Lückenmädchen

Lückengras Ich habe gedacht, dass mein Schritt in eine Welt, die mehr als Nichts von mir erwartet, nur schief gehen konnte
Ich habe gedacht, dass mein Schritt aus einer Welt, die alles bis auf das Nichts aus mir herausholt, nur falsch sein konnte

Da ist dieses Gefühl gar nicht zu sein und sich zu wundern, dass es doch möglich ist zu berühren und berührt zu werden
Tot zu sein und trotzdem gefressen werden zu können

Und dann ist da die Bestätigung nur zu sein, weil beide Welten sind
Unverbindbar, blind für einander und doch einander nährend

ich bin verrückt
weil ich mich ver-rückt habe

ich verstehe diese Existenz nicht
diesen Zwang des “und wo geht es jetzt hin?”

Ich bin doch schon da
bin doch schon gemacht
habe nichts mehr zu geben

ich würde gerne so ein _da_sein werden

da gibt es diese Auffassung nicht mehr, als all seine Erfahrungen zu sein
in dieser Welt der Forderungen, gibt es kaum etwas, was mehr abgelehnt wird, als das, was meine Erfahrungen sind
wie soll es mir hier gelingen, ein Dasein zu entwickeln?

mit meinem Schritt aus der Welt, die mich so aushöhlte, habe ich mich im Weltbild ver-rückt
mit meinem Schritt in diese Welt die Entsprechung von mir fordert, mache ich mich selbst verrückt

mein Lückenleben ist nicht
ich Lückenmädchen bin Nichts
Lückenmädchen lebt Lückenleben
ist nicht und Nichts zu gleich

wenigstens habe ich jetzt ein Wort zum Namen für mich
Am Anfang war das Wort.

inmitten der Gewalten

RosenachRegen Es hatte mir gefallen, wie viel Stärke und Leichtigkeit sie lebte. Wie viel Energie in ihr kreiste und Lasten klein werden ließ.
”So würde ich mir auch gut gefallen”, dachte ich. So groß und mächtig, dass es eine einfach gelebte Leichtigkeit im Sein geben kann, “Angst” zu “Respekt” verwandelt wird und das Recht auf Unversehrtheit von mir alleine durchgesetzt werden kann.

Und dann fiel mir auf, dass ihre Macht auf Missachtung … Dissoziation … beruht.
Sie ist stark, weil sie ihre Schwäche nicht spürt. Sie ist mutig, weil sie ihre Angst missachtet. Für sie ist alles ganz leicht, weil sie Hindernisse aus dem Fokus schiebt. Wenn sie verliert, dann verliert sie vor sich selbst nicht, weil sie Schmerz und Trauer tief in sich vergräbt und den Spaten dann wegschmeißt.

Wenn es einen Menschen gibt, in dessen Anwesenheit selbst das mächtigste Böse uns nicht verletzen könnte, dann ist sie es.
Nur darüber sprechen konnten wir nie mit ihr, ohne über ihre Missachtung zu stolpern und
verletzt zu werden.

“Eure Eltern!”, immer bewegt sie auf eine für sie so typische Art ihren Kopf und formt ihren Mund zu einem harten und doch feinem Lächeln. “Häuten und auf einen Ameisenhaufen binden! Mindestens! Eigentlich reicht das nicht mal!”.
Am Anfang hörten wir ihr noch zu und spürten den inneren Erdbeben nach, die sich aus ihrem Erzählen von sadistischen Fantasien ergaben. Lächelten schief. Zuckten mit den Schultern.
Warteten darauf, dass die Tür aufgeht und ein Inferno der Strafen über uns hereinbricht.

Irgendwann versuchten wir uns in kleinen Worten, die wie Kinderfüße das erste Eis auf dem See abtasten. “Ich weiß nicht…”.
“Hm, aber das ist ja auch nicht besser als…”
“Das macht Angst, wenn du so etwas sagst…”

und dann schob sich dieser große Schreibtisch zwischen unser beider Leben. Andere starke Sie’s, andere Verbündete, andere Gemögte, andere Menschen vor denen ES nicht verschwiegen blieb, traten in unser Leben und mit ihm weitere Sichten auf Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten.

Und doch begegnet uns diese Art Gewalt und Ablehnungsdynamik immer wieder.
Es ist, als würde sich die Gewalt, allein schon dadurch, dass wir ihr Wortkorsette anzulegen versuchen, sie in Laute wickeln und anderen Menschen in die Köpfe stapeln, fortpflanzen und eigenständig erneut gebären.
Aus dem Anblick, den ich vom Erlebten habe, wird für andere Menschen immer wieder das Gesicht, der Name, die soziale Position, das Sein der TäterInnen.
Egal, wie ich mich ausdrücke und versuche meine eigene Sicht zu unterstreichen.

“Kannst du bitte..? Ich kann das- bitte das ist meine Familie!”, ich weiß noch, wie schwer mir das aus dem Hals gewürgt wurde, um dann unter einem achtlosen Schwall rechtschaffenden Gewaltens begraben zu werden.
“Darf ich denn gar nichts mehr behalten, sobald ich mich auch nur ein kleines bisschen geöffnet habe?!”, stand es im Tagebuch, nach dem Termin bei dem Rechtsanwalt.

Die traurige Wahrheit ist: nein
und der schmerzhafte Teil an dieser Wahrheit ist nicht, dass uns schon wieder die Definitionsmacht über etwas genommen wird und damit von anderen Menschen als uns eine Haltung zu etwas vorgegeben wird, sondern, dass es andere Menschen, als die Beteiligten sind.

Niemand außer uns und den Menschen, die uns verletzt haben, waren dabei. Niemand hat gefühlt, gesehen… erfahren und gelebt, was wir jeweils gelebt haben- aber alle haben eine Meinung dazu, sobald aus unserer Erfahrung Worte und Geschichten werden. Und niemand verbirgt sie.
Ein Innehalten, die Frage, ob die Äußerung erwünscht ist, passiert nicht.
Da passiert gar nicht die Rückversicherung: “Hast du gefühlt, gedacht, gesehen, was ich mir gerade vorstelle, dass du es gefühlt, gedacht, gesehen hast?”.
Dort wird das Aufwachsen mit Gewalt zu einem Grund der Normalisierung selbiger- nicht zum Marker, der daraus entstehen Un-Fähigkeiten. Anwesenheiten werden damit erklärt- Abwesenheiten bleiben unsichtbar, unergründet, ungewichtig.

“Ich kann natürlich nicht fühlen, was du fühlst- aber ich gehe davon aus, dass du die gleichen Internalisierungen hast, wie ich und wir deshalb eigentlich immer das gleiche fühlen.”, das nehme ich oft wahr.
“Selbstverständlich tut es dir weh, wenn dieses und jenes mit dir passiert.”
“Natürlich fühlst du dich ohnmächtig, wenn dir jemand Gewalt antut.”
“Natürlich hast du das Gefühl, deine Eltern nicht verachten zu dürfen- sie sind ja schließlich deine Eltern”
“Na klar, bist du täterInnenloyal, du bist ja schließlich ein Opfer (= abhängiges Kind)”

und was ist, wenn das nicht so ist?
Was ist, wenn ich einfach nie Schmerz gefühlt habe? Wenn mir meine Eltern einfach irgendwie egal sind, weil es für mich poplige kleine Wichte sind, die ich weder brauche noch will? Wenn ich mich nie in Abhängigkeiten von TäterInnen gesehen habe?
Was ist, wenn ich durchaus Macht- und Überlegenheitsgefühle hatte und diese auch ausgelebt habe?

Was dann ist, ist, dass ich andere Menschen in ihrem Maßstab ausheble. Sie und ihre Werte, Normen und Internalisierungen greifen dann nicht mehr. Sie müssten mir meine Sicht auf die Dinge lassen, müssten mir Raum zur autarken, selbstbestimmten Selbstpositionierung lassen.
Und damit ich genau das nicht tue, hat auch die Opferschublade einen doppelten Boden: “Sie hatte ja keine andere Wahl, als sich einzureden, dass sie das alles wollte/ selbst bestimmt/ aktiv und von sich aus so wollte.”
Es kann sein, dass es tatsächlich keine andere Wahl gab- aber die Wahl wurde von mir getroffen! Es gibt immer die Wahl etwas nicht zu tun- auch diese Wahl hätte ich verweigern können- es ist so leicht aus sich herauszugehen und im Universum zu verschwinden.

Die Aktivität, der im Vergleich Passiven, ist nicht Passivität!

Mir ist eingefallen, dass ich einmal versucht habe meinen Vater anzupinkeln, als er mich an einem Bein durch die Luft schleuderte.
Nicht, weil ich wütend war, oder ihn verachtete, oder mir vor Angst eh grad der Urin abging, sondern, weil ich einfach so den Impuls dazu hatte.
Ist das “typisch Opfer”?
Wohl eher nicht.
Es ist aber genau das Spektrum von Opferschaft, das von der Aktivität des Täters/ der Täterin überlagert und später von Unbeteiligten mehr oder weniger systematisch unsichtbar gehalten wird, in dem die (Straf-)Tat zum Maßstab von allem wird.
Ich fand die Vorstellung, dass mein Vater meinen Urin an sich dran hätte lustig und saß lachend in mir drin, während er sich an meinem Körper abarbeitete. Schön blöd von ihm- ich hatte das Lachen und er Arbeit mit meiner “Erziehung”.
Ich hab gewonnen, denn das Ziel seiner Tat war ein anderes.

Klar wird mir mein Gehirn auch Schmerzen angetragen haben, Angst zu sterben, Ohnmachtsgefühle und Wut auf ihn, dass er sowas mit mir macht. Aber das war nichts Neues, nichts was noch großartig eine Aktion von mir einfordern konnte und mich innerlich irgendwie anregt. Und zwar nicht, weil ich “verroht” bin oder “nie etwas anderes erlebt habe”, sondern, weil es eben so ist. Mich fordern andere Dinge, regen andere Dinge auf.

Ich betrachte das als unfassbar großes Privileg, an den Taten an meinem Körper vorbeigucken zu können und zu sehen, was für Mechanismen darin walten. Einfach auch zu wissen, dass die Taten allein einfach gar nicht wirklich die Gewalt sind, die mir (uns) passiert ist.
Sicher bin ich ein Opfer von der Gewalt geworden, die meine Familie* an mir ausgeübt hat. Ich bin aber mit ihr zusammen zum Opfer ganz anderer TäterInnen- ganz anderer Macht-Ohnmachtdynamiken geworden.
Ich leide heute nicht nur an den Folgen einer Dynamik in der Familie*, sondern an denen, die unsere ganze Welt durchzieht.

Das gehört mit zu den Eckpunkten inmitten derer ich mich verorten will.
Ich will mich mitten drin verorten und nicht abgetrennt- missachtend und damit dissoziierend, weil es mir nur um einen klitzekleinen Bereich- die Summe aus “X” mal “misshandelt worden sein”- geht.
Denn genau das produziert Gewalt und füttert sie.

Und macht blind.
Blind genug um die Überlebenden immer weiter, von Gewaltdynamik zu Gewaltdynamik zu drängen und nicht zu merken, dass man sie dabei immer passiv – immer in der Position hält, die “Opfer” heißt.

Wir haben uns jetzt endgültig gegen eine Strafanzeige entschieden.
Sie bzw. die Justiz stellt sich uns als Gewaltinstrument dar, das uns sowohl als Opfer braucht, als auch hält, als auch erneut zu einem machen wird.
Sie wird in sich drin sitzen und lachen, während wir uns an ihr abarbeiten und eigentlich etwas ganz anderes wollen.

Es geht uns eben nicht um die TäterInnen, nicht um die Taten.
Es geht uns um uns und das was wir selbst tun können möchten.

Gewalt wird uns nicht helfen.
Auch wenn wir uns ganz kurz… kurz kurz kurz so stark und mutig und aktiv fühlen und sehen könnten, wie ich meine ehemalige Sie früher einmal gesehen habe.

Werte fressen Worte auf

23.5.2014 Es gibt dieses weiße Rauschen in einem Moment, in dem sich so viel aneinander drängt, dass es ent- setzt.
Aufstehen oder umfallen lässt. Worten nachspringen, Formulierungen hinterherrennen macht.
Das ist ein Laufen, das Jahre dauern kann. Vielleicht nie endet.

Vielleicht aber, kommt man an einen Punkt, in dem eigener Ausdruck, eigene Wahrheit gegen Akzeptanz von außen aufgewogen werden muss, die vor einer Wiederholung des Entsetztwerdens schützt.
Manches Mal schon dachte ich aber auch, dass mein Ausdruck, meine Worte, mein Erzählen irrelevant für das Außen ist.
In meinem kleinen Kosmos des “danach” gab und gibt es immer Menschen, die über mir stehen. Die mir meine Erfahrungen bewerten, betrachten und in klitzekleine oder riesengroße Schubladen legen, noch bevor ich überhaupt einen sprachlichen Ausdruck und darüber eine eigene Bewertung finden konnte.

Als ich 16 war, lebte ich in einer Klinik und hatte das Gefühl, alle um mich herum lebten wie ich mit dem, was ich bis heute spontan mit ES oder DAS DA benenne, bevor ich mich an andere Worte wagen kann. Ich hätte meine Belastung und ihre Gründe, nennen können, wie ich wollte- ich hätte in ihren Augen nur die Schubladen bestätigt, in denen sie mich drin hatten.
Ich wusste durchaus, was das Wort “Missbrauch” meint und, dass es immer irgendwie mit der Familie zu tun hat und, dass das männliche Elter immer irgendwie der verachtete Part ist, fügte sich dann so zusammen.
Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich im Büro war und mich aus einer Angst/allgemeinen Übererregungsattacke herausberuhigte. Da saß ich und war froh, oben von unten unterscheiden zu können und der Mensch richtete Sätze an mich, wie: “Das hat mit deinen Vater zu tun, ne? Da ist was Schlimmes passiert, worüber du nicht reden sollst. Musst du auch nicht..” – Schweigen, das mir Tritte in den Rücken versetzte, doch jetzt endlich etwas zu sagen.

Die Stille wurde dichter, der Stationsbetrieb lauter, das weiße Rauschen in mir spann sich zu Watte und absorbierte mich.
“Was heißt schon “schlimm”- mir ist nichts “Schlimmes” passiert. Mir ist ETWAS passiert. DAS DA. ES. Nichts “Schlimmes”. Und, ja klar hat es mit meinem Vater zu tun. Irgendwie war er ja da. Genauso wie der Rest der Welt. Also irgendwie ja und nein. Und aber… also.. Und wer sagt denn, dass ich nicht darüber reden soll? Und wenn ich sowieso nicht darüber reden muss, aber eigentlich irgendwie gedrängt werde…”
Ich bin diese Wattewolken aus Fragezeichen und Verwirrung nie losgeworden und begegne ihnen manchmal auch heute wieder.

Bei der Tagung “Wir sind Viele”, hörte ich oft, dass es ein Verständigungsproblem zwischen Psychologie und Polizei gäbe und möchte fast ein bisschen darüber lachen, denn in meinen Augen beginnt das Problem schon damit, die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit als “Verständigungsproblem” zu bezeichnen. Nicht als ein Benennungs- und Transponierungsproblem (nicht “Transfer”- sondern “Transponierung”!).
Die Psychologie benutzt andere Schablonen als die Polizei und Justiz- kaum etwas ist deckungsgleich übertragbar. Die Verteilung von Relevanz ist nicht gleich, die Grundwerte mögen, wenn man sie jeweils weit genug runter bricht, die Gleichen sein- die direkten Motivationen und auch Framings hingegen, gehen so unterschiedliche Wege, dass mehr als eine Umbennenung passieren muss.
Die einen sind Ergebnis/Tatergebnis- und Täterzentriert, die anderen Tatmotivations/ Tatumstands- und Beteiligtenzentriert. Der kleinste gemeinsame Nenner ist die Gewalt und das Unrecht.
Dieses zu formulieren und zu benennen macht beide Parteien zu einer Definitionsmacht, die über allen direkt Tatbeteiligten steht und die von ihnen Abhängigen, sowohl in der Sprache als auch der eigenen Bewertung unterwirft.
Das muss nicht für alle ein Problem sein. Ich kenne viele Menschen, die zum Opfer und/oder Ausübenden von Gewalt wurden und sich die Worte von Justiz und/oder Psychologie dankend angenommen haben, weil es ihren quälenden Lauf den Worten hinterher beendete.

In mir aber lösen die Begriffe und das Spiel der Worte im Außen, Verwirrung und Verunsicherung aus.
Ein Innen schreibt: “Ich will das nicht “Vergewaltigung” nennen. Ich verstehe nicht, wieso sie [die Therapeutin] mir das zwar lässt, aber so gleichzeitig irgendwie redet, als würde ich denken, das wäre “Sex” gewesen. Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll.” und etwas später: “diese Wörter machen alle Gefühle. Gibt’s Wörter, wo keine Gefühle mit drin sind? Ich glaub, ich weiß nicht, ob ich Gefühle hatte. Vielleicht darf man sowieso nur darüber reden oder mit der Polizei und so, wenn es Gefühle gemacht hat? Schlimme oder unangenehme Gefühle”.

Und neben all der persönlichen Verunsicherung passiert, ganz nebenbei und subtil wie ein Mosaikbild, das sich über Jahre hinweg zusammenschiebt, die Bestätigung verschiedener Botschaften: “Nur wir ™ verstehen dich”; “niemand wird dich hören”; “sag was du willst und du kriegst, was du verdienst”.

Ein Großteil unseres Gehirns, etwa 60 %, ist jeden Tag damit beschäftigt alte, wie neue Reize zu verarbeiten. Wir Menschen unterstützen es darin mit unserem Ausdruck. Da sind Worte, aber auch die Kunst und die Körpersprache. Interaktionen mit allem, was außerhalb von uns ist, hilft uns.
In der letzten Zeit entwickelt sich in mir der Verdacht, dass wir genau in diesen Möglichkeiten zum Teil entweder von uns aus eingegrenzt sind oder dazu erzogen wurden, gewisse Grenzen einzuhalten.
Je mehr wir Kontakt zu Menschen brauchen, desto schwerer wird es Kontakte zu suchen. Wir werden abhängig davon, dass Menschen uns ansprechen, um überhaupt etwas auf irgendeine Art ausdrücken zu können.
Je deutlicher Erinnerungen arbeiten, desto mehr Einhörner und Schmetterlinge tauchen in unserer Kunst auf und wenn es konkretere Bilder sind, verschwindet jedes Wort dazu. Nur im Abstrakten schwammig bewortbaren bleibt etwas erhalten.
Selbst im körperlichen Ausdruck entwickelt sich ein Sprach- und Sprechproblem über das, was da eigentlich passiert. Wir springen von einer Form des Essmurks in die nächste- “normal” im Sinne von “ohne Ausdruck/Botschaft” haben wir, glaube ich, noch nie körperlich mit Nährendem agiert. Immer wenn es eine Einordnung gibt, gleitet ES in eine andere Art der Ver-nährung.

Mir kommt es vor, als wolle ES raus und würde inzwischen von sich aus in meinen Rücken, von hinten in die Kniekehlen treten, um mich und uns anzutreiben- zeitgleich aber vor jeder äußeren Belegung, Bewertung, Benennung mit einem schrillen Quietschen ausweichen, um sich einen neuen Weg raus zu suchen.

In meiner Vorstellung kommt es irgendwann in einer Lache aus Plasma heraus, lacht, wie der Joker lauter grelle Fragezeichen in die Luft und verbeugt sich bei seiner Selbstvorstellung.
Es wird sagen “Guten Tag, ich bin DAS DA.”.
Es wird sein Schnupftuch lupfen, einen Teller hervorzaubern und breit lächelnd fragen: “giftiges Pralinchen?”.

Und dann setzt es sich in ein Karussell und gackert außerhalb von mir seinen Tod durch weißes Rauschen aus VIELZUVIEL heraus.
Ohne sich zu erklären. Ohne sich be- greifbar zu machen.

Und ich werde Pralinen fressen, weil da plötzlich so viel Nichts in mir drin ist.
Weil ES in Wahrheit ganz und gar ich selbst bin und sonst gar nichts.

das Opferetikett

wildeRose2 Wie eine Sandburg in der Brandung, lösten sich meine Beine auf.
Bis ich fiel und alle Scherben in mir über den Boden des Wartezimmers klirren hörte.

Wir hatten eine Therapiestunde, die mir aus den Händen geglitten ist, nach einem Tag, der mir am Denken vorbeigerutscht war, nach Wochen, die mich nur als Zaungast neben sich hatten.
Während es in mir schreit, kämpft, sich hartkrampft und ziellos durch den Schmerz hindurch vorwärts beißt, taumle ich durch die Gedankenschlösser, die auf dem brennenden Fundament eines fremden Maßstabes stehen.

Was mir begegnet, was mir ablehnend konnotiert begegnet, ist der Komplex einer Opferidentität. Wenn jemand sagt: “Ich bin ein Opfer”, passiert ein Schritt zurück. Ein Blick, der Wunden, Male, Zerstörungen sucht, um sich zu vergewissern.
Abzusichern und nicht einmal, kein einziges Mal zu fragen, ob dieser Blick überhaupt in Ordnung ist.
Dieser Blick kommt nicht aus einem Kopf heraus, der sich fragt, was er dort eigentlich sieht und warum. Mit welchem Recht.
Dieser Blick fragt nicht, ob er als Verletzung, als erneute Demütigung wahrgenommen wird.

Mir wird bewusst, was für mich das Problem in OEG und Strafanzeige nach Gewalt, nach sexualisierter Gewalt, in der Kindheit ist.
Es ist der fremd wertende Blick, der mich nicht nur streift, sondern durchbohrt. Mein Sein, mein Mich, mein Da, mein Früher und Heute auf einen Objektträger klatschen lässt und in feinsten Scheiben seziert, be-verurteilt, in Paragraphensoße ertränkt und mit einem guten Wein aus rape culture darreicht.
Ohne eine Wimper zum Zucken zu haben.

Ich werde nicht gefragt.
Und wenn doch, dann hängt an den Äußerungen anderer Menschen, auch denen der TäterInnen, ob wahr –scheinlich- ist, was ich sage.

Selbst die Verjährungsfrist durchbreche nicht ich, sondern die Vorladung der TäterInnen.
Nicht einmal das wird mir zugestanden.
Und ja, ich habe es als mein Vorrecht betrachtet, dass ich selbst in der Hand habe, ob das, was die Justiz als strafbare Handlung betrachtet, verjährt oder nicht (innerhalb des festgesetzten Zeitraumes). Schließlich wird ja auch die ganze Zeit an mich herangetragen, Gewalt anzuzeigen und sichtbar zu machen. Nicht an die TäterInnen.
Wie hatte ich ernsthaft glauben können, dass es irgendeinen echten Raum für Selbstbestimmung unter dem Schirm der opferbezüglichen Komplexe gibt?

Vielleicht hat es etwas mit dem sympathischen “Ich bin kein Opfer”- Gebaren zu tun, das immer wieder aus mir heraus kommt, sobald mir andere Menschen meine Kompetenzen und Rechte aufgrund der Gewaltfolgen absprechen wollen.
Die Etiketten “wehrhafter/resilienter/stolzer Grundcharakter”; “KämpferIn*”; “starke Persönlichkeit” machen gegen das schmerzhafte Bohren dieses einen speziellen Blickes immun.
Wenn ich das auf meine Stirn klebe und tue, was ich sonst auch tue, werde ich auf Ebenen unterstützt und gestärkt, die zwar in der Regel unfassbar weit an meiner Erwartung und Hoffnung vorbei gehen, aber mich einer Mehrsamkeit und damit Sicherheit versichern, die ich anders gar nicht oder tendenziell eher erneut in ungleichen Machtdynamiken eingebunden erhalte.

Das heißt, dass alles, was ein zum Opfer gewordener Mensch tatsächlich selbst bestimmen kann, ist, sich als ein solches zu erkennen zu geben oder nicht.
Alle Konsequenzen, alle Gewalten, die aufgrund dessen mit und an ihm passieren, hat er zu ertragen.
In Bezug auf das OEG nehme ich diesen Umstand als besonders infam wahr.

Denn ja: ich fühle mich dazu gezwungen einen Antrag zu stellen und mich damit als Opfer von Gewalt auf eine Weise sichtbar zu machen, die ich weder selbst bestimmen, noch beeinflussen kann- mit den Konsequenzen, die sich unter Anderem aus inexistentem Opferschutz, und anderen Leistungen zu meiner Unterstützung ergeben, hingegen wiederum unsichtbar zu bleiben.
Ich fühle mich gezwungen, weil es das einzige Mittel ist, meine Lebensrealität innerhalb des Systems, das für diese mitverantwortlich ist, sichtbar zu machen.
Natürlich könnte ich auch anfangen meine Krankenkasse zu verklagen, aber die Krankenkasse hat nicht im Schutz vor Gewalt versagt, wie der Staat.

Ich habe mich nie als Opfer betrachtet.
Jetzt fange ich damit an und spüre bereits, wie mir Boden und Beine unter all meinen kleinen und großen, zitternden und kämpfenden, frierenden und schmerzerfüllt weinenden Herzen wegrutschen- während mich der Lauf der Dinge unbeirrt an einer Schlinge um den Hals weiter hinter sich her zieht.

Es ist tröstlich, dass die Welt nicht stehen bleibt, weil ich das Etikett des Opfers neben all die eigenen hänge.
Es ist aber auch eine weitere Erfahrung, die mich in ein Gefühl der Machtlosigkeit bringt, weil sie keinen Effekt über mein klitzekleines Dasein hinaus hat. Wieder verortet sich alles in und an mir allein- nicht an den TäterInnen, nicht an dem System, nicht an unserer Kultur, nicht an G’tt.
Wieder bin ich mit etwas, auf diese eine ganz spezifische Art, die nur Gewalt produziert, allein.

In einem Moment des weißen Rauschens, da auf dem Boden des Wartezimmers gestern, schwamm dieser Satz des “Es ist vorbei” durch mich hindurch und ich fragte mich, ob es überhaupt noch irgendeinen Sinn hat, an irgendeinen Menschen ein “Ja, aber…” zu richten.
Diesen  Punkt des Wiedererlebens, den Gewalt, die an die Schwelle zum physischen, psychischen und geistigen Tod treibt, den erlebt man so allein, dass die Lüge des “es ist vorbei” von sonst niemandem gesehen wird.
Jedes “Ja, aber…” provoziert den Blick, die Abwehr, die Einsamkeit auf allen Ebenen.

 

Ich muss anerkennen, dass ich versuchte das Falsche zu wollen.
Anerkennen, dass “nichts bis wenig”, noch das Beste ist, was ich an “gut” zu erwarten habe.

Dass es für mich eben doch nie vorbei sein wird, nur weil es mir jemand sagt, der mit mir ist.

post- Trauma

kaputt Ich hatte diesen einen klaren Moment, in dem ich nicht nur wusste: “Trigger – Flashback – gesamte Bandbreite von Überregung – Depression – mentale Isolation – Dissoziation – > hol dir Hilfe, sorg dafür, dass es einen doppelten Boden unter dir gibt”,
sondern auch wusste: “
Was hier jetzt gelaufen ist, ist eine Re- Traumatisierung für mich. Ich darf mich verletzt und kaputt, irgendwie zerstört und wund fühlen. Ich muss niemandem einen Grund zur Freude oder Bestätigung meiner Authentizität liefern. Ich muss niemandem sagen, was er oder sie gerne hören möchte, damit es ihm oder ihr mit meiner Not besser geht.
Ich muss niemanden bestätigen und meine Ablehnung von Äußerem rechtfertigen.”

Traurig ist es für mich, diese Gedanken und Impulse erst eine Woche später zu haben, nachdem ich zum zahnärztlichen Notdienst gehen musste, weil mir eine große Füllung aus einem eh schon mühsam geretteten Zahn gebrochen war.
Wieder eine Notsituation. Wieder ein Moment, in dem ich von innen Angst vor einer Art Sterben spürte, Hilfe suchte und dann so übergriffig mit mir umgegangen wurde.
Ich für mich, kam mir wie eine verdammte Heldin vor, wie ich da- kaum in der Lage Wörter zu produzieren, das Zittern zu unterdrücken, Tränen aus scheinbar 5 zusätzlichen Tränendrüsen rauslaufend zu haben und hyperventilierend – seinen Arm wegdrückte, aufstand und vom Stuhl kletterte.

Ich sah ein Mich da stehen vielleicht 6 oder 7 Jahre alt, verletzt und bedürftig und mein Ich so heldinnenhaft, weil ich es schaffte, genau in dem Moment, in dem das wichtig war, dieses Kind an mich zu nehmen- obwohl dieser (unfassbar furchtbare) Arzt und seine Helferin, die uns – natürlich ungefragt- ständig den Arm streichelte, genau diesem kleinen Mir und diesem großen Ich weiter zusetzten mit ihren sexistischen, unempathischen- einfach unangemessen groben Phrasen.

Und- es kam jemand, der mit uns ist.
Ich spürte, wie das Kleine in mir aufatmete und sich ein Gefühl ausbreitete, in dem es um Sicherheit durch ZeugInnenschaft, Gemeinschaft, durch Chance zur Überprüfung der eigenen Wahrnehmung geht.
Mein Atemrhythmus regulierte sich, meine Haut, die Hände und Füße wurden wieder durchblutet, die Angst wich Unverständnis und Wut, die näher an die eigene Lebendigkeit führte.
Ich musste nicht alleine in der Nacht noch mit der Bahn nach Hause, in meine Wohnung, die sich noch immer nicht wirklich wieder okay anfühlt. Ich musste nicht alleine sein. Ich musste nicht sachlich bleiben, weil “Na na na- der wollte dir doch nur helfen- was hast du denn erwartet- Ärzte sind Ärzte”. Ich musste nichts können- ich durfte mich schlecht fühlen und ich durfte mich auch heldinnenhaft fühlen. Das war so eine gute Insel, die mich nicht nur daran erinnerte, dass mein Anspruch von HelferInnen gut und grenzwahrend behandelt zu werden absolut in Ordnung ist, sondern auch noch durch mein bloßes in Not sein- nicht durch die Art, wie ich als Person bin- gerechtfertigt ist, und auch darin bestätigte, dass mein ablehnendes Verhalten in Ordnung war, obwohl ich ihn um Hilfe gebeten hatte.

Wenn einem etwas passiert, was im Kopf und im Gefühl alles auf einmal durcheinander wirbelt, dann hilft es manchen Menschen sich auf eine Ebene zu stürzen. Am liebsten die Sachebene, weil diese nicht mit persönlichen Befindlichkeiten vermischt sein darf. Das ist gesellschaftlich anerkannte Spaltung und “gesellschaftlich anerkannt” ist immer gut- gerade dann, wenn man das Gefühl hat, dass einem gerade etwas (wieder) passiert ist, das so sonst gar niemandem jemals auf dem ganzen Planeten passiert ist.
Auch dabei geht es um Gemeinschaftsgefühle und ein Agieren, das absichern soll.

Was bei größeren Belastungen eine gute Möglichkeit zur Verarbeitung des Erlebten und Aufrechterhaltung der Fähigkeit einen eigenen Alltag zu leben führt bzw. dabei hilft, kann bei einer Belastung, die das absolute “Zuviel” in sich hat (also ein Trauma ist) genau das sein, das zu innerer Spaltung führt, weil es ein weiteres “Viel” bedeutet.
Ich bin in der Therapiestunde nach der sogenannten Suiziddrohung tatsächlich vor der Therapeutin geplatzt und hab sie angeschrien und, anstatt mich zu erinnern, dass auch meine viel zu kurze Lunte zum Impulsdurchbruch in dem Moment, ein Symptom für nachwievor bestehende Überregung war, habe ich mich (und mein Leben und alles) fertig gemacht, weil ich nicht entsprechen konnte.
Ich konnte – und kann noch immer nicht zur Tagesordnung übergehen. Kann nicht in meinen Alltag zurück, weil mein Alltag und meine Alltagsumgebung kaputt ist.
Ich kann kaum schlafen, esse um mich zu fühlen- nicht um satt und genährt zu sein. Wenn ich mich zwinge mein Grübeln zu beenden, geht die Grübelenergie in meine Muskeln und Nerven, die unkontrollierbar unter meiner Haut zucken. Seit über einer Woche schwanke ich zwischen “Ich schreie gleich meinen Schmerz, meine Angst, meinen ganzen inneren Kosmos heraus” und “Bin ich überhaupt da?”

Ich will die Emotionen anderer Menschen nicht- sie sind mir mal scheiß egal gerade, weil meine eigenen mich beißen und aufessen wollen und ich mich kümmern muss, ihnen andere Quellen als meine Ich-Struktur anzubieten.

Wenn ich darüber rede/ schreibe, dann geht es mir nicht um Schuld, dann geht es mir nicht um Verantwortung, dann ist mir jedes “hätte”, “würde”, “wenn” fern. Dann geht es darum dieses VIELZUVIEL in seinen feinsten Fäden zu entwirren und nebeneinander darzulegen, zu betrachten, zu analysieren und erst dann zu einem verarbeitbaren Knäul zu machen. – Und eben nicht von mir zu erwarten dieses eine Erlebnis mal eben zu erklären- G’tt wie viel Zeit ich jetzt damit verbracht habe, diese Situation immer wieder erklären zu müssen – mich immer wieder damit konfrontieren zu müssen, immer wieder nochmal neu nachzufühlen – und dann die Sachebene zu bearbeiten.

Ich weiß, dass die da ist. Ich weiß, dass ich mich kümmern muss.
Ich weiß aber auch, dass die Tatsache, dass ich das gerade tue, genau das ist, was uns im Innen total auseinanderreißt und nicht auch noch haltbar ist.

Der Notfallzahnarzt hat es mir sehr leicht gemacht, nicht entsprechen zu wollen. Manche Menschen in meinem sozialen Umfeld machen es mir nicht so leicht.
Bei manchen steht viel Zukunft auf dem Spiel und viel mühsam abgerungenes Zutrauen – zum Beispiel bei der Therapeutin.
Bei manchen steht viel Zuspruch und stärkende Unterstützung in Gefahr- zum Beispiel bei der Frauenberatungsstelle.
Bei manchen steht viel Leichtigkeit und nährende Alltagsinsel in Frage- bei unseren Gemögten zum Beispiel.

Es geht darum, mir zugestehen zu können, dass ich gerade nicht die “C. Rosenblatt” bin, die sonst aus ihren Texten, ihrem Wirken, ihrem Auftreten herausrezeptioniert wird.

Für äußere Beobachter war das alles “unangenehm”, “ätzend”, “totale Scheiße”, “nicht schön”.
Aber uns drin war das eine Situation, die uns traumatische Situationen in unserem Leben hat fast 1 : 1 noch mal- schon wieder- erleben lassen und zwar nicht nur eine- die ganz ganz fern zurück liegt und verarbeitet, gerächt und begraben ist- für die wir irgendwelche Maßstäbe in irgendeiner Form haben- sondern mehrere, die nachwievor in uns drin ablaufen – immer und immer und immer wieder.
Das ist nicht nur “ätzend”.
Tut mir leid – ich wünschte, ich könnte mich mit diesen Menschen hinsetzen und mit dem Abwurf eines plumpen “is ja blöd gelaufen” alles das einfach abhaken.

Kann ich aber nicht.
Und ehrlich gesagt will ich das auch nicht, weil es mir vorkommt, als würde ich das tun, um mir Gemeinschaft von Menschen zu sichern, die mich nur annehmen, wie ich das kleine Mich beim Zahnarzt, wenn ich mit ihnen auf der Sachebene treffe: Sortiert, sachlich, mäßig emotional, _ein_fach, unempfindlich, stark, stabil, freundlich, empathisch und nicht zuletzt: dankbar

Uns ist etwas wirklich richtig Schreckliches passiert und ich nehme mein Umfeld verschoben wahr.
Mir drängen sich permanent unausgesprochene Ansprüche auf und immer wieder flackert dieses tausend Male bestätigte, x- fach eingebrannte Kindwissen auf: “Wenn du dem nicht entsprichst, wird es weh tun bis du nicht mehr bist.”. Alle- wirklich alle jemals verwendeten Antennen fahren auf Hochtouren und lösen den Vollalarm aus, sobald irgendeine Form von Nicht-Kontrolle wahrgenommen wird.

Das geht nicht weg mit: “Macht es euch mal gemütlich”, “Habt es schön”. Auch das ist ein Imperativ auf den mein Innenleben mit diesem uralten Reflex des: “Ja, ich bemühe mich so sehr wie ich kann! Ehrlich- ganz wirklich- ich mache was ich kann- ich tue was du willst” reagiert.

Ich weiß nicht, was mir jetzt hilft.
Ich hab keine Ahnung, was wir jetzt brauchen.

Was ich will ist: _sein_ dürfen; mich in der Welt fühlen dürfen, von deren Rand ich mich heruntergefallen wahrnehme
Auch ohne Aktivismus auf allen Ebenen. Auch mit Heldinnencape und Heulrotztropfen auf der Brust. Auch mit Brüllen vor Ohnmachtsgefühlen. Auch ohne akut geäußerte Dankbarkeit. Mit Verletzlichkeit, die man mir nie zugetraut hätte. Mit allen Gedanken und aller ungefilterten Intellektualität, die mich vielleicht schwer verständlich macht. Mit aller Nicht-Gegenseitigkeit, die mein Fordern mit sich bringt. Mit allem, was andere Menschen nie tun würden/ könnten/ wollten/ dürften/ müssten/ sollten.

Ich bin mit all dem gerade da. Wird mir begegnet, als sei dem nicht so, taucht jemand anders auf und das ist das Problem, das ich als Viele – Mensch habe.
Innere Spaltungsprozesse bzw. Innens, passieren nicht wegen Gewalt, sondern wegen vieler Überdosen “ZUVIEL”.
Wenn wir bzw. meine Psyche als Einsmensch eines in unserem Leben gelernt haben, dann ist es Anpassung durch Spaltung. Es wird immer wieder passieren, dass wir spalten (weg gehen) wenn wir nicht mit allem _sein_ können und das Außen wird genau das nicht spüren, wenn es sich nur um sich dreht.

Und sich darüber beschwert, was mir denn einfällt, sie mit meiner Not zu belästigen oder, wie dieser Zahnarzt, auf meine Panik mit einem genölten: “Was soll das denn jetzt- nu stell dich mal nicht so an- leg dich hin und lass XY machen” reagiert.

Ja verdammt- ich kann die Gründe für sowas sehen und verstehen. Ich weiß, der Arzt hatte einen scheiß langen Tag und in seiner Welt haben “kleine Mädchen” voll viel Interesse daran, einem tollen großen alten Arzt zu gefallen – was für ein Unkomfort, dann so zu agieren, wie ich.
Ich weiß, was das für ein Gefühl ist von: “Woa fuck- was mach ich denn jetzt?!”- wenn jemand kommt und einem sagt: “Ich kann nicht mehr- mir geht es schlecht und alles ist zu viel- ich weiß nicht, was ich machen soll”. Ich weiß genau, dass man sich dann erst mal hilflos und ohnmächtig fühlt, als erstes Gedanken an Verantwortung und Schuld hat und mehr oder weniger bewusst hat, dass man auf sich selbst achten muss.
Ich weiß aber auch, dass es verdammt noch mal so so so so viel öfter dran ist, jemandem einfach nur die Hand hinzuhalten und mal so einen Moment so gar nichts zu machen oder zu verlangen oder zu wollen oder zu verändern oder wegzumachen oder oder oder
und diesem Menschen einfach mal kurz – und sind es 2-3 Minuten das Gefühl zu geben da_sein_ zu dürfen.

Auf mehr warte ich gar nicht. Mehr suche ich nicht. Mehr will ich nicht.

 

Wir bekommen gerade von allen Seiten so viel “mehr” angeboten.
Und

können

nichts

damit

anfangen.

Außer mit diesem fremden Lächeln immer besser und immer reflexhafter rauszulügen: “Danke”

 

Vielleicht können wir das in zwei drei vier fünf Wochen, wenn wir keine Angst mehr vor dem Zusammenbruch unserer bürokratisch regulierten Lebenslegitimation haben müssen. Wenn wir diesen Strafanzeige-OEG –Mist irgendwie in einer Art abgesicherten Handlungsablauf haben. Wenn ich vielleicht endlich einmal richtig ausgeschlafen habe.
Wenn es nicht mehr so weh tut, Gemögte verloren zu haben. Sicherheiten verloren zu haben.
Wenn die Erinnerung wieder etwas weiter im Hintergrund ist.

Vielleicht dann.
Dann sind wir wieder voll der Bereitwilligkeit uns auch für die Gefühle und Lebenswelten anderer Menschen zu öffnen und uns zurückzustellen.
Aber jetzt nicht.

über Suizid, Ohnmacht und Hilfe, die (für mich) keine Hilfe ist

Gibt es ein heißeres Eisen als den Suizid?
All die Verantwortung! All die Schuld!

und niemand sagt: all das Leben- all der Tod, all diese Unkontrolle, all diese Machtlosigkeit, all diese eine letzte Freiheit, die sich nimmt, wer sie sich noch zu nehmen in der Lage ist.

Meine, unsere Lebenssituation entspricht aktuell im Großen und Ganzen der, der 18 Jährigen damals noch nicht einmal C. Rosenblatt, sondern “Fremdbezeichnung die man halt angibt, weil alle ™ (die Mächtigen) sie verwenden”.
Irgendwie war das Einzige, was noch fehlte eine Person, die sich ganz genau so verhält, wie unsere damalige Betreuerin: opportunistisch, fremd, unempathisch, schuldzentriert und – das Schlimmste: der festen Überzeugung, doch nur das Beste zu wollen und zu tun- nämlich “helfen”.
Selbstverständlich über unseren Kopf hinweg. Selbstverständlich, ohne dafür in irgendeiner Form die Verantwortung mir gegenüber anzunehmen. Und – auch das versteht sich von selbst- ohne einen eigenen Anteil von mir wegzunehmen und bei sich allein zu verorten.

Es ist das Schlimmste, in solchen Situationen – in denen ich selbst von meinem Kopf überrascht bin, dass es den Wunsch nach einem “ich will weg sein” gibt und gucken muss, wie ich das regle, wo ich mir welche Hilfe hole und Ressourcen aktiviert bekomme- von “Hilfe” umgeben bin, die nur eines zum Ziel hat: “Unter gar keinen Umständen Schuld entstehen lassen!”.

Es ist jetzt 12 Jahre her, dass ich das erste Mal mit einer pulsenden Schnittwunde am Handgelenk und den Bauch voller Tabletten mitten in der Stadt stand und an einer Telefonzelle auf den Krankenwagen wartete.
Die Sanitäter waren nett und gaben mir ein Brechmittel zu trinken, während sie die leeren Blister abzählten und meine Wunde verbanden.
“Was war der Auslöser?”, hatten sie gefragt.
Und ich?
Ich saß da  mit meinem ganzen Paket auf dem Rücken, das ich spürte, aber nicht benennen konnte, und sie fragten, nach diesem einen Auslöser. Eine Polizistin kam dazu und erzählte mir nach einem Blick auf den anderen Arm, dass sie sich früher ja auch immer mal geritzt hätte, aber dass das wieder vorbeigegangen sei. Später. Dann halt.
Ihr Kollege erzählte mir davon, wie schön das Morgen sein würde. Ganz sicher.

Ich hatte ihn die ganze Nacht im Ohr, nachdem mir in der Notaufnahme zwangsweise ein Schlauch in den Magen eingeführt wurde, um ihn mit Aktivkohle zu füllen. Ich war an dieser Trage fixiert, blutete aus der Nase, heulte wie ein Schlosshund und alles, was ich wollte war:
sterben.

Überraschend, ne?
Ja, auf dieses Morgen, das auf dieser ewig piepsenden und trotzdem totbringend stillen Intensivstation irgendwie mit dem Gestern verschmolz und für mich nicht einen einzigen Unterschied erkennen ließ- auch auf dieses Morgen, hätte ich gerne all die Aktivkohle, die ich noch immer trinken sollte, gekotzt und ihm an den Ostersamstagsfrühstückstisch servieren lassen.
Mein Morgen tat weh, mir war schlecht und seltsam schwindelig und nichts hatte sich verändert.
Ich war immer noch da. Da war immer noch niemand, der mein DAS DA einfach fühlt und aus meinem Päckchen rausholt.
Das Einzige, was sich mit den Menschen an mein Krankenbett gewälzt hatte, waren die Themen “Schuld” und “Verantwortung”.
Selbstverständlich synonym verwendet und als Genesungsgeschenk an mich überreicht.
Wer differenziert denn bitte, wenn es um Leben und Tod geht?

Sie fragten nach dem Auslöser. Suchten in der Schule, zu Hause, in mir selbst drin.
Und ich war so leergekotzt, ausgeblutet und so fremd(wieder)belebt, das beim besten Willen nichts mehr zu finden war.

Ich wurde am Ostersonntag entlassen.
Erste Amtshandlung: die Großeltern besuchen. “Und du sagst nichts darüber, klar?”, raunte meine Mutter, als wir die Station verließen.
– Klar, was hätte ich auch sagen sollen?
Dass ich Hilfe brauche?

Ich war 15 Jahre alt und mein erster ernsthaft gefährlicher Suizidversuch endete mit meiner Entscheidung “Hilfe” zu holen. Und diese Hilfe lieferte mir mehr Gründe mich dem Leben und dem Dasein nicht gewachsen zu fühlen, als alles, was ich mir vorher hätte vorstellen können in meinem klitzekleinen Alltagsbewusstseinskosmos.

Dass ich keinerlei Erinnerung daran hatte, wo oder wann oder womit oder was genau ich da eigentlich geschluckt hatte… niemand hatte daran gedacht, dass es so hätte sein können.
Es dauerte noch x – suizidale Gesten bzw. Versuche bis diese Frage Raum bekam. Bis ich sagen konnte: Ich war das nicht, das war XY- ich bin nur die, die immer für “Hilfe” sorgt.

In den letzten Jahren, war XY nicht mehr oft “da”.
Hier und da schwebt sie ganz dicht an der Oberfläche und alarmiert uns mit ihrem Sirenengeheul über jedes “zu viel”, jede Angst, jeden Bedarf nach Nähe. Wir hören und spüren sie inzwischen sehr genau und agieren entsprechend nach Außen.
Es gibt keine bessere Suizidprävention, als zu äußern, dass man suizidal ist.

Genau dann hat man nämlich noch den Raum zu sagen: “Ich bin überfordert. Ich spüre keine Kraft allen Anforderungen gerecht zu werden. Ich habe Angst vor mir, meinem Sein, meinem Leben, meinem Wünschen, meinem Fühlen, meinem Denken, meinem Erinnern. Ich habe das Gefühl nicht atmen zu können. Ich bin überreizt und heiß gelaufen. Ich kann nicht mehr.” , dann kann man in einen Austausch kommen, wie dies zu verändern sein kann.
Uns hat das immer geholfen und entsprechend rabiat sind wir in der Hinsicht.

Wir wissen, dass es uns hilft, feste Punkte zu haben. Termine von Tag zu Tag, Vorhaben und niederschwellige Tagesziele, Problemlösungsetappen, die nicht in allzu ferner Zukunft liegen. Dazwischen essen wir Schrott mit so vielen Kohlehydraten wie es geht, liegen im Bett, lesen Trullaromane und machen Kunst in Wort, Ton, Farbe oder Bewegung. Das Denken wird auf kleine Schritte reduziert und der Fokus verengt sich auf Themenaspekte.
Wer schon mal in einer Psychiatrie oder Tagesklinik war, wird Parallelen sehen, eine Komponente aber als fehlend markieren: andere Menschen.

Wenn wir in einer suizidalen Krise sind, dann sind Menschen das größte Risiko ever.
Es ist und bleibt unsere Freiheit- unsere ureigene Entscheidung, ob wir uns suizidieren oder nicht. Wir allein sind unsere Richter_innen über unser Dasein und niemand sonst.
WIE wir leben, das bestimmen wir nicht. Wir können unsere Belastungen nicht regulieren, wie wir das wollen, treffen zig Entscheidungen am Tag, die weder uns im Zentrum noch im Ziel haben. Wir können versuchen uns jede Hilfe zu holen, die uns zu so etwas, wie einem “(lebens- _werten_) Leben” kommen lässt bzw. uns unterstützt uns dieses zu erkämpfen.
Aber, das OB, lassen wir uns nicht mehr in Frage stellen.
Genau das tun aber Menschen, die arrogant genug sind zu denken, Menschen müssten für mehr als sich selbst leben oder sein. Müssten irgendwie mehr als nur sie selbst sein, vor allem, wenn sie nicht sind, wie alle anderen ™.

An dieser Stelle beginnt die Gewalt der Hilfe. Die Folter der Psychiatrie.
Jemandem gegen seinen Willen etwas auszusetzen, was diesem (und seien es subjektiv wahrgenommene) Schäden bereitet, ist Gewalt.
Jemanden irgendwo gegen seinen Willen festzuhalten, damit dieser sich nicht tötet und ihn erst wieder frei zu lassen, wenn er überzeugend (Täter_innenloyal bzw. angepasst an Täter_innenwillen) äußert, er würde nicht tun, was er vorher aber eigentlich tun wollte, ist Folter und damit eine Form der Gewalt, die weder mit fundamentalen Menschenrechten noch Respekt vor der Lebensrealität anderer Menschen vereinbar ist.

Heute war ein Tag für mich, an dem ich so viel Gewalt ausgesetzt war, wie zuletzt als Jugendliche.
Allein das triggert in mir so ein übles Grundgefühl von Schwäche und Ohnmacht hoch, dass mir die Anforderungen vor denen ich bereits vorher mit großen Bambiaugen stand, noch größer, noch schwieriger zu bewältigen erscheinen.

Da klingelt es und zwei bewaffnete Männer in blau kommen in meine Wohnung.
In der ich alleine bin.
Unbewaffnet und getriggert bis zum Anschlag.
Ich hätte eine Suiziddrohung gegen jemanden ausgesprochen.
Pling- ein weiteres Bingo auf der IchbinsoeinMonster-Bullshitbingokarte

Sie wären ja nur da um jemanden herzuschicken, der das besser beurteilen kann als sie (und ich muahaha), ob ich nicht doch besser woanders Hilfe bekommen sollte.

Ich rufe an, wer diesen Aufriss verursachte. Doch dieser Mensch will damit nichts mehr zu tun haben.
MenschensindgefährlicheTiere-WerbrauchtMenschen-GucktsosindMenschen- Bingo- Pling

und das Tempo nimmt nicht ab. Genau das, was mich fertig macht- all diese ganze von _Ein_fachheit getragene Ignoranz meiner Lebensrealität, all diese Missachtung vor unserem Rasen auf Hochtouren durch ein Labyrinth auf der Suche nach Aus_Wegen_ , die mich nach Möglichkeit in Richtung “lebenswerte Zukunft” bringen- alles das kommt dann sachlich vorgetragen an einer Kette aufgereiht aus den Polizisten heraus, die sich eigentlich so vielen anderen – größeren, wichtigeren, werteren Dingen, Menschen, Umständen widmen sollten.
“Ja, aber sie müssen doch… ” … “Man muss sich ja auch mal ein bisschen bemühen in diesem Leben” … “Haben sie denn nicht nochmal vor irgendwas aus ihrem Leben zu machen?”

und noch immer ist niemand bei mir

Ich bin wieder 15 Jahre alt und sehe meinen Rechten auf Selbstbestimmung hinterher.
Da ist niemand der mich oder wenigstens meine Hand hält.
Da ist niemand, außer diese stolze Löwin aus Feuer, die aus meiner Asche rausschießt, um uns vor all der Gewalt, die wir schon in Kliniken erlebt haben zu bewahren und verpufft, als alles vorbei ist.

Das Zittern hielt die ganze Nacht. Geschlafen haben wir zwei Stunden.
Unsere Wohnung fühlt sich nicht mehr okay an.
Ich habe Schmerzen.
Ich glaube, ich habe meine Therapeutin angebrüllt.
Ich glaube, ich habe in den letzten 24 Stunden so viele Teenagertränen geweint, wie noch nie.

So ist das halt, wenn Hilfe zur Gewalt wird.
Wenn Helfer_innen zu Täter_innen werden.
So ist es, wenn man Menschen zu nah kommt.

Einfach lassen.
Kommen und gehen lassen.
Nicht halten.

Dann tuts auch nicht so weh, wenn man nach 9 Jahren so etwas wie Abschied macht.

Und nach ganz viel Ausstieg, die Geschichte mit dem Einstieg in ein Leben “danach”
noch einmal ganz neu anfängt.

 

 

P.S. für Angehörige suizidaler Menschen
1) Alle Menschen gehören nur sich selbst!
Mach dir klar, wieso genau du den Suizid deines Angehörigen verhindern möchtest. Geht es um dich, oder um diesen Menschen?
2) Der Auslöser für die Gedanken/ den Wunsch wird nichts sein, was mit einem Fingerschnipsen lösbar ist- es geht um Kraft und Mut, an eine Lösung zu glauben bzw. eine zu entwickeln und umzusetzen. Vermittle die Möglichkeit dazu mit ganz platten Handlungsschritten- ohne jedoch deinem Angehörigen zu sagen er/sie wäre “eine starke Person”- er/sie fühlt sich nicht so und zu hohe Ansprüche Außenstehender sind evtl. nicht hilfreich.
3) Du bist verantwortlich für die Hilfen, die du deinem Angehörigen zukommen lässt, wenn dieser sich nicht darum kümmern kann. Lass ihn nicht alleine mit Polizei/ Krisendienst/ Mediziner_innen – das sind Menschen, die ihren Job machen- kein Grund das Leben als lebbar wahrzunehmen.
4) Es gibt kein “wenn alles vorbei ist”. Auch nach der Krise/ einer Klinikentlassung/ Besuch von Krisendienst und Polizei zu Hause, ist nicht gleich alles gut.
5) Es ist nicht deine Schuld und es ist nicht deine Verantwortung, wenn ein anderer Mensch sich gegen sein Leben entscheidet.
6) Es ist nicht die Schuld der Familie/ der Gesellschaft ™ / des Systems, wenn ein Mensch sich selbst tötet.
7) Gedanken an den Tod bedeuten auch: Gedanken an das Leben Vielleicht findet ihr im Gespräch einen Gedanken, der richtig viel verborgene Kraft in sich trägt
8) Sei ehrlich und bleibe ehrlich. Wenn du dich überfordert fühlst, such dir Hilfe und/ oder Beistand, um diese Situation zu bewältigen.
9) Frage deinen Angehörigen, was ihm helfen könnte.
10) Sprachführung: von Suizid ist wenn überhaupt einzig diese/r Angehörige “bedroht” – Selbstmord gibt es nicht, Mord ist Mord
11) ? Vielleicht will irgendjemand der den Artikel gelesen hat, schreiben, was für ihn/sie einmal von helfenden Menschen gut und hilfreich war.

die Frage

Flauscheblume Es ist eine Frage, die ganz harmlos in einer Musterpackung Fragezeichen liegt. Sie beißt nicht, schreit nicht…
Sie war einfach da und rollte aus dem Mund des Anwalts in meinen Kopf hinein:
Was genau ist Ihnen denn passiert?

Seit 2001 stellen mir PsychologInnen, BeraterInnen, ÄrztInnen und Menschen aus anderen Kontexten, Fragen zu meinem Lebenslauf, meinem Befinden, meinen Vorlieben und Abneigungen, aber niemals hat jemand diese Frage gestellt.

Was genau ist denn passiert?

Die Frage belastet mich nicht, weil mir sofort eine besondere Situation eingefallen ist, oder weil ich Schweigegebote und Drohungen im Kopf hatte, sondern, weil sie sich langsam wie eine Retardtablette aufgelöst hat und mich dem Bewusstsein zuführte, dass ich bis heute die schlimmsten und mächtigsten Erfahrungen in meinem Leben mit niemand anderem als den TäterInnen teile und so eine Art TäterInnenkontakt halte, der näher kaum sein könnte.

Die Frage kullerte in meinem Kopf herum wie eine Kugel in einer Schale und stieß einen großen Ochsenfrosch an, der mit einem dumpfen “Quak” auf die Berührung reagierte.
Fröschequaken, Grillenzirpen, das ist die Art Stille, die sich auf solche Fragen ausbreitet. Es ist nicht Nichts, aber viel mehr als artikuliertes Hintergrundrauschen ist es in der Regel auch nicht.
Mein ganzes ES und alles DAS DA, ist eine einzige wabernde Masse. Wie ein Eintopf der 21 Jahre Zutaten erhielt und bereits 28 Jahre auf dem Herd steht.

Ein verbindendes Element meiner Gewalterfahrungen ist genau dieses Un(be)greifbare und die Definition des “_da_Seins”.
In den Situationen, an die ich gerade denke, war nichts und niemand _da_.
Ich sah nichts und hörte nichts als die Geräusche, die ich selbst verursachte und selbst die verschwammen irgendwann mit dem, was meine Nerven nur noch rudimentär an mein Bewusstsein weiterleiteten. Ich dachte meine Brocken und nahm die Qualität und ihre Zusammenhänge nicht mehr bewusst war.
Da war nur  Nichts und ganz viel Niemand zum Teilen. Zum Mit- teilen. Zum Anteil haben. Da wurde sich einfach irgendein abfallender (Persönlichkeits-) Anteil genommen, der selbst produziert wurde – und zwar von den TäterInnen.
Ich brauchte keine Worte dafür zu entwickeln oder zu verwenden, was mir passiert ist, denn passiert ist mir nur Kontakt mit einer Art von _Nichts_, das am Ende eines Schmerzes und einer Angst auftauchte, die völlig normal für mich waren und nie mit einem Begriff belegt wurden, der eindeutig war.

Ich habe meine Sprachmacke nicht, weil mir irgendein Genschalter umgelegt wurde, sondern, weil es genau das einzige Mittel war (und bis heute ist) an dem ich Punkte zur Selbstpositionierung finden konnte.
Doch niemand in meinem Umfeld sprach die gleiche Sprache wie meine Familie*.

In jeder Familie gibt es geflügelte Worte oder Synonyme, die nur in dieser Gruppe verstanden werden, eine Geschichte und Bedeutung haben, was gerade Familien oder ähnlich funktionierende Kleingruppen zu ganz einzigartigen Kosmen macht.
Natürlich gibt es dann auch eine Bewegung des Angleichens und Anpassens an äußere – andere – Systeme. Zum Beispiel den Kindergarten, die Schule und so weiter. Doch meine Chance dieser Anpassung mit einem Bezug zu beiden Systemen war bereits kaputt, als der Kontakt dazu unvermeidbar wurde.
Dazu kommt meine Hochbegabung, die mich sehr früh hat sowohl die Logik von Sprache erfassen, als auch die Verwendung der Wortbatterien in Bezug auf äußere Kontexte hat zuordnen lassen.

Als ich dem Anwalt gegenüber saß, kam mir ein weiteres Problem neben der Sprache in den Sinn.
Was genau meint er eigentlich mit “was genau”?

Ich weiß, dass in juristischen Kontexten konkrete Taten relevant sind- weiß aber auch, dass meine Schädigungen, nicht nur in genau diesen konkreten Taten begründet sind, sondern eben auch in dem allgemeinen Umgang voller Mikroaggressionen, Abwertungen, Abschottung und immer wieder betonter Andersartigkeit.
Wie oft sich allein am Esstisch über dem Abendessen gegenseitig und (für mich) systematisch gedemütigt wurde, dies aber vor anderen Menschen “Abends kommen wir alle zusammen und erzählen uns vom Tag” genannt wurde. Allein sowas macht in meinem inneren System heute Zahnräderknirschen auf mehreren Ebenen.
Das ist keine brutale Gewalt – aber es ist Gewalt unter der ich gelitten habe, weil sie mich immer wieder verwirrte und mit nichts kongruent anfühlte. Weder mit meiner Selbstwahrnehmung, noch mit dem Bild, das andere soziale Systeme von mir sowohl in, als auch mit meiner Familie* hatten.
Ich weiß, dass genau solche Gewalten nur allzu oft und allzu gerne auf die Betroffenen individualisiert werden und deshalb oft nicht mitgemeint sind in der Frage danach, was passiert ist und trotzdem sind es genau diese Situationen die immer herrschten.

Dieses grundlegende Klima von „Achtung Gefahr“ – „Gefahr“ – „inneres Sterben“ – „Ruhe/Stille/ Tod nach dem Sterben“ , das ist mir passiert. Das genau ist mir passiert.
Diese Wiederholung, diese Schlange, die sich in den Schwanz beißt- immer wieder, weil sie nie satt wird, das ist passiert. An mir, mit mir, in mir drin und immer wieder objektiv ungesehen, weil unbenannt von situativ objektiven BeobachterInnen.

Ich mache mir Sorgen, dass wir dieser Frage nach dem was passiert ist, die falschen Antworten geben. Nicht für das Außen, sondern für uns.
Ich weiß, dass die Justiz eine andere Sprache verwendet und weiß, dass auch der Fokus ein anderer ist. Weiß, dass es um Sichtbarkeit geht und als sichtbar eben gilt, was nicht nur individuell wahrnehmbar/ sichtbar ist. Es geht darum der Gefahr, dem Sterben eine objektivere Sichtbarkeit und Worte zu geben.
Obwohl ich und wir doch immer alle unsere Augen zugemacht haben, um gar nichts mehr wahrnehmen zu müssen; obwohl wir doch noch gar keine Chance hatten, Worte für das Erlebte – das objektiv sichtbar Erlebte- zu finden.
Auch, weil einfach wirklich nie jemand gefragt hat.

Am Anfang war das Wort.
Wo im Verlauf stehe ich, wenn ich kein Wort habe?

Genesis?

Hineinschauend in einen  Topf voll eigener Ur- Suppe?

OEG 2.1.

Und da saß ich nun also. Das beratene Opfer, das weiß, was es möchte und was nicht.
Ich kenne das OEG, kenne die Fallstricke, die strukturelle Gewalt, der ich mich ausliefere und alles. Ja verdammt- ich bin zigfach gepanzert gegen die Naivität, dass schon alles gut werden würde. Ich bin unempfindlich gegen die Versuchung zu denken: “Wenn ich nur etwas sage, dann reagiert meine Umwelt schon und es wird nicht schlimm.”.

Und trotzdem.

Ich weiß, dass ich keine Strafanzeige erstatten und auch keine Regressforderungen an die TäterInnen zulassen muss, wenn das bedeutet bzw. die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ich dann nicht mehr geschützt bin. Das Gesetz weiß das. Die Strukturen wissen das.
Der Anwalt wusste das wohl

aber dann doch eher theoretisch.

Im Nachhinein kann ich sogar lachen und wissenschaftlich interessiert nicken, was für ein absurdes Gespräch wir da geführt haben.
Was für Dynamiken mir angetragen wurden und auch wie schnell ich unter Druck komme. Noch immer, obwohl ich heute noch mehr als früher klar habe, dass die TäterInnen eben auch (neben vielem anderem) TäterInnen an mir waren.

Wir haben noch 3 Monate bis die Taten, die vor dem 18 Lebensjahr geschahen, verjährt sind.
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige für meine Geschwister?
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige, egal ob mit oder ohne Schuldspruch am Ende auf das Leben der TäterInnen?
Und wieso the fuck, denke ich jetzt über die TäterInnen nach?!

Was ist, wenn ich jetzt ablehne und mich aber in x- Jahren dann genau dafür hauen will?
Was ist, wenn ich jetzt anzeige und mich aber dann, wenn ich einer geschlossenen Station hocke, dafür dann nicht einmal mehr hauen kann, weil ich wieder so abgeschossen, wie vor Jahren bin?

“Wissen Sie, die Strafprozessordnung sagt auch etwas zu den Rechten der Opfer. Es geht auch darum, dem Opfer Genugtuung zukommen zu lassen.”.
Jetzt, drei Tage später, könnte ich darüber, bitter wie 20 Jahre alte Kapern, lachend vom Stuhl fallen.
Genugtuung? Hallo?
Was habe ich denn bitte davon? Kann ich mit 100 Pfund Genugtuung meine Therapie bezahlen? Aus 200 Kilo Genugtuung Lebensqualität klöppeln? Kann ich schlafen, wenn ich mich auf Genugtuung bette?! Macht meine Genugtuung, dass meine Geschwister selbstbestimmt entscheiden können, ob sie sich zu unserer Kindheit überhaupt in irgendeiner Form äußern möchten?! Werde ich Kraft all der ganzen Genugtuung so etwas wie Selbstwert, Bindungs- und Beziehungsfähigkeit und kohärente Selbstwahrnehmung entwickeln?

“Und wenn Sie eine Anzeige erstatten, dann sind Sie ja auch aktiv. Dann ist es ja auch ein Schritt aus der Opferrolle heraus und selbstbestimmter.”
– “Naja, das ist nicht selbst bestimmt, weil ich das ja nur machen würde, weil es das Amt verlangt, für den Bescheid zu einem Antrag den ich eigentlich nur deshalb stelle, weil die Krankenkasse, die Therapie nicht durchgehend finanziert…”
“Ja, aber man ist ja immer fremd beeinflusst”

Ich hatte nicht damit gerechnet selbst bei jemandem, der meine Anliegen vertreten soll, so massiv klarmachen zu müssen, dass es mir auf keiner Ebene um die TäterInnen oder Selbsterhebung geht.
Ich bin entsetzt, wie weit oben Opferinteressen eingestuft werden- gerade wenn es um so schwere Schädigungen geht.
Die TäterInnen könnten jetzt schon hinter Gittern sitzen- ich würde trotzdem noch meine Symptome haben, mich dieser ekelhaften Behandlung vom Jobcenter, kranker Kasse und der Gesellschaft ™ ausgesetzt sehen und alles sein- nur nicht so selbstbestimmt und gesichert, wie mir so untergeschoben werden will.

Ich will in aller Ruhe an mir arbeiten, heilen und mein Leben nach dem Trauma so gestalten, wie ich das heute noch kann.
Nicht mehr und nicht weniger.
Der Rest ist den Raubbau an mir, für mich persönlich nicht wert.
Ich sehe es nicht als meine Verantwortung an, Täterverhalten zu beeinflussen oder einer Beeinflussung zuzuführen. Das habe ich so lange so hart versucht, dass ich Viele wurde- jetzt ist Schluss mit dem Abarbeiten an den TäterInnen. Auch auf der Ebene.

Der Rechtsanwalt sagte, er müsse über die Mandatsannahme nachdenken und seine Effektivität prüfen. So hat er noch keinen Antrag auf Entschädigung nach dem OEG aufgezogen.

Ich habe mir inzwischen die Telefonnummer einer erfahreneren Kollegin herausgesucht.
Auch Testzweckklientin werde ich heute nicht mehr sein.

 

Und sie schreibt sich auf einen Zettel:
“Bei diesem OEG- Ding geht es nur um mich und das Leben, das ich heute habe.”

und hängt ihn sich an den Schreibtisch.
Auf Augenhöhe.

es ist

und ich stehe unterm Wasser
lasse meinen Blick von den Schwaden vor meinem Gesicht forttragen
”Das ist heiß heiß heiß heiß heiß”
ein Gedanke, der keiner ist
sich Hut und Stock nimmt und einen Spaziergang über den Jordan macht

der Schmerz schießt durch meinem Kopf
streift die glitschige Watte aus Nichts, die ich so krampfhaft zu einem Seelensein zu formen versuche

“laufen lassen”
ein Impuls, der sich an mir herunterrollt
in Blut, Tränen, Wasser zu einer Pfütze um meine abgerissene Beine sammelt
um im Abfluss zu verschwinden

bin ich
verdisst
getriggert
überreizt
überfordert
reißend
eximplodierend, wie ein schwarzes Loch, das eine Sonne gebären will

ein Stoß von hinten
ein Schlag gegen den Kopf gegen Fliesen gegen Welt und Sein
ein Ankommen
Warten

Fühlen
Ruhen

ein Schrei, der den Wasserhahn herumreißt
mich anbrüllt
aufschlitzt
häutet

an einem Haken über der Realität baumeln lässt

Fassungslos in mich hinein sieht
Worte, Nähe, Arme um mich legt
weder Tränen noch Wasser von seiner Haut wischt

meine Schuld stapelt
meinen Selbsthass vermultipliziert
in den Myriaden des Niegesagten

im Kosmos des Ichweißauchnicht

kosmos

und . und . und .

Resilienz “Ich bin grad leicht zu erschrecken”, hatte ich gesagt.
Dachte: “Ich werde an einer Krankheit sterben, die einen komplizierten Doppelnamen mit “Syndrom” hinten dran hat. Ich muss zum Arzt- ich brauche Hilfe. Jetzt.”.

Und weiß Stunden später: Ich bin getriggert.
Der Gedanke ans Sterben, diese Einbahnstraße, die ich doch immer wieder überhaupt betrete, weil Sterben so viel Ähnlichkeit mit Stopp hat.
Ich denke die ganze Zeit: Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.

 

und

 

es

 

hört

 

nicht

 

auf

 

Der Gedanke an Hilfe, die Stopp machen soll. Jetzt.
Dieses Jetzt, das so keinen Millimeter Platz für “gleich” hat. Kein Quäntchen Raum für “ChipkarteNameGeburtsdatumAdresseWiesohabenSieeinenvernarbtenKörperMachenSiePsychotherapie?” erübrigt.
Diese Hilfe, die mein Leben rettet, während sie seine Ränder abschneidet und mit dem Hacken auf dem Boden verreibt.
Pulverisiert.
Zersplittermultipliziert.

Und nichts verändert, denn es ist doch irgendwie das Gleiche, wie das Gegenteil von Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.

Ich bin getriggert und in den Hyperarousel gekippt.
NakNak* schläft neben mir, das Laptop summt und irgendeine Macht beißt mir ein Loch nach dem anderen in den Beckenboden.

Ich kann malen. Ich kann denken. Ich kann Skills runter- und G’tt anbeten.
Ich kann alles, was ich will.
Außer machen, dass es aufhört.

Von Schwester Britta weiß ich, wie man Pulse zählt.
Von Doktor House weiß ich, was eine Carotismassage ist.
Von Emergency Room weiß ich, dass es super ist, so etwas mal zu können.
Im Notfall.
Wenn Sterben ein Thema ist und wie ein Klangteppich aus Piepsen und Synthesizern über der Szenerie wabert.

167
158
153
150
145 Pulspochklopfer von unter der nerventoten Haut an meinem Handgelenk
Wie das Herz eines Tierchens, das ich mit der Bewegung streichle.

Ich schaue mir Pickeldy und Fredrick an und amüsiere mich.
Ich lache und lasse eine riesenhafte Faust meinen Leib aushöhlen, wie einen Kürbis.

Lachen ist gesund. Wirkt auf den Blutdruck ein.
Es macht das auffällige Tierchen in meinem Hals zu einer friedlich schlummernden Kugel nahe am Kiefergelenk.

Dann war ich allein mit meinem Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt.
Dem
Bitte
ohne Satzzeichen
ohne Adressat
ohne Briefmarke drauf

in einer Flaschenpost durch meinen Kopf

Diesem Bitte und Stopp. und Nein. und Ende. und Nein. und Stopp. und Halt, mit dem ich mein Hier und Heute verkorke.
Mir eine Insel erschaffe, auf der ich mir die Dauerwerbesendung zur Illusion der Macht über sich selbst anschaue.

Mir Gedanken zur Theorie des Stoppsterbens mache und eine zweite Ibuprofen zusammen mit der Notfallmedikation in das schwarzblutende Loch unter meiner Brust fallen lasse.

“Ist gleich vorbei. Gleich schlafen. Gleich. und Bald. und Ja. und Schlafen. und Gleich.”, sage ich dem winselnden Klumpen rohen Fleisches unter meinem Menschenkostüm und warte mein Warten.