unsichtbare Abhängigkeit

„Kann ich mal über Abhängigkeiten schreiben?“
– „Wieso? Schnallt doch eh keiner- oder willst du wieder den Erklärbär zur Basis machen, die die Menschen in dem Haus darauf nicht mehr klar haben?“
„Erklärbärin! Und ja.. wenn es keiner sagt, ist sie noch weniger da…“
– „Ach du TraumtänzerIN… mach ruhig… wenn du das brauchst… dann will ich aber mal was zu unsichtbarer Selbstverletzung schreiben.“
„Wir verbinden es einfach…“

Wir haben ein soziales Netz, dass uns viel bedeutet.
Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, mit ganz unterschiedlichen Päckchen und Wegen damit umzugehen. Manche sind auch Viele, manche nicht. Manche haben Gewalt erlebt, manche nicht. Manche waren mal arm, manche nicht. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sicherheit durch Kontakt zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Chancen ihren Neigung für Geld oder ohne nachzukommen. Manche verdienen mit dem Ausleben ihrer Neigung Geld, manche toben sich nach oder neben der Arbeit aus, manche haben keine besonderen Neigungen und hüpfen vom einem Erfüllungsgefühl zum Nächsten.

Wir beobachten sie alle gern dabei, gehen gern nebenher und feuern an, die eine oder andere Hürde zu nehmen. Stärken sie, wenn wir es können und stehen vollkommen hinter ihnen- egal, welches Ziel sie sich gesteckt haben. Wir sind die Ersten, die ihre Hilfe bei allem, was dafür nötig ist, anbieten. Wir stehen immer da. Auch wenn wir eigentlich keine Beine haben um zu stehen, sondern nur vom Willen zu helfen gehalten werden.

Unser Lohn ist das Wissen etwas erschaffen zu haben. Nicht allein, nie allein. Bloß nicht allein.
Nicht wegen der Verantwortung oder dem Stückchen Zucker Anerkennung, das für die HelferInnen und UnterstützerInnen abfällt, sondern wegen dem, was wir vor uns selbst erklären, begreifen, empfinden müssten.

Es ist eine selbst gewählte Abhängigkeit. Frei entschieden und ohne jede Erwartung einer Dankbarkeit dafür.
Alles, was dafür gebraucht wird, ist bedingungslose Akzeptanz. Akzeptieren ausgenutzt zu werden, an die Grenzen des eigenen Wissens zu stoßen. Akzeptieren, wie das Gegenüber mit einem umgeht- im Guten wie im Schlechten, alle Regeln und Anweisungen befolgen. Für sich allein hinterfragen, doch nie nach außen hin.
Eine weiße Wand der puren Grundakzeptanz bilden und sich vom anderen zum Gemälde machen lassen.

Es hat immer einen egoistischen Antrieb so zu handeln. Wir sind ein (Gesamt-) Ego, also handeln wir egoistisch.
Immer geht es bei den Dingen, an denen wir arbeiten, um andere. Um eine grundsätzliche Änderung, um es anderen Menschen besser gehen zu lassen und damit irgendwann auch uns selbst.

Doch wehe wir selbst beginnen so ein Projekt.
Dann stellt sich heraus, dass von all den Menschen, die man um Mithilfe bittet, exakt einer von sechs übrig bleibt. Sie alle sehen es. Sie alle wissen es. Sie alle sagen, dass es gut ist.
„Ich wünsche dir viel Erfolg, du hättest ihn verdient.“
Übersetzt in die Praxis ist es Folgendes: „Hier hast du 10 Cent in deine Betteldose, kauf dir was Schönes. Viel Erfolg dabei.- Aber sag mal, wo du doch grad nichts zu tun hast und immer so gern hilfst…“ oder noch schlimmer: „Hier meine 10 Cent- wir hören uns…“.

Es ist Wertschätzung und Abwertung in einem und keiner bemerkt es.
Versteht nicht, wie es ist aus dem Nichts etwas zu machen. Und damit meine ich das absolute Nichts außerhalb von sich selbst.
Sie alle haben eine Profession im Rücken, haben alle mehr oder weniger Mittel und Wege etwas zu erschaffen, haben Lebens- und Schaffenserfahrung in sich selbst. Sitzen im Ausgangspunkt mindestens immer im Keller, statt, wie wir, im Fundament selbst.

Unser Leben ist unglaublich basal. Es gibt nichts außer uns selbst und dem, was uns inne ist, um etwas zu erschaffen. Wir leben in einer anderen Welt. In einer Welt, die negiert wird, durch die Annahme von etwas, das in ihrer Welt, in ihrem Leben allein, eine Anwendung findet. „Du musst dich nur anstrengen. Guck mal, ich habe das doch auch geschafft.“
Eine Ohrfeige, die unglaublich schmerzt, impliziert sie doch einen Unwillen zur Anstrengung. Faulheit im Grunde genommen.

Den Fakt, dass sich Anstrengung erst dann gelohnt hat, wenn man mit ihnen im gleichen Stockwerk sitzt, begreifen sie nicht. Woher auch? Sie saßen nie im Fundament- jede ihrer Anstrengungen hat sie ein Stückchen höher gebracht- es hat sich für sie schon immer gelohnt. Sie kennen es nicht anders.

Es ist die gleiche missachtende Anmaßung, die ich auch bei Menschen erlebe, die sich zum Akademiker oder zum bezahlten Berufstätigen evolutioniert haben. „Ich weiß, wie das ist… / Ich weiß noch, wie das war…“. Egal, wie achtsam sie sind, sie sind zeitgleich verletzend. Es kommt immer ein „Aber“, das alles auf uns allein zurückwirft.

Wir haben noch nie um etwas ganz allein für uns gebeten. Das können wir nicht und es steckt viel dahinter, was wir bearbeiten müssen. So lange das nicht geht, tun wir eben Dinge, die nicht für uns allein sind.
Nun merke ich an dem Schreiben des Buches, wie sich die Komponenten verwickeln und bin der Verzweiflung nah.

Es ist nicht für uns- aber wir schreiben es.
Wir können es nicht ertragen selbst und allein etwas zu erschaffen, was einer Bewertung ausgesetzt sein wird- doch die Mitwirkung anderer ist unsicher oder passiert gar nicht erst, weil wir nicht bitten können uns allein zu helfen.
Es ist ein Schaffensprozess der aussieht, als würde er genährt von Ressourcen und Wegen, dabei entspringt alles uns selbst und dem Wissen, das wir uns angeeignet haben.

Ich poche an die Decke meines Fundaments- den Boden des Kellers, doch niemand hört es. Entweder, weil sie ein zwei Etagen höher wohnen, oder im Keller gerade das Leben tobt.
Es frustriert, macht wütend, unglaublich traurig. Löst Verlassenheitsgefühle und Spiralen des Selbsthasses aus. Unbemerkt. So unbemerkt, dass es egal ist, ob man es tut oder nicht.

Beziehungen verändern sich. Entwicklung kann eben auch trennen, wenn sich neue Einflüsse in einem verbinden. So ist der Lauf der Dinge und in diesem Kontext ist jeder Mensch immer wieder neu gezwungen zur weißen Wand aus Akzeptanz zu werden.
Als schmerzhaft empfinde ich allerdings die Missachtung dessen. Sie ist global für mich, denn ich habe nicht mehr als das zu bieten, was ich zeige. Es betrifft immer alles sofort und konkret mich. Ich habe nichts zu verlieren. Ich besitze nichts, bin niemand außer mir selbst und meinen Fähigkeiten.
Sie missachten nicht mein Tun, denn es ist nicht ohne sie.
Sie missachten mich, weil sie mich nicht bemerken.

154050_web_R_by_lothringer_pixelio.deErst wenn es darum geht, mal nicht mehr zu sein, kommen die Ansprüche ihrer Egos.
Wir haben zum Beispiel unser Testament geschrieben und darin geschrieben, dass es uns egal ist, wo oder von wem wir beerdigt werden. Das schließt auch eine Überstellung der Leiche an die biologischen Angehörigen ein. „Nee, lass das mal. Wir…“.
Ach was.
An so etwas interessiert, aber an dem Leben vorher nicht?! Einen Grabstein beachten, ein Grab pflegen wollen, aber nicht das, was vorher auf der Welt herumspaziert? Es uns im Tod, einem Zustand in dem wir nichts und niemanden mehr fühlen können, so schön machen wollen, wie es geht, aber uns im Leben keinen Platz einräumen?!

„Du musst doch nur etwas sagen! Du musst dich doch nur um unsere Aufmerksamkeit bemühen! Du weißt doch, wie wir sind…“
Klatsch!
Immer wieder.
In Bezug auf das Buchprojekt sogar bereits seit über einem halben Jahr.
Und wir, in unserer Abhängigkeit von ihnen, weil wir allein nichts erschaffen können, geben uns das auch noch, immer wieder. Immer wieder neuer Anlauf. Immer wieder eine neue Ohrfeige, die über Wochen brennt und dessen Schmerz man nirgends lassen kann, weil es egal ist.
Immer erst kommt eine Reaktion, wenn unser Dasein gefährdet ist.
Immer erst dann, wenn ihnen aufgeht, was sie von uns haben können, drehen sie ihre Musik im Keller ab bzw. gehen ein paar Stufen runter.

Und wir? Spalten in den Tiefen und lassen fröhliche Musik nach oben dringen, um sie glücklich zu machen. Einfach, weil wir nichts anderes da haben. Was sie hören sind sachte Töne des Verstehens und des Akzeptierens. Nicht den Text den wir aus vollem Hals nach oben zu brüllen versuchen.

Es ist so sinnlos. So eine unlösbare Abhängigkeit.
Und niemand nimmt sie wahr, weil ihm diese so fremd ist und immer wieder falsch in sich assoziiert wird.

Alles was an der Stelle bleibt, ist der kleine Pseudotriumph nicht auch noch im Tod so abhängig zu sein,
Dann, wenn man ihn nicht einmal mehr fühlen kann.

Willkommen in der Basis.
In meinem Schmerz. In meiner Welt der Unsichtbarkeit.
Der Rundgang endet hier.

Was will es sagen, wenn es allen etwas sagt und es alle schon wissen?

Manchmal denke ich immernoch, dass meine Art zu sprechen und mich auszudrücken missverständlich ist. Ziemlich sogar.
Eigentlich ist es fast schon ein Projekt für mich heraus zu finden, wie man so gestrickt sein muss, um mich in bestimmter Hinsicht misszuverstehen. Nicht nur mit meiner Wortsprache.

Anlass für diesen Gedanken war unsere letzte Therapiestunde.
Es ist in der Regel so, dass ich meine ersten Sätze dort, in der ganzen Zeit zwischen den Stunden gebügelt, gestärkt und zurechtgelegt habe.
Sie liegen mir hübsch sortiert auf der Zunge und im Kopf.
Ich brauche keine Angst vor einem Schweigen haben, während dem mich jemand direkt anschaut.
Die Schrittfolge für mein Vermeidungstänzchen sitzt. Meine Rede stützt meine Schutzblase um mich herum und ja- ich brauche keine Angst haben, dass… nein- eigentlich kann ich nicht einmal der Angst einen Namen geben.
Mir ist es völlig klar- ich will nur bitte nicht dissoziieren. Ich weiß, dass das mein Problem ist. Dass ich eine übermäßige Angst vor Erinnerungen habe, die immer wieder hoch kommen, wenn ich an etwas denke, etwas tue, etwas betrachte, eine Situation erlebe.
Jedes Mal habe ich Angst und schütze mich mit der Dissoziation, die mein Gehirn in traumatischen Situationen so gut eingeübt hat, dass es heute auf alles wie eine solche reagiert.

Die Therapeutin fragte, was genau ich denn so “mitkriege” und ich sagte: “Immer so die Mitte, glaube ich.”
Ich fing an nachzudenken und dann- rutschte ich aus. Schrittfolge verpasst. Der Walzer zog ohne mich weiter.  Ein riesengroßer dunkler Ahnungsdonner schob sich auf mich zu. Ich habe nicht hingeschauen können- ein Schmerz von dort heraus zerriss mich.
Ich versuchte wirklich angestrengt und innerlich schon völlig überfordert noch ein paar Schritte aus meinem Programm “In die Realität mit Mathematik” und verlor den Rest der Stunde.

Wir haben wieder überzogen. [BÄÄÄM]
Und die Therapeutin legte ihre Zettel ineinander und sagte, dass sie sich fragt, was ihr dieser Schmerz sagen soll. Ob ihr jemand etwas sagen will.

Und ich saß da und dachte: Was soll es ihnen denn sagen, wenn es einfach so sagt?
Ich dachte, wie absurd es ist, dass ich vor einer Erinnerung flüchte, die mich gerade mal so erwischt auf der körperlich-somatischen Ebene- sie aber meint, der Schmerz sei ein Kommunikationsversuch.
Für mich ist die Botschaft von Schmerz völlig klar. Schmerz steht da und brüllt in seinem neongelben Sein: Schmerz!
Fertig.

Aber viele Therapeuten lernen anscheinend ganz viel zu interpretieren. Ganz viel zu deuten.
Als würde das, was die Klienten sagen und das was sie von sich aus heraus lassen, nicht auch für sich selbst sprechen und stehen können.
Gerade bei mir (allgemein Menschen mit DIS oder auch DDNOS) sieht man das doch sogar eigentlich sehr deutlich.
Ich bin “weg”, wenn der Schmerz zu groß, die Ahnung, die Erinnerung zu nah an mich heran kommt. Und wer ist dann da? Eine Seite von mir- mein Ich in einem Zustand, der näher dran ist. Der auch etwas sagen kann. Der auch für sich stehen und sprechen kann.
Man braucht nicht zu fragen: “Was hat das jetzt zu bedeuten”.
Man kann einfach fragen: “Warum hast du Schmerzen? Kannst du merken, dass es eine Erinnerung ist und kein echter Schmerz?”
Das ist zumindest was ich machen würde, wäre ich in der Lage meine Innens so wahrzunehmen, wie Aussenstehende. Allein, die Tatsache, dass dort Innens sind, macht doch klar, dass es sich um ein Hasch mich- Spiel zwischen mir und meinem Erinnerungssortierungsversuchsgeplagtem Gehirn handelt. Und nicht darum, dass ich nicht merke, wie ich vor meinen Konflikten weglaufe und das unbewusst ausdrücke und unbemerkt kommuniziere.

Wenn mir aber meine Therapeutin so gegenüber sitzt und mich fragt, was es zu bedeuten hat, fange ich an mir zu zweifeln. An meiner Sprache und meinen Worten.
Und was nehme ich mir für die nächste Stunde vor?
Extra Stärke, extra Bügeleisenhitze, extra scharfe Wortfalten, die ich mir in die Zunge und den Kopf stampfe, damit ich auch ja nicht meine Schrittfolge im Vermeidungswalzer verpasse.

Immerhin- ich tue es nicht mehr unüberlegt und reflexhaft. Ich habe den Mechanismus klar, der zu meinen Zweifeln geführt hat und kann auch das kommunizieren.
Vielleicht so, dass die Therapeutin mir vormacht, dass ich nicht alles sagen können muss, um zu kommunizieren, wovor ich mich zu erinnern fürchte.