geguckt

Sie stehen vor dem hellgrauen Gebäude und schauen in den Himmel.
„Hümm, also das ja mal ne Nebelsuppe, die heut zu uns serviert is, ne?“, sie dreht sich halb nach innen. Versichert sich mit dem blinden Auge. „Das ist nich so gut zum Fotos machen. Dann sieht das aus wie ne Fischfabrik und nich wie ein Erwachsenenhogwarts.“.
Unter ihrem Gesicht arbeitet es in Richtung Enttäuschungsflunsch.

„Du kannst alles fotografieren, was du willst. Das ist deine Stadtführung, mein Herz.“.
Sie atmet ein und lässt meine Federn wieder los.

„Ist gar keiner da der sagt: „Pfoten weg“. Das ist schön.“, sie schaut sich um, lässt ihre wurzelfeinen Antennen wie Schneckenfühler aus ihrer Stirn wachsen und tastet das Umsieherum ab.
„Hab ja ehwieso gar keine Pfoten, ne? Ich bin ein Mensch mit Händen mit 8 Fingern und 2 Daumen… ne?“, noch ein kurzes Versichern zu mir. Ich nicke bestätigend: „Ja mein Herz, du bist ein Mensch.“ und hoffe, dass unser Gespräch noch ein Stück tiefer als bis hier hin sickert.

Diese Fläche hier ist vergleichsweise tot.
Es gibt Beton, Gras, eine hier offenbar obligatorische Baustelle, ein bisschen umher fliegender Müll und Herbstlaub.
Sie hat Recht. Ohne die Sonne, die gestern so schön schien, kann man die Universität, in der wir in den nächsten Tagen noch öfter sein werden, nicht ins rechte Licht rücken.

„Guck maaaal!“

BielefelderFeder2
Sie macht ein paar Aufnahmen, hält den Finger fest auf dem Auslöser, hat den Mund offen.
Behält die Pfoten bei sich.
Niemals würde sie die Objekte anfassen.

„Eigentlich will ichs ja wieso nicht anfassen. Ist schön so…“.
Ich nehme sie zwischen meine Federn um sie zu beruhigen. Sie hält sich fest, pulst flirrend.

Wir schweigen. Gehen weiter.
Irgendwann ist es kurz vor 16 Uhr. Wir müssen rein, wenn wir etwas lernen wollen.

and when the rain begins to fall..

„Wart ihr schon mit NakNak* draußen?“, fragt sie mich durchs Handy.
Irgendwie schaffen es ihre Worte, die Härchen in meinen Ohren zu überspringen und sich in meinem Kopf zu verlaufen, ohne eine Schnur zu spannen.
„Ich komme gerade aus einer denkmerkwürdigen Therapiestunde mit dickem Zeitüberzug- ich bin gerade froh zu wissen, wie alt ich bin.“. Ich stolpere den Weg zur Wohnung entlang und hoffe einfach mal, dass sie die Frage noch mal wiederholt- mehr als das Fragezeichen kam gar nicht bei mir an.

„Wollt ihr alleine sein oder wollen wir mit NakNak* rausgehen? Ich hab die ganze Woche an Schreibtischen gesessen.“. Klingt sie genervt? Meine Sensoren krabbeln durch die Leitung und umklammern jede Silbe, bis wir uns dann doch verabreden.

Wir stapfen auf nassen Trampelpfaden über Wiesen und Felder. Üben mit NakNak* neuen Quatsch ein, was sie mit breitem Grinsen und Sambatänzchen begleitet.

Irgendwo zwischen Herumalbern, Mensch- und Hunderaufen, bunte Blätter bestaunen und Fotos machen, ploppt etwas von der Stunde heute und der von gestern auf und spannt einen seidenen Faden.
Ich muss lachen. Wieder nur so ein Seidenfaden. Damit kann ich keinen Anker an mir befestigen.

Ich lache immer noch, als es anfängt zu regnen und alberne Kinderinnens ein Wettrennen zum Auto anstrengen.
Keuchend fallen wir auf die Sitze, während NakNak* auf die Rückbank klettert.
„Das war was!“. Sie grinst mich an und schaut auf das hechelnde Wesen, das etwa 5 Kilo Acker- und Wildlosungsgemisch mit seinem Fell verbunden hat. „Du stinkst…“, sie lacht: „nach dreckiger Hund!“.

Kurze Zeit später muss ich das Radio aufdrehen.
„Das!!!“
„Was?“, mit geweiteten Augen starrt sie an den Scheibenwischern vorbei, auf die graunass eingetrübte Landschaft.

„And when the rain begins to fall you’ll ride my rainbow in the sky
and I will catch you if you fall you’ll never have to ask me why
and when the rain begins to fall I’ll be the sunshine in your life
you know that we can have it all and everything will be alright“

Das flutscht einfach aus meinem Hals. Einfach so. Ganz leicht.
Wann habe ich das letzte Mal gesungen? Wir hatten gestern darüber gesprochen in der Therapie. Diese Biographiestunde, vor der wir uns eigentlich ein Jahr erfolgreich zu drücken geschafft hatten. Ich hatte gesagt, dass ich gut singen kann und, dass das auch das Einzige ist, das ich wirklich als von mir gemacht erinnere.

Sie stimmt mit ein, trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad, während mir die Augen auslaufen.
Das ist das „sozial“, das ich aus Versehen gut kann.

Und mit dem ich zufällig genau das schaffe, was das Kinderinnen, das mir seit Tagen in den Rücken tritt, von mir verlangt: Ihm zu versichern, dass ich es auffangen werde, wenn es fällt. Ohne, dass es sich fragen muss, warum ich das tue. Als Licht in seinem dunklen Moment.
Ihm zu vermitteln, dass es nicht mehr schreien muss, um zu bekommen, was es haben muss.
Deutlich zu machen, dass alles wirklich in Ordnung ist.

Der Radiomoderator lässt das Lied ausklingen.
„Taschentücher sind im Handschuhfach- obwohl- eigentlich wärs jetzt auch ne Gelegenheit laufen zu lassen. Bist ja eh schon nass.“. Wir lachen, als sie ins Bullergeddo einbiegt.

Ich glühe bereits seit einer Stunde vor mich hin und bin ganz froh, dass wir jetzt da sind.
Sie macht es uns beiden gemütlich und kocht Lakritztee.

„Für mich ist es auch wichtig aufgefangen zu werden, wenn ich falle.“, denke ich.
„Ohne darum bitten oder mich dessen versichern zu müssen. Ohne im Dunkeln zu bleiben.
Einfach um zu spüren, dass auch für mich alles in Ordnung ist. Und sei es nur, damit ich dies ehrlich zu den Kinderinnens sagen kann, die es hören und spüren müssen.

Egal, ob es nun wirklich regnet oder nicht.“

nur die Zeit suchen

Es war in einem Gespräch. Sie sagte, sie habe sich vergewissert, versichert vielleicht. Ich weiß nicht. Ich höre nur mit einem Ohrteilstück zu.
Sie, die Große, die Mutige, Starke redet und ich bin eine Fussel auf ihrer Haut, die jeden Moment von ihr abfallen kann. Da hat sich jemand ermutigt und vergewisssichert. Mutig und doch schlotternd gleichzeitig.

Ich bin zu ängstlich für so etwas. Obwohl der Wille da ist.
Ein paar Versuche machen die anderen. Sie sprechen manchmal für mich. Manchmal wissen sie das nicht einmal. Manchmal bin ich eine Fussel in ihrem Gehirn und aus ihrem Mund, quellen meine Fasergedanken und langfädigen Ängste.

Und manchmal, da ist Versicherungsgewissheit an sich schon genug, um mich zu erschrecken. Dann muss ich so tun, als suchte ich eigentlich etwas anderes als das, was ich eigentlich suche. So gehe ich durch den Wald und tue so, als suchte ich den Herbst. Niemand sollte je auf die Idee kommen, ich klitzekleine Fussel krabbelte über die Beziehung mit anderen Menschen und taste sie mit meinen Faserfadenenden ab.

Nein, nein. Ich laufe durch den Wald und suche den Herbst.

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Nein, ich sehe keine Muster, die mich immer wieder den gleichen kleinen Tod sterben lassen. Mich vor Angst einfach auslöschen lassen. Ich sehe die Adern der Natur, die der Herbst hervortreten lässt.

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„Ich kann allein sein“, denke ich. Ich werde allein gesehen. Das ist doch, was ich immer wollte. „Nein, ich bin nicht Viele. Die anderen vielleicht, aber ich nicht. Ich bin ich allein. Das Viele ist nicht ich.“. Und dann ist dort ein Anblick, der mich tröstet. Ein bisschen versöhnt, vielleicht.

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Niemand soll denken, ich könnte nicht alles gleichzeitig. Niemand sollte je denken, ich würde irgendetwas brauchen, um etwas zu können. Ich bin nicht abhängig von Sichergewissheit.
So wie diese Blumen, die noch immer blühen und viele Insekten ernähren, obwohl der Herbst schon sichtbar, spürbar, nachweislich erprüfbar ist.

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Ich will vor anderen auch einfach so sein. Würden sie spüren, dass ich über das Band zwischen uns krabble, sie würden vielleicht nach mir ausschlagen, wie nach einer der nun verirrt herumsuchenden Bienenköniginnen.
Diese kommen um zu schlafen, den Winter, die kalte Zeit zu überstehen. Nicht um zu bleiben. Nicht, um die Süßigkeiten wegzufressen, Schmerz zu bereiten oder zu stören. Sie kommen um zu überleben. Vielleicht im nächsten Jahr zu funktionieren und zu erschaffen, was gemocht wird. Honig zum Beispiel oder die Bestäubung vieler wunderbarer Blumen und Bäume.

So eine kleine Fussel, wie ich, stört und das weiß ich. Nicht umsonst gibt es Kleiderbürsten und Fusselrollen.
Das Gesprächstückchen mit dem Menschen, der sich versichert hatte… die Starke hatte es von sich gestreift. Keinen Bezug zu sich hergestellt. Ich aber nahm es mir als Grundstoff für eine Mutwolke. Eine Erfahrung aus fremder Welt, wie es sein kann. Wie es ausgehen kann.

In so einer Mutwolke kann ich mich verstecken. Mich tragen lassen vielleicht.

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Auf jeden Fall würde mich niemand sehen.
Niemand würde wissen, ob ich gerade über unser Band krieche, taste, fühle… zu erspüren versuche, was dort sicher ist und was nicht, ob es echt ist oder alles Lüge.

Oder, ob ich nicht doch einfach nur die Zeit wahrzunehmen versuche.
Das Heute erspüren möchte.

R.

511582_web_R_K_by_cathynka_pixelio.deSie gilt als „der wütende Teenie“ und das ist ihr egal.
Sie hasst Lügen und Ungerechtigkeit.

Sich selbst nicht wichtig nehmend, stellt sie niemanden über oder unter sich.
Egal, wie andere ihr Verhalten deuten.

Sie lebt mit viel schwarz und weiß, doch wie ein Kind alle Farben zusammenzumischen, kommt für sie nicht in Frage. „Wozu?“, raunzt sie, „Ist doch schon alles da. Wenn du grau willst, musst du nur deinen Blick verändern.“.

Sie rauft mit dem Hund, lässt sich zwicken und anrempeln. Kunststückchendressur kommt für sie nicht in Frage. „Wozu?“, grunzt sie, „Wenn sie was Cooles zeigen will, macht sie das von ganz allein.“.

Sie kleidet sich, wie sie will. Bunt, schlabbrig, verdreckt, zu groß, zu klein.
„Die Leute sehen mich eh nicht.“, sagt sie schulterzuckend.

Sie er-trägt ein Kind und schleift es, wie einen offenen Schnürsenkel, mit sich. Mahnende Stimmen zur Vorsicht und Fürsorglichkeit, umfasst sie mit ihren schmalen Händen und würgt sie nieder. „Wenn mir einer sagt, dass ich was anders machen soll, aber nicht wie; kann er auch gleich die Klappe halten.“.

Sie nimmt, was sie kriegt.
Sie hat noch nie um etwas gebeten.
Auch jetzt nicht, wo ihr Kind im Sterben liegt.

„Ich hab getan, was ich konnte.“
– „Ich weiß, mein Herz.“
„Das wird auch wieder keiner außen verstehen, ne?“
– „Vielleicht.“

Sie schweigt. Teilt sich ihr Brot mit dem Hund und bohrt Löcher in die Butter.

abgetaucht

Wir besuchten das Naturkundemuseum von Münster, in dem noch bis zum 3.11. 2013 die Ausstellung: „Wale- Riesen der Meere“  zu bestaunen ist.

Es war toll! Wer etwas über Wale erfahren möchte und da nicht hingeht, hat etwas verpasst!
Am Anfang gibt es einen Einstimmungssaal. Dort sieht man an den Wänden eine Projektion, die vom typischen Bootsschwanken, mit Wellenplätschern und Möwengeschrei, hinunter in die Tiefen des Ozeans führt. Man hört je nach Tiefe die Walgesänge, der Wale, die sich dort jeweils aufhalten.
Bis zu 1400 Meter geht es runter, wo die großen Pottwale zu finden sind.
Im Raum selbst rangt das Modell eines Buckelwalkopfes im Maßstab 1 zu 1 aus dem Boden und viele verschiedene Wale schweben im Raum.

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Dann geht es weiter durch die verschiedenen Stationen. Man erfährt viel über die Routen, die zum Beispiel Pottwale zurücklegen, um sich fortzupflanzen und zu fressen, in einem lustig (aber nicht albern oder niedlich) gemachtem Kurzfilm.
Wie sich Wale bewegen, wie genau sie an den Druck in großer Tiefe angepasst sind und sogar die physikalischen Grundlagen dazu, werden anschaulich erklärt.
Auch die evolutionäre Entwicklung der Meeressäuger wird mit vielen (teilweise sogar komplett erhaltenen) Fossilien unter die Lupe genommen. Über die Biologie erfährt man einiges sehr nah, denn hier und da können Modelle berührt werden. Zum Beispiel ein Stück künstliche Delfinhaut (die sich anfühlt wie besonders angenehmes Gummi).

Ein Objekt hat uns richtig umgehauen. Das 1 zu 1 Modell eines Blauwalherzens nämlich.
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Es ist so groß, dass wir mit unseren 1,72m durch eine Ader krabbeln und uns darin so fast ganz aufrichten konnten- also.. naja, so Glöckner von Notre Dame- mäßig aufrichten- aber immerhin, haben wir nicht hocken müssen. Ist das krass, oder was?!

Dann gings weiter zum Teil Fortpflanzung und Jungenaufzucht, wo wir lernten, dass Waljunge zwar Säuger sind, aber gar nicht richtig nuckeln, weil sie keine beweglichen Lippen haben.
Die Kleinen drücken mit ihrer Schnute um die Zitze herum, legen ihre Zunge darum und die Milch kommt so herausgeflossen. Und haha- falls jemandem mal seine Kuhrohmilch mit seinen popligen 4,8% Fettanteil eklig vorkommt: Walmilch besteht bis zu 50% aus Fett… ist ja aber logisch, wenn man für Sex in die Karibik schwimmt, das Kind aber in der Arktis kriegt, weil es dort mehr zu essen gibt. Da muss das Kleine schon schnell wachsen und Schutzspeck haben.

Wir haben konservierte Walföten gesehen. An sich schockt mich sowas nicht, aber diese grau-gelbe Färbung nahm mir doch etwas den Reiz an der Betrachtung. Irgendwie sahen alle Glasinhalte aus, wie zurechtgeknüllter Stoff oder etwas Ähnliches. Aber immerhin habe ich jetzt eine Vorstellung davon, wie doch auch winzig so ein Wal ist, wenn er dabei ist zu entstehen.

Dann haben wir uns in Narwale verknallt. Die Einhörner der Meere. Hach. Leider hab ich das Modell nicht mehr gefunden, aber ihr könnt ja googlen.
Ach und in diesen hübschen Beluga, der hier so nett in die Kamera linste:

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Dann haben wir noch Walspucke beguckt, die ich hier nicht aufgenommen habe, weil ich die Größe des Kopfes und die Ausmaße, die Wallausbefall (ja, Läuse auf Walen- haben etwa Ameisenköniginnengröße) neben den üblichen Seepocken annehmen kann, an sich dann doch spannender fand.

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Zum Abschluss hab ich hier noch ein Foto von einem Orkaskelett.

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Na? Auch gemerkt? Diese tolle Schwertrückenflosse hat gar keine Knochen in sich. Sie wird komplett von Bindegewebe so aufrecht gehalten.

Am Ende der Ausstellung werden Walfang, Umweltverschmutzung, der Krach im Meer und militärische Einsätze im Zusammenhang mit der Bedrohung für diese schönen Tiere thematisiert.

Kurz bevor wir das Gebäude verließen, um uns auf den Heimweg zu machen, dachte ich, dass wir, wenn wir schon etwas Schönes unternehmen, auch etwas Schönes mitnehmen könnten. Dürfen sollten. Also dürfen. Können dürfen sollten.

Wir verließen den Shop des Museum, mit einem Poster auf dem alle Wale die es gibt abgebildet sind, in der Hand und einem Kinderinnen, das alle drei Seiten in seinem kreisförmigen Viereck behopste (und noch immer behopst).

NakNak* wurde von einer unserer Gemögten bis zur Erschöpfung bespielt und im Wald laufen gelassen. Nach der Unruhe, die sich hier mit den Unwettern eingeschlichen hatte, tat ihr das sicher genauso gut, wie uns der Ausflug nach Münster.
Jetzt sind wir beide sehr müde und brauchen bestimmt nicht mehr großartige Hürden ins Schlummerland nehmen.

F.

F. war 5, als sie sich das erste Mal die Nase am Aquarium des mit uns verbündeten Menschen, die Nase platt drückte.
Auf die Frage wer sie denn sei, schwieg sie beharrlich, hatte sie doch eine Mission. „Achtung, jetzt kommt was- Augen und Ohren auf, mach dich ganz weit, damit alle hinter dir in Sicherheit sind.“

„Wenn ich groß bin, werd ich Ichtikologin. Das sind Leute, die sich mit Fischen auskennen. Hast du das gewusst?“. Elegant sind ihre Aufforderungen zum Vermeidungstanz bis heute.

Sie kauften ein zweites Aquarium zusammen. Einen „Fischekäfig“.
F. durfte mit aussuchen. Sie wurde gefragt, welche Fische sie schön fand und sie wurden dann auch gekauft.

In der Schreibtischschublade bei uns zu Hause, wuchs der Stapel von Bildern, auf denen zu sehen war, was sie alles auf einmal durfte. Katzen streicheln, Fische aussuchen, Blumen pflücken, Süßigkeiten essen, albern sein, etwas über „Prokojoten und Eukanidoten“ (Prokaryoten und Eukaryoten) erfahren, Spongebob gucken, eine Verbündete haben, Sachen fragen und erklärt bekommen…

Und dann, nach vielen solcher Momente, wurde sie zur Helferin für unsere Verbündeten.
„Sag mal F. kennst du das Innen, das…? Weißt du was es will? Was kann man da machen?“.
F. wusste es nicht immer, aber oft schon. 184426_web_R_K_B_by_Verena N._pixelio.de

Sie richteten unsere Guppyfarm ein. Wenn der Mensch mal keine Zeit für sie hatte, saß sie davor und fing an, den Fischen von ihm zu erzählen, während im Innen die Ohren aufgingen und lauschten.

F. ist gewachsen.
Jeder Moment mit diesem Menschen, der sie so ernstnahm und achtete, brachte sie mit weniger klar umrissenen Innens zusammen. Sie erwarb Kompetenzen wie Geduld, die Möglichkeit sich klarer auszudrücken und die Fähigkeit Gefühle, die ihr vorher fern lagen, wahrzunehmen.

Nach ein paar Jahren, stand sie dann da und sagte, dass sie jetzt „zweistellig ist“. Sie fühle sich älter und würde keine Babywörter mehr sagen. „Das ist kein Fischkäfig!“- sie atmete ein und sagte, als würde sie mit einem Menschen sprechen, der es nicht wüsste: „Das ist ein A-qua-ri-um! Ich bin nicht mehr klein. Du kannst jetzt ruhig mit Erwachsenenwörtern reden.“.
Es wurde gewürdigt. Das Wort blieb trotzdem. „Weils so niedlich ist.“

Wir haben von F. und über F. viel über uns selbst erfahren.
Ihre Aufgabe ist wichtig- auch wenn ihre Anwesenheit einen Hintergrund hat, den wir bis heute nicht kennen und ihr Auftauchen oft nicht an äußeren Umständen festmachen können. Sie hat einen Blick auf die Welt und ihre Menschen, der uns Alltagsinnens komplett fern und doch etwas ist, dass uns schon manches Mal geholfen hat, wenn er uns reflektiert wurde.

Sie ist ein Innenkind. Kindlich- doch das schon sehr lange. Sie versteht nicht immer alles gleich, aber sie kennt keine Scham wenn es darum geht, Dinge herauszufinden oder die Vermittlung dessen einzufordern. Sie mag Tiere und weiß, wie man mit ihnen umgehen muss. Ihr Blick dafür ist messerscharf und gleichsam intuitiv.

Sie wartet nicht darauf, dass sie jemand schützt. Sie wartet darauf, dass das Gegenüber merkt, dass es das bereits durch sein Sein tut.

Und doch.
Wenn sie im Körper war, habe ich blaugraulila Fingerspitzen und kalte Füße. Fühle in mir einen schrecklichen Gefühlsnachhall und Blitze in der rechten Sichtperiphere, während ich auf dem linken Auge lange nur sehr unscharf sehe.
Ihre innere Weite kommt mir manchmal vor, wie die liebenswerte Verpackung einer Bombe. Dann bin manchmal froh, dass sie für manche Menschen auf immer „die Kleine mit dem Fischekäfig“ sein wird und nicht die Stallhüterin der inneren Apokalypsenreiter, der sie auch ist.

Wir lernen an ihr, dass Innenkinder mehr sind, als der Einsmensch „C. Rosenblatt“ als Kind; oder als eine Ansammlung von Bewältigungsstrategien für die Gewalt in unserem Leben, die irgendwann abgepalten wurden, ohne sich weiter zu entwickeln. Sie ist ein Teil von uns, der sich doch bis heute nie ganz gezeigt hat, obwohl er, wenn er da ist, unübersehbar ist.

Das breite Lächeln und der leicht federnde Vermeidungstanz, ist dann doch immer wieder das, was überwiegt.
Bis sie sich vielleicht doch irgendwann mal eine Pause erlauben kann.

Heute ist Heute

Die dichte feuchte Wärme liegt, wie ein dicker Mantel auf ihrem Sein.
Die Zeiten rauschen um sie herum und irgendwo in ihrem Kopf schreit es verzweifelt ins Leere.

NakNak* hopst um sie herum, rempelt und stupst die Oberschenkel eines Körpers an, der irgendwo meterweit hinter ihr her über den Boden schleift.

Vogelzwitschern dringt gedämpft aus einer fernen Welt um sie herum, ab und an sacht streichend um ihr Gehör.

Kleine Hände befreien ihre Füße von den Schuhen. Ziehen die Strumpfhose von den Beinen.

Es ist ein Bachlauf im Wald. P5190130
Flach, steinig, eiskalt und doch so wunderbar.

Hier
Jetzt
Echt
Körperlich
Wahr

und so herrlich real.

Das Schreien verebbt, verschwindet wieder in den weißen weichen Tiefen des Schwans.
„Heute ist heute?“
– „Ja mein Herz, heute ist heute.“

da ist er wieder

Eingerollt zwischen Ast und Stamm hockt er im Baum, wie ein Vogelnest aus Fetzen von Menschenkostümen. Er schützt seine Seite, während er eine Zigarette nach der anderen raucht und seinen Blick zwischen die Rillen der Rinde in eine Zeit fallen lässt, die ihm so nah, doch der Welt mit jedem Ticken der Uhr ferner ist.

Die Unruhe, die Angst, die er im Nacken fühlt, das Wissen um sein Sein, er atmet es mit jedem kratzenden Rauchschwall im Kehlkopf wieder aus, noch bevor es ihn wirklich berührt. Von seinen Schultern laufen die Tränen der kleinen Herzen, die auf ihnen ruhen und rieseln auf den Frühling hinab.49564_web_R_by_Udo Altmann_pixelio.de

„Mach diese ekligen Dinger aus- du machst, dass das Körpergesicht irgendwann aussieht, wie das von der Mutterfrau“. Sie hängt zwischen zwei Ästen und baumelt kopfüber herab. Ihre Rattenschwänze berühren seine Knie, als ihre kleinen Hände sein Gesicht umfassen.

„Lass mich, das ist nicht mein Körper- geh weg! Ich will… lasst mich doch einfach alle in Ruhe! Geht doch alle weg und lasst mich!“, wie ein angeschossenes Tier beißt er um sich und lässt die Kleine von ihrem Ast herunter fallen.

Sie landet im Gras, hört es beim Aufprall in ihr krachen und brechen, schaut nach oben auf seine gequälte Gestalt.

Und klettert wieder hinauf.

beobachtete Flucht

Es ist eine Schwärze, die sich nicht zwischen Samt und Unendlichkeit entscheiden kann.
Es ist eine Kälte, die nicht weiß, ob sie beißen oder stechen soll.
Es sind Schritte eines Kindes im Körper eines Erwachsenen.

Es ist Angst im Heute vor etwas Gestrigem.
Es ist immer die gleiche Frequenz, immer der gleiche Satz, immer der gleiche Ton.

Ein blitzschneller Zug des Schlüssels aus dem Schloss, ein Aufreißen und hinter sich zuschlagen.
Abschließen. Einschließen. Wegschließen.
Und dann jeden Treppenabsatz im Ganzen runterspringen.
So schnell wie es nur geht.

Ein Rasen.200888_web_R_K_B_by_tom-sawyer_pixelio.de
Ein Rennen.
Ein Laufen.
Ein Joggen.
Ein schnelles Gehen.
Ein Schritt nach dem Anderen.
Ein mechanisches Traben.
Ein Vorwärtsschleppen.

Bis zu dem Moment in dem Raum genug für das fragende Innen ist.
„Weißt du eigentlich, wo du bist?“
Dann erst kommt die Angst, die sie sterben lässt.

Sie ist 8 und sah ihren Besitzer.

Ich bin 27 und sehe das Ortschild einer Stadt ca. 24km von meiner Wohnung entfernt.

fertig geschlafen

“Wow, seht ihr scheiße aus!”
Sie hebt die Augenbrauen und mustert mich mit einem Blick in dem sich Erstaunen und Mitleid paaren.
“Wow- dass ich wenigstens noch die Klinke jener Tür in der Hand hab, mit der du ins Haus gefallen bist!”, höre ich meinen Kopf denken.
– “Komm rein, ich bin gleich fertig, dann können wir los.”, höre ich meinen Mund sprechen.

“Bist du sicher, dass ihr überhaupt in der Lage seid, jetzt ne Wanderung zu machen? Wann habt ihr zuletzt geschlafen?”, sie geht durch in die Küche und begrüßt die freudige NakNak*. Ich versuche zu rekonstruieren und scheitere. Jetzt meine Listen und Zettel der letzten Tage durchzugehen, würde die Frage beantwortbar machen, aber es sind einfach zu viele und manche sind alles- außer lesbar oder verständlich.
Es ist sowieso offensichtlich, dass es schon wieder eine ganze Weile gegeben haben muss, in der sich niemand weiter um den Körper gekümmert hat, als bis zur Dusche.

Rigoros schiebt sie die Papier- und Bücherberge auseinander, die unseren Küchentisch bedecken. “Wahnsinn, was ihr für ein Chaos verbreitet, wenn die Frontfrau nicht da ist- Hammer! Soll ich dir mal grad helfen?”.
– “Äh… öhm… ich dachte… Hund…?”
”Schatz- hier siehts aus wie bei Messiehempels unterm Sofa und guck dich mal bitte an- du kippst mir sowieso nur wieder aus den Latschen.”, sie fängt an die Bücher zusammenzuklappen und zu stapeln. NakNak* und ich sitzen auf der Eckbank und gucken dumm. Ziemlich überrumpelt und plötzlich irgendwie selbstentkernt.
Innen motzt es: “Ein Mal! Ein einziges Mal, bin ich ohnmächtig geworden und jetzt schmiert sie mir das aufs Brot, als würde das dauernd passieren!”.

Ich schaue der Gemögten zu und verpasse irgendwann den Anschluss. Sie erzählt etwas von ihrem Studium. Psychologie. Menschenseele ausrechnen.
Irgendwo winkte mir das letzte Wort zu, ohne auf eine Reaktion von mir zu warten.
Es ist ein Schweben in weißer weicher Watte. Da ist nichts, außer dem sachten Wogen des Atems, der wie ein Dauerton jede Faser durchdringt.
Alles ist weg. Die Angst, die Sorge, die Gedankenschleifen. Sogar das dröhnende Dauer
BÄÄÄM.

“Hey, Du weinst ja.”
-“Nich verraten bitte.”, ertapptes Zusammenzucken.
Panik bricht sich seine Bahn.

Und plötzlich beginnt ein Dialog, der mich zwischen Watte und Bewusstsein festlötet.
Ich will das alles gar nicht hören. Diese giftige Kinderangst, dieser Schmerz, diese Realität, diese Zeitverschiebung, dieses Gefühl in einem Körper zu stecken, der 3 Nummern zu groß ist.

“Du bist ganz schön müde, ne?” Sie guckt in meine Augen. Total direkt und es ist, als würde alles von mir abplatzen. Abgeschält offen und bar jeden Schutzes bin ich da, obwohl ich gar nicht da bin. Es ist ein Gefühl von Nacktheit, das nichts mit meiner Kleidung zu tun hat.
Wie an einem Scharnier befestigt, wird der Kopf zum Nicken gebracht. Der Atem versucht verzweifelt den ganzen Heulrotz in der Nase zu lassen. Was für ein Kampf, um ein bisschen Rest Würde.

Ich weiß nicht, wieso wir auf dem Boden sitzen. Wieso ich es nicht einmal mehr schaffe, mir selbst das Gesicht abzuwischen, aufzustehen und mir trockene Unterwäsche anzuziehen. Es geht einfach nicht. Diese Watte lässt das Falsche durch.
Ich spüre ihr Mitgefühl, ihre Fürsorge, meinen Zerfall, meine einfach nur abgrundtiefe Erschöpfung.

“Komm, ich helf dir, ja?”
Was ist meine Passivität- mein “mich nicht gegen ihr Handeln wehren” jetzt? Ist es das Eingeständnis, wie dringend wir auf Hilfe von außen angewiesen sind? Das Zugeben, dass wir nur noch ein Haar breit vor dem totalen Zusammenbruch stehen? Oder das früher so oft vorgeworfene “sich fallen lassen und Verantwortung abgeben”?
Sie hilft mir beim Umziehen, als wäre ich einer der alten Leute, die L. noch bis vor Kurzem an- und ausgezogen hat. Sie hält mir ein Glas an den Mund, wie W. es noch bis vor Kurzem bei den kleinen Kindern gemacht hat. Und ich?
Ich lasse sie einfach machen. Mache einfach mit. Überlasse mich ihr.

Sie bringt uns ins Bett, sitzt daneben und ist einfach da. Es dauert nicht lange, vielleicht 2 Minuten und wir schlafen ein. Endlich.

Sie nimmt NakNak* mit auf eine Hunderunde, macht den Abwasch, schmeißt eine Ladung Wäsche in die Maschine, kocht Suppe für drei Tage, fegt die Wohnung durch, leert den Briefkasten, bringt den Müll raus.

Sie bleibt die ganze Zeit unserer ersten Schlafetappe von 6 Stunden und entscheidet sich erst dann gleich bei uns zu übernachten. 313705_web_R_by_slicer_pixelio.de
So schaffen wir es zum ersten Mal, seit August letzten Jahres, zu schlafen, bis wir wirklich ausgeruht sind. Natürlich nicht, ohne ein Echo des Hasses und der Strafen aus dem Innern. Natürlich nicht, ohne, dass sie sagt, es sei doch selbstverständlich zu helfen und keinen besonderen Dank nötig machend. Natürlich nicht, ohne, dass ich mich in Grund und Boden schäme und fühle, wie sich ihr angeboten werden will.

Aber, aufzuwachen, weil man fertiggeschlafen hat. Das Gefühl, dass jemand über den Schlaf wacht…
Das ist ein Gefühl, für das sich dieser Tausch irgendwie doch gelohnt hat.