das ist auch Hartz 4

Irgendwie ist es ja so: Ich kotze meine gallenbittere Hartz 4 Realität hier hinein und mit Trauma und Gewalt hats dann doch erst auf den zweiten Blick zu tun.

Für mich, uns, die kleinen harten Knubbel unter der Haut über meinem Innen, für die ist das eine Wiederholung.
Jede Solidarität, jedes Mitfühlen, jedes Verstehen, das dann doch nichts ändern kann, tut weh, weil sich für sie, uns, etwas wiederholt.

Da sind Leute ohne Gesicht. Eine Macht, die alles von einem weiß. Alles von einem zu wissen verlangt. Vor der es keine Geheimnisse geben kann. Darf.
Da ist die Ohnmacht. Da ist das Wissen, dass es nur einen Knick braucht. Nur eine falsche Bewegung. Ein falsches Wollen. Ein falsches Wünschen. Eine einzige individuelle Regung, die auch nur ein einziges Kästchen sprengt
und das Leben, wie es war, ist zu Ende.

Und da ist auch
das Mitteilen von Not. Von Ohnmacht, Verzweiflung, Widerwillen, Ekel, Ungerechtigkeit.
Und dann die Worte.
“Oh ja, das ist sicher furchtbar.”
”Hartz 4 ist die totale Scheiße”
”.. so unmenschlich”
”Gewalt…”

Ich hab neulich so eine dieser wabrigen Erinnerungen gehabt, auf die kleinere Schatten folgten.
Die Horterzieherin, die fragte, obs denn nicht weh tut. Die Lehrerin, die sagte, ja Eltern könnten manchmal ganz schön blöd sein. Die Klassenkameradin, die stumm nickt und ihren Fußspitzen erzählt, dass sie weiß, was ich meine. Die Kinderärztin, die auf ihren PC tippt und sagt, dass alles da drin steht.
Und die Welt, die sich einfach weiter gedreht hat, als wäre nichts passiert.

Ist es eine Art Undankbarkeit, wenn ich gar nichts mehr erwidern kann, wenn mir Menschen ihr Mitgefühl mit meiner Hartz fear ausdrücken? Wenn sie fragen, ob sie mir helfen können und ich im Kämmerlein unter dem Vorwurf, andere Menschen dazu gebracht zu haben, zu denken, sie müssten mich retten, zerrissen werde, nur noch ein Danke herauskriege, das auch “Okay- nimm mich einfach” heißen könnte?

Hat mich das Hartz so zerstört oder war das schon immer so?

Ich denke manchmal, es ist eine Fähigkeit von uns – einer dieser komischen Faktoren, die beim Überleben helfen, dass wir uns ausdrücken können. Dass wir das so oft an Sprechproblemen und Wortlosigkeit vorbei  geschafft haben.
Und dann steht man in so einer Gesellschaft, die so ganz viel aus symbolischen Akten zieht. Aus Pro- und Kontrapositionierungen und Worten, nach denen man Taten gar nicht vermisst.

Ich habe mich vorhin bei einem alten Wunsch ertappt.
“Wenn es nur bitte bitte endlich vorbei wäre.”.
Ich denke wirklich oft: “Ja, gut – ich nehme die Armut, die begrenzten Möglichkeiten. Ich ziehe die Rentenlosigkeit und den Plastezahnersatz mit Mitte 30 und tausche gegen die Angst den Briefkasten zu öffnen und die Spirale aus Kämpfen und Verlieren.”

Ich hab einen ähnlichen Kompromiss als Jugendliche gemacht.
Weil ich in der Jugendhilfeeinrichtung ständig so furchtbare Bauchschmerzen und untergründig schwelende Todesangst hatte, hab ich getauscht und bin zurück nach Hause gezogen. Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie es da eigentlich immer so war.

Ich weiß auch nicht, wie man ohne Rente und mit Plastezähnen so lebt.
Ich würds trotzdem gegen diese Hartz fear tauschen. Ernsthaft.

Aber Hartz 4 kann man nicht tauschen. Das kann man nur vererben.
Es gibt kein Raus für mich. Für uns. Jedenfalls nicht jetzt. Dieses Jahr. Nächstes. Übernächstes. Und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch noch überübernächstes Jahr nicht.

Und alle verstehen, wie furchtbar das für uns sein muss.

Und die Welt dreht sich einfach weiter.

außer…

mehr Kunst machen, habe ich mir gewünscht
und gedacht
ich versuche einfach mehr
ich habe mir Tintenfedern gekauft und Tusche
und gemerkt, dass es gut funktioniert
obwohl ich linkshändig arbeite
ich hab ein Skizzenbuch gekauft
und gedacht, dass ich alle Techniken,
die mit dem üblichen Skizzenblock nicht gehen,
probieren werde
und dann habe ich Acryl mit Serviettentechnik
Wasserfarben und Liner,
Tusche und Bleistift,
Buntstift und Fasermaler,
Tee und Bleistift,
vermischt
und dann
muss ich versuchen nicht zu weinen,
weil mir auffällt, was alles möglich ist
außer
auszudrücken, was unter meiner Haut erinnert wird

Verständnis und „Aber Hilflosigkeit !!1!!11!“

DSC_2870In irgendeinem Buch über Traumafolgestörungen habe ich gelesen, dass es eine Phase der Auseinandersetzung geben kann, in der es viel darum geht, bewusst zu bekommen (oder bewusster als vor der Therapie/ der Auseinandersetzung mit traumatischen/belastenden Erfahrungen zu erleben) was man sich wünscht, oder braucht oder möchte.
Dort wurde es in einen Kontext gesetzt mit einer Art regressiven Anspruchshaltung der Menschen, das Außen müsse sich jetzt kümmern, weil man selbst es (aufgrund seiner Erfahrungen, oder einer empfunden Schwäche/Kaputtheit/Unfähigkeit) nicht kann. Und dann ging es darum, dass man den Patient_Innen klar machen muss, dass sie falsche Erwartungen haben.

Als ich heute in der Therapie saß, überlegte ich, ob ich im Moment in so einer Phase bin, oder ob ich vielleicht nur an einer Achse der Gewalt spürbarer als früher unter Druck bin.

Vielleicht liegt es daran, dass ich inzwischen mehr und mehr überwiegend Onlinekontakte mit Menschen habe, die das Viele sein – die speziell auch mein Viele sein – nicht verstehen oder sich sehr anstrengen müssen, es zu verstehen und zu begreifen.
Und genau da beginnt schon mein Dilemma:

Ich habe kein Problem damit, dass Menschen es nicht verstehen oder begreifen. Ich habe Verständnis dafür, dass es so ist.
Ich habe aber ein Problem damit, dass Menschen es nicht verstehen oder begreifen müssen dürfen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass ich verstehen muss, andere aber nicht.

Das Blog von Vielen haben wir für anderer Menschen tieferes Verständnis begonnen.
Und nichts hat sich seit 2008 für uns verändert auf dieser Achse.
Gefühlt.

Wir haben heute mehr Menschen mit denen wir Facebook zusammen nutzen können, Twitter ist weniger sinnlos und manchmal ist so ein Like unter einem Text im Blog, den sich ein Innen mühsam aus dem Innen gepuhlt hat, das was den Tag erleichtert. Wir haben Worte gesucht, gefunden, und jetzt schieben wir sie hin und her. Freuen uns, wenn sie passen. Für uns und andere Menschen.

Aber noch immer müssen wir jeden unbeholfenen Kommentar von Menschen, die uns weder analog oder übers Netz kennen, zum Viele sein, zum Leben mit einer Geschichte wie unserer, annehmen, abhaken und in ein Kästchen legen auf dem steht: “der Menschen weiß es eben nicht besser – das muss man verstehen”.

Wir tun das in diesem WordPress-Blog seit 753 Artikeln, mehrfach in der Woche bei Twitter, manchmal per Mail.
“Sie verstehen es nicht, aber das muss man ja auch verstehen. Sie sagen es aus Hilflosigkeit.”.

Vor ein paar Tagen hatte ich in Bezug auf diese Phrase des “Sie sagen es, weil sie hilflos sind” eine Epiphanie des: Das ist Bullshit.
Niemand ist hilflos nur, weil er nicht weiß wie er jemandem die Welt umkrempeln soll, damit es diesem jemand besser geht. Man ist hilflos, wenn man ohne Hilfe ist – nicht, weil man keine Fähigkeit zu helfen in sich fühlt oder denkt, das, was man als Hilfe anbieten könnte, würde nicht reichen.
Diese Haltung lässt mich immer wieder hilflos stehen, weil sich Menschen mit dieser Begründung von mir entfernen. Mich allein lassen, weil sie sich unfähig fühlen.
Sie haben ein moralisch schlechtes Gewissen, weil sie jemanden nicht gerettet haben oder ihm nichts anbieten konnten.
Ich bleibe zurück und übe mich darin Verständnis dafür zu haben, weil man das ja auch haben muss.

Man kann ja nicht erwarten, dass alle alles verstehen.

Tja, ich bin so ein dummes Schaf.
Ich möchte das erwarten dürfen und – deluxe Schäfchen (ich glitzere manchmal) – manchmal auch erfüllt bekommen.

Vielleicht will ich sagen: Hier sind über 750 Artikel, die erklären, warum Ansagen wie “Vergangenes kann man nicht ändern- komm drüber weg” – “sei zufrieden mit dem, was du hast” – “wieso bist du denn so wütend?” – “man muss verzeihen” – “man muss auch mal Kompromisse machen” – “man muss sich auch mal anpassen” in meinem Fall oft unangemessen sind und mir etwas abverlangen, was ich dem Gegenüber in solchen Situationen und auch sonst nie abverlangen kann.

Vielleicht will ich sagen: ich bin müde vom Verstehen im Unverstandensein.

Ganz sicher will ich viele Dinge mehr sagen, die ich hier nicht schreiben kann, weil ich euch Leser_Innen in der Masse gar nicht kenne. Es wäre unfair wenn ich meine Verletzung über ausbleibenden (finanziellen) Support oder tiefergehende Diskussionen hier so austrage, wie ich es heute jetzt gerade in all meiner bitteren Erschöpfung nach diesem ultraturbulenten Jahr gerne tun würde. Es wäre unfair, und ich weiß das.

Weil ich es verstehe.

Ich verstehe aber auch, dass ich gerade immer mehr und immer breiter verstehe, warum ich so eine armselige kleine Existenz bin, die auf ein Morgen schaut, das von Abhängigkeiten, Nöten, Kämpfen und einer ewig schwelenden Unrache geprägt sein wird. Ich sehe mich inmitten einer Gesellschaft, die sich über jemanden wie Edathy empört und vergisst, dass Kinder, deren Gewalterfahrungen gefilmt wurden, zu Erwachsenen werden können, die zu einer Person werden kann, mit der man jeden Tag zu tun hat.
Ich sehe mich inmitten von Menschen, die sich für Opfer und zu Opfer geworden Menschen stark machen und übersehen, wie oft sie selbst Gewalt ausüben und mittragen. Ich erlebe mich inmitten von Not vor der Not anderer Menschen überall auf der Welt und habe das Gefühl, die Welt hat vergessen, dass sie aus handlungs- und veränderungsfähigen Menschen besteht.

Von Menschen, die von mir hören müssen, dass das, was sie tun können um mich zu trösten oder mich zu stärken, wenn sie es möchten, manchmal einfach schon ist mit und bei mir zu sein, sich mir sicht- und spürbar zu machen – von denen kann ich nichts erwarten. Für die muss ich da sein.
So fühlt es sich an.

Und das macht müde.
Ich werde für keine Email mit Antworten auf Fragen nach einem bekannten freien Therapieplatz, einer Suchmaschine für Traumatherapie, für Erfahrungen mit Medikamenten, mit Fragen in Bezug auf Traumatherapiemethoden, mit Fragen, was sich im Ausstieg und bei der Re-Orientierung bewährt hat und all die ganzen großen und kleinen Nöte, die von mir kommentiert werden möchten und und und bezahlt. Ich habe nie gelernt, wie man Menschen in großer Not gut berät. Ich habe keine Supervision in dem, was ich tue. Ich habe keinerlei Anbindung an Vereine oder Opferschutzeinrichtungen, die mir in irgendeiner Form bei dem Ding, zu dem das Blog von Vielen geworden ist, eine Unterstützung bieten kann.
Alles, was hier passiert, ruht auf den Schultern einer einzelnen Person, die weder Einkommen noch Auskommen hat.

Unsere Texte sind und waren immer unsere Möglichkeit uns zu erklären. Es geht darum, dass wir verstanden werden.

Es geht hier nicht um Angehörigen- oder Verbündetenflausch.
Ich entschuldige nicht mehr mit „Aber Hilflosigkeit !!1!!11!“.

Es geht hier nicht um Öffentlichkeitsarbeit zum Thema DIS.
Ich schreibe in die Öffentlichkeit, was ich erlebe, nachdem ich Gewalt erlebt habe.
Und das und der Umstand am Leben zu bleiben, um das tun zu können, ist meine Arbeit, die zu honorieren dieser Gesellschaft bis heute nicht gelingt.

Wofür ich Verständnis haben soll.

Vielleicht habe ich das wieder morgen oder übermorgen oder nächste Woche.
Aber im Moment, wo ich meine Erschöpfung, meine Bitterkeit, meine Hautlosigkeit so sehr spüre, habe ich es nicht und weiß, dass dafür Verständnis einzufordern, keine falsche Erwartungshaltung von mir an andere Menschen ist.
Auch dann, wenn es eine übliche Phase der Therapie ist.

Wörterschmerz

schweigemädchen2“Kann dein Vermeidungstanz vielleicht bald aufhören?”, sagt die Stimme durch das Telefon.
Wir sind so weit weg von ihr, dass sie nur noch eine Stimme ist. Aus dem Tiefinmir zittert ein Laut in meine Richtung und versickert wieder.

“M. ich weiß nicht, was ich tun könnte. Ihr kommt mir sehr weit weg vor.”

Ich bin nicht M. . Das kann sie aber nicht wissen.

“Müsst ihr mich wegmachen?”

“Du bist in Ordnung, wie du bist. Ich nicht. Ich wäre am Besten weggemacht.”.
Kein Wort schafft es raus.
Da ist dieser Druck, wenn Menschen so tief in uns hineinbohren. Wir werden davon verschoben und sammeln uns am Rand des eigenen Seins.

“Bitte…” tropft mir von der Zunge und verdampft.

“Es tut mir leid, ich will euch nicht bedrängen. Aber könnt ihr sehen, dass es mich belastet, wenn wir so lange nicht miteinander sprechen? Ihr meldet euch so gar nicht mehr.”. Mir kommts vor, als würde sie ihre Worte noch einmal betrachten, bevor sie sie in meinen Kopf pustet. “Ich habe das Gefühl, dass es euch schlecht geht und ich etwas damit zu tun habe.”.

“Du bist nicht mehr da.”, denke ich, doch als ich eine Öffnung versuche, kratzen die Stacheln eines anderen Innen an mir vorbei. “Wir reden doch mit dir. Tschuldigung, wenns grad nicht das besondere Entertainment ist, das du willst.”. Ich lasse meine Stirn in den Handteller fallen und seufze tonlos. “Ach, R., halt die Fresse”, lachen, dumpfes Grollen, ein grelles Blitzen und Schwindelgefühle, blubbern in meinem Kopf durcheinander und versperren mir den Weg.

“R.? Bist du das? Du weißt eigentlich, dass ich von euch kein Entertainment erwarte, klar? Ich weiß, dass ihr nicht für andere Menschen auf der Welt seid, okay?”. Ihr Schmerz tut mir weh. R. schnaubt ins Telefon und denkt darüber nach, ob sie ihr glauben kann. “Kann man nie wissen.”, raunzt sie am Ende ihrer Überlegungen.
“Stimmt.”, antwortet die Stimme.

Ich würde gerne das Gespräch beenden. Würde gerne Schritt für Schritt weiter von ihr weggehen. Mein Schweigen ist so ein weicher Verband um das klaffende Loch in mir und manchmal wärmt es mich. Es fällt mir so leicht zu schweigen. Es ist so einfach mit mir allein zu sein.
Mein Schweigen, hat keine Umrisse wie Menschen und Tiere.
Mein Schweigen macht meine Umrisse.
Wenn ich rede, dann laufe ich aus und ganz viel Ich ergießt sich über den Boden.

Ich könnte verdunsten und als Wolke eines Du über einem Sterben schweben, wenn ich etwas sage.

“R. kannst du mir sagen, warum ihr so lange nicht mehr bei mir angerufen habt? Braucht ihr im Moment mehr, dass ich euch anspreche?”, fragt sie. Ihre Stimme hat so eine Tiefe in den Bauch hinein. Als wäre sie sehr weit und könnte alles umfassen, was sie formuliert. R. kratzt in meinem Gesicht herum und schielt durch den Schmerz in meine Gedanken.
“Es tut zu weh für Wörter.”.

“Es tut zu weh für Wörter”. R. stolpert darüber und schämt sich dafür. Löst sich auf und rinnt durch ein kleines Loch im Inmitten von uns.

“Okay, es tut zu weh für Wörter und deshalb gibt es keine? Verstehe ich das richtig?”. Es fühlt sich an, als würde sie direkt auf mich zu fragen und ich drücke mich an den Rand. “Ich bin nicht da ich bin nicht da ich bin nicht da… ich bin nicht.”, denke ich und warte darauf, dass es Wirklichkeit wird.
Es wird immer Wirklichkeit. Ich brauche dafür nichts machen.

“Ich möchte euch helfen, dass es weniger weh tut, okay? Darf ich das?”.

Es ist paradox. Du bist doch gar nicht. Du bist doch weg. Du bist doch gar nicht mehr da. Wie sollst du etwas helfen? Du bist doch gar nicht mehr da. Du bist doch weggegangen. Du bist doch nicht mehr.
Die Welt kippt mich ins Nirgendwo.
Erlöst mich in ein Da ohne Worte und Konturen.

shades of Inklusion 4

Es heißt “Traumaintegration” und nicht “Traumainklusion”  und ich hatte einen dieser “BÄNG! etwas vom Problem “Trauma” verstanden” – Momente, in dem einem der Boden unter den Füßen wackelt.

Wie gesagt: Integriert wird das Fremde – Inkludiert das Gleiche
Wenn man von Traumatisierungen spricht, dann kommt man immer wieder in Erzählungen von sehr großen übermächtigen Ereignissen und Schmerzen und Verletzungen und Gefühlen.
Das ist zumindest, was ich oft sehe: Da geht es um “das Trauma Vergewaltigung” oder “das Trauma Krieg” und als Trauma wird nicht der Seins- oder Ist-Zustand nach einem solchen überlastenden, für die beteiligten Personen traumatisierenden Ereignissen, sondern das Ereignis selbst.

Und wenn man es so auffasst, ergibt der Begriff der Traumaintegration auch Sinn, denn oft werden diese Ereignisse als fremd/unüblich/unnormal markiert.

In der Medizin ist es aber das “nach dem Einschlag/der Verletzung/nach dem Ereignis”, das als Trauma bezeichnet wird. Was bleibt ist ein “Schleudertrauma”, ein “Schütteltrauma”, ein “dumpfes Trauma” und so weiter.
Dort ist der Fokus aus der Re-Aktion des Individuums auf das, was ihm von außen zugefügt wurde – von einem anderen belebten oder auch unbelebten Körper.

In den Kontexten, in denen ich mich mit meiner Traumatisierung auseinandersetze, passiert beides gleichzeitig. Manchmal gekoppelt und synonym verwendet. Manchmal bin ich eine traumatisierte Person, weil mir etwas passiert ist und manchmal wird meine Re-Aktion auf ein Ereignis als post-trauma-tisch verw-ortet.

Ich habe verstanden, dass mir Menschen (also mir gleiche Körper) ein Trauma “gemacht haben”, das mich (und sie) fremd machte.

Meine erfahrenen Traumata (Wunden und Verletzungen) brauche ich nicht integrieren – das haben sie bereits allein gemacht. Sie sind in mir drin, ob ich es will oder nicht. Meine Erfahrungen sind alle irgendwie in mir integriert – deshalb schrabbeln sie ja auch so hin und her in mir. Sie erfahren von mir keine Anerkennung als etwas, das mit mir zu tun hat. Sie werden von mir nicht absorbiert, weil ich ihren Körperbezug nicht anerkennen darf will soll kann. Sie werden von mir nicht inkludiert, weil sie immer wieder als fremd markiert werden.
Manchmal von mir, weil nicht “Ich, M. in dieser Hannah drin” etwas erfahren habe, sondern “die Anderen – das andere Fremde in mir – dieser ganze Kullerbunteknäuelhaufen Rosenblätter” und manchmal von Außen: von der Gesellschaft ™ , der Presse, der Hilfestellen, die meine Gewalterfahrungen in ihrer Schwere, ihrer Häufigkeit, ihren Kontexten, ihren Dynamiken und Folgen für mich als Objekt, das mitgetragen werden muss, an meiner Stelle bewertet, bewortet, definiert und wissenschaftlich befund(ier)et.

Inklusion kann erst beginnen, wenn man die Gleichheit anerkannt hat und sie dann in all ihren Facetten anerkennen und annehmen kann. Es ist der Schritt anzuerkennen, dass Gleichheit nichts mit Kongruenz zu tun hat, sondern mit Kompatibilität und Entwicklung, um der Entwicklung willen.

Wie gesagt: ich gehe nicht zur Psychotherapie um “normal” zu werden.
Ich habe kein Interesse daran Teil der Mehrheitsgesellschaft zu werden. Ich glaube nicht an das Konzept Gleichheitsgesellschaft. Ich glaube, an Mit- Neben und Beieinanders, in denen Macht eine Sache von Gemeinschaften ist, die in sich Entwicklungen, Leben und Lernen ermöglichen, um sich zu entwickeln, zu leben und zu lernen.
Ich glaube daran, dass Dinge konkret und gleich sein müssen, um sie in sich aufnehmen zu können.

Ich muss anerkennen, dass ich normal bin. Dass meine Gewalterfahrungen normal waren. Dass das Verhalten der Menschen, die an mir zu Täter_Innen wurden normal waren. Dass es eben doch nichts Fremdes ist oder jemals für mich war, zu erleben, was ich eben erlebt habe. Und das wiederum heißt, dass meine Umgebung damit aufhören muss, mich fremd zu machen, weil ich für sie Fremdes erfahren habe und endlich an den Punkt kommen muss, Gewalt und ihre Folgen als so üblich zu betrachten, dass sie bereits ein fest integrierter Bestandteil aller (wirklich ALLER) gesellschaftlichen Konventionen und Maßstäbe ist.
Erst dann bin ich nämlich weder ich, noch das, was in meiner Lebensrealität und meinem Innenleben herumschrabbelt, ein traumaassoziierter Fremd-Körper.
Dann kann die Traumainklusion beginnen.

– Geschafft –

ein weiterer Faden

Ich habe heute morgen gemerkt, dass ich gerade das 16-17-fast 18 jährige in mir betrauere und bemitleide. Nicht, weil es so lange in einer Klinik sein musste, sondern weshalb es dort sein musste.

Als ich meinen Artikel über die Wahl zum Suizid geschrieben habe, gab es einen Kommentar,  den ich nicht freischaltete, weil er mich angebrüllt hatte. Da ging es darum, was man denn meiner Ansicht nach machen sollte, wenn sich jemand suizidieren will und man damit konfrontiert ist (die von mir aufgeführten Vorschläge zählten offenbar nicht als Idee)
Heute würde ich antworten, dass man Menschen auch Gründe und Perspektiven für ein Leben geben
und dafür sorgen muss, dass sie diese Perspektiven auch verfolgen können, wenn man von ihnen zu leben verlangt. Ansonsten ist der Anspruch an suizidale Menschen, gefälligst am Leben zu bleiben, nichts weiter als ein reaktionärer, egoistischer Kackscheißanspruchhaufen, der nichts mit dem suizidalen Menschen zu tun hat.

Als ich Ende 2002 in diese Kinder- und Jugendpsychiatrie kam, hatte ich keinen Sinn frei für solche Dinge und auch das hatte Gründe, die ich bis heute gut nachvollziehen kann. Selbst heute habe ich in ähnlichgleichen Lagen noch immer eher Suizidgedanken, -pläne, -ideen , als die Selbst-Sicherheit und die Möglichkeit mich allein zum Weiterleben zu befähigen.
Dass Leben so wahnsinnig viel mit Befähigungen zu tun hat, die weit mehr als kognitive oder körperliche oder auch soziale Fähigkeiten, die man auf irgendeine Weise erlernen kann, meint, habe ich durch diese Reise und die Gespräche mit der Kliniktherapeutin und auch der Klinikschulenlehrerin aus der Zeit, einmal mehr verstanden.

Zu der Zeit _konnte_ ich nur noch nicht leben wollen.
Mir sind einige Situationen gefallen, in denen ich mich heute “reaktives Hörnchen” nenne. Oder “flattrig zittriges Espenblatt”.
Ich hatte ja keine Ahnung von Traumafolgen, von Stressphysiologie und der Mechanik des Grauens.
Wenn man 16 ist, dann ist man genau in dem Stück Entwicklung, in dem Geister als Unfug markiert sind – der Lauf der Dinge aber, vor allem an sich selbst, so voller Zauber, Magie, ungreifbarer Wunder ist, dass das eigene Wachsen und Erkennen nicht nur auf der sozialen Ebene absorbierend sein kann.

Ich hatte keine Worte dafür, weil ich dissoziierte, was da in mir waltet. Damals habe ich von einem Tag vielleicht 5 bis 10 % bewusst aufgenommen und vielleicht 1% als Idee von dem Hauch einer Ahnung der Essenz des Lebens als Lauf der Dinge, aktiv in mir gehalten. Ich war von Angst absorbiert und bin es bis heute in gewissem Maß.
Heute kenne ich die Graustufen meiner Angst – ich habe eine Skala von Panik & Knock out bis Unruhe & Anpfiff zum Vermeidungstanz.
Die Skala damals war von […Wortlos…] bis Tavor/Fixierung/Paniksymptome.

Sogar die Medikamente kann ich jetzt mehr als Hilfe stehen lassen.
Nach dem, was ich von den jugendlich kindlichen Innens hinter mir aus dem Gestern ins Heute schwingen fühlte, müssen sie sich oft als eine Insel dargestellt haben, was mir wiederum die Benzodiazepinabhängigkeit als junge Erwachsene noch besser erklärt.
Wenn es nichts und niemanden auf der Welt gibt, außer eine chemische Reaktion, die zum Atmen und Wahrnehmen befähigt, wie es “alle” verlangen – tja, dann eben chemische Reaktion und das Gefühl “alle” zu belügen in Sachen “sich keinen Schaden zufügen”.

“Die Umstände, in denen ich leben musste, waren oft lebensfeindlich.”
Das ist mir als Gedanke auch gekommen und erklärt mir die Selbst-Bilder einer Assel, einer Kakerlake, eines grüngesichtigen Mutanten unter einzelnen jugendlichen Innens. Auch da wieder: eigentlich wussten und wissen sie: “Ich bin ein Mensch” –  sie wussten und wissen aber auch: “Was ich damals zu leben – zu überleben gezwungen wurde, hatte nichts menschenwürdiges, nichts menschliches – erfordert aber bis heute zum Teil noch Fähigkeiten, die nicht mit Menschlichkeit benannt werden”.
Es bestärkt mich noch einmal mehr darin meine Armut auch Armut zu nennen. Diese Lebensumstände, in denen es eben doch noch existenzielle Angst und globales Ausgeliefertsein ganz real greifbar immer wieder gibt, nicht zu relativieren, weil irgendjemand anderes eine andere Sicht darauf hat. Es bestärkt mich in meiner eigenen Einschätzung über mein Leiden und auch Leben. Wenn ich es als furchtbar wahrnehme, dann ist es furchtbar. Wenn ich das Gefühl habe, es ist unaushaltbar, dann halte ich es nicht aus.

Ich erinnerte mich daran, wie es nach der Entlassung aus der Klinik dort war und ich umgeben von Menschen, die Forderungen an mich stellten, denen ich nicht gerecht werden _konnte_. Wie das war, als es plötzlich hieß, ich würde hysterische Rollenspiele abziehen, um betüddelt zu werden. Als “alle Welt” (und ja, so eine Welt kann auch nur eine kleine Kreisklapsenstation umfassen, wenn sich sonst niemand mehr nach einem erkundigt und die Welt hinter dem Klinikzaun endet) dachte, ich würde es nie raus schaffen. Als “alle” davon ausgingen, ich würde nie 19 Jahre alt werden.
Ich hatte mich in zurück in das reaktive Hörnchen verwandelt, das die Zeit vor dem langen Klinikaufenthalt so gut überstanden hatte.

Klar, brauchte es Jahre zu glauben, dass ich mich auch als Mensch wahrnehmen darf. Klar, habe ich mich an Menschen gehängt, die mir ihre Selbstzerstörung als selbstverständlich heldinnenhaft vorlebten und bis heute anderen hilflosen, verzweifelten Menschen vorleben. Klar, habe ich jahrelang versucht in Arbeit, Leben und Leben lassen zu kommen, wie es die Gesellschaft ™ verlangt.
Obwohl diese mein Fehlen nicht merken würde, wie sie das Fehlen aller, die ohne Stimme sind, nicht bemerkt.
Selbstverständlich verzweifle ich regelmäßig daran, dass Forderungen an mich gestellt werden, die eine Veränderung an oder in mir meinen und negieren, dass ich auch in Reaktion auf Dinge, die um mich herum verändert werden müssten, lebe.
War doch die Erkenntnis auf etwas zu reagieren so ein wichtiger Schritt zu verstehen, was mit mir passiert.

Das ist die Wahl, die die Menschen treffen, die mit mir zu tun haben.
Entweder erkennen sie die Mechanik des Grauens in mir an und sehen meine Reaktionen [das Symptomcluster das letztlich dann DIS heißt] oder bleiben bei einer Sicht auf mich, die einzig das Außen umfasst und implizieren einen Plan, einen Willen, eine Absicht.
Manche Menschen sind vielleicht auch mutig und trauen mir je nach Situation beides zu. Lassen beides in meinem Leben und meiner Er-Lebensrealität einen Platz haben und erkennen an, dass uns nicht sehr viel unterscheidet.

Ich bin traurig darüber, dass ich, die heute jungen Innens, damals so wahnsinnig viel Angst hatten und haben mussten, obwohl wir uns in relativer Sicherheit befunden haben.
Ich bin traurig darüber, dass ich eine Bewertungsdynamik von außen erst jetzt in mir merke. Nämlich, dass ich selbst so oft zwischen HelferInnen*seite und Seite derer, die Hilfe brauchen oder erbitten, trenne und auch werte.

So drücke ich auch deshalb den Wert meiner Arbeiten und verlange weder aktiv Honorare noch bestehe ich auf angemessene Beiträge zur Unterstützung, weil ich ja nur veröffentliche, was in meinem stinkenden Höllenloch des “Inmitten von mir” gereift ist und raus muss. Ich habe ja nichts gelernt, bin ja nur aus Versehen überhaupt noch da.

Zum ersten Mal bin ich auch traurig darüber, dass ich mich selbst noch immer so sehr hasse, widerlich finde und bis heute über Platz im Herzen anderer Menschen wundere, weil ich etwas anderes noch immer nicht _kann_ – obwohl ich inzwischen auch keine Gesten, die etwas mit Wertschätzung meiner Arbeit oder auch meiner Person zu tun haben, ablehne, weil ich sie zu (er)tragen gelernt habe.

Ich bin traurig, dass ich erst jetzt auch merke: mein Selbsthass war nie die Entscheidung, die mir unterstellt wurde mit jedem: “Du musst dich einfach mal toll finden- geh doch mal raus- der erste Freund macht das alles gut- du musst dich mal zurecht machen, dann siehst du wie schön du bist – du musst nur mal glauben, was andere Positives über dich sagen”.
Mein Selbsthass ist genauso sehr auch Reaktion auf den Hass, der in mich eingebracht wurde, wie eingeschliffenes Muster der Selbstbetrachtung.

Es ist traurig und bitter, Hass als Motiv neben Erklärungen wie “hat eben auf etwas Falsches von mir reagiert” , “ich bin eben…”, “ich hätte halt…”, “er/sie/* ist ein kranker Mensch, deshalb….”, “er/sie/* wusste es nicht besser…”, “er/sie/* hatte ja auch keine andere Wahl…”, “er/sie/* ist SadistIn* und deshalb…” und so viele mehr, die wie ein Karussell in mir herumkreiseln, zu stellen.

„Es ist okay zu trauern“, denke ich.
Und starre mich gleichzeitig fassungslos an.

„… dass ich sowas _kann_ …“

zum Begriff “Überlebende”

Es war eine Frage bei der Openmind Konferenz. Wie ich zu dem Begriff “Überlebende” stünde.
Mich hat es noch ein bisschen beschäftigt und jetzt kommen nachträglich  ein paar Worte von mir dazu.

Ich habe mich von dem Begriff für mich gelöst. “Überlebende” ist keine Selbstbezeichnung mehr für mich.
Eine ganze Weile fand ich den Begriff gut, weil er mir als Alternative zum Wort “Opfer” erklärt wurde und er auch die Wucht dessen, was ich erfahren habe, damals irgendwie passend transportierte.
Ich hatte ein Wort gesucht, das nicht nach Passivität klingt oder darüber definiert wird.

Und dann hatte ich mich an etwas erinnert, das mir klar machte, wie profan Über- und Weiterleben eigentlich ist.

Es ist keine Leistung und auch keine Fähigkeit zu überleben oder überlebt zu haben.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber mich macht der Versuch des Empowerments mit dem Satz: “You are not a victim – you are a survivor” inzwischen richtig wütend, weil er sich der simpelsten aller Maschen bedient, die das Sprechen und Verdrängen um Gewalt und ihre Folgen an sich hat: Abwertung von Opferschaft und der Implizit diese wählen zu können.

Der Satz könnte besser heißen: “You were a victim and you survived”.

In meinem Vortrag sagte ich, dass es keinen einzigen Begriff gibt, der Menschen, die zu Opfern wurden, in ihrem Leben nach der Gewalterfahrung benennt, ohne sie immer wieder als eine Person, die akut etwas oder jemandem unterworfen ist, anzusprechen.
Das ist die “ganz oder gar nicht”- Logik, welche die Macht – Ohnmacht – Dynamik mit sich bringt: Einmal Opfer immer Opfer- oder es ist nie etwas passiert.
Genau daraus kommt aber eben auch die Notwendigkeit, immer wieder auf das Gewaltereignis hinweisen zu müssen, um es (mit) zu erwähnen, wenn man sich selbst als Mensch, der zum Opfer wurde, beschreiben möchte, oder seine Perspektive erklären will.

Mir ist es heute natürlich nicht unwichtig, dass ich zum Opfer von Gewalt wurde. Es ist mir aber nicht mehr für andere Menschen wichtig, die mich mitsamt meiner Erfahrungen und Wuchsrichtungen anerkennen sollen, sondern für mich, um meine Erfahrungen vor mir selbst zu bewerten und auch zu beworten.

Für mich war dieses Überleben, das so oft fast glorifiziert herausgestrichen wird, zum Teil fast schmerzhafter als die Nahtoderfahrung vorher.
Zugeschwollen und blutend zu sich zu kommen ist auch “überlebt haben”.
Das Moment in dem man seine Glieder einsammelt und an sich dranbewusstet; das sich fragen, ob man da ist, oder nur so tut, oder sich selbst gerade träumt. Das ist auch “überleben”.
Es tut weh. Es ist vielleicht mit dem größten Ekel, den man je empfunden hat, verbunden. Es ist ohne Hoffnung, ohne Gedanke … es ist so verdammt weit weg von einem warmen Licht am Ende eines Tunnels, der einen ins Überlebendenwunderland mit Bällebad und Zuckerwatte führt.

Ich war 21 Jahre lang genauso Opfer, wie Überlebende und keins der beiden Wörter reicht an das heran, was ich an mir in Bezug auf das, was diese Erfahrungen mit und an mir gemacht haben, wahrnehme.
Ich bin weder stärker geworden, noch zäher, noch bin ich davon gebrochen oder zerstört worden. Es war mein Leben. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich bin eine “damit lebende”. Manchmal bin ich auch eine “damit versuchen zu lebende”, eine “damit hadernde” und manchmal bin ich auch eine “darunter leidende” Person.
Aber ich bin eine “Eine”. Ich bin immer ein Mensch, der unter bestimmten Bedingungen gewachsen ist, wie jeder andere Mensch auch.

Ich bin nicht an der Reihe mich und die Gewalt sichtbar zu machen.
Die Welt ist an der Reihe mich und andere Menschen, die zu Opfern wurden, die Gewalt und das Leben mit ihren Folgen zu sehen, auch wenn wir das nicht immer wieder sagen.