… und beleuchte die Dunkelheit

Gestern Abend hatte ich es mal wieder in der Hand
“… und besiege die Finsternis” von Marie Balter, geboren 1930.
Psychiatriepatientin. 20 Jahre lang.
In den Anstalten der 50 er Jahre.
Zu Zeiten der massenhaften Medikalisierung. E- Eis- Insulinschock- Folter im Namen der medizinischen Hilfe.
Das ist keine leichte Kost. Aber ich mochte das Buch.

Sie hat überlebt, wurde Ärztin und sprach dann für die Betroffenen. Sie ist 1999 verstorben.

Das letzte Kapitel des Buches heißt “Eine Stimme für die psychisch Kranken”.
Damals, als ich das Buch zum ersten Mal las, verbrachte ich die meiste Zeit des Lesens getriggert und mich und mein Leiden kleinredend.
Das letzte Kapitel erschien mir so wohltuend in all dem, was dort steht.
Sie schreibt von ihren Vorträgen, den Reaktionen der ZuhörerInnen, aufbauschenden, oberflächlichen JournalistInnen, ihrer Angst abzustumpfen, ihren Gebeten, den Menschen, denen sie bei der Verfilmung ihres Lebens begegnete.
Und: “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen. Doch das darf nicht so weit gehen, dass andere nicht mehr eigenständig handeln können.”

Vor 2 Wochen habe ich das Exposé für mein Buch bei einer Literaturagentur landen lassen. Als Leseprobe ist ein Artikel dabei, der meine Zeit in einer der vielen Kinder- und Jugendpsychiatrien aufnimmt. Ich glaube nicht, dass ich damit Hoffnung verbreite.

Mir fiel aber auch auf, dass ich denke: “Ja haaaa ICH muss anderen Menschen Hoffnung geben, denn ich habe ja überlebt. ICH muss den Menschen ja sagen, dass man das alles überleben kann. Und das dann alles besser ist…”. Ich merke, dass ich mir schon wieder ein Kostüm in einem Schrank anschaue, das mir weder passt noch gefällt. Das ich mir aber natürlich trotzdem anziehen würde, weil … darum.
Während bei vielen Vielen das Thema “Überlebensschuld” kreiselt, kreiselt bei mir “Überlebensverpflichtungen”. Immer wieder der Komplex: “Ich habe überlebt und jetzt? Was gebe ich jetzt zurück und wie stelle ich das an?”.

Ich glaube nicht, dass ich heute keine Psychiatriepatientin mehr bin (oder auch die Gewalt überlebte, die mich dort hinbrachte), weil meine Seele so besonders stark ist, oder weil in mir irgendein Schalter umgelegt wurde, der mich zu neuer Hoffnung und Kraft brachte. Ich glaube auch nicht, dass ich überlebt habe, weil an oder in mir irgendetwas ist, dass mich durch die Momente der Todesnähe trug und etwas zu erhalten vermochte, als scheinbar nichts (und niemand) mehr in mir war.
Ich weiß, dass ich keine Schuld an meinem Überleben trage, weil niemand Schuld an seinem Sterben trägt.

Aber ich merke, dass ich nicht nur etwas überlebt habe, sondern auch von etwas zeuge. Meine Schäden sind ein Er-Zeugnis der Gewalt. Wenn ich beschreibe, was ich sah und erlebte, dann ist es eine Art Zeugnis ablegen von dem, was für andere- die Verschonten, die Ungeschlagen, wie C. Emcke sie so treffend nennt, unsichtbar, unerlebt- und un- über-lebt ist.

Das Überleben ist mir einfach so passiert. Ich habe weder darum gebeten, noch dafür gekämpft.
Die Lebensrealität in der ich und die Zerstörung an mir unsichtbar sind, und sogar gehalten werden, hingegen, betrachte ich als unbedingt zu verändern. Denn es ist eben genau die Unsichtbarkeit, in der Gewalt geboren und genährt wird. Es ist immer wieder genau das Moment, in dem man Gewalt nicht Gewalt nennt, auch das Moment, in dem Gewalt triumphiert und sich weitere Opfer einverleibt.

Ich stelle mir nicht die Frage “Warum ist mir das passiert?” oder “Warum habe ich überlebt, aber dieser und jener Mensch nicht?”.
Ich habe meine Antworten dazu und daraus eben auch die Anforderung an mich, zu verhindern, dass es anderen Menschen auch so ergeht. Dieser Überlebenskult, diese Mystifizierung des Überlebens und dessen, was es abverlangt, ist in meinen Augen eine zwar nachvollziehbare menschliche Eigenschaft, doch nicht hilfreich, wenn es darum geht, einen Weg zu gehen, der ohne Gewalten auskommt und so immer wieder Menschen zum Überleben zwingt.

Es kann nicht sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, der es einerseits völlig egal sein kann und darf, was in Psychiatrie, Heim, Gefängnis, Misshandlungsfamilie passiert, die Überlebenden dann aber in eine Position bringen darf, in der besonders wertvolle Eigenschaften impliziert sind, die sich zeigten, als es dieses Umfeld und die ihm inne liegende Gewalt, abverlangte!

Marie Balter hatte zu ihrer Zeit immer wieder betont, dass es nicht reicht, die Menschen rauszuholen. Sie war eine der ersten, die darauf zeigte, wie unterschiedlich die Welten “Psychiatrie” und “draußen” sind. Was es für einen krassen Bruch bedeutet von der Rechtlosigkeit in die Stigmatisierung; aus dem Klima eines menschenverachtenden Nihilismus in ein Klima des Anspruchs dem (noch bzw. nicht immer sofort) zu entsprechen ist, zu gehen.
Sie sagte immer wieder, wie wichtig es ist, dass entlassene Menschen aufgefangen werden und Orientierungshilfen bekommen.
Heute gibt es Peer to Peer- Hilfen, ambulante Betreuungen, ein bis heute ausbaufähiges obgleich immer weiter zusammengespartes und so dauermarodes System von Hilfen, die Menschen über den Bruch helfen und in ein Leben in Eigenständigkeit hinein begleiten soll.

Aber Gewalt taucht in all dem als Begriff nicht auf.
Hilfe darf nicht auch Gewalt genannt werden, obwohl hier und da schon Verknüpfungen bekannt sind, beobachtet werden und Überlegungen angestellt werden, wie sie zu verhindern sein könnten. Alles natürlich systemimmanent und orientiert am Status Quo, den zu hinterfragen komplex und unbequem ist.

Ich habe das Buch weggetauscht und werde es auf die Reise schicken.
Gestern dachte ich noch, dass ich in der Geschichte so viel Schönes gelesen habe und nicht noch einmal groß darüber nachdenken möchte. Heute ist mir klar, dass ich diesen Absatz “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen.” in meinem Denken umändern muss.

Vielleicht in “Anderen Menschen von der Dunkelheit erzählen, heißt ihnen Macht zu geben Licht zu verbreiten. Wir, die wir beides kennen und die Möglichkeiten haben, müssen sie nutzen.”.

das Buch “Weil es sagbar ist – Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit” von Carolin Emcke

DSC_0818 Carolin Emcke ist Journalistin. Seit 1998 bereist sie weltweit die Orte, die uns hier in Deutschland unter dem Begriff “Krisen”- „Kriegs-“ oder auch “Katastrophengebiet” geläufig sind.
Sie beschreibt Begegnungen, die sie dort hatte. Erzählt Geschichten, vom Geschichten erzählen. Erzählt die Geschichten, die ihr erzählt wurden weiter.

Nicht mehr.
Nicht weniger.

“Weil es sagbar ist” erschien Ende 2013 im S. Fischer Verlag.
Das Buch ist in einem Maß verdichtet und präzise differenziert, dass es schnell als “schwere Kost” wirkt, zeitgleich aber ganz klar nicht die Thematik als schwer erscheinen lässt.

Emckes Essays nennen Gewalt beim Namen und nehmen ihr so einen großen Anteil Schrecken, ohne ihre Schrecklichkeit zu verschweigen.
Sie sprechen vom Überleben und Überlebenden, ohne zu Opfern zu machen. Jedes Zitat, jedes in diesem Buch erwähnte Zeugnis erlittener Not, erscheint in einer Präsenz jenseits von Präsentation und hilft, das oft als unfassbar- unsagbar- Geltende als etwas zu begreifen, das nicht Nichts ist vor lauter Furchtbarkeit oder als im Nichts zu verschwinden verdammt ist, gerade, weil es durch die Entfernung der Lebensrealitäten von Überlebenden zu Ungeschlagenen, als so viel Unfassbares- Unvorstellbares- erscheint.

Es geht um Mitgefühl und mitleiden, um das Leiden als solches und darum, gelitten zu haben. Es geht um Nächstenliebe und die Liebe zu dem, was am Nächsten ist. Darum, diesen Zugang in sich zu haben um ihn zu anderen Lebewesen herstellen zu können.
Es geht um das Zuhören und Hören, was erzählt wird.
Es geht um Menschen, die aus der Welt herausgefallen sind und doch nicht im Nichts vergehen.

Als Autorin dieses Buches gelingt es Carolin Emcke die von ihr, sowohl in sich selbst als auch zu jenen, deren Geschichten sie aufschreibt, geschlagenen Brücken aufzuzeigen und in ihrer Entwicklung nachzuvollziehen.

Es ist ein Buch, welches so manch ein übergroß im Leben von Überlebenden schwebendes “ES” oder “DAS” sagbar macht, weil es die Mechanismen der Gewalt nicht nur greif- sondern auch begreifbar macht, indem es durchgängig sachlich und an den richtigen Stellen verschärft durch die Wahl des Objektivs abbildet.

Mein Schweigen war es, das mich zu diesem Buch trieb, hineinspringen und einen Halt an der Dichte seiner Worte finden ließ.
Wusste ich, die ich mir täglich Worte aus dem in Fetzen gerissenen Innen hervorquäle und hier sichtbar zu machen versuche, dass es etwas zu sagen gibt, so nähere ich mich nach der Lektüre des Buches, an ein Gefühl der Sicherheit an, dass auch mein “ES” und “ALLES DAS” sagbar sein könnte.

Es ist das erste Buch zum Thema, das mir dies ermöglicht hat.
Dafür danke ich und stelle fest, dass auch Dankbarkeit so schier unfassbar groß sein kann, wie alle Furchtbarkeit, die Leib und Leben in seiner Existenz bedroht.

das Ist

Stifte rollen über den Tisch, Farben ergießen sich auf festes Papier und zerlaufen zu Formen.
Töne und Laute schrauben sich im Hals zusammen, um von der Zunge springen gelassen zu werden.

Da passiert so viel, wenn sie miteinander telefonieren.
Es braucht das freundlich vorsichtige „Hei du“ um anzufangen; die Lautsprachenmaschine im Rachen anzuschalten, die Betriebssysteme hochzufahren und aus dem stummstillen Sein, das nicht einmal mehr mit dem Hund sprechen kann, heraus zu brechen.

Es ist eine komplizierte Sache geworden das Sprechen. Die Sprache. Die Fähigkeit etwas auszusagen.
Treffen und soziale Interaktionen, die direkten Kontakt erfordern, sind abhängig von einer gewissen Unwissenheit, einem: „Ach ich red halt drauf los.“ vom Gegenüber, um die Tür zum Sprachserver zu öffnen.
Wenn es keine Ansprache gibt, gibt es keine Worte.

Das ist eine Abhängigkeit, die sie genau spürt und von der sie bemerkt, dass die meisten Menschen überhaupt keinen Zugang zu diesem Umstand haben.
„Ich bin ja auch verrückt“, denkt sie und schmiert eine weitere Schicht Panzerplattenepitel auf ihren Rücken.

Sie kann es noch.
Worte sammeln. Sinne bündeln. Fäden spinnen, aus denen ich Texte webe.
Sie kann es noch.
„Hei du“ wie Morgentau auffangen und in den Rachen fallen lassen. Erste Satzreflexe abhusten und sich der Situation versichern.

Dann sprechen andere und die sprechen anders.
Sichtbar, fröhlich, freundlich, offen und bewusst. Nah und fürsorglich, manchmal albern oder besorgt.
Die Ansprache macht sie wach.

P1010188Sie öffnen sich wie eine Rose von Jericho und lassen ihre Kunst zur Sprache ohne Worte werden.

Sie selbst hat sich einen Orden gemacht.
Für außerordentliche Mutigkeiten.

Dazu gehört das Telefonieren genauso, wie das Nichtsterben, wenn sie die Bilder am Morgen einsammelt und in die Mappe legt.

Wortlos, denn wann sie das nächste Mal ein Mensch anspricht, damit überhaupt Wortmaterial in ihrem Kopf landen kann, ist von Tag zu Tag anders.

Das ist, das Ist.

Schweigen verwortlichen

… und als ich ein Wort hatte, war es greifbar genug, es aus der Hand zu legen…
~ H. C. Rosenblatt ~

Es heißt Gesprächstherapie und hat etwas mit Sprache zu tun.
Es ist eine Art seine Seelenwarzen zu besprechen.

Seit einer ganzen Weile kämpfe ich mit einer Sprachlosigkeit, die alle mir bekannten Ebenen überschreitet und erlebe die Therapie als Gespräch, wie eine Art wöchentliche Kampfarena in der ich als gnadenlos niedergeschlagene Verliererin in den Sand gestampft werde.
Nie habe ich darüber nachgedacht, ob irgendwo Worte bleiben. Ob Worte von mir etwas bedeuten, obwohl ich verloren habe und einzig das Schweigen, als Obrigkeit meiner selbst, seine strahlende Rüstung zeigt.

Ich hatte in einem Emailaustausch mit einer Verbündeten etwas um diese Sprachlosigkeit verstanden. Sagte der Therapeutin: „Ich kann ihnen nicht helfen, mir zu helfen“ und dachte: „Weil ich es nicht sagen kann“.

Sie war aufgestanden und hatte ausgedruckte Artikel aus ihrem Büro geholt. Worte aus meinem Innen. Mein in Worte gewickeltes Schweigen, ein Stückchen auf ihrem Schoß.
Ich bin berührt von diesem Blick auf mich.
Nicht hindurch oder an mir vorbei wabernd.

Meine Therapeutin hat einen Freifahrtschein den Blog zu lesen oder auch nicht. Ich weiß, dass Zeit und Raum für Menschen kostbar sind. Gerade, wenn man sich mit Menschen auseinandersetzt und ein Stück miteinander geht. Nie habe ich von ihr erwartet, das zu tun. Wenn der Wunsch da war, wurden Artikel ausgedruckt und zu ihr gebracht.
In meiner Welt bin ich das Stück Dreck mit dem sie sich einmal in der Woche befasst und dafür Geld bekommen muss. Als Entschädigungslohn vielleicht.

Und als sie einfach weiter sprach und mein Schweigen im Wortgewand eines anderen Innens als Wort galt, konnte ich etwas sagen und es loslassen.

Nichts ist weg oder anders als vorher.
Aber es quält mich nicht mehr mit dem Gefühl selbst verschwiegen zu sein.
Es gibt Beweise für meinen Kampf.
Auf einer Ebene, ganz für mich, habe ich etwas über mein Schweigen verwortlichen können, ohne etwas sagen zu müssen. Ohne etwas können zu müssen, das ich nicht kann.

P1010059Und plötzlich ist es kein Kampf mehr, den ich als Verlorene betrachten muss.
Für den ich mich hassen muss, weil ich es falsch mache und damit den wahren Entschädigungslohn an meine Therapeutin in die Höhe treibe

Am Sonntag war da diese Welle von innen, die mir sagte, dass ich schon ganz richtig sei.
Gestern kam sie von der Therapeutin.

Jetzt streichelt sie ein bisschen an meinem Sein entlang und berührt mich.

Ich bin dankbar.

das Recht zu Schweigen

„Ich erlaube dir auch zu schweigen“.

P1010102Das wars.
Mehr hatte es gar nicht gebraucht.

Wir saßen in der Sonne und sahen NakNak* dabei zu, wie sie erste sacht schwebende Blätter erlegte.
Mein letztes gesprochenes Wort erschien mir so weit weg.
So weit, als hätte ich noch nie etwas gesagt.
Als wäre noch nie etwas durch diesen Stau aus Schmerzschamekelleere gedrungen, den ich nun seit Tagen mit wachsender Verzweiflung von links nach rechts zu sortieren versuchte.

Sie schaute in den Himmel hinauf. An der Sonne vorbei, ins Universum hinein.
Ich starrte sie an und erbrach ein Danke neben ihre ausgetreckten Beine.

„Du darfst heute auch Geheimnisse haben.“.

Ich ließ die ganzen Angst-Abers meine dichte Schweigeleere aufweichen.
„… aber dann versteht sie ja nicht…“
„… aber dann hört es ja nie auf…“
„… aber dann denkt sie…“
„… aber dann muss ich…“

„Ja aber dann könntest du sterben?“, fragte sie und berührte damit die Wurzel.
„Vielleicht?“ piepste es aus meinem Mund und schon kam mir wieder diese Scham hoch. Ich hasse es, wenn Kinder durch mich sprechen und ich so verloren winzig vor mir selbst bin.

„Schatz, du wirst nicht sterben, wenn du der Seelenfrau oder auch mir oder irgendjemandem etwas nicht sagst.“. Sie sprachen über Privatsphäre, Wunscherfüllungsgrenzen, Machtgefühle und Hilflosigkeit.

Später stellte ich fest, dass „neunormal“ vorbei ist.
Spürte ich, dass ich hungrig war.
Dass der Seelenschmerz weniger ist.

Und als ich, spät in der Nacht, versuchte einen Brief an die Therapeutin zu verfassen, fiel mir ein, dass sie genau das eigentlich schon einmal gesagt hatte.

Jetzt kann ich es mir erlauben auch zu schweigen.
Nicht, weil es mir peinlich wäre, es zu sagen. Nicht weil ich denke, ich müsste, weil „man eben so Therapie macht“; nicht, weil ich Angst habe, dass sonst alles so schlimm bleibt, wie es ist, wenn ich es nicht tue.

Sondern weil da jemand außen ist, der mir erlaubt, mir etwas zu erlauben.
So lange, bis ich es mir selbst erlauben kann.
So lange, bis ich das Recht zu schweigen genauso bindend, wie den Zwang zu schweigen empfinde.

Ende

einfach so

Die Wärme des Handys brennt sich in Ohr und Wange, das Zittern wälzt sich von innen nach außen und das Freizeichen dehnt sich immer weiter aus.
„Hallo. Na, wie geht euch?“, sie klingt entspannt, sommerlich und ohne Ahnung von meinem inneren Unwetter.

Wie holzige Brocken in einem bitteren Schleim, versuche ich Worte zu erbrechen und fühle mich doch, als würde ich ersticken. Das Puls pocht bis in den Kopf hinein, die Hände sind verklebt von Schweiß und Dreck. Der Akku meldet sich. Sie hört es, weiß sowieso schon Bescheid. Es war klar, dass das passiert.

„Ich bin in 15 Minuten bei euch und warte dort falls ihr…“, das Handy ist ausgegangen.
Kurz explodiert die Verlorenheitsgefühlsbombe, wie bereits heute Mittag am Ende der Therapiestunde, im Innen und Zeit und Raum verschwimmen weiter.

Hab ich Eis im Beutel? Ich wollte doch Eis kaufen.
Nein. Keins da.
Aber Cola
.

Alles runterspülen. Genug Druck von oben erschaffen, damit alles unten bleibt.

Ich weiß nicht, wo ich bin, obwohl ich diese Strecke jeden Tag gehe. Noch mehr Angst, die unterdrückt werden muss- irgendwie unterdrückt wird vom Wegegänger, der sich an den Konturen der Wege festklammert, wie ein Ertrinkender.

Warten auf das Klingeln, auf jemanden der mich rausholt, der mich abholt, der mich mitnimmt und behält. Einfach so.
Wie die Straßenbahn heute Morgen, die Therapiestunde heute Mittag, die Straßenbahn zurück, der Besucherhund am Nachmittag, der Einkaufsauftrag danach.

Sie kommt, steht in der Tür und betrachtet uns, wie ich selbst, als jemand in Tränen ausbricht.

Und einfach so, schaue ich ihr zu, wie sie die Taschentücher der kleinen Herzen mit den Drachen drauf nimmt, die Tränen abholt, eine Kleine annimmt und uns trotzdem noch behält.
Obwohl wir noch immer nichts gesagt haben und die Lautsprache plötzlich wieder Fremdsprache ist.

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die Katze, die an der Straße lag

Sonne, Wind, ein Schritt nach dem Anderen. Den Berg runter. „Geld kaufen“ am Bankschalter. TippTippTipp. Ratter Schnarr. Hundekeks. Waldstück, Vogelzwitschern,  Hundekeks. Ein Schritt nach dem Anderen.

In die Wortfetzen einer Gruppe älterer Menschen, die um ein Fellbündel am Boden stehen und einander hilflos zu geworfen werden.
„Wissen Sie, wem die Katze gehört?“.
Kopfschütteln, schauen.

Krack. Das Sprachzentrum ist ein gerastet.
Wie auf einer Murmelbahn klicken die Impulse aneinander, landen da, wo sie gebraucht werden und lösen das Katapult für das richtige Innen aus.

Reflexe?- Reaktionen abgeflacht.
Atemwege frei?- Ja.
Puls?- Flach, aber tastbar.
Geruch?- Neutral.
Dehydration?- Nein.
Augen schließen, sachtes Abtasten, dabei leise Schnurren. Der Rücken ist steinhart.
Noch immer keine Reaktion des Tiers auf Berührung oder Ansprache, die Pupillen sind irgendwie zu groß für die Helligkeit des Tages.

Tierarztnummer. Keiner geht ran. Notfallnummer. Derzeit nicht erreichbar.
Gemögte A.- Anrufbeantworter.
Gemögte B. – im Termin.

Anwohnerin kommt vorbei. „Können 644827_web_R_K_B_by_Lisa Spreckelmeyer_pixelio.deSie mir bitte eine Schüssel Wasser und ein nasses und ein trocknes Handtuch bringen?“. Kann sie. Macht sie.
Katze trinkt nicht, leckt aber einen Tropfen vom Finger. Wird langsam wacher. Steht auf und geht auf NakNak* los.
[„Wusste ich doch woher ich die kenne! Das ist die verrückte Katze, die NakNak*, schon mal gebissen hat!“]

„Legen sie ihr mal kurz das Handtuch vors Gesicht, ich weiß in etwa, wo die Besitzer wohnen.“.
NakNak* mit Keksen und kurzem Raunen beruhigen, auf das Haus zu und klingeln.
„Hallo, haben sie eine Freigängerkatze draußen?“
– „Ja“
„Sie liegt vorn an der Straße. Ihr geht es offensichtlich nicht gut, aber nach einem Unfall sieht das nicht direkt aus.“
– „Ah ja, sie ist krank und steht unter Schmerzmitteln- Moment grad, ich komme gleich raus“.
Sie sieht selbst auch nicht gesund aus.

Zurückgehen. Sehen, die Katze liegt unterm Handtuch und lässt sich von der Anwohnerin streicheln. NakNak* in den Schatten setzen und warten lassen.
Worte wechseln. Pflegestelle, erste Hilfekurse für Haustiere, warum habe ich eine Erste Hilfe-Tasche auf meinen Spaziergängen mit dem Hund dabei. Im Hinterkopf klicken der Tod der Welpin vor 2 Jahren und die Schreie des Welpen, der sich in unserer Obhut mal das Bein gebrochen hatte, aneinander.

Die Besitzerin kommt. Erzählt.
Nicken, schweigen, reagieren und merken, wie nötig die Besitzerin Trost und Nähe hat. Die Hand berühren und Verständnis ausdrücken. Merken, wie der Sprachvorrat zur Neige geht. Wie schwer eine Verabschiedung herauszuwürgen ist.

NakNak* abholen. Hundekeks. Einkaufen. Hundekeks.

Und dann bemerken, dass man vergessen hat, die Ärmel nach dem Desinfizieren der Hände wieder runterzuziehen und, dass sie trotzdem auf die Worte und Taten geachtet haben.
Mehr als auf das Schlachtfeld auf den Unterarmen, in dem es kaum noch Nervenenden gibt.

Das Schweigen und die Sichtbarkeit

„Das Wichtigste ist, das Schweigen zu brechen“.

Es ist der Titel eines Vortrages von Michaela Huber über organisierte Ausbeutung, rituelle Gewalt und dissoziative Störungen, den sie im März bei der Tagung gehalten hat. Der Titel schwirrt mir immer noch im Kopf herum, weil er so…

Es ist einer dieser Sätze, die man als Opfer, Zeuge oder auch Täter so und in vielen anderen Verpackungen immer wieder hört, wenn es um Gewalt geht. Einer von den Sätzen, bei denen es in meinem Kopf gleichzeitig „WAHR!“ und „FALSCH“ brüllt, noch während sich eine sachliche Sprecherin zur Lage der inneren Nationen räuspert und über biologische, soziale und politische Sachverhalte referiert. Die das Schweigen darlegt, anprangert und auch rechtfertigt.

Es gibt viele Arten des Schweigens.
Das Schweigen der Zeugen zum Beispiel.
Vor Kurzem wurde die Bloggerin „
Ragekamila“ von 5 anderen Menschen angegriffen. Es gingen viele Menschen an ihr vorbei, doch ihr begegnete Schweigen und Ignoranz. Sogar die Polizei verschwieg ihre Solidarität mit ihr als Opfer und vermittelte ihr stattdessen, selbst schuld an dem Angriff zu sein, weil sie einen kurzen Rock trug.
Unterm Strich: Rape Culture
und Schweigen.
Ich weiß nicht, was Menschen, die Zeugen von so einem Angriff werden, dazu bewegt zu schweigen. Hatten sie Angst, selbst auch angegriffen zu werden? Dachten sie: „Ach, sie wehrt sich ja schon- sie wird das auch allein packen“? Schätzten sie die Situation anders ein? Wir und vor allem aber „Ragekamila“ werden es nie wissen, denn ihr Schweigen hat sie unsichtbar gemacht.

Dann das Schweigen der Täter.
Wenn mein Vater mich verprügelt hat, dann sagte er ziemlich genau den gleichen Satz immer wieder vor dem ersten und nach dem letzten Hieb. Wie ein Startschuss in ein Nirwana aus Schmerzen und Schweigen. Ich denke, er wird während der Tat dissoziiert haben und selbst nicht in der Lage gewesen sein, mehr zu äußern. Wenn es tatsächlich so war, erklärt sich mir auch sein Schweigen im Anschluss. Vielleicht ist es für ihn nie passiert- was sagt man über etwas, das nie passiert ist?

Oder das Schweigen mit Worten.
Wenn meine Mutter mich misshandelt hat, sprach sie die ganze Zeit- ohne etwas zu sagen. Auch sie schwieg über ihre Gefühle und Gedanken. Ihre eigene Position in dieser Situation. Was auch immer sie angetrieben hat- es war eine Spirale, die sie selbst in ihrem Sein unsichtbar gemacht hat.

Und dann das Schweigen des Opfer.
Ich war das Opfer der Misshandlung durch meine Eltern. Beide waren während der Tat unsichtbar. Der eine geistig- der andere seelisch. Sichtbar waren, und sind bis heute, allein die Folgen ihrer Handlungen.
Selbst ich bin nicht immer da gewesen. Wurde der Schmerz, die Demütigung zu groß, habe ich mich verschwinden lassen, war gar nicht da- hab das alles wie Nebelschwaden an mir vorbei, durch mich hindurch ziehen lassen, hab mich unsichtbar gemacht.

So ein Satz: „Brich das Schweigen.“, bedeutet für mich: „Mach dich sichtbar- mach die Gewalt sichtbar“ … „Mach sichtbar, was niemand gesehen hat“ … „Mach DU es sichtbar- du warst doch dabei“.
Ich war es aber nie ganz.

Wir leben in einem System in dem nur verurteilt wird, was sichtbar ist.222295_web_R_K_by_Sonja Gräber_pixelio.de
Es
braucht handfeste Beweise, um Täter ihrer Strafe zuzuführen. Es braucht Sichtbarkeit, um wahrgenommen zu werden. Die Polizei braucht die Opfer, um die Täter sichtbar zu machen. Die Presse braucht das ganze Paket einer Situation, um darüber zu berichten und zum Sprachrohr zu werden. Doch ist nur sichtbar, wofür es Worte gibt.

Am Anfang war das Wort. Oh ja! Worte sind toll.
Sie sind, wenn es um Gewalt geht, wie das erste Kotzen bei einem Magen-Darminfekt; wie ein ausgedrückter Pickel der bereits tagelang schmerzte; wie Weinen, dass man schon seit Stunden in seinem Hals drücken spürte.
Sie geben Form, machen sichtbar und ermöglichen sowohl eine Verarbeitung des Geschehens als auch innerhalb unseres Miteinanders eine Bewertung.

Gewalt aber, spricht Teile des menschlichen Gehirns an, die weit weg von dem Teil ist, in dem sich unsere Sprache befindet. Das ist sinnvoll, denn bei Gewalt geht es potenziell immer um eine Gefährdung des eigenen Lebens. Sprache ist jünger als der in uns entwickelte Teil, der unser Überleben sichert.
Ich schrieb es bereits in anderen Artikeln: Das Leben allein besteht in der Fähigkeit zur Entwicklung der Fähigkeit, das Leben weiterzugeben. Es ist ein evolutionärer Kettenbrief, der allein für seine Weitergabe arbeitet.
Unser Sprachzentrum ist so etwas, wie das Ziel am Ende einer verschlammten, mit Geröll bespickten Landstraße- während der Teil, der unser Überleben sichert, eine fünfspurige Hightechsuperautobahn ist. Es gibt keine Sprache- aber hey- was gibt es auch zu sagen, wenn Leib und Leben in Gefahr sind?!
Unserem Gehirn ist es scheiß egal, ob das, was da gerade passiert später noch sichtbar ist. Wer will ihm darum böse sein?

Es können nur jene sein, die das Privileg der Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit genießen oder jene, die genau deshalb (chronisch oder latent) im Überlebensmodus stecken und darunter leiden.

Das Wissen um die Vorteile von sozialem Miteinander ist eng mit der Sicherung des eigenen Überlebens in uns Menschen (und auch vielen Tieren) verknüpft. Die Abhängigkeit von unseren Versorgern ist uns Menschen direkt ab dem Zeitpunkt der Geburt mehr oder weniger klar bewusst. Wir werden absolut hilflos geboren und sind erst ab dem Moment der biologischen Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens, halbwegs in der Lage eigenständig zu leben. Doch nun ist es so, dass wir in hier, in Deutschland, in einer Umgebung leben, in der das soziale Gefüge dem direkt widerspricht. Hier in unserer Kultur, würde niemand einem Teenager unter 18 Jahren einen eigenen Haushalt ganz ohne Unterstützung und Absicherung überlassen. Unsere Justiz staffelt noch bis ins 27ste Lebensjahr hinein das Maß von Strafen für diverse Taten. Das ist schön- untergräbt aber auch die Autarkie der Menschen. Im Guten, wie im Schlechten.

Es geht um Abhängigkeiten. Auch beim Schweigen.
Wir wurden in unserem früheren Abhängigkeitsverhältnis Schweigegeboten unterworfen.
Schweigegebote sind nicht so schlimm, wie man vielleicht glauben mag. Schlimmer sind die Redeverbote. Das Gleiche? Oh nein.
Gebote sind wie Spielregeln: Willst (Musst) du mitmachen, hältst du dich daran.
Verbote sind Grenzen: Übertrittst du sie, bist du ..? Na was? – Raus! Allein! Ausgeliefert! Schutzlos!
Ergo: potenziell tot.

Wer keinen Schutz außerhalb von (destruktiven) Abhängigkeitsverhältnissen hat, der kann nicht reden. Kann keine Worte finden. Kann nichts sichtbar machen. Kommt nicht in den Genuss der Privilegien, die das Leben mit seiner Fähigkeit dieses weiterzugeben braucht.

Und hier ist es- das Ding, dass das Schweigen nährt: Die Wahl zwischen Leben und Tod.
Welchen Weg wird unser Gehirn wohl nehmen, wenn wir Gewalt erfahren?
Und was passiert, wenn man Zeit seines Lebens immer wieder gezwungen ist, auf der Hightechsuperautobahn zu fahren? Man lernt, dass es sich lohnt und, dass es einfacher ist. Blicke nach links oder rechts sind Ressourcenverschwendung- wen interessiert die Landschaft, die man vom Fenster aus betrachten kann, wenn die rasante Fahrt immer wieder nötig ist, um die eigene Basis sicherzustellen?
Wie beschwerlich erscheint einem dann eine holprige Landstraße, wie fraglich ist das Ziel der Sprache und Sichtbarkeit für andere Menschen- ganz gleich wie dringlich sie es machen.

Es gibt keine Worte ohne Schutz.
Dieser Artikel hier, sowie auch der Artikel der Paulines, in dem sie über Zweifel, Fallstricke und Glaubhaftigkeit sprechen  ist ein Steinchen im Plädoyer für mehr Opferschutz.
Wer so privilegiert ist, Worte und damit Sichtbarkeit einzufordern, muss sein Privileg von Sicherheit durch Nichtbeteiligung und Unabhängigkeit teilen!
Alles andere verschiebt die Verantwortlichkeiten rund um Gewalt in den Schoß derer, die nichts- aber auch gar nichts dafür tun können, um dem zu entsprechen.

Wir brauchen Opfersolidarität- und Schutz! Wir brauchen die Annahme der Not und der Mechanismen, die Gewalt in unserer Mitte auslöst! Wir brauchen die Akzeptanz des Schweigens, das tiefe verinnerlichte Verständnis um die Folgen, als etwas, das mit uns allen tun hat! Wir brauchen die Folgen der Gewalt gleichrangig bewertet, wie die Gewalt an sich!

Sonst gibt es keine Worte, die das Schweigen brechen.
Sonst bleibt unsichtbar, was töten kann.

Ebenendifferenz

Vor einer Weile zwitscherte es mich von der Seite an:

Wer die Grundlage der Lebensbedingungen eines anderen derart verkennt und auch keine Klärung zulässt, kann kein ernsthafter Gesprächspartner sein. “ (Quelle:hier )

“Wow, was für ein wahrer Satz!”, dachte ich und überlegte ihm eigens einen Dauerplatz hier einzurichten, damit ich mich immer wieder daran erinnere, was mich immer wieder aus der Bahn wirft, aber nicht allein meine Sache ist: Das Missverständnis anderer Menschen, in Bezug auf meine Lebensart und meine Lebensrealität und- was mich oft noch am meisten trifft: meine Sprache.

Ich habe großes- sehr großes Verständnis dafür, dass jemand mit mehr oder weniger intakter Fähigkeit zur Selbst- und Umwelt- Wahrnehmung, Schwierigkeiten hat, zu verstehen wie es ist, wenn diese Fähigkeit extrem eingeschränkt ist. Ja, es ist verständlich, denn was Menschen können, merken die meisten von ihnen erst dann, wenn sie es plötzlich nicht mehr oder anders oder besser können.

Das Fremdwörterbuch definiert den Begriff der Wahrnehmung als den Vorgang in dem die Sinne mittels Nervenbahnen, Reize aus der Umgebung der Menschen ins Gehirn transportieren. Das was darauf folgt nennt die Psychologie “Perzepte”, was wiederum definiert wird, als das WahrnehmungsErlebnis selbst. Diese werden mit verinnerlichen Konstrukten und/ oder Schemata abgeglichen um eingeschätzt und bewertet zu werden. (So- ich denke jetzt habe ich dann auch deutlich genug gemacht, dass ich, wenn ich Wörter benutze keine ausgedachten Definitionen verdrehe oder vermische)

Es ist, denke ich, eines der Phänomene, welches Missverständnis wachsen lässt: die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung, der Perzeption, der internalisierten Konstrukte und Schemata, sowie der anschließenden subjektiven Bewertung im sozio-kulturellem Kontext.

Ich beginne an der Basis: der Begriff der Wahrnehmung.
Obwohl eigentlich jeder Mensch etwas mit der ganz flachen, möglichst allgemein gültigsten Definition dessen anfangen kann und jeder weiß was gemeint, gibt es noch viele weitere Spezifizierungen und Ein-Ausgrenzungen in jeweils anderen Zusammenhängen. Solange keine Interaktion nötig wird, dient dies vor allem jenen, die sich in diesen Kontexten bewegen- nicht aber jenen, die außerhalb dessen stehen.

Bewegen sich beide Seiten aufeinander zu, wird es wichtig die Spezifikation der verwendeten Begrifflichkeiten zu lockern und allgemeiner-flacher zu verwenden. Dies wiederum verlangt eine grundsätzliche Agilität und Bereitschaft das Gegenüber auch verstehen zu wollen, bzw. verständlich zu sein.
Und dies ist ein sehr spannender Punkt, an dem ich persönlich sehr oft wünsche mehr Ausbildung meines Wissensschatzes erfahren zu haben.
Für das, was ich im Folgenden nur beschreiben und worüber ich (in erster Linie mir selbst-) erklärend mutmaßen kann, gibt es sicher bereits Namen, viele Studien und Bewertungen aus den verschiedensten Wissenschaftsbereichen. (Was zum Beispiel eine mangelnde Spezifizierung zur Folge haben kann, da ich über keine Spezialisierung verfüge und entsprechend auch keine tiefere- spezifizierende Sprache verwenden kann)

Es ist für mich so, dass ich permanent fürchte an einer Aussage festgenagelt zu werden (sehr schlau dann einen öffentlichen Blog zu führen- ja- ich weiß, aber muss jetzt mal grad aus deinem Fokus). Diese Festnagelungsangst ist eher darin begründet, dass meine Selbstwahrnehmung gestückelt ist. Es kommt häufig vor, dass mir jemand sagt: “Du hast aber gesagt…” und ich anfange mein Barbiegesicht zu machen und möglichst genauso tot und nichtssagend auszusehen, während ich versuche herauszuhören/ interpretieren/ deuten/ RATEN was mein Innenleben wann genau gesagt hat.

Ich erwarte kein Verständnis von allen meinen Gegenübern in so einer Situation. Die Menschen, die von meinen Problemen wissen, schieben ein “ich hab mich neulich noch mit… nee warst du das nicht sogar?.. über XY unterhalten und da….” dazwischen.
Die Bekannten und Fremden wissen es nicht und der einzige Vorwurf der vielleicht eventuell an manchen Stellen berechtigt sein könnte, ist der, dass sie nicht über ihre Worte und ihre Aussagen reflektieren. Sie sind nicht dazu gezwungen im Alltag und ich fordere es in der Regel nicht ein, ein bisschen Rücksicht zu nehmen.
Bekannte und Fremde mögen für sich eine grobe Vorstellung von DIS haben, doch sie haben sie nicht Bezug zu mir. Sie haben keine Kenntnis von meiner Art wahrzunehmen und können ergo in den meisten Fällen keine Gespräche mit gegenseitigem „Rundum-Verständnis“ führen.

Einmal abgesehen davon, dass es niemals und unter keinen Umständen die komplette Kongruenz der jeweilig subjektiven Wahrnehmung gibt, da jedes Gehirn die Gewichtung der Reize, die auf es einwirken, unterschiedlich vornimmt und ebenso unterschiedlich dissoziiert und wiederum anders assoziiert (Stichwort: internalisierte Schemata etc.), sollte diese Hoffnung vom Gegenüber wirklich verstanden zu werden, wohl immer mehr Antrieb als real möglich zu befriedigendes Bedürfnis sein.

Und da ist der Punkt: der Antrieb zur Kommunikation. Die Intension meines Gegenübers.
Ich bin als Mensch in einer Umgebung aufgewachsen in der es überlebensnotwendig war, jede Intension des Gegenübers punktgenau zu treffen. Dies bezog sowohl eine genaue Beobachtung des Menschen vor mir ein, sowie eine absolut perfekte Beobachtung meiner Umgebung und der Situation als solcher.
Etwas bei dem ich früher wie heute allerdings gehandicapt bin, ist die Wahrnehmung der Gesamtsituation in einem zeitlich globalen Rahmen.
Ich weiß, dass ich meine Eltern niemals korrekt einschätzen konnte, weil mir ständig Zeit fehlte. Die einzige Konstante für mich als Innen dieses Einsmenschen „C. Rosenblatt“, war: „Erkläre (eigentlich aber: Rechtfertige) dich vor mir!“
Für mich hieß das: „Saug dir möglichst etwas aus den Fingern, dass so gut wie nur irgend möglich mit dem übereinstimmt, wovon du keine Ahnung hast.“. Ich versuchte aus dem was sie mir sagten herauszuhören/ zu interpretieren/ zu deuten/ zu RATEN einen Rückschluss zu ziehen und ihnen unter Abgleichung an meine mir vorliegenden Informationen und (Körper-) Gefühle, Rede und Antwort zu stehen.

Meine Eltern haben eine Art der Kommunikation betrieben, unter der ich niemals gewinnen konnte. Doch meine Intension sie verstehen zu lassen, in dem ich mich (oder div. Umstände) erkläre, war immer da. Warum?
Weil sie in anderen Zusammenhängen so perfekt funktionierte.

Ich habe es immer geschafft andere Menschen auf ihre Worte und Formulierungen festzunageln, weil ich sie mir genau eingeprägt habe; Dinge und Situationen genauestens beobachtet und wie ein Radar feinsten Sensoren abgescannt habe. Andere Menschen (mit niedrigerem Erregungslevel- [Sidestep- meine Art die Umwelt aufzunehmen fußt auf dem sog. „Hyperarousal„: mein Adrenalinstatus ist sehr oder weniger regelmäßig so hoch, dass mein Gehirn auch tatsächlich jede Kleinigkeit aufnimmt, um meinen vermeintlichen Überlebenskampf zu sichern] ) tun dies nicht. Einmal, weil sie nicht so wie ich, gelernt haben zu kommunizieren und einmal, weil sie sich eben nicht chronisch im Hyperarousel befinden, gehen sie Kontakt mit anderen Menschen.
Ihre Basis ist eine Andere. Auch ohne, dass wir auch nur ein Wort gewechselt haben.

Aus dieser Ebenendifferenz heraus zu kommunizieren erfordert also (im günstigsten Fall) eine beiderseitige Anpassung und mindestens die gleiche Basisintension.
Doch wie erreichen?

Ich rede gern mit Therapeuten, weil sie es in der Regel schaffen, mir ein Umfeld zu generieren in dem ich aus rechtlich festgelegten Gründen nicht mit einer direkten Versehrung zu rechnen haben darf. Ergo schaltet mein Metabolismus eine Stufe herunter und ermöglicht so einen Austausch der sowohl fehlerhaft (da nicht gesamtglobal), als auch trotzdem als richtig im Sinne von wahr und glaubhaft gilt.

Im außertherapeutischen Kontext bin ich es selbst, die sich ein Umfeld schaffen muss, in dem diese Erregung nicht nötig ist. Dies gelingt mir in der Regel, wenn ich offen sagen kann, dass ich nicht über alle für diesen Austausch nötigen Informationen verfüge und sich dies nicht bessert, wenn die Anforderung an mich gestellt wird, diese zu haben.
Dieser Umstand erfordert allerdings von meinem Gegenüber eine grundlegende Haltung von Interesse und Empathie. Bleibt dies aus, gibt es ein Gespräch, dass für mein Gehirn einen weiterführenden Überlebenskampf bedeutet.

Und es ist ein Überleben, auch wenn mein physisches Wohlergehen nicht direkt gefährdet ist.

Dies ist eine wichtige Basis, die leider oft vernachlässigt wird.
Große Erregung erfordert große Kräfte.
Diese Kräfte bringt der menschliche Körper immer wieder auf- egal wie geschwächt er als solcher ist. Die Defizite treten an anderer Stelle auf und bedienen eine Dysfunktionalität in verschiedenen Bereichen.
Sei es körperliche Aktivität oder auch die Fähigkeit Zusammenhänge mittels Sprache abzuflachen, um sie verständlich zu machen. Auch die Fähigkeit sich emotional-empathisch auf das Gegenüber einzulassen, wird beeinträchtigt.

Und hier schließt sich der Kreis.
Je mehr dieser Gespräche geschehen- je mehr ich davon am Tag erlebe- desto geschwächter bin ich als Gesamtperson. Die Anpassung an solche Umstände heißt in meinem Fall, dass es vermehrte Wechsel zu anderen Innens gibt, die ihre Gesprächspartner zu „Vermeidungstänzen“ verführen bzw. selbst vermeidend kommunizieren. Es entsteht nach außen der Eindruck, dass es zum Beispiel keine Probleme, Sorgen, Nöte, Konflikte gibt.

Dies ist etwas, dass uns in der Betreuung durch Sozialarbeiter (und auch während Aufenthalten in div. Kliniken) mehr oder weniger um Hilfen gebracht hat. Ab einem Zeitpunkt ist eine Überlastung nicht mehr kommunizierbar (da genau diese gerade durch dissoziative Bewältigungsmuster kompensiert wird) und entsprechend nicht mehr erfassbar für das Gegenüber.
Es sei denn da ist jemand, der genau diese Lebensrealität und genau diese Umstände genau verstanden hat und für sich immer präsent hat.

Die Bereitschaft zu diesem selbstständig immer wieder bewusst gemachten Wissen, hängt allerdings komplett an den Menschen selbst. Für mich bedeutet dies eine Abhängigkeit par excellance- früher wie heute- , dass mir das Gegenüber auf irgendeiner Ebene seiner persönlichen Haltung wohlgesonnen meiner Person gegenüber steht. Ist er es nicht, ist es kein als sicher wahrgenommener Kontakt und ergo niemand mit dem ich mich auf einer verständnisbringenden Ebene austauchen kann. Und dies bedeutet in jedem Arbeitsverhältnis (sei es in einer Betreuung oder in einem therapeutischen Kontext), verschwendete Ressource die eigentlich zu „Hilfe“ gewandelt werden soll.

Dieser Artikel hat keinen Schluss.
Vielleicht nur ein Ende, an dem steht, was für viele BetreuerInnen, HelferInnen und auch TherapeutInnen zu beachten sein kann, wenn sie es mit Menschen zu tun haben, die (komplex) traumatisiert wurden.