Die Sache mit der Integration

Weißt du  noch vor ein paar Jahren?

Da brannte unsere Welt, doch gewusst haben wir es nicht. Es waren Zeiten wie Wirbel.
Abgehackt, stockend, blubbernd. Mal hier etwas, mal da etwas. Doch nichts davon wirklich fest.
Keine Muster, keine Struktur.
Keine Sicherheiten.

Nie gab es “von Anfang bis Ende” – es gab nur “von Neuem”.

Dann kam der Gedanke. Es war nicht meiner. Doch er war da. Ganz klar und fest.
“Er wird mich beim nächsten Mal umbringen. Ich muss weg. Sachen zum Wechseln, etwas zu Essen, Geld. Rucksack. Hinter der Tür abstellen.”

Ein paar Monate später habe ich dich gespürt. Es war ein Wirbelmoment, doch er war anders. Ich dachte, sie wurde mich schlagen wollen, wie er es tat. Aber sie lächelte nur und streichelte meinen Arm und sagte, sie würde mir nichts tun.
Ich spürte dein Zittern, deinen angehaltenen Atem und den Impuls die Faust zu heben.
Dachte, ich hätte einen Teufel in meinem Körper wohnen.

Dann das Leben in den Heimen und Stationen. Der raue Ton, der lieblose Umgang, die ganze Kälte, die Drogen und doch aus allen Ecken und Winkeln diese Bedürftigkeit aller. Ich spürte dich, immer wenn ich Angst bekam, jemand würde seine Hand auf mich niedersausen lassen. Einmal habe ich dich an mir vorbeirasen sehen. Ich dachte, vielleicht seihst du doch kein Teufel, sondern ein Schutzgeist.

Ich schrieb dir Briefe in mein Tagebuch und deine Antworten erschienen mir logisch. Obwohl ich wusste, das Geister keine Dinge anfassen können.

Dann gab es diese Zeit in der die Welt nicht brannte und jemand sagte, dass du ein kein Geist bist, sondern ein Teil von mir. Ein 18 jähriger Anarchistenjunge in meinem 16 jährigen Mädchenkörper. Uff!
Ich war verwirrt und gleichzeitig aber dachte ich auch, dass es egal ist. Du warst mein Beschützergeist und das änderte sich nicht mit dem Wissen.
Ich konnte dich immer deutlicher wahrnehmen, manchmal konnte ich sogar schon ganz nah bei dir stehen, wenn du “vorsichtshalber mal da warst”. Einmal war sogar gar keine Gefahr und ich konnte dein Sein ganz deutlich an mir spüren.

Wir beide haben tapfer gekämpft, als es wieder um unser aller Leben und Zukunft ging. Doch war es in jener Zeit unmöglich einander weiter so nah zu sein. Du musstest mich ständig verlassen, um uns zu schützen, konntest gar nicht mehr zu unserem Ich-Du-Sein zurückkehren.
Doch wir siegten und konnten einander wieder die Hand reichen.

Ich lies sie nicht mehr los. 453633_web_R_K_by_Dieter Schütz_pixelio.de
Meine Haut wurde zu deiner Haut.
Meine Gedanken vermischten sich mit deinen Gedanken.
Unsere Wünsche und Erinnerungen gesellten sich nebeneinander und griffen ineinander.
Unsere Stimme wurde vom Duett zum Solo.
Niemand konnte uns mehr unterscheiden.
Sogar deine Männlichkeit wurde zum normalen Seelenton.
Es war, als wäre es nie anders gewesen.
Als wären wir schon immer Ich gewesen.

Eine M. vereint mit einem A. , der sich an einem Morgen sah und wusste, dass er nun eigentlich Ma. ist. Ein Ma. der nachwievor ein Schutzgeist ist, doch neben seinen Fäusten, auch den Kopf seiner inneren M.- Seite benutzen kann, ohne eine Amnesie zu erleben oder in Gefahr zu sein.

Nichts ging verloren.
Es ist nur verwachsen, was verwachsen konnte.

Aus zwei kleinen Spiegeln, wurde eine glatte Fläche.
Niemals haben wir das in der Therapie besprechen müssen. Es ist einfach passiert, weil wir die Möglichkeit hatten, einander in aller Ruhe und Sicherheit zu erspüren und zu erfassen.
Unsere Gemeinsamkeit zu zeugen.

Es ist einfach so passiert.
Die Sache mit der Integration.

ein paar Fragen an mich, als “multiple Persönlichkeit”

Es ist mir eine Freude etwas hier wiedergeben zu dürfen.
Dies ist ein (leicht bearbeiteter) Mitschnitt von einem Austausch mit einer Leserin dieses Blogs. Ich werde sie im Folgenden “Martha” nennen.

Es begann damit, dass wir den Sendungsausschnitt von Frau TV, in dem die multiple Frau Liza von sich erzählt, gemeinsam anschauten.
Für alle, die ihn noch nicht kennen: hier kann man ihn sich ansehen.

C. Rosenblatt: Ich finde den Begriff „Persönlichkeiten“ immer so irreführend … das werd ich irgendwie auch mal noch aufnehmen im Blog
Martha: Oh, ich würde gern wissen warum ?
C. Rosenblatt: Weil die Innens keine Persönlichkeiten an sich sind. Also bei keinem Multiplen. Also klar- jetzt halt die Frage „Was ist Persönlichkeit?“ Es ist ja so, dass jeder Mensch irgendwie Abneigungen, Vorlieben, Begabungen und seine „Macken“ hat-  sein Sein halt einfach
Martha: Ja.14519_web_R_by_danii_pixelio.de
C. Rosenblatt: Okay. Nehmen wir mal eine Discokugel. Wenn man sie sich genau anguckt besteht sie aus vielen Spiegeln. Das coole Glitzern kommt von den Lichtstrahlen, die jeweils einzeln reflektiert werden. Bei nicht multiplen Menschen könnte man sagen- da gibts keine kleinen einzelnen Spiegel, sondern so ineinander fließende Dellen, Beulen und Huckel- manchmal auch Risse. Wenn eine Lampe draufleuchtet, wird nicht die ganze Kugel jeweils zurückreflektieren, aber auch nicht nur ein minikleiner Teil davon
Martha: Ja.
C. Rosenblatt: Bei Multiplen ist es so, dass eine Lampe auf so eine aus vielen Spiegelteilen (die jeweils voneinander getrennt sind) leuchtet und nur diese reflektiert. Das heißt, es ist ein Anteil der Gesamtpersönlichkeit der dort wie autark aussieht- es aber nicht ist.
Martha: Wow. Gut erklärt. Schreib das. Das ist wirklich nachvollziehbar- ich mein das ernst
C. Rosenblatt: Okay wow
Martha: Ich bin ja nun eine dellige beulige Huckelkugel und ich versteh’s
C. Rosenblatt (ein in sich freudig hopsendes Innen spürend): ^^
Martha: Und es macht auch Sinn…weil bei mir an manchen Stellen def. große Risse sind. Da wo der böse Mann war. Ja. Nein du zuerst
C. Rosenblatt: Hm- ich wollte nur einwerfen: Ja und da, wo so ein Splitter ist, da so am Riss- da würdest du ja auch nicht von dir sagen, dass das eine andere Persönlichkeit ist. Da fehlen einfach so ganz viele Aspekte, an denen man gemeinhin „Persönlichkeit“ festmacht.

Das ist zum Beispiel auch ein Punkt, der die Therapie und die Kommunikation so schwer macht. Es ist schwer für Menschen ohne DIS die Flachheit seines Gegenübers zu erfassen. Also wenn ich etwas sage, dann meine ich auch nur genau das- ohne große Emotion oder Intension. Manche Menschen sagen mir aber trotzdem, nachdem ich ihnen etwas erklärt habe, dies sei eine tolle Begabung oder ich wäre ja so lieb, ihnen das zu sagen. Ich bin aber weder lieb, noch begabt. Ich gebe einfach eine Information weiter.
Dass mir eine Dimension fehlt im Erleben, ist mit so ein Knackpunkt an der DIS. Und deshalb mag ich auch den Blog so. Es ist ein flaches Medium- ich wirke „dicker- globaler“ als ich bin und komme so leichter in Kontakt.
Ich bin jetzt fertig 🙂

Martha: Ok, da würde ich gern einhaken hehehe
C. Rosenblatt: Okay
Martha:  Also: wenn zum Beispiel Leute dir sagen, du wärst so lieb ja…dann gibt /gab es ja eine Interaktion und das ist einmal die Dimension der Person, die dich als lieb interpretiert und deine.
Erstmal hat natürlich eine andere Person das Recht auf ihre jeweiligen Gefühle und Eindrücke…es kann also schlicht bedeuten…du warst lieb zu mir, das hat sich wohlig angefühlt, stimmig…dieses Gefühl gehört dann der Person…unabhängig davon, ob du diese Intention dabei hattest oder eben nicht, wie du sagst.
Dann bist da du. Du hast dieses Gefühl eben nicht in dem Moment, sondern warst schlicht ganz und gar Informationsträger und Weiterleiter…hab ich das soweit richtig verstanden ?
C. Rosenblatt: Ich habe diese Gefühle nie. Sie sind schlicht nicht in mir drin. Also das ist so… hm… wie eine kartographierte Discokugel- ich bin ein kleiner Spiegel der ganz weit weg und durch viele Barrieren von dem Bereich der Gefühle getrennt ist. Aber zum Beispiel ein anderes Innen „sitzt“ vielleicht direkt in mitten dieses Gefühlsbereichs und kann ausschließlich diese Gefühle reflektieren- aber nicht das wo ich draufsitze (Ratio) Dieses Innen kann (eigentlich fast ausschließlich) lieben und mögen- aber nicht sehen, ob das schlau ist
Martha: Ja. So habe ich das auch verstanden. Als Abgetrennt-Sein.

Stehst du dann mit dem jeweiligen Innen (um beim Beispiel zu bleiben hier mit jenem, das gerade liebt und mögt) im Kontakt oder kannst zumindest versuchen, Kontakt herzustellen und ist das von Fall zu Fall verschieden ?
C. Rosenblatt: In der Regel haben wir keinen Kontakt. Aber zum Beispiel werden die Aussenpersonen manchmal zu sowas wie einer dieser „Ums Eck“-Spiegel. Zum Beispiel in der Therapie die Therapeutin oder Gemögte im Alltag, die viel mit uns zu tun haben.Zum Beispiel hm.. ich erkläre gerade etwas und das Gegenüber sagt oder fragt oder macht etwas, das ein bisschen Licht über die ganzen Sperren bringt und das andere Innen auch anleuchtet. Dann nimmt die Aussenperson manchmal etwas wahr und meldet es mir zurück (z.B. Du weinst ja- bist du traurig?)
Ich kann dann versuchen nachzuvollziehen, was wohin geleuchtet hat und so dann sehen: Aha es kommt von Innen XY. Und manchmal ist es auch so, dass ich etwas merke- aber das Gegenüber nicht. Dann sage ich: Oh, ich merke, da kommt gerade ein Herzklopfen und ein Zittergefühl in den Muskeln (oder: Ich merke da ein Innen, “hinter mir”) und das Gegenüber kann mir helfen, indem es mir hilft einzuordnen was das ist (z.B. Angst) und mit mir reinleuchten, wo es her kommt
Martha: Verstehe.

Weißt du eigentlich wie viele Innens und bämms (sind das eigentlich auch Innens, spezielle Innens?) du hast ? Falls nicht, ist es wichtig rauszufinden wieviele es gibt?
C. Rosenblatt: Also die BÄÄÄMs sind Täterintrojekte und täterloyale Innens. Eigentlich sind sie Innens wie wir alle. Aber dadurch, dass sie so bedrohlich empfunden werden und (also die Introjekte) ganz genau den Tätern nachgebildet sind, bilden sie eine eigene Gruppe für sich. Wir sind heute nur  noch XYZ Innens (als “ganze Innens”), und hm, zu wissen wieviele es gibt, ist eigentlich (ganz streng genommen) irrelevant. Wichtig ist nur zu wissen, wer bzw. was alles da ist. Das ist zumindest unsere Erfahrung. Es gibt ja noch ganz viele Zwischenstufen auf dem Weg zu Heilung. Da werden aus einzelnen klar umrissenen Innens irgendwann einfach so „Huckel und Dellen“ und so. Wenn man dann immer so eine Zahl im Hinterkopf hat, stelle ich mir das kontraindiziert vor.  Es schürt eine Angst zu sterben oder zu verschwinden
Martha:  Ja, das ist nachvollziehbar.

Liza hat ja gesagt, sie händele all das wie eine innere WG. Hast du auch so ein Bild  oder passt das nicht für dich?
C. Rosenblatt: Das passt nicht für uns. Wir haben mal für die Therapeutin ein Bild gestaltet in dem wir den „Ecken“ innen so symbolisch gezeichnet haben. (Also die BÄÄÄMs wohnen zum Beispiel in einem furchteinflößendem Gebäude mit Wassergraben und hohen Mauern das dauernd brennt, der Schwan wohnt in einer besonders sicheren, warmen Umgebung, manche Prä-Teenie-Innenkinder in so einer Höhle… ) Wir sagen einfach immer „das Innen“ und benutzen Metaphern für die „Umgebung“/“die Gefühle“ um die jeweiligen Innens herum. Früher haben wir auch mal diese „Hausgemeinschafts-Metapher“ verwendet, doch sie passt nicht, weil manches einfach zu sehr auf der Metaebene ist. Da geht das Bild zu schnell dran kaputt.

Martha: Du sagst, ihr habt keinen Kontakt zueinander…wie kommuniziert ihr ? Geht das dann immer nur mit einer spiegelnden Außenperson ?
C. Rosenblatt: Nicht nur. Es ist am Effizientesten (da mehrere Ebenen „bedient“ werden), aber wir schreiben eigentlich ständig etwas auf, was gerade aufwallt oder irgendwie wichtig erscheint. (Zettelwirtschaft Aaaah!) Und so ist dann das Papier ein bisschen Außenspiegel. Und manche Innens haben auch so Kontakt- manchmal sind die nicht so stark von einander getrennt oder- so wie der Schwan ein Innen ist, das „auf der Spitze sitzt“ und über viele Trennungen hinweg schauen kann und so Kontakt machen kann.
Martha:  Ja, Zettel hatte ich irgendwie auch im Kopf…alles aufschreiben…macht Sinn.
C. Rosenblatt: Das ist ein bisschen immer so wie bei Rasenlatscherei- je öfter man über die Grenzen hinweg geht, desto weniger Grün wächst dazwischen und desto mehr Austausch geht dann. Das ist dann eben so etwas Gedanken-impulsiges.

Diese Sache mit dem “alles aufschreiben” Das wird meiner Meinung nach, auch oft vernachlässigt in Büchern. Also das wird zum Beispiel in „Aufschrei“ von Truddi Chase erwähnt- zu Anfang- aber dann nie wieder. Wir hatten früher extrem viele Listen und wehe eine war weg- Hölle!
Inzwischen gibt es nur noch ein-zwei- wenn es uns schlecht geht , vielleicht drei, die so nebeneinander her laufen und aber alle nicht mehr stark voneinander abweichen. Aber wir brauchen sie nachwievor wie die Fische zum Leben. Sonst gibt es Chaos.

Martha: Gibt es das längerfristige Ziel die Innens langsam zu Huckeln und Dellen zu machen, oder ist es so, wie es jetzt ist schon gut lebbar? Wenn meine Freundin zum Beispiel sagt, dass sie durch ein Außen (SPIEGEL) drauf gebracht wurde, dass ein BÄMM besonders dominant auftritt gerade…welche Möglichkeiten hat sie jetzt?
C.  Rosenblatt: Also wir haben dieses Ziel definitiv. Unser „System“ war mal fast doppelt so groß wie jetzt- du kannst dir nicht vorstellen wie verstümmelt man existiert. Bzw. wie krass einem die Verstümmelung bewusst wird, je näher man aneinanderrückt. Wir empfinden es als sehr bereichernd- wenn auch beängstigend diese Trennungen weg zu haben. Aber nicht alle Multiple haben das als Ziel.
Manche wollen und brauchen- gerade wenn sie noch Gewalt ausgesetzt sind, oder eine Familie versorgen müssen oder einen Beruf haben der extrem belastend ist (Arzt, Pädagoge,Lehrer…) auch unbedingt noch diese Trennung. Bei denen gibt es den Wunsch nach einem Funktionsmodus und einem Ende der akuten PTBS (die meistens irgendwie am Anfang der Diagnose steht) und wollen dann einfach „funktionieren“ ohne zu leiden. Das ist zumindest etwas, das ich so mitbekommen habe. Ob das ein Zustand ist, der lange hält weiß ich natürlich nicht.

Die Frage mit den Möglichkeiten nach dem dominanten Auftreten des BÄÄÄMs habe ich jetzt nicht so ganz erfasst, glaube ich. Kannst du die Frage bitte anders formulieren?
Martha: Das bezog sich jetzt explizit auf die Situation meiner Freundin…dass da ein Anteil aufgetaucht ist, der an ein Familienmitglied erinnert (also ein BÄÄÄM)…dieser ist nur in ihr Bewusstsein gelangt, weil eine außenstehende Person sie darauf angesprochen hat. Sie hatte vor allem eins: Erinnerungslücken…ihr hat das große Angst gemacht als sie darauf aufmerksam gemacht wurde…welche Möglichkeiten hat sie jetzt aus deiner Sicht damit einen konstruktiven Umgang zu finden ?215236_web_R_K_B_by_S. Hofschlaeger_pixelio.de
C. Rosenblatt: Also jemand schrieb ja neulich schon, ein bisschen „ran zutasten“. Also zu schauen, was genau dieses Innen- oder auch BÄÄÄM das kann ja nur deine Freundin wissen, wo sie dieses Innen einsortieren würde (- nach der Reaktion darauf, denke ich aber, dass es sich um ein Täterintrojekt und damit also ein „BÄÄÄM“ handelt), anleuchten zu lassen oder selbst anzuleuchten.
Nun weiß ich aber nicht wie weit sie schon ist. So wie das klingt, wusste sie noch nichts von diesem Innen und muss sich jetzt erstmal ganz viel darüber erschrecken und schlimm fühlen. Und dann akzeptieren dass es da ist, dann rausfinden, warum es gerade in dieser Situation auftauchte… und bei all dem werden sie und ihre Innens die Mauer dazwischen etwas niedergetreten und können dann einen Umgang mit diesem Innen absprechen. Und wenn das alles respektvoll und im richtigen Maß abläuft, wird das auch klappen.
Jedes Innen, das auftaucht kommt, weil es gebraucht wird. Weil seine Präsenz bzw. die an es gebundenen Handlungsmuster wichtig und sinnig zum Erhalt des Schutzes ist.
Martha: Ja. Das kenne ich ja auch. Das ist grundsätzlich etwas, was alle Menschen entwickeln die von Traumata betroffen sind. Muster. Automatismen. Persönlichkeitsanteile, die die Regie übernehmen. Gewünscht ist eine Kompensation, die das Erleben aushaltbar macht. Die in diesen Moment(en) Sinn mach(t)e und später, wenn die akute Not vorüber ist hinderlich/einschränkend/u.Ä. ist auf irgendeine Art, wenn auch erstmal oft unbewusst weil verdrängt. Ich fand zudem auch einen wichtigen Aspekt in dem Beitrag über Liza, dass all das nur eine gesunde Reaktion darstellt die das Überleben sichert..auf das eigentlich Kranke, das der/die Täter verübt/en…

Hast du manchmal Angst, dass du auch übergriffig sein könntest, irgendwann irgendwo bei irgendwem ? Ich habe diese Angst manchmal…
C. Rosenblatt: Ja.
Obwohl ich inzwischen ziemlich genau spüre, dass es nicht dazu kommen wird, weil es in uns als Gesamtperson (so wie ich sie gerade erahne oder besser gesagt so durch die Rückmeldungen von Außen zusammenstückle) weder eine Neigung zu Sadismus noch zu einer allgemeinen Befriedigung durch Macht über andere Menschen (oder auch Tiere) gibt. Selbst die Täterintrojekte und jene die angeblich bereitwillig anderen Menschen geschadet haben, taten dies, weil sie es mussten- nicht von sich aus.
Das ist zum Beispiel etwas in dem Aspekt der Dimensionalität wichtig ist. Es kann sein, dass ein BÄÄÄM zum Beispiel in einer Situation in dem es von Außen erneut gezwungen wird (oder sich gezwungen fühlt und es keine andere Möglichkeit für das Gesamtsystem gibt, anders zu handeln) etwas zu tun, ganz genauso handelt wie früher und übergriffig wird. Aber sobald auch nur ein einziger Aspekt  deutlich anders ist als früher (und dieses BÄÄÄM in der Lage ist sich zu orientieren in der Zeit), wird es nicht zu dieser Handlung kommen. Das Muster bezieht sich in der Regel auf genau eine bestimmte Art Emotion(s-Befindlichkeitenmischung), Aussensituation und/oder Anspruch von Außen und wird dann quasi abgespult. Fehlt etwas davon oder ist einfach anders eingefärbt, kommt es zwar zu einem „Triggergefühl“ der ordentlich Schlimmes mit sich bringt, aber switcht dann eher zu einem Innen das mit einer Situationsumgebung wie der sich bietenden assoziiert ist.
Also als Beispiel, mussten wir mal im Biounterricht ein Tier sezieren. An sich ist das etwas, dass jemand schon mal machen musste. Dieses Innen stand auch extrem nah „vorn“ kam aber nicht heraus, weil die Grundsituation (Schule, anderes Sozialgefüge, anderes Grundgefühl, Zwang- aber doch Handlungsalternative…) eine andere war. Das Ergebnis war ein „Ahnungsdonner“ für die Person die gerade in der Schule stand und es gab einen Switch zu einem anderen Innen, das weiter entfernt von sowohl dem „Schul- Innen“ als auch dem „Sezier-kundigen- Innen“ war und weder Gespür für die beiden Innens noch Erinnerung an irgendwas von dem hatte, was gewesen ist,
So in etwa verlaufen inzwischen fast alle Situationen die uns in eine real bedrohliche Situation führen könnten. Es ist noch nie passiert, dass ein BÄÄÄM jemanden tatsächlich aus Spaß oder aus eigenem Antrieb verletzte, wie die Täter früher.
Was nicht heißt, dass es keine aggressiven Innens gibt, die sich auch körperlich wehren bzw. verteidigen- aber da stehen andere Sachen hinter.

Hier endet der Teil des Austauschs, den wir gern mit unseren LeserInnen und BesucherInnen teilen. Vielleicht war die eine oder andere Frage ja auch für meine anderen nicht selbst von DIS betroffenen LeserInnen interessant.

Wie immer wird hier kein Anspruch auf Ausschließlichkeit und das Zutreffen der dargestellten Abläufe und Gegebenheiten bei allen Menschen mit DIS erhoben.
Ich weise außerdem darauf hin, dass es sich hier um einen Mitschnitt unter Betroffenen handelt- nicht um einen Austausch unter professionell mit dem Thema arbeitenden Menschen.
Weiterhin geht es hier nicht um die subjektive Wahrnehmung meines Innenlebens sondern um eine annähernde Darstellung der Struktur des Selbigen.

von Vermeidungsblasen und Tumoren

Nach Jahren habe ich mal wieder ein psychotherapeutisches (Fach)Buch zum Thema Trauma und DIS in der Hand und könnte es eigentlich schon wieder an die Wand schmeißen, in die Seiten hineinspringen, es auffressen, vollkotzen, zerpflücken… in die Hand nehmen und jedem Außenmenschen um die Ohren hauen, der mir über den Weg läuft.
An meine Brust drücken… hoffend, dass mein Innen etwas spürt, sieht, dass es gesehen wurde. Schau da ist Hoffnung, da ist Heilung.
Es verflüssigen und mir multipelschläuchig intravenös in den Körper einbringen, auf dass es diesen quälend berstenden Wissensdurst genauso stillt, wie das Gefühl der Einsamkeit.

Es ist nur ein Kapitel.
Und das “in der Hand halten” von etwas, das von uns drin steht.
Doch es reicht.

Es reicht mich zu erinnern wie es war, als die Innens noch maligne Microhirntumore waren.
Ich habe nicht unter ihnen gelitten.
Ich hatte keinen Leidensdruck vom Viele-Sein. Das habe ich bis heute nicht.
Ich habe unter einer ständig schwelenden Todesangst gelitten. Genau wie heute- auch wenn der Grund inzwischen ein anderer ist.
Jede Amnesie, jeder Kopfschmerz, jede Seltsamkeit an mir bedeutete für mich: “Der Tumor ist gewachsen- gleich bist du tot.”. Alles was ich mir nicht erklären konnte, wurde durch den Tumor erklärt. Meine Angst bekam eine Berechtigung.
Ich habe eine ganz liebe Vermeidungsblase aufgepustet.
An einem Tumor kann jeder erkranken. Damit bin ich nicht allein.
Vor dem Tod haben viele Menschen Angst. Es ist akzeptabel Angst vor tödlicher Krankheit zu haben.
Ein Tumor wächst im Körper. Niemand kann einem anderen Menschen einen Tumor antun.

Ein Tumor hat keinen Finger, mit dem er auf jemanden zeigen kann.

Es reicht, mir zu zeigen, wie lieb ich bin.
Immernoch.
Lieb in meiner kleine Vermeidungsblase.
“Nein das war nur ein … Tumor…
Es war nicht… nein nein es war nur ein… mehrere Tumore…”

Zu wissen, dass es Innens sind, die meine Stücke vom Zeitkuchen wegknabbern, runterschlingen, auffressen, in sich hineingestopft bekamen und nun wieder herauskotzen müssen, war lange gleichsam eine Art Tumor.
Eine sprachverführende Vermeidungsblase für mich.

Multiple Persönlichkeit.
Mehrfache Persönlichkeit.
Mehrfaches Sein.

“Ja prima. Ich hab den Tumor- die Innens sind einfach nur nicht davon betroffen.
Die sind ertrinkend, erstickend, aufgerissen, benutzt, kaputt. Sie baumeln noch immer nackt von einer Decke, posieren für andere, stinken wie ein verdrecktes Tier, sind ekelerregend, bemitleidenswerter Abschaum, halten auf Wunsch die Körperlichkeit eines anderen, bieten sich an. Sie sind so niedrig, dass man sie gar nicht mehr erniedrigen kann.

Ich bin eine andere Persönlichkeit. Mit mir hat das nichts zu tun.
Mein Sein ist ganz anders.
Ich sterbe nur an Todesangst.
Ich werde in einem Krankenhausbett sterben, ganz lieb. Ganz still.
Die Innens werden in ihrem Dreck verrotten, sollen sie doch schreien, an- klagen.
Ich bin lieb.
Ich bin ein anderer Mensch als sie.
Sie sind meine Krankheit. Sie sind mein Seelentumor.
“Einmal rein- und abschneiden bitte!”

Die Wissenschaft klärte mich auf. Eröffnete mich.
Sie griff zum Skalpell und entfernte eine Schicht meiner Vermeidungsblase.
Ich kann das Innen nun, freioperiert von verwischter Sprache, als dissoziierte Aspekte meiner Identität- meiner Gesamtpersönlichkeit an mich heranrationalisieren.

Ich habe meiner Vermeidungsblase ein Element hinzufügen können, dass eine gewisse Diffusion ermöglicht, eine grundlegende Trennung allerdings aufrecht erhält. So bekam ich Gelegenheit zu 423597_original_R_K_B_by_Sigrid Roßmann_pixelio.desehen, dass auch andere Innens lieber mal “500gr biographische Amnesie kaufen wollen”, statt das Grauen anzunehmen. Ihnen fehlen zwar nicht die ersten 16 Jahre des Körperlebens wie mir, aber auch sie treiben in dieser Seelenlösung aus Angst, Schmerz und Verletzung herum, einzig durch ihre Vermeidungsblase geschützt.
Vielleicht nicht so lieb wie ich.
Wenn ich meinen Gemögten (und dem Blog hier) trauen kann, dann sind sie wohl eher bockig, kernig, charming, bedürftig, kalt, mutig, frech, aufmüpfig, emanzipiert, liebevoll, fürsorglich.
Gleich und doch verschieden.
Getrennt aber doch verbunden.

Ich lese Sachbücher wie dieses nicht so gern.
In der Regel erhöhen sie den Druck. Oft sorgen sie dafür, dass ein Innen an eine durchsichtige Seite meiner Vermeidungsblase gepresst wird und ich es erschreckt anstarre, wie einen Vogel der gegen das Küchenfenster geflogen ist.

Meist fällt mir dann auch gleich noch das Buch aus der Hand, kippe ich fest verklebt in meiner Angst weg und ergieße mein Denken in die unendliche Weite der Vermeidung. Vielleicht der Selbsttäuschung, der Illusion und der Traumtänzerei.

“Es war doch nichts.
Ich dysfunktioniere auf zellulärer Ebene, das ist es!
Das Schlimme… das Böse… das … nein das ist nicht… nein das ist nur ein Tumor.

Ich war doch immer lieb. Warum sollte mir jemand so etwas angetan haben?”

Erst wenn ich das Buch beiseite lege, das Leben kennenlerne; sehe, dass Liebsein kein Garant für Liebgehabt werden ist, schaffe ich es, meine Vermeidungsblase etwas zu öffnen und das Innen davor etwas näher zu betrachten. Zu sehen, wie sehr ich es mit meinem Denken verletze.

Wie sehr ich mich selbst zum Tumor mache.

Mut oder: die BÄÄÄMs der Anderen

Es begann mit einem Artikel der Mädchenmannschaft vor ein paar Monaten. Ein paar Klicks, ein paar Kommentaren, ein paar Artikel, ein bisschen gucken, lernen… und nun finde ich mich virtuell umgeben von lauter starken freien wachen bewussten Menschen. Mich fragend, ob ich auch so werden kann. 46164_web_R_K_B_by_Verena N._pixelio.de
Wie viel der Stärke und des Mutes, den ich in den ganzen Websites und Artikeln wahrnehme, ist wahr? Wie viel dieser Vehemenz, Courage, Reflektion, Stärke… Heilung? würde ich in der Realität sehen, träfe ich diese Menschen?

Ich verbrachte den gestrigen Tag am Fenster.
War kurz mit NakNak* im Park. Hatte noch Mut- Elanfunken von dem Innen, das immer schon von sich aus mutig und stark ist. Immer wieder aufstampfend; nach einem besseren Leben zu greifen bereit und mit mir diese ganzen Webseiten schier aufsaugend.
Doch diese Funken verpufften schnell wie ein Strohfeuer in meiner Brust, als ich plötzlich jemanden vor mir sah, der nicht wirklich da war.
Es war ein Doppelbild- eine Pseudohalluzination eines Täters.
Eine schattenhafte Halberinnerung an eine Situation vor über 20 Jahren. Damals hatte es auch so viel geschneit und ich war ähnlich erfüllt von aus Mut geborenem Elan- ich weiß nicht, ob es noch mehr Parallelen gab, die mein Gehirn zu diesem Assoziationsversuch veranlasste.

Damals gab es keine Chance.
Heute nahmen mich zwei Innens an die Hand, drehten den Körper herum und rannten los- mich in ihrer Mitte haltend, beschützend, mir und durch mich hindurch zuflüsternd, dass es vorbei ist, dass wir nun sicher sind. Dass es nur eine Erinnerung ist. Dass die warme Zunge an meiner Hand NakNak* gehört. Ob ich sie nicht mal streicheln wolle. Ein bisschen mit ihr herumgeikeln wolle. Ob ich den Schnee auf der Strumpfhose spüren würde. Immer wieder sagend, in welchem Jahr wir sind. Dass wir wirklich sicher vor ihm sind. Dass ein empfundener Mut berechtigt und absolut in Ordnung ist. Dass wir nie wieder so verlieren könnten.

Es gelang mir nicht mehr, wieder näher an das mutige Innen heran zu kommen. Meine Angst, mein dunkles, wie eine giftige Wolke hinter mir schwebendes Ahnen um die Situation früher absorbiert mich. Es ist,  als wäre da gar nichts Mutiges mehr im Innen.
Ich muss es mir sagen, mir hier hinein schreiben, dass es so ist. Damit ich mir dieses Wissen wenigstens rational nicht wieder aus mir herausstoße- oder von ihm weggestoßen werde?

Es ist mir nun schon so viel möglich.
Wie toll das ist! Wie groß unsere Therapieerfolge schon sind.
Noch vor 5 Jahren bin ich regelrecht abgeschmiert, wenn ich so einer Halberinnerung gegenüber stand. Da war nur Angst- sofort und direkt und ohne auch nur einen Fitzel Möglichkeit, dass ich mir selbst oder etwas aus dem Innen in diesem Moment die Gegenwart an mich- in mich eingebracht bekommen hätte. Jedes Mal das gleiche alte Erschrecken, die gleiche alte Ohnmacht, das gleiche innere Wegkippen als der Ahnungsdonner über mich hereinbricht, der gleiche Wechsel zum Innen, das die Gewalt wieder und wieder und wieder durchlebt.
Heute sind wir schon aktiver- wacher- klarer- bewusster. Ich habe die Möglichkeit noch direkt vor der Ohnmacht auf meine innere “Slowmotion-Taste” zu drücken, mir Hilfreiches aus dem Innen zu aktivieren- mich vom Innen tragen, statt mich hinein fallen zu lassen.

Und trotzdem stand ich dann doch wieder mehr oder weniger durchgehend, bis in die Nacht hinein, am Fenster und hörte den Sermon, den mir die BÄÄÄMs runterratterten. Über meine Unfähigkeit, meine Arroganz, meine Überheblichkeit, meine eigentliche Feigheit, mein “nie so stark- nie so mutig- nie so klar- nie so cool- Sein” wie die, deren Artikel ich da lese, deren Aktionen ich mitverfolge (die andere Innens sogar mitmachen) und die ich bewundere.

Ich hörte einfach nur zu, mich gleichzeitig fragend, ob die Starken da draußen keine BÄÄÄMs haben oder einfach nur schon besser gelernt haben, sich ihnen gegenüber taub zu stellen.

Waldgespräch

Es ist ein seltsames Gespann.

Ein Hund, der wie ein Reh durch die flirrenden Schneeflocken springt, rennt, hopst, mit Zweigen kämpft und zwei Gestalten, die nebeneinander her laufen. Die eine hat den Blick auf den Boden- die andere hält ihre Begleitung in der Sichtperipherie.

“Es ist komisch.”
– “Ich weiß”
”Wieso sehen sie das, aber nicht alle anderen auch?”
– “Ich weiß nicht mein Herz”
Sie steckt sich die Fingerkuppe in den Mund, fängt an die Nagelhaut herunterzureißen.
– “Nimm lieber etwas Schnee in die Hand oder in den Mund. Vielleicht will NakNak* auch was spielen.”
”Ach Affenscheiße”
Sie tritt in die vereiste Fahrrinne eines Waldarbeiterwagens. Wischt sich Tränen von den Wangen.
”Ich weiß immer noch nicht, wie man das nennt, wenn man sich vor welche stellen will und denen sagen will: Guck was du mir angetan hast!”
– “Ist dir das so wichtig? Willst du das wirklich mal machen?”
”Ja! Die sollen sehen, dass sie mich und- ja ach fuck ey- uns alle richtig verletzt haben”
– “Du weißt, dass wir das niemals machen werden, oder? Und selbst wenn doch- sie werden sich nicht bei uns dafür entschuldigen, dass sie ihre Arbeit gemacht haben.”

Sie hebt die Schultern, wirft NakNak* einen Blick zu. Runzelt die Stirn, pustet ein paar Flocken vom Schal. “Vielleicht will ich gar nicht, dass sie sich entschuldigen. Sie sollen nur nicht mehr so tun, als wärs nur mein Problem. So nach dem Motto: Alle anderen haben damit nich so Probleme- du bist die Einzige die hier schon wieder rumspinnt. Die sollen sich schämen.”
– “Haben sie dir das gesagt? Dass du rumspinnst?”

Sie wendet sich ab, sucht den Weg zu unserem Waldplatz für Zeiten wie diese.Höhle Sie schweigen, lassen ihre Tränen die Wangen abkühlen.

“Ich hab nicht gesponnen, richtig? Wenn etwas schlimm ist, dann ist es schlimm, nicht wahr? Egal, wie es andere nennen oder wie sie das empfinden, ne?”
– “Ja, es war schlimm für dich, also war es schlimm.”

Sie sitzen dort und reichen einander die Hand.

Im Schutz einer kleinen Höhle zu ihren Füßen drängen sich andere Herzen aneinander. Die beiden haben sie noch gar nicht bemerkt, obwohl es doch deren Schmerz ist, über den sie weinen.

von der Psychiatrie und der unbezahlbaren Hilfe

Ein Artikel über die Psychiatrie.
Als Aperitif gibts ein Horrorfoto.
Thema: Legalisierung von Zwangsbehandlung im Hauptgang.
Definitions-Allmacht von (überarbeiteten, im Verhältnis zur Arbeitszeit unterbezahlten, eher einseitig fortgebildeten) Ärzten zum nur hauchzarten (kaum erwähnenswerten) Dessert.

In meinem Kopf rattert sie Uhr tornadoardoartig rückwärts.
2001- 14 Jahre alt.
Gerettet aus einem Gefängnis- entkommen aus einer versteckt gespaltenen Welt
Erneut eingesperrt in ein Gefängnis und in eine ganz offen gespaltene Welt.

Weil es keine Alternative gibt.
Weil mir dort geholfen werden kann, wie sonst nirgends.
Weil ich dort verstanden werde.
Weil es mir dort besser geht.

Niemals war auch nur ein Mensch so ehrlich zu uns zu sagen, dass sie schlicht hilflos waren. Weil es keine andere Möglichkeit des Schutzes gibt. Dass wir diese Internierung aushalten mussten, weil die Menschen uns nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie unsere Geschichte nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie die Folgen davon nicht aushalten konnten oder wollten.

Sie haben es sich leicht gemacht und mich abgeschoben- weggesperrt- verwahrt- ausforschen- verbiegen bis zum Brechen lassen.

Sie haben nicht gesehen, dass sie ab dem Zeitpunkt unserer Aufnahme dort, nun unsere Eltern ersetzten. Und wie deutlich sie das taten… Himmel ja WIE verdammt noch mal deutlich sie genau das Gleiche getan haben, wie unsere Familie. Nur haben sie es nicht “Pseudoreligion” genannt, sondern “Hilfe”.

Es war ein Tausch nichts weiter. Hellgraue gegen Arztseifenweiße Folter

Was sie gesehen haben war eine 14 Jährige, die sich immer wieder selbst verletzte. Eine 15 Jährige die den vierten, fünften, sechsten, siebten, achten…. fünfzehnten Suizidversuch gerade eben so mal noch überlebt hat. Eine 16 Jährige, die plötzlich aus heiterem Himmel anfängt zu schreien, niemanden zu erkennen scheint und auf Mitarbeiter losgeht. Eine 17 Jährige, die so abgeklärt über psychische Krankheiten spricht, als wäre sie selbst die Ärztin.

Was wir waren war eine lichtentwöhnte 14 Jährige, die den Boden küsste über den sie laufen durfte- komplett verwirrt über das was mit ihr passierte- ausgeliefert unmündig und hilflos.
Eine 15 Jährige, die sich von ihrem ambulanten Therapeuten hat missbrauchen lassen, weil sie unter anderem befürchten musste, wieder eingesperrt zu werden. Wieder ausgeliefert, unmündig und hilflos. (Und zu dem Zeitpunkt schon völlig allein auf sich gestellt).
Eine 16 Jährige, die anfängt sich an die erlittene Gewalt zu erinnern und gerade mal so das Glück hat, in einer psychosomatischen Klinik zu sein- statt in einer Psychiatrie, wo es alles noch viel schlimmer hätte sein können.
Eine 17 Jährige, die in 3 Jahren durch 7 Kliniken und 5 Jugendverwahrungseinrichtungen hindurch geflippert wurde und deren einziger Hoffnungsfunke auf Heilung und Leben ohne Gewalt, eine dreizeilige Email in ihrer Hosentasche ist; geschrieben von einem Menschen, mit dem sie vielleicht 2 Stunden Zeit verbracht hat und nicht einmal wirklich kennt.

Wir waren die ganze Zeit allein und hatten keine Menschenseele, die sich darum geschert hat, was mit uns dort passiert. Die, die Entwürdigung der Massenabfertigung und den Raub der Selbstbestimmung für uns beklagt hat. Da war niemand, dem wir unsere Gewalterfahrungen mit Pflegern hätten sagen können, ausser den Patientenvertretern zu denen wir aber keinen Kontakt aufnehmen konnten, ohne die Hilfe des Personals. Zusammen mit einer Diagnose die gleichbedeutend mit Unzurechnungsfähigkeit und  Realitätsverlust ist, hatten wir schlicht keine Chance.

Es war wie in der Hölle, die gerade vorher verlassen hatten.

Was wir durchgemacht haben ist unglaublich. Es ist unglaublich schlimm, unglaublich viel, unglaublich viel Nichthilfe. Und was wir in Bezug darauf heute wahrnehmen, ist unglaublich viel Ungläubigkeit.
Nein, uns wurde nicht das Gehirn unter Strom gesetzt. Nein, unser Frontallappen wurde nicht therapeutisch wertvoll verletzt. Unser Gehirn wurde uns ausgedörrt in den vielen hundert Stunden zwischen den “Behandlungen”, in denen man völlig auf sich geworfen ist- äußerlich strengstens reglementiert, während der Same des Wahnsinns unter dem tumben Starren auf Klinikflure, Klinikessen, Kliniktüren, Klinikroutine, Klinikklinikkliniklinikatmosphäre überhaupt erst zu wachsen in der Lage ist.

Wir wissen (zum Glück) nicht, wie es für Erwachsene ist, so in Not und ohne ausreichendes soziales Netz zu sein, dass man sich in eine Klinik begeben muss, um Schutz vor sich selbst (oder anderen Menschen) zu erfahren. Und freiwillig werden wir das auch nicht erfahren.

Die Psychiatrie war für uns das Trauma nach dem Trauma.
Die ersten 2 Therapiejahre nach der letzten Entlassung brauchten wir dafür auf, überhaupt auch nur wieder irgendeinen Helfer (nicht nur Menschen überhaupt)  näher als eine Diagnostik an uns heranzulassen. Ein öffentliches Feindbild wie zum Kindesmisshandler gibt es für Helfer nicht. Eine Hetzpropaganda, wie aktuell gegen die Institution Kirche, gibt es nicht für die Institution Psychiatrie. Vor der breiten Öffentlichkeit steht man vor solchen Erlebnissen ganz genauso verlassen und ohnmächtig, wie vor der gezielten sexuellen Ausbeutung von kleinen Kindern mitten in Deutschland. Jeder kriegt einen Schauer der den Rücken herunter rieselt, jeder hat seine Gedanken dazu. Doch wenn es darum geht eine Hand zu reichen, wird sich weggedreht und unsichtbar gemacht. Und in beiden Fällen muss man sich mehr oder weniger krassen Eigenschuld- (im Sinne einer Eigenverantwortungs-) zuweisungen aussetzen.

Vor ein paar Wochen noch, bekam unsere Therapeutin die volle Breitseite dessen ab, was hier los geht, wenn uns jemand mit der Einweisung bedroht. Und für uns beginnt die Bedrohung schon mit der überhaupt-igen Nennung der Psychiatrie als Option für Hilfe.

Keiner- absolut kein Mensch auf dieser Welt würde das, was real in einer Psychiatrie vor sich geht, als hilfreich bezeichnen, wenn man das Ganze schlicht losgelöst vom Status der „Retter der Gemütskranken“ heraushebt:
Eine Woche hat 168 Stunden
minus jeweils 8 Stunden Schlaf, ergibt das 112 Stunden Wachsein.
Davon werden ca. 8 Stunden therapeutisch gestaltet (je nach Klinik- ich nehme einfach mal den Standard aus meinen Zeiten in der Ballerburg).
Das ergibt unterm Strich: 104 Stunden geistig- seelische Nulllinie, die man mit Kettenrauchen, Gedankenkarussell, Patientengesprächen, Illustrierte lesen, nicht-an-seine-Probleme-denken-aber-doch-dazu-zwingen-weil-man-ja-dafür-da-ist und mit dem intensivem Beobachten aller emotionalen und sozialen Vorgänge auf der Station wiederzubeleben versucht.
Würde man diesen Behandlungsstandard auf ein akutes Herzversagen oder auch eine chronische Lungenentzündung übertragen hieße das unter Umständen: “Wie jetzt hier- sie kriegen so wenig Luft- sie kriegen doch schon 8 Stunden am Tag die Maschine an den Hals!”; “Ich hab schon 8 Sekunden mit der Lebensrettung verbracht- was will der denn noch?!”

Man führt ein Leben wie Schrödingers Katze:  eingesperrt in einer Box und ob man noch lebt oder nicht ist Definitionssache. Und die Macht über diese Definition, könnte mit dem Gesetz nun auch noch in jedem Fall- egal wie diese ausfällt (ob zutreffend oder nicht) rein bei den Ärzten bleiben. Komplett unhinterfragt oder in der Lage die Box zwecks Überprüfung zu öffnen.

Es ist ein Witz. Es ist infam. Es ist eine gesellschaftliche Schande, dass wir solche großen, relativ sicher finanzierten Kästen wie die Psychiatrie, überhaupt noch haben und sogar brauchen.
Es ist die medizinisch-kapitalistisch-sozialdarwinistische Vermeidungsblase, die uns davor bewahrt den Wahnsinn, Kontrollverluste und schiere menschliche Natur zu nah uns heranzulassen. Realitätsverlust als “kann mal vorkommend” zu betrachten. Menschliches Elend von uns fern zuhalten. Uns nicht zu belasten. Uns nichts ans Bein zu binden. Um uns vor gesellschaftlicher Verantwortung zu drücken.
Uns selbst nicht zu fragen, wie wir verhindern können, dass es anderen Menschen schlecht geht.

Uns daran zu hindern jedem unserer Freunde zu sagen, dass sie auch mitten in der Nacht bei uns klingeln dürfen, um von uns vor sich geschützt zu werden-von mir aus auch eingeschlossen zu werden und die nötigen Mittel aufgedrängt zu bekommen und die Hand durch die Neben- und Nachwirkungen zu halten.

Wir sind dankbar dafür, dass wir uns in der Hinsicht auf unsere Gemögten verlassen können. Niemand von ihnen würde uns abweisen, stünden wir mit diesem Anliegen vor ihrer Tür.

Als wir (noch vor 6 Jahren) nicht in der Lage waren zu essen wie Menschen, gab uns unser mit uns verbündeter Mensch den Rahmen der nötig war- ohne uns zu verachten. Als wir nicht wussten, ob und wenn ja wer, von uns Kontakt zu Tätern aufnehmen könnte/versuchen würde, sich das Leben zu nehmen/versuchen würde, ihn zu verletzen… Als wir so depressiv waren, dass sogar das Heben der Augenlider eine einzige Qual war… Als schon ein unsichtbares Geräusch Innenkinder hochspülte die noch mitten im Traumaerleben sind… Als wir so richtig tief in der psychischen Scheiße standen- alle Weichen auf Psychiatrie standen, brauchte es doch nur jemanden, der schlicht da war und den Schlüssel zur Wohnung versteckte. Taschentücher, Kotzeimer, Schlaftabletten, ein starkes Rückgrat und ein liebevoll fürsorgliches Herz hat.

Leider ist das etwas, das die Krankenkasse nicht leisten kann und der Staat, oder diejenigen die es leisten könnten, nicht leisten wollen.

Denn die wahre Hilfe kommt von Menschen, deren freies starkes Dasein einfach unbezahlbar ist.

Interessantes und Nützliches zum Thema
– die schlaue Patientenverfügung gibt hier zum Download
– Steinmädchen schreibt auf ihrem Blog über “Psychiatrisch- Patriarchale Kontrolle” und unterstreicht die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischen Therapiemöglichkeiten
– viele Bücher, Sachwissen und Zugang zu Alternativen bietet der Antipsychiatrieverlag von Peter Lehmann
– die internationale Arbeitsgemeinschaft “Soteria” stellt sich und seine Ziele hier vor
– das Berliner “Weglaufhaus” sollte jedem sofort in den Kopf kommen, wenn es um Alternativen zur Psychiatrie geht- es braucht so viele NachahmerInnen, sowie offene UnterstützerInnen wie nur möglich
– zum Thema Psychopharmaka und Psychiatrie mein Artikel „auf wundersame Weise“
– als weitere hilfreiche Anlaufstelle bietet sich auch der sog. „Trialog“ (Patient, Klinik, Mittler) der Stadt an- Kontakt hierzu bekommt man über den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt in der man wohnt
– zu: „einem erweiterten Verständnis psychischer Störungen, neuem Wissen über genesungsfördernde Faktoren in der Psychiatrie, der Entwicklung neuer Methoden und umfassender Inhalte in der Fachkräfteausbildung und innovativen Angeboten psychiatrischer Dienste“ informaiert und aktiviert „Ex-In„. Ein vielversprechendes und umfangreiches Pilotprojekt. Weitere Informationen zur Genesungsbegleitung durch „Ex-In“ gibt es auch auf dieser Website.
– grundsätzlich muss das Motto derzeit leider noch immer sein: „Niemals allein Kontakt mit der Institution „Psychiatrie“ haben- hab immer jemanden mit im Boot, der dich im Zweifel da raus streitet und für dich eintritt“

 

Vielleicht an alle die aus Angst vor Täterkontakten regelmäßig in de Psychiatrie gehen (müssen):
Immer wenn ihr raus seid- greift zum Weberschiffchen und vernetzt euch. Es ist schwer und gruselig- vielleicht sogar noch verboten. Aber wenn ihr etwas anderes erreichen wollt, als das was ihr jetzt gerade durchmachen müsst, dann müsst ihr auch etwas anderes tun als jetzt.

So gemein es klingt, hatte Einstein schon Recht als er sagte:
“Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, aber immer ein anderes Ergebnis zu erwarten.”

Immer wenn ihr eine Fingerspitze aus der Scheiße herausstrecken könnt- versucht nach echten Helfern zu greifen. Es lohnt sich, denn es geht um euer Leben und eure persönliche Freiheit.
Ihr dürft das.

Herr Trigger und das Aktenordnergehirn

Es ist wie beim Domino Day:

fällt ein Stein- fallen sie alle.

Und wer beim Aufbau schlampt, der verhindert, dass wirklich alle Etappen abgeräumt werden.

Unser Gehirn schlampt nie.
Ein Trigger und die Schotten fallen herab.
Manche direkt, manche indirekt, manche bewusst und manche unbemerkt.

Unter anderen Umständen-. wenn wir einigermaßen ausgeruht und versorgt sind. In der Lage sind Sozialkontakte zu machen und ach überhaupt gesund sind, ist ein Trigger in der Regel nicht mehr sehr schlimm. Nach kurzer Zeit schaffen wir es die Schotten innen wieder zu öffnen.

Nach 10 Jahren vornehmlicher Stabilisierungsarbeit ist es genau das, was wir einigermaßen gut können: Herr Trigger sagen, dass er nur ein Reiz ist und, dass er nun jetzt bitte mal aufhören soll in unserem unordentlichen Aktenordergehirn herum zu machen.

Wir kennen einander inzwischen so gut, dass manche Wechsel vorhersehbar und sicher durch die Belastung eines bestimmten Hirnareals (eines anderen als den, der uns das HD mit Gefühlsimitation ins Kopferinnerungskino treibt) sind.

Doch es gibt nachwievor Zeiten, wie jetzt in den letzten Tagen.
Eigentlich rasten wir mit angezogener Handbremse auf eine Wand zu und hätten das merken müssen- konnten wir aber nicht, weil die entsprechenden “Melder” bereits abgeschottet waren.

Man muss in der Lage sein, Herr Trigger als solchen wahrzunehmen.
Wenn es sich um etwas ganz profanes, wie zum Beispiel der Klang von Wasser auf Wellblech ist, oder der Druck in der Kniekehle wenn man die Beine übereinander schlägt, kann allein schon die Wahrnehmung sehr dauern.
Dann muss man ihn als solchen anerkennen- und wie oft sagt man sich dann doch: “Ach komm-  ist doch Quatsch- steht doch in gar keinem Verhältnis”.
Und dann muss man in der Lage sein, die Kraft haben, genug offene Schotten haben, sich zu reorientieren und in der Gegenwart zu verankern.

Genau die hatten wir nicht mehr am letzten Samstag.
Es gab eine Situation die uns komplett überforderte- sowohl sozial, als auch emotional- als auch rational. Eine Bekannt-Gemögte, die uns noch nicht gut kennt; eine Situation, die schreckliche Angst machte und das alles auf leerem Bauch, nach einer Nacht mit einem Fremden; nach 3 Wochen Therapeutenurlaub; viel Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und Vergebung; einem sehr schlimmen Stromausfall und latentem Schlafentzug…

Klar fielen noch die letzten Schotten und purzelten einzelne Innens herum, die einerseits zwar sehr entfernt von Erinnerungen sind- andererseits aber definitiv bewusst haben, dass sie verletzte Innens schützen.SONY DSC

Die Therapiestunde heute, wirkte wie ein Klotz vor den letzten kippenden Steinen und Öl im Motor des Apparates, der die inneren Schotten sowohl heben als auch senken kann.

Wenn die Kraft bei uns fehlt, brauchen wir Außen jemanden, der uns verdeutlicht und nach innen mitsagt, dass es vorbei ist. Dass es eine Erinnerung ist und das die heutige Realität lebbar ist.

Langsam öffnet sich wieder etwas und es wird nicht mehr nur überlebt.
Der Körper scheint sich sogar noch richtig was Gutes zu tun, indem er sich für Fieber und Virenkrieg entscheidet…

Mach mal ruhig du toller Mitkämpfer… putz sie ruhig alle weg… Herr Trigger könntest du vielleicht gleich mit… ach Atommacht, hm? Ja… hm… friedliche Akzeptanz, wie?
Naja…
erst mal einen Krieg gewinnen… Minensuche und politische Arbeit kommen dann dran.

die Leben der Anderen

Ich habe eine Suchanfrage auf meinen Blog gesehen, die da lautete:
Wie ist das Leben als multiple Persönlichkeit?
Ob der Mensch, hier bei mir, eine Antwort auf die Frage bekommen hat, weiß ich natürlich nicht, aber ich fand die Frage irgendwie schön- stelle ich sie mir doch auch öfter mal.

Wie ist mein Leben denn so? Was führe ich für ein Leben- und was für ein Leben führt mein Innenleben, während es so tut, als wäre es ihres?
Ich glaube, manche (auch in meiner direkten Umgebung) denken, es wäre mehr oder weniger gleichförmig: aufstehen, überleben, Hund, Gemögte volljammern, zwischendurch mal was aufs Papier bringen, hinlegen.

Nun, für mich ist es auch so. Das ist mein Leben. Das ist was ich erinnere.
Ich weiß, dass ich aufstehe, weil ich mich in meinem Bett befinde und aufstehe, bevor ich auf die Bewegung meiner Hündin sofort wieder nach innen wegkippe.
Das Jammern kommt mit dem Kontakt und irgendwann finde ich mich dann am Laptop wieder und sehe meinen Händen zu, wie sie über die Tastatur tanzen, schreibend von dem Leben und Gedanken der anderen. Ich stehe auf und gehe zu meinem Bett und weiß, dass ich wieder überlebt habe.

Alles andere ist nicht meins.
Ich sehe Vorlesungsverzeichnisse, Notizen, Bücherwünsche und verzweifelte Dialoge über Dummheit, Unfähigkeit, quälenden Wissensdurst und Ohnmacht sich nicht richtig satt zu bekommen.
Manchmal stolpere ich über Gemälde und Stoffcollagen, um sie Tage später als verkokeltes Knäul im Müll wiederzufinden, weil der Auftraggeber unzufrieden war. Ähnliches bei Handarbeiten und gebauten Volieren und Käfigen.
Plötzlich habe ich Geld auf dem Konto vom Verlag einer Zeitschrift für einen Artikel der bald erscheinen soll. Ich suche nach ihm in meinen Unterlagen und entdecke dabei, welche Ausmaße mein Manuskript für das Buch inzwischen hat- obwohl ich nicht einen Tastenschlag gemacht habe. Finde Flyer, Plakate und Demotermine von Umweltaktivisten, Freizeitrevolutionären, Feministen, Maskulinisten, Bilder die unglaubliche brutale Gewalt darstellen und dazwischen zuckrig pinke Krickelbilder von Feen und Elfen.
Wenn ich mal das Glück habe, einen Spaziergang mit dem Hund ganz zu erleben, grüßt mich jeder dritte Spaziergänger, weil ich schon mal für ihn gearbeitet habe. Ich kenne keinen einzigen von ihnen.

Und über allem und allem schwebt Angst. Mein Leben ist das, was andere den “Zustand zwischen Angst die sich beruhigt und Angst die sich langsam wieder aufbaut bis zum Point of no return” nennen. Es passiert nichts, wenn ich da bin, weil nichts in mir passiert. Ich kann nichts und bin nur da, um die Lücke zu füllen mit meinem Nichtssein.

Auf die gleiche Frage antwortet mein Innenleben ganz anders.
Ihr Leben ist bunt. Sie schaffen richtig fast freundschaftliche Kontakte, könnten fast ein richtiges Studentenleben führen hätten sie nicht so viele Amnesien, jemand malt und gestaltet auf Auftrag unter seinem Innennamen- wird geschätzt für seine Arbeit und hat doch nichts davon, weil er genau wie ich wieder nach innen wegbricht, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Da sind die Handwerker, die auch im Winter auf Dachstühlen herumklettern, weil sie den Zimmerern beim Arbeiten zugucken, um zu lernen. Da gibt es so viele Möglichkeiten und Optionen, so volle Tage. Niemals ist es wirklich so, dass der Körper einfach nur in der Gegend herumsitzt und Depressionen oder Schlaflosigkeit ausbrütet, weil er keinen Input oder Sonne bekommt. Alles das könnte, wenn es nicht multipliziert auseinandergerissen und autark nebenaneinander her laufen würde, sogar das sein, dass uns ein Auskommen ohne Hartz4 zu bescheren in der Lage wäre.

Und doch ist das alles nichts, was ich angeben kann, wenn mich jemand fragt, was für ein Leben ich so führe. Es ist nicht meins.
Es ist das Leben der Anderen, in meinem Leben drin.

Ihre Leben sind ewig ungesehen, unerwähnt, nicht geschätzt. Unsichtbar, wie sie selbst, wenn ich mich wie die Rinde eines Baumes um sie lege.

All ihr Können zählt nicht, weil es ausgestanzt und entfernt von Offizialität und den nahen Kontakten aufblüht.
Wir haben keine Berufsausbildung, haben nie mehr geschafft, als einen Realschulabschluss an der Abendschule. Sie sind nicht in der Lage ihr Leben durchgängig zu leben und es mit meinem zu verbinden.

Ihres ist gestückelt wie meins.
Universum in Universum in Universum.
Menschenleben in Menschenleben in Gesellschaft in der nur zählt, was durchgängig, ewig gleichförmig, so wie eins-dimensional gelebt wird.

von erkanntem Nebeneinander

Ich mochte das Ballett.
Zwei Mal in der Woche für fast 3 Stunden nur Musik, Technik und Kraft die endlich vom steifen Nacken, gekrümmten Rücken, ineinander gezurrten Bändern und Sehnen in die Bewegung fließen konnte.

Die Stange schön fest, die Füße auf dem Boden- beides war in der Lage mich zu auszuhalten und zu tragen. Selbst dann, wenn mich alle angeschaut haben und ich unter der durchbrechenden Leidenschaft der Zirkusprinzessin starb.

Gestern Nacht hörte ich einen Geiger der Popmusik interpretiert.
Es ist seltsam was Musik heute mit uns anstellt. Sie spielt und ich beginne zu vibrieren. Es geht mir durch Mark und Bein, Muskel,  Bänder, Sehnen, Kopf und Geist. Mein Herz springt im Rhythmus, Landschaften ziehen in mir herum und sie ist da: die Begierde, die Leidenschaft, der Funke der das Feuer entfacht. Manchmal kommt es, dass die Eine Musik
88492_web_R_by_Maren Beßler_pixelio.dehörend abzuwaschen beginnen will- doch die Finger spielen die Noten unter Wasser auf einer unsichtbaren Klaviatur, während ich dann ein bisschen Körper stecke und meine Füße fast aufstellen will- was ich aber nicht kann weil die Zirkusprinzessin damit gerade schon arbeitet.

Wir sind nicht mehr so getrennt das wir uns nicht spüren. Es ist ein erkanntes Nebeneinander und doch kein Miteinander. Die Pianistin kann noch immer keine Blicke aushalten, die Zirkusprinzessin hat noch immer nicht akzeptiert, dass unser sicherer Ort nicht mehr die Synagoge der Heimatstadt ist und traut noch immer niemandem, der nicht in einer Masse verschwindet. Und ich?

Ich bin ein aufgegebener Plan. Ein Wunsch. Nicht mehr nur vor dem Vater zu tanzen und dabei keine Scham zu empfinden, sondern glänzend, anerkannt, perfekt, von allen gemocht, sicher und wirklich geliebt zu sein. Das Kinn nach vorn, aufgerichtet, groß mit riesengroßen Flügeln auf dem Rücken- perfekt und unantastbar.

Unanfassbar.

Ich kann es jetzt verstehen.
Früher habe ich nicht gewusst, dass ich Innens schütze und dass es ein Leben außerhalb des Tanzstudios und der Auftrittsorte gab. Die Ballettsachen war mein Trigger, das Abschrabbeln der Schuhe mein Handwerk. Die Technik, der Anspruch das dicke  Fell gegenüber dem Umgang der Lehrerin vertanzen zu können, das was mich umgab.

Es ist eine kleine große Sache nun fast 12 Jahre später solche Dinge wie diese Musik in einer Umgebung wie dieser hier zu erleben. Hinter einem schreibenden Innen zu stehen und mich auszudrücken, ohne den Körper zu benutzen.

Wer hätte gedacht, dass die Pianistin zu Beethoven Buchstaben in die Tasten spielen würde, die Schreiberin die Worte eingibt und ich den Inhalt herausquellen lasse?

Nur weil im Laptop diese Musik spielt und das Schreibprogramm gerade halt auf ist…

Sterne schreien

Wartend unter Anwesenheit
Zitternd unter Nähe
Zuckend unter Berührung

Jede Pore ein hundert- Meter Brett in die bodenlose Schwärze
Die Metamorphose, 205268_web_R_by_Maren Beßler_pixelio.de
reizend schwingend, leidenschaftlich sprühend

Mit einem Knall nimmt sie die Herrschaft an sich
reißt sich Haut unter die Nägel,
fängt jeden Tropfen auf

Nimmt ihn zu sich und gebiert ihn neu

Sie beben, kreisen, schwirren wie die Schmetterlinge
Flehend, fast tötend lebendig,
schreit sie Sterne in die Nacht

Satt zufrieden, wiegend schaukelnd, sachte Wellen

Der letzte Stich
ihr Tod

Den Kuss zum Abschied von einem Fremden,
nimmt eine Andere,
um ihn hinter ihrem Lächeln zu erbrechen.