über etwas drübergelebt

Ich habe heute an „Superwomen, Möhrenwürfel und Heilung“ gedacht und daran, dass der Begriff des „Überlebens“ überbewertend besetzt ist.

Die Gewalt in unserer Geschichte, hätte uns tatsächlich töten können. Doch das war nie das Ziel und zum Glück hatten die Täter_innen auch nie soviel Angst vor Enttarnung und in der Folge, den Konsequenzen ihres Handelns, dass sie uns gezielt haben töten wollen.

In unserem Fall, war „überleben“ einfach nur schlichtes „weiterhin am Leben sein“. Vielleicht: „trotz Allem am Leben sein“.
Das ging einfach so weiter. Wir haben nie etwas dafür tun müssen oder gezielt (im Sinne von bewusst) tun können.
Wir haben die Gewalt erlebt und dann einfach weiter gelebt. Weiter metabolisiert und somit existiert.
Es ist nichts Besonderes zu überleben. Es ist einfach nur „weiterhin leben“.

Der Kampf ist das Innere. Das „sich erlauben, dies tun zu dürfen“. Das „immer wieder neu Schritt für Schritt vorwärts- Gehen“. Die Notwendigkeit darüber nachdenken und (neu) lernen zu müssen, wie die Qualität des eigenen Lebens sein soll.  Das ist das, was besonders ist, weil dies nicht für jeden Menschen von gleicher Bedeutung ist.

Alles andere ist einfach nur leben.
Weiter leben. Einfach so. Weil es eben geht. Weil es einfach so lebt.

Man kann für sein Überleben kämpfen, klar. Immer. Aber es ist ein Kampf, der nie ausschließlich von dem bestimmt wird, was man tut. Es ist Aktionismus, der manchmal die Chancen weiter zu leben erhöht oder einen dauerhaften Schutz davor generiert, in eine Situation zu kommen, die das Leben gefährdet, ja. Aber das Ende wird dadurch nicht kontrolliert. Ob man lebt oder nicht, liegt nicht in der Hand der Menschen, deren Leben von anderen Menschen oder Umständen gefährdet wird. Der Mensch hat ein Vetorecht. Und die Macht, sich so zu verhalten, dass sein Leben durch die eigene Hand beendet wird.

Aber letztlich… ist der Zustand zu leben, einfach nur der Zustand zu leben.
Über die Hürde- eine Gefahr- für selbiges hinweg gelebt zu haben, nennen wir überleben bzw. überlebt haben.

Es ist eine Zustandsbeschreibung.
Überlebt zu haben ist keine Auszeichnung für besondere Fähigkeiten.
Es ist nur eine Würdigung dessen, was dort so gefährdend war, das man über es drüber zu leben gezwungen war.

Das Überleben ist einfach immer nur das Leben was über ist.
Der Rest von vorher und das was dann kommt.

von Intelligenz, Bildung und Giftsuppe

„Glotz nich so dämlich!“
„Du bist dumm, wie Bohnenstroh und das kann man nicht mal essen!“
„Frag nich so bescheuert!“
„Was weißt du denn schon?!“
„Du hälst dich wohl für oberschlau!“

Sätze von Menschen die unser gesamtes Versorgungsuniversum dargestellt haben.

Jemandem zu vermitteln, er sei dumm und intellektuell fehlentwickelt geht ganz einfach. Man vermische soziale (und auch gerne strukturelle) Minderwertigkeit mit einem Biologismus und Voila! zeichnet man jemandem ein Selbstbild in den Kopf, dass eine Dummheit, eine Retardierung von Natur aus beinhaltet und genau deshalb keine ernstzunehmende Meinung oder allgemeiner: Aussage, aus ihm heraus kommen kann.

Ich weiß noch, was der erste Intelligenztest für Folgen hatte. Es war eine Zahl, die auch genannt wurde, doch ihre Wertigkeit war egal- wichtig war nur: „Habe ich bestanden? Darf ich noch in die gleiche Schule gehen oder muss ich jetzt in eine Sonderschule?“. Es wurde nicht weiter darüber gesprochen. Irgendwo im Innen versackte diese Episode, denn nichts hätte sich verändert, außer eben das Denken, dass man wohl bestanden haben muss, weil man ja auf seiner Schule bleiben durfte.
Der zweite wurde in einer Klinik gemacht. Huch- ja hm, nennt man „überdurchschnittlich“ . Okay… und das bedeutete nun was?
Nichts! Klinikschule wie bisher, nach der Entlassung auf die Hauptschule. Nicht mehr aufs Gymnasium. Versagerin mit dreistelligem Nummernschild.
Der dritte war ein Marathon. An den erinnere ich mich, weil ich ihn gemacht habe.
Gerade muss ich schmunzeln, weil ich noch weiß, wie dumm es mir erschien, meine Dummheit hier so in Mustern, Reihenfolgen, Zahlen und meiner Fähigkeit zur Übertragung ausgeschlossen sehen zu wollen. Der Psychologe fragte mich, wieso ich so unwillig sei („Oder willst du für immer hier bleiben? Du musst schon mitmachen!“) und ich wunderte mich darüber, wie unglaublich eng sein Kopf mit dem Brett davor verwachsen gewesen zu sein schien. Ich war voll bis oben hin mit Neuroleptika, Tranquilizern und Antidepressiva. Gegessen hatte ich noch nichts und es war 9 Uhr morgens (eine Zeit in der mein Gehirn noch schläft- ob nun chemisch niedergeknüppelt oder nicht) und dieser Mensch meinte ernsthaft, er würde in diesem meinen Zustand, einen realistischen Überblick über die Art Intelligenz erhalten, die er mit seinen Parametern erfassen kann?
Wir mussten uns beugen. Meine Wut darüber, dass jemand der so eine Kurzstreckendenkweise verfolgt, darüber bestimmen darf, wann ich frei gelassen werde, hatte mich angestachelt. Ich lief zur Hochform auf.
Am Ende wurde uns ein Zettel, auf dem „Hochbegabung“ draufstand, um den Hals gehängt.
Aus dem Nummernschild wurde ein Aushängeschild, das dann aber doch niemand genauer betrachtete. Die Diagnose der Schizophrenie hat manchmal diese Wirkung. Du kannst unglaubliches Potenzial haben- doch wenn entweder das was als Wahn bezeichnet wird, oder die chemische Keule das Gehirn dazu abschaltet, ist es nichts weiter, als eine Art Projektionsfläche des eigenen Ideals, über dem andere Menschen stehen und beweinen, was jemandem so durch die Lappen gehen kann.

Wie es kam, dass uns niemals eine wirkliche Förderung dieses Potenzials entgegen gebracht wurde?
Tja… Wir sind ja nun ziemlich gestört, nicht wahr?
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„Gestört“ war das neue „Dumm“.
Wozu einen hoffnungslosen Fall fördern?
In den verschiedenen Klinikschulen sagte man uns uns nicht, dass wir dumm seien. Eher im Gegenteil, doch akademische Förderung ist in diesem Setting schlicht nicht möglich, wie an einer Regel- oder Förderschule.

Mit 17 hatten wir bereits zwei Hauptschulabschlüsse. Zusammengestückelt in einer Gewerbeschule- irgendwo zwischen Tür und Angel aus Alltagstraining und Entlassung aus der Klinik in der wir bereits über ein Jahr wohnten.
Heute haben wir insgesamt vier Hauptschulabschlüsse und einen Realschulabschluss von einer Abendschule.
Wenn wir das Abendgymnasium schaffen, werden wir sagen können: Ich habe 6 Hauptschul(entsprechende)- und 2 Realschul(entsprechende)abschlüsse, 1 Fachabitur und 1 Vollabitur.
Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich darüber lachen oder weinen will. Erscheint mir doch weniger mein Hirnschmalz verschwendet, als jede Menge staatlicher Ressource.
Für die wiederum ich mich zu entschuldigen gezwungen fühle, weil ich noch immer nichts dafür getan habe, um diese Ressourcen in irgendeiner Form zurück zu erwirtschaften. Was aber dann eigentlich wiederum gar nichts mit mir selbst zu tun hat, sondern damit, das man in Deutschland einer gewissen Norm entsprechen muss, um leicht an Förderung oder Maßnahmen zur Integration zu kommen. Sie ist nicht verwehrt, wenn man dieser Norm nicht entspricht, doch es macht kaputt, wenn man beginnt, dafür zu kämpfen. Und das ist, so mein aktuelles Empfinden, gerade auch im Hinblick auf meine Verwahrung in der Rehaabteilung der Agentur für Arbeit, schlicht auch so gewollt.
Schwund ist immer. Menschen sind eine nachwachsende Ressource.

Letzten Freitag saß ich dann abends beim Netzfeministischen* Bier zusammen mit lauter Akademikerinnen.
Vielleicht ist das interessant: Hätte ich in einer Runde offen psychisch erkrankter Menschen gesessen, die alle einem Beruf oder einem Studium nachgehen, hätte ich mich im Bereich „zu gestört, um so schlaue Dinge zu tun, wie sie“- verortet. So saß ich auf dem alten „zu dumm, um jemals in ihre Sphären stoßen zu können“- Giftsuppentopf.
Wir saßen da, schauten den Rauchkringeln zu, hörten, verstanden, sprachen, wurden nicht ausgelacht.
Und dann haben sie Topf angestoßen. Einfach so.
Ich hatte gedacht, vielleicht sei es eine Art Vorwarnung vor eventuell komplett dummen Dooffragen, wenn ich zugebe, dass ich zeitweise knietief im Büchern stehe, um (feministische) Texte zu verstehen. Große Augen: „Was?! Echt jetzt?!“
Nachfragen. Anerkennung der Bemühung.
Kein Lachen.
Irgendwo da unter dem Stuhl, den ich besetzte, dunstet nun dicker Schwapp dieser Giftsuppe vor sich hin.

Ja, wir studieren, um politische, feministische, soziologische, naturwissenschaftliche Texte und Theorien überhaupt erst einmal zu verstehen. Wir studieren, ohne Student zu sein, ohne die Berechtigung zum Studium zu haben oder einen offiziellen Gasthörerstatus zu haben. Nicht weil wir müssen, sondern, weil wir wollen. Und auch, weil wir sonst verdursten würden. Verwissensdursten sozusagen.
Und auch, weil es nicht anders geht.
Man mag es niedrig einschätzen, wenn man im Elfenbeinturm (oder im Fachbereich seiner Uni sitzt) und vielleicht ist es auch nicht sonderlich wichtig, denn viel des Wissens ist meiner Meinung nach Theorie über Theorien, die nur erschaffen wurden, um Dinge zu beweisen oder zu erklären, die auch ohne all das passieren und stimmen und wahr sind. Ich betrachte die Universitäten immer eher als eine Art Dampfstampfpressdruckmaschine zur Wortproduktion von Zusammenhängen. Vorne rein- durch viele Wortsiebe und Aufsatzformen hindurch- und am Ende, kommt ein (meist englischer) Begriff heraus, der nur in der Maschinerie selbst verstanden werden kann. Und das, obwohl er wichtig für das Verstehen des Geschehens (oder auch der Natur und den Menschen) außerhalb selbiger sein kann.

„Du dumme Kuh- du weißt nicht, wovon du sprichst!“
Wissen ist Macht. Die Macht eine Meinung zu haben. Die Macht eine Meinung haben zu dürfen, weil man weiß, wovon man spricht.
Die Macht sich vor Mächtigen nicht still und klein halten zu müssen.
Die Macht eigenständig und frei zu sein, weil man keinen mehr über sich stehen hat.

Heute Nacht dann blinzelte mir ein Halbsatz mit Bezug auf mich ins Auge, gerichtet an viele Menschen: „eine kluge Frau“
Von jemandem der global um mich weiß. Sowohl von der Unbildung, als auch der Gestörtheit.

Und plötzlich waren es meine Wangen, auf denen die Giftsuppe zu verdunsten die Chance bekam.

Klug.
Trotzdem.
Trotz dem Ganzen.
Ich, in der Wertung eines anderen Menschen.

Darauf ein Lakritzbonbon.

nicht das Gleiche- nur bei allen Frauen gleich

Es ist nicht vergleichbar.
Nein überhaupt nicht.

Das hier nennt man medizinische Hilfe.
Nicht Gewalt.

Es schreit im Kopf.
Doch es ist nicht das Gleiche.

Es tut weh und es gibt keine Alternative.
Ohnmächtig fühlend und nicht in der Lage sich zu äussern oder zu flüchten.
Doch es ist nicht das Gleiche.

Man wird gedemütigt.
Doch es ist nicht das Gleiche.

Uns wird das Leben gerettet
und dabei, aus Versehen, die Seele erschüttert.

Das ist nicht das Gleiche, denn andere bestimmen, was gleich ist und was nicht.

Wir waren nur beim Arzt
nicht bei einem Vergewaltiger.

Es war nur Verhelfgewaltigung.
Nichts worüber man klagen sollte.

Das erleben ja jeden Tag viele Frauen.159177_web_R_K_by_Dieter Kreikemeier_pixelio.de
Das ist ja nichts Besonderes.

Was lässt du dir das auch bieten?
Geh doch woanders hin!
Wehr dich doch!
Es ist doch nicht das Gleiche!

Eine Art #Aufschrei
Immerhin

einen Tag später, nach 30km Flucht

der letzte Dreck

“Werte dich doch nicht immer so ab!”

Das mache ich doch gar nicht.
Schon mal drüber nachgedacht, was Dreck- der letzte Dreck eigentlich ist?

Wenn man seinen Hund abtrocknet und das weiße Handtuch ist braun, dann nennt man es dreckig- obwohl es nur ein nachwievor weißes Handtuch ist, welches die Sand-Wasseremulsion die der Hund im Fell trug, aufgenohmmen hat.
Das was man als dreckig machendes Element bezeichnet ist Sand und Wasser. Schlamm.
Man nennt es Dreck weil es gerade stört. Weil es in einer neuen Form irgendwo auftaucht, wo man es einfach nicht so gern hat.

Und deshalb bin ich auch gerade der letzte Dreck

Ich bin 125 Sandkörner und ungezählt viele Tränen.

Seelenschlamm sozusagen.

Und wenn wir uns wohin begeben wo wir nicht genehm sind, dann kann man uns einfach auch Dreck nennen.

Wenn ich vor dir stehe und schon überall war- und überall einfach nur ungenehm bin.

Wer bin ich dann- wenn nicht

der letzte Dreck?

 

Die Wertigkeit kommt ganz allein von dir!