Zahlenkrieg

Respekt und Miteinander.

Diese Begriffe umschwirren mein Denken zur Zeit wie ein Schwarm Schmetterlinge. Lange hingen sie von den Verästelungen meiner Nervenenden herab. In kleinen Puppen herumschwappend- weder Raupe von Schmetterling. Reine Ursuppe mitten im Prozess.537400_web_R_by_Dirk Röttgen_pixelio.de

Nun sind sie frei und stoßen an das Innere meiner Schädeldecke. Einen Ausgang suchend um ihre Flügel auszubreiten.
Wenn ich den Mund öffne, meine Zunge zu einer Startrampe werden lasse, dann ist es, als würden sie sich überlegen, ob sie nun abspringen oder sie nicht vielleicht doch lieber erst mal die Puppenreste rauswerfen. So ist es vielleicht kein Kommunizieren dieser Begriffe… doch in jedem Fall das, was sie umgab und schützte. Es ist ein Versuch.

Wir waren bei einem den Beruf des Mediziners ausübenden Menschen und es war furchtbar.
Nicht, weil es da um etwas Intimes ging oder um das Ausmaß unserer Zerstörung, sondern weil wir verloren hätten, egal ob und wie verletzt und zerstört wir sind.

Es ist nichts Besonderes. Ja. Für Frauen die einmal im Jahr dahin gehen oder sogar noch öfter, weil sie chemisch verhüten, ist es das auch nicht. Sie lassen sich mehr oder weniger regelmäßig ausmessen, etikettieren, anfassen, begucken und irgendwie ungreifbar auch bewerten.
Ob sie noch normal sind.
Ob DA auch noch alles in Ordnung ist.

Ich habe das mal recherchiert- im Schnitt geht ein biologisch weiblicher Mensch mit 16 Jahren das erste Mal dorthin.
Frage: Was verdammt noch mal hat so eine Fehleranfälligkeit, dass es mit 16 Jahren schon kaputt sein kann? Und wie oft liegt tatsächlich eine so krasse Veränderung vor, dass die mehr oder weniger schallende Dauererinnerung an alle biologisch weiblichen Teenager gerichtet, “dann langsam mal da hin zu gehen”, gerechtfertigt ist? Seid wann geht man zu einem Heiler, wenn alles heil ist und nicht wenn etwas zum Heilmachen da ist? Und was ist das für eine Auffassung, in der Normalität- Gesundheit- ein potenzielles Verfallsdatum hat? Und wieso gilt das Gleiche nicht für biologisch männliche Teenager?

Als ich da so im Wartezimmer saß und mir ab und an die kalten Tropfen von der Oberlippe wischte, dachte ich, dass ich eigentlich tatsächlich an einem Ort sitze, der einfach insgesamt irgendwie schief ist.
Neben mir saß ein weiblicher Mensch, deren Fötus sich im Bauch bewegte.
Ich mag sowas. Man sieht es nicht bei allen schwangeren Menschen so gut, deshalb nahm ich es als Geschenk auf. Eine Art Lichtblick.

Und dann hörte ich dem Menschenpaar zu. Zahlen, Werte, Normen, Ängste, Sorgen, Anspannung.
Genau wie ich.
Meine Anzahl weißer Blutkörperchen war zu hoch, so ziemlich alle Werte in meinem Blut  sind einfach  schief. In meinem Körper tobt eine Entzündung und das schon eine ganze Weile.
Da ist Krieg in mir. Biologisch und seelisch gleichzeitig.
Ich bin nur hier, weil dabei eventuell etwas zerstört wird, was mir den Bauch auch so füllen könnte. Irgendwann. Vielleicht.

Dr Mensch neben mir hatte auch Krieg.
Obwohl er doch gerade eigentlich mit etwas Besserem beschäftigt sein könnte. Den ganzen Tag diesem Wackeln zugucken zum Beispiel. Sich schön finden so kugelig. Dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht. Dass man sich gut fühlt.
Statt dessen saß er da und dachte über die Zahlen nach.

Wenn wir zu einem den Beruf des Mediziners ausübenden Menschen gehen, ist das Erste das uns abschmiert die Sprache.
Das ist ein klassisches Merkmal von Panik.
Unser Gehirn hat gelernt trotzdem einigermaßen zu funktionieren. So ist es dann nicht so, dass wir noch der Ratio oder der Fähigkeit zur Bewegung hinterher winken müssen. Doch es ist ein stumpfes, roboterartiges Existieren und ich kann mir nicht vorstellen, dass das aussen nicht auffällt und etwas ist, das ein gesondertes Fachwissen zur Erkennung erfordert.
Wir wissen das von uns und, weil wir mit dem Menschen, der Medizin studiert hat, zusammenarbeiten wollen- miteinander sein wollen und unsere Verantwortung am Gelingen dieser Zusammenarbeit übernehmen wollen- bereiten wir uns peinlich genau vor.
Es ist eine Bedienungsanleitung im Grunde.
Dort steht alles drauf. Von “Ich kann nicht sprechen, weil ich in einem Zustand von Panik bin” (- sie haben gerade eine Macht über mich) bis “Sagen sie mir jeden Handgriff den sie tun- zeigen sie mir jedes Instrument mit dem sie das tun” (- erschrecken sie mich nicht noch mehr und zeigen sie mir, dass sie wissen, dass sie eine Grenze berühren).
Es steht alles drauf. Mit rotem Stift. Alarmfarbe. Unterstrichen wie wichtig das ist.
Mit dicken Ausrufezeichen, dass wir Hilfe brauchen werden, um uns zu orientieren. Dass sowas ganz Basales, wie der Name- der Ort in dem wir leben, die Funktion des Menschen, für mein Gehirn Informationen sind, die es in dem Moment nicht abrufbar hat- selbst wenn die Untersuchung an sich schon längst vorbei ist.

Doch es ist Krieg.
Menschen mit Kriegen in sich gegen Menschen die nicht merken, vielleicht nicht beachten, dass sie Krieg mit Zahlen machen.
Der Mensch dort vor uns hat die Karten nicht lesen wollen. Nur den Kurzbrief aus der Ambulanz. Den Laborzettel mit den Zahlen drauf.

Viele grüne spitzzähnige Rosenblätter lagen verstreut, wie tot, da herum, stießen wie die leeren Worte an die Decke des Raumes oder verkrochen sich in den Ritzen der Fensterfüllungen.
Der Mensch hat keine unserer Grenzen wahrgenommen und geachtet.
Wir verwandelten uns in das Plastikmodell eines Intimbereichs eines weiblichen Menschen und haben seelisch überlebt.
Die Worte gehört, das Unverständnis wahrgenommen. Wir spürten die Grenzen des Menschen und dessen Zahlen, Normen und Werte sehr deutlich. Und hätten wir sprechen können, hätten wir uns entschuldigt. Und wenn wir uns im Verlauf vernünftiger hätten bewegen können, hätten wir den Menschen umarmt und gesagt, dass es nicht so schlimm ist, dass er aufhören kann zu schimpfen.

Heute, zwei Tage später, denke ich, dass wir uns damit trösten müssen, dass es daran lag, dass der Mensch die Karten nicht gelesen hat. “Alles wäre sicher anders gekommen, wenn die FRAU unsere Karten gelesen hätte. Alles wäre vielleicht anders gekommen, wenn wir der FRAU gesagt hätten, dass wir ein Opfer von Gewalt wurden und sowohl Schäden davon, als auch die Schäden die vom Innen zugefügt werden, zu sehen sein werden.”

Doch dann fällt mir auf, dass noch keine der Frauen mit denen ich über ihre Erfahrungen mit Menschen die den Beruf des Gynäkologen- oft genug auch des Mediziners einer anderen Fachrichtung- ausüben, jemals davon gesprochen hat, dass es eine Zusammenarbeit gab. Ein Miteinander.
“Ja, sie hat gemeint…”; “Und dann hat sie…gesagt” , “Er hat …gemacht”, “Er sagte, ich soll…”, “Sie warnte mich, dass….”
Dass alle Frauen dort in einer Welt landeten die von Zahlen und Werten… vielleicht dem Status des unantastbaren Heilers oder auch Retters dominiert wird. Nicht so oft von dem Menschen, die sich zum Instrument dessen macht oder sich in der Rolle des Retters gefällt. Und erst recht nicht von dem Menschen, der dort mit einem Heilungs- oder Rettungswunsch hinkommt.

Ich denke, vielleicht ist es ein Krieg wie bei Hartz4 oder beim OEG oder bei der Krankenkasse…
Zahlen gegen Menschen.
Zahlen, Normen, Richt- und Lei (d) tlinien die wir Menschen erschufen wie dereinst Frankenstein sein Monster, die sich nun gegen uns richten.

Von den meisten Menschen hingenommen, akzeptiert als Werkzeug und Gradmesser. Die Art, wie man zu ihnen kommt wird nebensächlich, denn wenn man oft genug- und früh genug draufhaut, dann tut es irgendwann nicht mehr weh. Und falls doch einer heult, dann kann man ihm ja immer noch sagen, er sei selbst schuld.
Das funktioniert ja immer bei biologisch weiblichen Menschen, deren Grenzen gerade verletzt wurden.

Denn das sind ja nur Frauen.

nicht das Gleiche- nur bei allen Frauen gleich

Es ist nicht vergleichbar.
Nein überhaupt nicht.

Das hier nennt man medizinische Hilfe.
Nicht Gewalt.

Es schreit im Kopf.
Doch es ist nicht das Gleiche.

Es tut weh und es gibt keine Alternative.
Ohnmächtig fühlend und nicht in der Lage sich zu äussern oder zu flüchten.
Doch es ist nicht das Gleiche.

Man wird gedemütigt.
Doch es ist nicht das Gleiche.

Uns wird das Leben gerettet
und dabei, aus Versehen, die Seele erschüttert.

Das ist nicht das Gleiche, denn andere bestimmen, was gleich ist und was nicht.

Wir waren nur beim Arzt
nicht bei einem Vergewaltiger.

Es war nur Verhelfgewaltigung.
Nichts worüber man klagen sollte.

Das erleben ja jeden Tag viele Frauen.159177_web_R_K_by_Dieter Kreikemeier_pixelio.de
Das ist ja nichts Besonderes.

Was lässt du dir das auch bieten?
Geh doch woanders hin!
Wehr dich doch!
Es ist doch nicht das Gleiche!

Eine Art #Aufschrei
Immerhin

einen Tag später, nach 30km Flucht

Rosenblätterhulk will Jauch abschaffen

Man, war ich wütend gestern Abend!
Meine Haut verfärbte sich grün, meine Haare standen mir zu Berge und immer wieder dachte ich nur: “Ich geh da gleich hin und hau die alle! Und wenn ich fertig bin, nehme ich mir Frau Kampusch, und die Herren Erlemann und Hellwig mit an einen sicheren und schönen Ort. Da passe ich dann auf sie auf, damit ihnen niemals wieder jemand so eine Scheiße um die Ohren werfen kann und sie aufhören können, sich so zu unterwerfen.”

Ganz ehrlich- ich frage mich, wie viel offener es noch sein kann, dass das Format “Jauch” ungeeignet ist, für einen Diskurs über die Themen, die dort auftauchen. Was für eine grottenschlechte Moderation und/ oder Sendungskonzeption da im Ersten lief, ist kaum zu noch zu toppen. Selbst RTL schafft es zielgenauer zum Punkt zu kommen- und sei es, indem man einem Bohlen Raum für seine Arroganz gibt- das ist ein Menschenmarkt bei DSDS und jeder weiß das- ergo gehts da auch entsprechend zu.

Bei Jauch hingegen, soll es sich um eine Gesprächsrunde zu einem Thema handeln. Man diskutiert, gleicht einander ab und lässt nach Möglichkeit umfassend Raum zur Perspektiv- und Meinungsbildung.
Was ich dort aber in der Sendung “verschleppt und misshandelt- wie gelingt ein Leben danach?” sah, hatte nichts- aber auch so gar nichts mit freier Gestaltung zu tun, geschweige denn mit einer Gesprächsführung dem Thema entsprechend.

Die Sendung begann mit einer Aufnahme von dem unschuldig-neutral- harmlos wirkendem Jauch, der folgende Fragen vorlas:
a) Wie hält ein Mensch Situationen aus, in denen er maßloser Gewalt ausgesetzt ist?- In der er einfach nicht weiß: “Werde ich das überstehen und werde ich weiterleben können?”.
b) Wie bekämpft man seine Todesangst?
c) Unter welchen Umständen muss man nach der Befreiung leben?

Eigentlich- so dachte ich, gehört der Fragenausdenker schon allein dafür auf die Strafbank. Setzen 6!- Nachsitzen- Du darfst erst wieder mitspielen, wenn du dich mit dem Thema befasst hast!

Allein, um (gerade auch Menschen, die eben nicht so im Stoff in Bezug zum Thema “Trauma und die Folgen” sind) zu zeigen, wie absurd die Fragen sind, würde dieser Artikel hier lang werden. Entsprechend versuche ich einen Mittelweg und werde dabei oft selbst nicht differenziert wirken- geschweige denn umfassend. (Aber ich bin ja auch weder Profi, noch stelle ich mich mit diesem Ding ins Fernsehen- wissend tausende Zuschauer hören mir zu und glauben wir alles, was ich sage, weil ich ja so harmlos und lieb wirke und eben nicht die Sprecherin bei RTL bin)

Zu a) Wie hält ein Mensch Situationen aus, in denen er maßloser Gewalt ausgesetzt ist?- In der er einfach nicht weiß: “Werde ich das überstehen und werde ich weiterleben können?”
Solche Situationen werden einfach ausgehalten! Da gibts keinen Plan, nichts was man später irgendwie so beschreiben kann, dass man einen Begriff draufkleben kann und dieser bedeckt das ganze Ding. (Selbst in meinem Fall, wo ich immer lese “Die Klienten helfen sich, indem sie dissoziieren” passt dieser Begriff als Antwort nicht gänzlich. Das tut keiner.)
Ich finde diese Frage absurd, weil sie impliziert, dass man Worte für das was genau in einem vorgegangen ist hat. Der Dreh und Angelpunkt bei vielen Traumakisten, ist aber eine Sprachlosigkeit- eine Leere im Kopf, die alles umfasst. Diese ist biologisch in Menschen eingebaut- nachzulesen in jeder neueren Traumaleküre.
Selbst später, wenn es viel Abstand gibt und man das Trauma (oder die Traumata) verarbeitet hat- gibt es nichts, was diese Frage- so wie sie formuliert ist- beantwortet. Niemand der ehrlich ist (und sich nicht so anpassend unterwirft, wie die drei (die Sendung) Überlebenden dort), kommt an einen Punkt an dem er sagt: “Ja also- als der Täter da so auf mich einschlug, machte/agierte/ initiierte ich…”
Der Mensch weiß nicht, ob er es überlebt und das “Danach” ist sowas von komplett weg- es ist einfach nicht da!- weil der Mensch in dem Moment (und sei es nur ein kurzer Zeitraum von vielleicht 5 Sek) es nicht wissen KANN. So oder so ist in dem Moment das Gehirn, der Geist, die Seele- der globale Mensch schlicht nicht in der Lage IRGENDETWAS zu wissen/zu denken/ bewusst klar zu haben. Es gibt dann nichts! Da gibt es nicht einmal das Denken, dass man sowas vielleicht mal denken sollte!
Das ist Traumawissenbasis, dessen Fehlen (bzw. dessen Erklärung in der Sendung) ich hier beklage!

Zu b) Wie bekämpft man seine Todesangst?
Todesangst ist nicht bekämpfbar. Wenn sie wütet ist Ende- da überlebt man- IST man und fertig.
Ein Überleben- einen Zustand!-  “kämpfen” zu nennen ist eine Umdeutung. Sie hilft manchen Menschen rückblickend, doch sie lässt einen Umstand aktiver aussehen, als er ist. Wenn man ein Überleben- ein Überstehen einer Situation “Kampf” nennt, dann ist das nicht falsch grundlegend- doch er verfälscht die Situation und impliziert die Chance auf ein aktives Handeln und das ist schlicht nicht immer gegeben, wenn man in einer Situation ist, die Todesangst auslöst.
Hier wurde ein Begriff falsch verwendet bzw. nicht differenziert genug eingesetzt. Was mich vor allem deshalb ärgert, weil dieser Begriff ein sehr wichtiger Bestandteil ist, wenn es darum geht eine Art Not zu beschreiben.

Zu c) Wie muss man nach seiner Befreiung leben?
Ich hatte mir wirklich gewünscht, dass sich in der Sendung genau darauf konzentriert werden würde. Das ist die einzige Frage, die wirklich mit dem Titel der Sendung zusammenpasste und weshalb ich überhaupt eingeschaltet hatte.

Doch wie typisch für die Jauchsche Unfähigkeit, wurde auch hier wieder verfehlt und zu Gunsten von impliziter Verhöhnung und quälender Kreiserei darauf verzichtet.
Die Gäste hätten besser moderieren können, wären sie kräftig genug gewesen dies zu tun.
Da erzählt eine Frau Kampusch dass die Vernehmungsprotokolle ihrer Qualen- der Mord an ihrer Seele!!! an die Öffentlichkeit kamen, weil die Gesetzgebung bzw. der Opferschutz in Österreich dem keinen Riegel vorgeschoben hat
und es kommt keine Reaktion!
Kein Ausdruck der Empörung, keine Nachfrage, kein Diskurs darüber, wie die Lage hier in Deutschland ist.. nichts! Nicht einmal ein Nebensatz, dass das jawohl ein Unding ist. Nicht einmal so etwas wie: “Ach du scheiße! Was muss das für eine öffentliche Demütigung für sie gewesen sein!” Nichts!

Da erzählt Herr Erlemann, dass seine Entführer frank und frei durch die Gegend laufen, reich sind, von Politikern beglückwünscht werden… und die einzige Reaktion die im heimischen TV landet ist sein bitteres Lächeln und sein Ausdruck für seine innere Vermeidungshaltung.
Bekräftigt von dem Krisenpsychologen Pieper, der noch meint, dass einem die Täter irgendwann egal sein müssten und man doch endlich irgendwann einen Punkt dahinter machen muss, weil es sich nicht lohnt immer über sein Schicksal zu jammern.
Diese Ohrfeige hab ich bis hier hin gespürt- denn: Wer einen Punkt dahinter machen KANN, darf sich bitte gerne freuen. Doch dies als Grundlage zur Heilung und zur Teilhabe am Leben danach darzustellen, ist schlicht fahrlässig in meinen Augen.

Das sitzt ein Journalist, der wegen eines normalen Gesprächs mit einem Rechtsanwalt im Iran in einem Foltergefängnis gequält wurde und es gibt nicht einmal eine Nachfrage, ob ihm unser Staat irgendwie geholfen hat! Ob er auf eine Wiedergutmachung- einen Schadenersatz- irgendetwas hoffen kann! Das finde ich auch nachwievor interessant: Haben Journalisten eine Versicherung, die sie dann auffängt- gilt Folter im Ausland als Arbeitsunfall?)

Es wurde kein Mensch eingeladen, der von seiner Familie misshandelt und gefangengehalten wurde. Es gab keine Erwähnung von der Scheiße, die sich gerade so schwer misshandelte- schockierte- traumatisierte Menschen, geben müssen, wenn ihnen Hilfen verwehrt bleiben. Die (für mich natürlich) offene Wunde mit der Therapiekostenfinanzierung von (komplex) traumatisierten Menschen, die schlicht und einfach weder bedarfsdeckend verfügbar noch zukunftsorientiert einforderbar ist… Die glänzende Zurückhaltung des Staates, wenn es um Entschädigungen der Opfer geht…

Wieder nicht aufgetaucht- obwohl es sich dabei um wichtige Teile der Lebensrealität von Menschen handelt, denen Furchtbares- Unvorstellbares- Unfassbares- Unaussprechbares angetan wurde.

Mein Eindruck von der Sendung war der, dass man viele der Fragen, die Herr Jauch in die Runde warf, auch hätte übersetzen können mit: “Wie wars denn? Sag doch mal! Ist doch jetzt alles vorbei- erzähl mal- Wie wars für dich- Was hast du gefühlt- Zeig und doch mal, was da so in dir war, dass du jetzt überhaupt noch lebst und hier so sitzt… Ja von mir aus sag halt auch, dass du ne Essstörung hast, abhängig bist und die Ziele die du dir gemacht hast, ad acta legen musstest- ja sag halt ruhig, dass du angeblich (ich klebte unter der Decke als der Jauch das sagte!) jede Nacht von deiner Gräuel träumst- ja von mir aus kannste mir auch noch sagen, dass du Einzelkämpferin bist… aber hey- ich will eigentlich nur wissen: Wie wars denn so- zeig doch mal was von deinem Elend!”. Und das, obwohl der Tenor eigentlich lautete sein Elend nicht zu zeigen, da dies in der Kategorie „Jammern“/ „Leiden“ verortet wurde!

Da sitzen sie und reden davon, dass sie die Gesellschaft nur als Opfer sehen will.
Und tun aber nichts dagegen, dass sie immer wieder nur genau deshalb in die Öffentlichkeit gelangen. Ich hätte lieber etwas über das Kinderkrankenhaus von Frau Kampusch erfahren und über das Leben von Herrn Erlemann oder die berufliche Gegenwart von Herrn Hellwig gehört, als ihnen dabei zu sehen zu müssen, wie sie sich ihre Phrasen, die sie über die klaffende Wortlosigkeit (keiner dieser Menschen hat sein Trauma verarbeitet- die sind alle noch auf dem Weg dahin!) geklebt haben, rausquetschten.
In einem Gespräch mit einem diffus voranschreitenden- aber eigentlich selbst vom Weg unwissenden Jauch.

Es war eine Sendung, die mich angeekelt hat.
Nicht weil sie offen verhöhnt hat oder die von Gewalt betroffenen Menschen dort in Positionen gedrängt hat, in denen sie eigentlich schon wieder zum Opfer gemacht wurden, sondern, weil das verhöhnende Element noch als tröstliche Schlussworte präsentiert wurden.
”Du bist nicht Opfer, wenn du Opfer bist- du kannst selber entscheiden, ob du drunter leidest und ins Leben zurück findest- es liegt alles in deiner Hand.”

Entschuldigung liebe Gesellschaft- aber das ist einfach nicht wahr!
Ich-Wir (einself- wer sich mitgemeint fühlen mag bitte gern) als Opfer möchten es euch auch so gern so einfach machen. Wären auch so gern so sehr unabhängig von Hilfen!
Wir wären so dankbar um Hilfe und Unterstützung, die einfach so käme, statt ewig und drei Tage darum zu betteln! Immer wieder und wieder zu betteln- so wie wir vor unseren Peinigern immer und immer zu betteln gezwungen waren.
Ja tut uns echt leid, dass unser Überleben als solches, nichts weiter beinhaltet, dass wir einfach noch SIND- ohne ausdrücken zu können, wie genau das passiert ist.
Ja, wir würden auch gern einfach nicht jammern. Weil wir aber nirgendwo wirklich jammern können- weil uns immer wieder alle (außer unsere echten (oft genug auch ohnmächtigen und sprachlosen) Helfer) sagen, man könne ja nicht immer jammern, quillt uns das einfach ab und an mal raus!

Wir bemühen uns so sehr (wieder) ins normale Leben zu kommen.429062_web_R_K_by_Michael Hirschka_pixelio.de
Doch wir wurden kaputt gemacht. Gebrochen. Zerstört. Und wenn man kaputt ist, wird man einfach nicht wieder so normal, wie man es hätte sein können, wäre man nie zerstört worden.

Hört auf uns vorzuheucheln, das ginge, “wenn wir uns nur…”

Hört auf uns vorzulügen, wir könnten alles was uns dabei helfen könnte kriegen, “wenn wir nur…”

Hört auf!

Lasst das einfach!

Hört auf Menschen das Gefühl zu geben, wenn sie sich auf eine Art unterwerfen und ausbeuten lassen,  wie Frau Kampusch, seien sie ein strahlendes Beispiel dafür, wie man richtig überlebt hat und richtig mit seinem Leiden umgeht.
Denn das ist einfach nicht wahr!

Hört auf Opfer im Fernsehen sagen zu lassen, es ginge ihnen so gut, weil sie sich nicht in die Opferrolle begeben haben.
Denn das ist einfach nicht wahr!

Der Rosenblätterhulk will Jauch abschaffen, weil er lügt und Lügen verbreitet und statt irgendwie in irgendeiner Form hilfreich, lehrreich oder sonst irgendwie sinnig zu sein, einfach nur dafür sorgt, dass die Masse doch wieder nur seine Vermeidungsblase zumachen kann, statt sich hinzustellen und mit den Überlebenden von Gewalt zu solidarisieren und eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Auf dass so eine Gewalt- so eine Not, schlicht keinen Nährboden mehr in unserer Mitte findet!

erwachsenes Waisenkind

Es gibt diese Verlassenheit unter Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtungen. Vielleicht ist es das Waisenkindsein, das einem niemand mehr zugesteht in dem Alter.

Ich weiß noch, dass ich damals dachte, meine Eltern wollten mich nicht mehr haben. Ich wusste nicht, was uns letztlich ins erste Heim brachte.
Ja ich nenne es Heim. Ich finde viele der Einrichtungen für Jugendliche, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, wollten Heim genannt werden. Und sie selbst, sollten sich als Waisen betrachten dürfen.

Warum auch immer, dachte ich, ich wäre einfach rahmenlos. Weder hier, noch dort hingehörend. Der Gedanke: “Keiner hat mich lieb, keiner will mich haben”, mündete für mich in einem bizarren Selbstverkauf.
Hier schau was ich kann- schau was ich mache- schau wie wichtig ich für dich sein kann- schau was ich leisten kann- bedien dich- nimm mich… Will mich doch bitte haben.

Vor ein paar Jahren dachte ich, es wäre vieles anders gekommen, wenn wir statt in eine473755_web_R_by_Günter Havlena_pixelio.de Einrichtung, in einer Pflegefamilie untergekommen wären.
Nun denke ich, dass wir vielleicht einfach auf einer Art Warteliste gestanden haben.

Und jetzt ein erwachsenes Waisenkind sind.
Meine Eltern leben noch. Sie werden noch sehr lange leben. Aber sie sind auch nicht mehr da.
Sie wollen mich nicht mehr. Weil ich kaputt bin.

Weil ich vielleicht zu heil werde.

Weil ich vielleicht die Warteliste geschafft habe und jetzt Eltern im Geist habe, die ein bisschen auf mich aufpassen und mir helfen. Menschen, die mich nicht geboren haben, die aber bei der Geburt von mir- uns in diesem neuen Leben dabei sind. Mich durch die Wehen meiner Selbstgeburt begleiten, mich schützen, nähren, tragen, halten…

Einfach so.
Auch ohne Blutsbande und Hilfeplan.

aus dem Leben von 8.38 Uhr bis 10.42 Uhr

Ziemlich genau abgepasst gleiten wir auf der Energiewelle des Schlafmangels.
Klingt komisch?
Ist aber so.
Inzwischen sind wir ca. 30 Stunden wach und jetzt ist die Kurve oben. Der Körper schaltete auf “sicheren Platz zur Ruhe suchen- JETZT”

Naja- wir trugen ihn jetzt erst mal zum Arbeitsamt.

Lief richtig gut- dafür, dass das erst der zweite Termin so ganz ohne Betreuungsrückenstärkung war. Wir haben uns vorbereitet und haben alles ansprechen und klären können. Coole Sache, wir werden also nicht verhungern müssen und gegen einen Besuch der Abendschule sprechen auch keine eventuellen Fallstricke in Richtung (dann) erneute ökonomische Abhängigkeit zu Menschen, von denen wir nicht mehr abhängig sein wollen.

Hach ja… so entschwebten wir dem großen Klotz inmitten der Schneeflockenwirbel.

Schnell noch ins Einwohnermeldeamt, beweisen, dass es uns gibt. Fragen, ob sie noch alle Latten am Zaun haben (oder sie lieber eine Hecke pflanzen möchten) und dann sollte es nur noch schnell…

Ja.
Mit schnell war dann erst mal nichts mehr. Wir wollten nur noch ein paar Bögen Papier kaufen. Dazu durchquert man am Einfachsten die Fußgängerzone.
Ich glaube, der Wegegänger mag dieses Wegstück, weil es Fahnen, spiegelnde Flächen, wackelnde Tischdecken, Markisen und symmetrisches Pflaster gibt. Er hat eine schräge Wahrnehmung und die Gefühle, die so spürbar sind, sind sehr “roh”- unbehauen sozusagen. Ohne Überlegung, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht.
Es ist ein bisschen, wie einem Kind beim Spielen zuzugucken für mich, wenn ich so in seiner Peripherie bin. Unbeschwert, wenn es Bewegungen gibt, denen er folgen kann- Musik in den Ohren die ihn schützt. Es freut mich für ihn, wenn es schneit. Denn für ihn ist es, denke ich mal, einfach wunderbar.

So traf mich sein Schmerz, als wir Zeugen wurden, wie ein Radfahrer eine Taube anfuhr- und einfach weiter radelte.

Wir haben so etwas nun schon drei Mal hier in dieser Stadt erlebt. Und auch schon mehrere Male118925_web_R_by_lanxam_pixelio.de totgefahrene oder einfach so gestorbene Tauben in der Fußgängerzone auf dem Weg liegen gesehen.
Wir können dann nicht einfach vorbei gehen.
Egal wie “krank und eh bald tot” und “eh zu niemandem gehörend” und “eh nur Ratten der Lüfte” sie sind, es gibt bei uns das dringende Wissen, dass kein Wesen auf der Welt allein sterben und dann so ungeschützt da liegen sollte. Egal warum, wann, wie und wo.

Da geht es nicht um Mitgefühl, Nächstenliebe, Menschlichkeit oder Tierliebe, Es ist nur dieses dringende Wissen.

Wir blieben als Einzige stehen und hoben das Tier auf. Es war klar ein Todeskampf und es dauerte auch nicht lang, bis es vorbei war. Aber sie war nicht allein.

Und wir auch nicht.

Es kam ein Mensch auf uns zu und fragte, wie es stünde. Naja- war ja nicht mehr viel zu stehen. Wir sagten ihm, dass sie nun gegangen sei und es vorbei ist.
Er fragte, was wir nun mit dem Körper anstellen würden. Ganz ehrlich: das “wir” in dem Satz, hatte uns mehr schockiert, als der Unfalltod des Vogels in unserer Hand.

Die anderen Male, wenn wir ein totes Tier sahen, griffen wir zu einer der Plastiktüten für NakNak*s Haufen und legen den Körper dann in einen Mülleimer der Stadtreinigung. Diesmal gaben wir einen unserer Stoffbeutel her.

Die Papierbögen haben wir nicht mehr gekauft. Wie der Mensch heißt, wissen wir nicht und ob wir ihn je wieder sehen werden, auch nicht. Aber es war ein furchtbar schön-schrecklicher Moment.

Als wir dann in der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause saßen, dachte ich darüber nach, wohinein ich diese Episode einbetten könnte, wenn ich blogge. Wie der Titel sein könnte und was für eine Botschaft in ihm stecken würde.

Dann fiel mir ein, dass wir im “Lauf der Dinge” schreiben.

Das war der Lauf der Dinge.
Heute. Hier in dieser Stadt. Im Leben eines Menschen von 8.38 Uhr bis 10.42 Uhr.

Für sich eingetreten, für sich gekämpft, einer Taube beim Sterben beigestanden, ein Wir mit einem Fremden erlebt. Alles mit einer Tasse Kaffee im Bauch und hoffend, dass das Energietief auf den Schlafmangel, noch etwas auf sich warten lässt.

Akut oder nicht? oder: Hilfe schmerzt

Wir stehen vor der Frage ob wir einen Mediziner aufsuchen oder nicht. Und wenn ja- wie wir die Frage beantworten, ob es akut ist oder nicht. Ob (schnelle) Behandlung nötig ist oder nicht.

Und stehen damit sofort schon wieder vor dem Problem, die Themenfelder darum herum nicht sortiert zu bekommen, um die Frage richtig zu beantworten. Wieder klaffen innen und außen komplett auseinander und erscheinen kaum vereinbar.

Das Schmerzempfinden ist die meiste Zeit des Tages “abgeschaltet”. Die Alltagsinnens empfinden entweder schlicht keinen, schweben die meist Zeit eher neben dem Körper oder sind einfach nur Kopf/ Muskel/ Bewegung/ Reizempfänger- nicht der Rest des Körpers bzw. mit ihm verbunden.

Das war früher sinnig und in Anbetracht der Selbstverletzung bis jetzt, ist es das auch noch heute.

Das Problem ist, dass man so auch schnell blind für ein Leiden wird. Nicht weil man unaufmerksam ist oder weil man keine Heilung will- sondern weil ein grundlegendes Definitionsmerkmal fehlt: eine Belastung oder Einschränkung (durch Schmerzen in diesem Fall) derer man sich bewusst ist.

Wir haben es bis heute nicht geschafft, auch nur eine Erkrankung dann wahrzunehmen, wenn sie nicht schon dramatisch ist. Von der Blasenentzündung bis zum Ohrinfekt, Zahnprobleme die “plötzlich” zu Kieferproblemen wurden und “so komisch abstehende Zehen”, die sich als gebrochen herausstellten. Alles schon gehabt. Nie provoziert oder selbst zugefügt. Einfach nur mitgenommen, so wie jeder Mensch mal einen Infekt oder eine Verletzung mitnimmt und dann, einfach nicht bemerkt. Und erst dann eine Belastung erfahren, als es bedrohlich wurde.

Ja, man wundert sich zwischendurch mal, warum das Innen instabil ist. Natürlich fragt man sich, wieso dieses oder jenes Innen plötzlich öfter im Alltag auftaucht oder einfach näher unter der Oberfläche fliegt. Und ja, kurz denkt man auch darüber nach, dass eine körperliche Erkrankung der Grund sein könnte. Doch der automatische Selbstcheck sagt ja “Nö- hier ist alles tutti”, also schreitet man auch nicht zur Überprüfung- zumal selbige auch schon wieder nur dann funktioniert, wenn es einen Wechsel gibt zu denen, die das überhaupt so aushalten mit dem Körper konfrontiert zu sein. Und das schaffen wir nicht ohne Bedrohung.  (Sidestep: Sinn der DIS- Wechsel aufgrund von Notwendigkeit- nicht von Bequemlichkeit oder aus Gründen der Praktikabilität)

Für uns ist es also schon ein Akt bis es ein breites Bewusstsein um Erkrankungen oder Verletzungen gibt. Das gilt auch für die Folgen von Selbstverletzungen, bei denen inzwischen noch andere Dinge mit hineinspielen.

Viele Aspekte des selbstverletzenden Verhaltens hier, sind längst nicht mehr wie früher dem Unterbrechen von Depersonalisation oder dem Zeigen von Verletzlichkeit und dem “Verletzt worden sein” dienlich. Diese Funktion erfüllen nun Sprache und Skills, die wir so gut es geht einsetzen und nutzen. 63965_web_R_by_stefane_pixelio.de

Inzwischen geht es ausschließlich um Wiederholungen und das als zwingend wahrgenommene Weiterführen von Handlungen, um Verhaltensmuster und/ oder Funktionen innerhalb früherer Sozialbezüge zu sichern und aufrecht zu erhalten. Und sei es als Absicherungs/Stabilisierungselement für Innens [BÄÄÄMs] die sich abhängig davon sehen.
Diese Verletzungen dürfen- gemäß der Werte jener Sozialbezüge oder auch im Rahmen des Zwangs- gar nicht als belastend empfunden werden, sondern als Warnung, als Auszeichnung, als Bestätigung einer Demütigung oder als Zeichen der Macht welche den (inneren) Tätern nachwievor obliegt.

Wenn man zum Arzt geht hingegen, dann tut man das nicht, weil man unter einer Auszeichnung  oder einer “zu Recht” empfangenen Strafe leidet, sondern, weil man unter einer Belastung/ Einschränkung leidet.
Das heißt, man muss seine Versehrung umdeuten.
Man muss verleugnen, was war und sagen, dass man eine Belastung erfährt- obwohl  man es vielleicht gar nicht tut. Oder unter der Konfrontation mit der Leidensdefinition des Arztes zu zerfallen befürchtet.

Für uns heißt das gleich wieder mehrere Punkte
– Lügnerin (eigentlich schon wieder Rechtfertigung für alles)
– Abtrünnige (ja- stimmt- was soll man dem entgegensetzen?!)
– Weichpitti (schon klar- nur die harten , die sich nicht anstellen…jattata jattata…)
– Diebin (nimmst Hilfe, die du nicht haben darfst)

Großartig.
Und wieso sehen wir uns gezwungen überhaupt zum Arzt zu gehen?

Da ist zum einen die Ärztin in der Ambulanz, die auf mich eingeredet hat, als könnte ich meine Organe eigentlich schon jetzt zur pathologischen Begutachtung da lassen und zum Anderen die Vereinbarung mit der Therapeutin, ärztliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, sobald diese nötig erscheinen.

Über das Stadium in dem wir uns aus solchen Absprachen herausschlängeln, in dem wir die Frage aufwerfen: “Sobald diese nach wessen Definition notwendig erscheinen?”, sind wir eigentlich schon mal hinweggewesen.

Aber jetzt ist es wieder da.
Vielleicht nicht mal nur so als Vermeidungstanzelement, weil wir Angst vor der Bewertung der Ärztin haben und dem Moment der Scham entgehen wollen, sondern tatsächlich als tiefe Frage.

Die aktuelle Selbstverletzung zentriert sich auf einen Punkt, an dem Vergangenheit und Zukunft Hand in Hand gehen. Da geht es um unglaublich viel Macht und viel Druck diese zu behalten und zu nutzen.
Genauso aber, wie es auch noch immer ein bisschen in der Therapie darum geht.

Es ist eine Synchronizität, die so nicht gezielt passiert ist, sondern sich jetzt eben so darstellt und es ist die gleiche wundergut-fantastischlimme Grätsche der Hilfen.
Es ist gut, dass wir sie annehmen könnten. Dass, das in “der Welt der Anderen” einfach annehmbar wäre und auch die Schamgefühle und so weiter erlaubt und akzeptiert wären bzw. man eine Erlaubnis und eine Akzeptanz selbiger einfordern dürfte. Ja, das ist toll.

Doch wo sind wir?
Unsere Welt von früher- die in uns nachwievor weiterlebt und genauso grausam, wie doch aber logisch nachvollziehbar ist, passt so überhaupt nicht dazu.
Und wo- außer in mir selbst- werde ich jemanden finden, der mich davor bewahrt an meiner Versehrung zu sterben, ohne einen Frevel zu begehen?

Das ist als würde ich einen Arzt suchen, der meinen Körper behandelt und mir anschließend ein Bein absägt.

Oder eben eine Therapeutin, die hinnimmt, dass ich an einer Sepsis sterbe, noch während sie mir hilft, die ursächlichen Verletzungen zu verhindern.

Es ist ein Patt.
Und eigentlich gibt es wieder keine Gewinner.

Es ist klar, dass der Arztbesuch in jedem Fall furchtbar für uns wird. Egal, wie gut wir uns vorbereiten oder lieb begleitet werden und auch egal, welche Diagnose oder Behandlung am Ende vor uns steht.

Und es ist klar, dass allein der Umstand diese Hilfe an Anspruch genommen zu haben- obwohl es noch nicht einmal von uns aus und wirklich freiwillig passierte, erneut eine Selbstverletzung zur Folge haben wird.

Genau wie in Bezug zur Psychotherapie.

Manchmal denke ich, wir laufen durch ein Spiegelkabinett. Es sind immer die gleichen Dinge. Immer ist eigentlich schon alles glas-klar. Doch dann schaut man genauer hin, nimmt die Unterschiede wahr und jedes Wissen wird abhängig von einer Übereinstimmung der Definitionen.

Oder Chance eines Konsens der so utopisch erscheint, dass er zum heiligen Gral wird.
Zum Therapieziel.

Vielleicht
zum einzigen Grund des Überlebens derzeit.

Opferrolle- mal wieder… diesmal mit Täterrolle und Mustern als Beilage

“Wenn du nicht aufhörst in der Vergangenheit herumzustochern, dann kannst du auch nie aus der Opferrolle raus… Weißt du, so bedient man Muster.”

Es knallte.
Innen natürlich.
Von innen kam allerdings auch eine Entgegnung, die ich hier unbedingt festtackern wollte:
“Es ist meine Vergangenheit, da kann ich soviel drin rumstochern, wie ich will.”

Ja, mein Innenleben ist manchmal schon so viele Schritte weiter als ich.
Ich lasse mir solche Sätze sagen, mich dann umfassend darüber aufklären, dass ich völlig falsch mit meinen Problemen umgehe und verbringe ein paar Tage oder Wochen damit, noch mehr als sonst meine Vergangenheit und ihre Ausläufer von mir fernzuhalten.
Also unterm Strich: Mich mir selbst mit meiner Lebensrealität vom Leib zu halten.
Um keine Muster zu bedienen.
Nicht in der Opferrolle zu verharren.

Dabei kräuseln sich sogar mir inzwischen die Innenseite der Gedärme, wenn ich den Begriff der Opferrolle so verschrägt benutzt sehe.

Nochmal für alle:

Der Begriff der Opferrolle beschreibt die Position eines Menschen in einer Situation. Nichts weiter.
X wird von Y gehauen, so ist X in diesem Moment in der Opferrolle. Punkt.

Geht X irgendwohin und sagt: “Ich kann dies nicht, ich kann das nicht, weil ich ein Opfer bin. Und ich werde das auch nie können, weil ich ja auch immer Opfer sein werde. Also: (hilf mir)- hab mich lieb- lass mir alles durchgehen- ich darf das, weil ich ja so ein dolles Opfer bin…”, kann man sagen, dass X auf einem OpferSTATUS pocht.
X verlangt eine (Sonder)Behandlung aufgrund seines Status als Opfer. Das kann gerechtfertigt sein oder auch nicht. Hat aber an sich nichts mit der Position (der Rolle) in der Gewaltsituation zu tun, sondern mit dem sozialen Miteinander und/ oder dem Leiden unter den Folgen dieser Situation.

Ich habe mich jetzt schon an ganz vielen Stellen darüber geärgert, dass kaum jemand diese Differenzierung vornimmt. Vorallem ärgert mich das bei den Menschen, die mit mir zu tun haben und mich sogar mehr oder weniger deutlich immer wieder von selbst darauf stoßen, was mir alles durch meine Gewalterfahrungen fehlt, (noch) verwehrt ist und auch tatsächlich eine Art Sonderbehandlung erforderlich macht.

Zum Beispiel mein inexistenzes Körpergefühl.
Zum Beispiel meine regelmäßigen Amnesien.
Zum Beispiel die Tatsache, dass ich meine Seinszustände als fremde Menschen wahrnehme. Zum Beispiel, dass ich eben schlicht nicht hinkomme mit 120 Stunden Psychotherapie.

Das sind alles Dinge auf die ich sehr gerne verzichten würde, denn sie bringen mich immer wieder in eine passive Position- in die Bettlerposition- in die “ausgeliefert sein”-Position. Egal, ob ich es will oder nicht. Egal, ob ich einen Opferstatus gegenüber den Menschen habe oder nicht.

Keiner, dem gerade ein Zahn unter örtlicher Betäubung bearbeitet wurde,kann einen Weitspuckwettbewerb gewinnen.
Keiner, der einen alkoholbedingten Filmriss hat, kann sich erinnern, was gewesen ist.
Keiner, der so aufgeregt ist, dass er “nicht mehr er selbst ist”, kann runterkommen, wenn ihm nichts und niemand dabei hilft.
Jeder der Hilfe braucht, braucht sie so lange bis er eben keine mehr braucht.

Ich aber “sollte besser mal nicht so darauf beharren. Weil wegen Opferrolle und so. Und ist ja eh alles schon vorbei. Das Leben muss ja weiter gehen. Das Leben ist ja nicht nur die Vergangenheit.”
Sobald ich versuche Kontrolle durch Aufklärung und Einbeziehung meiner Umgebung zu erreichen, mache ich mich angreifbar. Sobald ich jemandem sage, dass ich ein Opfer von Gewalt wurde und bis heute unter den Folgen leide und deshalb manche Dinge schlicht (noch) nicht kann, begebe ich mich auf eine Schneide.

Es kann sein, dass ich genau richtig behandelt und unterstützt werde- es kann aber genau so sein, dass ich zu hören bekomme: “Nu is aber Schluss- also ne- man kann es sich auch gemütlich machen in der Opferrolle”, weil mein Gegenüber- warum auch immer- gerade keine Kraft, Lust, Zeit, dafür hat, mich zu sehen und mir meine Probleme schlicht zuzugestehen.
Oder, weil es für denjenigen schlicht nicht aushaltbar ist, zu sehen, wie ich mich immer und immer wieder an den selben Dingen aufhänge und (noch) keine Veränderung schaffe.

Ich frage mich,  wo ist da das Problem genau das zu kommunizieren, statt mir unterzuschieben, ich könnte, wenn ich nur genug wollte? Mir also zu suggerieren, dass ich in jedem Fall, die Probleme die mich lähmen, auch ohne Hilfe angehen könnte.

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Und schon sind wir bei Mustern.
Ich habe den Eindruck in eine Rolle gedrückt zu werden, wenn mir jemand sagt, dass ich “es ja nun auch endlich gut sein lassen kann”. Nämlich in die Rolle des ewigen Störenfrieds oder der des sich widerrechtlich etwas Aneignenden oder des Menschen, der egozentrisch ist und einen Status ausnutzt, um beachtet oder geliebt zu werden.
Ganz ehrlich- jeder Status eignet sich dazu- nur nicht der des Opfers.
Als Opfer ist man immer klein, immer ausgeliefert und machtlos.

Und nur einem Opfer kann man solche Dinge überhaupt unterstellen. Das ist etwas, das gesellschaftlich breit akzeptiert und immer wieder untermauert wird. Unhinterfragt patriarchial gestützt.

Entsprechend kam ich später zu dem Schluss, dass ich in dem Moment, als mir dieser (ansonsten sehr liebe) Mensch diesen Satz sagte, in eine Täterrolle, begründet von meinem Opferstatus, gedrückt wurde.

Von seinem Muster nämlich:
“Zu schwer- zu schlimm- zu schmerzhaft” *flupp Vermeidungsblase zu*
“Schnell vermitteln: “Sie soll aufhören mir weh zu tun”- ich kann das nicht aushalten. Sie ist so eine Böse, wenn sie das macht- wenn sie mir das antut”.

Das stimmt auch. Ich sollte Rücksicht nehmen, so wie ich das von anderen Menschen verlange.
Und da ist ein Punkt, den ich mir annehme und den Satz aus dem Innen abändere:

“Es ist meine Vergangenheit, da kann ich soviel drin rum stochern wie ich will. – Aber ja: ich kann aufhören, das in deiner Gegenwart zu tun (bzw. versuchen dich von meinen Folgeproblemen fernzuhalten), wenn du mir sagst- oder ich den Eindruck habe, dass es dich verletzt oder nicht gut fühlen lässt.”

Die Folge ist dann aber auch, dass ich nicht mehr ganz da bin und etwas unsichtbar zu machen helfe.

Es ist ein Kritikpunkt von vielen Menschen, dass viele Menschen, die einmal zum Opfer von Gewalt wurden, diesen Umstand in ihr Selbstkonzept einbinden.
Applaus und Unterstützung bekommt, wer dies verleugnet und so tut, als wäre dieser Punkt  nichts weiter. Wenn man stark voran schreitet und dem Vergangenen ins Gesicht lacht. Oder dies zumindest will.

Doch ich merke inzwischen immer mehr, dass das etwas ist, dass kein Opfer für sich selbst tut.
Man gilt als schwach und als Täter [nämlich als diejenige, die böse böse böse (Schadenersatz- Verhaltensmodulations- Hilfs) Ansprüche stellt und damit die Menschen mit schmerzhaften Tatsachen konfrontiert, ohne dass sie sich wehren können (angeblich- denn ne- eigentlich wehren sie sich ja ganz gut!)] gleichzeitig, wenn man sein “Zum- Opfer- geworden- sein” öffentlich macht.

Es wird nicht angenohmmen, wie sehr man sich durch diese Öffentlichkeit ausliefert. Sich eigentlich schon wieder in eine Position begibt, die sehr viel leichter in eine Opferrolle kippen kann, als in eine tatsächliche Täterrolle.
Es wird nur angenohmmen, dass man, eventuell vielleicht, anderen unbetroffenen Menschen damit “schadet”, weil man sie (auch) konfrontiert.

Und das ist doch eigentlich pervers, oder? Seit wann und in welchen Kontexten genau ist es schädlich damit konfrontiert zu werden, dass Menschen mit Gewalterfahrungen, ihr Leben lang unter den Folgen leiden könnten? Teile ihres Selbstes immer Opfer sein könnten. Immer leiden könnten.

Eigentlich doch immer nur in den Kontexten, in denen die Vermeidungsblase derer verletzt werden könnte, die keine Verantwortung für die Umstände übernehmen wollen und auch nichts verändern wollen.
Sei es direkt oder indirekt.
Und sei es nur in dem Bezug, den betroffenen Menschen einfach nur zuzugestehen, dass es so ist, wie es ist, weil es eben so ist- und nicht weil man einen sozialen oder wirtschaftlich bereichernden Vorteil daraus zu ziehen versucht.

Wenn mir mein Opfersein soviele Vorteile verschaffen würde, wie ständig unterstellt, dann hätte ich keinen Grund selbiges als Grundlage für meine Kämpfe um Hilfen und Ausgleich zu verwenden. Ich bekäme sie einfach, könnte heilen (oder zumindest den entstandenen Schaden ausgleichen) und in das Leben “der Anderen” hineinwachsen…

Nacht

01:00 Uhr Eigentlich, das weiß ich, ist es dumm jetzt ins Bett zu gehen.381421_web_R_K_by_Viktor Petrow_pixelio.de
Es gab Nahrung, das Innen brodelt und raunt mir etwas an den Rand meiner Hörperipherie.

Und doch ist es, als wäre der Körper übermüdet von den Kämpfen. Wie ein gefallener Krieger, dankbar ob der Ohnmacht, rauscht er in einen Schlaf.

03:34 Uhr Sie schreckt auf, den Schweiß auf der Haut, wie im Hochsommer. Da ist die Angst, die abgrundtiefe Angst erwischt zu werden. Fast spüre ich es selbst, doch mehr sehe ich es, wie sich die feinen Härchen aus den Poren schieben und alle Nässe an ihnen herunterperlen lässt.

Mein Gesang erreicht es nicht. Dieses Kleine erfährt keinen Trost durch meine Stimme, meine Nähe, meine Versicherung, dass ihm nie wieder jemand Leid zufügen wird.
Zum ersten Mal bin ich diejenige auf der anderen Seite.

Ich schwebe innen und außen, umkreise und sehe es. Und doch kann ich es nicht auf meinen Rücken nehmen. Es ist, als sei es unter einem faradayschem Käfig gefangen.

Es müht sich ab, kriecht vom Bett herunter, um darunter Schutz zu suchen. Atmet. Hat die Augen weit auf. Überlebt. Gibt keinen Laut von sich.
Ich kann hören, dass es Schritte hört. Sie kommen von innen, gehören ihm.
Dem Grauen.

Ich werde Zeugin.
Zeugin, wie ich immer schon die immerwährende Zeugin bin.

Die Gewalt lässt mich erstarren, mein Gefühl der Zeit schwanken. Ist nun heutejetzt oder damalsgestern?

Ich sehe erneut wie es gebrochen zurückbleibt, erneut den Schutz der Enge sucht. Nun wimmernd, fiepend, hochfrequent jaulend und doch stumm. Sein Schmerz muss unsäglich sein.

Nach einer Weile hören wir das Klicken von NakNak*s Krallen auf dem Laminat. Sie nähert sich, geht ums Bett herum, schiebt ihre Nase darunter. Ich glaube sie spürt, dass jetzt kein Augenblick für Nähe ist, denn sie bleibt außerhalb dieser Höhle. Legt sich aber doch davor, betont desinteressiert, aber achtsam.

Es vergeht Zeit. Der Atem geht langsamer. Das Kleine hat es geschafft.
Sein Fell verändert sich, wird borstiger und dunkler. Dieses andere Kleine kriecht an NakNak* heran und vergräbt seine Nase im Fellwirbel an ihrem Bauch.

Sie beruhigen einander. Geben keinen Laut von sich, sprechen auf einer Ebene, die in sich geschlossen ist.
Ich kreise weiter, versuche sachte Kontakt aufzunehmen und bin doch selbst zu erschreckt.

Die Sonne geht auf und mit jeder Minute die mehr Licht bringt, verschwindet das Fell. Der übermächtige Schmerz flacht ab, verdünnt sich zum normalen Grundgefühl. NakNak* scheint zu spüren, dass sie nun albern sein kann. Ihr Fang wird rund, das Gesicht welpig. Es ist eine spielerische Mutation die nun losgeht.

Ich bin froh, sie wieder zu fühlen. Meine kleine mutige Starke. Sie schüttelt sich den Rest des Leidens vom Sein und macht Quatsch mit unserer Hündin.

Es ist 07:32 Uhr.
Und mir ist plötzlich klar, warum wir Schlaf gegen Nahrung tauschen müssen.

Der Schmerz ist schlicht schlimmer.

Immer schön unbiestig, bitte!

Die Schöne und das Biest.
Als eine der bezauberndsten Liebesgeschichten gefeiert, entlockte mir dieser Film wiedermal ein gepflegtes Kopfschütteln, verbunden mit der Frage, wo sich die Liebesgeschichte denn genau versteckt hat.

Doch von Anfang an.
Würde ich im Disneyland Bestimmerin sein, ich würde ZauberInnenlizenzen verteilen. Demnach dürfte nur noch verzaubern, wer gerecht verzaubert.
Wie unfair ist es bitte, einen hartherzigen und oberflächlichen Prinzen PLUS seinen ganz und gar nicht hartherzigen und oberflächlichen Hofstaat zu verzaubern?! Ich finde, wenn sich ein Jugendlicher daneben benimmt, dann hat er die Strafe für sich allein zu tragen- und nicht noch alle drumherum, die nur weil sie von selbigem abhängig sind, so handeln, wie sie handeln.
Zumal sich mir noch die Frage stellt, wie es überhaupt sein kann, dass ein unter 21 Jähriger ganz allein- ohne seine Eltern- über ein ganzes Land herrscht. Aber okay- die Zeiten waren früher ja auch anders. Jeder Pharao hat als Teenie seinen Sarkophag ausgesucht…
Und- wie dreist ist es bitte, dem Prinzen auch noch aufzdrücken, welchen Geschlechtes der Mensch sein muss, der sich in ihn verlieben muss, um den Zauber zu brechen?!

Naja, dann ist da halt die Rose und der Spiegel.
Gut die Rose ist verzaubert- check- deshalb schwebt sie so herum mit rosa Flimmer drum rum- Ok
Dann der Spiegel “als einziges Fenster zur Außenwelt”- okay warte mal- die Zauberin hat ihn äußerlich so hässlich gemacht, wie sie ihn innerlich sah- ihm aber weder die Beine, noch seine Fortbewegungsmittel weggehext. Wieso also ist der Spiegel, sein einziges Fenster zur Außenwelt?!

Aaaah- die Antwort erfahren wir, als wir uns in das kleine Dorf begeben, in dem Belle und ihr Vater Maurice wohnen:
Wer nicht mindestens so denkt, liebt und lebt, wie alle anderen, der ist nur erwünscht, wenn er wenigstens gut aussieht. Dies ist die Lebensrealität von Belle und ihrem Vater. Sie sind offenbar die Dorfnerds. Er Erfinder und sie Leseratte (Disney hätte sich, meiner Meinung nach, nichts abgebrochen ihr vielleicht mindestens ebenfalls einen Erfinderinnenstatus zuzugestehen- hint: Sexismus in Disneyfilmen: kaum eine der weiblichen Figuren kommt bis heute über den Assistenz- oder BegleiterInnenstatus hinweg).

Je mehr Menschen so denken, desto unwichtiger sind die inneren Werte und das Verhalten untereinander. Man wertet einander so lange ab, bis nur noch Menschen als “anhimmelnswürdig” betrachtet werden, die so sind, wie der eigentlich biestig-abstoßende Gaston.

Belle lebt also ein typisches Außenseiterleben und hat, statt eines Spiegels nur ihre Bücher als einziges Tor zur Außenwelt. Sie verwehrt sich gegen die in Anspruchnahme Gastons und seinen Ambitionen sie zu heiraten.
Leider wird nicht deutlich, wie abhängig Belle eigentlich davon ist, jemanden wie Gaston zu heiraten. Nur ihre (später gezeigte) immer schwelende Angst, dass ihr Vater sterben könnte, lässt darauf schließen, dass wie nötig es für sie ist, von einem Mann versorgt zu werden. Sie selbst hat keine Arbeit- als was könnte sie auch erfüllend arbeiten in einer Umgebung in der Erfinder und Denker als Schwachköpfe gelten?

Belles Vater verirrt sich auf dem Weg zum Markt und landet zufällig im Schloss des Biestes und seines Hofstaates. Die Menschen in Möbelgestalt freuen sich über Besuch. Endlich mal was los! Wie schön mal jemand anderen zu bedienen, als den, dem sie ihre tägliche Qual des Zaubers zu verdanken haben und der sie obendrein noch nicht gut behandelt.

Das Biest sieht das natürlich anders. In seiner nachwievor herrschenden Egozentrik denkt es, der alte Mann, der was von seiner Angst und Verzweiflung herumstammelt, sei nur gekommen, um ihn anzustarren und zu verhöhnen.
Einmal BUUUH gemacht und schwupp macht der Alte auch das, was das Biest kränkt: Er reißt entsetzt die Augen auf. Warum ist dem Biest natürlich gleichgültig- in seinem Elend muss es natürlich alles auf sein Aussehen beziehen. Klar- mal grad richtig zu reflektieren ist nicht drin. Es leidet unter seinem Aussehen, also müssen alle anderen genau das furchtbar finden. Logisch.

Maurice wird ins Schlossverlies gesperrt, wo sich wenig später Belle für ihn eintauschen lässt. Ganz das liebe aufopferungsvolle Töchterchen. Nicht das Papi noch hier stirbt…

Die Schlossbewohner wittern Morgenluft: Haaa etwas Weibliches im Haus!
So- jetzt hier- Liebe- los- sofort! Wenn schon männlich und weiblich so unter einem Dach sind, 617968_web_R_K_by_Oliver Mohr_pixelio.de dann geht das auch noch… Vermutlich wäre es zu progressiv gewesen, Maurice einen hübschen Sohn zu geben, der sich für ihn austauscht… vermutlich hätte man einem Sohn auch nicht diese Selbstopferung so abgekauft, wie einer Tochter… und naja- wie Disney zu Homosexualität steht ist ja auch klar…

Naja, jedenfalls gehts jetzt los. Jede Menge Lieder, viel mehr oder weniger seltsam- lustige Szenen in denen eine Annäherung beider Akteure darzustellen versucht wird.
“Du magst Bücher?- Hey guckst du- hab ich fette Bibliothek.”
“Du frisst wie ein Schwein? Hm, schau mal, ich lege auch meinen Löffel beiseite”
”Guckst du ich mach dich nicht nur an- ich rette dich noch vor Wölfen, wenn du abhauen willst”

Derweil versucht Maurice verzweifelt aus seinem Idiotenstatus heraus auf seinen Verlust und seine Not aufmerksam zu machen und Hilfe zu erhalten. Natürlich hört ihm niemand zu. Er gilt als Depp- sein Wort zählt schlicht nicht.
Schlimmer noch, wird dieser Status später von Gaston dazu verwendet, ihn in erpresserischer Absicht in die Irrenanstalt der Stadt zu sperren. (By the way- die Darstellung des Anstaltsleiters entspricht dem altbekanntem Antisemitismus…man hätte der Figur auch gleich den Namen “Gargamel” geben können- ein Seitenhieb, der uns hier richtig unter der Decke kleben ließ).

Naja, Belle rettet erstmal noch schnell wieder ihren Vater vorm Sterben und versucht den von Gaston immer wieder aufgerührten Mob von der Friedfertigkeit des Biestes (dessen Existenz sie mit dem Spiegel beweist) zu überzeugen. Selbstverständlich ohne Erfolg.
Wäre ja noch schöner, wenn jemand einem Verrückten und seiner verrückten Tochter glaubt- egal wie sehr man sie haben will und wie schön sie ist.

Die Meute also zum Schloss.
Innen hockt ein Biest, das sich mächtig bemitleidet und darin von seinen Untergebenen wieder einmal unterstützt wird. Sie hat ihm nie gesagt, dass er ihr egal ist- aber weil sie ja weggeht, kanns ja nur daran liegen, dass… Dass sie vielleicht grad noch was anderes zu tun hatte- ph! Die Nöte der Anderen. Wozu Verständnis aufbringen, wo man doch soooo leidet!

Der Hofstaat kämpft erfolgreich gegen die Dorfbewohner, während Gaston den Mann gegen Bestie- Kampf sucht und bekommt. Gaston geht es schon lange nicht mehr um Belle- er befriedigt nur noch seinen Hass gegen alles, was anders ist als er.
Das Biest hingegen erfährt zum ersten Mal Oberwasser, weil Belle ihm zuguckt.
Zack! super Gelegenheit: “Guck mal wie stark ich bin und wie ich den Wurm hier fertig mache!”.

Das Biest wird in dem Kampf verletzt, Gaston stürzt vom Dach.

Und bei all dem Kampftestosteron in der Luft, bleibt Belle ja gar keine andere Wahl, als sich in das Biest zu verlieben. Wen soll sie denn auch sonst nehmen? Ist ja keiner weiter da, der auch so anders ist wie sie und sich obendrein noch für sie töten lässt.

Und dann oh Wunder…
verwandelt sich das Biest in einem Menschen. Namenlos- wie alle Disneyprinzen. (Wobei ich bei der Recherche herausgefunden habe, dass er “Adam” heißt- aber in dem Film, gibts wieder keinen) Ein tiiiiefer Blick in die Augen zeigt Belle, dass der Mensch vor ihr nun nur anders aussieht als vorher, aber noch immer der Gleiche ist. Okay- check- dann gibts endlich den Kuss auf den die ganzen vielen Schlossbewohner gewartet haben und die Verwandlung beginnt auch für sie und die Umgebung des Schlosses.

Feini! Sind jetzt alle wieder gleich unter Gleichen.
Schön ne?

And now- think about this:
Hätte sich Belle in den Prinzen verliebt, wenn er frei an ihrem Haus vorbei geritten wäre und sich vor ihr produziert hätte, wie Gaston?
Und umgekehrt- hätte sich der Prinz/ das Biest für Belle interessiert, wäre sein Wohl und Wehe nicht von “der wahren Liebe” abhängig gewesen?

Ich habe keine Liebesgeschichte gesehen. Nur eine Darstellung davon, wie nötig es ist, gleich unter Gleichen zu sein, um einen aufgedrückten Bann zu brechen, um widerum ohne Leiden und in Gemeinschaft sein zu können.
Mit Liebe hatte das wenig bis nichts zu tun.
Ich hätte eine Liebesgeschichte gesehen, wenn das Biest ein Biest geblieben wäre, geliebt von einem Menschen der ihn so liebt wie er ist. Unabhängig von äusseren Einflüssen.

von dem Wunsch ein Chamäleon zu sein

“Ich mag so gern ein Chamäleon sein. Dann säh ich immer gleich unter Gleichen aus und 133375_web_R_by_Elsa_pixelio.denichts an mir ist falsch, ungenügend, zu viel…”
– ”Aber…”, ich beuge mich herab, lasse sie mich spüren, “mein Herz, du wärst trotzdem noch immer ein Chamäleon.”

Sie tritt einen Schritt von der inneren Klippe zurück, lehnt sich enger an meinen Flügel.
”Aber ich könnte ein bisschen mehr so sein, wie sie mich wollen.”
– “Vielleicht, ja. Und dann wollen sie dich. Weil du dann aussiehst, wie das was sie sich vielleicht wünschen. Aber schau, du und wir alle tun schon fast immer, was sich die Menschen wünschen, weißt du?”

Sie schaut mich an, fährt mit den Fingern über die Linien meines Federkleides.
“Hm.. ein bisschen denke ich das manchmal, ja.”
– “Wir sind gut darin herauszufinden, was andere Menschen wollen und wenn wir das wissen, dann ist immer da, wer es am Besten geben kann. Nicht wahr?”

Ich fühle wie sie sich an meine Seite hockt, den Kopf auf den Knien, den Rücken an mich gedrückt.

“Ja, eigentlich sind wir schon immer wie ein Chamäleon, richtig?”
– “Ja. Ich finde schon.”

Da kommt er vorbei. Seine wilden Locken in alle Richtungen stehend, der Trotz trieft aus allen seinen Poren. “Er ist ziemlich breitschultrig”, denke ich schon wieder, als ich sehe, wieviele kleine Herzen er auf ihnen trägt.
”Ich find- N. hat Recht. Ist voll krass, wie wir uns immer voll alles rausreißen, damit uns welche draussen was so wie ne Audienz erlauben oder so halt- dass die uns helfen oder einfach nur nett zu uns sind und uns keine reinhaun. Das is so als wärs voll unsere Schuld alles. Dabei könn wir ja jawohl nich immer für alles Schuld sein, ne?”.

Er schaut mich an, wartet auf mein bestätigendes Nicken. Als ich es tue, nickt er bekräftigend und fährt fort: “Eigentlich, ne- die ganze Zeit haben wir uns so als ganze Eine… halt so als Einsmensch, immer voll verstückelt und warn voll nie ganz so wie man halt so ist. So ne- guck ma H. zum Beispiel- die is nich immer nur voll krass so mutig oder so. Die heult auch ma und so. Und wir? Voll krass ey- du kannst nich mal heuln, weil dus halt gar nich kannst. Das wurd irgendwann ma abgeschafft, weil das aussen einer nich wollte. HALLO?! Wie abartig is das bitte?! Das is doch irgendwie so krank wie Chihuahuahs zu züchten die in ne Teetasse passen, weils noch süßer is für so Tussis, die sich nich ma Mühe machen zu denken, wies dem Vieh dann geht, wenns so mini is!”

Er spuckt den Abgrund runter und schaut uns an.
”Ihr habt gesagt, dass die Seelenfrau weiß wie das is mit Viele-Leuten.”
Wir nicken stumm.
”Na also- vielleicht sagt sie ja auch einfach nich was sie von uns will, weil sie welche alle von uns ma wissen will? Vielleicht is sie ja sowas wie so ne komische Einfach- mal- drauf- zu- Seele oder so. Wenn sie gecheckt hat was Viele- Sein is, dann weiß die doch ehwieso, dass welche immer so machen was sie will. Aber wir gehn doch dahin damit wir machen was wir alle so wollen. Also naja- so mit erstmal merken was wir eigentlich wollen und so und dann bereden und dann eben auch machen. Wär doch voll Affenscheiß wenn wir dann immer nur machen was sie will.”

“Ja vielleicht! Du sagst vielleicht! Und aber was ist, wenn es nicht so ist?”

Über uns knallen die Ahnungsdonner und unter uns zittert der Boden. Wir verstummen.
Unter diesen Schreien, die aus den kleinen Herzen auf meinem Rücken kommen, kann man, selbst wenn man selbst zum Schrei würde, einander nicht mehr hören.

Die beiden krabbeln unter meine Flügel, während ich versuche eine schlimme Gegenwart, als sichere Gegenwart darzustellen und zwischen meine Federn zu bringen.

Vor den Horden die das Vielleicht noch ausschmücken und uns Beweise für ihr Wissen vorhalten wollen, gibt es leider keinen Schutz.
Noch nicht.

Die Erde über die sie stampfen ist bereits ausgedörrt und rissig.
Es ist lediglich eine Frage der Zeit, wann es zu Spalten kommt.