern oder verabschieden kann. Ich denke mir das wie extremes Schaukeln. Bisschen kribbelig, bisschen schwere.los. Mit der Gefühlsidee schlafe ich oft ein und manchmal fliege ich dann im Traum.

Noch 8 Tage. Dann Urlaub.