Wenn man sich ein bisschen mit Intelligenz als Mittel zum Zweck einer Funktion auseinandersetzt, kommt man schnell dahin, uns zu glauben, dass wir uns nicht für schlau halten, weil wir mal eine Testergebniskurve gesprengt haben. Für uns war der Test leicht und mit vergleichbar wenig Anstrengung zu lösen, weil er mit unserer Scan- Rate- und Kompensiertechnik gut zusammenpasste. Wir gehören zu den Menschen, die Muster schnell finden und genauso schnell konvertieren können. Das ist simpelstes copy-paste-convert und weit entfernt von findiger Schläue oder scharfer Klugheit.
Wenn man es aber gewohnt ist, in allem und vor allem allen um sich herum ganz aktiv die Muster finden zu müssen, um sie überhaupt zu verstehen, um überhaupt irgendetwas in der Welt erfassen, begreifen und selbst auch damit in Kontakt und Interaktion gehen zu können, dann hat man sich aus Versehen ein Werkzeug herangezüchtet, das dank diverser Auffassungen von Geist und Kognition, zu einer Gabe oder einem special Talent erklärt wird, das als Ratio schier alle emotionalen Prozesse auszugleichen in der Lage sein sollte.
Daraus entstehen dann Annahmen wie die, dass nur dumme Leute auch Dummes tun – und allgemein diese seltsame Idee, “Dummheit” wäre eine Eigenschaft und keine Wertung – neben der Idee, die Fehler von schlauen Leuten könnten immer eher peinlich als dumm sein.
In unserer Bildungshistorie hatte die nach dem IQ-Test bestätigte Hochbegabung keinerlei Niederschlag gefunden. Zum Einen vielleicht, weil wir keine Matheintelligenz oder die offensichtliche Enzyklopädieintelligenz haben, die sich in deutschen Bildungssystemen besser entfalten und ausentwickeln kann, als die Muster/Bild/Wortintelligenz, die wir haben oder zum Anderen, weil wir einfach nie das blasse nette Ober-Mittelschichtenkind mit hoher Stirn, das die Träume anderer erfüllen soll, waren oder zum Letzten, weil wir mit anderen Menschen schon immer so zuverlässig abkacken, wie man in der Kirche “Amen” sagt.
Das Drama ist: dieses Abkacken merkt man uns nicht an. Gerade im Hinblick auf die Intelligenz und all das in diesen Begriff hineinprojizierte Potenzial, wollen das viele Menschen auch gar nicht sehen. Viele entscheiden sich eher dafür uns in eine “das verkannte Genie/das Genie vs. die Deppen/zu schlau für den Rest der Welt”-Schublade zu legen, als in eine “kann nicht so, wie sie können könnte” – Schublade, denn die eine lässt das Grundproblem bei uns und die andere bei den Dingen um uns herum, die man ändern könnte/sollte/müsste und von der man selbst ein Teil ist.
Gekoppelt an die anderen Aspekte der Behinderungen, die wir so im Leben haben und die Problematik der Gewaltfolgen vor dem Hintergrund von vielen Therapie und Behandlungserfahrungen, ergibt sich eine Anspruchshaltung an uns, vor der wir nur versagen können. Und das auch tun. Durchgehend. Schon unser ganzes Leben lang, egal welches Alltagssystem in welchen äußeren Kontexten agiert.
Und ja, wir erleben es als Versagen, weil wir selbst den Punkt nicht finden, an dem wir uns aus dem Kämpfen um das Entsprechenkönnen herausnehmen.
Wir haben aufgehört uns aktiv um Freundschaften zu bemühen und sind dazu übergegangen Kontakte zu Menschen zu meiden, die wir brauchen könnten oder die uns brauchen könnten, weil wir den “Brauch-Faktor” als eine starke Kraft bei uns selbst erleben. Je mehr wir jemanden brauchen (oder etwas von jemandem brauchen) desto weniger darf im Kontakt schief gehen und desto mehr Schaden entsteht in uns und an unserer Lebensqualität, wenn eben doch etwas schief geht (wie es bei uns auf kurz oder lang immer schief geht).
Je mehr wir jemanden (oder etwas von jemandem) brauchen, desto wichtiger ist ein guter Kontakt zu dieser Person und “guter Kontakt” ist Arbeit für uns. Ganz bewusst und klar. Wir kontrollieren unsere Kommunikation, bereiten uns auf Gespräche jeder Art in all ihren Optionen vor – spontane und unvorhergesehene Themen-, Orts- , Befindlichkeitswechsel, erfordern ein Maximum der benannten Konvertierungsfähigkeiten und gehen meist schlicht über unser gut erbringbares Level.
Und daneben: die Stressregulierung. Je mehr Stress desto mehr Dissoziation.
Verliert ein Innen den Faden, verliert es die Kontrolle, verpasst die Momente, in denen man etwas sagen soll/kann/darf, verliert den Überblick und die Abwägungsbereiche um welche Emotionen, Themenbereiche oder eventuellen Intensionen es sich beim Gegenüber handelt, was in einem sach- oder themenbezogenen Kontakt einfach stresst – in einem nicht sachbezogenen Kontakt zusätzlich aber auch negativ triggert und Wechsel provoziert. Von Mischkontakten brauche ich wohl gar nicht erst anfangen.
Jedes Gespräch mit egal welchem Menschen, hält für uns genau solche Spitzen bereit, in denen wir zwischen Kampf um oder Sicherung von einen Kontakt zu dem Menschen, mit dem wir es zu tun haben, entscheiden müssen.
Wenn wir kämpfen gelten wir als anspruchsvoll, nervig, pedantisch, arrogant – wenn wir sichern als schüchtern, ängstlich, vorsichtig, introvertiert – letztlich werden dabei weder wir selbst in unserem Funktionieren, noch unser Problem gesehen. Man ist nicht mit uns als Individuum konfrontiert, sondern mit einem eine Behinderung kompensierendem Verhalten mit einem Anfang, einem Ende und einer von uns niemals intuitiv erfassbaren Wirkung auf andere Menschen.
Ich schrieb von “hochbegabten Nichtskönnern”, klar, weil wir uns gerade auseinanderreflektieren, was wir in der Klinik falsch gemacht haben und uns keine neuen Fehler auffallen, die wir gemacht haben könnten, was wiederum Frust auslöst, weil wir uns an der Stelle selbst nur ableistisch begegnen und uns gegenseitig vorwerfen, wir hätten es einfach nur schlauer angehen müssen – hätten uns einfach nur mehr anstrengen müssen einen Zugang zu unseren Behandler_innen zu finden – hätten unsere Abwägungen (selbst)kritischer treffen müssen – hätten einfach in eine andere Sprachebene konvertieren müssen. Wir hätten einfach nur alles anders machen müssen, weil wir das Wissen darum hatten, auf welchen anderen Optionen wir uns hätten konzentrieren können.
Mir fällt die Falle auf, in die wir uns selbst hinbegeben: “Du hast Alternativen gewusst – und weil du das wusstest, hattest du eine Wahl” ergo: “Hättest du es nicht gewusst, wärs ja was anderes…”
Wir tun uns den gleichen Scheiß mit dem uns andere Menschen überfordern selbst an, weil wir keine Antwort haben. Keine Klärung, keine Lösung. Kein befriedigendes Verstehen in all den Optionen warum wieso weshalb das passiert ist. In den letzten Tagen haben wir so viele Theorien und Optionen ins Innen gestellt, die alle Hand und Fuß haben und sich mit dem decken, was wir die ganze Zeit über wahrgenommen haben.
Und trotzdem ist da auch das Wissen, dass wir nicht anders handeln konnten, als wir gehandelt haben.
Aber natürlich sind am Ende wir die, die Selbst- wie Fremdansprüchen nicht gerecht wurde, Erwartungen enttäuscht hat, Chancen nicht genutzt hat – weil sie es verkackt hat zu schaffen, dass man ihr glaubt, dass sie etwas nicht kann, obwohl sie weiß, was sie warum will.
Weil sie mal wieder irgendeine geheime special Zwischenmenschlichkeitsperformance verkackt hat und es einfach nicht lernt.
Obwohl doch alles so klar da vor ihr liegt.
Da ist diese Idee davon, dass Menschen, die alles, was sie verstehen und erklären können, auch leisten können, gegen die wir nicht ankommen. Nicht einmal vor uns selbst.
Obwohl wir so oft und seit Jahren auf ganz viele Arten sagen, dass das von so vielen Menschen als “langweilig”, “öde” und allgemein überhaupt gar nicht erstrebenswerte “normal/regelhaft/üblich” für uns etwas darstellt, dass wir nicht erreichen wollen, weil wir es für besonders spannend, toll oder wichtig halten, sondern, weil es uns die Idee von einem Funktionieren, das so viele Menschen miteinander gemeinsam haben fasziniert.
Wir wären so gern einmal mitgemeint, wenn jemand sagt “Ph, XY kann doch jeder (ohne sich groß anzustrengen/irgendetwas eingeübt zu haben)”, würden uns so gern auf eine so sichere Basis in uns selbst verlassen können, dass wir vergessen, wie viel Arbeit und Anstrengung im Erreichen und Halten dieser Basis steckt. Wir waren so gern mal gelangweilt und angeödet von “normal”, “durchschnittlich”, “üblich” und weniger ausgelaugt von unserem Kämpfen um das Erreichen dieses Status.
Wann immer Menschen unser Funktionieren bemerken bzw. durch von uns erschaffene Dinge als bewiesen annehmen und es als Hochbegabung oder Intelligenz oder special Talent oder Gabe einstufen, überfordern sie uns.
Sie nehmen an, dass wir schon alles wissen und keine Unterstützung mehr brauchen. Sie nehmen an, dass uns Leistung leicht fällt, die ihnen schwer fällt. Und sie glauben nicht, dass wir ernsthaft hilfebedürftig sind.
Das ist eine Parallele zu dem, was die Behandler_innen in der Klinik nicht verstanden haben – natürlich wussten wir was sie dort leisten können, natürlich wussten wir, wie das Behandlungskonzept ist, natürlich wussten wir, dass wir Anpassungs- und Kompensationsleistungen erbringen müssen, natürlich wussten wir, dass wir nicht dort sind, um Urlaub zu machen – unsere Unfähigkeiten wurden aber durch dieses Wissen nicht aufgewogen. Unsere Hilfebedarfe sind nicht durch Behandlungserfahrungen zu decken. Und keine Behinderung der Welt ist durch bloße Willenskraft und geistige Kapazität auszugleichen.
An manchen Stellen merken wir, dass für viele Menschen in unserer Umgebung nicht klar ist, wie dramatisch es für uns ist, das Brauchen hinter unserem Wollen und an, als passende Gegenüber eingeschätzte gerichtete Fordern nicht gesehen, erfasst und begriffen zu wissen.
Es triggert unangenehmes Erinnern an all die Alltags- und Gewaltsituationen an, in denen man so dringend etwas und jemanden brauchte und genau niemand verstand, niemand kam, niemand ES und DAS DA hat enden lassen, sondern uns einfach immer wieder überfordert, ausgeliefert, ausgelacht, pathologisiert und uns selbst überlassen hat.
Nicht selten mit dem Spruch an uns: “(Was willst du denn (von mir)? -) Du bist ein schlaues/besonderes Mädchen/Kind – du kriegst das schon (allein) hin.”.
Aber nein. Wir haben genau nichts weiter hingekriegt als zu überleben. Wie wir immer überlebt haben und immer überleben werden.
Um ein aktuelles Meme zu bedienen:
Was ist das für 1 life, wenn der einzige Trost über Episoden wie diese ist, dass man es schon überleben wird, wie man es immer überlebt hat?
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