Chancen

Es sind ganz junge Füße, die mich durch die kalte Dunkelheit zu dieser Musik- und Kunstschule tragen. Ich merke das an dem Schwung im Schritt. An der Musik in meinen Ohren. An diesem ganz zarten Glimmen unterm Sternum. An dieser Fragenschleife: “Und dann darf ich das lernen? Also so richtig lernen? Und dann darf ich da was machen? Und dann ist das richtig echt? Und dann…”. An den großen Augen, deren Iris mich fast verschlucken.

Wir bekommen über 80% Rabatt, weil wir von Grundsicherung leben. Der Kurs geht, wenn alles klappt, 12 Monate. Am Ende könnten wir eine Mappe haben. So eine Richtige. Nicht so eine peinliche: “Ach nett, Sie machen also kleine süße Zeichnungen in ihrer Freizeit.” – Mappe, wie wir sie jetzt haben.
Es ist eine Chance.
Wenn sie uns vom Jobcenter als solche anerkannt wird und davor bewahrt, Bewerbungstrainings oder andere Maßnahmen machen zu müssen. Denn arbeitsfähig in dem Sinne sind wir inzwischen wieder. Maximal 4 Stunden am Tag – davon 3 am Stück. Die 4 te geht für den Weg hin und zurück drauf.
Die 4 Stunden, die uns noch zur “normalen Arbeitsfähigkeit” fehlen, die brauchen wir dann zu Hause, um die vorangegangenen 20 Stunden zu be.greifen, in den Mund zu stecken und nochmal zu essen.

Ist halt so. Wir haben die 50% im Schwerbehindertenausweis nicht, weil das Foto von 2004 darin so schön ist.
2004 da hatte das Innen, das sich zwischen die Mütter und Klein.Kinder setzte, um im Schulgewusel anzukommen und die Lautstärke mit den Haarspitzen zu erfühlen, das letzte Mal über eine Zukunft als um des Begreifens Willen lernende Person nachgedacht.
Jetzt krabbeln ihm Kinder mit Kekskrümeln auf den Kullerbäuchen um die Füße herum und könnten aus ihm selbst gekommen sein.

Der Leiter des Kunstbereichs ist nicht sehr angetan von den Zeichnungen. Er mag so gern lieber abstrakte Kunst, dass er uns markiert, wann die Kurse für figürliches Zeichnen sind. Das Innen zittert. Drückt sich die Wunschäußerung raus, alle Kurse des Angebots einmal zu probieren. Er reagiert nicht. Springt auf ehemalige Schüler_Innen zu, die zu Besuch kommen.
Der Leiter der Fotografiekurse kommt an den Tisch. Auf dem Bildschirm ist unser Fotoblog zu sehen.
Das Kinderinnen, das die Fotos macht, schiebt sich zaghaft zwischen das junge Innen, mich, den Schatten der Anderen und das Heute, das plötzlich so viele Gesterns gleichzeitig ist.

“Die Motive sind mir zu lieblich, aber dein Auge ist gut. Die Aufteilung, die Gestaltung, die Farben. Sehr gut. Du hast das drauf. Oh hier die Langzeitbelichtung – sehr sehr schön …” Er scrollt und ich frage das Kinderinnen, ob ich ihn etwas fragen soll. Oder, ob es ihm etwas zu den Fotos sagen möchte. Ob es Fragen zu seinem Kurs hat. Ob es den probieren möchte. Ich frage das mit der Generalschlüsselfrage: “Ist er ein Mensch*?” alles gleichzeitig und mein kleines Herz nickt eifrig. “Hier – niemand macht sich die Mühe so nah an die Wasseroberfläche zu gehen, um so etwas zu fotografieren- das ist sehr gut”, sagt er und erzählt dann, das man sich Kameras ausleihen kann, um bestimmte Dinge zu probieren. Manches von dem, was unsere Kompaktautomatikknipse nicht kann.

Das kleine Herz zappelt unter meinen Federn umher und strampelt sich heraus. Steht mit offenem Mund hinter den Augen und fuchtelt mit den Armen. Meine Wörter legen sich um seine Bewegung und klumpen aus dem Uns heraus. Der Leiter des Fotokurses hört zu. Schaut auf die Fotos. In unser Gesicht. Lächelt seine Augen zu einer dicken Linie zwischen vielen kleinen.

Dann verabschieden wir uns von ihm und folgen dem Kunstleiter durch die Ateliers.
Unser Schritt ist eckig geworden.
Wir sehen junge Menschen. Teenager. Kunst, die uns gnadenlos die Inspiration ins Hirn pumpt und an etwas zerrt, dem immer – dem seit mehr als 13 Jahren ein “hätte” oder “wäre” oder “wenn” vorausgeht.

Ich erinnere, was eines der anderen Herzen in der Therapiestunde aus sich herausstachelte: “Wenn ich nur länger durchgehalten hätte. Wenn ich nicht krank geworden wäre.”, und einfach nicht weiß, dass es in dieser Welt des Heute damit sagt: “Wenn ich die Gewalt, den Schmerz, die Qual, die Not, die Folter, die Ausbeutung nur länger durchgehalten hätte. Wenn ich keine (psychiatrische) Hilfe bekommen hätte.”.
Ich weiß: Es hat auch Recht.
Auf eine dieser perversen Arten, wie sie nur das Leben hervorbringen kann, hat es recht. Wenn wir nur bis zum Abitur durchgehalten hätten. Wir hatten die Chance singen, tanzen, Kunst machen und vieles mehr zu lernen. Wir hätten so viel mehr lernen können als das Notwendigste für Überleben und Realschulabschluss.

Wir kennen diese “Eigentlich wollen wir ja keine Elite sein”- Gymnasiumattitüde, die dann doch Markenkleidung trägt und Privat- oder Kursunterricht, wie den, den wir hier gerade mit unserer Besichtigung stören, erhalten kann. Neben Schüler_Innennachhilfe und Taschengeld, um am Wochenende ins Kino zu gehen.
Wir haben nicht dort reinpassen können und mussten das auch nie.
Aber da war die Chance.
Und wir haben sie nicht genutzt.
Warum auch immer.
Egal wie nachvollziehbar die Entscheidung war, wegzugehen und einen anderen Weg zu wählen.
Die Chance blieb ungenutzt und sie wird nie wiederkommen.

Unser Rundgang endet in einem Raum, in dem die Kurse für figürliches Zeichnen stattfinden. Es gibt einen Leuchttisch und die roten Haare des Innens lecken ihre Hitze bereits wieder in alle Richtungen. Mit einem Leuchttisch, kann es Trickfilmbilder besser zeichnen.
Wir fühlen uns durch den Raum, in dem viele Teenager sitzen, miteinander reden und uns verstohlen anschauen.
Mein Blick fällt auf das Grafiktablett eines der jungen Menschen dort.

Das Teil kostet neu über 800€. Frau Rosenblatt sabbert das Gerät seit der ersten Version durch das Internet an und fühlt jedes Mal den Schmerz des Wissens, dass es mehr kostet als das, was sie zum Leben vom Staat erhält. Weil das ihr Leben in einem Monat kosten darf.
Und dann liegt es einfach da.
Achtlos neben Wassergläsern abgelegt und mit Aufklebern verziert.
Es kostet so viel wie 100 Monate Kunstkurs für eine Hartz 4 Behinderte mit Splitter-Ich.
Würde der Kurs soviel kosten, wie es der Staat für Bildungsausgaben unter Hartz 4 vorsieht: 533 Monate.

Es liegt dort rum und würde es aufstehen und uns sagen: “Siehste- das haste nu davon!” – es wäre nur logisch.

Im Flur vor dem Raum liegt eine braune Labradorhündin und schläft mit dem Gesicht zwischen den Pfoten.
Wir tauschen Floskeln mit dem Kunstleiter und torkeln mit unseren Eindrücken im Kopf in die Kälte hinein.

Ich denke an den Artikel zum 10 jährigen Bestehen der Hartz 4 Gesetze, den wir uns seit Wochen aus dem Herzen rausschreiben wollen und daran, dass so viele Menschen von unserer Armut erfahren und dennoch denken, es hätte für uns jemals ein
“vor Hartz 4” gegeben. Ein “vor der Armut”. Ein “bevor es alles schwierig wurde”. Oder zumindest so mit uns sprechen.
Vielleicht, weil es so normal ist, dass jede_r mal ein “Früher war alles besser” hatte.

Wir hatten das nicht.
Wir hatten nur Chancen.
Und die haben wir nicht genutzt.

Weil wir statt auf ein Über.Morgen hinzuleben, ein Heute erkämpfen mussten.

Wir haben kein greifbares “wenn es vorbei ist”. Keine realistische Vorstellung, wie das Morgen nach dem Überleben, nach der Armut, wie das Ende des Hoffens erreicht werden kann. Wir wissen nur: das Bedürfnis der Therapeutin, der Welt, den Augen, die auf uns drauf schauen zu sagen, dass es in unserem Leben eine strukturell produzierte und aufrecht gehaltene Todesangst gibt, die für andere Menschen einfach nur “Hartz 4” heißt – das wird morgen wieder überlebt sein.

Genau wie alle Gewalt, Schmerz, Qual, Not, Folter und Ausbeutung, die wir überlebt haben bis wir 21 Jahre alt waren.

 

 

auftauen

Da lieg ich im Bett mit den heißen Körnerkissenschuhen an den Füßen, der heißen Körnerkisseneule auf dem linken – die heiße Körnerkissenrobbe auf dem rechten – Knick zwischen Oberschenkel und Becken und veratme den Schrei in meinem Kopf zu einem wattigen Hintergrundrauschen.
Ich fühle mich stark und schwungvoll. Allgemein auf eine Art “an”.
Ich fühle meine Ränder im Moment sehr gut und ich habe fast Spaß an meinem Mut mit ihnen irgendwo entlang zu kratzen.

Es ist der Wind, die Winterkälte und vielleicht auch die Erinnerung daran, dass es total egal ist, was ich tue. Wie ich es tue. Ob es nun gut ist oder schlecht, ob und was andere über mich denken – völlig egal.
Ich merke, ich kann jederzeit sagen: “Ja, ich bin ja auch scheiße. Passt schon alles.” und fühle mich damit so frei von den Urteilen und Bewertungen anderer Menschen über mich. Dass ich scheiße bin, muss mir ja niemand mehr sagen. Weiß ich ja schon. Und wenn ich für andere nicht scheiße bin, dann ist es ja schön für diese Personen. Ist ja nicht meine Sache, wer was wie findet für sich. Es hat nichts mit mir zu tun.
Hach. Geil.

Ich drehe meinen Kopf zur Seite und lege meine Stirn an NakNak*s Schulter.
Die Schindeln am Hausdach klappern unter den Sturmböen.

Im Innern meiner Zehen knackt das Eis auf. Um meine Mitte herum steigt Dampf hoch.
“und jetzt taue ich auf” denke ich und vielleicht lächle ich genauso wie der Schneemann Paul in der Frühlingssonne.

Und dann sterbe ich in die Nacht hinein.

 

 

 

Essen, das komisch guckt

das komisch gucktIn den letzten Monaten waren wir häufig unterwegs und ich twitterte öfter mal von “Essen, das komisch guckt”. Darauf kamen die Fragen danach, was das denn bedeutet. Wie guckt denn Essen (für mich)? Ist es, weil es tierische Produkte enthält? Weil es wie ein Gesicht angeordnet ist?

Ich habe das noch nicht so ausformuliert bisher, deshalb ist das hier ein erster Versuch:

Also, Essen, das komisch guckt ist:

1) Essen, das kein Lebensmittel mehr ist

2) Lebensmittel/Essen, das nicht aussieht, als wäre es mit Händen oder wie ein Getränk aufnehmbar

3) Lebensmittel/Essen, die ich nicht aussprechen kann

4) Lebensmittel/Essen, die nicht geschrieben werden, wie sie heißen

5) sehr kunstvoll arrangiertes Essen/Lebensmittel

6) Lebensmittel/Essen, die erst ein Pulver sind

7) Lebensmittel/Essen, die ich nicht kenne

Also: irgendwie alles, außer Leitungswasser, Milch und Lebensmittel, die man roh essen kann.
(Und selbst das kann man mir komisch gucken machen, wenn man es mir als “raw food” oder als “vom Fuße des Himalaya in eine Flasche abgefüllt” vorsetzt)
Eingefangen habe ich mir diese Bezeichnung zusammen mit meiner Essstörung, die ich hier im Blog eher als Umgang mit bestimmten Leiden beschreibe, denn als die Störung, die sie für meinen Alltag oft (auch) bedeutet.
Während mein hungern, erbrechen, fressen – mit Absicht viel oder weniger werden – , immer in einem Kontext passiert, der nachvollziehbar ist, ist die Sicht auf Lebensmittel und Speisen bei uns eigentlich immer die gleiche und vielleicht ist sie die eigentliche Essstörung, für die wir einen Umgang lernen und üben müssen.

Ich habe mir in meine Wünsche für 2015 geschrieben, dass wir öfter Essen kochen, das uns gut tut, damit wir das auch endlich mal wenigstens versuchen.
Bisher klappt es ganz gut, würde aber nicht funktionieren, wenn wir nicht unsere Gemögte hätten, die uns übers Telefon ermutigt, wenn es mal wieder ganz furchtbar komisch guckt.

Das verursacht der Blick eben auch mit. Wenn es zu komisch guckend ist, kann ich es nicht essen. Da ist eine Sperre und aus Versehen habe ich dann auch mal eine ganze Weile keinen Magen oder einen mit Rückschleuderkatapult drin. Wenn andere Menschen noch da sind, gehts hingegen.
Mit anderen Menschen zusammen ist die Nahrungsaufnahme häufig mehr Normenperformance als alles andere. Während ich es mit anderen Menschen schaffe einen Bissen nach dem anderen zu nehmen, mich zu unterhalten und dabei nicht wie das Biest im Disneyfilm auszusehen, bleibt mir davon zu Hause und allein kaum etwas davon, fühlt sich aber echter im Sinne von „mehr wie ich wirklich bin“ an.
Ich verwende von meinem ganzen schönen Geschirr exakt immer die gleiche Schale (bis sie anfängt komisch zu gucken – dann nehme ich eine andere) und koche in aller Regel monatelang das Gleiche auf die immer gleiche Art, zu immer der gleichen Zeit. Sonst guckt es komisch und ich brauche einen Jemand zum bei mir sein, während ich esse.

Mein Jahreswunsch ist eine Herausforderung, weil er für mich auch bedeutet mich abwechslungsreicher zu ernähren und das bedeutet: Veränderungen im Handlungsablauf der Zubereitung und Flexibilisierung der Beschaffungsprozesse. Unsere Art Lebensmittel zu beschaffen, hat immer mehr von einem Geheimauftrag und läuft immer wieder in Abhängigkeit vom Außen erfolgreich oder eher nicht erfolgreich ab.

Ich frage mich gerade, wie das wohl auf andere Menschen wirkt, wenn ich das einfach so daher schreibe.
Als Teil meiner Lebensrealität und eben einfach so Fakt.
Vielleicht klingt das sehr anstrengend und so, als würde mir Essen keinen Spaß machen oder nur Stress bedeuten. Aber das tut es wirklich nicht.

Es ist halt nur nicht so ein Automatismus, den ich mir jederzeit gestalten kann, wie ich es will oder ein Trend oder eine politische Überzeugung oder eine sonstwie gelagerte Ansicht es verlangt oder ermöglicht.
Vielleicht wird meine Art Nahrung zu mir zu nehmen auch nie „normal“ oder so unproblematisch, wie es das für andere Menschen ist.

Essen hat etwas mit am Leben sein zu tun.
Ist halt dann doch nicht immer so einfach zu machen, wie es aussieht.

auch noch behindert oder was?!

Es gibt so Menschensätze, die haben Zähne mit Frisur. Die beißen und sehen von Weitem weich und wuschelig aus.
Harmlos. Ist doch nur so gesagt. Ist doch nur gefragt.

Mir sind beim Zukunftskongress einige davon eingefallen. Einer ist mir zurück in seine Umlaufbahn um mein Denken herum gerutscht und schwebt mir nach ein paar Monaten Ruhe erneut als Satellit um empfindliche Seelenstückchen: “Jetzt sind Opfer auch noch behindert oder was?!”.
Ich habe damals geantwortet: “Nein – nicht SO” und gäbe es die Möglichkeit für Zeitreisen, würde ich mich aus diesem Gespräch, dieser Runde, dieser sozialen Umgebung abholen, mir sagen: “Du brauchst, das “nicht SO” nicht sagen. Du musst dich vor diesen Personen nicht so öffnen, um auf Probleme zu zeigen. Hier lebt Stellvertreter_Innenkultur.”.
Pastme würde mich anmeckern und diese Menschen verteidigen, weil es in dem Moment noch denkt, es sei ja nur eine Frage. Ganz harmlos weich und wuschelig. Man wird ja wohl noch fragen dürfen.
Pastme wird erst im Zug nach Hause erinnern, das es böse ist und erst 8 Monate später begreifen, wie tief dieser Fragesatz seine Intension in es hineingebissen hat.

Ich habe über die Formulierung “seelische Behinderung” nachgedacht und erlebe sie im Moment treffender denn je.
Beim Kongress hatte ich sie verwendet und eine Person sagte mir, dass sie sie schwierig fände, weil die Seele für sie unveräußerbar sei.
Ich antwortete ihr, dass es die Seele ist, die sich irgendwie als erstes veräußert – ent-leibt, wenn man [(schwer ) versehrende] zwischenmenschliche Gewalt erfährt.
Wer sich wegmachen muss, weil er mit einem Schmerz, einer Angst, einer Umgebung und Abhängigkeit konfrontiert ist, die genau das zum Ziel hat – Zerstörung, Versehrung, das Abtrennen von Gut zu Böse – oben und unten – nun, der merkt, dass er seinen Körper nicht verschwinden machen kann. Aber sich selbst.

Man ist einfach nicht mehr da. Lässt alles los. Löscht sich aus Sinn und Unsinn, aus Wert und Zeit und versickert irgendwie im Irgendwo.
Manchmal macht man es ganz bewusst, wenn da ein Riese vor einem steht und jedes Wort aus seinem Mund zuflüstert, dass es besser ist, jetzt schnell nicht mehr zu sein und manchmal bleibt das Seelchen einfach stehen, während der Körper geworfen wird und keinen Boden mehr unter sich hat.

Und wenn es wieder zurück ist, dann ist vielleicht weder Erinnerung noch Wahrheit übrig. Dann ist da eine Indifferenz zwischen Körper und Seele, zwischen Heute und Gestern, zwischen Werden und Gewesen, die in jedem weiteren seelischen Entwickeln wie ein innerer Mariannengraben mit allen Spalten und Kluften am Rand wirkt.

Ich sehe einen Punkt in Gesprächen zu seelischer Behinderung und Opferschaft, der oft nicht bewortet ist, weil es das Vermeiden von Umdenken über Behinderungen allgemein gibt.
Auch die “Unerwünschtheit”/Uneinbringbarkeit anderer Blickwinkel auf die “lauten” Stimmen der Inklusionsdebatte spielen da mit hinein.

Wenn es nicht um Physis, Vermögen und Arbeit geht, gibt es keine Möglichkeit einer äußerlich sichtbaren Barrierenabschaffung. Keine veräußerbaren Dinge, die auf etwas hinweisen. Keine Hilfsmittel, die markieren, dass jemand etwas kompensiert oder überwindet.
Außer die Psychotherapie vielleicht.
Und über die darf man auch nicht wirklich neu denken, weil sie als Heilmittel gedacht und konstruiert ist – nicht als Krücke zur eigenen Entwicklung von Dingen, die den inneren Graben in sich aufschütten oder zusammennähen. Da rüttelt man ganz schnell an (auch patriarchalen) Strukturen, die “krank” und “behindert” am Rand einer Norm entlang definieren und Denkkonstruktionen wie “Objektivität”.

Man denkt Seele als krankbar, wie krank machend.
Als sprechend, aber nicht stimmhaft.
Alles und jede_r kann eine Seele in sich tragen, aber nicht alles und alle können sie zu Wort kommen lassen oder erleben sie so autark neben dem eigenen Willen und Wünschen, wie ich zum Beispiel meine Innens.

Ich erlebe meine Behinderung in der Interaktion mit einem (linearen/ein.s.fachen) Außen, das immer wieder (Gewalt)kompensierende Reaktionen in mir auslöst und mir diese Reaktion als “krank” und “unnormal” darstellt und ich sehe meine Behinderung darin, dass meine Seele eine Sprache hat, die oft nicht einmal von mir verstanden wird. Nicht darin, dass ich zum Opfer von Gewalt wurde und körperliche Folgen und seelische Mariannengräben habe – sowas kommt von sowas und geht oft auch ohne erlebte Behinderung(en) aus. Es gibt viele Menschen, die sich über dieses geeinzelte und einzelnde Außen ihre stabilen Brücken über die inneren Gräben erschaffen können.

Pastme hat mich heute morgen berührt und gefragt, ob der Menschensatz Angst vor einer Er.Kenntnis der mehrfachen Stigmatisierung von Menschen mit DIS nach [(schwer) versehrenden] Gewalterfahrungen hatte.
Ich habe meine Arme geöffnet und wortlos genickt.

zurück drehen

Es ist die Zeit im Jahr, in der viel zurück und vor die eigenen Füße geschaut wird.
So drehe auch ich mich um und schaue durch die Finger vor meinen Augen.

2014 hat mich aufgeschlitzt, in den Seilen hängen und ausbluten lassen.
Herzblut, Wutblut, Mutblut.
Und mein Herz, das hat sich elektrisieren lassen. Hat mich hoppelnd von Akt zu Akt getragen und kleine Blüten in den Lauf der Dinge getropft. 

Ich habe gelernt, dass Lebens- und Seinskonstellationen wie meine extrem selten sind.
Was weh tut.
Herzen zer.springen lässt.
Fakt ist.

Ich habe gelernt, dass Menschen, die das Neue und Außergewöhnliche suchen, in aller Regel die Suche nach sich selbst scheuen und Neues erst akzeptieren, wenn sie eine Wunschversion von sich selbst darin erkennen können. Möchten.

2014 war das Jahr, in dem ich lernte, dass Macht immer korrumpiert. Auch Menschen, die ich “Gemögte” nannte.

Ich habe gelernt, dass ich in meiner Art über die DIS (dissoziative Identitätsstruktur) zu sprechen, streckenweise noch sehr allein bin. Zu politisch. Zu komplex. Zu abgehoben. Zu unkonkret. Zu unopferig. Zu unprofessionell. Zu viel Internet.
Ich habe gelernt, dass es leicht ist zu sagen, dass etwas “zu …” ist, wenn man sich selbst zu gemacht hat.

Anfang 2014 traf ich Menschen, die zur Traumafachtagung “Wir sind Viele” kamen, um sich von der Diagnose überzeugen zu lassen. Menschen, die davon überzeugt waren, dass es ja gar nicht so (schlimm) sein kann, wie es geschildert wird. Menschen, die davon überzeugt sind zu wissen, wie es ist, weil sie Menschen kennen und behandeln, die ihnen sagen, wie es für sie ist.
Für mich war die Teilnahme wichtig und ich bin nachwievor dankbar um diese Eindrücke und Einsicht in diesen kleinen Teil der Auseinandersetzung mit den Folgen, die so massive und zielgerichtete Gewalt auch haben kann.
Ohne Unterstützer_Innen, die ungenannt bleiben wollen, hätte ich weder die Tagungsgebühr, noch die Übernachtung, noch die Fahrt stemmen können.  

Eigentlich ist der Mai mein Monat.
Ich feiere Lebenstag, stärke und ermutige mich. Bündle mich für den Sommer, in dem es oft viel zu entdecken und erleben gibt.

Diesen Sommer habe ich damit verbracht mein Herz zusammenzuhalten, tapfer zu bleiben und mich nicht beirren zu lassen.
Irgendwo darinnen wurden wir eine 28 Jahre alte Person. Frau mit Sonderzeichen *.

Wir fingen an zu filmen und hörten auf, unsere Fotos als eigentherapeutisches Überbleibsel zu betrachten.
Die Verjährungsfrist für eine mögliche Strafanzeige wegen der Gewalt, die mich zu vielen machte, lief ab. Der Antrag auf Opferentschädigung rückte ins Nie. SonnenuntergangWalchensee
Das zehnte Jahr Hartz 4 begann. Ich verschuldete mich und erfuhr davon erst Monate später.
Unsere Therapeutin zog mit der Praxis um und wir hielten unseren ersten Workshop zur Sprachführung über Gewalt.

Ich fotografierte am Veranstaltungsort den schönsten Sonnenuntergang in diesem Jahr und schickte ihn mit meinem letzten Datenvolumen an die Person, die mir auch in diesem Jahr ein Leuchtturm war.

Wie viel Angst wir in der Zeit ausgehalten und getragen haben, konnten wir nicht formulieren. Wozu auch.
Am Ende zählt, was bleibt und das war im September dann ein Video von unserem Vortrag zur Sprachführung über Gewalt. Ich wollte ihn untertiteln und dann fiel mir auf, dass in dem Vortrag viele Stunden schwieriger Arbeit.szeit, Fahrtkosten, ein Kongressticket und die Aufgabe meiner Unanguckbarkeit gesteckt haben, die nicht honoriert bzw. erstattet wurden.
Wer Untertitel braucht, kann mich als Referentin* in einer Veranstaltung buchen (lassen), bei der direkt übersetzt wird.

Im Oktober zog ich aus, zu erfahren, wie das Böse in mir aussieht.
Nach Ereignissen im Jahresbeginn erschien es nötig darüber Klarheit zu bekommen.
Ich zog aus das Monster im Schwarz des Inmitten von mir zu finden und fand Teenagerinnens, die mehrfach den eigenen Suizid überleben mussten. Misshandelte, gequälte, verzweifelte, sprachlose, unfassbar verletzte Seelenstückchen, für die sich niemand interessierte, der für dieses Interesse nicht auch bezahlt wurde.

Ich fand die Wut und ich sah, dass sie gut war.
Nicht verantwortlich für die Signale auf die sie entsteht.

Im November zog unsere Therapeutin erneut um und wir bereiteten uns auf unseren ersten Vortrag zu ritueller Gewalt und einzelnen Punkten des Ausstiegs aus zielgerichteter Gewalt durch Personengruppen vor.
Inzwischen liegt eine vernünftige Aufzeichnung dazu vor. Die Kraft und der Mut, sich den Rückmeldungen derer zu stellen, die sich mit dem Thema aus einer anderen Perspektive als meiner befassen, nicht.
2014 ist das Jahr, in dem ich und mein komplett selbst hochgewuchtetes Tun mehr bewertet und beguckt wurde, als Haut über empfindlichen Stellen nachwachsen konnte.

Als Belohnung fürs Durch- und Aushalten fuhren wir 3 Tage nach Berlin.
Besuchten Menschen und Herzen. Erinnerten uns an die Relevanz dessen, was “Freiheit” heißt. Lernten, dass Kinder Übungs- und Gewöhnungssache sind. Erkannten, dass Berlin Mitte ein Stadtteil ist, in dem Todes.Angst und Bedrohung zum Lebensgefühl gehört, wie bei uns das provinzielle Flair, das denkt es sei von Welt.
Wir besuchten ein Konzert und betrauerten den leeren Platz neben uns genauso wie das klaffende Loch, das Gemochte und Gemögte Monate wie Jahre vorher in uns hineingerissen haben.

Kurz darauf kam die Möglichkeit den Zukunftskongress “Inklusion 2025” zu besuchen.
Es entstand der erste Artikel, der komplett gesponsert wurde und doch typisch Rosenblatt war, so wie der längste Artikel des Blog von Vielen.
Diese Tage waren rückblickend betrachtet das letzte Aufglühen.
Ein bisschen der letzte Versuch zu hören: Es gibt auch für dich Zukunft. Autonomie. Einen Platz in diesem System. In dieser Welt.

Ich habe gelernt, dass Inklusion für viele Menschen ein Geschäftszweig ist. Eine Art sich selbst und sein Agieren zu labeln. Ich habe gelernt, dass ich von Menschen, die selbst nicht behindert werden, nichts erwarten darf, ohne Verletzungen zu erleben, die nicht bewortbar sind, ohne Egos zu verletzen und Macht zu thematisieren.

Was mir in 2014 passiert ist, war das Moment, in dem ich deutlich wie nie zuvor gespürt habe, dass meine Zeit abgelaufen ist. Dass meine Zeit von Hilfen, wie ich sie brauche, vorbei ist.
Irgendwie bin ich zu einer Frau Rosenblatt geworden, die schon alles geschafft hat. Die ihren Weg schon gehen wird. Die schon irgendwie zurecht kommen wird. Die ein Netzwerkmensch, eine Macherin ist. Eine Frau Rosenblatt, die immer will und niemals braucht.

Ich habe gelernt, dass ich meine Bedürftigkeit ver.substantivieren muss und nicht kann.

Ich habe verstanden, dass Content im Internet kurz und heftig sein muss, um geteilt und gelesen zu werden und das einfach nicht meine Art Inhalte zu produzieren ist.
Jetzt in dieser Schwebezeit des Jahres komme ich an die Erkenntnis, dass wir im ganzen Jahr 2014 immer das Beste getan haben, was wir konnten. Immer das Beste von dem gegeben haben, was wir geben konnten.

“Ich bin auch noch da, wenn alle anderen weg sind”, ist der Satz dazu, der langsam beginnt, mich zu beruhigen und zu stärken.

Ich möchte vieles und ein paar Jemande in diesem Jahr zurücklassen.
Liegen, fallen, stehen lassen.

Sie und es nicht mittragen, wenn ich mich nach vorn drehe.

ein Rant über die Sinnsuche im Trauma

Und was hatte dein grauenhaftes Erlebnis für einen Sinn?
Erzähl doch mal.

Ob es Samuel Koch in “Wetten dass…?”, Natascha Kampusch bei Günther Jauch oder “Name von der Redaktion geändert” in einer anderen Bespaßungslücke der Medienlandschaft ist, jedes Mal gibt es dieses Moment, das sich wie eine Blase mit der Frage “Und?” und all den erwartungsvollen Blicken ausnimmt. Dieses “Du bist etwas besonderes, weil dir etwas Besonderes passiert ist”- Moment, das sich in einer “weil mir das in meiner Lebensrealität noch nie passiert ist, ist es etwas Besonderes” – Norm ausdehnt und in einem Schwall rühriger Musik mit Nahaufnahmen feuchter Augen und verschämten Naseputzens platzt.

Ich bin inzwischen an einem Punkt mit meiner (Er-)Lebensrealität, an dem ich für mich verstehe, dass das Krasseste an einem (traumatischen) Ereignis ist, dass sich die Welt weiter dreht und der Lauf der Dinge sich nicht verändert hat, obwohl er völlig neu wahrgenommen wird.

Gewalt, Unfälle, die Auswirkungen der Natur auf uns Menschen haben keinen Sinn.
Sie haben eine Logik, eine Mechanik, die zu verstehen immer wieder versucht werden kann, doch die in sich unbezwingbar ist.

Selbst wenn man verstanden hat, warum Ereignis A auf 30 verschiedene Personen 30 verschiedene Auswirkungen hat, ist Ereignis A immer noch passiert.
Selbst wenn man verstanden hat, warum Ereignis B geschehen ist, ist Ereignis B geschehen.

Ich habe eine Zeit gehabt, in der ich dachte, dass ich an der Gewalt, die mir passiert ist, so kaputt gegangen bin, hätte den Vorteil, von nichts mehr gleichartig kaputt gemacht werden zu können. Außerdem dachte ich, dass es doch ganz gut für mich sein kann, dass ich nun als 28 Jährige viele Dinge, Umstände und Abläufe neu erfasse, mit denen sich andere Menschen völlig selbstverständlich seit ihrer Kindheit umgeben.

Und irgendwann spürte ich, dass ich mit der Suche nach dem Sinn der Gewalt an mir, mit der Suche nach dem Guten in dem, was mir passierte, vor allem eins versuchte: das Auftragen eines Trostpflasters auf einen Schmerz, der so umfassend tiefgreifend und verschlingend ist, dass er schlicht nie “gut”, nie “weg” sein _kann_
Mir wurde nie gewährt so untröstlich zu sein, wie ich nun einmal bin, weil diese Welt, unsere Gesellschaft, vielleicht auch unsere menschliche Natur – was wissen wir denn schon darüber? – auf Lerneffekte ausgelegt ist.

In unserem Sein ist noch viel zu wenig Platz dafür so umfassende Zerstörungen und Schmerzen an uns ohne Beeinträchtigungen oder konkrete Veränderungen zu überleben.
Menschen, wie Tiere, wie Pflanzen, wie unser Klima, reagieren mit Veränderungen.

Wir haben immer etwas von etwas.
Aber wir Menschen, wir müssen auch noch eine Wertung haben. Wir weißwestlichen Menschen müssen sogar noch eine Wertung haben, die mit Vorteilen einhergeht.
Uns dürfen Dinge nicht einfach so passieren.
Die Dinge dürfen nie so sein, wie sie sind, weil es ja IMMER etwas zu verändern gibt. All das Potenzial, all die Kraft, all die weltenbeherrschende MACHT.

Wir leben ohne Demut vor dem Lauf der Dinge und der Ohnmacht, die er mit sich bringt. Deshalb stellen wir Personen, denen dann doch einfach so etwas passierte, weil es eben passierte, die Frage nach dem Sinn und helfen ihnen bei der Sinnsuche im Trauma, statt ihnen zu sagen, dass ihr Schmerz, ihre ganze universelle und nicht in dieser Welt verankerte Untröstlichkeit, im Hier und Jetzt einen Platz haben darf; dass all der furchtbar tiefe Schmerz mitgetragen werden kann.
Auch dann, wenn es darum geht anzunehmen, dass man sehr wohl immer wieder die eigene Zerstörung spüren kann oder darum, dass eine Kindheit und Jugend wirklich nachzuholen, nicht möglich ist.

und wie war’s?

sonnenstrahlenAm Dienstag hat meine Welt noch aus allen Löchern geblutet. Da war zu Tinnitus, Schwindel und dem fast vollständigen Verlust der Sehkraft, noch ein Tritt in die Kniekehlen von Ex – Verbündeten gekommen.
Ich bin bis zum Donnerstag genebelt und habe mich nicht etwa auf einen möglichst süßen Abschluss eines unfassbar kraftraubenden und von innerglobalen Katastrophen, wie aber auch Wachstumsschüben, geprägten Jahres konzentriert.
Nein- ich hatte eine Therapiestunde, bin nach Hause und habe versucht meinen Vortrag auswendig zu lernen, damit ich nicht auf die Folien angewiesen wäre.

Es war gut, in Ruhe die durchwachte Nacht von der Haut zu schälen  und den Schlafsand von den Augäpfeln zu kratzen.
Es war schlimm, dass ich in Hannover erst drei Menschen ansprechen musste, bis mir jemand die klitzekleine Anzeigentafelschrift vorliest. Es war schlimm mit Menschen sprechen zu müssen. Auf den Punkt dieses Knubbelding in meinem Hals zu Lauten und Worten zu bewegen.

Es war eine Explosion eine freudige Reaktion auf den eigenen Namen zu erfahren.
Wundergut fantastischlimm. Warum sich Menschen freuen mich kennenzulernen und sich nicht bei dem Anblick, den ich nun einmal leider biete, ungeniert auf mich drauf erbrechen, verwundert mich noch immer.

Ich bin komisch unter fremden Menschen.
Wenn ich mit dem Wundern fertig bin, gehe ich nahtlos zum awkward sein über.
Dann twittere ich eben nicht: “Hey Leute tadaa- ich halte heute abend einen Vortrag und ihr könnt zugucken.”
Nein, dann twittere ich darüber, eine Klorolle getragen zu haben und ein awkward Dreihorn zu sein. Ich twittere keine Zitate aus superguten politischen Diskussionen und Vorträgen. Nein, ich sitze im Hof, fotografiere einen “Fleck” auf einer Tasse und lache als ich merke, dass es eine Spinne ist. Ich köchle auf Stufe 5 Zillion in meiner Aura aus “komisch fremd und zu blind für Namensschilder sein” und warte auf die Person, von der ich weiß, dass sie weiß, wie ich aussehe.

Und wenn die Person dann da ist und der gemeinsame Themenkokon anfängt flauschigen Pelz zu kriegen, ist es BÄNG! nur noch eine Stunde und ein Jugendherbergenabendessen bis … high noon oder so ähnlich.

“Du kannst dir überlegen, ob du fotografiert werden möchtest oder nicht oder so…” und “Ich moderiere bei dir- möchtest du, dass ich dich ankündige?”, wurde ich gefragt. Und awkward Rosenblatt spürte die neuronale Implosion, die mit “neu” verbunden ist, wie das Plopp eines Aneurysmas. 

Als der Puls das komisch guckende Essen im Magen boxte, war es auch schon kurz vor 7. In HD- Qualität auf einem Auge. Immerhin. Uff.
Menschen kamen in den Raum. Awkward Rosenblatt schaute sich um und hätte jedes Einhorn, das um einen Keks zu trinken gebeten hätte, für logisch gehalten.

Und dann hab ich das einfach gemacht. Einfach so. Mit all den Huckeln und Kanten, die mich selbst nerven, aber irgendwie dann doch einfach da sind. Die dieses “ich, Hannah C. Rosenblatt” bekörpern und verlauten lassen.

Als jemand, der dieses “anonym aus Schutzgründen” aufgrund so vieler noch gar nicht breit beleuchteten Systemfehler nie wirklich geschafft hat und auch nie schaffen wird, sichtbar zu werden, ist krass.
Dass die Welt, dieses unbeeindruckbare Ding, sich einfach weiterdreht, ist aber noch krasser.

Es kommt fast an die Krassheit der Erkenntnis, dass es, zumindest jetzt für diesen Moment, gar nicht weh tut, ran. Fast.

Fortsetzung folgt

da ist was

Ich stand in der Praxis meiner Gynäkologin und sagte ihr: “Es kann auch sein, dass meine Beschwerden für mich größer sind, als es das, was ich letztlich habe, in der Regel so verursacht.”. Sie lächelte mich an und sagte: “Ja, aber Sie haben ja was. Das ist ja alles so entzündet, dass ich mich frage, wie sie damit überhaupt zurecht kommen.”.

Schwierige Ansage. Obwohl- Psychosomatik geht immer mit schwierigen Ansagen einher. Zumindest wenn ich mit MedizinerInnen* zu tun habe. Das Eine ist: “Es kann gar keine Psychosomatik sein, weil sie ja da was haben.” , das Nächste ist: “Es ist so schlimm, dass ich mich frag, wie sie zurecht kommen” und das Dritte ist: “Ja, aber…”.

Ich war mit meinen Unterleibsschmerzen in der Praxis, weil ich mir selbst nicht mehr helfen konnte.
Wenn es einen Ort gibt, den ich auf mehr als der Ebene “Medizin = Körper = uääää” verabscheue, dann die gynäkologische Praxis, meiner netten freundlichen Ärztin*. Nirgendwo sonst befeuern sich meine erarbeitete Sexpositivität, mein eingebrannter Selbst- und Körperhass, mein Genderdurcheinander und meine Angst zu sterben so heftig, wie da. Wenn ich dort hingehe, dann erwähne ich meine Psyche nach Möglichkeit nicht, weil es eben auch keinen anderen Ort gibt, an dem sexuelle Misshandlung, Verstümmelung und ihre Folgen so zweischneidig präsent ist.
Wenn Menschen einen Ort suchen, an dem Vergewaltigungskultur pulsiert, dann finden wir ihn auf jeden Fall in der Gynäkologie.

Niemand sagt: „sexuelle Misshandlungen gibt es nicht“ – doch wenn jemand sagt: “Ich habe diese und jene Folgen von sexueller Misshandlung (zum Beispiel ein Schmerzempfinden zwischen Level 1 Zillion und 0 in einem Zeitraum von Minuten)”, dann kollidiert dies nachwievor mit dem “Medikus- Ja, aber…”

Meine persönliche Diagnose ist: Ich habe Anfang Mai eine der krassesten (Bindungs-) Retraumatisierungen der letzten zwei Jahre erlebt; meine engste Gemögte ist weggezogen; eine Fastgemögte wollte nach einem Konflikt keinen Kontakt mehr mit uns; ich hab mich aus der Selbsthilfeforenszene rausgezogen, nachdem ich vor einem dauerschwehlenden Konflikt nur noch ohnmächtig war und mein Innenleben und ich stecken in für uns großen Projekten mit unüberschaubaren Auswirkungen auf unser Leben. _Selbstverständlich_ streckt mein Immunsystem die Waffen und kann trotzdem nicht überall sein. Ich bin einfach nur noch müde, bewege mich kaum und meine Hauptmahlzeiten sind, wenn mans runterbricht, Fett und Zucker. Ich fange morgens um 9/ 10 Uhr an zu arbeiten ™ und höre irgendwann um Mitternacht damit auf.
Wenn ich eine Infektion wäre, ich würde mir auch einen Partyhut aufsetzen und mir den schwächsten immer irgendwie schwierigen Punkt in diesem Körper aussuchen.

Ich habe jetzt Antimykotika und Bakterienkiller geschluckt, Kortisonsalbe und Ringelblumenöl verwendet- der Schmerz ist aber noch da. Jetzt bin ich an dem Behandlungspunkt, an dem ich mir wünschen würde, unser Gesundheitssystem hätte so etwas wie eine etablierte Doppelbehandlungskiste. Gerade wegen Wartezeiten und Wochenenden.
Weil ich nun auf Laborergebnisse warten musste, um zu wissen, was die Symptome auslöst, fing ich an, mir die Sorgen, die ich sonst schön bei der Ärztin gelassen habe, anzuschauen. Ich dachte an Bakterien, die ich mir vor Jahren in Misshandlungskontexten eingefangen haben könnte und die in der Folge mit 5 partybehüteten Köpfen in meinem Uterus herumhüpfen. Ich dachte an Krebs und Zysten, an AIDS, weil ich keine anderen Krankheiten kenne, die “Immunsystemschwäche” bedeuten. Ich dachte an all die Geschlechtskrankheiten, die ich eventuell gehabt haben könnte und erinnere mich nicht, ob ich wirklich immer alles ordentlich behandelt habe. Und wo ich gerade schon an meinen Unterleib dachte, dachte ich an alles, was dort jemals passiert ist (und/oder passiert sein könnte) und mochte mich am Ende unter 30 Decken einrollen und darauf warten, dass einfach alles sofort zu Ende ist.
Genau für solche Zeiträume, hätte ich gerne eine Mischung aus meiner Therapeutin und meiner Gynäkologin. Jemand, der sich mit meiner Geschichte und meinem Körpermist auskennt; mich aus den 30 Decken rauspult und mir die Angst abbauen hilft.

Ich weiß, dass ich Schmerzen vor Angst vor dem Schmerz haben kann. Dafür lebe ich einfach auch schon lange genug mit Angst vor der Angst und der Panik, die immer dann kommt, wenn die Angst mal nicht zuverlässig kommt.

Bei Psychosomatik geht es nicht darum, ob “da etwas ist” oder nicht. Es geht (zumindest mir) nicht darum, getröstet und geflauscht zu werden, weil ich etwas “habe”.
Meine Somatik sind Schmerzen. Immer und immer wieder sind es Schmerzen, die weder in Muskeln noch Knochen, noch Sehnen noch Organen sitzen, sondern genau in dem Stoff, den es angeblich nicht gibt. Aristoteles nannte es “Äther”. Im Buddhismus ist es als “Akasha” bekannt. Ich weiß heute, dass ich damit eigentlich schon genau benenne, was mir weh tut, wenn ich psychosomatischen Schmerz benenne: mein Bewusstsein für (oder/und Erinnern an?) einen Schmerz, der mich an die Grenze meines Bewusstseins brachte und mehr als einmal drüber schubste.

Es wird gerne gedacht, man könnte Psychosomatik mit dem Placebo-Effekt behandeln, weil man vergisst, dass der Placebo- Effekt lediglich den Beweis für die Macht des Bewusstseins über körperliche Empfindungen darstellt. Bei der Manifestation von psychischen Konflikten und Wunden, an der Physis von Menschen, handelt es sich nicht um “nichts”, das bewiesen werden sollte. Es ist selbst ein Beweis dafür, dass dort etwas ist.
Ich muss nicht anfangen zu denken: “Es ist jetzt alles okay.” Ich muss das fühlen können und genau das tue ich nicht.

Dass ich jetzt auch noch “wirklich was hab” ist mir dabei irgendwie so ein richtig schöner Knüppel vor den Füßen. Einerseits fühle ich ganz genau, dass mein Immunsystem damit total gut auch ohne die Ärztin und ihre Behandlung klarkommen könnte – andererseits merke ich, dass ein Großteil meiner Abwehrkraft in Richtung “Seelenschutz” geht.
So große Konflikte, wie den im Mai, habe ich sonst immer mit meiner Wut kompensiert- ich hab mich stark gefühlt- aktiv. Nach dem großen Autsch, kam immer ein Anlauf, in den ich mich reingewütet hab und die Explosion hatte in aller Regel eine Klärungslawine in Gang gesetzt. Tja.
Und dieses Jahr hab ich Therapiefortschritte gemacht. Hab genickt als meine Therapeutin sagte, meine Wut würde nichts bringen. Hab geschwiegen auf jedes “Geh weg” und habe einfach gar nichts mehr an den Stellen berührt. Nichts ist passiert. Nichts ist geklärt.

Es ist nichts gut geworden. Dann brauche ich auch nicht anfangen mich noch obendrauf zu belügen und mir zu sagen, ich müsse nur wollen, dass es mir besser geht, dann ginge es mir auch besser. Es ist einfach nichts okay. Ich hatte schon was, bevor meine Ärztin oder meine Therapeutin oder meine Gemögten und Bekannten mir angesehen haben, dass ich was hab.

Jetzt ist es alles gleichzeitig und wo ich anfangen soll, weiß ich selber nicht.
Ich weiß inzwischen: medizinisch bin ich gesund zu kriegen- das Gewebe muss nur aufgebaut werden.

 

Und der Rest…?
Ich halte mich an meinen Projekten fest und hoffe, dass die Schwindel- und Schwächegefühle nachlassen.
Nachher gehe ich mit dem Hund raus. Zähle nochmal nach, wie viele Tage die Therapeutin Urlaub hat.
Ich (fr)esse. Ich arbeite ™. Ich bin.

Ich hätte auch was, wenn die ganze Welt mir sagte, da wäre nichts.

 

Es ist einfach gar nichts okay.
Nichts ist mehr okay, wenns weh tut.