Mir kommt es vor, als würden sich zunehmend mehr Menschen der christlichen Tradition (des christlichen Ritus) des Fastens widmen. “Ein Jahr keinen Alkohol”, heißt es dann oder “Dieses Jahr verzichte ich komplett auf Essen vom Lieferservice” oder “Dieses Jahr verzichte ich auf Verpackungsmüll.”.
Merkwürdig kommt mir das aus vielen Gründen vor.
Erstens, weil die gleichen Leute, die jetzt das große Fasten verkünden, die Leute mit Neujahrsvorsätzen noch herablassend belächelt haben.
Zweitens, weil so manch Fastenwillige_r an Karfreitag noch extra derb auf die Partypauke gehauen hat, weil Jesus’ Todestag für sie kein Grund für Zurückhaltung, Trauer oder schlichte Rücksichtnahme auf den Glauben der Christen, für die das anders ist, war.
Drittens, weil Verzicht mit Fasten etwa so viel zu tun hat, wie Baden mit Desinfektion oder Lernen mit Dressur.
Es sollte mich nicht verwundern, dass in Zeiten von rechtsmotivierter Verstärkung von Traditions- und Heimatbewusstsein auch die Wiederentdeckung christlicher Kultur und Religion einhergeht. Und doch, es wundert mich, verorte ich mein Umfeld doch als anarchistisch ~ links_radikal bis liberal mit Selbstverortung als links.
Doch wieder einmal brauche ich nicht von einer so engen Verbindung mit politischer Orientierung ausgehen, die das eigene Handeln definiert. Viel treibender scheint the good old Selbstoptimierung zum Zweck der Abgrenzung zu anderen Menschen zu sein. Vorzugsweise jenen Menschen mit weniger Privilegien und implizit weniger Werten.
Verzicht ist eine Praxis des Luxus.
Etwas muss immer und jederzeit verfügbar sein, sonst ist Verzicht nicht möglich.
Was das für eine privilegierte Grundlage ist, das machen sich die wenigsten Menschen klar, die ihren Unkonsum als Verzicht deklarieren und darauf warten ein besserer Mensch zu werden, weil sie sich auf die Erfahrung einlassen, einer Gewohnheit ausnahmsweise mal nicht zu folgen.
Das Fasten hat in allen Weltreligionen einen festen Platz als rituelle Praktik.
Es geht um Widmung, um die Vertiefung des Glaubens, um einen Akt, der von Verbundenheit und Hingabe zeugt.
Wer religiös fastet, enthält sich bestimmten Speisen oder bestimmten Tätigkeiten, um ihre Existenz bzw. die Möglichkeit jenen Tätigkeiten nachzugehen, als das Geschenk, das Glück, das Wunder, das es ist, hervorzuheben. Es geht darum sich selbst zurückzunehmen und eben dem, was von einem wie auch immer benannten G’tt oder einer Kraft oder Energie kommt oder gegeben ist, Raum und damit auch Wert zu geben bzw. anzuerkennen.
Natürlich kann der Verzicht auf Alkohol auch dazu dienen, selbiges wieder mehr als Ausnahmegetränk zu begreifen, aber führt der Verzicht auch zu mehr Wertschätzung von sauberem Trinkwasser und anderen Getränken? Nicht für alle, wage ich mal zu behaupten. Denn wer verzichtet, muss sich auf das Objekt des Verzichts konzentrieren.
Den Effekt kennen viele Raucher_innen, die mit dem Rauchen aufhören wollen, jedoch nie Erfolg damit haben, auf ihre Zigaretten zu verzichten: Wenn du weißt, worauf du gerade verzichtest, obwohl du es immer und jederzeit haben könntest, dann denkst du immer an etwas, das du jederzeit und immer haben kannst. In diesen Gedankengängen braucht es nur noch einen kurzen Moment des Wollens (und bei körperlich abhängigen zusätzlich noch den des Brauchens, um unangenehme Entzugserscheinungen zu beenden), um letztlich doch wieder zu rauchen.
Eine ernsthafte und aufrichtige Widmung dessen, was mit dem Fasten einhergehen soll, hat einen grundlegend anderen Ansatz.
Um bei der Rauchmetapher zu bleiben, geht es nicht darum aufzuhören zu rauchen, sondern darum zu entdecken, was neben dem Rauchen bzw. der Zigarette alles da ist. Was man noch alles tun kann, anstatt zu rauchen. Es geht nicht darum, ein Nichtraucher zu werden, der Joggen kann und nicht stinkt wie ein Aschenbecher, sondern darum sich Zigaretten zu ent_halten (also: nicht halten, im Sinne von: keinen Kontakt dazu zu haben), zu joggen und sich darum zu kümmern, dass man nicht stinkt – und irgendwann nach Wochen, Monaten, Jahren festzustellen: “Wow, seit ich nicht mehr rauche, hat sich mein Leben/ meine Haltung zu bestimmten Dingen, total verändert.”
Das religiöse Fasten wird von vielen Gläubigen als eine Möglichkeit begriffen, die eigene Beziehung zum Glauben und der religiösen Praxis zu verstärken oder auch zu erneuern. Für manche Menschen geht es auch um die engere Beziehung zu den Menschen in der Glaubensgemeinschaft. Es werden Wertbindungen erschaffen und gemeinsam etabliert. Das ist etwas, was Religionen bis heute erhält und weiterentwickelt.
Wir hier in unserer säkularisierten Gesellschaft, leben im Kapitalismus. Unsere gemeinsame Wertbindung passiert über Güter und darüber definierten Status.
Wir können rein theoretisch alles immer haben. Verzicht bedeutet im Kapitalismus im Grunde nichts anderes als: “etwas anderes konsumieren” (um den eigenen Status zu halten oder vielleicht sogar zu verbessern).
Das auf Konsumgüter übertragene, aufrichtige, religiöse Fasten würde bedeuten, ein schlechter Kunde zu werden und sich auf sich selbst zu besinnen (also insgesamt anders zu konsumieren).
Es würde darum gehen Dinge anders zu machen und möglicherweise damit anzuecken, ausgeschlossen zu werden und auch mit einer fremden Langeweile konfrontiert zu sein. Denn heute machen wir viele Dinge nicht mehr nur aus Selbstzweck, sondern sehr oft auch aus Gründen der kapitalistischen Verwertungslogik.
Nun will ich nicht allen Menschen, die sich vorgenommen haben zu fasten, unterstellen, sie wären nicht aufrichtig in ihrem Vorhaben. Wohl aber will ich aufzeigen, wie wenig Tiefe in dem, was von vielen als “fasten” bezeichnet wird, steckt und aus was für einer privilegierten Perspektive so manche Fastvorsätze kommen.
Die Folge ist für manche Menschen mit weniger Privilegien nämlich der Ausschluss über etwas, was für sie bereits Realität ist: Verzicht.
Arme (und anders minderprivilegierte) Menschen haben bereits keine Option auf eine Veränderung des Status durch Veränderung des Besitzes, denn ihr Besitz ist bereits das Ergebnis von Verzicht. Natürlich können auch arme Menschen noch verzichten, doch ihre Rolle im Kapitalismus lässt keine gleichermaßen “klassenübergreifenden” neuen Wertbindungen zu.
So viel Verachtung und weniger Wertschätzung es heute für Religion und religiöses Leben gibt, so hat dieses Leben und Werten dann doch etwas für alle Menschen gleich freigehalten: die Möglichkeit der Widmung dessen, was über den Menschen bzw. das Individuum hinausgeht.
Beim religiösen Fasten ist die soziale Rolle, der gesellschaftliche Status praktisch egal.
Enthaltsamkeit und Askese kann in jeder Form und zu jeder Zeit praktiziert werden. Das Bewusstsein um das Wunder der Schöpfung oder schlichter ausgedrückt: die Krassheit des eigenen am Leben seins – hier und jetzt, da wo man gerade ist – kann nur mit einer gewissen Selbst_zurückhaltung wirklich wahr_(an)genommen und er.ge.lebt werden.
Und, dass das immer weniger Menschen bewusst und wichtig ist – das ist doch interessant.
Merk_würdig.