auch noch behindert oder was?!

Es gibt so Menschensätze, die haben Zähne mit Frisur. Die beißen und sehen von Weitem weich und wuschelig aus.
Harmlos. Ist doch nur so gesagt. Ist doch nur gefragt.

Mir sind beim Zukunftskongress einige davon eingefallen. Einer ist mir zurück in seine Umlaufbahn um mein Denken herum gerutscht und schwebt mir nach ein paar Monaten Ruhe erneut als Satellit um empfindliche Seelenstückchen: “Jetzt sind Opfer auch noch behindert oder was?!”.
Ich habe damals geantwortet: “Nein – nicht SO” und gäbe es die Möglichkeit für Zeitreisen, würde ich mich aus diesem Gespräch, dieser Runde, dieser sozialen Umgebung abholen, mir sagen: “Du brauchst, das “nicht SO” nicht sagen. Du musst dich vor diesen Personen nicht so öffnen, um auf Probleme zu zeigen. Hier lebt Stellvertreter_Innenkultur.”.
Pastme würde mich anmeckern und diese Menschen verteidigen, weil es in dem Moment noch denkt, es sei ja nur eine Frage. Ganz harmlos weich und wuschelig. Man wird ja wohl noch fragen dürfen.
Pastme wird erst im Zug nach Hause erinnern, das es böse ist und erst 8 Monate später begreifen, wie tief dieser Fragesatz seine Intension in es hineingebissen hat.

Ich habe über die Formulierung “seelische Behinderung” nachgedacht und erlebe sie im Moment treffender denn je.
Beim Kongress hatte ich sie verwendet und eine Person sagte mir, dass sie sie schwierig fände, weil die Seele für sie unveräußerbar sei.
Ich antwortete ihr, dass es die Seele ist, die sich irgendwie als erstes veräußert – ent-leibt, wenn man [(schwer ) versehrende] zwischenmenschliche Gewalt erfährt.
Wer sich wegmachen muss, weil er mit einem Schmerz, einer Angst, einer Umgebung und Abhängigkeit konfrontiert ist, die genau das zum Ziel hat – Zerstörung, Versehrung, das Abtrennen von Gut zu Böse – oben und unten – nun, der merkt, dass er seinen Körper nicht verschwinden machen kann. Aber sich selbst.

Man ist einfach nicht mehr da. Lässt alles los. Löscht sich aus Sinn und Unsinn, aus Wert und Zeit und versickert irgendwie im Irgendwo.
Manchmal macht man es ganz bewusst, wenn da ein Riese vor einem steht und jedes Wort aus seinem Mund zuflüstert, dass es besser ist, jetzt schnell nicht mehr zu sein und manchmal bleibt das Seelchen einfach stehen, während der Körper geworfen wird und keinen Boden mehr unter sich hat.

Und wenn es wieder zurück ist, dann ist vielleicht weder Erinnerung noch Wahrheit übrig. Dann ist da eine Indifferenz zwischen Körper und Seele, zwischen Heute und Gestern, zwischen Werden und Gewesen, die in jedem weiteren seelischen Entwickeln wie ein innerer Mariannengraben mit allen Spalten und Kluften am Rand wirkt.

Ich sehe einen Punkt in Gesprächen zu seelischer Behinderung und Opferschaft, der oft nicht bewortet ist, weil es das Vermeiden von Umdenken über Behinderungen allgemein gibt.
Auch die “Unerwünschtheit”/Uneinbringbarkeit anderer Blickwinkel auf die “lauten” Stimmen der Inklusionsdebatte spielen da mit hinein.

Wenn es nicht um Physis, Vermögen und Arbeit geht, gibt es keine Möglichkeit einer äußerlich sichtbaren Barrierenabschaffung. Keine veräußerbaren Dinge, die auf etwas hinweisen. Keine Hilfsmittel, die markieren, dass jemand etwas kompensiert oder überwindet.
Außer die Psychotherapie vielleicht.
Und über die darf man auch nicht wirklich neu denken, weil sie als Heilmittel gedacht und konstruiert ist – nicht als Krücke zur eigenen Entwicklung von Dingen, die den inneren Graben in sich aufschütten oder zusammennähen. Da rüttelt man ganz schnell an (auch patriarchalen) Strukturen, die “krank” und “behindert” am Rand einer Norm entlang definieren und Denkkonstruktionen wie “Objektivität”.

Man denkt Seele als krankbar, wie krank machend.
Als sprechend, aber nicht stimmhaft.
Alles und jede_r kann eine Seele in sich tragen, aber nicht alles und alle können sie zu Wort kommen lassen oder erleben sie so autark neben dem eigenen Willen und Wünschen, wie ich zum Beispiel meine Innens.

Ich erlebe meine Behinderung in der Interaktion mit einem (linearen/ein.s.fachen) Außen, das immer wieder (Gewalt)kompensierende Reaktionen in mir auslöst und mir diese Reaktion als “krank” und “unnormal” darstellt und ich sehe meine Behinderung darin, dass meine Seele eine Sprache hat, die oft nicht einmal von mir verstanden wird. Nicht darin, dass ich zum Opfer von Gewalt wurde und körperliche Folgen und seelische Mariannengräben habe – sowas kommt von sowas und geht oft auch ohne erlebte Behinderung(en) aus. Es gibt viele Menschen, die sich über dieses geeinzelte und einzelnde Außen ihre stabilen Brücken über die inneren Gräben erschaffen können.

Pastme hat mich heute morgen berührt und gefragt, ob der Menschensatz Angst vor einer Er.Kenntnis der mehrfachen Stigmatisierung von Menschen mit DIS nach [(schwer) versehrenden] Gewalterfahrungen hatte.
Ich habe meine Arme geöffnet und wortlos genickt.

shades of Inklusion 3

Viele Personen, die benachteiligt werden, wissen nichts von ihrer Benachteiligung, weil sie benachteiligt sind.
Viele Personen, die diskriminiert werden, können ihre Rechte nicht einklagen, weil sie diskriminiert sind.
Viele Personen wissen nicht, dass sie mit etwas leben, das andere Menschen “Behinderung” nennen.

Ich lebe mit einer komplexen Traumafolgestörung, die als “dissoziative Identitätsstörung” bezeichnet wird.
Meine Diagnose macht mit diesem Begriff einen Schirm auf, unter dem alles, was als nicht regelrecht in der Selbst- und Umweltwahrnehmung, sowie der (Stress-) Verarbeitungsmechanismen, gegenüber einem “objektiven” Querschnitt von Menschen, gilt.
Die Art, wie ich wahrnehme, kompensiere und re-agiere wird also in Abgrenzung zu Personen bewortet, die nicht mit einer DIS leben (aber vielleicht mit Wahrnehmungsweisen, die ein anderer Schirm erfassen würde). Das heißt, ohne die Menschen, die nicht mit einer DIS leben, gäbe es keinen Diagnoseschirm, der meine Wahrnehmung und Reizverarbeitung benennen würde.
Willkommen in der Welt der Pathologie.

Mir wurde eine sogenannte “seelische Behinderung” anerkannt, die heute in zwei große Hauptgruppen aufgeteilt ist
– DAMIT geboren
– DAZU gemacht

Als angeboren gelten Wahrnehmungsweisen, die zum Beispiel mit “Autismus” oder dem “Asperger Syndrom” benannt werden.
Als erworben (oder, wenn man weniger opferfeindlich sprechen möchte: entwickelt) gelten zum Beispiel Belastungscluster wie das sogenannte “Burn out”- Syndrom und Traumafolgestörungen.

Für mich ist natürlich diese Gruppe sehr relevant, weil sie für mich auf vielen Ebenen auch Machtaspekte bzw. Gewalt (als Macht) offen legt, die in der Inklusionsdebatte, meiner Ansicht nach, noch nicht breit markiert wurden, was wiederum damit zu tun haben könnte, dass man einerseits kleinschrittig vorgehen muss, um Veränderungen anzustoßen – andererseits aber immer wieder gerne systemimmanente Schritte lieber gemacht werden, als das System neu zu betrachten und eventuell zu verändern.
Systemische Veränderungen sind immer mächtig und kompliziert, weil es mächtig kompliziert ist innerhalb eines Systems eben jenes zu verändern.

Mir wird das an meinem Beispiel sehr deutlich.
Grundsätzlich ist es so, dass Personen, die seit mehr als 6 Monaten in Behandlung mit der gleichen Erkrankung sind, als behinderte Personen anerkennbar sind.
Das heißt, dass rein theoretisch alle Personen, die in einer Langzeitpsychotherapie sind, vor dem Gesetz als behinderte Personen gelten könnten, die im nächsten Strang als zu inkludierende Personen gelten.
Nachdem sie exkludiert wurden, indem sie eine Diagnose erhielten und mehr als 6 Monate lang (auch) genormt bzw. in Abgrenzung an die Norm™, von einer (auch) Autoritätsperson behandelt werden.

Ich gehe nicht zur Psychotherapie, weil ich “normal” werden will, sondern, weil ich mich und meine Re-Aktionen und Wahrnehmungsweisen, verstehen möchte. In meinem Fall führt dieser Weg darüber, meine erfahrenen Traumata zu verstehen, indem ich mich mit meiner Therapeutin als Begleitern an meiner Seite damit auseinandersetze und so verarbeite.

Für mich ist es so, dass ich inzwischen weiß, dass ich früher auch zum Opfer von Gewalt wurde, weil ich als Kind von der Gesellschaft exkludiert war. Das nennt man Adultismus. Ich war abhängig von den Personen, die mich rechtlich diskriminiert haben, weil mir als Kind keine eigenständigen Entscheidungsdurchsetzungen über mein Wohl und Wehe, erlaubt sind. Kinder können möchten und wollen, was auch immer sie wollen – am Ende sind es aber immer volljährige/mündige/erwachsene Personen, die diese Wünsche ermöglichen oder eben auch verwehren.
Natürlich halten wir als jetzt erwachsene Personen, diese Herangehens- und Umgangsweise mit Kindern für völlig in Ordnung und halten es für etwas, das mit Rücksicht auf die psychophysische und auch soziale Un-Reife zu tun hat und damit, dass wir als Erwachsene das ausgleichen müssen und deshalb diese Entscheidungen treffen müssen. Meistens ist das auch so und sehr oft, klappt das.
Aber die Abhängigkeit des Kindes davon, dass die Personen, die allein durch ihr Alter und ihre psychophysische Reife bemächtigt sind (und natürlich auch ihres Status als Familie(nmitglied) oder Erziehungsberechtigte_r), gut und nährend mit ihm umgehen, bleibt bestehen.

Ich wurde zum Opfer von Gewalt, weil andere Personen Gewalt an mir ausüben konnten, wollten, mussten, sollten.
Mein Recht auf eine Erziehung ohne Gewalt wurde verletzt, mein Recht auf Unversehrtheit, Selbstbestimmung, Hilfe und Behandlung gemäß meiner Bedarfe ebenfalls.
So wird aus der sogenannten Traumafolgestörung, die aus meiner Sicht weniger eine Störung als eine übliche Reaktion der Anpassung an die Verhältnisse meiner ersten 21 Lebensjahre ist, auch eine Diskriminierungsfolge bzw. eine Folge der Konsequenzen, die sich aus meiner Entrechtung bzw. der Nichtgewährung meiner Rechte, ergeben haben.

Ich wurde behindert gemacht und zwar auch von dem System, das definiert, wer was wann warum erhält oder nicht, was wiederum genau das System ist, das jetzt bemüht wird, um die Inklusion von auch Personen wie mir zu ermöglichen.

Und wenn ich nicht mitmache bin ich selber schuld. Integrationsunwillig. Inklusionsuntauglich.
Sobald die Norm (die übrigens bis heute für mich keine so klare Beschirmung und Definition hat, wie die Unnorm) abgelehnt oder in ihrer Zielposition hinterfragt wird, wird es schwierig mit der Inklusion.

Weil die Norm _ist_ und eben nicht gemacht wird, wie ich zu einer Unnormalen gemacht wurde und werde und _bin_.
Die Norm wird immer und in allem, was unser System stützt, ganz automatisch mitgedacht und ist ein fester Gradmesser. Alles andere nicht.

– geht noch weiter –