Be_Handlungsmotivation

Wir sprachen über Autismus Deutschland e. V. und darüber, dass es auch in der Trauma-Bubble so ist, dass „die Betroffenen“ viel zu wenig Austauschmöglichkeit mit „den Profis“ haben. Irgendwann ging es um die Motivation der Profis und um die Frage, welche Motivation denn die richtige sei. Sie sagte, für sie sei es wichtig, dass die Leute gern mit anderen Menschen arbeiten und ich, deren Kernkompetenz ist, gut Mitmenschen umgehen zu können, dachte, dass das doch irgendwie auch nicht die richtige Grundlage ist.

Ich weiß nicht, wie eine Therapeut_innenausbildung läuft. Wie man Mediziner_in, Behandler_in wird. Ob und wenn ja, wieviel Herzensbildung mit welchem Fokus passiert oder abverlangt wird. In jedem Fall denke ich, dass man irgendwann für sich überlegen muss, ob man das will. Jeden Tag mit anderen Menschen reden, sie anfassen, ausmessen, Mathe auf das Leben anwenden, Medikamente empfehlen, Verantwortung balancieren, eine Praxis organisieren, sich selbst nicht vergessen. Ich glaube, dass man alles das mehr wollen als können muss und dass es deshalb nicht selten vorkommt, dass Behandler_innen eine Motivationsquelle in sich selbst dafür haben. Intrinsische Motivation ist wirkmächtig und das ist ok. Wenn also jemand in erster Linie für sich behandelt, ist das nicht zwingend ein Problem für die behandelte Person. Das wird es wohl erst, wenn Behandler_innen eine innere Bedürfnis- oder Notlage mit intrinsischer Motivation für eine Berufsausübung verwechseln und ergo ihren Beruf brauchen, um sich selbst etwas zukommen zu lassen, dass sie anders nicht herstellen können. Anerkennung zum Beispiel. Be_Achtung. Respekt. Zwischenmenschlichen Kontakt, der (von ihnen) kontrolliert abläuft. Sinn im eigenen Leben. Orientierung in der Welt. Selbst_Versicherung.

Das therapeutische Verhältnis zwischen be_handelnder und behandelter Person ist von Distanz bestimmt, die diese Ebene nicht berühren soll. Und viele Menschen mögen das nicht. Manche, weil sie die Grenze nie gewahrt erlebten und entsprechend nicht erkennen und manche, weil sie sie mit Unpersönlichkeit verwechseln. Viele Menschen wollen, dass ihr_e Therapeut_in eine persönliche Rolle in ihrem Leben spielt, weil das Problem, mit dem sie in die Therapie kommen, ein so persönliches ist. Und viele Menschen können der Rolle, die eine kontinuierlich, stabile, zugewandte Person erfüllt, nur mit der eines (idealen) Elternteils übersetzen und wollen diese auf ihre Behandler_in anwenden. Ebenfalls mit oft negativem Outcome, denn nur Eltern können Eltern sein.

Und dann ist da auch noch die Sache mit der Macht, die sich aus der Gewalt in Form von Ableismus bzw. Saneismus ergibt.
Wenige Menschen sind sich darüber bewusst, dass Behandler_innen unter anderem deshalb so wertvoll und geschätzt sind, weil sie langfristigen Funktionsverlust verhindern (helfen). Also eine nicht unerhebliche Rolle bei der Verhinderung von Behinderung und damit Verlust auf vielen Ebenen spielen.
Wäre unsere Gesellschaft weniger ableistisch (und vor allem saneistisch) müssten sich weniger Menschen mit psychischen Belastungen in Behandlung begeben. Sie würden weniger Gewalt erfahren und bräuchten entsprechend weniger Schutz und Stärkungsmaßnahmen, um sich in sich und der Welt ok zu finden oder sich selbst zu verwirklichen. Psychotherapie wäre in einer so gestalteten Gesellschaft sicherlich weiterhin wichtig und relevant, sie hätte meiner Ansicht nach jedoch eine andere primäre Funktion.

Man darf nicht aus dem Blick verlieren, dass viele Menschen, die heute zu Behandler_innen werden, Macht und Gewalt in anderen Formen und anderen Auswirkungen auf das Leben damit gemacht haben als die meisten der Menschen, die sie später behandeln. Und zwar nicht, weil sie alle auf Rosen gebettet leben und hundert Jahre Studium vor tausend Jahren praktischer Ausbilderei im Grunde ein Kinderspiel sind, sondern, weil es mehr als einen brillanten Geist und Willensstärke braucht, um nicht an Leistungsdruck, Sexismus, Ableismus, Rassismus und so weiter zu leiden oder gar zu scheitern – privilegierte Menschen jedoch oft glauben, dass es an ihrem Intellekt und starken Willen zum Durchhalten lag, dass sie es geschafft haben. Und damit gehen sie durch die Welt.

Manche finden sich darin ziemlich geil und holen sich über ihren Kontakt zu Patient_innen und ihren Status die Bestätigung darin – und manche glauben, sie würden sich irgendwann bestimmt geil finden, statt ängstlich, selbst_unsicher oder als unentdeckter Deepfake, wenn sie nur genug „Kracher“ heilen, sich „den krassesten Fällen“ widmen, sich aufopfern für andere … oder „denen eine Stimme geben, die von der Welt nicht angehört werden“.
Dass das alles überhaupt nur geht, weil behandelte Personen „Patient_innen“ sind und damit in einer weniger ermächtigten sozialen Position, das ist den wenigsten Menschen wirklich als Problem bewusst. Unter anderem, weil sie ihren Beruf nicht mehr (da) ausüben könnten (wo sie es tun), würde es ihnen bewusst werden, denn es gibt einfach keine Klinik und keine Praxis außerhalb dieses Systems.

Treffen „die Profis“ auf „die Betroffenen“, dann ist dieses Bewusstwerden oft schon passiert. Und dann geht es nicht mehr nur darum, wer wem mehr oder das Richtigere zu sagen hat, sondern auch um Auf- und Abwertung. Viele Behandler_innen erleben sich abgewertet, wenn sie sich mit Patient_innen für etwas einsetzen, statt für sie vor anderen Behandler_innen zu sprechen und diese Abwertung ist für viele nicht kompensierbar. Was meiner Ansicht nach überhaupt kein Charakterfehler ist oder irgendein angeknacktes Ego, sondern ganz real. Jede_r kennt, wie das ist, wenn die eigene Peergroup eine_n auslacht, weil man etwas macht, was darin abgewertet wird. Es ist sehr schwer dann weiter gut und wertig zu finden, was man da gemacht hat. Und man hat das Gefühl sich entscheiden zu müssen, zwischen dem, was das Herz will und sagt und dem, was Erfolg und Sicherheit verspricht.
Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Behandler_innen sind Menschen. Sich gegen Dinge zu entscheiden, die sich zwar richtig aber unsicher anfühlen ist so logisch wie legitim. Das macht sie nicht zu schlechten Menschen oder zu Menschen einer falschen Motivation und auch nicht zu schlechten Behandler_innen. Zumindest so lange nicht, wie sie die Menschen, die sie behandeln, nicht abwerten, weil diese Behandlung brauchen oder einen Kontakt wünschen, der nicht von Hierarchie bestimmt wird.

In unserem Gespräch erzählte ich, wie es nicht geklappt hatte, einen der begehrten Ausbildungsplätze zur Peer-Beratung zu ergattern, dass ich es aber weiterhin versuchen werde, weil ich das gerne machen möchte.
Peer-to-Peer-Beratung ist für mich eine Möglichkeit Menschen mit Schwierigkeiten, die ich selbst schon erlebt habe, zu begegnen. Der Kontakt ist nicht hierarchiefrei, aber nicht in sich bereits gewaltvoll. Ich muss nicht heilen und auch nicht so tun, als ob irgendetwas von dem, was ich leisten kann, etwas Besonderes ist. Und es gibt die gleiche Grenze, die gleiche persönliche Distanz, die einzuhalten ist, wie im therapeutischen Kontakt. Ich spreche nicht mit Freund_innen, nicht mit meinen Kindern, sondern mit Menschen, die an einem Problem arbeiten wollen. Das Problem ist der Grund für unseren Kontakt – nicht wir.
Und das ist eine hervorragende Grundlage etwas zu tun, das ich gut kann: Probleme und ihre Dynamik auseinanderdröseln, analysieren, ordnen. Es befriedigt mich, wenn man es hinkriegt Probleme zu verstehen und sich mögliche Lösungswege zu überlegen. Wenn das jemand gut findet und sich gesehen fühlt, dann ist das ein schönes Add-On, brauchen tue ich das aber nicht, um mich dazu zu motivieren.

Ob das die richtige Motivation ist, um etwas zu machen, das mit Menschen zu tun hat, weiß ich nicht. Aber es ist eine Motivation, die mich wahrscheinlich am wenigsten verstrickt und gewaltvoll handeln lässt, weil es mir nicht primär um die Menschen und mich im Kontakt mit ihnen geht, sondern um das Problem. Das klingt für manche Menschen vielleicht hart und kalt, unpersönlich und nach etwas, was sie nicht glauben können, weil sie selbst nicht so funktionieren. Aber ich funktioniere so. Das ist meine Perspektive, so bin ich. Und alle Menschen, die mit Menschen arbeiten, arbeiten auch mit sich mit Menschen. Immer benutzt man sich selber, um Kontakt herzustellen, Empathie aufzubauen, Ideen zu entwickeln, was helfen könnte.
Ich halte das für das Ding, das alle be_handelnden, beratenden, begleitenden Menschen klar haben – und halten! – müssen. Lässt man da nach, ist selbst die richtigstmögliche Behandlung/Beratung/Begleitung der Welt nicht die bestmögliche.

Behinderung #2 – das soziale Modell – #DisabilityPrideMonth

„behindert sein – behindert werden“ zeigt zwei Modelle von Behinderung auf.
„behindert sein“ gehört zum medizinischen Modell, das im letzten Text beschrieben wurde. Danach ist ein Mensch behindert, wenn dessen Körper, Seele oder das, was mit dem Wort „Geist“ oder „Kognition“ oder auch „Intelligenz“ beschrieben wird, von der medizinisch definierten Norm abweicht.
„behindert werden“ gehört zu einem Modell, das ich hier „soziales Modell“ nenne, um zu vereinfachen. Danach sind Menschen einfach wie sie nun einmal sind und werden von Normvorstellungen und ihrer Um- bzw. Durchsetzung im Alltag behindert.

Tatsächlich werden hier von mir drei Aspekte unter einen Begriff gefasst.
Diese Aspekte sind:

  • Behinderung als Resultat sozialer Interaktion
  • Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen
  • Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Behinderung als Resultat sozialer Interaktion

Soziale Interaktion nimmt bei den meisten Menschen den größten Anteil ihres täglichen Lebens ein.
Es ist eine soziale Interaktion, wenn wir einander „Guten Morgen“ sagen, es ist aber auch eine soziale Interaktion, wenn wir uns überlegen, wen wir zu einer Geburtstagsfeier einladen und wen (warum) nicht. Und es gehört zur sozialen Interaktion, wie wir einander „Guten Morgen“ sagen – aber auch warum.

Behinderte Menschen enttäuschen mehr oder weniger zwangsläufig bestimmte Vorstellungen, die sich Menschen, die ihre Behinderungen nicht (genauso) erleben, von ihnen machen. Das betrifft oft die Fähig- und Fertigkeiten, manchmal aber auch die Vorstellungen von sich selbst und die Ambitionen, die sich daraus ergeben.
Zum Beispiel erwarten viele Menschen, die ohne Probleme oder viel Anstrengung laufen können, dass alle Menschen laufen können und wenn es jemand als Sport macht, dass die Leute sich wünschen am schnellsten zu laufen. Treffen sie dann auf einen Menschen, der nicht oder nur mit großer Anstrengung und vielleicht auch Verletzungsgefahren laufen kann, wird ihre Erwartung („Alle Menschen können laufen“) enttäuscht und sie bezweifeln, ob der Mensch überhaupt Sport machen kann oder sich generell dafür interessiert.

Solche Situationen werden oft im Netz besprochen, weil sie emotional verletzen und kränken. Manche behinderten Leute sagen dann so in etwa: „Boa, diese Nichtbehinderten sollten mal ihren Ableismus klarkriegen!“, weil sie sehen, dass es um Erwartungen an Fähig- und Fertigkeiten geht. Die Erwartung an sich jedoch „produziert“ noch keine Behinderung.
Eine Behinderung durch soziale Interaktion entsteht in der Regel durch den Versuch bestehende (soziale) Normen zu festigen, obwohl sie (von behinderten Menschen) infrage gestellt werden. Zum Beispiel, indem man viele Begriffe und Kategorien für behinderte Menschen erfindet („Rollifahrer“, „Blinde_r“, „Autist_in“ … „behindert“) und dann zum Beispiel sagt: „Ach für Blinde ist Kino halt nix, da muss man sehen können“ oder „Ach, die Person hat eine Lernbehinderung – da brauchen wir ja gar nicht erst anfangen über eine Berufsausbildung oder ein Abitur nachzudenken.“

Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen

Beim Begriffspaar „Leistung“ und „Ausdifferenzierung“ denken viele Menschen sofort an Schule, aber vielleicht auch an Sportwettkämpfe oder die berufliche Karriere. Ich persönlich denke sofort an das Hartz-4 System und an die Struktur von Krankenkassen.
Wer bestimmte Leistungen nicht erbringt – und dabei geht es nicht darum, warum nicht! – wird in aller Regel nicht belohnt oder dazu ermächtigt, sie zu erbringen.
Bei diesem Aspekt ist mir wichtig aufzuzeigen, was konkret der „Behinderung produzierende“ Teil davon ist. Es ist nämlich keineswegs so, dass eine Schule zum Beispiel einfach nur die Benotung abschaffen und das Gebäude, wie den Unterricht barrierefrei gestalten müsste, um inklusiv zu sein! Es gibt Schulen, weil es ein Arbeits- und Gesellschaftsleben gibt, das nur bestimmte Leute, mit bestimmten Fähig- und Fertigkeiten und einem bestimmten Leistungsniveau durch Mitwirkung teilhaben lassen will (und kann).
Wer nicht leistet, wird ausgesondert. Das kann die Sonderbeschulung meinen, kann aber auch ein Leben ohne Arbeit, abhängig von Leistungen wie Hartz 4 oder in einer Form von Rente sein.
Es kann aber auch die Ausladung von einer Geburtstagsfeier meinen, weil es eine Person nicht schafft laute Musik, andere Gäste, freundliche Unterhaltung zu kompensieren, nachdem sie sich für die Beschaffung eines Geschenkes verausgabt hat. Leistung hat nicht nur etwas mit Gewinn oder Ertrag zu tun!

Die Behinderung entsteht also durch Ausschlüsse, die gemacht werden, weil Menschen bestimmte Leistungen nicht (wie vorgesehen) erbringen.
Hier gibt es eine Verschränkung mit dem dritten Aspekt.

Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Viele Menschen nehmen an, dass bestimmte Strukturen ganz einfach aus dem Menschen natürlich inne liegenden Ideen entstanden sind.
Tatsächlich aber dient jede Struktur dem Erhalt, der Sicherung und dem Zugewinn von Macht durch Überlegenheit durch Einhaltung und also Bestätigung von Normen, die von der Mehrheit (also einer mengenmäßig überlegenen Gruppe!) der Menschen ohne Probleme eingehalten werden können. Egal, ob wir uns Schulen anschauen oder Eiscafés, ob wir ins Vereinswesen oder das Versorgungsamt schauen, ob wir unsere eigene Clique betrachten oder die unserer Eltern – immer kann man herausarbeiten, dass es da Normen gibt, die vorgeben, wer profitiert und wer nicht – und dass es in der Regel von Nachteil (und also auch behindernd) ist, nicht zu profitieren.

Bestimmte *ismen sind in unserer Gesellschaftsordnung so fest verankert, dass sie maßgeblich darüber entscheiden, wem was wann unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen zugestanden wird. Diese *ismen sind Rassismus, Sexismus, Ableismus (wozu auch Saneismus gehört), Ageismus, Adultismus und Kapitalismus.
Jeder *ismus ist ein abgeschlossenes Konzept. Das bedeutet, dass es sich immer von etwas abgrenzt und also Menschen mit bestimmten Eigenschaften ausschließt. Dieser Ausschluss ist das „Behinderung produzierende“ Moment und wir haben in unserer Gesellschaft nicht einen einzigen Aspekt des Lebens und Miteinanders, in dem niemand ausgeschlossen ist.

Bevor du diesen Text aber mit dem Gedanken verlässt: „Aha, also sind wir alle behindert, ja klar.“ und mir einen Vogel zeigst, bitte noch ein Mal kurz konzentrieren.

Es gibt Ausschlüsse, die kann ich gut verkraften. Ich muss nicht zu den Partypeoples gehören. Mir geht auch überhaupt nichts ab, wenn mir jemand nicht zutraut Olympiagold im Kugelstoßen zu holen. Aber es gibt Situationen, in denen so viele Ausschlüsse passieren, dass ich existenziell bedroht bin, weil ich nicht als behinderter Mensch, sondern nur als behindert oder schlimmer noch als Behinderung gesehen und behandelt werde.
Das kann zum Beispiel passieren, wenn man als schwarze behinderte Frau ein Kind alleine versorgt.
Weil viele Menschen annehmen, behinderte Menschen seien nicht sexuell attraktiv glauben sie auch, dass sie keinen Sex haben. Und wer keinen Sex hat, kann nicht schwanger werden. So kommt es vor, dass Menschen davon überrascht – und bürokratische Strukturen gesprengt – werden, wenn behinderte Menschen zu Eltern werden. Und wenn diese dann ganz spezifische Problemlagen haben, weil sie an anderen Stellen, etwa von Krankenkassen, dem Versorgungs- oder Integrationsamt ausgeschlossen werden – ihnen aber aufgrund ihrer sexistischen Rollenzuordnung als Frau oder Mann auch spezifische Anforderungen zu erfüllen abverlangt werden, die sie nur mit Unterstützung schaffen können.

In dieser Lage ist es nicht nur Ableismus das Konzept, das den Ausschluss und dadurch eine Behinderung produziert, sondern auch Kapitalismus (denn Versorgungsämter beispielsweise teilen Gelder (also Kapital) zu) und andere *ismen, die den Zugang zu dieser Struktur gewähren oder auch nicht. Das ist dann häufig Ageismus bzw. Adultismus – denn nicht die Kinder stellen die Anträge, sondern die Eltern bzw. gesetzliche Vetreter_innen – aber auch Rassismus. Der zeigt sich darin, dass Menschen, die nicht weiß sind, seltener gesagt wird, dass es Antragsmöglichkeiten gibt oder ihre Anträge weniger oft genehmigt werden, weil es die Annahme gibt, die Antragsstellenden würden lügen oder übertreiben, um sich staatliche Leistungen zu erschleichen, die ihnen nicht zustehen.

Wie man also sieht, ist das soziale Modell von Behinderung eines, in dem nicht die behinderte Person im Fokus steht, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie lebt. Mit diesem Modell über Behinderung nachzudenken ist komplex und geht nicht ohne auch über die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft nachzudenken.

zum Weltautismustag 2020

Weltautismustag.
Wir gehen ins fünfte Diagnosejahr. In der letzten Podcastfolge „Viele-Sein“ haben wir erzählt, was sich alles für uns geändert hat, seit wir dem ersten Verdacht nachgingen.
Wir haben gesagt, dass es uns vorkam, als hätten wir unser Leben lang versucht, mit einem Hammer zu schaffen, was alle mit einem Hammer schaffen, obwohl wir einen Schraubenschlüssel brauchten. In Bezug auf den Weltautismustag erscheint es uns inzwischen, als würde auch in Sachen „Öffentlichkeitsarbeit zu Autismus“ mit den falschen Werkzeugen gearbeitet.

Schon einen einzelnen Tag im Jahr für die Thematik freizumachen ist absurd. Das wirkt wie ein Gedenktag, an Autismus wird aber nicht gestorben, sondern an dem Ableismus, dem Saneismus und der damit begründeten Gewalt, die autistischen Menschen angetan wird. Damit meine ich nicht nur Eltern, die ihren Kindern Bleichmittel einflößen, sie mangelhaft und einseitig ernähren oder direkt töten, sondern auch Konversionstherapien, der Zwang zu Anpassungsleistungen, die weit über die jeweiligen Kompensationsfähig- und -fertigkeitsoptionen gehen und das Verwehren von Teilhabe und Selbstvertretung.

Ironischerweise steht der diesjährige Weltautismustag für Autismus Deutschland e. V. unter dem Motto „I can learn I can work“. Für mich sieht es nicht so aus, als würden große Organisationen, die sich zu den Leben autistischer Menschen äußern, lernen. Denn eigentlich sollte nun, nach so vielen Beiträgen von autistischen Selbstvertreter_innen im Netz, wie auch in Funk und Fernsehen, endlich klar sein, dass auch in Sachen Autismus nichts über uns ohne uns geht.
Doch wie man heute wieder vielfach sieht: Da wurde nichts gelernt.
Immer noch sieht man Puzzleteile, immer noch stehen Erziehungs- und Förderungskonzepte im Vordergrund, nach wie vor geht es überwiegend um autistische Kinder.
Die Lebensrealität autistischer Erwachsener wird unter Aspekten der Produktivität und Anpassungserfolge dargestellt, wiederum oft nur um Spenden zu sammeln oder ins Leere zu klagen – nicht, um zu mobilisieren oder gar politische Bewegungen anzutreiben.

Stichwort politische Bewegung – wir werden oft über den Autismus vereinzelt, wie wir über die DIS vereinzelt werden.
Unsere Erfahrungen werden individualisiert, also zu etwas gemacht, dass allein uns betrifft und nicht auch den Rest der Welt. Die Folge dessen ist, dass unserer Stimme weniger politisches Gewicht gegeben wird. Da heißt es: „Ja, für dich ist XY eine Barriere, aber für die meisten Leute nicht, deshalb ändern wir das nicht. Wir ändern nichts nur wegen einer Einzelperson.“ Der Schritt zu dem Bewusstsein, dass beim Vorliegen einer oder vieler Barrieren nichts wegen einer Einzelperson, sondern wegen der Grundrechte auf freie Entfaltung und Teilhabe für alle Menschen gleich, etwas verändert werden muss, der wird deshalb oft gar nicht möglich.

Auch an der Stelle versagt der Weltautismustag. Dieses Problem kann in einem Tag nicht einmal vollständig erklärt werden, geschweige denn Lösungsprozesse anstoßen – was also soll dieser Tag machen?
Richtig: Werbung
Und zwar nicht für neue interessante Projekte, die (erwachsene) Autist_innen im Lauf des letzten Jahres auf die Beine gestellt haben (so wie „Neuro(r)evolution“ zum Beispiel) oder so etwas, sondern für Organisationen, die ableistische Menschenbilder und saneistische Wohlfahrtsgedanken weiterhin für sich ausnutzen. Und zwar nicht nur auf Kosten der autistischen Menschen, sondern auch deren Familien, Freund_innen und Verbündete. Letztlich also alle Menschen.

Wir entziehen uns dem, was uns in folge von Kritik oft begegnet, nämlich der Anspruch, eine Alternative vorzuschlagen oder es besser zu machen.
Es geht uns nicht um Alternativen zu ableistischer Gewalt oder saneistischen Haltungen – es geht um Ableismus und Saneismus an sich. Es geht darum, dass autistische Menschen nach wie vor nicht als Menschen (wie andere auch) angenommen und akzeptiert werden, einfach nur, weil sie autistisch sind.
Wir glauben nicht, dass es unsere Aufgabe sein muss, Menschen ~der Öffentlichkeit~ zu erklären oder zu zeigen, wie vielfältig Menschen sind. Auch diesem Take liegt ein schlimmes Menschenbild zugrunde, das uns sehr fern liegt.

Wir glauben, dass wir klarmachen müssen, was Menschenrechte sind und was Gleichheit in allen Rechten bedeutet.
Schlimm genug, dass wir annehmen müssen, dass den meisten Menschen nicht ganz und gar klar ist, was das bedeutet und wir jedes Jahr im April ganz besonders daran erinnert werden.