support options/fatal communication errors – Brücken bauen

Ismene hat unter dem letzten Artikel eine Situation geschildert und daraus die Frage abgeleitet, ob das der richtige Umgang mit meinem „Apfel“ wäre. Meine Antwort wurde dann sehr lang und ich denke, dass es gut als Teil 2 zum letzten Text funktioniert, weil sich viele Leute am Ende meiner Texte fragen, was denn besser wäre.
Also:

Es ist insofern nicht richtig übertragen, weil in dem Beispiel etwas geklappt hat, was mir oft nicht gelingt: Du konntest klarmachen, wie du dich, weshalb, wie fühltest und was das für dich bedeutete – so, dass die Leute klar hatten: „Ah, für Iseme bedeutet das Fenster einen Trigger, deshalb fühlt sie_r sich so und so. Weil wir nicht schaden wollen, helfen wir, indem wir den Trigger beseitigen.“

Für mich braucht es keinen Fokus auf mich und meine Gefühle oder die Bedeutung des Apfels für mich, deshalb erwähne ich sie nicht und das verwirrt die meisten Leute. Das wäre in dieser Krankenhauszimmer-Situation so gewesen, als ob ich auf das Fenster deute und sage: „Das ist ein Fenster.“ Und in aller Regel will ich auch nur das sagen: „Hier ist ein Fenster.“ /“Das ist ein Apfel.“ – nicht mal „Ich, Hannah, viele, so und so, sehe einen Apfel.“ sondern einfach nur: „Apfel. Da.“

Der „richtige Umgang“ in so einer Situation wird immer versucht, darüber habe ich einen Zweifel. Wenn Informationen fehlen, dann werden sie eingeholt. In der Regel mit Fragestellungen, die auf meinen Bezug zum Objekt abzielen: „Was ist mit dem Apfel?“, „Was bedeutet der für dich?“, „Soll ich oder jemand oder willst du etwas damit machen und wenn ja, wozu?“

Für mich ergeben sich aus diesen Fragen unzählig viele Informationen über die Leute, die sie stellen und die Notwendigkeit, mich spontan auf eine unvorhersehbare Anzahl von möglichen Gesprächsverläufen einstellen zu müssen. Und das in einem Kontakt (und damit in Erwartungen an mein Verhalten bzw. an meine soziale Performance), den ich überhaupt nicht wollte – aber in dem Moment auch nicht wählen kann (was sich für mich dann oft traumabedingt, wie aufgezwungen anfühlt), denn sie fluten mich ja mit ihrer Schilderung und Erwartungen, obwohl es für mich um etwas völlig anderes ging.
Und ich habe dann genau zwei Optionen:
1. Brücken bauen, bis ich nicht mehr kann, was mein goldenes Ticket in den autistic burn out ist, weil es enorm viel Kraft und geistige Kapazität zieht
2. Aufhören und weggehen

Der „richtige Umgang“ muss also, wenn der Kontakt bestehen bleiben soll oder muss, weil es Abhängigkeitsverhältnisse gibt, Brücken zu bauen sein. Einander suchen und finden. Sich gegenseitig Möglichkeiten etablieren, um einander zu verstehen.
Das Problem: Für die meisten Leute sind genau diese flutenden Fragen ihr Stil Brücken zu bauen.
Sie bonden über den sozialen Zusammenhalt, das Gefühl, das sie kriegen, wenn sie merken: „Ah, die Person will mich erreichen, sie will mich verstehen. Sie hat mich lieb, sie will mir nicht schaden…“ Das sind große Gefühle, sehr stark. Für manche Leute bestehen die kommunikativen Brücken praktisch nur aus diesen Gefühlen. Und noch mehr Leute brauchen die Aussicht auf diese Gefühle, um überhaupt anzufangen, eine zu bauen.

Bei uns entstehen diese Gefühle aber erst, wenn wir eine Brücke zu bauen geschafft haben. Und eine Weile gut nutzen konnten. Und die andere Person sie genauso oder annähernd genauso nutzt wie wir. Und wenn wir gemerkt haben, dass sie stabil bestehen bleibt, auch wenn sich das emotionale oder soziale Verhältnis verändert hat. Einfach, weil wir uns erst dann überhaupt in dem Kontakt orientieren können.
Wir brauchen von der anderen Person die Information, dass sie sieht oder begreift, worauf wir uns beziehen.
Also nicht die Spiegelung der eigenen Wahrnehmung: „Aha, du zeigst mir einen Apfel“, sondern die Rückmeldung über das Verstandene: „Da ist ein Apfel.“
Sonst keine Brücke. Beziehungsweise nur das Stück, was wir von unserer Seite gebaut haben, das ins Leere geht und meistens nicht einmal wertgeschätzt wird, obwohl es mit einiger Mühe gebaut wurde.

Je wichtiger uns der Kontakt ist, desto elaborierter sind unsere Brücken. Und da wir es zwar mit vielen neurodiversen, aber doch neurotypisch kommunizierenden Leuten zu tun haben, sind unsere Brücken in der Regel sowas wie eine sechsspurige Autobahn, die so viele Spuren hat, weil wir auf jede Eventualität, jede Spielart, jeden Dialekt, jede Grammatik des Miss_Verstehens gefasst sein und diese zu kompensieren bereit sein müssen. Während unsere Gesprächspartner_innen alles über den Trampelpfad nebendran klären. Undifferenziert, gequetscht, diffus, häufig in Bezügen, die wir nicht nachvollziehen können, in einer Sprache, die wir uns erst übersetzen müssen.

Was ist da der richtige Umgang? Ich kann Menschen nicht abzwingen, dass sie meinen Brücken-Stil übernehmen und ich habe nichts davon, wenn sie über meine unnützen Brückenstücke lobhudeln, als funktioniere Kommunikation wie Olympia. Ich kann ihnen immer nur sagen, dass sie mich nicht verstehen und hoffen, dass sie verstehen, dass das weder bedeutet, dass ich sie scheiße finde noch, dass mich das beim ersten, zweiten oder dritten Mal schon richtig krass trifft, fertig macht, kränkt, verletzt, beleidigt (weil ich den Anspruch habe, dass sie es immer gleich sofort packen müssen).
Mein richtiger Umgang kann nur sein aufzuhören, wenn ich merke, dass es anfängt mich zu verletzen oder zu erschöpfen.

Und der Umgang der Leute?
Keine Ahnung.
Ich merke am Begleitermensch, dass kleinschrittige, vorsichtige, achtsame Hartnäckigkeit hilft. Aufrichtiges Interesse an dem was ich sage und Anerkennung des Unpersönlichen in dem, was ich meine. Und klar viel Kraft. Es kostet richtig viel Kraft und offensichtlich einen totalen Ausbruch aus der kommunikativen Routine, sich auf diesen anderen Stil des Brückenbaus einzulassen und selbst zu versuchen, ob man entweder einen gemeinsamen Freestyle oder ein gemeinsam genutztes Schema (also eine hilfsmittelbasierte Kommunikation) hinkriegt.

Es erfordert auch eine andere Zielsetzung mit uns in Kontakt zu sein. Wir haben nicht die gleichen emotionalen Erwartungen an soziale Kontakte wie die meisten Menschen. Es ist total ok für uns (und oft auch sehr viel sachdienlicher für den Vertrauensaufbau), nur Sachdaten auszutauschen, Eindrücke zu übermitteln, damit die andere Person Kenntnis davon hat, also einander „upzudaten“. Ehrlich gesagt sind 97 % unserer Gespräche genau solche Gespräche und wir sind damit zufrieden, solange wir nicht auch noch die individuelle Bedeutungsebene erraten sollen. Wenn die wichtig ist, muss man uns das sagen und erklären. Und zwar von sich aus, denn wir wissen oft nicht, wann wir genau danach fragen müssten.

Was uns auch guttut ist, mit uns über die gemeinsame Kommunikation zu reden, wenn ihr Gegenstand nicht mehr wichtig ist. Zum Beispiel: Wie hat es geklappt, als wir letzte Woche unseren Wochenplan besprochen haben? Hast du bei der letzten Streitklärung etwas vermisst? Reicht es dir, wenn dir einmal sage, dass ich dich mag oder brauchst du das regelmäßig? Wenn ja, regelmäßig alle zwei Tage oder eher anlassbezogen? Welche Anlässe eignen sich für dich? Mich hat neulich verwirrt, dass wir alles so durcheinander gemacht haben – hatten wir da eine Absprache, die ich vergessen habe?

Auch das wieder total anstrengend für Leute, die alles irgendwie immer erraten oder intuitiv richtig aus der Hüfte schießen, aber eins kann ich ganz klar versichern: Es ist noch viel viel anstrengender, mich im Overload ertragen zu müssen oder mit mir zu streiten, weil ich nicht merke, dass ich etwas nicht verstehe und andersherum die andere Person etwas von mir nicht versteht, ohne zu verstehen was.

Dass wir in der Regel ganz genau, ganz konkret, fast dinglich, meinen, was wir sagen, ist der einzige Hinweis, den wir geben können, damit andere ihre Brücken in unsere Richtung bauen. Ob sie den beachten oder nicht, liegt leider nicht mehr in unserer Hand.

Verständnis und „Aber Hilflosigkeit !!1!!11!“

DSC_2870In irgendeinem Buch über Traumafolgestörungen habe ich gelesen, dass es eine Phase der Auseinandersetzung geben kann, in der es viel darum geht, bewusst zu bekommen (oder bewusster als vor der Therapie/ der Auseinandersetzung mit traumatischen/belastenden Erfahrungen zu erleben) was man sich wünscht, oder braucht oder möchte.
Dort wurde es in einen Kontext gesetzt mit einer Art regressiven Anspruchshaltung der Menschen, das Außen müsse sich jetzt kümmern, weil man selbst es (aufgrund seiner Erfahrungen, oder einer empfunden Schwäche/Kaputtheit/Unfähigkeit) nicht kann. Und dann ging es darum, dass man den Patient_Innen klar machen muss, dass sie falsche Erwartungen haben.

Als ich heute in der Therapie saß, überlegte ich, ob ich im Moment in so einer Phase bin, oder ob ich vielleicht nur an einer Achse der Gewalt spürbarer als früher unter Druck bin.

Vielleicht liegt es daran, dass ich inzwischen mehr und mehr überwiegend Onlinekontakte mit Menschen habe, die das Viele sein – die speziell auch mein Viele sein – nicht verstehen oder sich sehr anstrengen müssen, es zu verstehen und zu begreifen.
Und genau da beginnt schon mein Dilemma:

Ich habe kein Problem damit, dass Menschen es nicht verstehen oder begreifen. Ich habe Verständnis dafür, dass es so ist.
Ich habe aber ein Problem damit, dass Menschen es nicht verstehen oder begreifen müssen dürfen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass ich verstehen muss, andere aber nicht.

Das Blog von Vielen haben wir für anderer Menschen tieferes Verständnis begonnen.
Und nichts hat sich seit 2008 für uns verändert auf dieser Achse.
Gefühlt.

Wir haben heute mehr Menschen mit denen wir Facebook zusammen nutzen können, Twitter ist weniger sinnlos und manchmal ist so ein Like unter einem Text im Blog, den sich ein Innen mühsam aus dem Innen gepuhlt hat, das was den Tag erleichtert. Wir haben Worte gesucht, gefunden, und jetzt schieben wir sie hin und her. Freuen uns, wenn sie passen. Für uns und andere Menschen.

Aber noch immer müssen wir jeden unbeholfenen Kommentar von Menschen, die uns weder analog oder übers Netz kennen, zum Viele sein, zum Leben mit einer Geschichte wie unserer, annehmen, abhaken und in ein Kästchen legen auf dem steht: “der Menschen weiß es eben nicht besser – das muss man verstehen”.

Wir tun das in diesem WordPress-Blog seit 753 Artikeln, mehrfach in der Woche bei Twitter, manchmal per Mail.
“Sie verstehen es nicht, aber das muss man ja auch verstehen. Sie sagen es aus Hilflosigkeit.”.

Vor ein paar Tagen hatte ich in Bezug auf diese Phrase des “Sie sagen es, weil sie hilflos sind” eine Epiphanie des: Das ist Bullshit.
Niemand ist hilflos nur, weil er nicht weiß wie er jemandem die Welt umkrempeln soll, damit es diesem jemand besser geht. Man ist hilflos, wenn man ohne Hilfe ist – nicht, weil man keine Fähigkeit zu helfen in sich fühlt oder denkt, das, was man als Hilfe anbieten könnte, würde nicht reichen.
Diese Haltung lässt mich immer wieder hilflos stehen, weil sich Menschen mit dieser Begründung von mir entfernen. Mich allein lassen, weil sie sich unfähig fühlen.
Sie haben ein moralisch schlechtes Gewissen, weil sie jemanden nicht gerettet haben oder ihm nichts anbieten konnten.
Ich bleibe zurück und übe mich darin Verständnis dafür zu haben, weil man das ja auch haben muss.

Man kann ja nicht erwarten, dass alle alles verstehen.

Tja, ich bin so ein dummes Schaf.
Ich möchte das erwarten dürfen und – deluxe Schäfchen (ich glitzere manchmal) – manchmal auch erfüllt bekommen.

Vielleicht will ich sagen: Hier sind über 750 Artikel, die erklären, warum Ansagen wie “Vergangenes kann man nicht ändern- komm drüber weg” – “sei zufrieden mit dem, was du hast” – “wieso bist du denn so wütend?” – “man muss verzeihen” – “man muss auch mal Kompromisse machen” – “man muss sich auch mal anpassen” in meinem Fall oft unangemessen sind und mir etwas abverlangen, was ich dem Gegenüber in solchen Situationen und auch sonst nie abverlangen kann.

Vielleicht will ich sagen: ich bin müde vom Verstehen im Unverstandensein.

Ganz sicher will ich viele Dinge mehr sagen, die ich hier nicht schreiben kann, weil ich euch Leser_Innen in der Masse gar nicht kenne. Es wäre unfair wenn ich meine Verletzung über ausbleibenden (finanziellen) Support oder tiefergehende Diskussionen hier so austrage, wie ich es heute jetzt gerade in all meiner bitteren Erschöpfung nach diesem ultraturbulenten Jahr gerne tun würde. Es wäre unfair, und ich weiß das.

Weil ich es verstehe.

Ich verstehe aber auch, dass ich gerade immer mehr und immer breiter verstehe, warum ich so eine armselige kleine Existenz bin, die auf ein Morgen schaut, das von Abhängigkeiten, Nöten, Kämpfen und einer ewig schwelenden Unrache geprägt sein wird. Ich sehe mich inmitten einer Gesellschaft, die sich über jemanden wie Edathy empört und vergisst, dass Kinder, deren Gewalterfahrungen gefilmt wurden, zu Erwachsenen werden können, die zu einer Person werden kann, mit der man jeden Tag zu tun hat.
Ich sehe mich inmitten von Menschen, die sich für Opfer und zu Opfer geworden Menschen stark machen und übersehen, wie oft sie selbst Gewalt ausüben und mittragen. Ich erlebe mich inmitten von Not vor der Not anderer Menschen überall auf der Welt und habe das Gefühl, die Welt hat vergessen, dass sie aus handlungs- und veränderungsfähigen Menschen besteht.

Von Menschen, die von mir hören müssen, dass das, was sie tun können um mich zu trösten oder mich zu stärken, wenn sie es möchten, manchmal einfach schon ist mit und bei mir zu sein, sich mir sicht- und spürbar zu machen – von denen kann ich nichts erwarten. Für die muss ich da sein.
So fühlt es sich an.

Und das macht müde.
Ich werde für keine Email mit Antworten auf Fragen nach einem bekannten freien Therapieplatz, einer Suchmaschine für Traumatherapie, für Erfahrungen mit Medikamenten, mit Fragen in Bezug auf Traumatherapiemethoden, mit Fragen, was sich im Ausstieg und bei der Re-Orientierung bewährt hat und all die ganzen großen und kleinen Nöte, die von mir kommentiert werden möchten und und und bezahlt. Ich habe nie gelernt, wie man Menschen in großer Not gut berät. Ich habe keine Supervision in dem, was ich tue. Ich habe keinerlei Anbindung an Vereine oder Opferschutzeinrichtungen, die mir in irgendeiner Form bei dem Ding, zu dem das Blog von Vielen geworden ist, eine Unterstützung bieten kann.
Alles, was hier passiert, ruht auf den Schultern einer einzelnen Person, die weder Einkommen noch Auskommen hat.

Unsere Texte sind und waren immer unsere Möglichkeit uns zu erklären. Es geht darum, dass wir verstanden werden.

Es geht hier nicht um Angehörigen- oder Verbündetenflausch.
Ich entschuldige nicht mehr mit „Aber Hilflosigkeit !!1!!11!“.

Es geht hier nicht um Öffentlichkeitsarbeit zum Thema DIS.
Ich schreibe in die Öffentlichkeit, was ich erlebe, nachdem ich Gewalt erlebt habe.
Und das und der Umstand am Leben zu bleiben, um das tun zu können, ist meine Arbeit, die zu honorieren dieser Gesellschaft bis heute nicht gelingt.

Wofür ich Verständnis haben soll.

Vielleicht habe ich das wieder morgen oder übermorgen oder nächste Woche.
Aber im Moment, wo ich meine Erschöpfung, meine Bitterkeit, meine Hautlosigkeit so sehr spüre, habe ich es nicht und weiß, dass dafür Verständnis einzufordern, keine falsche Erwartungshaltung von mir an andere Menschen ist.
Auch dann, wenn es eine übliche Phase der Therapie ist.