“Wir sind Viele” ~ Teil 4 ~

 ent-wicklung Karl Heinz Brisch war akut verhindert, so dass sein Vortrag “Täter oder bindungsgestörte Kinder?” leider entfiel.
Für ihn trat Michaela Huber auf das Podium mit ihrem Beitrag “Viele im Netz der Pädokriminalität”.

Ich nehme die Vorträge von Michaela Huber immer sehr klar und rund wahr. Es ist gut zu unterscheiden, wann sie Perlen und Edelsteine aus ihrem 30 jährigen Erfahrungsschatz in der Behandlung und Auseinandersetzung mit dem Themenbereich der Folgen schwerer Traumatisierungen beschreibt und wann sie diese mit Sachinformationen, auch anderer ForscherInnen und BehandlerInnen zusammenfügt, um ein wenig starres Bild entstehen zu lassen.

Sie setzt nicht auf dramatische Schilderungen, um große Gefühle zu erzeugen, sondern benennt, was andere nicht zu benennen wagen.
Für mich persönlich, bildet genau dies den wertvollen Kern auch dieses Vortrages, der wie viele ihrer Vorträge auf ihrer Homepage zu finden sein wird.

 

Nach einer Kaffeepause referierte Prof. Dr. Plassmann, Leiter der Kitzbergklinik, Bad Mergentheim, über die “stationäre Therapie bei Komplextrauma”.
Es wurde ein Vortrag dem zu folgen war, dem aber meiner Meinung nach, einige Stichworte und Schemata auf Folie wirklich gut getan hätten.

Er benannte eine Form der Dissoziation, die seiner Auffassung nach, noch nicht genug aufgegriffen wird und zwar die Dissoziation, die mit kompensatorischen Verhaltensweisen wie zum Beispiel Süchten hervorgerufen und aufrecht erhalten wird.
Ein spannender Ansatz, den ich persönlich gerne weiter verfolgt hätte, der aber in seinem losen Faden irgendwo mitten im Vortrag endete und nicht mehr aufgegriffen wurde. Er beschrieb das Konzept “seiner” Klinik zur Behandlung dissoziativer Störungen und Traumafolgestörungen allgemein.
Ernüchterung bei mir: 4 Phasen- Modell und Protokolle zur Symptomassoziation.

Das 4 Phasen- Modell klingt für mich im Grundsatz hilfreich und als logische Konsequenz aus dem, was posttraumatische Belastungsstörungen mit sich bringen. So wird in Phase 1 stabilisiert; in Phase 2 Ressourcen in den Überlebenden (wieder)entdeckt und als Hilfe zur Selbsthilfe etabliert; während in Phase 3 die Traumaexposition ansteht und in Phase 4 die Reorientierung in den Alltag und innere Neukonstruktion Thema wird.
Schöne, wirklich wunderschöne Theorie – die Praxis raucht vor der Eingangstür und lacht, dass ihr Bauch wackelt.
Letztes Jahr erst, sprach die Psychologin Sabine Drebes in einem Vortrag zur stationären Behandlung bei komplexen Traumatisierungen (dort die Klinik für Psychotherapie und psychosomatischer Medizin des evangelischen Johanneskrankenhaus Bielefeld) an, dass durch die begrenzten Finanzierungen der Kassen derzeit nur etwa 30% der PatientInnen überhaupt die Phase 3 durchlaufen. Sie werden entlassen und zu einem späteren Zeitpunkt (aktuell allgemein Wartezeit zwischen zwei Aufnahmen 1 bis 1,5 Jahre!) zur eben jener Behandlung nach Phase 3 wieder aufgenommen – wo sie sich in welchem Zustand befinden? Richtig- mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem, der eher eine Behandlung nach Phase 1 oder 2, als Phase 3 oder 4 nötig macht.
Ich bin nach meinen Aufenthalten in der Bielefelder Klinik immer halbwegs stabil und wach für meine eigenen Ressourcen entlassen worden- doch in der Zeit zwischen Behandlungen erforderte das nachwievor bestehende Trauma in all seiner Toxizität neue oder neuaufgelegte Anpassungsmechanismen, die sich zu immer komplexeren (chronifizierten) Süchten und anderen destruktiven Verhaltensweisen entwickelten. Wenn die Wartezeit um war, mussten immer wieder erst ein mal diese Symptome wieder runterreguliert werden- bis zur nächsten Entlassung. Und ich bin eine von Vielen und immer mehr werdenden- doch dazu später mehr.

Punkt zwei: Symptomprotokolle
Ich dachte, dass inzwischen allgemein bekannt sei, dass DBT mehr Dressurinstrument als Integrationshilfe von Verhalten als Symptom sei.
Hab ich wohl falsch gedacht.
Wenn ich Herrn Plassmann richtig verstanden habe, werden die Protokolle geführt, mit der/ dem behandelnden Psychotherapeuten durchgesprochen und dann Strategien erarbeitet, diesen anbei zu kommen. Was sich bei lauten Verhaltensweisen (für mich “offenem Dissoziieren”) wie selbstverletzendem Verhalten, Essstörungen, Süchten oder riskantem (Bindungs) Verhalten noch gut funktionieren kann (und sicherlich wird), stelle ich mir für leises Verhalten (“verborgenem Dissoziieren” bzw. bei Menschen mit “systemimmanenter Überlebensstrategie”) mindestens schwierig- allein von den PatientInnen durchgeführt- unmöglich vor.

Würde ich jedes Mal merken, wann ich dissoziiere, dann hätte ich keine dissoziative Störung im Sinne einer DIS.
Ich behandle natürlich keine Menschen mit dissoziativen Störungen und kann nicht auf 30 Jahre Erfahrungen zurückblicken, denn ich bin nicht einmal so alt. Aber ich bin schon kaputt gegangen an solchen Protokollen als einziges Mittel die Dissoziation meiner Selbst- und Umweltwahrnehmung für mich begreifbar zu machen. Einfach, weil ich ihnen nie entsprechen konnte. Meine Symptome haben verhindert, dass ich meine Symptome hübsch in eine Liste schreiben konnte. Ich (und andere Viele, die ich inzwischen kennenlernen durfte) brauch(t)en intensive Begleitung und viele Rückmeldung von außen, um dissoziative Symptome überhaupt erst einmal dokumentieren zu können.

Mit der Einführung von Fallpauschalen in Krankenhäusern, kam es zum verschärften ökomischen Wandel in unserem Gesundheitssystem und mit ihm wurden auch die Betreuungschlüssel in Kliniken verändert. Konzeptionelle Anpassungen daran heißen vollmundig “Wir fördern die Eigenverantwortung unserer PatientInnen”.
Praktisch heißt das, dass 10- 15 PatientInnen, zum Beispiel in der Psychiatrie, von 2 KrankenpflegerInnen betreut werden. Prima Voraussetzungen um Patienten sorgfältig zu beobachten, (dissoziierte Brüche wahrzunehmen und rückzumelden)- selbstverständlich zum Hungerlohn und neben dem bürokratischen Aufwand und anderen Verpflichtungen.

Diese strukturellen Bedingungen, die in psychosomatischen Kliniken nicht viel anders sind bzw. heute sein werden, wurden in dem Vortrag von Prof. Dr. Plassmann, kurz streifend erwähnt, um sich dann thematisch nicht näher beschriebenen Hilfen zur Symptombewältigung zu widmen. Immer wieder mit den Begrifflichkeiten “normal” und “krank” (wer hier öfter liest, wird sich vorstellen können, wo in dem Raum Frau Rosenblatt Teil der Deckendekoration war…)

Am Ende gab es die Möglichkeit Fragen zu stellen und einzelne Punkte weiter auszuführen.
Ich meldete mich und fragte, wie auf das traumareaktive Muster der Vermeidung in der Klinik bzw. dem Konzept reagiert wird. Wenn in den Protokollen also eigentlich etwas stehen müsste, aber nicht steht, zum Beispiel, weil der/ die PatientIn die Angst vor der Angst mit Dissoziation vermeidet.
Eine fundamentale Frage, wie ich finde- haben wir doch gerade in dem Vortrag vorher gehört, dass sogenannte ANP’s (Alltagsnahe, (rein) funktionale Persönlichkeitsanteile/Innens/Innenpersonen/ etc. ) genau dieses Muster in sich tragen, um die Vermeidung der Annäherung an EP’s (Emotionen und Traumamaterial tragende Anteile/etc.) aufrecht zu erhalten (also strukturell zu dissoziieren, was man dann DIS nennt, was wiederum eine Folge von komplexer Traumatisierung ist, die dort in der Klinik behandelt wird).
Ich empfand die Antwort als ignorant und kann das auch jetzt, 4 Tage später, nicht anders nennen.
“Wir können nur mit dem arbeiten, was da ist”.
Meine Entgegnung jetzt: Ja, kann man- muss man aber nicht! Zumindest nicht, wenn man sich vielleicht mal fragen möchte, wem man eigentlich hilft und wem nicht. Wenn man sich mal kurz de Frage stellt, welche Menschen man allein lässt. Wieder. Nach all dem, was sie bereits allein durchstehen mussten.

So komme ich zu meinem eigenen “Vortrag”.

Ich persönlich, habe überhaupt gar keine Zweifel daran, dass solche Klinikonzeptionen Menschen helfen können und von Menschen auch als hilfreich wahrgenommen werden, selbst wenn keine Traumaexposition im stationären Rahmen passieren kann. Ich bin davon überzeugt, dass diese Konzepte keine Luftschlösser sind und sicherlich auch ausführlich evaluiert wurden – allerdings nur mit PatientInnen, die da waren.

Die PatientInnen, die sich von vornherein gegen dieses Konzept entscheiden, nach Vorgesprächen gegen eine Aufnahme entscheiden und auch die PatientInnen, die an den Bedingungen zur Aufnahme scheitern (ihr erinnert euch an diesen Artikel? Das ist Bad Mergentheim gewesen), stehen für solche Erhebungen nicht zur Verfügung und ganz offensichtlich besteht auch kein Interesse daran, sich diesen zu widmen, zu befragen und Klinikkonzepte für komplex traumatisierte Menschen zu entwickeln, die auch mit (oder trotz?) kranker Kassenbegrenzung von einem stationären Rahmen der Psychotherapie bzw. psychosomatischer Medizin profitieren könnten.

Ich habe den Verdacht – oder vielleicht sollte ich von einer These, einer Idee sprechen, dass hier an diesem Vortrag sichtbar wurde, wie versucht wird, als unnormal definierter Dissoziation mit als normal definierter Assoziation zu begegnen.
Aufgegriffen wird, was der/ die PatientIn assoziiert und äußert – nicht was er/sie dissoziiert und ergo nicht konkret äußern/ benennen kann. Hilfreich ist, was da gewesene PatientInnen belegen- nicht das, was nicht dort behandelte PatientInnen als fehlend bezeichnen würden.

Wir haben ein Existenzproblem in unserer Gesellschaft. Ein Problem damit Minderheiten als sichtbar und existent und genauso wichtig, wertvoll, gewichtig wahrzunehmen und anzuerkennen, wie Mehrheiten. Es reicht nicht zu sagen: “Wir können nicht allen helfen.” um sich dann zu seinem Schreibtisch zu drehen und sich den Problemen, die seit Jahren als die Gleichen bestehen zu widmen. Ja, das wichtig. Ja, da muss auch etwas passieren und ja, es prima, dass es Menschen gibt, die das mit viel Kraftaufwand, Zeit und Herzblut tun. Vielen Menschen wurden so schon Leben gerettet, ermöglicht und/ oder verbessert.

Der Anspruch muss aber sein, dass tatsächlich alle Menschen die gleiche Chance auf Hilfe haben. Auch wenn es sich um eine – ausschließlich im Vergleich! – kleine Gruppe von Menschen handelt. An der Stelle beginnt moralische Verantwortung, der alle Menschen, meiner Meinung nach, nachzukommen haben, wenn das Ziel ein lebenswürdiges, lebenswertes Leben für alle Menschen gleich ist.

Es kann und darf nicht sein, dass wer nicht sichtbar ist, als inexistent gilt und zu bleiben verdonnert ist, weil es sich so leicht gemacht und nur Sichtbares aufgegriffen wird.
Es kann nicht sein, dass von hochdissoziativen Menschen gefordert wird, hochassoziativ zu agieren, wenn sie dieses als massiv lebensbedrohlich wahrnehmen (müssen- denn sonst hätten sie diese Struktur nicht entwickelt). Es kann nicht sein, dass Todesangst zum immanenten Teil des Heilungsbemühens in der Psychotherapie für auch nur einen einzigen Menschen gehört.

Ich will das vorgestellte Konzept wirklich nicht schlechtreden. Wirklich nicht.
Es wird Menschen helfen und so hatte es seine Berechtigung dort auf der Tagung gehört zu werden. Es wird aber den vielen die Viele sind und massive (von DBT- Elementen und Stabilisierungs-Intervalltherapiekreiseln in psychosomatischen Kliniken massiv verstärkten) Vermeidungsmustern der Persönlichkeitsstruktur nicht helfen. Und das nicht mindestens traurig zu nennen und zu Veränderungen in der konzeptionellen Gestaltung und auch der Kassenfinanzierungsgegebenheiten aufzurufen, ist ein Versäumnis, das ich in gar keinem Fall so stehen lassen will.

Vielleicht kann der Herr Prof. Dr. Plassmann in seiner Klinik nicht allen helfen.
Andere aber könnten das wollen.
Und genau diese Menschen sollten, meiner Meinung nach, gestärkt aus solchen Vorträgen heraus gehen.

Ich bin nur ernüchtert und wütend aus der Aula gegangen.

Wie viel “Opfer” steckt in meinem Genderlabel?

Faserfrühling2 Neulich hatte ich eine interessante Auseinandersetzung mit dem Thema “Geschlecht und Gender im Kontext von sexualisierter Gewalt in Form von Misshandlung in der Familie als Kind”. Dabei entstand in mir die Fragestellung, wie viel von meinem Selbstlabeling darin begründet ist, dass ich misshandelt wurde.

Fakt ist: Gewalt verändert die Wahrnehmung. Sowohl von sich selbst, als auch von der Umwelt und anderen Menschen.
Diese Wahrnehmungsveränderungen können dazu führen, dass der Umgang mit sich, der Umwelt und anderen Menschen verändert ist und etwas anderes mit sich trägt, als ohne diese Erfahrungen.
Hinzukommt der Prozess des Lernens. Man lernt basierend auf seiner eigenen Wahrnehmung von sowohl der direkten Rückmeldung von außen, als auch dem Effekt der sich auf einen selbst auswirkt.

So weit, so verkürzt, so aber ausreichend.

Ich habe gelernt, dass ich ein Stück Scheiße bin, das man eben misshandeln kann, weil man das kann.
Das ist so zusammengefasst, was ich mir aus der Gewalt, die ich erfuhr, mitgenommen habe. Ich bin kein Mädchen oder Junge, ich bin nicht von Wert für Menschen, die so viel Kraft/ Macht haben, dass sie einfach tun können, was sie tun, weil sie es eben können.
Das sind also so zwei Bereiche, die vielleicht- vielleicht aber auch nicht- von der Gewalt ver-rückt worden sein können: Die Wahrnehmung meines Körpergeschlechtes, daraus folgend, die meines sozialen Geschlechtes (Gender) und die Einschätzung des Wertes meiner Selbst vor Menschen, die Macht haben (Autoritäten).

Ja, es kann sein, dass ich mich als geschlechtslos wahrnehme, weil mir begegnet wurde, als hätte ich keins.
Auf der anderen Seite habe ich ja Augen im Kopf und kann sehen, dass mein Körper als weiblich kategorisiert werden kann, was in meinem Umfeld die Folge hat, auch dem sozialen Geschlecht der Frau zugeordnet zu werden, welches wiederum immer stärker von Medien und kapitalistisch motivierter Vermarktung definiert wird. Also nicht einmal mehr wirklich von Menschen um mich herum, sondern von einer grauen Eminenz- einer Macht, die tut, was sie tut, weil sie es kann.

Etwas, was Gewalt aber auch kann ist, Gefühle von Entfernung, Entfremdung machen. Irgendwie ist es immer wieder so, dass Gewalt, obwohl sie in vielen Formen auftritt und es keinen Menschen auf dieser Welt gibt, der keiner Form von Gewalt (und sei es der Naturgewalt) ausgeliefert ist, etwas ist, das Menschen an den Rand ihrer Welt bringt und manchmal auch von dort herunter fallen lässt.

Je tabuisierter die Art Gewalt ist, die das zur Folge hat, desto stärker ist dieses Gefühl. Und je mehrdeutig verwaschener die Kommunikation darüber ist, desto ferner (surrealer, fremder, unvereinbarer, spezieller) erscheint das eigene Sein in eben jener Position als Überlebende/r. Die Norm erscheint da oft als etwas, das nicht (mehr) für sich selbst gilt.

Ich habe so viel Zeit in meinem Leben damit verbracht Nichts (und nur vor mir selbst ein Jemand) zu sein, damit mir nichts Schlimmeres als ES widerfährt, dass ich das auf vielen Ebenen in mir drin habe. Da ist das innere Leitbild, dass es immer das Beste ist nicht nur das Nichts zu sein, sondern auch am Besten gar nicht zu sein. Da ist die Autarkie, die Unabhängigkeit als eine der höchsten Prioritäten, die alles einschließt. Auch in Bezug auf meine Art Sexualität zu leben: ich bin mir selbst völlig genug.
Das habe ich so definitiv nicht durch die Gewalt gelernt. Was ich in Bezug darauf gelernt habe ist, dass meine Gefühle, die im Zusammenhang mit meinem Genital stehen, völlig irrelevant sind, wenn sie jemand anderes benutzt.
Wenn ich welche hatte, dann wurden sie umgedeutet, wenn ich keine hatte, wurden mir welche unterstellt.
Das heißt nicht, dass ich im Zuge der Gewalt mein Geschlecht negierte oder nichts gespürt habe. Aber ich habe diese Empfindungen mit dem Menschen verbunden – nicht mit dem Umstand ein weibliches Geschlecht zu haben.

Wenn ich alles selbst tue, ist alles gut. Dann bin ich nichts, nehme nichts, brauche nichts (und niemanden). (Könnte auch heißen: “Ich muss dann nichts für jemanden sein”, aber da bin ich noch nicht dran.)
Ist das ein ausschließlich erlerntes Muster, das, wenn ich es änderte, all meine Selbstwahrnehmung verändern würde? Vielleicht in eine Cisfrau, die liebend gerne den ganz besonderen Kugelschreiber für Frauen benutzt und ihrem Mann die Chips für den Fußballabend mit Freunden am Grill kredenzt? Ist denn das die Norm? Ist Heterosexualität und die Cis-Genderperformance die Norm? Ist das, was ohne Gewalt/ Einfluss von außen entsteht, die richtige Norm?

Nein.

Heute bin ich von meinem Innenleben nicht mehr so sehr entfernt, wie noch vor ein paar Jahren. Ich merkte, dass andere Innens sich nicht als geschlechtslos wahrnehmen, sondern, dass es durchaus Innens gibt, die sich woanders auf dem Spektrum verorten oder sich selbst sogar auf diesem herumwandernd empfinden (also manchmal sehr weiblich, manchmal eher männlich, manchmal männlich, manchmal wie ich).

So entsteht in mir die Frage, ob die Verknüpfungen, die unter Gewalt entstehen, abhängig vom Selbstzustand sind.
Das Modell nach der Frage, wie viel meiner Selbstwahrnehmung bzw. meiner Selbsteinschätzung also aus dem “zum Opfer geworden sein” kommt, orientiert sich an der Idee, die Summe meiner Erfahrungen und Umwelten zu sein.
Das passt aber nicht mehr, wenn ich dann Menschen begegne, die sich gleichsam als geschlechtslos, trans, nonbinary, queer  etc. etc. etc. wahrnehmen, ohne (als Kind) sexuell misshandelt worden zu sein und erst dann sexualisierte Gewalt erfuhren, als sie sich nicht entsprechend ihrer Selbstwahrnehmung auch offen nach außen labeln und entsprechend agieren durften. (Also ja: ich persönlich halte es auch für sexualisierte Gewalt, wenn ein Transmann weiterhin Frauenperformance betreiben muss oder sich jemand, der sich als jemand ohne Geschlecht fühlt, mit “Herr” oder “Frau” angesprochen wird, weil because of fucking status quo).

Es gibt diese Haltung zu Gewalt, dass sie alles und jeden von Grund auf verändert.
Ich zweifle inzwischen mehr und mehr daran, dass das wirklich so ist.

Was mir passiert ist, hatte eine ganz eigene Dynamik mit der ich aufgewachsen bin. Da ist das Paradox: Ich hatte früher nie das Gefühl Unnormales zu erleben oder selbst unnormal zu sein- aber als klar wurde, dass es Gewalt war, fiel ich über den Rand der Welt.
Alles, was mir hätte sagen können: “Du, das ist nicht okay, wenn jemand deinen Körper manipuliert- das ist Gewalt- du kannst/ darfst/ musst das jetzt hier schlimm finden und dich so und so verändern, um damit zurecht zu kommen”, war mir nicht bewusst und spielte so überhaupt gar keine Rolle. Wenn ES passierte, dann ging es darum, dieses ES so kurz und knapp wie möglich zu halten (und mir gelang das immer am Besten, wenn ich mich eben darauf besann, dass ich _nicht bin_. Ein Jemand, aber ansonsten Nichts.
Da spielten lediglich die sozialen Rollen von “mächtig”/ “Etwas und Jemand” und “ohnmächtig”/ “Nichts und Jemand” eine Rolle. Weniger oder zumindest nicht ausgesprochen meine soziale Rolle als Kind oder mein biologisches Geschlecht.

Ich werde nie herausfinden, ob ich mich anders wahrnehmen würde, wenn ES mir nie passiert wäre. Denn es ist mir passiert und ich erinnere keine Zeit, in der das nicht so war. Ich habe mich nie anders wahrgenommen und eingeschätzt. Und ich erlebe es nicht als Verlust oder als einen Akt von Abwehr gegen meine Biologie oder soziokulturelle Rolle. Auch so ein bequemer Normengewaltmythos: Non-Cisgender und Homo- und Non-binary- Sexualität als abweichender Lebensstil, weil die Gewalt “gemacht hat”, dass die betroffenen Menschen sich und ihre Rolle und ihr Geschlecht so sehr ablehnen, dass sie ihre Genitalien nicht mehr normgerecht benutzen wollen oder können (also heterosexuell entsprechend ihres biologisch eingeteilten Geschlechtes).

In den ganzen Überlegungen traf mich ein Gedanke, wie ein Asteroid beim Wandertag, als ich das Viele- sein auch noch einmal in den Kontext hineinbrachte.
Nämlich der, dass die Gewalt, die mich zu Vielen hat werden lassen, auch vielschichtig war und sich da die Frage eröffnet: Wenn das alles nicht gewesen wäre- wie würde ich mich dann labeln?
Ich habe keinen Zweifel daran, dass mein Selbstlabeling ein Anderes wäre- aber wäre ich dann ganz grundlegend auch ein anderes Jemand?

Ich glaube nicht. Aber- und das ist, was ich als größten Verlust wahrnehme- ich werde das nie herausfinden können, denn passiert ist passiert. Da ist ein Ende der Persönlichkeitsentwicklungsoptionen abgeschnitten und für immer verloren.
Alles, was ich heute zusammenführen und integrieren kann, hat sich getrennt entwickelt und in Autarkie gebracht. Ich denke, dass es wichtig sein kann, an manchen Stellen zu sehen, welche Verknüpfungen sich wo, wann und warum gebildet haben und ob sie heute noch genauso übereinstimmend mit dem jeweiligen Selbst wahrgenommen werden.

So gab es früher schon die Notwendigkeit und auch die innere Übereinstimmung damit, die Rolle eines Cismannes inne zu haben, die dann aber nach der Bearbeitung der Entstehungssituation dieses Selbsts nicht mehr als so übereinstimmend wahrgenommen wurde und in ein Selbst mit anderem Gender integriert wurde. Das Gleiche erlebten wir aber auch schon anders herum, genauso, wie ich auch schon Innens mit binärer Geschlechterzuordnung in mir integriert habe.

Am Ende wird, denke ich, ein Selbstlabeling dabei herauskommen, das ist wie es ist. Nicht mehr oder weniger hinterfragbar oder mit dem “zum Opfer geworden sein” in Zusammenhang stehend, als das, was ich jetzt an mir und anderen Innens sehe.
Es ist die Gewalt, “die machte”, dass ich mir das jetzt alles zusammensuchen muss. Aber ob sie das, was da jetzt so herumfliegt, auch alles gemacht hat?
Keine Ahnung.

Und wer weiß- vielleicht finden wir Menschen irgendwann heraus, dass unser Selbst so oder so immer anteilig gemischt ist und wir durch die Summe unserer Erfahrungen und Umwelten lediglich unterschiedlich gewichten.

Und vielleicht vielleicht vielleicht… darf dann ja auch irgendwann jeder Mensch einfach so sein, wie er sich wahrnimmt.

jetzt

Pfote2 Ich schaue durch die Löcher vor mir.
Die Nacht trage ich durch meinem Rücken, um sie an NakNak*s Körper entlang wandern zu lassen.

Ich liege da und warte auf den Tag.
An meinem Hals zittert ein Tierchen unter meiner Haut.
In meiner Brust kullern Wackersteine zwischen den Muskeln herum.

Der Geruch von verbrannter Haut liegt unter dem Knistern ihrer Asche. Direkt an meinem Ohr.

Ich bin ein waberndes Es, das ist und nicht ist. Ich denke Gefühle und fühle Gedanken einer Zeit, die vergangen ist, als ich den Blick aus dem Käfig wandte.

Ich weiß nicht, ob ich träumte oder erinnerte.

Ich weiß nichts.
Doch ich spüre den sachten Atem meiner Hündin, wie einen Wellengang, der sich an der Linie zwischen meinem Nacken und meinen Oberschenkeln bricht.

Vorsichtig schiebe ich meine kalte Hand hoch und beginne das zitternde Wesen in meinem Hals zu streicheln.
Dass ich Atmen muss, daran erinnern mich ruhige braune Augen, deren Anwesenheit mitten im Irgendwo sein muss.

Also atme ich.
Stoße an meinen Panzer, torkle gegen den Käfig, wecke NakNak*.
Sie schmaucht und öffnet ihre Augen.
Gähnt und rollt sich neu ein.
Legt ihren Kopf auf meinen aufklaffenden Bauch und leckt meine Hand ab.

Ich atme, streichle, sehe durch die Löcher des Käfigs eine feine Morgenröte.

Und ich weiß, dass jetzt alles in Ordnung ist.

drüber reden, etwas sagen

WasserBlatt Und dann dachte ich: “Etwas sagen, werde ich wohl nie.”

Ich dachte an die Artikel “mit …reden”. Dachte daran, dass ich immer wieder zu viel Zeit damit verbringe mein Jetzt, die Schäden, Verwachsungen, Anpassungen und Muster zu erklären, transparent und adaptierbar zu machen. Immer wieder dafür zu sorgen, dass ich verstanden werde und wenn eine Norm nicht umgehbar ist, Hilfe beim Annähern an Entsprechung zu erhalten.

Wieso rede ich nicht mit ÄrztInnen darüber, was meine Befürchtungen in Bezug auf körperliche Schädigungen sind?
Wieso rede ich nicht mit der Polizei darüber, dass ich selbst eine scheiß Angst davor habe, falsche Aussagen zu machen, viel Arbeit für nichts zu verursachen- das Bild der Betroffenen, der erst einmal immer geglaubt werden muss, zu zerstören?
Wieso rede ich nicht mit
dem Jobcenter darüber, dass das, was sie mir dort anbieten immer wieder etwas ist, dass ich nie so fest zusagen/ dem entsprechen kann, wie sie das brauchen?
Wieso rede ich so viel in der Therapie und sage (gefühlt) nichts?

G’tt, ich würde so gerne etwas sagen.

Doch in dieser Welt bedeutet es Drama, wenn man das tut. Vielleicht Unangemessenheit. Vielleicht Rücksichtslosigkeit. Vielleicht die Gefahr von Unverständnis verletzt zu werden. Vielleicht bedient man Voyeurismus. Vielleicht werde ich von der Messlatte ihrer Bewertungen erschlagen und sie nennen es “Bewusstwerden”.

In meinem Kopf, da sagt es vor sich hin und tritt doch nicht nach außen.

Es sind so kleine Fetzen oder Blitze und meistens lasse ich sie so an mir vorbei ziehen, wie den Müll im Wald, von dem ich weiß, dass er die Umwelt zerstört und den ich trotzdem viel zu selten aufhebe.
Ich bilde mir ein: „Ach- dieses Taschentuch- das rottet schon.“. „Ach- diese Verpackung- die wird schon vergehen…“. Und so rede ich über die Fetzen: „Ach, ist ja vorbei…“.  „Ach- es wird nicht wieder passieren…“-
und weiß doch eigentlich, dass ich Innens- “mich”-  damit quäle, wie ich unser Ökosystem zerstöre, wenn ich Müll liegen lasse.

Im Moment entsteht ein Bild von uns. Uns allen. Ein Wimmelbild.
Ich fand mich und sehe meine eigene Erschöpfung, die mich trotz aller Zeit, die vergangen ist, nie ganz verlassen hat.
Ich habe darüber nachgedacht, dass ich nicht darüber reden will, wieso ich eingesperrt war und überhaupt alles das drum rum, wie das war und wie ich mich befreit habe und so weiter und so weiter, sondern, wie schrecklich ich meine Erschöpfung wahrnahm, als ich gefunden und mitgenommen wurde.
Dass es einfach nie der Kampf ums Überleben war, die mir Not und Angst gemacht haben, sondern das, was war, als ich Erfolg hatte.

Vielleicht ist es das, was uns immer wieder behindert. Dass wir denken: “Oh- die Menschen da draußen, unsere Therapeutin, unsere Gemögten- die denken bestimmt wir wollen schlimme Kämpfe und Gewaltdetails erzählen, wenn wir äußern, dass wir über eine Not sprechen wollen”.
Irgendwie ist ja so, dass wir unterschiedliche Bewertungen haben und uns das nicht entgangen ist.
Was für uns Alltag, Norm, Wert war (und ist), das wird von unserem jetzigen Außen mit “Gewalt”, “Doktrin” und “Ideologie” betitelt und damit in unserer Wahrnehmung total verquert.

Ich will nicht darüber reden, dass mich Gewalt dort hin gebracht hat und mich in diese Erschöpfung getrieben hat. Wenn ich mich geistig dem Früher nähere, dann ist es Gewalt gewesen, die mich dort heraus brachte und meine Erschöpfung entstehen ließ- obwohl ich natürlich weiß, dass ich vorher schon schwach gewesen sein muss. Wenn ich näher dran stehe, dann ist aber trotzdem mein Befreier der Mensch, der mich schwächte und in Not brachte. So sehr, dass er mich tragen musste- obwohl ich vorher die ganze Zeit stand und mich bewegt hatte. Total aktiv war.

Irgendwie ist es der Anspruch von einem Erzählen von A nach B nach C zu dem worum es eigentlich geht, was stört.
Ich feiere mich gerade, weil ich jetzt hier zum ersten Mal davon schreibe, wie k.o. ich damals war. Dabei hätte ich das so auch ja schon früher mal sagen können.
Dann hätte es aber für niemanden gleich viel Sinn ergeben und ich hätte mir irgendwie was von “ja müde sind wir alle mal” oder ähnlichem Kackscheiß anhören müssen.

Es gibt in dem Buch “Trauma und die Folgen” von Michaela Huber eine Grafik, die beschreibt, was ein Trauma tatsächlich bedeutet.
Es ist nicht das Ereignis an sich, sondern die Wellen, die Verletzung, die es schlägt. Und, dass die Wellen, die so ein Ereignis schlagen kann, unterschiedlich sind, ist ja logisch, denn jeder Mensch hat unterschiedliche Internalisierungen in seinem Leben vorgenommen, die er gut, weniger gut oder auch gar nicht auf so ein Ereignis jenseits des Üblichen anwenden kann.

Manchmal denke ich darüber nach, warum ich über diese Dinge reden will. Warum es manchen Innens sogar wichtig ist, die Option zu haben sich irgendwann, wenn es okay ist, über ES oder DAS DA aussprechen zu können, denn eigentlich geht es uns nur selten wirklich besser, wenn wir diese Dinge angesprochen haben oder etwas (aus)gesagt haben.
Ist es Narzissmus oder eine Art Entdeckerstolz, der mit einem zitternden Finger auf etwas jenseits der Norm zeigen will? “Guck mal- das da habe ich gesehen/ erfahren/ überlebt (und du nicht!)” oder ist es ein Bedürfnis, das uns Menschen eigen ist, um grundlegend Toxisches aus sich herauszuspülen?

Ich weiß nicht, ob meine Erschöpfung verschwinden kann, denn zur Zeit verwende ich so viel Kraft aufs Aufrecht sein, Aktiv sein, Verhandeln und Wüten, um weiterhin aufrecht und aktiv sein zu können, als ob ich damit meine Rettung (= meine Schwäche) von mir fernhalten könnte. Ich weiß nicht, wie das ist, wenn ich darüber rede (und nicht nur schreibe). Wird sie dann verschwinden können? Und war es dann das “darüber reden”, oder nicht doch das, was ich an Rückmeldung von außen bekomme, was dann hilft?
Und was von dem, was ich zu sagen habe, hilft uns allen?

Ich habe in dem Fragebogen zum Anzeigeverhalten geschrieben, dass ich etwas davon haben muss, wenn ich schon eine Anzeige erstatte und genau das überhaupt nicht gegeben sehe. Dass ich eben genau deshalb nicht angezeigt habe.
Mir ist nicht an Rache, Opferstatus oder Täterdemütigung/erziehung/maßregelung gelegen.
In Bezug auf das, was uns passiert ist, geht es uns nur um uns. Egozentrik hoch zehn. Ich muss schließlich heute mit eben jenen Traumawellen (in mir drin) leben- nicht mit denen, die sie auslösten und ich sehe nicht ein, weshalb ich – ausgerechnet ich- die Verantwortung tragen soll, dass diese Menschen nicht noch andere Menschen quälen. Es ist nicht meine Verantwortung, dass sie das nicht tun! Es ist deren Verantwortung und die Verantwortung des Staates und des direkten gesellschaftlichen Umfeldes dieser jener potenziellen zukünftigen Opfer, das sich darum zu kümmern hat.

Also was habe ich vom Reden und Sagen?

Vielleicht ist es ein Bemühen um Mehrsamkeit, das eben jenen Finger auf das zeigen lässt, was jenseits der Norm geschah.
Jetzt, wo ich das hier schreibe, reicht mir schon die von mir eingebildete geistige Nähe zum Kopf anderer – fremder wie bekannter- Menschen, dass ich mich weniger allein fühle und meine 5 Tränen über dieses kleine Figürchen auf der Leinwand irgendwie besser in mich integrieren kann.
Irgendwie ist es grad mehr okay, überhaupt da zu sein. Am Leben und deshalb auch auf dieser Leinwand.

Und vielleicht ist das ja schon alles, was drüber reden bewirken kann?

mit TherapeutInnen reden

ent-wicklung “Nein, das sind keine “sie” oder “er”, keine Menschen kein gar nichts! Sie wohnen in ihrer Praxis, fahren sich morgens um 8 hoch und schalten sich pünktlich um 18 Uhr wieder ab!”- jattata jattata jattata
In meinem Kopf redet es so über PsychotherapeutInnen. Nicht immer und nicht über alle, aber mit beachtenswerter Regelmäßigkeit immer wieder dann, wenn die Beziehung zu unserer Therapeutin bedacht wird oder wir eine Darstellung der Beziehung anderer Menschen zu ihren PsychotherapeutInnen erfahren. Ich habe Menschen kennengelernt, die ihre TherapeutInnen glorifizieren und für jedes Wort, jede Geste mindestens einbeinig rohe Eier jonglierend über die Drahtseile ihrer eigenen Nerven balancieren und schwer leiden, wenn das Bild, wiederum wegen allzu viel individueller Menschlichkeit, einen Riss bekommt.
Inzwischen denke ich, dass wir diese Idee für uns brauchen, um unsere Therapeutin aus der Welt, in der sie verankert ist und wir nur fremd, herauszuholen und neben uns im Niemandsland haben zu dürfen.

Ist es ein Akt der Gewalt, wenn wir ihr so viel von sich und dem worüber sie, in ihrer Position zu uns, definiert ist, abtrennen?
Was hat es damit zu tun, mit ihr oder TherapeutInnen allgemein, zu reden?

“Dir kann nur ein/e PsychotherapeutIn helfen”. Wir haben uns viele Jahre hin- und herschubsen lassen und stolperten Praxis zu Praxis.
Ich wusste eigentlich nie, was ich dort sollte, aber alle- wirklich alle- um mich herum, beteten angesichts meines “So-seins” und “dieses und jenes (nicht) machens” diesen Satz herunter und erhoben die Psychologie in einen Olymp, den sie auch hätten selbst besetzen können.
Rein theoretisch.
Eventuell.

In der Teenagerzeit gab es mehrere bittere bis traumatisierende Erfahrungen mit PsychotherapeutInnen und bis heute ziehen sich die Gewalterfahrungen unterm Helfersmantel, wie eine Brigade aus Straßenlaternen am Rande des Weges, den ich mit Menschen gehe, die mir als HelferIn begegnen.
Je mehr ich über das “Therapie machen” oder “psychologische/ psychotherapeutische Hilfe annehmen” nachdenke, desto greller scheinen sie mir in die Augen und vernebeln mir die Sicht sowohl auf mich, als auch auf meine Therapeutin.

Ich habe dieses Ideal eines “so ist es okay” oder “ja, so kann es gehen” vor Augen, in denen ich im Geschehen, Werken und Wirken bin und einfach nur gehe. Vielleicht ein oder zwei Brocken Geredetes im Mund befühle, ausspucke und dann drüberrede. Und weiter gehe. In meinem Niemandsland, mit meiner Therapeutin als Ich- lose Besucherin, die nur dort, wo ich nicht bin, _ist_ .

Wir halten es für uns im Innen so, dass wir in der inneren Kommunikation seit Jahren nur noch “Seelenfrauen” oder “Frau XY” sagen, aber eine “Therapeutin” meinen.
Sprache schafft Wirklichkeiten und in unserem Fall eben überhaupt erst mal eine innere Wirklichkeit, in der es grundsätzlich möglich ist, sich zum Reden- dem besonderem Reden- dem Reden mit Heilungsetikett- einzufinden.

Mit jedem Versuch sich der äußeren Wahrheit anzupassen und sie ins Innen zu übertragen passiert es, dass ich nur noch beobachte und die Worte, wie Steine, die sich übereinander stapeln und verkeilen, in mir fühle. Ich starre die Worte der Therapeutin- des Menschen, der als PsychotherapeutIn arbeitet; all die Verantwortung, die ihm aufgeladen wird- von mir, wie der Gesellschaft- all die Macht und all die SCHWEIGEPFLICHT– an und sehe, wie sie sich vor mir auftürmen und irgendwie in meinen Kopf sollen, aber doch nicht können. Ist ja alles besetzt in mir. Dann versuche ich wegzugehen und nicht selten mache ich mich gleich ganz weg.

Das ist das Moment, in dem ich im gleissenden Licht meiner Alarmbeleuchtung des Therapiewegs herumschwebe. Und, weil ich ja so schön schwebe und alles ganz einfach oder ertaubt ist und ja sowieso auch nichts mit mir zu tun hat und mir die Therapeutin mit ihrem Menschsein, nur noch als furchterregende Fratze inmitten abstrakter Kontrollverlustigkeit eines Schweigens erscheint …

da fällt mir auf, dass ein Innen getriggert ist und es viel zu viel ist.
Zu viel Mensch in der Therapeutin. Zu viel nah. Zu viel zu schnell zu voll zu eng zu zu zu zu viel Anlass sich an sein Selbstversprechen zu erinnern, nie wieder auf einen Menschen reinzufallen.
Schon gar nicht auf Menschen, die in einem Akt von “Wie ich- so du” zum Schweigen verpflichten könnten und damit den einzigen Ort in der Fremde, in dem das Sprechen ausdrücklich das ist, worum es geht, genauso mit klebrig schwarzem Moder überzieht, wie jeden anderen.

Schweigegebote sind für MitmacherInnen- Redeverbote für RebellInnen
So umschiffen wir im Innen die Hürde mit der Therapeutin Worte zu wechseln, produzieren aber auch ein Paradoxon, das sich zwischen Reden- (Aus) Sagen- und einer gewissen geheimniskrämerischen Systematik des Schweigens einen Strick knüpft, um sachte im Wind zu schaukeln.
Ich verstehe es selbst nicht und kann die Fragezeichen, die in einer Parade durch den Raum stampfen, auch nur mit einem schiefem Lächeln und hilflosem Schulterzucken aufnehmen.

Mein Reden ist vielleicht nicht mehr so sehr an ein RetterInnentum geheftet, wie es das früher durchaus mal war, dennoch ist es natürlich in einem Heilungsversprechen begründet. Würde es mir gleichsam helfen mich ausschließlich von Kürbiskernen zu ernähren, würde ich auch das tun. Vielleicht würde ich das sogar lieber tun, denn Kürbiskerne fragen nicht:

Wer sind Sie?
Was haben Sie?
Was wollen Sie von mir?

Kürbiskernen ist mein Sein egal, meine Person, mein Ich, mein Handeln, Denken und Fühlen. So können sie mir ebenso egal sein.
Mit TherapeutInnen funktioniert das nicht, obwohl das auch nicht immer nur schlimm für mich ist.

Wichtig ist, dass ich sie vom RetterInnengipfel ins Ichlose transponieren kann und deshalb nicht gleich noch eine Stufe gestörter oder mehr krank als vorher gelte. Das funktioniert nicht bei allen Menschen und auch nicht bei allen TherapeutInnen. Manche haben so ein scharf konturiertes Sein- sind so sehr sie selbst und erfassen auch nur, was für sich selbst greifbar ist, dass sie mein Niemandsland weder anerkennen, noch Rücksicht auf diesen Umstand nehmen.
So erinnere ich die Inquisitionsvisiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit den Reihen aus breit aufgepflanzten Cheftherapeuten oder Ärzten, deren Ego sich in den Raum drängelte und nichts und niemanden neben sich selbst haben konnten.
Genauso gibt es aber auch Menschen, die in ihrem Sein so wenig Ich nach draußen lassen, dass ich den Unterschied nicht wahrnehmen könnte und nie sicher erkennen könnte, ob dieser Mensch nun neben mir her läuft oder nicht. So wie eine Therapeutin früher, die der Lotushaltung verfallen war und dadurch eigentlich in Bezug auf gar nichts (be)greifbar.

Vielleicht ist es nicht, wozu Gesprächstherapie eigentlich da ist, wenn ich in erster Linie zum IrgendwoindieserWeltsein hingehe.
Hingehen, machen, wieder weggehen.
Hingehen, ein jemand antreffen, ein etwas neben sich aushalten- wieder verabschieden.
Hingehen, Worte aus den Trümmern bergen, in Regale legen- das Archiv wieder zu machen.
Hingehen, das eigene Sein erspüren- die Fühler wieder einfahren.
Hingehen, über die Grenzen des Nichts und alles drüber weg reden, wieder weggehen.

Irgendwo sein zu dürfen ist ein unterschätztes Geschenk, das nicht bezahlbar ist.
Als wir als Teenager dann niemanden mehr hatten- und damit meine ich ganz wirklich niemanden mehr, dem es nicht nur um unsere Benutzung ging oder darum eben seinen Päddyjob zu machen, da hatten wir das Glück, einmal in der Woche für 50 min nur ein einziges Mal für uns allein zu atmen. Die Zellen im Körper vibrieren zu spüren, eine Insel des Nichtangetastet werdens zu erleben.
Die Therapie an sich war eine Farce- da hätte vieles besser laufen können- aber, dass wir überhaupt noch irgendwo sein durften, hatte uns mehr als ein Mal von Suizidversuchen abgehalten. Wir haben dort nicht mit Worten geredet, vielleicht hätten wir das damals auch gar nicht ausgehalten.

Und heute?
Heute erlebe ich mich wie im ständigen Grenzbereich zwischen Worte unwillkürlich auskotzen und ersticken, an dem was sich dort innen sammelt und gegen Dämme drückt. Ich erlebe meine Therapeutin als jemand, die mich mit ihrem Sein, in meinen Grenzen fordert und die mich nicht allein darauf achten lässt, wo uns unser Nebeneinander laufen hinbringt oder hinbringen könnte.
Ich musste ihr bis jetzt nie sagen, dass ich mich aus Normen und Werten dieser Welt ohne Gewalt herausgefallen und verloren fühle, wie ich das so vielen vorher immer und immer wieder zu verstehen geben versuchte.

Ich denke, dass ich mit ihr über die anderen wichtigen Dinge reden kann.
Und wie ich ins Reden komme.

Darüber auch.

mit ÄrztInnen reden

Himmel Noch immer gehen wir fleißig zur Zahnärztin und lassen uns das Dresden ‘45 in unserem Mund kernsanieren.
Ich bewundere die Ärztin für ihr handwerkliches Geschick und die Geschwindigkeit mit der sie so präzise arbeiten kann. Ihre Assistentinnen sind alle nett.

Manchmal schaffen wir es auch kurz zu reden.
Dann wirds schwierig.

Ich glaube, sie hält mich für einen Menschen der “empfindlich” ist. Schublade: “rohes Ei”. Ob ich nun dahinein gehöre oder nicht, stelle ich jetzt mal dekorativ in eine nicht so ferne Ecke, denn obwohl Fingerspitzengefühl sehr wichtig für mich ist, ist es nicht, worum es mir geht, wenn ich mit meiner Zahnärztin, oder auch meinem Augenarzt oder anderen MedizinerInnen über mich spreche.

Mir fallen nicht viele Gelegenheiten ein, die so viele subtile Trigger neben dem offensichtlichen Machtgefälle von BehandlerIn- PatientIn, in sich tragen. Es ist schwierig sie sofort als solche wahrzunehmen, es ist schwierig sie zu benennen und selbst, wenn das geklappt hat, heißt das noch lange nicht, dass meine BehandlerInnen auch wissen, was das bedeutet und welcher Umgang damit für mich hilfreich ist.

Ich bleibe mal bei meiner Zahnärztin, die mich nach der letzten Behandlung fragte, was denn ein “Flashback” ist. Wie sie sich das vorstellen kann.
Bei mir machte die Frage drei Wellen:
1) Woa geil- sie fragt nach.
2) Woa scheiße- sie fragt nach.
3) Wo fange ich denn jetzt an?

Das Gute an Medizinstudien ist das Grundstudium. Wenn ich von Hippocampus und Amygdala rede, wird neben “Pferdeparade” und “Star Wars Prinzessin” sicherlich auch “Gehirn” als Assoziationselement von irgendwo aufploppen. Manchmal liegt das Studium aber auch sehr weit zurück, dann versuche ich es mit “allgemeiner Stressphysiologie”.
Ich erklärte ihr, dass mich manchmal Gefühle, die mit früheren traumatischen Erlebnissen zusammenhängen so sehr überrollen, dass ich nicht mehr so genau weiß, ob sie in aktuellen Umständen begründet sind, oder früheren, weil ich diese Erfahrungen noch nicht integriert habe. In solchen Momenten reagiert mein Körper wie damals, nämlich hochgradig gestresst, was sie als Behandlerin wissen muss.

Ich sagte ihr, dass mich der ganze Besuch bei ihr grundsätzlich schon stresst und in einen Alarmzustand versetzt, der entweder in “Ich nehme alles und jede noch so winzige Mikrobenregung um Faktor 100 deutlicher wahr- habe einen hohen Blutdruck, eine niedrige Schmerztoleranz und geistige Leere” oder in “Ich fühle nichts, ich habe nichts, ich bin das Nichts aus Nichts gemacht” kippt.
In der Interaktion nach Außen- nämlich mit ihr- ist das relevant, denn sie kann mir schon zu Beginn helfen diesen Stress zu regulieren, so dass wenigstens mein Kopf wieder mit mindestens dem Grund meines Kommens gefüllt ist.

Meine Zahnärztin und ich werfen uns dazu Schnackphrasen, die belanglos aber herzlich sind, zu.
Das ist für mich und mein Innenleben ein gutes Signal für “Jupp- hier ist- bis auf die Trigger, die mich an Altes erinnern werden, was ich aber schon weiß und entsprechend reagiere- alles tutti.” Wo gewitzelt wird und Lächeln unwillkürlich ist, da ist in der Regel auch alles tutti. (Neue Lebensweisheit- das hatten wir kurz nach dem Gewaltausstieg so noch nicht etabliert!)

Es ist auch relevant für sie, um mein Verhalten und meine Empfindlichkeitsschwankungen einzusortieren.
Für andere BehandlerInnen ist es ebenfalls relevant zu wissen, dass meine Stressverarbeitung nicht so funktioniert, wie bei Menschen ohne komplexe Traumatisierung in der Biographie.
So schwanken diverse Werte, die an der Adrenalin und Cortisolausschüttung hängen und beeinflussen so die Beurteilung des eine Diagnostik versuchenden Menschen. So ist der mentale Status nicht stabil und so schwankt auch die Absorption von Medikamenten und damit wiederum die Wirkweise auf dem gesamten Spektrum der erwünschten, der unerwünschten und der “habichnochnievongehört”- Wirkungen.

Eigentlich sehe ich mich als Patientin nicht in der Position, meine BehandlerInnen darüber aufklären zu müssen, was relevant für ihre Diagnosefindung bzw. den Weg dahin ist. Ja, eigentlich finde ich es ein Unding, dass MedizinerInnen von ihren PatientInnen an die Funktionsweise des Gesamtorganismus (mit individueller Biographie und Lebensweise) erinnert werden müssen und diesen Kontext nicht von Haus aus klar haben. Mal abgesehen davon, dass die meisten* PatientInnen das selbst nicht einmal wissen.

Meiner Zahnärztin bin ich in der Hinsicht auch fast ein bisschen böse, denn eigentlich hat sie alles Wichtige in meiner Akte stehen, wie ich neulich feststellen konnte.
Als wir zu ihr kamen, wohnten wir in einer Schutzeinrichtung für weibliche Jugendliche. Es ist eine Pseudoepilepsie vermerkt. In den 10 Jahren, die wir uns kennen, hat sie mein Körpergewicht von niedrig auf hoch, auf mittel auf hoch, auf niedrig auf mittel schwanken gesehen, in Zeiträumen, bei denen sogar die WeightWatcherfraktion die Kinnlade wieder einsammeln geht. Da steht, dass immer eine Nervbetäubung passieren muss.
Ich bin da schon so oft “plötzlich” in Tränen ausgebrochen, konnte nicht sprechen und bin völlig “weggebeamt” da in der Praxis herumgetaumelt, konnte Beschwerden nicht linear formulieren und habe kein konstantes Bissprofil… und trotzdem kam ihr wohl nie der Gedanke, dass das Elend in meinem Mund eventuell vielleicht etwas mit einer chronischen Essstörung … ganz dezent vielleicht eventuell rein theoretisch begründet in einem Trauma zu tun haben könnte.

“Nunja, sie ist ja auch Zahnärztin und nicht Psychologin”, könnte nun argumentiert werden. Doch das ist in meinen Augen ein Trugschluss, denn die Psychologie sagt ja nichts weiter als: “Da gibt es eine Essstörung- begründet in traumatischen Erfahrungen, die es zu verarbeiten gilt, um die Schädigung von Körper und Seele als Folge zu beenden.”, meine Zahnärztin arbeitet sich gerade genauso an der Reparatur diverser Schäden ab, wie meine Psychotherapeutin und – so ich denn endlich mal die Chuzpe dazu habe, mir eine zu suchen- meine Hausärztin.

“Wer Schäden repariert, der weiß woher sie kommen”- alte HandwerkerInnenweisheit

Als Patientin kläre ich meine BehandlerInnen aus einem gewissen Antrieb des Selbstschutzes oder auch der Selbstfürsorge auf, wenn diese sich willig zeigen, mit mir eine Ebene zu halten, die sich um mein Wohlbefinden und mein Heil-werd-en dreht. Sitze ich vor jemanden, dem es um Definitionsmacht oder auch nur um viel Geld für wenig Aufwand auf meinem Rücken geht, bleibe ich zur Akutversorgung und suche mir jemand anderen für die Weiter- und/oder Nachsorge.

Komme ich zu einem Arzt oder einer Ärztin, bin ich schon unter Stress, weil ich mich erklären, klar bis durchsichtig machen muss, was für mein Gehirn soviel bedeutet wie “Achtung Gefahr- du bist existenziell bedroht”. Es sind die Fragen:
Wer sind sie?
Was haben sie?
Was wollen sie von mir?

die in der Übersetzung für mich bedeuten:
Ins Schwimmen kommen
Rutschen
Abstürzen

Die Art Gewalt, die ich erfuhr, war keine Naturgewalt oder etwas das einfach so halt passiert ist.
Die Folgen von zwischenmenschlicher Gewalt sind spezifisch und für jede Sparte “BehandlerIn” relevant.
Mein Ich-gefühl ist diffus bis nicht existent.
Mein Körpergefühl schwankt massiv.
Mein Umgang mit sowohl subjektiv als auch objektiv wahrgenommener Autorität schwankt zwischen absoluter Unterwerfung (von “mach alles, was du willst” bis “du brauchst gar nichts für mich wertloses Ding machen”) und genauso absoluter Abwertung (von “ach du hast doch keine Ahnung!” bis “Nu komm ma- gib mir mal besser den Rezeptblock”).

Als sinnig hat sich für mich herausgestellt, meinen BehandlerInnen im Voraus zu sagen, dass ich massive Gewalterfahrungen mit Menschen gemacht habe (genauso ausgedrückt) und entsprechend gestresst, vielleicht auch ängstlich bin, wenn ich bei ihnen in der Praxis ankomme. Dass ich eventuell nicht so klare Angaben machen kann, wie sie gebraucht werden und, dass ich mehr Zeit in Anspruch nehmen muss, als die 10 Minuten Durchlaufzeit, die sie eventuell gewohnt sind, um diesen Pegel runter zu regulieren. Ich mache ihnen klar, dass ich das kann bzw. gelernt habe; dass ich sagen kann, wenn ich etwas von Ihnen brauche, das mir dabei hilft. Dies hat sich bis jetzt als positiv herausgestellt, um nicht in die “einmal Opfer- immer Opfer” Schublade hineinzufallen und als total inkompetent vor der eigenen Lebensrealität zu gelten.

Für viele (Viele) klingt das nach “Raum einnehmen”, “sich wichtig machen”, “sich etwas (heraus)nehmen”, “schwer/umständlich sein” und oft kommt die Frage nach der Berechtigung dessen auf.
Eigentlich brauchen ÄrztInnen die PatientInnen, denn ohne wären sie nur Menschen mit sehr teuren Zetteln in der Tasche.
Wir PatientInnen spüren unsere Berechtigung für einem respektvollen und positiven Ich- zentralen Umgang nicht immer sofort, weil wir ja in der Regel in Not zu ÄrztInnen kommen. Ein Zustand, der als solcher für Gewaltüberlebende schnell zum Ablauf alter Reaktionen führt und auch allgemein als etwas gilt, in dem Anstand oder Etikette nicht den gleichen Rang haben, wie normalerweise. Not ist eben nicht die Norm.
So ist es wichtig, sich ganz genau alle Fakten einer aktuellen Not heranzuholen, die nicht an den Menschen gebunden ist. “Menschen sind nicht allmächtig, auch wenn sich das gerade so anfühlt/ sich dieser Mensch so verhält, als sei das so.”, sage ich mir dann immer. (klingt simpel- macht aber trotzdem mächtig “Ping”, wenn man sich das in dem Moment von Kopf zu Herz zu Seelenfitzel weiterreicht, während man da im Behandlungszimmer sitzt).
Es ist wichtig zu wissen, ob es sich nach sterben anfühlt, weil es ein Sterben ist oder, weil eine Erkrankung, die vorbei gehen wird, dieses auslöst.

Ja, es ist ein Akt von “Raum einnehmen” und “umständlich sein” und ja, auch “sich wichtig machen” und das ist völlig okay so.
Ich weiß, dass ich mehr Raum einnehme, wenn meine BehandlerInnen mich als Patientin durch Exitus verlieren, weil ihre Behandlung relevante Faktoren meiner Anamnese nicht berücksichtigte. Ich weiß, dass die Umstände, die ich anderen für 20 Minuten in einem Arbeitsalltag bereite, die Folgen der Umstände sind, unter denen ich 21 Jahre zu leben gezwungen war. Und ich weiß, dass meine Behandlung nicht wichtiger oder weniger wichtig werden darf, im Vergleich zu den anderen PatientInnen, die mein Arzt/ meine Ärztin betreut. Mein Bemühen um eine gute, respektvolle Zusammenarbeit gehört in den Bereich PatientInnenpflichten, denen ich zustimme, sobald ich anerkenne, dass ich mich mit jemandem umgebe, der Pflichten als praktische/r MedizinerIn (oder allgemeiner: BehandlerIn) nachkommen muss.

Meine Zahnärztin und ich sind nun also auf dem Level von: “Ach- es gibt sogar einen Namen für dein Zittern und Starren und nichts sagen können? Spannend- erzähl mal!”.
Nach 10 Jahren kommt das irgendwie spät und ganz streng betrachten will ich auch gar nicht erst, dass sie mich fragt was das ist, anstatt sich selbst um eine Fortbildung zu kümmern. Ich weiß nicht einmal, ob es so gelagerte Fortbildungen für ZahnmedizinerInnen gibt. Aber gut.
Ich kann sie gut leiden, sie “mag mich gerne leiden” und also suche ich ein bisschen Infomaterial zusammen, das sie weiterbringt und letztlich mir die Behandlung meiner Zahnruinen weniger stressauslösend macht.

Hätte ja auch was, nicht jedes mal schon am Tag vorher gegen Angstwellen anzukämpfen, kurz vorm Termin keine Drogen nehmen zu müssen und den Rest des Behandlungstages nicht in die Tonne treten zu müssen.
Genauso, wie es für sie sicher etwas hat, wenn sie Frau Rosenblatt nicht mehr ganz so arg, wie ein rohes Ei durch die Behandlung balancieren muss.

im Kreise gehn

Kugelblüte2.2 Die Bilder klebten wie Patina auf der Realität und obwohl sie sich zusammenzog und verkrampfte, war der Zug auf ihren Gelenken zu spüren.
Sie legte ihre Hände auf die Fäustchen, die sich unter dem Menschenkostüm verbargen und fuhr mit den Schilderungen des Heute über den Schlamm des Früher.

Sie erzählte vom Atmen und der Freiheit, vom Vorbei und Werden. Wachsen und stark sein.

Sie schauten einander an und während die Eine, obwohl verstoßen und zurückgezerrt, die eigene Position bewahrt, starrte die Andere im Zweifel über die Echtheit ihrer Anwesenheit über das angeleuchtete Gesicht und die schlagartig von ihr durchbohrten Hände.

“Leg dich ruhig wieder hin”, lächelte sie, während sie sich durchstach, im Versuch den Menschen auf die Matratze des Bettes zu nageln.
“Ich krieg das schon hin.”

Und sie kriegt es hin. Immer wieder, Tag für Tag.

Lächeln, sterben, auferstehen.
Vermeiden, erinnern, im Kreise gehn.

was für ein Tag

Rosensiechen1

Was ist es für ne Frechheit
dass die Welt nicht stehen bleibt
damit ich sie mir angucken

– so ganz in Ruhe
erspüren
betrachten
verstehn

bequem für mich sortieren kann

Einfach
für die Chance

meinen Platz in ihr zu finden
zu erspüren
zu betrachten
zu verstehn

um mich selbst zu sortieren
vielleicht bequem

hier

lilaHimmelSie umkreisen einander, wie Monde einen Planeten.

3 Wochen waren lang.
Die Entfernung unendlich.
Die Annäherung brennt und reißt. Wärmt und erweitert.

Sie tasten vorsichtig. Nehmen auch das zarteste Fühlen in sich auf, wie tief ausgetrocknete Erden.
Fluten sich zu Ertrinkenden in ihrem Durst nacheinander.

Es ist noch immer wieder neu, wenn jene, die gehen auch wiederkommen.
Dass ein Abschied nicht für immer sein könnte.

slice of “Psychiatrie und Anderssein”

Abgeplatzt2Vorhin träumte ich von “Nur für drei Tage”, “Wo dir geholfen wird”… von der Lüge, dem Verrat, dem Abschuss, der Konsequenz.
Dem Fallen in eine Welt ohne Mitsprache und ohne Relevanz.

Damals habe ich das Gesicht des Anderen erst erfasst, als sich die Welten des Drinnen und des Draußen vermischten.
Wenn wir, die wir drinnen waren, nach draußen gingen, um am Rest der Welt zu lecken.

Kegeln damals. Klassiker.
Bezeichnend.
Statt sich für einen Ausflug mit Luft und Weite zu entscheiden, entschied sich die Gruppe immer wieder für Hallen. Geschlossene Räume, die immer künstlich und auf das Wesentliche ausgeleuchtet waren: Kino und Kegeln.

Wir waren Teenager zwischen 12 und 17 Jahren und wussten trotzdem, dass wir nicht mehr nur innerhalb unserer kleinen Welt, die sich aus pubertärem Sein zusammenstückelte und von Tag zu Tag beklemmender wuchs, sondern auch im Außen ein Merkmal an uns haften hatten, das uns zu “denen” machte.
Hatten wir uns selbst etikettiert?
Habe ich mich selbst in eine Rolle begeben, um mich noch weiter von Menschen, die nicht erfassen, nicht begreifen, nicht einmal aufnehmen wollen, zu entfernen?

Erst vor ein paar Tagen ging es in einem Kontakt um die eigene Intelligenz und darum, dass diese sehr viel öfter Probleme im Zwischenmenschlichen verursacht, als ich es selbst erwähne oder sonst wie sichtbar mache.
Ich weiß, dass ich oft nicht verstanden wurde und nicht nur einmal aus Unsicherheit eingewiesen wurde.
Ich weiß, dass meine Dummheit in der Regel Ehrlichkeit und Werttreue ist. Immer wieder der Versuch Dinge, die von Dauer sind, erschaffen und leben zu wollen.

Jede Einweisung, jeder Umzug, jede neue Gruppe- ich kam um zu bleiben.

Wenn ich von Heim- oder Klinikzeit träume, dann dreht es sich am Ende immer um den Moment, in dem ich spüre, wie es durch mich hindurch und aus mir heraus rast.
Dieses ES mit hellen Blitzen im Kiefer, steinharten Muskeln und Sehnen, die sich wie Schlangen unter der Haut entlang bewegen.
Es geht um den Moment in dem dieses ES gepackt und auf den Boden geworfen und gestaucht wird. Knie durch die Oberschenkel gebohrt bekommt, die Schulterkugeln knirschen spürt.
Einen Namen hört, den es zu fressen gilt.

Es geht nie um das Danach mit blauen Flecken, den Blicken derer, die definierten, was war. Die sich selbst mir gegenüber nie entschuldigen mussten.
Obwohl sie mich verletzt haben, weil sie ES nicht verstanden.
Dieses Danach ist, wenn ich aufwache und in mein Heute zurückrutsche.

In meine dunkle Halle.
Wenn ich dann wie jetzt, am Fenster sitzen muss, um den Himmel durch meine Augen in mein Innen hineinzusaugen. Den Schmerz der Anspannung veratme und die Gefühle von Auslieferung und Ohnmacht säckchenweise verpacke.
Das Danach in dem die Jugendliche mit dem Riss in der Hose und den blauen Flecken vor mir steht und mich fragt, ob sie so gefährlich ist, dass sie besser sterben sollte.
Das Danach in dem die Jugendliche mit der gebrochenen Nase ihr Blut in meinen Mund tropfen lässt und flüstert: “Sie sind dumm. Alle sind sie so dumm.”.

Als es zum ersten Mal durchbrach und ich auf die Station zurück kam, legte mir eine Mitpatientin die Hand auf den Arm. Das war die einzige nicht hohle Geste bezüglich dessen. Die Schwestern redeten von Ursache und Wirkung, Recht und Ordnung. Irgendwas mit krank und selbst schuld, kam von der Psychologin.
Berührt hat mich aber die Hand einer, die mit mir im Anderssein verbunden war.

Ich erinnere, dass ich versucht habe mich einzupassen. Irgendwie einen Platz im Zwischenstück von Drinnen und Draußen zu finden.
Das geht in allen Einrichtungen nur über das Personal. Sie kommen um zu arbeiten. Sich ab- und alle Makel an den InsassInnen wegzuarbeiten.
Kontakt suchen, sich wie ein Seelenfresser an sie heranschleichen, klammern, Bekundungen des Gernhabens absondern, Humor kopieren, Werte spiegeln, Weltbilder bestätigen, sich erniedrigen, um bei ihnen ein Wohlgefühl zu vermitteln.

Bis man merkt, dass es nicht sie sind, die einen rauslassen. Dass nicht sie das System sind.

Es gab Experimente, an denen wir PatientInnen teilnehmen DURFTEN.
Vorlesungen, in denen wir PatientInnen uns zur Schau stellen DURFTEN.
Es hat sich niemand bemüht uns Jugendlichen etwas über Ethik zu erzählen. Über die Art der Moral, die Medizin auch verfolgen könnte.

Ich habe nie erfahren, worum es in dem Experiment, in dem ich kleine E-Schocks bekam, während ein EEG gezeichnet wurde, ging.
Genauso wenig, worum es in der Vorlesung ging, in der ich zu meinem Verhältnis zu meiner Familie und mir selbst befragt wurde.

Ich weiß aber noch, wie wichtig es mir war, das zu dürfen.
Vielleicht, weil es mich ganz kurz anders als die anderen im gemeinsamen kleinen Andersuniversum gemacht hat. Einfach nur durch die Tatsache an einem Punkt des schier statisch Monotonen etwas Besonderes zu erzählen zu haben.

Hier in diesem Blog gibt es viele Artikel, in denen ich versuche mich dem, was mir das System Psychiatrie angetan hat, anzunähern und zu verstehen.
Vielleicht versuche ich irgendwie auch noch immer zu verarbeiten und zu sortieren.
Was ich aber merke ist, dass ich es nicht mehr aus einem gleichsam wie damals ausgestanzten Anderssein heraus tue.

Ich bin keine Psychiatriepatientin mehr und auch keine Jugendliche.

Aber das ES ist noch immer da.
Die Möglichkeit von jetzt auf gleich wieder zur Insassin zu werden, besteht immer und jederzeit- egal wie sehr und mit welchen Bandagen ich mich zu wehren in der Lage sehe.

Ich denke heute nicht mehr, dass ein so behäbig nihilistisches System wie das der Psychiatrie nur verstehen muss.
Dass ich nur gut genug erklären muss.
Dass ich nur so schlicht wie möglich- geistig so reduziert wie nur irgendmöglich beanspruchen muss, um wieder freigelassen zu werden.

Ich denke heute, dass ich einfach nur nicht mehr in dunkle Hallen gehen sollte, wenn es darum geht mich zu äußern und mir ein Stück Leben in den Mund zu schieben.
Mich und vielleicht auch ES sichtbar zu machen.

Es geht darum zu zeigen, dass das System Psychiatrie beansprucht längst verstanden zu haben, während es zeitgleich einen unverstanden Menschen nach dem anderen in sich verwahrt und an irgendeiner Stelle gebrochen- wenn nicht zerstört- wieder zurück wirft.
In eine Gesellschaft, die dumm ist und erklärt haben will.

Aber keine Verantwortung tragen möchte.
Vor allem nicht für jene unter ihnen, die zurück sind und davon träumen, wie sie auf den Boden geworfen werden, um gestochen zu werden, um fixiert zu werden.