Fundstücke #57

Im Nachhinein merke ich, dass ich immer dachte, es gäbe so etwas wie eine Grenze des unkontrollierten Erinnerns. So, als wäre ein “nicht richtig aufwachen und in eine desorientierte Gewalt-Wiederleben-Schleife sinken” das obere Ende dessen, was unverarbeitete Erfahrungen mit sich bringen.
Vielleicht ist meine letzte Nacht auch nicht wirklich eine Steigerung dessen.
Vielleicht ist es insgesamt unsinnig Symptomatiken zu skalieren, wenn es doch mehr meine Gefühle dazu sind, die ich skalieren will, damit sie mir gleichzeitig greifbar und entfernt von mir sind.

Dieses “Einsinken” ist grauenhaft. Mir ist dabei nicht klar, dass ich etwas erinnere bzw. erlebe, was längst vorbei ist. Selbst “Ich” ist mir in dem Moment nicht so klar. “Einsinken” ist wie eine Art Ohrwurm der Sinne, der mich total absorbiert, sich aufdrängt und nicht weggeht bis irgendein unbestimmtes Moment ihn unterbricht.
Aber wenn es einmal unterbrochen ist, dann ist es das auch.
Ich fühle mich scheiße, aber ich weiß, dass ich da bin, wo ich bin und was ich tun kann.

Heute Nacht bin ich aus etwas aufgewacht, dass ich mit “Ekel5000” überschreiben will.
Ich weiß nicht wovor, ich habe keine Bilder dazu, keine Gedanken – nur Ekel und einen drückenden, stauchenden, stiebenden Wust aus einander widersprechenden Impulsen und Körper_Reaktionen.

Jetzt einige Stunden später denke ich, ob ich vielleicht das unterbrechende Moment war, denn ich bin aufgewacht, weil ich mich übergeben musste und das auch rückhaltlos tat, als wäre ich selbst das andere Ende dessen, was sich zusammenreißt, hart macht, verdichtet – sich von mir abtrennt und so viel Platz wie möglich frei, leer, dissoziationsnebelweiß lässt.

Normalerweise erdet und beruhigt es uns insgesamt chaotische Bettsituationen aufzulösen.
Für manche Innens ist es bis heute gut “Spuren zu vernichten” oder “alles wieder gut zu machen”. Für mich ist es das Gefühl etwas tun zu können, das mir hilft. Ich mag die Muster, die sich für mich auftun, wenn ich etwas tun kann, das mit dem Alltag zu tun hat. Und sei es das Bettzeug abzuziehen, zu waschen, neu zu beziehen und zu lüften.
Es ist Alltag. Heute-Alltag. Ich-Alltag.

Und diesmal hätte ich die ganze Zeit kotzen können. Über mich, über die Situation, darüber, dass meine Bettwäsche nicht nur mit einem Handgriff, sondern einer ganzen Menge Handgriffe zu wechseln ist, darüber wie meine Haare über die Ohren rascheln – alles, was den noch so kleinsten Widerstand in mir aufmachte, brachte dieses “Ekel5000”- Ding mit sich.
Das ist, was es anders macht. Und schlimmer.

Üblicherweise sind es ja genau diese kleinen Widerstände und die Möglichkeit sie durchzusetzen, was es mir ermöglicht mehr und mehr Orientierung aufzubauen. Sie mit diesen Gefühlen und Impulsen beantwortet zu kriegen, hat mir diese Möglichkeiten genommen. Mehr als das zu erleben und auszuhalten, ging nicht und es hat bis in den frühen Morgen gedauert, bis ich an dem Punkt war, an dem aus mir heraus keine Widerstände mehr kamen. Nicht, weil ich sie aktiv unterdrückt hatte, sondern, weil da einfach keine mehr waren.

Für mich hatte das nicht nur so eine Ebene des Aufgebens, sondern irgendwie auch von Entfernung zu dem, was wir seit Jahren machen und wollen. Wir wollen diese unkontrollierten Momente nicht mehr, also machen wir therapeutisches Resilienzen pflegen, hören nicht auf mit ständiger Orientierung, mit Verankerung, mit klaren Bewegungen weg von dem, was uns nicht gut tut und stärkt.
Das loslassen zu müssen, um Erleichterung zu empfinden, verwirrt mich noch immer. Es ergibt keinen Sinn und widerspricht allen Erfahrungen, die ich bisher im Umgang mit solchen Situationen gemacht habe.

Vielleicht geht es am Ende wieder nur um meine komischen Kontrollquirks, das weiß ich gerade nicht, aber es ist eine neue Ebene der Unkontrolle und eine Konfrontation mit Erinnerungsfragmenten, die ich in der Form noch nicht hatte.

Es verunsichert mich.

von Haien und Sardinen, Ausgrenzung und Selbstvertretung

“Euer Podcast gibt mir immer weniger.”, sagte uns eine Freundin am Samstag, kurz bevor wir den Film starteten, den wir uns ausgesucht hatten. Sie sagte, sie könne für sich immer weniger rausziehen, die Folgen seien zu lang und das Geplänkel zwischendurch wäre mal ganz nett, aber …
Hm ja, dachte ich. Feedback ist wichtig, wir legen uns das mal an die Seite.

Auf dem Weg nach Hause dachte ich darüber nach, was die Dinge, die wir tun, anderen Leuten überhaupt geben soll und ob wir beeinflussen können, was sie sich nehmen wollen und was nicht.

Am Sonntag bekamen wir Besuch für ein Projekt, in dem es ums Vielesein geht.
Wenn die Person da ist, sprechen wir über uns, wie wir uns wahrnehmen, wie was bei uns funktioniert und was es bedeutet, dass es so ist, wie es ist.

Am Abend stellten wir ein Modell fertig, das unsere “innere Landkarte” symbolisiert.
Eine Arbeit, die wir schon lange für die Therapie machen wollten, aber doch nie gemacht haben.
Zum Einen, weil wir Angst davor hatten, unerwartet mit Dingen konfrontiert zu werden, auf die wir nicht vorbereitet sind. Zum Anderen, weil es in uns nachwievor Unsicherheit darüber gibt, ob das überhaupt wichtig ist. Ob das jemand wissen will. Ob das Sehen unseres Seins etwas ist, das anderen Menschen (der Therapeutin, der Projektperson, den Personen, die das Projekt später sehen oder generell: überhaupt irgendjemandem) “etwas gibt”, was auch uns mit einschließt.

Für uns ist es normal so zu sein, wie wir sind. Wie wir funktionieren, ist für uns nichts fremdes oder besonderes – das ist es erst geworden, nachdem uns gesagt wurde, dass es das nicht sei. Dass es eine Krankheit sei, dass es eine Störung sei, dass das, was dazu geführt hat, unnormal sei. Unrecht. Falsch. Schlecht.
Wir, wie wir sind und wie wir geworden sind, hat also nur durch die Gegenüber- oder Nebeneinanderstellung mit dem Leben und Sein anderer Menschen überhaupt diesen Status von etwas, dem man sich anders widmet und/oder widmen will/muss/sollte, als dem, was diese als üblich wähnen.

Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass Dinge, die wir wahrnehmen und denken, teils massiv von dem abweichen, was andere Menschen wahrnehmen und denken. Nicht, weil wir andere politische Haltungen vertreten, nicht, weil wir Dinge mögen, die jemand anders nicht mag – einfach nur, weil unsere Perspektive durch unser Sosein, durch unser Sogewordensein eine völlig andere ist.
Und auch das nicht nur so ein bisschen. So ein bisschen, dass andere Menschen sich eventuell vielleicht doch – mit ein bisschen Anstrengung, Empathie und intellektueller Verdrehung – in uns und unseren Blick auf die Welt hineinversetzen können.

Nein. Wir sind auf eine Art anders gestrickt, dass wir nicht nur ein zwei Aspekte anders erleben und entsprechend einordnen, wenn Wind und Mond mal zufällig komisch stehen oder ein Trigger wirkt oder uns irgendetwas irritiert.
Die grundlegende Struktur ist zu jedem Zeitpunkt anders, als bei Menschen, die nicht viele sind (und zufällig auch noch autistisch).

Für mich beginnt der Unterschied schon dort, dass ich die Normalität der Menschen, die nicht autistisch und nicht viele sind, weder kenne, noch erklärt bekomme, noch als etwas erlebe, das ich als etwas potenziell auch von mir er_lebbares nachvollziehen kann, wenn ich mich in diese Menschen hineinversetze.
Es ist für mich weder denkbar, noch vorstellbar, nicht so zu sein wie ichwir.

Interessanterweise geht mir das auch so mit Tieren.
Ich kann mir nicht im Mindesten vorstellen, wie es ist eine Giraffe zu sein, geschweige denn einen Begriff von ihrem Bewusstsein oder der Art ihrer Wahrnehmung und ihrem Ich-Erleben zu haben.
Dieser Umstand wird von allen Menschen als gegeben akzeptiert. Niemand verlangt es von irgendjemandem und niemand maßt sich selbst ernsthaft an, all das über eine Giraffe zu wissen oder “mit ein bisschen Anstrengung/Empathie schon irgendwie nachvollziehen zu können”.
Es würde sich auch niemand mit vorwurfsvoller Miene vor eine Giraffe stellen und ihr sagen, sie solle sich mal ein bisschen klarer (bitte ohne Geplänkel) ausdrücken, damit man ebenjene Dinge über sie in Erfahrung bringen kann.

Ich will uns und Menschen in ähnlicher Situation nicht mit einem Tier gleichsetzen.
Ich will hier auch nicht zu dem Schluss kommen, dass wir “in einer anderen Welt” als andere Menschen leben. Ich will auch nicht das so oft bemühte “wrong planet”-Bild nutzen.
Ich will aufzeigen, wie groß die Kluft zwischen unseren Wahrnehmungen und Er_Lebensrealitäten ist.
Und wie ungleich groß zuweilen die Bemühungen darum sind, miteinander in Kontakt zu kommen und einander zu verstehen. Und wie verschieden die Motivationen dazu sind, das überhaupt anzustreben.

Ich will es nicht darauf reduzieren, aber schreibe es nun doch so auf:
Ohne die Pathologisierung, die Stigmatisierung, die Ausgrenzung, ohne den tiefen krassen Schmerz, den es bedeutet so wie wir sind in dieser Welt und in diesen Kontexten zu leben, würden wir uns kein Stück um ein Miteinander mit Menschen kümmern. Wir würden es sein lassen.
Wir würden all die Kraft, die es uns kostet in Lautsprache zu denken, zu erklären, zu kommunizieren einsparen und all die Dinge tun, die uns und vielleicht sogar nur uns allein zur Kommunikation und Interaktion mit der Welt dienen.  Wir würden uns nicht erklären, würden nicht all die großen und kleinen sozialen Dressuren aufführen, die es braucht, um überhaupt von als Mensch mit Seele und Sein an_erkannt zu werden.

Wir fragen uns nie, “was es uns gibt” uns die Abbildungen und Darstellungen in Film und Fernsehen, in Romanen, in Erzählungen oder Klatsch und Tratsch von neurotypischen (nicht komplex traumatisierten) Leuten reinzuziehen, weil wir von vornherein wissen, dass das, was dort verhandelt wird, aus einer Perspektive kommt, die wir niemals je selbst einnehmen werden. Da werden Interaktionsmuster gezeigt, die wir nur kopieren, jedoch nie in ihrer Tiefe und Intension selbst auch erfahren. Da werden Werte und Normen repräsentiert, die uns nicht mehr sagen, als, dass sie wichtig für diese Personen sind. Da werden zwischenmenschliche Dramen und Erfahrungen mit_geteilt, die wir selbst entweder gar nicht machen (können) oder, die wir machen, ohne mehr damit anfangen zu können, als das, was wir ohnehin schon 24/7 tun: analysieren, entschlüsseln und mit anderen Erfahrungskontexten abgleichen, bevor sie abgespeichert werden.

Wir wissen, dass uns all diese Medieninhalte nichts geben – wir wissen, dass sie euch etwas geben. Deshalb nehmen wir uns all die Dinge daraus, die uns im Kontakt mit euch eventuell mal hilfreich sein können.

Wir werden daneben übrigens auch nie gefragt, wie das für uns ist nirgendwo kongruent in unserem Sein und Er_leben repräsentiert zu werden.
Manche Menschen erwarten Reaktionen von uns auf Filme, in denen Viele sein oder autistisch sein vorkommt, aber sie erwarten selbst von unseren Reaktionen auf Medien, die Menschen mit einer so krass anderen Perspektive und Er_Lebensrealität über (Aspekte) unseres Seins und Er_Lebens gemacht haben, noch einen Mehrwert für sie und ihre Sicht auf das Thema.
Was sie nicht erwarten ist Unverständnis dafür. Gekränkt davon zu sein, schon wieder von jemandem ohne gleichen Hintergrund für einen Kontext benutzt worden zu sein, in dem wir selbst weder mitgedacht werden, noch sonstwie in einer Art passieren, die auf gegenseitigem Begreifen, Verstehen und inkludiertem Miteinander beruht.

Um ein weiteres Tierbild zu bemühen:
Manche Haie kapieren nicht, dass es Sardinen kränkt, wenn ein Hai einen Sardinenfilm dreht, um unter Haien als der geilste Filmer bekannt zu werden, Haie ins Kino zu bringen, Haien ein weiteres Mittel zur Etablierung einer Haikultur zu schenken, in der sich Haie erkennen und so zu einer Verbesserung oder Veränderung des Haimiteinanders beitragen können.
Und manche Haie haben darüber für Sardinen dann oft auch nicht mehr übrig als “Nja mag ja sein, dass das für dich persönlich jetzt voll blöd ist, aber mich brings voll weiter.” – während die Sardine zurückbleibt. Nicht nur mit ihrer persönlichen Verletzung, sondern auch mit dem Bewusstsein selbst eben nicht weitergekommen zu sein, sondern nur dazu benutzt worden zu sein, einer Gruppe weiterzuhelfen, die nichts außer ebenjene Benutzung mit ihr zu tun hat.
Und, die ihrerseits zu keinem Zeitpunkt überhaupt einen Anlass hat sich einer anderen Gruppe als sich selbst zu widmen.

Die Selbstverständlichkeit mit der sie sich selbst vielleicht mal gut, vielleicht mal eher schlecht repräsentiert wieder_finden können, lässt die Information von komplettem Ausschluss für sie völlig absurd wirken.
Denn selbst sehr schlechte Darstellungen werden ja nur für sie gemacht. Nur sie können die Tiefe, die unausgesprochenen Codes entschlüsseln, nur sie sind gemeint. Nur um sie geht es bei der ganzen Sache. Um ihre Kultur, ihr Miteinander, ihr Sein.

So sitzen wir also da mit der Kritik an einem Projekt, das ist wie es ist, weil wir sind, wie wir (und Renée) sind und sich an Menschen richtet, die sich davon nehmen dürfen sollen, was sie selbst auch nehmen wollen.
Um dann vielleicht auch mal mit Menschen, die erheblich viel anders sind, als sie in an_erkennenden Kontakt zu kommen.

So sitzen wir nun da mit einem Modell von unserem Innen und wissen gleichzeitig, dass wir das Modell des Innen eines Menschen, der nicht viele und nicht autistisch ist, vermutlich niemals zu sehen kriegen werden.
Geschweige denn erklärt und im gleichen Format beschrieben.

Wir sitzen da und fragen uns, was wir denn davon haben, das so zu machen.
Und wieder einmal kommen wir zu dem Schluss, dass wir davon nicht mehr haben als das Wissen, dass wir wenigstens versuchen unseren Schmerz an der Kluft zu anderen Menschen zu lindern. Dass es uns wenigstens nicht so selbstgefällig scheißegal ist, wie es uns damit geht, dass mit uns so umgegangen wird, wie mit uns umgegangen wird.

Wir wissen, dass wir alles dafür getan haben, was wir können, damit es Miteinander gibt. Dass es mehr Möglichkeiten zu Verstehen und Begreifen gibt. Dass niemand sagen kann, wir hätten ja in Wahrheit gar kein Interesse daran.
Wir wissen, dass wir jeden Tag alles was wir können tun, um sowohl uns selbst, als auch anderen Menschen in ähnlichen Lagen zu markieren, dass der Status Quo einer ist, in dem die Mehrheit über aufwendig konstruierte Minderheiten bestimmt.

Wir wissen, dass wir nichts weiter tun und wollen, als uns selbst zu repräsentieren und selbst in unseren Themen und Forderungen zu vertreten.
Und zwar, damit wir selbst am Ende etwas davon haben.
Nämlich die An_Erkennung in unserem Sosein, wie wir sind.
Nämlich die Gewährung von Respekt, von Schutz, von gesellschaftlicher, kultureller, ökonomischer und struktureller Gleichstellung mit genau den Menschen, an deren Normen und Werten entlang, wir, egal wie wir dazu stehen, als anders, fremd, krank definiert werden.

das Loch, die Dunkelbunten und “das Verleugnen der eigenen Vergangenheit”

Jane schreibt bei Twitter, dass ihr die komplette Ausblendung der früheren Leben(sumstände) von Transpersonen problematisch erscheint.
Auf dieses Thema will ich hier nicht näher eingehen, aber ich empfehle sehr, den Thread dazu zu lesen, denn viele Personen, die trans* sind, haben sich dazu geäußert und ich finde, dort gibt es viel zu lernen.

Woran mich Janes Haltung erinnert hatte, nachdem ich verstanden habe, worum es ihr geht, möchte ich hier aufschreiben. Auch, weil das Thema des inneren Ausstiegs und unsere Auseinandersetzung mit den Innens, die wir “dunkelbunt” nennen, im Moment viel da war.

Also.
Es geht darum, dass man irgendwann im Leben etwas von sich versteht. Da wird etwas bewusst und dann wird aus dem Leben, das man immer irgendwie so ertragen hat, etwas, von dem man spürt, dass man es verändern muss. Weil man sonst kaputt geht. Also stirbt.
Entweder, weil man so wie wir real in gewaltvollen Kontexten gelebt hat, die mit Lebensbedrohung einher gingen oder, weil man ganz dringend spürt, dass man sich selbst tötet, um es nicht mehr ertragen zu müssen.

Da beginnt die Zeit, in der man das, was man da (von sich) verstanden hat einordnen muss. In der man anfängt sich zu überlegen: Was bedeutet das jetzt für mich? Was bedeutet das in Bezug zu mir als Person, als (Lebe?-) Wesen und meiner Umwelt? Was kann ich mit dem neuen Wissen über mich anfangen?

Für uns war der erste Moment der, von dem ich schon einmal geschrieben habe.
Der Moment, in dem ich Origamifische, auf denen Anti-Gewalt-Slogans standen, an die Wand meines Zimmer klebte, weil ich verstanden hatte, dass mein Vater mich schlug, weil er selbst geschlagen worden war. Im Zuge dieser Auseinandersetzung fiel mir auf, wie unfair ich es fand, dass er geschlagen wurde – mir selbst gegenüber aber nichts weiter als abgeklärtes Schulterzucken aufbringen konnte.
Das war etwas, das mich irritierte und nie wieder losgelassen hat. Bei keiner Ohrfeige, keiner Demütigung, bei nichts was er mir danach noch antat, konnte ich darüber hinwegdenken, wie schlimm das für ihn gewesen sein muss, das zu erleben, während ich selbst neben mir stand und seine Hand auf ihrem Weg in mein Gesicht beobachtete – und nichts fühlte außer Irritation, Verwirrung und das, was man eben fühlt, wenn man merkt: da ist etwas unfair.

Für uns hat sich damals eine gefährliche Dopplung aufgetan. Denn es war immer schon Irritation, “etwas ist nicht richtig” und “hier läuft etwas nicht, wie es soll” im Raum, bevor er die Kontrolle über sich verloren hat und meine Gefühle kamen noch dazu. Für mich hat damals nichts mehr Sinn ergeben. Weder sein Austicken, noch meine Gedanken und Gefühle dazu.
Meine Auseinandersetzung endete mit der Gewissheit, dass ich selbst nichts daran ändern konnte. Ich konnte mein Bewusstsein nicht wegdrücken und ihn hatten wir noch nie ändern können. Das einzige, was ich, was wir machen konnten, war wegzugehen.

Nicht als großer Selbstbefreiungsschlag, mit Gefühlen der Überlegenheit oder der Idee zu wissen, was genau wir da eigentlich entscheiden, denn wir waren 15/16 Jahre alt und mehr als “Hauptsache das hört auf und ich überlebe”, habe ich nicht gedacht.
Es war auch keine Entscheidung, die sich in Abgrenzung zu den Personen in der Familie° abgespielt hat. Es ging um die Abgrenzung zum Tod, dem wir uns zu der Zeit so nah gefühlt haben, dass das alles war, was wir überhaupt als etwas empfunden haben, wovon wir uns noch abgrenzen können.

In den folgenden Jahren lebten wir anders. Wir wurden gesehen, nicht mehr von den Leuten geschlagen, die uns beschützen sollen. Dass wir viele sind konnten wir endlich mitteilen und als etwas begreifen, das tatsächlich da ist. Das ernstzunehmen ist, das respektiert werden muss, das nie entschieden wurde, sondern ist, wie wir als Einsmensch/Individuum gewachsen sind.
Wir wurden von außen anerkannt und das war die erste Stufe dessen, was wir als Selbst_Verwirklichung bezeichnen. Wir begannen uns als echt zu erleben. Als etwas, das am Leben ist und auch so behandelt werden muss, um es zu bleiben.

Es hat noch viele Momente gegeben, in denen der Tod eine große Rolle gespielt hat, aber mit jedem Mal ist auch das Bewusstsein erstarkt, dass es uns wirklich gibt. Dass wir wirklich leben und da sind und echt sind und wahrhaft sind.
Dieses Bewusstsein haben wir uns hart erkämpft. Das ist uns nicht in die Wiege gelegt worden, indem uns Menschen willkommen geheißen haben und uns bedingungslos geliebt und versorgt haben – nein, das haben wir uns in einem Umfeld erkämpfen müssen, in dem wir von Anfang an nicht willkommen waren, wie wir waren und sind.
Das ist die eigene Familie am Anfang gewesen und heute ist es noch immer die Gesellschaft, die Identitäten in genau zwei Geschlechter, drei Altersklassen, drei Gesellschaftsschichten und zwei Zustände der Befähigung einsortiert.

Wir haben neulich mit Renée darüber gesprochen, wie lange wir schon in Therapie sind und warum.
Dass die Gewalt ihre Spuren und ungünstigen Anpassungen in uns hinterlassen haben, ist das Eine – das Andere ist, dass wir nachwievor darum kämpfen müssen, nicht immer wieder zu vergessen, dass es uns wirklich gibt, obwohl die Gesellschaft und ihre Strukturen da draußen so tut, als gäbe es uns nicht.
Dass wir uns nicht verunsichern lassen, wenn Menschen so tun, als würde die Körperlichkeit darüber bestimmen, wer oder was man “eigentlich” ist.
Dass wir nicht den Mut verlieren, wenn strukturelle Versorgungslücken im System dazu führen, dass wir an Herausforderungen scheitern, weil man uns aufgrund der Abwesenheit von zugänglichen Hilfen, den Bedarf danach abspricht.

Das sind alles wir. Die Gewaltfolgen, der Autismus, das Queersein, das Armsein, das Ohnefamiliesein und damit auch: das Ohnesowiefrühersein.

Wir grenzen uns heute ganz aktiv und ganz bewusst von der Familie° und von Freund_innen ab, die all das nicht in uns annehmen und akzeptieren.
Die, als die wir früher gelebt haben, gibt es heute nicht mehr und nichts von dem, was wir damals mit_gemacht haben (lassen (mussten)), wollen wir heute noch in unserem Leben.

Die Momente, in denen wir an früher denken, sind keine schönen. Auf jede gute Erinnerung, die wir uns annehmen und als gut bewahren wollen, keimt die Bitternis darum auf, dass wir damals schon wussten, dass wir kein “Mädchen” waren, nicht geliebt waren, keinen Tag ohne Verletzung erlebt haben und uns nie “normal” oder in echter Verbindung mit anderen Menschen gefühlt haben, weil wir ganz klar nicht die gleichen Er_Lebenserfahrungen machten. Und, weil wir heute wissen, dass und wie sehr, wir damals schon darunter gelitten haben und das immer wieder beiseite gedrückt und/oder dissoziiert haben.
Manchmal damit sich andere Menschen mit uns wohl fühlten, meistens einfach nur um “keinen Ärger zu machen” oder “uns nicht in den Vordergrund zu drängen” oder “uns nicht wichtig zu machen” – um zu überleben.

So ein Leben nicht weiterführen zu wollen ist legitim. Es ist legitim, wenn wir uns mit Hannah ansprechen lassen, uns als queer bezeichnen und wollen, dass das akzeptiert wird. Es ist legitim, wenn wir nicht 24/7 daran denken wollen, dass es Zeiten gab, in denen das nicht so war. Es gab nichts Gutes in unserem Früher, denn es hatte nichts mit uns zu tun. Es gab immer wieder nur Gutes für Menschen, die es gut fanden (und finden), wenn wir uns so weit zurückstellen, dass es uns nicht mehr gibt. Ganz wahrhaftig und voll und ganz so wie und wer wir sind.

Für uns hat das 0 von “die eigene Vergangenheit leugnen”.
Für uns ist das Leben. Das Leben für das wir uns entschieden haben, nachdem wir bewusst hatten, dass es uns gibt – völlig unabhängig davon, wie und ob andere Menschen uns sehen.

Für unsere “Dunkelbunten” bedeutet das unheimlich schmerzliche Ablösung, der sie sich auf ihre ganz eigene Art entziehen (wollen).
Wir sind heute nicht mehr so unbewusst füreinander wie früher. Sie haben all unsere Entwicklungen immer irgendwie verschlängelt, manchmal verspätet und teilweise auch nur bruchstückhaft mit_wahrgenommen – sich selbst aber nie den Raum genommen (oder von uns zugestanden bekommen) ihre eigenen Erkenntnisse auszubreiten oder sich selbst wahrhaftig am Leben seiend wahrzunehmen.

Ums gleich zu sagen: Es geht dabei nicht darum, dass wir sie gerne ein paar Runden über eine von Sonnenlicht geflutete Wiese mit Bambi und seinen Freunden schicken wollen, damit sie sehen wie toll es doch eigentlich ist und wie viel schlechter es damals war.
Es geht darum, dass unser Bewusstsein um uns auch ihres werden und in ihrer Sicht auf unser Sein in dieser Zeit heute, ganz eigene Auswirkungen haben kann.

Während es für mich immer wieder darum ging, mich zu fragen, wie ich trotz des Lochs, wo mal meine Kindheit und Jugend in der Familie° waren, ein erfülltes Leben haben und gestalten kann, ging und geht es für de Dunkelbunten in weiten Teilen nachwievor darum, wie sie ihren Wunsch/Drang/Impuls am Leben sein zu wollen, damit vereinbaren können, dass sie (durch unser Verhalten und Bestimmen im Außen) gerade überhaupt gar nicht so leben, wie sie es doch so lange sollten und als gutes/richtiges Familienmitglied auch ertragen getan haben.
Das ist ein schwerer Konflikt.

Und mehr als Leben (so wie es jetzt gerade ist)_szeit und Raum darin können wir nicht geben.
Es geht nicht mehr zurück.

Und das ist gut so.

vom Schluss machen und Kontrolle

Wir schauten auf die vielen kleinen Zettel vor uns, auf denen jeweils eine Sache steht, die bei uns gerade zu tun ist. Viele kleine Zettel. Viele Dinge. Alle irgendwie gleich laut auf uns einbrüllend, gleich wichtig, gleich dringend und sowieso schon eigentlich hätte würde wenn seit gestern schon hätte müsste erledigt gewesen worden sein.
“Was davon könnte ihnen denn Kraft geben, wenn sie es schaffen?”, fragte der Begleitermensch und gab noch ein bisschen Hilfestellung mit seinen Ideen zur Einordnung der Dinge. Wir entschieden uns für aufräumen. Platz schaffen. Sauber machen.
Und es war gut so.

Wir sortierten Kram und fuhren zum Wertstoffhof. Dort stopfte ein Bagger Elektroschrott der Klasse X tiefer in die Mulde, während direkt neben mir drei Männer ein Sofa und zwei Sessel in einen Container mit Sperrmüll hievten. Irgendwo klirrte es und eine Plastikplane flog über den Boden. Ein Mann in orange trug einen Krug aus Messing wie ein Baby im Arm von den Containern weg. Der Begleitermensch fragte, wie es mir ginge, ich sähe so wehmütig aus und ich überlegte, ob ich wehmütig war.
Nein, eigentlich nicht. Ich mag entrümpeln. Dinge rausschmeißen, Kompromisse beenden, Schluss machen, die Scheidung einreichen von Dingen, die nur noch da sind, weil ich sie nicht weit genug wegtragen kann. Ich mag es, wenn ich einmal mehr über etwas nicht so tun muss, als wäre es nutzbar, nützlich, gut und wichtig.

Doch dort auf dem Hof wurde mir klar, wie normal es ist, dass Dinge kaputt gehen und nicht mehr behalten werden. Es ist so normal, dass man große Sammelstellen dafür einrichtet, damit die Dinge recycelt oder vollständig vernichtet werden können. Es ist niemandes schuld. Niemand schafft es alles für immer und immer zu nutzen. Kaputt können Dinge auch dann sein, wenn sie nicht danach aussehen.

Mir wurde klar, wie nicht normal es ist, sich noch immer mit den Handtüchern abzutrocknen, die Oma uns geschenkt hatte, als wir irgendwas zwischen 12 und 15 Jahre alt waren. Wie nicht normal es ist, diesen Stapel CDs und Bücher, den wir der der Familie* geklaut haben und die x Pullover und Shirts, die uns die Mutterfrau aus dem eigenen Kleiderschrank gegeben hat, noch immer zu besitzen und im üblichen Fundus des Wohnraumgerümpels kreisen zu haben. Wie nicht normal es ist, so wenig ganz eigenes zu besitzen – so weniges, bei dem es nicht um die Art Kompromiss geht, die Un_Funktionalitäten ausgleicht.
Und: wie nicht normal es ist, den Gedanken nicht ertragen zu können, irgendetwas von diesen Gegenständen in so einem Container landen zu lassen.

Später saugte ich durch die Wohnung und räumte meine Kassettensammlung um. Mir fiel ein, wie meine Eltern meine sehr umfangreiche Kassettensammlung entsorgt hatten, nachdem ich das erste Mal weggegangen war. Es waren unheimlich schöne Hörspiele darunter, die meisten wurden seit den 80ern nicht wieder aufgelegt. Es war ein unwiederbringlicher Verlust und die Kränkung durch ihren Umgang mit unserem Schatz war enorm. Es war ja nicht nur schön sie anzuhören – die Sammlung war eines der Dinge, die wir heute als Spezialinteresse bezeichnen würden. Wir haben sie gern gehört und gesammelt, auswendig gelernt und die Hüllen sortiert. Dass diese Sammlung damals bei ihnen geblieben war, war ein Grund weshalb wir uns (neben vielem anderen) damals noch einmal dafür entschieden hatten zurückzugehen.
Für sie war es kein Ding die Kiste wegzuschmeißen. Sie haben mit uns Schluss gemacht und das war ihr Ausdruck dafür. Vielleicht. Was weiß ich.

Am Abend hatte ich die Wohnung aufgeräumt, ein paar Dinge aus dem Büro auf den Dachboden getragen und einen Plan für die kommenden Tage überlegt.
Es geht mir jetzt besser. Aus der Anlage, die wir besitzen seit wir 16 sind, klingt “Der kleine Vampir auf dem Bauernhof” und die Kassettenschublade ist einmal mehr neu sortiert. Zum ersten Mal seit inzwischen Monaten fühle ich mich nicht wie ein wirres Bündel aus Affekt und Panik, sondern als hätte ich etwas unter Kontrolle. Nicht mich. Doch immerhin die Dinge, die ich bei mir habe.

Fundstücke #53

Und plötzlich ist Dezember.
Es ist, als hätte sich der Lauf der Dinge an einer Stelle überfressen und mich hier ausgekotzt.
Dinge, die ich machen wollte, sind vorbei. Dinge, die ich jetzt machen muss, fühlen sich unnatürlich gestellt und dadurch unschaffbar an. Vielem stolpere ich wieder einmal hinterher, manches fürchte ich als unausweichlich.

Nach viel Zeit allein, bin ich mir, uns, so nah, dass ich merke, dass unser Gesamtzustand gelitten hat. Trotz aller Achtsamkeit, Fürsorge und Bewusstheit. Manchmal denke ich, dass es vielleicht genau deshalb für mich spürbar ist. Weil ich achtsam bin. Weil ich mich kümmere und dran bleibe.

Und das Leben tobt weiter. Beruhigend irgendwie.
Selbst dann, wenn ich hier so stehe und mich weder halten noch tragen kann, weil ich mir erst einmal wieder Wurzeln in das Hier und Jetzt wachsen lassen muss.

das unerwartete Klingeln

Es ist so wenig lange her, dachte ich. 9 Jahre. Nein, 10.

An dem Abend hatte es an der Haustür geklingelt.
Wochenende, später am Abend. Einfach so.
Irgendwer wird irgendwas von uns gewollt haben, das jetzt nicht mehr wichtig ist. Also wird es für uns unwichtig zu wissen, wer das war.

Das ist neu. Ein neuer Teil unserer Freiheitspraxis. Unwichtige Dinge, unwichtig bleiben zu lassen.
Dass jemand bei uns klingelt, am Wochenende, an einem späteren Abend, einfach so, ist heute etwas, das auch unwichtig sein und bleiben kann.

Es macht uns unruhig. Triggert uns in Erinnern. Es lässt uns alte Reaktionsimpulse fühlen.
Aber es ist auch unwichtig. Und das ist gut.
Es ist wichtiger, dass wir schon im Schlafanzug sind und nicht mit jemandem verabredet. Wichtiger, dass wir uns erinnern, dass heute heute ist und so viel anders. Guck der Hund, guck die Kleidung, guck die Haare, guck der Freund, die Freund_innen, die Schule… all die Leute – alles wichtiger als, dass da mal was war, das sich die meisten um uns herum, nicht mit uns zusammen denken können.

Natürlich saßen wir hier wie auf heißen Kohlen. Selbstverständlich war alles wieder da. Und ja, wir schlichen auf Zehenspitzen durch die Wohnung, um uns mit einem Cuttermesser in der Hand in den Wohnungstürwinkel zu stellen. Es ist unwichtig, wer da geklingelt hat – das macht den Gedanken, sich selbst für den eventuell doch eintretenden Fall, dass sich Jahre später noch einmal etwas wiederholt, zu schützen, nicht auch unwichtig.

Hätten wir diesmal etwas anders gemacht? Wirklich zugestochen? Nach unseren Nachbar_innen gerufen? Ich glaube nicht.
Das Denken in Worten war vorbei. Das Funktionieren in Reiz-Reaktionsmustern an. Nicht desorientiert und voller Angst, sondern völlig schörkellos und klar.
Es war das Stehen in der Stille, das Warten auf Schritte oder Geräusche im Treppenhaus, das langsam alles aufgelöst hat. Das Espassiertnichtmehr, das sich mit dem Moment vermischte und mich bewusster atmen ließ.

Am Montag sprachen wir mit der Therapeutin darüber. Darüber hinweg.
Wie das damals war, dieses Ding. Es klingelt und wir lassen alles stehen und liegen. Greifen nach der Handtasche und steigen in das Auto, das unten wartet. Ohne wenn, aber, wer wie was.

Nie, weil das nicht wichtig war, sondern, weil das wichtig war.

Niemals etwas zu fragen, bedeutet auch niemals etwas zu sagen zu haben.
Das ist effizient. Unpersönlich. Dissoziativ.
Um nichts anderes ging es dabei. Nicht um uns, nicht um irgendjemanden.

“Damals hatten ja auch alle Angst, dass wir bald tot sind.”, sagte eine und, “dass wir ja auch dauernd irgendwie auf Droge waren – entweder verschriebenen oder gegebenen.”. Und ich merkte, dass 10 Jahre eben doch ganz schön viel sind. Dass es eben doch eine ganz schön lange Zeit ist, überlebt zu haben. Zu entziehen. Clean zu bleiben. Nicht aufzuhören, nach dem zu greifen, was man sich gemeinhin so als “Leben” vorstellt.

Als wir nach der Stunde in die Wohnung treten, reißt die gebastelte Anwesenheitsnotiz vom Türrahmen. Zwei Stückchen Klebeband und dazwischen ein Bindfaden. Mit Trick 17 zum Realitätscheck. Niemand wird uns in der eigenen Wohnung erwarten. Niemand wird uns verletzen, bedrohen und dann seelenruhig die Tür hinter sich schließen, weil er weiß, dass er nichts zu befürchten hat.

10 Jahre sind eine lange Zeit.
Aber ein Klingeln zu ungewöhnlichen Zeiten, ist noch immer kein unerwartetes Klingeln allein.

Erwartungen haben

Wir fuhren die Landstraße entlang und sahen das Auto, das uns keine 20 Sekunden später rammen würde, dem Fahrzeug vor uns ausweichen. Dann ein Knall. Rauch. Schmerzen, die sich vertraut und dennoch unangenehm ausbreiteten.
Das war vor ein paar Jahren. Ein Autofahrer war zu schnell unterwegs und hatte die Kontrolle über sein Auto verloren, weil er niesen musste.

Ich weiß noch, dass ich eher genervt als panisch “Scheiße” dachte. Dass ich den Aufprall, den Schmerz und die Notwendigkeit sich an den Erste Hilfe-Kurs, der schon länger her war, zu erinnern, erwartete. Und ich weiß noch, wie sehr ich mich dafür gehasst hatte, nicht handeln zu können. Wie ich mich dabei beobachtete von einem Baby-Sein verdrängt zu werden und um ein Leben zu schreien, das als solches gar nicht richtig bewusst ist.
Wie erbärmlich und wehleidig ich mir vorkam, meine Bewegungen so abzuzirkeln, dass es möglichst wenig weh tat.

Dieses Ereignis war keine traumatische Erfahrung für mich.
Ich hatte den Aufprall erwartet. Wusste zwar nicht, ob ich ihn überleben würde, ging aber davon aus, dass ich ihn auch überleben könnte. Ich hatte Schmerz erwartet. Wusste zwar nicht, welchen und in welchem Ausmaß, wusste aber, dass mein Körper schon viele Schmerzarten “weggesteckt” hatte.
Ich hatte erwartet, dass Ersthelfer_innen kommen würden. Sie kamen.
Ich hatte erwartet, dass andere Menschen mir ansehen können würden, dass mir dieser Unfall passiert war und mit mir darüber sprechen würden. Und sie konnten. Und sie sprachen. Manchmal auch mit mir.

Die Erwartungen, mit denen Menschen durchs Leben gehen, sind wichtig. Zu erwarten, dass bestimmte Dinge passieren, spielt maßgeblich in ihre Bewertung und in die Entscheidungen, die man trifft ein.
Erwartungen entstehen aus Erfahrungen mit Dingen, die passieren.

Die Lebenserfahrungen, die ein Mensch durchgemacht hat, helfen sich ein Bild von der Welt und sich selbst zu machen.
Je kongruenter und vielfältiger diese Bilder sind, desto besser sind Menschen davor geschützt, Abweichungen oder Widersprüche als irritierend oder nachhaltig verwirrend, verunsichernd oder sogar tiefgreifend schockierend, lebensbedrohlich und unaushaltbar zu erleben.

Das heißt nicht, dass jede_r schon einmal einen Autounfall gehabt haben muss, um den nächsten gut zu verarbeiten.
Das heißt, dass es hilft einen Autounfall gut zu verarbeiten, wenn man beispielsweise schon einmal Schmerzen hatte (diese Wahrnehmungsqualität und mögliche Umgänge damit kennt), schon einmal davon gehört hat oder einen gesehen hat und erlebt, dass dieses Wissen bzw. diese und ähnliche Erfahrungen auch bei den Menschen im direkten Umfeld vorhanden sind.

Es hilft, vieles zu erwarten. Je mehr man erwartet, desto mehr kann davon bestätigt werden. Wird von 50 Erwartungen eine enttäuscht, sind da immer noch 49, die bestätigt werden. Und obwohl menschliche Gehirne darauf ausgerichtet sind, sich besonders die Enttäuschungen, Schmerzen oder andere weniger angenehme Dinge zu merken und besonders zu verarbeiten, so sind es die angenehmen Erfahrungen und Bestätigungen, die diese Einordnung überhaupt erst möglich machen.

Man kann sich bestätigte Erwartungen wie einen Stoff vorstellen, der dem Gehirn Futter und Arbeitsanlass zugleich ist. Ein Gehirn, das in schöner Regelmäßigkeit leichte Arbeiten zu verrichten hat und dabei immer gut versorgt wird, kommt mit einem Zeitraum härterer Arbeit besser zurecht, als eines, das durchgehend überfordert ist und mangelhaft versorgt.

„Erwartung“, das ist ein Wort, das heute einen fast negativen Beigeschmack hat, weil es oft mit “Anspruch” übersetzt wird.
Eine Erwartung zu haben, sagt aber mehr über innere Er_Lebens:qualitäts:gewohnheiten aus, als darüber, was man im Zusammenhang mit dem Außen als legitim oder gerechtfertigt einordnet.

Wenn ich zum Beispiel erwarte, dass ich etwas sehe, wenn ich die Augen öffne, dann hat das etwas damit zu tun, dass ich mein Leben lang immer sehen konnte, sobald ich sie geöffnet hatte.
Wenn ich aber in einem dunklen Raum sitze, dann ist etwas sehen zu wollen ein Anspruch, den ich erhebe, weil mir die Gewohnheit meines Sehens legitim erscheinen lässt, auch hier etwas zu sehen.

Das heißt: Anspruch ist von Erwartung nicht zu trennen – es handelt sich aber um zwei unterschiedliche Dinge.
Und das ist wichtig im Hinterkopf zu haben, wenn man sich damit auseinandersetzt, warum manche Erfahrungen traumatisch sind und manche nicht. Und warum ein und dasselbe Ereignis für die eine Person traumatisch war und für eine andere nicht.
Und warum es für Menschen, die bereits als Säugling oder Kleinkind immer wieder Gewalt erfahren haben, noch einmal schwieriger ist, sich im Lebensalltag danach zurechtzufinden. Selbst dann, wenn sie keine posttraumatischen Belastungen im Sinne einer PTBS oder ähnliches erleben.

 


 

Der Autounfall, den ich zu Beginn schildere, war eine krasse Irritation für mich. Der Schmerz, die Hilflosigkeit und die Idee jetzt gleich sofort zu sterben, jedoch nicht. Schließlich bin ich 16 Jahre lang immer unfallfrei in Autos mitgefahren, hatte aber auch immer wieder Situationen erlebt, in denen ich mit unvorhersehbaren, unausweichlichen, unbeeinflussbaren Schmerzen, Todesangst und globaler Hilflosigkeit konfrontiert war.

Waren meine Gewalterfahrungen in dem Moment also ein Schutzfaktor von dem Autounfall traumatisiert zu werden?
Keine Ahnung – in jedem Fall haben sie mich davor bewahrt, diese Empfindungen bzw. Wahrnehmungsqualitäten gleichermaßen krass irritierend zu empfinden, wie den Umstand, dass da ein Auto in das Auto hineinfährt, in dem ich sitze.

Die Person, die damals das Auto gefahren hatte, hatte diesen Erfahrungshintergrund nicht. Und soweit ich das mitgekriegt habe, hatte sie erheblich  mehr mit der Verarbeitung des Unfalls zu kämpfen, als ich. Für sie muss es sowohl um den Aspekt “da ist ein Auto in mein Auto gefahren – das ist aber gar nicht üblich” als auch “ich fühle etwas, womit noch nie oder bisher nur ein zwei Mal konfrontiert war” gegangen sein. Wenn nicht noch um mehr, denn sie war zum Zeitpunkt des Unfalls erwachsen, weiß, abliert,  Elter eines Kindes, aufgrund des Berufs für mich in gewisser Hinsicht verantwortlich …

Die Person hat, soweit ich das weiß, diese Erfahrung am Ende doch gut verarbeitet.
Aber nehmen wir mal an, es wären für sie sehr viele Erwartungen an sich und die Autofahrt und eintreffende Ersthelfer und spätere Versorgungsinstanzen enttäuscht worden.

Nehmen wir mal an, es wäre ein Unfall auf der Route 66 mitten in der Wüste gewesen. Anderer Autofahrer tot (enttäuschte Erwartung: Menschen, mit denen man zu tun hat, leben), die Person selbst hat überlebt (enttäuschte Erwartung: ich sterbe jetzt).
Sie muss sich allein aus dem Auto befreien (enttäuschte Erwartung: wenn ich Hilfe brauche, bekomme ich sie).
Muss allein zu Menschen kommen, die helfen könnten und dafür sorgen, dass sie dies auch tun (enttäuschte Erwartung: wenn mir etwas passiert, wird jemand kommen/sehen, dass ich Hilfe brauche).

Da es keine Zeug_innen außer ihr für den Unfall gibt, ist sie die einzige Person auf der Welt von der sie sicher weiß, wie das ist, auf der Route 66 einen schweren Autounfall gehabt und überlebt zu haben. (enttäuschte Erwartung: ich bin nicht allein mit dem Wissen darum, dass es so etwas gibt und wie sich das anfühlt und wie genau diese Situation war)

Nehmen wir an, die Person lebt allein und hat eine gesellschaftliche Rolle inne, die bestimmte Anforderungen an sie legitimiert (weil es normalisiert ist diese zu haben).
Ist die Person ein Mann, können diese Anforderungen sein, allgemein “hart”, “taff”, “stark” zu sein (nicht verweichlicht wie eine Frau – wer wie eine Frau ist, ist kein “richtiger Mann”).
Ist die Person eine Frau, kann die Anforderung sein, aus dem Umstand sich allein um Hilfe bemüht zu haben, eine emanzipatorische Kraft zu entwickeln (welche die Erfahrung auf fast magische Weise in ihren Auswirkungen verwandelt (weil wer sich selber ganz toll stark um sich kümmert, ist ja fast schon ein ganz toll starker Mann und damit besser als eine “richtige Frau”) oder aus anderen Gründen bitteschön die Klappe über irgendwelche Gefühle zu halten.
Ist die Person behindert, arm, rassiert oder schon älter oder jünger, kann die Anforderung sein, sich in seinen Reaktionen und Kompensationsformen der (weißen, ablierten, ökonomisch unabhängigen mittelalten) Norm anzupassen, um überhaupt als NORMaler Mensch an.erkannt zu werden, der in der Lage ist bestimmte Gefühle oder Belastungen zu erleben.

Nehmen wir an, dass die Person diesen Anforderungen nicht entsprechen kann und in der Folge nicht mit anderen Menschen über die gemachte Erfahrungen sprechen kann. (enttäuschte Erwartung: Ich muss nicht allein mit der Erfahrung bleiben und muss sie nicht allein aus eigener Kraft verarbeiten)

Man soll ja keine Rezepte zu psychischen Belastungen schreiben. Doch wenn man eines suchen würde, so würde man es in dieser angenommenen Konstellation finden. Und zwar nicht nur, weil dieser Person etwas passiert ist, das außergewöhnlich war und vielleicht außergewöhnlich schrecklich, sondern, weil sie allein damit bleibt und diese Erfahrung mit einem gestressten (also auf eine spezifische Art zu funktionieren gezwungenem) Gehirn zu verarbeiten, das eine Menge enttäuschter Erwartungen zu verdauen hat.


 

Kommen wir mal weg von einzelnen Erfahrungen und gehen über zu Menschen, deren Erwartungen immer auch ein Szenario der Todesangst, Hilflosigkeit und wie auch immer gearteten Versehrung (die mit Schmerzen vom Körper gemeldet werden) beinhalten.

Wie gesagt speisen sich Erwartungen aus der Gewohnheit bestimmter Er_Lebens:qualitäten.
Wer immer wieder erlebt, dass schöne Situationen in schreckliche kippen, ohne, dass es vorher konkrete oder absehbare oder erkennbare Hinweise darauf gibt oder auch immer wieder mit bizarren sozialen Konstellationen konfrontiert wird oder auch immer wieder tiefgreifend im eigenen Verstehen von sich selbst und der Welt um sich herum verunsichert wird, hat am Ende andere Erwartungen an den Lauf der Dinge, als eine Person, bei der das nicht passiert.

Es kann normal werden, sich auf nichts verlassen zu können, außer darauf, dass viele und regelmäßig auch jede Erwartung enttäuscht wird.
Denn dafür sind Erwartungen wichtig.
Für das Zu- und Vertrauen in sich und die Welt, die Menschen um sich herum, den Lauf der Dinge, den man jeden Tag beobachten kann. Kann man die eigene Umgebung nicht abschätzen – nicht zuverlässig erwarten, was wann warum und wie und mit welchen eventuell absehbaren Folgen passiert, gibt es weder Chance noch Anlass über das Hier und Jetzt hinaus zu denken oder zu planen.

Erwartungen sind jedoch eine Art kleine Idee von Zukunft.
Und die Zukunft als konstante Idee ist, neben vielen anderen Dingen, etwas, das Menschen ganz konkret am Leben hält.

Menschen würden verhungern, hätten sie nicht (aufgrund vieler Erfahrungen des Sattseins und Sattwerdens) die Idee, dass sie nach (also in der Zukunft) dem Verzehr von etwas keinen Hunger mehr haben. Besonders Menschen als Wesen mit extrem langer Nesthockdauer, hätten keinen Anlass zur Fortpflanzung oder Nachwuchsversorgung, zu allgemein angenehmer sozialer Interaktion und ergo verstehbarer Kommunikation, hätten sie kein Verständnis von Ursache und Wirkung im Sinne einer Entwicklung, die über einen Moment oder mehrere einzelne Momente hinausgeht.

Wir halten also fest: es ist für Menschen schon ziemlich vorteilhaft einen breiten Blick auf die Zukunft in der Gegenwart wahrnehmen und als wahrscheinlich annehmen (erwarten) zu können.
Umgekehrt muss es also auch ziemlich ungünstig sein, wenn man so gewachsen ist, dass der Zukunftsblick nicht weiter als einige Minuten oder vielleicht Stunden oder Tage reicht, weil mehr einfach nicht verlässlich vorhersehbar (bestätigend erwartbar) ist.

Das Risiko für Menschen mit komplexer Traumatisierung durch zum Beispiel Gewalt in der Familie oder Krieg (also einem langen Zeitraum in chaotischen Umständen, die nicht selbst beeinflusst oder verlassen werden können), eine Problematik, wie eine Essstörung, eine Sucht oder eine chronische Suizidalität zu entwickeln, ist 7 Mal so hoch, wie für Menschen die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Aus Gründen, die genau damit zu tun haben, dass bestimmte Erwartungen anzustellen nicht möglich war.

Diese Menschen haben manchmal über Jahrzehnte nicht die Möglichkeit gehabt, ihrem Gehirn das Planen und Erwarten über einen langen Zeitraum hinweg anzutrainieren. Und was Gehirne nicht trainieren, das verlernen sie oder lernen es nie. Solche Gehirne lernen “überleben und kompensieren” statt “überleben und spezialisieren” – ganz ganz ganz grob gesagt.
Ganz grob gesagt, weil natürlich auch traumatisierte Gehirne sich ausspezialisieren.
Nur eben an anderen Schaltstellen, die wiederum eine Ausentwicklung von zum Beispiel Süchten oder ähnlichem zu begünstigen scheinen – aber das Leben in der “Misshandlungsfamilie” oder anderen schwierigen Umfeldern, akut immer wieder gerettet und gesichert haben.

 


 

Ich habe diesen Artikel angefangen, weil ich mich im Moment viel mit meiner Zukunft auseinandersetze und merke, wie fremd sich das anfühlt.
Es erscheint mir nicht verlässlich, dass passiert, was ich mir überlege – es erscheint mir aber überhaupt und das ist der bemerkenswerte Aspekt.
Es erscheint mir möglich auch in einem Jahr noch zu leben. In zwei Jahren noch Wünsche und Ideen zu haben. Es ist mir greifbar, heute, morgen, nächste Woche, in zwei Monaten… noch daran arbeiten können, dass ich in zwei oder drei oder 10 Jahren etwas tun kann.

Es ist eine Annahme, die sich aus einer Erwartung, die ich ohne es zu merken habe, weil das, was sie beinhaltet eine Konstante in meinem jetzigen Leben ist. Ich habe ein relativ unangreifbares Jetzt und Heute und Morgen und nächste Woche.
Erschien mir vor 4-5 Jahren die Abschiedsworte meiner Therapeutin “Wir sehen uns nächste Woche” einigermaßen schräg, weil nicht zuverlässig, verabschiedete ich mich vor ein paar Wochen selbst sehr bewusst mit den Worten: “Tschüss – bis nächste Woche”.

Weil mir diese nächste Woche sehr zuverlässig erschien. Weil ich sehr klar hatte und auch mit einem gewissen aktiven Rückgriff auf meine in den letzten Jahren entwickelte Er_Lebens:qualitäts:gewohnheit fühlen konnte: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ich nächste Woche noch lebe und hier ankomme und etwas sagen kann und etwas arbeiten kann. Sehr viel höher als, dass das nicht der Fall ist.

Das geht über einen bloßen Lernerfolg hinaus. Ein Lernerfolg war, dass ich überhaupt für jede Woche einen Termin vereinbarte. Denn einerseits machen das viele Therapeut_innen so (und ist es ja auch allgemein bei Leuten, die Leute über einen langen Zeitraum behandeln oder betreuen oder sonstwie begleiten wollen, so, dass sie lieber regelmäßige als spontane Treffen machen) – andererseits hatte ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass die Termine nicht konstruktiv oder sonstwie hilfreich sind, wenn ich einfach irgendwie so eventuell vielleicht in einen Termin reinstolpere.

Was da jetzt besteht, ist, denke ich, das Ergebnis von Neuroplastizität.
Ich muss nicht mehr intensiv aus einer fest verankerten, weil x-fach bestätigten, Unsicherheit heraus darüber nachdenken, wie sehr ich darauf vertrauen kann, dass meine Annahme richtig ist, in der nächsten Woche noch am Leben zu sein und den Termin auch wahrnehmen zu können.
Irgendwie denke ich einfach, dass das so ist.
Einfach so. Kurzer Dienstweg. Automatische Annahme. Normalisierte Erwartung, dass das auch so eintreten wird.

Emotional ist sowas natürlich nachwievor “gefährlich” und mein traumatisiertes Gehirn erinnert mich auch immer wieder daran, dass Erwartungen enttäuscht werden können. Es hat einen Grund, weshalb ich der Therapeutin “Tschüss – bis nächste Woche” sagte und einen Grund, weshalb ich mir dessen ganz bewusst bin: Ich bekam ziemlich bald darauf Angst, sie könnte die Behandlung jetzt beenden. Könnte nächste Woche nicht mehr da sein – oder ich könnte nächste Woche nicht mehr da sein. Und überhaupt: nächste Woche – wie konnte ich denken, das sei ein überschaubarer, eingrenzbarer Zeit_Raum?!

Ich spürte, wie sich kompensatorische Dynamiken warmliefen. Wie mein Denken umklappte und mir den Horizont bis auf das akute Hier und Jetzt verdunkelte.
Daneben spürte ich aber auch, wie ich das spürte. Wie ich merkte, dass mein Funktionieren sich von jetzt auf gleich verkürzte, verknappte, wie sich in mir etwas ganz klein zusammenschrumpelte, hart machte, ängstlich anspannte und in dieses schreckliche rein reaktive Sein zu balancieren versuchte.

Ich konnte das als Unterschied wahrnehmen. Als etwas, dass so irgendwie aber eigentlich gar nicht sehr so üblich ist. Merkwürdig überraschenderweise. Irritierenderweise. Das will ich jetzt aber lieber so, wie sonst auch – weise.
Oh G’tt oh G’tt, was passiert mit mir-weise.

Die Oh G’tt oh G’tt, was passiert mit mir-Schleife aber, kenne ich. Die kenne ich schon ziemlich gut. Ich habe mich vielseitig und lange damit auseinandergesetzt, was mit mir los ist und glücklicherweise habe ich dazu einige Antworten gefunden, die mir valide und brauchbar sind.
Ich weiß, dass mir bestimmte Dinge Angst machen.
Ich weiß, dass das Bewusstsein jederzeit sterben zu können bzw. nicht mehr zu sein oder Menschen nicht mehr im Leben zu haben, in mir drin ganz besonders gut ausgebaute Reizautobahnen haben, die ganz gerne mal benutzt werden, um 100% sicher zu gehen, dass ich auch ganz wirklich echt und absolut sicher weiß, dass das passieren kann (oder: “WIRD!!11!1”, wie es das mir ins Hirn schreit) und eventuell vielleicht mein Leben bedroht.

Und ich weiß, dass gerade weil es diese Autobahnen gibt – ich noch etwas warten muss, bis das, was da im Volvo auf der Landstraße noch unterwegs ist, auch bei mir angekommen ist. Ich weiß, dass es die Zukunft gibt und ich kann sie er_warten.

In dem Fall der Angst darum, dass die Therapeutin die Behandlung beenden würde oder nächste Woche nicht mehr da sein könnte, ging es darum auf das Gefühl zu warten, das man hat, wenn man sich auf die Kontinuitäten der Vergangenheit besinnt.
Es hat mich beruhigt zu wissen, dass sie uns immer Bescheid gesagt hat, wenn ein Termin mal ausfallen muss (und das nie etwas mit uns zu tun hat) und wie selten das war. Wie viele Wochen wir uns schon kennen, weil wir uns so viele Wochen schon getroffen haben.
Es hat aber auch beruhigt zu erinnern, wie oft wir das schon überstanden haben, wenn Therapeut_innen nicht mehr da waren. Wegen uns oder wegen was auch immer.
Und es hat beruhigt zu wissen, dass ich schon sehr oft hätte sterben können, es aber nicht tat. Wie oft ich überhaupt am Tag denke: “Jetzt sterbe ich” oder “Jetzt könnte ich sterben” – aber dann doch nichts passiert.

Meine kleinen Volvofahrgedanken helfen mir die Autobahnfahrgedanken in ein Verhältnis zu setzen. Sie helfen mir zu planen und Zukunft als feste Größe einzubeziehen. Selbst dann, wenn sie mir gerade sehr unsicher, unkonkret, undenkbar oder auch unvorstellbar erscheint.
Aber ich muss sie abwarten. Ich muss dafür sorgen, dass sie überhaupt losfahren und ankommen können.
Wie das gut klappt, habe ich auch schon gelernt.

Ich brauche einen guten Warteraum.
Was ich in solchen Momenten nicht ertragen (und generell nicht gebrauchen) kann ist eine Umgebung, die mich und meine Autobahngedanken bestätigt oder verstärkt. Sei es durch Unzuverlässigkeit oder Unübersichtlichkeit oder fehlende Möglichkeiten mich in Bezug auf irgendwas selbst_wirksam zu erleben.

So nutzt es mir nichts von 10 Leuten in meinem Leben zu hören, dass ich mich jederzeit melden kann, wenn ich etwas brauche – doch niemanden davon auch wirklich akut erreichen kann.
Es hilft auch weniger “mich abzulenken” als mich “perspektivisch umzulenken”. Kein Wortspiel – ganz richtiger Ernst.
Ich fange heute in solchen Momenten kein Projekt mehr an, das mich absorbiert und 5 Wochen später (schön am Krisenpunkt vorbei) wieder ausspuckt – ich beginne etwas, das mir hilft eine Sicht auf mein Jetzt und mein Nachher zu stärken. Zum Beispiel hilft es mir, mich damit zu befassen, wie ich es gerne hätte – erlaubt auch als völlig zusammengesponnene Utopie.

Gerade in Bezug auf “Ich könnte sterben oder die Therapeutin bricht den Kontakt ab” hilft mir eine Utopie um Volvofahrgedanken anzustoßen.
Denn die Idee für immer und ewig niemals getrennt von der Therapie bzw. der Therapeutin zu sein, kommt mir lächerlich vor – obwohl sich in dem Fall die Angst der Kontakt könnte unerwartet enden, dann erledigt hätte.
Genauso wie mir der Gedanke missfällt, ich könnte sie und die therapeutische Arbeit mein Leben lang brauchen.

Wichtig ist mir da, das Ganze nicht in eine Imaginationsgeschichte zu drehen.
Imaginationen sind mir etwas total Intimes – etwas, was ich nicht gut mitteilen kann – eine Angst vor Beziehungsabbruch oder Todesangst hingegen will ich mitteilen können. Sie zum Anlass oder Teil einer Imagination zu machen, bedeutet für mich, dass ich niemals mit der Therapeutin darüber reden kann, als sei das real da. Vielleicht bin ich da komisch – aber es gehört zu unseren Therapiebedingungen, dass wir nur über Dinge sprechen, die uns real da und echt und wahrhaftig sind.

Andere Aspekte eines “guten Warteraums” ist die Zeit als greifbar erlebbares Ding, das beobachtbar ist und die Relationen der Dinge, die uns sicher erscheinen. Straßenbahnen sind dafür gute Werkzeuge. Es gibt sie – in einer gewissen Variation – und sie fahren – ebenfalls mit einer gewissen Variation der Zuverlässigkeit. Man kann Straßenbahnen gut zugucken und merken, dass alles irgendwie geht. Manchmal auch: vorbei geht.
Sowas beruhigt mich. Und wenn ich beruhigt bin, bummeln die Volvofahrgedanken langsam in mein Denken.

Früher habe ich nicht auf diese Gedanken gewartet. Ich musste lange daran arbeiten sie zu erkennen und gleichermaßen ernstzunehmen wie die Gedanken, die mir schrill den Alarm gemacht haben.
Doch heute – nach vielen Erfahrungen von Momenten, in denen ich sie bemerkte – erwarte ich sie.

Und in ihrer Ankunft – darin wurde ich noch nie enttäuscht.

 

*Text als PDF zur freien Weitergabe

Leben triggert

Am Ende einer langen Reihe aneinander klickender Steinchen, berührt eines von ihnen mein Bewusstsein.
Unvermittelt. Einfach so. Wie A auf B folgt, Einatmen auf Ausatmen.
Dann bin ich da und es ist, als wäre das nie anders gewesen.
Und doch braucht es nur einen Gedanken, eine Frage, einen Moment, in dem ich hinter mich schaue, und weiß, dass ich vorübergehend bin.

Selbst ein Dominosteinchen. Auf dem Weg ein nächstes anzustoßen, wie ein Tick ein Tack anstößt.

Leben triggert. Sich selbst. Permanent.
Leben ist Dominosteinchenketten, die stehen und kippen und klicken und standen und kippten und klickten.

Als ich in meinem Bett liege und weiß, dass ich bin, starre ich an die Decke über mir und stelle mir das Rasen unter meiner Haut wie einen Schauer kleiner Dominoketten vor. Domino Night nach Domino Day, denke ich und lasse die Bildersequenzen durch meine Wahrnehmung klicken, wie eine unnötige Zeitlupenaufnahme von etwas, das niemanden mehr interessiert.

NakNak* rollt sich in das C, das mein Körper gerade ist und atmet tief durch. Ich tue es ihr nach.
Wie A auf B folgt.
Es ist vorbei. Ich bin gekippt. Es hat geklickt. Ich bin da und weiß: Es ist wahr.

Einsamer und irdener kann es nicht werden, denke ich. Dieser Moment, in dem es eine Wahrheit ist, die nicht das Ergebnis eines Ausschlussverfahrens ist.
Valide genug zum Weitermachen, doch zu fremd, um als Teil von sich erlebt zu werden.

Neben mir versickert ein gequetschter Schrei. Eine Abwehrbewegung verwest in meinen Muskeln.
Um mich herum sirrt die Nacht, die einem Tag folgte.
Der ein Tag folgen wird.
Leben triggert.

Hilfe ablehnen

Einer meiner Texte wurde in unter einem Text verlinkt, in dem es darum ging, dass “die Traumatisierten” “die Hilfe” “so ungern annehmen können”.
Über die Verlinkung habe ich mich gefreut. Dafür sind die Texte ja hier und haben unten die Sharebuttons.

Zum Thema “Hilfe gar nicht so gern annehmen können”, will ich aber noch einmal etwas schreiben.
Weil das ein Teil meiner Gewalterfahrungsgeschichte ist und damit etwas, was mich jeden Tag mal mehr mal weniger berührt.
Und weil mich der Text, je öfter ich ihn gelesen habe, um mich auf übertriebene Reaktion zu prüfen, geärgert und letztlich fast erschreckt hat.

Deshalb ein Disclaimer.
Üblicherweise nehmen wir hier keine Texte anderer Menschen auseinander. Ich tue das jetzt, um meine Punkte aufzudröseln. Nicht um die Person oder ihre Arbeit oder ihre Intensionen abzuwerten. Wichtig. Nicht vergessen.

Erst dachte ich: “Hannah, das ist dein Sprachknall. Ganz sicher wird dort keine Aussage darüber getroffen, was Menschen, die mit PTBS umgehen müssen, gerne können (wollen) oder nicht.”.
Dann dachte ich: “Aber es wäre nicht das erste Mal, dass jemand, di_er sich als Helfer_in einordnet, zufällig aus Versehen genau sagt/aufschreibt, was si_er denkt. Nämlich, dass es bei Helfer-Hilfe-Dingern eigentlich nur darum geht, was “die Betroffenen” können. Und können wollen müssten.”.

Dann dachte ich, dass ich weiterlesen sollte. Kontext ist wichtig. Und ich mache mir an der Stelle den Kontext sehr klein. Schließlich lese ich nur diesen Text und beobachte einzig, was darauf in mir vorgeht. Vielleicht sind Menschen, die sich mit Trauma im Kontext von Würde auseinandersetzen, auch Menschen, die wir für das Nachwachshaus und andere Dinge später einmal ansprechen wollen.

Der Text ist nicht lang.
Seine Struktur verstehe ich so:
Erstens: Viele lehnen Hilfe ab, verstehen aber gar nicht mehr warum, wenn sie ihnen geholfen hat
Zweitens: Das liegt an ihrer (sexistischen) Erziehung
Drittens: Das liegt aber auch an der fehlenden Unterstützung nach der traumatischen Erfahrung
Viertens: Man muss diesen Menschen erklären, warum sie Hilfe ablehnen, dann können sie sich dafür öffnen

Grundsätzlich sind die Punkte nicht falsch. Es ist wichtig sich die Schlagworte “Ausnahmezustand PTBS”, “Sozialisation”, “strukturelle Mängel” und “kompetente Ansprechpartner_innen” im Gedächtnis zu behalten, wenn man sich damit auseinandersetzt, was Menschen von Hilfen jeder Art trennt. Nicht nur der Hilfe nach einer Traumatisierung. *

Denn – Newsflash – traumatisierte Menschen brauchen oft nicht nur Hilfe, die direkt mit ihrer Erfahrung oder der Verarbeitung dessen zu tun haben.
Es gibt traumatisierte Menschen, die brauchen Hilfe beim Streichen ihres Gartenzauns. Beim Kochen. Beim Einparken. Beim Arbeiten mit Microsoft Office.

Es ist kein Alleinstellungsmerkmal traumatisiert zu sein, wenn es darum geht eventuell angebotene Hilfen abzulehnen oder (was viel häufiger der Fall ist!) gar nicht erst zu suchen. Oder zu wollen. Oder entsprechend der (oft gar nicht so bewussten) Überzeugung zu leben, (“in Wahrheit”) keine zu brauchen. Oder keine verdient zu haben. Oder selbst vor den vielen anderen Menschen, die welche brauchen und wollen und auch “gut nutzen können”, zurückstehen zu müssen/sollen. Oder davon überzeugt zu sein, erst einmal für andere Betroffene hilfreich sein zu müssen, bevor man für sich hilfreich sein kann/darf oder Hilfe wollen darf. Und überhaupt: brauchen darf.

Im Falle monotraumatisierter Menschen kann die Erziehung und alles darum herum, eine alleinige Rolle dabei spielen, weshalb Hilfe abgelehnt wird. Ja.
Wer sein Leben lang gelernt hat, dass nur “Bekloppte” zur Therapie gehen und “Bekloppte” immer Leute sind, mit denen niemand was zu tun haben will, di_er will nicht selbst auch “bekloppt” werden, indem si_er sich für eine Therapie entscheidet.
So simpel ist das.

Doch ganz ehrlich denke ich: Wer so aufgewachsen ist, hat auch Skills gelernt, wie man Dinge tut, die “bekloppte Leute” tun, ohne, dass sie von Leuten bemerkt werden, die “bekloppte Leute” nicht in ihrem Leben haben wollen. Man muss sie nur daran erinnern und ihnen so den Zugang zu ihrer Eigenverantwortlichkeit und Selbstermächtigung zeigen. Der Rest liegt bei ihnen.

Pauschal lässt sich deshalb natürlich nicht sagen, dass das noch das kleinste Problem ist, was Menschen von Hilfen trennt – aber doch kann ich sagen, dass Außenstehende in meinem Hilfeablehnungsding keinen Platz auf meiner Liste der Gründe dafür haben.

Ich bin nicht monotraumatisiert.
Ich bin bin mit dem Wissen aufgewachsen anders zu sein. Bekloppt zu sein. Wertlos zu sein, es sei denn, ich lasse mich, wie auch immer verletzen. Außenstehende Menschen waren für mich noch nie etwas, wo es mich einfach so hingezogen hat. Entweder sollte ich zu ihnen (ohne eine Wahl zu haben) oder ich wollte etwas (wovon mein Überleben abhing), wozu ich sie ge.brauchte.

Traumatisiert zu werden, war mein Alltag. Es war die Norm und keine Ausnahme.
Meine Ausnahmesituation war die Normalität “danach”. Ich brauchte erstmal keine Hilfe, um damit zurecht zu kommen, dass mir passiert war, was passiert ist.
Ich brauchte und brauche bis heute immer wieder eher Hilfe bei Dingen, die ich nicht einmal benennen kann, weil ich nicht weiß, wie sie überhaupt funktionieren. Wie man sie macht und wozu eigentlich.

Man kann es sich natürlich vorstellen, wie einen bloßen positiv-negativ-Verkehrungsdreh.
So einfach ist es aber nicht. Denn auch auf mich haben Erziehungen außerhalb der Familie eingewirkt. Auch ich habe gelernt, dass niemand bekloppte Leute mag. In mir haben sie jedoch keine “in der Familie (im Privaten)” – “außerhalb der Familie (im Öffentlichen)”- Spaltungen aufgemacht, sondern viel mehr einen Grundbaustein für mein gesamtes Weltbild gelegt, weil sie deckungsgleich wirkten.
“Niemand mag bekloppte Leute (wie mich) – überall.”

In dem Text wird auch die Abwertung von Schwäche als Grund für das Ablehnen von Hilfe genannt.
Nicht das Erkennen von Schwäche durch das Angebot von Hilfe selbst.
Das passiert zum Beispiel so:
“Probieren doch mal Sie dieses Shampoo – sie müssen sich aber auch nicht widerlich fühlen, wenn sie das nicht benutzen.”.
Man bekommt überhaupt erst die Idee, sich widerlich fühlen zu können, wenn (weil) man das Produkt nicht kauft.

Ähnlich ging es mir bei meiner ersten Einweisung in eine Klinik. In keiner Sekunde vorher war mir bewusst, dass ich auch hätte nein sagen können. Bis zu dem Moment, in dem mir gesagt wurde, das wäre ja ganz toll, dass ich das mitmache, denn so muss ja niemand mehr unter mir (und dem Ausdruck meiner Not) leiden.
Eine Sicht auf mich, die mich tief traf und sehr lange auch davon abgehalten hatte, in Frage zu stellen, ob das überhaupt stimmte. Oder, ob es wirklich so schlimm ist, wenn die Menschen, die mich jahrelang ausgebeutet und verletzt haben, nun darunter litten, dass es mir schlecht damit ging, dass das passiert war, oder vielleicht doch auch eine Art Arschtritt ihres Karma war.

Persönlich habe ich manchmal den Eindruck, Menschen, die anderen Menschen von Berufswegen her helfen, verlieren manchmal aus dem Blick, wie profan das ist, was sie tun. Oder besser gesagt: wie profan sein sollte, was sie da tun, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Es sollte nichts Besonderes sein, Hilfe in Problemlagen zu geben oder zu erhalten.
Durch die Professionalisierung der Helfer_innen und Spezialisierung der Hilfen selbst, ist aber genau das passiert.

Du bist traurig? – Ist bestimmt ne Depression – geh mal zum Psychiater – der kennt sich besser aus als ich. Ich bin ja nur dein_e Freund_in/Lehrer_in/Arbeitskolleg_in …
Du wurdest traumatisiert? – Ouh da gibts bestimmt ne PTBS – geh mal zu einer Psychologin – die kennt sich besser aus als ich. Ich bin ja nur …

Ich erwähnte oben schon eine gewisse Gleichschaltung von Menschen in meinem Weltbild.
Das macht solche Aussagen von “Geh mal weg – ich bin nur…” für mich völlig widersinnig. Auch früher schon.

Mit 15 saß ich neben meinem Rucksack voller Zeug als weggelaufenes Mädchen vor der Schulsozialarbeiterin und teilte mit ihr, was ich heute als “Trauma-Burn-out” bezeichnen würde. Massive Erschöpfung nach Schlafmangel, permanenter Angst-Anspannung und die schlimme Not daran, genau darunter zu leiden. Sie gab mir die Visitenkarte einer Psychologin und schickte mich weg. Sie hätte keine Ahnung und könnte mir nicht helfen.
Mein Problem war aber, dass ich nicht schlafen konnte und keine Ruhe fand.
Logisch, wenn man Anfang Mai auf der Straße unterwegs ist. Weggelaufen von zu Hause. Ohne Geld. Ohne Schutz. Ohne Idee, was wie wo wann zu tun sein könnte.

Sie hätte mir helfen können. Sowohl als Sozialarbeiterin als auch als Mensch. Es hätte ihr klar sein können, dass manche meiner Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind. An dem Nachmittag, an dem ich bei ihr im Zimmer war, wäre es schon viel für mich gewesen zu hören, dass es okay und logisch ist, sich hungrig, müde und voller Angst zu fühlen.

Bis heute ist es mir die größte Hilfe, wenn ich jemanden habe, di_er mir sagt, dass, was ich fühle und wahrnehme einfach ist, was ich fühle und wahrnehme und dass das völlig okay ist.
So ein Satz ist so wenig. Aber er macht so viel.
Und der kann von jedem Menschen kommen. In egal welcher Situation und auch egal mit welcher Profession im Hintergrund.

Ich wurde über Jahre von A nach B geschickt um “das Beste” von “den Profis” zu hören.
Gelernt habe ich dabei vor allem eins: wo ich war – mit wem ich war – war ich nicht okay und musste weg.
Was ich brauchte und selbst wollte, geriet in der Zeit immer mehr in Vergessenheit. Und wenn ich heute in meine Aufzeichnungen von damals schaue, dann denke ich, dass dieses Teenagermädchen von damals eigentlich nie hatte klarer und logischer hätte sagen können, dass es keine Profis und ihre Hilfen braucht, sondern Unterstützung beim Kennen_lernen der Normalität, in der es nicht ständig miss.be.handelt wurde.

Das macht mein Helferhilfeablehnungsding heute aus.
Dass ich Unterstützung brauche und will, aber Hilfe und manchmal auch Rettung angeboten/aufgedrängt(/aufgezwungen) bekomme (bekam). Ohne, dass ich selbst verstehe, was genau die Hilfe sein soll oder woraus man mich retten will.
Es ist ein Missverständnis.
Eines, das mehr als ein Mal tiefgreifende und schreckliche Folgen für mich hatte und bis heute immer wieder haben kann.

Hier beginnt ein Aspekt, den ich wichtig finde.
Der Aspekt, wie Menschen mit meinen Erfahrungen gesehen werden.

Viele Menschen machen mich aufgrund meiner Erfahrungen zu einem Opfer. Und behalten mich als Opfer in ihren Überlegungen darum, was mir helfen könnte und was sie für mich tun könnten. Der Opferbegriff aber, meint einen Menschen in einer akuten Situation globaler Ohnmacht und Ausgeliefertseins. Also einer Person, die selbst nichts tun kann, außer zu sein, was sie gerade ist: ein Opfer.

Meine Gewalterfahrungssituation ist aber vorbei.
Der Umstand mich heute mit Problemen an Menschen zu wenden, hat nichts damit zu tun, dass ich noch immer nichts tun kann und dringend Hilfe oder Rettung brauche. Schließlich gehe ich ja aktiv in Kontakt mit Menschen. Ein Opfer kann das nicht tun. Ein Opfer erlebt immer einen Moment des absoluten Nichtstunkönnens (bzw. der absoluten Überzeugung nichts tun zu können).
In dem Moment, in dem ich auf Menschen zugehe und ein Problem mit.teile, tue ich aber etwas. Ich bin aktiv und will es bleiben. Manchmal weil, manchmal obwohl ich ein Mensch bin, der einmal zum Opfer wurde.

Das ist aber nicht die übliche Idee von Patient_innen, Klient_innen, Opfern, Hilfebedürftigen.
Die Regel ist, dass davon ausgegangen wird: “Wer vor mir (Profi) landet, der muss und will (eigentlich und in Wahrheit) behandelt werden” – es soll also etwas mit ihm_ihr gemacht werden. Als Objekt einer Tätigkeit. Als Gegenstand einer Behandlung. Als Fall, der jemandem passiert.
Nicht als Subjekt, das aktiver Teil des Moments ist. Als Kosmos, der in eigenen Dynamiken passiert und auf den des Gegenübers reagiert.

In dem Text, den ich zu Beginn anspreche, heißt es, dass Menschen lernen müssen, dass es eine Stärke sei, Hilfe anzunehmen.
Tatsächlich empfinde ich es als Stärke angebotene Hilfen (so weit wie es sinnvoll erscheint) abzulehnen und stattdessen die Unterstützungen, die man für sich als möglicherweise hilfreich einordnet, anzusprechen, um zu schauen, ob diese eventuell leistbar sind.
Die Stärke ist, meiner Ansicht nach also, das einzubringen, was man sich selbst für sich wünscht oder gut vorstellt.

Für mich gibt es wenig, das so intim und nah ist, wie das, was man sich vorstellt.
Was man sich als gut und schön vorstellt. Was wichtig für ganz allein sich selbst ist.
Mir kommt es der Schilderung von sexuellen Phantasien gleich, jemandem mitzu.teilen, was man sich für eine hilfreiche (therapeutische) Zusammenarbeit vorstellt. Es ist nah, es ist empfindlich, es ist leicht alles oder etwas davon zu verurteilen oder lächerlich zu machen.
Deshalb erfordert es Stärke.

Mehr Stärke als vor einem ausgebreiteten Hilfebuffet zu stehen und zu wählen, was man probieren will.
Was nicht heißt, dass es keine Stärke erfordert zu wählen und sich die Wahl zu trauen und so weiter. Aber es ist kein großes Ding vor dem Buffet einer fremden Person zu stehen und zu sagen: “Meeh – alles nix für mich”. Denn man selbst hat nichts mit diesem Buffet zu tun – nur mit der Ablehnung dessen.

Wenn man allerdings wochen-, monate –, vielleicht sogar jahrelang überlegt hat, was man möchte oder vielleicht braucht und das als Büfett vor jemandem ausbreitet, dem man zutraut, das irgendwas davon vielleicht geht … Ein “Meeh – alles nix für mich” ist da eine ganz andere Nummer.

Das hat uns die letzte Klinikerfahrung zerstört.
Denn wenn ein Profi dir sagt, deine Vorstellungen von dem, was dir eventuell hilft, sind nicht adäquat oder passend oder angemessen, dann stehst du auf eine Art gedemütigt und verunsichert in der Landschaft, die nicht damit lösbar ist, dir zu denken: “Ja ach – was die sagen – haben ja wohl selbst ein Problem…”.

Wir standen danach in der Gegend und dachten: Siehste. Einen Scheiß wollen sie proaktive Patient_innen. Einen Scheiß geben sie auf Selbstbestimmung. Einen Scheiß sehen sie Patient_innen als eigenständige Subjekte. Einen Scheiß achten sie darauf nicht selbst übergriffig und gewaltvoll zu sein. Einen Scheiß wissen sie davon, was ihre eigene (frühere) Therapie bewirkt, wenn sie geholfen hat.

In dem Text fehlt das Schlagwort “hilflose Helfer_innen”.
Oder “die Helfer_innen selbst”.

Gerade das Phänomen um Therapeut_innen, die Therapiefortschritte oder sagen wir “andere Stadien als die akute Krise” weder sehen noch als valide anerkennen können, fehlt mir so oft in der Auseinandersetzung um die Frage, warum Hilfe und Unterstützung für viele komplex traumatisierte Menschen (mit komplexen dissoziativen Störungen) problematisch sind.

Gerade in der Blase um Therapeut_innen, die mit Menschen mit DIS oder DDNOS arbeiten, fehlt mir das.
Denn – noch ein Newsflash – eine DIS ist kein Akutzustand. Es ist das Ergebnis einer Langzeittraumatisierung. Ein Anpassungergebnis. Eine Selbst- bzw. Persönlichkeitsstruktur, die sich in Anpassung an extreme Gewalt in einem Menschenleben mit noch vielen anderen Dingen drumherum entwickelt hat.

Wir haben lange von Intervalltherapie profitiert, weil wir lange in dauerakuten und kriseligen Lebensumständen lebten. Die Therapie haben wir viel zu selten als Chance bestimmte Erfahrungen zu verarbeiten oder spezifische innere Gegebenheiten zu begreifen nutzen können. Vielmehr war die Klinik für uns der Ort an dem unsere innere Zerschossenheit und diffuses Sein in weniger selbstzerstörerische Bahnen gelenkt wurde.
Was gut war. Immerhin hat es uns das Leben gerettet und den Weg dahin geebnet zu spüren, auszuhalten und anzuerkennen, dass was wir als wichtig erachten, auch wirklich wichtig für uns ist.

Scheiße nur, dass genau das dann später jedes weitere Profitieren von ebenjenem Klinikangebot verunmöglicht.
Denn offenbar kann man dort (und an auch auf anderen Stationen, auf denen DIS behandelt wird) nur das: Menschen retten, die akut dissoziativ zerschossen sind.
Alle anderen – und das werden gefühlt immer mehr, denn langsam häufen sich Schilderungen ganz ähnlicher Situationen – werden abgelehnt, weggeschickt, ähnlich gedemütigt, verunsichert, unter Umständen auch retraumatisiert und damit auf eine gewisse Art wieder zu den Wunschpatient_innen gemacht, mit denen man dort am liebsten arbeitet.

Sorry – aber sowas ist doch scheiße und verlogen hoch zehn.

Entweder man möchte komplex traumatisierten Menschen helfen und/oder sie unterstützen, bis sie das nicht mehr brauchen (man arbeitet also auf die eigene Abschaffung als Helfer-, und/oder Unterstützer_in hin) oder man tut es nicht.
Zu sagen, dass man das will, dann aber nur Menschen mit spezifischem Profil gut zur Seite zu stehen und die anderen zurück in ebenjene Rolle/Konstitution zu drängen, ist meiner Ansicht nach erbärmlich. Mal abgesehen davon, dass ich mich frage, ob das überhaupt mit medizinischer Ethik und Berufsehre vereinbar ist.

Die Folgen für solche “Restpatient_innen” sind nämlich genau solche, die sie erneut in Gefahr bringen, erneut akute Probleme zu bekommen.
Ich erinnere an der Stelle mal an den Arzt in der Anfallsambulanz, der mir unterstellte, ich würde ja gar keine Hilfe wollen, weil ich genau den Klinikaufenthalt nicht bis zum Schluss absolviert hatte.
Batsch, kann ich da nur sagen. Genau so hat es sich nämlich angehört. Volle Klatsche.
Ich, die böse Patient_in, wollte ja gar nicht, dass man mir hilft.
Ich, die sich ja gar nicht angestrengt hatte. Was dieser Superspezi natürlich alles nur daraus ableiten konnte.
Weil er so wahnsinnig viele Kerzen auf der Torte hat.

In meinem Weltbild entsteht durch solche Geschichten folgendes:
Zu der Überzeugung: “Niemand mag bekloppte Leute (wie mich) – überall!” kommt “Niemand hilft (unterstützt) so bekloppten Leuten (wie mir) – überall!”.
Und zwar nicht, weil mir nie jemand geholfen hat – sondern, weil an diese Hilfe Bedingungen geknüpft wurden, die ich selbst nicht erfüllen konnte, ohne mir selbst zu schaden oder Schaden zufügen zu lassen.
Genauso wie es um das Gemochtwerden immer wieder Bedingungen gab, die ich nicht erfüllen konnte, ohne mir zu schaden oder Schaden zufügen zu lassen.

Es geht bei der Nichtannahme von Hilfen und das, was dafür gehalten wird, als auch um Selbsterhaltung.
Sicher – meine Sensoren dafür was mich bedroht oder bedrohen könnte, sind aufgrund meiner Erfahrungen nicht immer und in jedem Fall die einzigen Quellen, auf die ich mich zur Einschätzung von Situationen verlassen sollte. Aber es hat immer einen Grund, weshalb sie mir etwas zurückmelden und das ernst zu nehmen ist ein wichtiger Schritt für meine Therapie gewesen.

Nicht mehr darauf zu achten oder sie gänzlich zu ignorieren, nur um mich den höchstprofessionellen Helfer_innenworten und -taten hinzugeben, wäre strunzendumm falsch und entgegen aller Erfahrungen, die mir verlässlicher und bedingungsloser das Leben gerettet haben, als es ein außenstehender Mensch je könnte.
Und konnte.

Auch das: wichtig.
Mein gewaltvolles Kinder-, Jugendlichen-, junge Erwachsenenleben hatte nicht nur Schmach und Not und Finsternis für mich. Ich hatte meine Momente von Triumph, Kraft, Selbstermächtigung, Selbstwirksamkeit. Sie haben nur nicht den gleichen Anteil in der Masse und auch nicht die gleiche Chance auf Einprägung, wie jene Erfahrungen, die mein Leben bedroht haben.

Das ist so unheimlich wichtig von Anfang an in einem Helfer_innenkontakt.
Dass jede Option der Selbsterfahrung in einem Leben ganz selbstverständlich mit angenommen wird. Auch dann, wenn es den Klient_innen vielleicht erstmal nur darum geht, dass ihnen ihre Not an schlimmen Selbst_Erfahrungen anerkannt wird. Dass ihnen geglaubt wird. Damit sie das selbst anerkennen und glauben können.

Ich für mich bin es so leid, mich immer wieder mit aller Macht aus diesem “Sie wurde Opfer von …”-Blick rausschälen zu müssen. Denn das erstickt meinen Bezug zu den guten und starken Momenten in meinem Leben. Das erstickt mein Sein um das herum, was von der Diagnose benannt wird.
Das zwingt mir Hilfe auf. Denn wie gesagt: Opfer brauchen Hilfe. Opfer brauchen, dass Dinge mit/für/statt ihnen gemacht werden, denn sie selbst können nichts tun, außer zu sein.

Natürlich spielt in meine Ablehnung der Opferrolle auch internalisierte Abwertung von Schwäche hinein. Natürlich. Ich weiß wie sehr Schwäche weh tut – selbstverständlich will ich nicht schwach sein.
Ich lehne es aber auch ab, weil ich mich gleich und miteinander mit Menschen fühlen will.
Ich will aktiv sein und ich will, dass man mir aktiv begegnet. Denn nur so kann man Dinge tun. Miteinander.
Und das gilt in Bezug auf alles.
Das gilt beim Zäune streichen, beim Kochen, beim Dokumente zerschießen in Microsoft Word – und in der therapeutischen Begegnung, in der meine Erfahrungen und ihre Auswirkungen auf mich eine Rolle spielen.

Nein – niemand muss von jemandem “gelernt kriegen”, wie die Welt “eigentlich” ist. Was “eigentlich” hilft.
Niemand. Niemals.
Was alle Menschen brauchen ist ein Raum voller Respekt und Anerkennung dafür, dass es sie gibt. Dass sie Erfahrungen gemacht haben, die sie geformt haben. Die auf sie wirken. Alle Menschen brauchen jemanden, di_er sie anhört und auf dem Stück der Entwicklung begleitet, die sie jeweils gerade durchmachen.

Alle Menschen lernen von ganz allein, was ihnen hilft. Nämlich dann, wenn ihnen etwas hilft. Nicht, weil ihnen jemand sagt, was wann wie geholfen hat oder helfen wird. Eigentlich. In Wahrheit. Wenn sie nur glauben wollen. Wenn sie nur vertrauen (wollen/können/möchten).

Das ist der nächste Punkt.
Ich habe keinen Anlass jemandem zu vertrauen, di_er mir nicht vertraut schon zu wissen, was ich wann wie wo warum und wozu möchte oder brauche oder glaube.

Für mich selbst steht bis heute im Vordergrund, mir selbst gut und immer besser vertrauen zu wollen. Mir selbst und meiner Wahrnehmung glauben zu können, weil ich sicher trennen kann zwischen (spontaner/unbewusster) Erinnerung und aktuellem Ist.
Wer mir aufgrund dessen, dass das bei mir ein bisschen anders funktioniert, als bei anderen Menschen, nicht zutrauen kann, selbst gute und in dem Moment für mich richtige Entscheidung treffen zu können, ist niemand di_er mir Respekt und Anerkennung für mein Sein entgegen bringt.
Das klingt vielleicht flach und unterkomplex – nicht gut durchdacht, nicht differenziert und ach so einfach kann das doch nicht sein.
Aber doch. So einfach kann das sein.

Ich brauche niemanden, di_er mir die Welt erklärt und in dessen_deren starke professionelle Hände ich mich fallen lassen kann.
Ich hab selbst auch einen Blick auf die Welt. Ich hab selbst auch starke professionelle Hände.
Es ist okay alles abzulehnen, das genau das negiert, bezweifelt, aberkennt, verdreht oder so tut, als wäre daran etwas falsch.

Selbst dann, wenn alle Welt, das “Hilfe” nennt.

 

* in dem Text nicht erwähnte Gründe angebotene Hilfen abzulehnen:
– Armut
Auf dem Land gibt es wenige/keine Anlaufstellen für Menschen nach traumatischen Erfahrungen. Zusätzlich zu möglicherweise aufkommenden Therapiekosten und Medikamenten, die (zu)zu zahlen sind, kommen dann noch erhebliche Fahrtkosten und unter Umständen auch Verdienstausfälle

– Zugehörigkeit einer anderen Gesellschaftsschicht als die helfende Person
Wirklich. Es ist ein Problem, dass es überwiegend weiße, akademisch gebildete Personen der mittleren bis oberen Schichten sind, die Menschen als “professionelle Helfer_innen” begegnen.

– Zugehörigkeit zu einer minorisierten Personengruppe
Es ist ein Problem als minorisierte Person überhaupt in irgendeiner Form adäquat behandelt zu werden, da jedes Behandlungsverfahren auf die Mehrheit hin ausgerichtet entwickelt und erprobt wurde.

–  Leben mit Behinderung
Fließt in den letzten Posten mit ein, nehme ich hier jedoch einzeln nochmal auf.
Behindertenfeindlichkeit ist in medizinischer und psychiatrischer Struktur fest verankert – viele traumatisierte Menschen mit Behinderung bekommen keine Hilfen finanziert und haben nicht die Ressourcen dafür zu kämpfen.

– zu lange zu hart für eine bedarfsgerechte Therapie gekämpft
Wir engagieren uns in der Initiative Phönix, weil wir immer wieder erleben müssen, wie Menschen mit kleinen Hilfetropfen auf den heißen Stein vertröstet werden, statt einmal in aller Ruhe die Therapie, die ihnen hilft. Manche geben irgendwann auf.

– innere und äußere Verbote mit Helfer_innen in Konakt zu treten
und real zu erwartende Konsequenzen bei Zuwiderhandlung

– Erfahrungen mit Psychiatriegewalt und Zwangsbehandlungen
und der Erfahrung, dass diese Gewalterfahrungen von Helfer_innen nicht als solche anerkannt werden

körperlich

Die Luft schmeckt nach einem Gewitter, als ich das Rad abschließe und ein letztes Mal tief einatme.
Ein erstes Mal Fitnessstudio und gucken was geht.

Erstmal gehts rein. Das ist ein erster Schritt und der ist wichtig. Fühlt sich schon sehr sportlich an. Und nach dem Stück Schokolade, das in unseren Gewohnheiten ein enges Verhältnis zu Sportlichkeit hat. Sport und Schokolade sind ein Paar. Auf ewig miteinander verbunden. Unter unserer Haut.
Das kann ich verstehen. Bestimmt ist es da kuschlig.

Jetzt schreibe ich hier quatschig und hab doch einen Rumms-Grund dafür überhaupt etwas aufzuschreiben.
Aber so ist das. Man kann den ganzen Tag rumgeikeln. Witze machen und sich Quatschgeschichten ausdenken. Alltag leben und Facetten erkunden. Und es passiert nichts. Man ist da und es ist wie es ist.
Und dann steht man da in den coolen Sportsachen, ist voller Elan zu tun, was man in Fitnessstudios so tut und dann fragt der Trainer: “Hast du irgendwas Körperliches? Irgendwelche alten Bänderrisse, schwierige Knochenbrüche, Metallstifte im Knochen … sowas irgendwie?”.

Und es ist ein Rumms. Eine dieser Watschen, die so unvermittelt kommen, dass die Wirkung erst Stunden später richtig ankommt.
Nämlich, als ich verschwitzt und schwindelig aus dem Studio laufe und beginne mich nach Innen zu reorientieren, weil der Zustand ein Erinnern antriggert.
Danach fahre ich durch die schwüle feuchte Luft und denke: “Ich hätte auch sagen können, dass ich ein Bänderdings erinnere, mit dem ich aus einer Vergewaltigung zurückgeblieben bin.”. Und dann mache ich einen Witz. Hätte hätte Fahrradkette. höhöhö

Was weiß ich, was wir alles hatten. Gar nichts weiß ich davon. War nie mit irgendwas nach irgendwas bei einem Arzt oder hab mich groß darum gekümmert, wie was heilt oder nicht heilt. Ich habe das einfach immer alles vergessen.
“Vergessen” – ja ja. Ich weiß, es ist eigentlich mehr verdrängt oder auch verdisst. Was weiß ich.
Es ist ja nicht so, dass es Menschen, die zu Opfern wurden, so irre schwer gemacht wird, gar nie an irgendetwas anderes zu denken, als das, was ihnen passiert ist. Oder womit sie aus der Erfahrung hervorgingen.
Es ist ja nicht so, dass Opferschaftserfahrungen per default angenommen und also ganz üblich in Alltagsgespräche einfließen.

Es ist ja nicht so, dass die Folgen von Gewalt und vielleicht auch gerade sexualisierter Gewalt als auch körperliche Langzeitfolgen allgemein besprochen werden. Jedenfalls ist das in der therapeutischen Literatur, die wir dazu bisher gelesen haben, eher nicht so der Fall.
Klar, wird da das eine oder andere Späterdrunterleiden auch als körperlich betrachtet. Aber ich spreche nicht von Essstörungen, Selbstverletzung oder Sportsucht. Ich spreche von Dammrissen, Analfissuren, Bänderrissen, Steißbeinbrüchen, ausgerenkten Hüften und so weiter und so weiter, die vielleicht gar nicht mal so funktional unbeeinträchtigend heilen.

Und trotzdem funktioniert es sich einfach so weiter. Man schüttelt sich aus der geschundenen Haut in eine zweite hinein. Streift sie sich über und hofft, dass sich die Falten schnell glätten.
Man sieht es uns nicht an. Die Folgen der Gewalt in unserem Leben, sind wie die waberweiche Flatterfisselei, die mit dem Begriff “Psyche” bezeichnet wird: auf den ersten Blick nicht zu sehen.
Dass es selten mehr als diesen ersten Blick gibt, gehört auch dazu.

Denn irgendwann kommt er immer. Der Moment, in dem ein Handgelenk aus dem Pulli ragt. Ein Shirt verrutscht. Ein Gespräch so intensiv wird, dass man von Geplänkel zu Themen kommt. Und dann ist etwas zu sehen.
Und dann kommt das Moment, in dem wir uns entscheiden müssen, wie wir damit umgehen und welchen Umgang wir anderen uns gegenüber erlauben wollen.

Denn ja – ich vergesse es. Vergesse mein Hüftding. Mein Bänderding. Mein Steißbeinding. Mir ist das ja auch nicht passiert, sondern meinen Mitbewohner_innen. Meinen Inneren. Meinen Kleinen, denen ich das irgendwie abnehmen will und deshalb so tue, als sei es auch mir passiert. Das ist eine schöne Geschichte, denke ich. Mich würde das irgendwie trösten. Wenn jemand sagt: “Was du erlebt hast, hab ich auch erlebt. Du bist nicht allein.”

Denn allein fühlen wir uns oft damit. Mit all dem. Gerade in so einem Moment wie in dem Fitnessstudio.
Wo ich merke, dass es hinter mir und unter meiner Haut rappelt und zappelt, weil wir von so vielen angeguckt werden. Weil der Körper angeguckt wird und dem eigentlich nur eins folgen kann: Stress und zwischenmenschliche Triggerfallen

Jemand will ein Kompliment machen und in meinem Kopf denkt es in Unterwerfungsschleifen. Jemand will ermuntern und von irgendwo quellen magersüchtiger Ehrgeiz und Versagensangst hoch. Jemand denkt, wir merken es nicht mit Blicken ausgezogen zu werden und eine ganze Kaskade spult sich auf, dem “passend” zu begegnen.
Daneben Schreie im Hals, ein Pulsdonner im Ohr und diffuse Abwehrbewegungsimpulse. Einfach so. Ohne Kontext. Ohne die Möglichkeit eines Anknüpfungspunktes nach Außen. Alles, was ich da erlebe und merke, er_wieder_erlebt sich in mir drin. Bei uns da drinnen. Im Inmitten. Einer Insel so fern von Menschen, Zeit und Raum, dass man sich nur einsam und allein fühlen kann. Bis es vorbei ist.

Dann ist da wieder Alltag. Was weiß ich. Tüdelüt. Lauf der Dinge.
Wo ich so leicht reinschlüpfen kann, weil es nie mehr als ein erster Blick ist, den ich zulasse.
Weil ich hingehe, mache und wieder weggehe.

Und wenn ich einen Mitgliedsvertrag über 12 Monate abschließen soll, obwohl ich nur 6 will, dann komme ich auch nicht wieder.