das Problem ist, dass Wörter manchmal viel zu kleine Behälter sind
Schlagwort: Lebensrealität
Essen, das komisch guckt
In den letzten Monaten waren wir häufig unterwegs und ich twitterte öfter mal von “Essen, das komisch guckt”. Darauf kamen die Fragen danach, was das denn bedeutet. Wie guckt denn Essen (für mich)? Ist es, weil es tierische Produkte enthält? Weil es wie ein Gesicht angeordnet ist?
Ich habe das noch nicht so ausformuliert bisher, deshalb ist das hier ein erster Versuch:
Also, Essen, das komisch guckt ist:
1) Essen, das kein Lebensmittel mehr ist
2) Lebensmittel/Essen, das nicht aussieht, als wäre es mit Händen oder wie ein Getränk aufnehmbar
3) Lebensmittel/Essen, die ich nicht aussprechen kann
4) Lebensmittel/Essen, die nicht geschrieben werden, wie sie heißen
5) sehr kunstvoll arrangiertes Essen/Lebensmittel
6) Lebensmittel/Essen, die erst ein Pulver sind
7) Lebensmittel/Essen, die ich nicht kenne
Also: irgendwie alles, außer Leitungswasser, Milch und Lebensmittel, die man roh essen kann.
(Und selbst das kann man mir komisch gucken machen, wenn man es mir als “raw food” oder als “vom Fuße des Himalaya in eine Flasche abgefüllt” vorsetzt)
Eingefangen habe ich mir diese Bezeichnung zusammen mit meiner Essstörung, die ich hier im Blog eher als Umgang mit bestimmten Leiden beschreibe, denn als die Störung, die sie für meinen Alltag oft (auch) bedeutet.
Während mein hungern, erbrechen, fressen – mit Absicht viel oder weniger werden – , immer in einem Kontext passiert, der nachvollziehbar ist, ist die Sicht auf Lebensmittel und Speisen bei uns eigentlich immer die gleiche und vielleicht ist sie die eigentliche Essstörung, für die wir einen Umgang lernen und üben müssen.
Ich habe mir in meine Wünsche für 2015 geschrieben, dass wir öfter Essen kochen, das uns gut tut, damit wir das auch endlich mal wenigstens versuchen.
Bisher klappt es ganz gut, würde aber nicht funktionieren, wenn wir nicht unsere Gemögte hätten, die uns übers Telefon ermutigt, wenn es mal wieder ganz furchtbar komisch guckt.
Das verursacht der Blick eben auch mit. Wenn es zu komisch guckend ist, kann ich es nicht essen. Da ist eine Sperre und aus Versehen habe ich dann auch mal eine ganze Weile keinen Magen oder einen mit Rückschleuderkatapult drin. Wenn andere Menschen noch da sind, gehts hingegen.
Mit anderen Menschen zusammen ist die Nahrungsaufnahme häufig mehr Normenperformance als alles andere. Während ich es mit anderen Menschen schaffe einen Bissen nach dem anderen zu nehmen, mich zu unterhalten und dabei nicht wie das Biest im Disneyfilm auszusehen, bleibt mir davon zu Hause und allein kaum etwas davon, fühlt sich aber echter im Sinne von „mehr wie ich wirklich bin“ an.
Ich verwende von meinem ganzen schönen Geschirr exakt immer die gleiche Schale (bis sie anfängt komisch zu gucken – dann nehme ich eine andere) und koche in aller Regel monatelang das Gleiche auf die immer gleiche Art, zu immer der gleichen Zeit. Sonst guckt es komisch und ich brauche einen Jemand zum bei mir sein, während ich esse.
Mein Jahreswunsch ist eine Herausforderung, weil er für mich auch bedeutet mich abwechslungsreicher zu ernähren und das bedeutet: Veränderungen im Handlungsablauf der Zubereitung und Flexibilisierung der Beschaffungsprozesse. Unsere Art Lebensmittel zu beschaffen, hat immer mehr von einem Geheimauftrag und läuft immer wieder in Abhängigkeit vom Außen erfolgreich oder eher nicht erfolgreich ab.
Ich frage mich gerade, wie das wohl auf andere Menschen wirkt, wenn ich das einfach so daher schreibe.
Als Teil meiner Lebensrealität und eben einfach so Fakt.
Vielleicht klingt das sehr anstrengend und so, als würde mir Essen keinen Spaß machen oder nur Stress bedeuten. Aber das tut es wirklich nicht.
Es ist halt nur nicht so ein Automatismus, den ich mir jederzeit gestalten kann, wie ich es will oder ein Trend oder eine politische Überzeugung oder eine sonstwie gelagerte Ansicht es verlangt oder ermöglicht.
Vielleicht wird meine Art Nahrung zu mir zu nehmen auch nie „normal“ oder so unproblematisch, wie es das für andere Menschen ist.
Essen hat etwas mit am Leben sein zu tun.
Ist halt dann doch nicht immer so einfach zu machen, wie es aussieht.
Verständnis und „Aber Hilflosigkeit !!1!!11!“
In irgendeinem Buch über Traumafolgestörungen habe ich gelesen, dass es eine Phase der Auseinandersetzung geben kann, in der es viel darum geht, bewusst zu bekommen (oder bewusster als vor der Therapie/ der Auseinandersetzung mit traumatischen/belastenden Erfahrungen zu erleben) was man sich wünscht, oder braucht oder möchte.
Dort wurde es in einen Kontext gesetzt mit einer Art regressiven Anspruchshaltung der Menschen, das Außen müsse sich jetzt kümmern, weil man selbst es (aufgrund seiner Erfahrungen, oder einer empfunden Schwäche/Kaputtheit/Unfähigkeit) nicht kann. Und dann ging es darum, dass man den Patient_Innen klar machen muss, dass sie falsche Erwartungen haben.
Als ich heute in der Therapie saß, überlegte ich, ob ich im Moment in so einer Phase bin, oder ob ich vielleicht nur an einer Achse der Gewalt spürbarer als früher unter Druck bin.
Vielleicht liegt es daran, dass ich inzwischen mehr und mehr überwiegend Onlinekontakte mit Menschen habe, die das Viele sein – die speziell auch mein Viele sein – nicht verstehen oder sich sehr anstrengen müssen, es zu verstehen und zu begreifen.
Und genau da beginnt schon mein Dilemma:
Ich habe kein Problem damit, dass Menschen es nicht verstehen oder begreifen. Ich habe Verständnis dafür, dass es so ist.
Ich habe aber ein Problem damit, dass Menschen es nicht verstehen oder begreifen müssen dürfen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass ich verstehen muss, andere aber nicht.
Das Blog von Vielen haben wir für anderer Menschen tieferes Verständnis begonnen.
Und nichts hat sich seit 2008 für uns verändert auf dieser Achse.
Gefühlt.
Wir haben heute mehr Menschen mit denen wir Facebook zusammen nutzen können, Twitter ist weniger sinnlos und manchmal ist so ein Like unter einem Text im Blog, den sich ein Innen mühsam aus dem Innen gepuhlt hat, das was den Tag erleichtert. Wir haben Worte gesucht, gefunden, und jetzt schieben wir sie hin und her. Freuen uns, wenn sie passen. Für uns und andere Menschen.
Aber noch immer müssen wir jeden unbeholfenen Kommentar von Menschen, die uns weder analog oder übers Netz kennen, zum Viele sein, zum Leben mit einer Geschichte wie unserer, annehmen, abhaken und in ein Kästchen legen auf dem steht: “der Menschen weiß es eben nicht besser – das muss man verstehen”.
Wir tun das in diesem WordPress-Blog seit 753 Artikeln, mehrfach in der Woche bei Twitter, manchmal per Mail.
“Sie verstehen es nicht, aber das muss man ja auch verstehen. Sie sagen es aus Hilflosigkeit.”.
Vor ein paar Tagen hatte ich in Bezug auf diese Phrase des “Sie sagen es, weil sie hilflos sind” eine Epiphanie des: Das ist Bullshit.
Niemand ist hilflos nur, weil er nicht weiß wie er jemandem die Welt umkrempeln soll, damit es diesem jemand besser geht. Man ist hilflos, wenn man ohne Hilfe ist – nicht, weil man keine Fähigkeit zu helfen in sich fühlt oder denkt, das, was man als Hilfe anbieten könnte, würde nicht reichen.
Diese Haltung lässt mich immer wieder hilflos stehen, weil sich Menschen mit dieser Begründung von mir entfernen. Mich allein lassen, weil sie sich unfähig fühlen.
Sie haben ein moralisch schlechtes Gewissen, weil sie jemanden nicht gerettet haben oder ihm nichts anbieten konnten.
Ich bleibe zurück und übe mich darin Verständnis dafür zu haben, weil man das ja auch haben muss.
Man kann ja nicht erwarten, dass alle alles verstehen.
Tja, ich bin so ein dummes Schaf.
Ich möchte das erwarten dürfen und – deluxe Schäfchen (ich glitzere manchmal) – manchmal auch erfüllt bekommen.
Vielleicht will ich sagen: Hier sind über 750 Artikel, die erklären, warum Ansagen wie “Vergangenes kann man nicht ändern- komm drüber weg” – “sei zufrieden mit dem, was du hast” – “wieso bist du denn so wütend?” – “man muss verzeihen” – “man muss auch mal Kompromisse machen” – “man muss sich auch mal anpassen” in meinem Fall oft unangemessen sind und mir etwas abverlangen, was ich dem Gegenüber in solchen Situationen und auch sonst nie abverlangen kann.
Vielleicht will ich sagen: ich bin müde vom Verstehen im Unverstandensein.
Ganz sicher will ich viele Dinge mehr sagen, die ich hier nicht schreiben kann, weil ich euch Leser_Innen in der Masse gar nicht kenne. Es wäre unfair wenn ich meine Verletzung über ausbleibenden (finanziellen) Support oder tiefergehende Diskussionen hier so austrage, wie ich es heute jetzt gerade in all meiner bitteren Erschöpfung nach diesem ultraturbulenten Jahr gerne tun würde. Es wäre unfair, und ich weiß das.
Weil ich es verstehe.
Ich verstehe aber auch, dass ich gerade immer mehr und immer breiter verstehe, warum ich so eine armselige kleine Existenz bin, die auf ein Morgen schaut, das von Abhängigkeiten, Nöten, Kämpfen und einer ewig schwelenden Unrache geprägt sein wird. Ich sehe mich inmitten einer Gesellschaft, die sich über jemanden wie Edathy empört und vergisst, dass Kinder, deren Gewalterfahrungen gefilmt wurden, zu Erwachsenen werden können, die zu einer Person werden kann, mit der man jeden Tag zu tun hat.
Ich sehe mich inmitten von Menschen, die sich für Opfer und zu Opfer geworden Menschen stark machen und übersehen, wie oft sie selbst Gewalt ausüben und mittragen. Ich erlebe mich inmitten von Not vor der Not anderer Menschen überall auf der Welt und habe das Gefühl, die Welt hat vergessen, dass sie aus handlungs- und veränderungsfähigen Menschen besteht.
Von Menschen, die von mir hören müssen, dass das, was sie tun können um mich zu trösten oder mich zu stärken, wenn sie es möchten, manchmal einfach schon ist mit und bei mir zu sein, sich mir sicht- und spürbar zu machen – von denen kann ich nichts erwarten. Für die muss ich da sein.
So fühlt es sich an.
Und das macht müde.
Ich werde für keine Email mit Antworten auf Fragen nach einem bekannten freien Therapieplatz, einer Suchmaschine für Traumatherapie, für Erfahrungen mit Medikamenten, mit Fragen in Bezug auf Traumatherapiemethoden, mit Fragen, was sich im Ausstieg und bei der Re-Orientierung bewährt hat und all die ganzen großen und kleinen Nöte, die von mir kommentiert werden möchten und und und bezahlt. Ich habe nie gelernt, wie man Menschen in großer Not gut berät. Ich habe keine Supervision in dem, was ich tue. Ich habe keinerlei Anbindung an Vereine oder Opferschutzeinrichtungen, die mir in irgendeiner Form bei dem Ding, zu dem das Blog von Vielen geworden ist, eine Unterstützung bieten kann.
Alles, was hier passiert, ruht auf den Schultern einer einzelnen Person, die weder Einkommen noch Auskommen hat.
Unsere Texte sind und waren immer unsere Möglichkeit uns zu erklären. Es geht darum, dass wir verstanden werden.
Es geht hier nicht um Angehörigen- oder Verbündetenflausch.
Ich entschuldige nicht mehr mit „Aber Hilflosigkeit !!1!!11!“.
Es geht hier nicht um Öffentlichkeitsarbeit zum Thema DIS.
Ich schreibe in die Öffentlichkeit, was ich erlebe, nachdem ich Gewalt erlebt habe.
Und das und der Umstand am Leben zu bleiben, um das tun zu können, ist meine Arbeit, die zu honorieren dieser Gesellschaft bis heute nicht gelingt.
Wofür ich Verständnis haben soll.
Vielleicht habe ich das wieder morgen oder übermorgen oder nächste Woche.
Aber im Moment, wo ich meine Erschöpfung, meine Bitterkeit, meine Hautlosigkeit so sehr spüre, habe ich es nicht und weiß, dass dafür Verständnis einzufordern, keine falsche Erwartungshaltung von mir an andere Menschen ist.
Auch dann, wenn es eine übliche Phase der Therapie ist.
ein Rant über die Sinnsuche im Trauma
Und was hatte dein grauenhaftes Erlebnis für einen Sinn?
Erzähl doch mal.
Ob es Samuel Koch in “Wetten dass…?”, Natascha Kampusch bei Günther Jauch oder “Name von der Redaktion geändert” in einer anderen Bespaßungslücke der Medienlandschaft ist, jedes Mal gibt es dieses Moment, das sich wie eine Blase mit der Frage “Und?” und all den erwartungsvollen Blicken ausnimmt. Dieses “Du bist etwas besonderes, weil dir etwas Besonderes passiert ist”- Moment, das sich in einer “weil mir das in meiner Lebensrealität noch nie passiert ist, ist es etwas Besonderes” – Norm ausdehnt und in einem Schwall rühriger Musik mit Nahaufnahmen feuchter Augen und verschämten Naseputzens platzt.
Ich bin inzwischen an einem Punkt mit meiner (Er-)Lebensrealität, an dem ich für mich verstehe, dass das Krasseste an einem (traumatischen) Ereignis ist, dass sich die Welt weiter dreht und der Lauf der Dinge sich nicht verändert hat, obwohl er völlig neu wahrgenommen wird.
Gewalt, Unfälle, die Auswirkungen der Natur auf uns Menschen haben keinen Sinn.
Sie haben eine Logik, eine Mechanik, die zu verstehen immer wieder versucht werden kann, doch die in sich unbezwingbar ist.
Selbst wenn man verstanden hat, warum Ereignis A auf 30 verschiedene Personen 30 verschiedene Auswirkungen hat, ist Ereignis A immer noch passiert.
Selbst wenn man verstanden hat, warum Ereignis B geschehen ist, ist Ereignis B geschehen.
Ich habe eine Zeit gehabt, in der ich dachte, dass ich an der Gewalt, die mir passiert ist, so kaputt gegangen bin, hätte den Vorteil, von nichts mehr gleichartig kaputt gemacht werden zu können. Außerdem dachte ich, dass es doch ganz gut für mich sein kann, dass ich nun als 28 Jährige viele Dinge, Umstände und Abläufe neu erfasse, mit denen sich andere Menschen völlig selbstverständlich seit ihrer Kindheit umgeben.
Und irgendwann spürte ich, dass ich mit der Suche nach dem Sinn der Gewalt an mir, mit der Suche nach dem Guten in dem, was mir passierte, vor allem eins versuchte: das Auftragen eines Trostpflasters auf einen Schmerz, der so umfassend tiefgreifend und verschlingend ist, dass er schlicht nie “gut”, nie “weg” sein _kann_
Mir wurde nie gewährt so untröstlich zu sein, wie ich nun einmal bin, weil diese Welt, unsere Gesellschaft, vielleicht auch unsere menschliche Natur – was wissen wir denn schon darüber? – auf Lerneffekte ausgelegt ist.
In unserem Sein ist noch viel zu wenig Platz dafür so umfassende Zerstörungen und Schmerzen an uns ohne Beeinträchtigungen oder konkrete Veränderungen zu überleben.
Menschen, wie Tiere, wie Pflanzen, wie unser Klima, reagieren mit Veränderungen.
Wir haben immer etwas von etwas.
Aber wir Menschen, wir müssen auch noch eine Wertung haben. Wir weißwestlichen Menschen müssen sogar noch eine Wertung haben, die mit Vorteilen einhergeht.
Uns dürfen Dinge nicht einfach so passieren.
Die Dinge dürfen nie so sein, wie sie sind, weil es ja IMMER etwas zu verändern gibt. All das Potenzial, all die Kraft, all die weltenbeherrschende MACHT.
Wir leben ohne Demut vor dem Lauf der Dinge und der Ohnmacht, die er mit sich bringt. Deshalb stellen wir Personen, denen dann doch einfach so etwas passierte, weil es eben passierte, die Frage nach dem Sinn und helfen ihnen bei der Sinnsuche im Trauma, statt ihnen zu sagen, dass ihr Schmerz, ihre ganze universelle und nicht in dieser Welt verankerte Untröstlichkeit, im Hier und Jetzt einen Platz haben darf; dass all der furchtbar tiefe Schmerz mitgetragen werden kann.
Auch dann, wenn es darum geht anzunehmen, dass man sehr wohl immer wieder die eigene Zerstörung spüren kann oder darum, dass eine Kindheit und Jugend wirklich nachzuholen, nicht möglich ist.
shades of Inklusion 3
Viele Personen, die benachteiligt werden, wissen nichts von ihrer Benachteiligung, weil sie benachteiligt sind.
Viele Personen, die diskriminiert werden, können ihre Rechte nicht einklagen, weil sie diskriminiert sind.
Viele Personen wissen nicht, dass sie mit etwas leben, das andere Menschen “Behinderung” nennen.
Ich lebe mit einer komplexen Traumafolgestörung, die als “dissoziative Identitätsstörung” bezeichnet wird.
Meine Diagnose macht mit diesem Begriff einen Schirm auf, unter dem alles, was als nicht regelrecht in der Selbst- und Umweltwahrnehmung, sowie der (Stress-) Verarbeitungsmechanismen, gegenüber einem “objektiven” Querschnitt von Menschen, gilt.
Die Art, wie ich wahrnehme, kompensiere und re-agiere wird also in Abgrenzung zu Personen bewortet, die nicht mit einer DIS leben (aber vielleicht mit Wahrnehmungsweisen, die ein anderer Schirm erfassen würde). Das heißt, ohne die Menschen, die nicht mit einer DIS leben, gäbe es keinen Diagnoseschirm, der meine Wahrnehmung und Reizverarbeitung benennen würde.
Willkommen in der Welt der Pathologie.
Mir wurde eine sogenannte “seelische Behinderung” anerkannt, die heute in zwei große Hauptgruppen aufgeteilt ist
– DAMIT geboren
– DAZU gemacht
Als angeboren gelten Wahrnehmungsweisen, die zum Beispiel mit “Autismus” oder dem “Asperger Syndrom” benannt werden.
Als erworben (oder, wenn man weniger opferfeindlich sprechen möchte: entwickelt) gelten zum Beispiel Belastungscluster wie das sogenannte “Burn out”- Syndrom und Traumafolgestörungen.
Für mich ist natürlich diese Gruppe sehr relevant, weil sie für mich auf vielen Ebenen auch Machtaspekte bzw. Gewalt (als Macht) offen legt, die in der Inklusionsdebatte, meiner Ansicht nach, noch nicht breit markiert wurden, was wiederum damit zu tun haben könnte, dass man einerseits kleinschrittig vorgehen muss, um Veränderungen anzustoßen – andererseits aber immer wieder gerne systemimmanente Schritte lieber gemacht werden, als das System neu zu betrachten und eventuell zu verändern.
Systemische Veränderungen sind immer mächtig und kompliziert, weil es mächtig kompliziert ist innerhalb eines Systems eben jenes zu verändern.
Mir wird das an meinem Beispiel sehr deutlich.
Grundsätzlich ist es so, dass Personen, die seit mehr als 6 Monaten in Behandlung mit der gleichen Erkrankung sind, als behinderte Personen anerkennbar sind.
Das heißt, dass rein theoretisch alle Personen, die in einer Langzeitpsychotherapie sind, vor dem Gesetz als behinderte Personen gelten könnten, die im nächsten Strang als zu inkludierende Personen gelten.
Nachdem sie exkludiert wurden, indem sie eine Diagnose erhielten und mehr als 6 Monate lang (auch) genormt bzw. in Abgrenzung an die Norm™, von einer (auch) Autoritätsperson behandelt werden.
Ich gehe nicht zur Psychotherapie, weil ich “normal” werden will, sondern, weil ich mich und meine Re-Aktionen und Wahrnehmungsweisen, verstehen möchte. In meinem Fall führt dieser Weg darüber, meine erfahrenen Traumata zu verstehen, indem ich mich mit meiner Therapeutin als Begleitern an meiner Seite damit auseinandersetze und so verarbeite.
Für mich ist es so, dass ich inzwischen weiß, dass ich früher auch zum Opfer von Gewalt wurde, weil ich als Kind von der Gesellschaft exkludiert war. Das nennt man Adultismus. Ich war abhängig von den Personen, die mich rechtlich diskriminiert haben, weil mir als Kind keine eigenständigen Entscheidungsdurchsetzungen über mein Wohl und Wehe, erlaubt sind. Kinder können möchten und wollen, was auch immer sie wollen – am Ende sind es aber immer volljährige/mündige/erwachsene Personen, die diese Wünsche ermöglichen oder eben auch verwehren.
Natürlich halten wir als jetzt erwachsene Personen, diese Herangehens- und Umgangsweise mit Kindern für völlig in Ordnung und halten es für etwas, das mit Rücksicht auf die psychophysische und auch soziale Un-Reife zu tun hat und damit, dass wir als Erwachsene das ausgleichen müssen und deshalb diese Entscheidungen treffen müssen. Meistens ist das auch so und sehr oft, klappt das.
Aber die Abhängigkeit des Kindes davon, dass die Personen, die allein durch ihr Alter und ihre psychophysische Reife bemächtigt sind (und natürlich auch ihres Status als Familie(nmitglied) oder Erziehungsberechtigte_r), gut und nährend mit ihm umgehen, bleibt bestehen.
Ich wurde zum Opfer von Gewalt, weil andere Personen Gewalt an mir ausüben konnten, wollten, mussten, sollten.
Mein Recht auf eine Erziehung ohne Gewalt wurde verletzt, mein Recht auf Unversehrtheit, Selbstbestimmung, Hilfe und Behandlung gemäß meiner Bedarfe ebenfalls.
So wird aus der sogenannten Traumafolgestörung, die aus meiner Sicht weniger eine Störung als eine übliche Reaktion der Anpassung an die Verhältnisse meiner ersten 21 Lebensjahre ist, auch eine Diskriminierungsfolge bzw. eine Folge der Konsequenzen, die sich aus meiner Entrechtung bzw. der Nichtgewährung meiner Rechte, ergeben haben.
Ich wurde behindert gemacht und zwar auch von dem System, das definiert, wer was wann warum erhält oder nicht, was wiederum genau das System ist, das jetzt bemüht wird, um die Inklusion von auch Personen wie mir zu ermöglichen.
Und wenn ich nicht mitmache bin ich selber schuld. Integrationsunwillig. Inklusionsuntauglich.
Sobald die Norm (die übrigens bis heute für mich keine so klare Beschirmung und Definition hat, wie die Unnorm) abgelehnt oder in ihrer Zielposition hinterfragt wird, wird es schwierig mit der Inklusion.
Weil die Norm _ist_ und eben nicht gemacht wird, wie ich zu einer Unnormalen gemacht wurde und werde und _bin_.
Die Norm wird immer und in allem, was unser System stützt, ganz automatisch mitgedacht und ist ein fester Gradmesser. Alles andere nicht.
– geht noch weiter –
und dann, aber … und …
In 3 Tagen, da halte ich einen Vortrag und in 4 Tagen, da hab ich Therapie.
In einer Stunde spreche ich mit neuen Menschen über die Anforderungen an Hundesitter_Innen, die NakNak* mitbringt, weil sich plötzlich doch eine Möglichkeit ergibt, dass wir zum Inklusionskongress fahren können.
Kurz nach der Fahrt in 6 Tagen zu den Menschen und dem Konzert in Berlin, auf das ich mich schon so lange freue. Und mein Innenleben in weiten Teilen auch.
Ich bin so froh, dass ich mich nicht so viel ertragen muss und gleichzeitig merke ich, dass ich auf Felgen fahre.
Mit Vollgas einen Berg runter.
Aber…
Vor einem Jahr, da hätte ich mir so ein Programm gewünscht.
Und jetzt bin ich in Trauer, bin ich im Umbruch, reiße ich an mir herum und habe einen Tagesablauf, der einen unaufhörlichen Schaffensstrom darstellt und nur von Hunderunden, Twitter- und Candy Crushpausen unterbrochen wird.
Und von Schlaf. Wenn ich denn schlafe.
Manchmal schreibe ich auch Briefe und Emails, die ich dann doch nie wegschicke, weil sie mir falsch und übergriffig oder jammernd und über-fordernd klingen.
Viel hat sich in den 3 Tagen Lübeck hochgedrückt und bahnt sich seinen kantigen Rundweg am Tagesdenken entlang.
Ich habe gerade meine Vortragsvorbereitung unterbrochen, weil mein Kopfinneres nicht damit aufhört, mir von schräg hinten links nach vorne reinzurufen: “Mach’s nicht so übernormal – erheb’s nicht so – es sind übliche Muster – denk an S. und H. “
und dann denke ich an S. und H. und erinnere mich an die Angst, die sich inzwischen aufgebaut hat, sie irgendwann nochmal zu sehen. Trauer und Angst – ich bin doch echt gestört.
Und dann denke ich an die Angst, die ich vor dem Wieder-sehen anderer Menschen habe.
Nächstes Jahr im Februar. Oder wann anders.
Und dann muss ich aufhören irgendwas vorzubereiten, weil ich steif geworfen bin und meine Hand die zwölfte Seite “mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm” angefangen hat, ohne dass ich es merkte.
Morgen, da treffe ich unsere neue gesetzliche Betreuerin.
Hurra hurra – Mai Juni Juli August September Oktober November. Just for the record.
Nein, ich hab’s nicht auch toll alleine hingekriegt.
Ich will meine “Akte” und meine Ordner mitnehmen und weiß nicht einmal, ob ich das tragen kann. Und ganz eigentlich habe ich schon längst vergessen, was ich eigentlich brauche. Oder verdrängt oder verdisst. Oder ach, vergessen, es nicht zu vergessen und dann doch vergessen. Wie das so ist.
Zum Glück bin ich ja nicht ganz dicht und irgendwo liegt eine Liste herum. Selbst wenn meine Welt kokelt und flammt, tropfen noch regelmäßig Listen aus mir raus.
Morgen Abend da hören wir eine Lesung und vielleicht gibt’s Kuchen.
Jetzt gleich gibt’s auch Kuchen. Hoffentlich. Immerhin ist der Treffpunkt für das Hundesitter_Innencasting ein Café und es ist Sonntag und 15 Uhr ist Kaffee- und Kuchenzeit.
Kartoffelkultur galore.
Und jetzt ich denke an Chanukka.
Das ist ja auch bald.
Ein bisschen mehr Licht.
Ich glaub, das fänd ich sehr schön.
Sonntag im Bett
Ich hatte gedacht, ich würde einen Tag brauchen, um meine Akkus aufzuladen, mich zu sammeln, auszuschlafen, mich zu fokussieren.
Jetzt weiß ich, dass ich ihn brauche und mir nicht selbst machen kann.
Ich habe einen Podcast gehört und gezeichnet. Mir fällt nicht mehr ein, worum es ging.
Ein Umschlag liegt im Regal. Der Name meiner Therapeutin steht drauf.
Heißes Zeug also. Pfoten weg, Nase raus.
Das verschwindet schon von allein.
Mein Herz klopft bis an den hinteren Teil meines Gaumens und nichts ist okay.
Ich merke, dass sich in mir irgendetwas anstrengt mir den Rücken freizuhalten, mich zu halten. Ich fühle diese Anstrengung als Schweißtröpfchen auf meiner Oberlippe.
Ich habe mal eben ein Comixxeblog gemacht und weiß nicht mal wieso.
Im Ofen bäckt Essen. Mir ist schlecht und schwindelig.
Am Freitag habe ich meinen Termin bei der Ärztin vergessen.
Vergessen, weil oder obwohl? ich nach der Therapie am Donnerstag auch noch das Gespräch zum Gutachten mit der Neurologin hatte.
Ich war so müde und zerrieben zwischen dem Therapiefieber, den Bilderresten, die mir im Kopf waberten und dem Austarieren, wie die Neurologogin zu uns steht. Zu uns und diesem Behindertending. Ich war da und sah den Wutmutigen beim Schnellreden und so- tun- als- wäre- alles- gut- tun, zu.
Es macht mich kaputt dieses: “Ja, ich weiß, dass du meine Behinderung nicht sehen kannst- kannst du bitte trotzdem die Behinderungen, an denen ich mich gerade abarbeite, sehen?”.
Und es macht mich nicht kaputt, weil manche Menschen wirklich einfach keinen Blick dafür haben oder ignorant sind, sondern, weil ich mir meine Schwäche, meine Müdigkeit, meine- diese- innere Anstrengungen noch immer nicht zugestehen kann, wenn mir niemand von außen bestätigt, dass sie da sind.
Ich weiß, dass ich das nicht brauche.
Ich weiß, dass mir die ganze Welt egal sein kann, wie sie mir wichtig ist.
Aber.
Mut
Eine interessante Blogparade hat Johannes auf seinem Blog ins Leben gerufen und mich heute beschäftigt.
Er schreibt: “In dieser Parade soll es um das Mutmachen gehen. Wie sprecht ihr euch selbst Mut zu, wie ermutigt ihr andere? Was sind Erlebnisse, in denen ihr euch ein Herz gefasst habt und eigene Grenzen überwunden oder anderen bei der Überwindung ihrer Grenzen geholfen habt? Wie weit seid ihr dabei gegangen und wie ist es euch damit ergangen?”
Für mich ist diese Blogparade interessant, weil die Rezeption so vielfältig ist.
Für manche Menschen geht es um Mut als Antrieb zu aktivem Handeln. Angst und Vermeidung wird als Gegenteil von Mut aufgefasst und positive Wirkungen unterstrichen.
In meinem Leben spielt Mut in etwa die Rolle des heiligen Grals.
Mut ist ist etwas, das man sich leisten können muss. Um mutig zu sein braucht es Sicherheiten in Bezug auf sich, auf G’tt, auf den Lauf der Dinge… auf “das schon alles gut werden wird und wenn nicht- dass man es dann eben anders schaffen wird”.
Ich finde es spannend, wie viele Situationen wir in unserem Leben, manchmal auch erst im Nachhinein, als Mut abverlangend oder uns in ihnen mutig agierend betrachten.
Wie wir, als wir merkten, dass wir nicht sterben würden, trotzdem nicht wieder zur Familie* zurück gingen.
Wie wir uns jeden Tag neu Menschen nähern und und mit ihnen umgeben, obwohl es gerade Menschen sind, die uns am meisten verletzten und bis heute verängstigen mit allem, was sie tun.
Wie wir uns jeden Tag wenigstens einen kleinen Krümel Leben auf den Teller legen und ihn uns einverleiben.
Ich kann mir dafür keinen Mut zusprechen, nur Sicherheiten vermitteln.
Mein Trick ist, auf eine bestimmte Art zu atmen, in Licht zu verschwinden und im Dasein herumzutreiben, etwa, wenn ich bete, mich in Musik hineinlege oder auf ihr tanze; mit Farben und Formen verschwimme, dem Atem von NakNak* folge.
Immer wenn ich spüre, dass ich lebe, werde ich mutig mich dem Leben zu widmen.
Grenzen zu überwinden spielt in meiner Lebensrealität keine Rolle, weil ich sie brauche. Ich habe mehr Interesse daran für mich auszutarieren, wo die Grenzen meiner Fähigkeiten liegen und wie sie sich anfühlen, als sie aus Gründen, die nicht in mir selbst liegen, immer weiter und weiter auszureizen.
Jeden Tag aufs Neue, erlebe ich, wie viel mehr Mut mir meine innere Haltung mich nicht von anderen Menschen durch Erwartungsdruck, Ansprüche, Ignoranz und Missachtung in meinen Grenzen berühren zu lassen, abverlangt, als dem nachzukommen und meine Grenzen aufweichen zu lassen.
Im Kontakt mit Menschen, die hier und da Mut zugesprochen brauchen, finde ich es wichtig, ihnen zu sagen, dass Mut etwas ist, das man vorher immer anders nennt.
Durchgeknallt, irre, völlig verrückt, abgedreht, von allen guten Geistern verlassen, nicht ganz bei Trost, ohne Tasse im Schrank, hamsterlich jodelnd, nicht ganz dicht… zum Beispiel und, dass Mut manchmal auch nur von sich selbst belohnt wird.
Die mutigste Tat in meinem Leben war und ist, nicht still zu bleiben.
Es kostet mich unfassbar viel Kraft, Worte für das zu finden und zu verwenden und an die Menschen zu richten, was ich früher wie heute an mir und der Welt wahrnehme.
Ich könnte diesen Weg bis an meine Grenzen der Leistungsfähigkeiten nicht gehen, wenn es ihn nicht gäbe
den Mut der Verzweifelten.
Ich verändere damit nicht die Welt; beende ganz sicher nicht endlose Debatten und Ängste kann ich damit auch nicht zerstreuen, aber ich kann ein Beispiel sein, das anderen Menschen vielleicht manchmal das eine klitzekleine bisschen Selbst- Sicherheit gibt, die sie brauchen, um ihren Mut in sich zu fühlen und ins eigene Fühlen, Denken und Handeln zu kommen.
Ich kann Menschen den Mut spüren lassen, der manchmal kommt, sobald man spürt, das man nicht alleine ist.
Lebenstag leben, 2014
Dass ich den Tag irgendwie schaffen muss, war der erste feste Gedanke in meinem Kopf.
Meine Beine, die sich in meinen Hüftgelenken verkeilt hatten und dort Knochen auf Knochen auf Nerv auf Mitteninmirdrin schmirgelten und jeden Schritt zur Qual machten.
Diese Haut, so dünn wie Seidenpapier, um mich herum und aufgeweicht von den Tränen, die an den Innenseiten entlang laufen. Ohne benennbaren, eingrenzbaren Grund, denn hey- Lebenstag! Happy Selbstbestimmung, Befreiungspower- yeay I’m alive…
Der Tag begann mit Alpträumen und panischer Hetzjagd. Immer der Realität, voll mit Sicherheit, Gemögten und Verbündeten; Hoffnungen und Träumen nach, über bodenloses Erinnern, Erschrecken, und dieser Bitterkeit, die sich in jeder Falte des Innen auszubreiten beginnt, hinweg.
Nein, keine Schonhaltung einnehmen. Aktiv bleiben.
Orientierung ist ein aktiver Prozess. Links Rechts- im Gleichschritt Marsch gen Aktivität und Kreativität!
Aktivität und Wünsche leben, das wird helfen.
Antidissoziation ist ein aktiver Prozess.
Ich malte mir die Beine ab.
Ließ sie ihn hinter sich herschleifen. Aus dem Haus heraus.
Aktivität und Kreativität.
Frau Rosenblatt macht Kunst, erinnert, gedenkt, würdigt und spürt: die Vorstellung, dass ein Junge, der sich mehr tot als lebendig fühlt, ihre endlich abgerissenen Beine hinter sich her aus einer Zeit herausschleift…
hilft
Sie legt ihre abgetrennten Gliedmaßen und all den Schmerz dazwischen hinein und kann so endlich vorwärts laufen.
Das Bild war fertig, die Luft noch immer warm und dicht.
Doch der Regen wich diesigem Sonnendunst.
Aktivität und Kreativität!
NakNak* und Fotos.
Das erste Mal gelang ein Foto von einer Ameise.
Wind von vorn, der mir die Wangen
ein bisschen wie ein Trost
streichelt und belastende “Und was ist wenn…?”- Kreiselgedanken mit sich fortträgt.
Besuch, der mich so anstrahlt, dass es in mir immer heller wird.
Mich aufwärmt.
Anrührt, vermehrsamt in meiner eisigen Festung der Einsamkeit.
Mich in der Wärme schaukeln lässt, selbst als die Tür schon längst mit einem “Tschüss” verschlossen ist.
Wir hatten einen schönen Lebenstag.
Mit “Yeay” und “Ney”.
Und: mit Eulen <3
und macht das Teilhabegesetz, dass meine Behinderung sichtbar wird?
2017 soll es dann in Kraft treten: das Teilhabegesetz, welches Menschen mit Behinderungen zu ihrem Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kommen lassen soll.
Ich mache mir seit einiger Zeit Gedanken darüber, wie eigentlich abstoßend es ist, dass die Gesellschaft an deren Rand ich vor mich hinlebe, in unserer Zeit noch immer daran arbeiten muss, Menschen nicht auszuschließen.
Dass ich mir noch immer anhören muss, ich solle mich nicht selbst am Rand ebenjener Gesellschaft verorten.
Dass Menschen mit Hilfebedarf, Hilfe erhalten, aber letztlich auf einer anderen Achse in unter Umständen Hilfe bedürftiger Position gehalten werden.
Dass Menschen durch die menschenverachtende Praxis von Hilfegewährung zu schwerbehinderten Menschen gemacht werden- dieses aber in der Regel weder wissen, noch Fürsprache erhalten.
Ich lese Berichte über Teilhabe, Behinderungen und Inklusion und fühle mich ausgegrenzt, weil meine Art der Behinderung nie benannt, geschweige denn problematisiert wird.
Immer wieder gibt es diesen Umgang mit dem Thema der Inklusion, der seinen Fokus auf körperliche und/ oder geistige Defizite, die mittels spezieller Assistenz, bestimmter Raumumbauten und technischem Equipment “ausgeglichen” werden, hat.
Es wird über Inklusion gesprochen, doch agiert, als spräche man über Integration und erklärt so – auch ganz ohne Worte – wieso Menschen mit psychisch bedingten Behinderungen niemals in solchen Berichten auftauchen oder gar gehört werden, wenn es um Konzepte für Teilhabe und Zukunft für alle Menschen geht.
Ich komme mir mit meinen Unzulänglichkeiten so oft wie der Sondermüll unter “den Behinderten ™” vor, weil es für mich weder Seelenprothesen noch gesellschaftlich anerkannte Arbeitsumgebungen gibt.
In meinem Fall reicht es einfach nicht, das Klo zu vergrößern, Haltegriffe anzubringen oder den PC umzurüsten.
Um mir zu helfen braucht es, was der Begriff “Humanität” meint und genau das ist ein Problem.
Psychisch begründete Behinderungen werden immer wieder individualisiert und so auf einer Ebene betrachtet, die die Gesellschaft ™ von der Aufgabe das Grundrecht aller Menschen auf Hilfen und Gleichberechtigung zugänglich zu machen, enthebt.
Immer wieder begegne ich Sprüchen wie “Depression? Ja hatte ich auch mal- ich hab Urlaub gemacht und dann gings wieder. Depressionen haben ja alle irgendwann mal- hast du das gewusst- ist total normal so ne Depression” oder “Traumafolgestörung? Noch nie von gehört- aber ich kann mir vorstellen, dass dein Leben nach dem Trauma, nie wieder sein wird wie vorher. Da muss man sich durchbeißen und du schaffst das auch- du bist so ne starke Persönlichkeit!”.
Wenn ich solche Gespräche führe, blinkt in meinem Kopf ein Leuchtschild, dessen Schrift ich manchmal gerne durch meine Stirn hindurch leuchten lassen würde, einfach, weil ich zu beschäftigt bin, darüber nachzudenken, ob es sich nun lohnt diesen Menschen über seinen Ableismus und seine Ignoranz aufzuklären, um mein Missfallen laut zu äußern.
Ich erlebe es als großen Mangel, dass Menschen mit psychisch bedingten Beeinträchtigungen keine FürsprecherInnen haben, weil Individualismus und das dazugehörige Stigma noch immer so massiv um sich greift.
Für mich begänne gesellschaftliche Teilhabe an genau diesem Punkt: Teilhabe am öffentlichen Diskurs um Inklusion
Meine Kämpfe um Autonomie und Lebensqualität sind so eng mit der Gesellschaft ™ verbunden, dass eine Wortmeldung immer wieder mehr als symbolische Rampeneinweihung, Blindenschriftkurse für alle oder Werkstättenaufbaufinanzierungen zur Folge haben muss.
Oh weia.
Dann müsste neu über die Krankenkasse als Bürokratie um Menschenleben gedacht werden. Medizinische und auch therapeutische Ethik müsste ihre Themenfelder auf allgemeine Zugänglichkeit erweitern. Wir würden plötzlich über marktwirtschaftliche Barrieren sprechen, die sich allein aus bereits bestehenden Diskriminierungen entspannen und immer wieder neu entwickeln.
Wir würden tatsächlich darüber sprechen, dass Geld einen abstoßend menschenverachtenden Gradmesser in der Frage nach lebenswertem Leben darstellt.
Ja, wir müssten uns der Frage nach lebenswertem Leben stellen.
In der derzeit öffentlichen Debatte um Inklusion von Menschen mit Behinderungen gibt es diese Haltung von “Nein, nein- Menschen mit Down-Syndrom sind nicht wertlos- sie können noch arbeiten! Und schau mal hier: dieser Mensch im Rollstuhl kann ebenfalls noch super arbeiten, wenn man nur diese und jene Barriere wegnimmt!”
Es geht um (Weiter) Ver _ Wert_ ung, Leistung – diesen Traum von “Wenn du nur willst- wenn du dich nur anstrengst- wenn du nur arbeitest und irgendetwas aus dir machst- dann bist du jemand und deine Existenz hat einen Zweck. So wirst du zur Stütze unserer Gesellschaft und ergo völlig inkludiert.”.
Wie unsere Gesellschaft derzeit mit genau der Frage nach dem Wert des Lebens umgeht und welche Preise sie für die Nichtbeantwortung zu zahlen bereit ist, ist aktuell sowohl in der noch immer krassen Situation der Hebammen, wie in der letzten Planung des GBA in Bezug auf die Psychotherapierichtlinie zu erkennen.
Es geht darum das Minimum zu investieren und das Maximum herauszuholen. Wer dem nicht entsprechen kann, fällt raus und braucht ein Gesetz um noch – nun seien wir doch ehrlich- mindestens im rein kostenverursachendkonsumierendem Teil der Gesellschaft ™ existieren und dies als “Teilhabe” bezeichnen zu dürfen.
Meine gesellschaftliche Teilhabe begänne mit Sichtbarkeit, Entstigmatisierung, dem Ende der Pathologisierung, Schutz vor Gewalt, aller Hilfegewährleistung und der Anerkennung (und Wahrung) meiner Würde in Kontexten der Hilfen.
Das ist eine ziemlich lange Liste, die ich in weiten Teilen auch mit allen Menschen gleich bereits jetzt teile.
Das ist ziemlich peinlich für ein Land, das bereits 2007 die Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat und seit 2009 verpflichtet ist, ihr nachzukommen.