Buchrezension “I’m a queerfeminist cyborg, that’s okay”

Dieser Text enthält unbeauftragte Werbung.
Als Teil des Verlagskollektives haben wir das Buch als Freiexemplar erhalten,
jedoch nicht an dessen Umsetzung und Veröffentlichung mitgearbeitet.
Mika Murstein verwendet das Pronomen “mer” für sich, also verwenden wir es in diesem Text auch.

ein Backstein
In jeder Hinsicht ist die 462 Seiten mächtige Gedankensammlung von Mika Murstein, in der unter anderem die Verhältnisse von Be_Hinderung und Geschlecht, von Klassismus und Ableismus, Netzaktivismus und Empowerment besprochen und mit den Diskursen unserer Zeit in Zusammenhang gebracht werden, ein Backstein.

zuweilen erschlagend
Leser_innen jenseits netzaktivistischer Auseinandersetzungen und queerfeministischer Ansichten, dürften Schwierigkeiten haben, sich in Form und Struktur dieser in Text gegossenen Gedankenlandschaft zurecht zu finden. Ja, auch sich selbst zu finden oder in Beziehung zu setzen.
Auch der Satz des Buches und die Sprache, die zwischen amerikanischen wie deutschen Neologismen und Eigennamen springt, erfordern eine sehr hohe intrinsische Lese- und Verständnismotivation, sowie Fähig- und Fertigkeit sich daran anzupassen.

one brick at a time
Murstein leitet und strukturiert mers Gedankengänge von mers eigenen Er_Lebenserfahrungen ab und nterfüttert diese überwiegend mit Theorien und Texten anderer, in Deutschland nicht breit besprochener Aktivist_innen, wobei der Spagat zwischen “zugänglich machen” und “eigenen Punkt machen”, mal mehr mal weniger griffig und allgemein verständlich funktioniert.
Über verschiedenste Aspekte des Er.Lebens zeigt die_r Autor_in auf, wie tief und weitreichend verzweigt ableistische Annahmen, Erzählungen und Handlungen in der Gesellschaft und ihren Strukturen wirken.

Bereits nach wenigen Seiten ist klar: Wo Ableismus beginnt, beginnen auch Klassismus, Rassismus, Sexismus und immer wieder die Aufgabe, sich selbst darin zu verorten, obwohl jedes dieser *ismen mehr oder weniger gezielt zur Ausgrenzung führt und führen soll.
So findet man sich nach einiger Lesezeit in einem vielschichtigen, dicht an dicht gesetztem Gedankengebäude wieder.

Aufbaumaterial
Selbst von Ausschlüssen, aufgrund von Ableismus und/oder anderen Diskriminierungsformen, betroffenen Menschen, erscheinen die eigenen Erfahrungen oft unkonkret und daher auch unbewortbar. Murstein gibt mit “I’m a queerfeminist cyborg, that’s okay” Beispiel und Grundlage in Worte und Diskussion zu kommen.
Mers Perspektive auf die Themen und Strukturen unserer Zeit, zeigen Wege und Formen des Aktivismus und was darin möglich und nötig ist, aber auch darüber hinaus noch sinnvoll sein könnte.

another brick in the wall
Dieses Buch ist für behinderte Cyborgs, für Schwarze be_hinderte Menschen, für Arme mit Behinderung, für Leute, die dazulernen wollen, für weiße cis Feminist_innen, für Allys … für alle, die das eigene Gedankengebäude zu Inklusion, Netzaktivismus, social justice und die Gleichberechtigungsdiskurse unserer Zeit erweitern oder umbauen wollen, aber auch Anteil an der Dokumentation der Gegenwart be_hinderter und mehrfach marginalisierter Menschen nehmen wollen.

„I’m a queerfeminist cyborg, that’s okay“ ist im linken, unabhängigen Verlagskollektiv „Edition Assemblage“ erschienen, das sich als Plattform für die Stimmen und Perspektiven mehrfachmarginalisierter Personen.gruppen versteht.
Ihr könnt der Edition Assemblage Rückenwind geben und ihr aktuelles Crowdfunding unterstützen, um Bücher wie dieses auch in Zukunft zu veröffentlichen.

Buchrezension: “zusammen gehalten, Dissoziation, Identität, Struktur”

Dieser Text enthält unbeauftragte Werbung.
Das Exemplar haben wir kostenlos von P. Rabe erhalten.

 

Spürbare Fragmente
Als “buntes Puzzlewerk” beschreibt sich die Autor_in Paula Rabe, die ihr Buch “zusammen gehalten, Dissoziation, Identität, Struktur” im Selbstverlag veröffentlicht hat.
Rabe ist Viele, die dissoziative Identitätstruktur nach organisierter Gewalt Kernthema der 93 Seiten starken Broschur. In Gedichten, Kurzgeschichten und aufbereiteten Momentaufnahmen wird das dissoziierte Sein anschaulich und er.fassbar beschrieben.

Stück für Stück
Jeder Text in dem Buch, ob Poesie oder Kurztext, ist Teil und Solitär zugleich. Zusammenhänge zwischen den Texten bieten einzig die Kapitelnamen, die wiederum einzelne Aspekte eines Er_lebens benennen.
”zusammen gehalten” erzählt keine Geschichte, es zeigt auf Geschichten, Er_Leben, Sein und Prozess in jemandem, die_r Viele unter Vielen nach organisierter Gewalt ist.

Intuition statt Kognition
Die Lektüre führt in das bisher für DIS-Literatur eher wenig genutzte Feld der Intuition als Mittel zur Annäherung. Nur wer mitschwingt, kann folgen. Wer das Erfasste kognitiv einordnen möchte, bleibt zuweilen ohne Orientierung.  Was bleibt ist das Weiterlesen. Die Motivation dazu muss intrinsisch sein, denn das multidimensional strukturierte Buch bietet keinen Anreiz linear von Anfang bis Ende zu folgen.
Wer es jedoch tut, wird mit Poetry-Slam tauglichen Gedichten und Einblicken in die innere Kommunikation des_der Autor_in.nen belohnt.

Für alle, die ein Gefühl dafür bekommen wollen
Paula Rabe gelingt mit “zusammen gehalten” eine Sammlung emotional anrührender Stücke, die Verbündeten und Helfer_innen eine Idee von dem vermittelt, was es bedeutet Viele zu sein und sich in Richtung Heilung von komplexer Traumatisierung zu bewegen.
Dies und der Aspekt der Signalwirkung, die jede von selbst konkret betroffenen Menschen verfasste Literatur hat, kann sicherlich auch anderen Vielen hilfreich und wohltuend sein.