2023 – die guten und die schlechten Dinge

Jahresrückblick also.
Das mache ich immer. Weil es mir ganz guttut, aber auch, weil es mir hilft, meine Ziele für das nächste Jahr bewusster zu setzen.
Aber dieses Jahr hat mir nicht so gut gefallen. Es gibt einiges darin, an das ich nicht denken möchte und manches, das so schön ist, dass ich es davon nicht berührt haben will. Aber gut – objektiv betrachtet hat nun einmal alles dieses Jahr stattgefunden, dafür können die guten Dinge genauso wenig wie die schlechten. Irgendwann passieren immer Dinge.

Ich weiß nicht mehr genau, wie das Jahr genau begann. Dass es uns Ende März mit Corona erwischt hat, überstrahlt die gesamte erste Hälfte des Jahres. Mein Partner wurde so schwer krank, dass er 2 Wochen auf der Intensivstation lag. 4 Wochen lang war er positiv. Zu Ostern wurde er entlassen und war kaum fähig allein zur Toilette zu kommen. Zu den Schäden durch die Lungenembolien kam noch ein coronabedingter Diabetes dazu, den er allein managen musste, denn mir als „Freundin“ hatte niemand etwas dazu beigebracht außer die Apothekerin.
Mobilisierung durch Physiotherapie? Pflege zu Hause? Haushaltshilfe? Gabs alles nicht. Ich durfte nichts ohne ihn veranlassen und er war zu schwach, um irgendetwas davon zu veranlassen. Mein Learning: Es ist für ihn weniger kräftezehrend, Kraft zum Überleben aufzubringen, als sich auf die Kraft anderer zu verlassen.

In der Woche seiner Einlieferung ins Krankenhaus hatte ich „Worum es geht“ veröffentlicht. Hätte Werbung machen müssen, meine Onlinelesung ankündigen, statt sie aus meiner Planung streichen sollen. Doch in der gleichen Woche wurde ich mit real stattgefundener sexualisierter Gewalt an Kindern konfrontiert. Ich war beim Durchsuchen eines Hashtags bei Mastodon auf Bilder und Videos gestoßen, die das dokumentierten.
Das Material hatte ich bei der Instanz gemeldet und noch am gleichen Tag war es nicht mehr abrufbar. Mein Versuch, auch eine Meldung bei der Polizei zu machen, scheiterte daran, dass die Polizeistation bei uns nicht besetzt war.
Die folgenden Wochen und Monate waren wild.

Während meines Inneres ein klirrender Sprühnebel aus Traumashit und massiver Not war, arbeitete ich auf der Leipziger Buchmesse und merkte nur einen Hauch von der Krankheit meines Kollegen, die ihn für das nächste halbe Jahr arbeitsunfähig machen würde. Wir arbeiteten alle mehr im Kollektiv. Hofften auf die Rückkehr einer Kollegin, die dann aber ausblieb. Eine zweite Kollegin wurde im Sommer unerwartet schwer krank. Auch sie kam in diesem Jahr nicht zurück.
Im Juni konnte mein Partner seine Mauer aus Medikamenten auf dem Wohnzimmertisch in einem praktischeren Körbchen unterbringen.
Im Juli erlebte ich jeden dritten Tag einen arbeitsbedingten Meltdown. Im August jede Woche mindestens einen kleineren Krampfanfall zusätzlich.

Im September nahm ich 4 Wochen Urlaub, obwohl der Workload im Verlag das eigentlich nicht zuließ.
Zwei Wochen dieses Urlaubs verbrachte ich mit Lebensorganisation und Behördendingen. Außerdem wollte ich mir den toten Zahn ziehen lassen, den ich Anfang des Jahres noch hoffnungsvoll operieren ließ. Ging aber nicht. Hoher Krankenstand bei der Krankenkasse. Die Finanzierung des Zahnersatzes war nicht rechtzeitig klar.
Jetzt, wo er raus ist, ist ein Großteil der Symptomatik, derentwegen ich dieses Jahr beim Kardiologen war, verschwunden. Bradykarde Episoden habe ich aber weiterhin. Offenbar hab ich einfach ein großes Herz zwinkyzwonky.

Zwei Wochen war ich auf dem Fahrrad unterwegs. Bekam einen unerwarteten Sonnenbrand und lernte, dass Kondenswasser nicht nur in falsch aufgespannten Zelten auftreten kann. Ich dachte in der Zeit viel an Felice und Renée, die ihrerseits von kleinen und größeren Wanderungen erzählt hatten. Was ganz schön war, weil es das erste Mal war, dass ich mich ihnen unabhängig vom Podcast und Vielesein verbunden gefühlt habe.

Der Herbst war von konstanter Überarbeitung, Überforderung und wilden Hoffnungskraftausbrüchen geprägt.
Ich hatte mich bei einem Unternehmen zur Bewerbung vorgestellt. Bisher ist nichts weiter daraus geworden. Langer Krankenstand.
Doch ich versuchte natürlich, mich komplett in diese Option hineinzusteigern. Bin teilweise früher aufgestanden oder über Gebühr lange wach geblieben, um mich selbst fortzubilden für diesen eventuell vielleicht zukünftigen Job. Bis ich merkte, dass ich an 3 von 5 Wochentagen bereits im Overload aufwachte und kaum mehr in der Lage war zu verstehen, was meine Kolleg_innen mir sagten.
Nachdem ich täglich Meltdowns erlebte, hörte ich auf damit und begann nach Ausbildungsstellen im IT-Bereich zu suchen.

Irgendwann dazwischen waren wir dabei, als ein älterer Mann Handybilder oder ein Video von kleinen Kindern in der Schwimmhalle machte.
Das Timing war gut für meine Therapie, aber beschissen für die Arbeitsfähigkeit. Ich machte viele Fehler, vergaß Termine, konnte Arbeiten nicht on time fertigstellen. Im Kollektiv kam es immer wieder zu Spannungen und schwierigen Wochen mit doppelt bis dreifach zu viel Arbeit für alle.
Im November beschloss ich, dennoch keine Überstunden mehr zu machen.
Im Dezember schaffte ich das dann auch.
Ich heiratete meinen Partner und lernte seinen Freundeskreis etwas näher kennen. Bei der Feier im Anschluss stellte ich fest, dass eine meiner Freund_innen uns inzwischen länger kennt als unsere Eltern. Später schlug mich die Erkenntnis, dass ich gleichermaßen viel länger Patient_in als Tochter von bin, so weit nieder, dass ich in der Therapie weinen musste.

Kurz darauf veröffentlichten wir unseren Nachruf auf die „Nickis“ und dachten ein Mal mehr darüber nach, wie wir mit unserem Vielesein in der Öffentlichkeit sein wollen. Unter anderem, weil das Vielesein nicht mehr mein Hauptproblem neben der PTBS-Symptomatik ist.
Wir möchten uns nicht am Story-War um organisierte Rituelle Gewalt beteiligen. Sehen kein transformierendes Potenzial darin, Behandler_innen zu verteidigen, die sich nicht offen zu realen Risiken der Psychotherapie für komplex traumatisierte Patient_innen positionieren. Ich will nicht, dass Journalist_innen und problematisch desinformierte Psycholog_innen meine Opferschaft für ihre Klicks und flüchtigen Szenefame missbrauchen.
Was ich will ist, wissenschaftliche Auseinandersetzung und politische Prozesse für mehr Opferschutz und -entschädigung zu unterstützen. Im Zuge dessen werde ich mich weiterhin darauf konzentrieren, die Er_Lebensrealitäten behinderter Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen zu vermitteln. Vielleicht mal mit mehr Konkretheit. Struktur. Mit mehr Rücksicht darauf, dass ich auch verstanden werden muss.
„Viele Leben“, meine Interview-Podcastreihe mit Menschen, die sich als Viele erleben, gehört dazu.

Aber erst ein Mal muss ich meine Arbeitssituation auf die Kette kriegen.
Und abwarten, was NakNak*s Ableben mit uns macht. Denn das war bereits in diesem Jahr absehbar.
Aber sie wacht weiterhin jeden Morgen auf und steht wie ein kleines Ausrufezeichen am Futternapf. Sie läuft noch mit, weiß halt leider nur noch sehr begrenzt, wo sie eigentlich gerade warum mitläuft. In den letzten Wochen gab es häufiger Sauberkeitsunfälle, an manchen Abenden kommt sie ohne CBD-Tropfen überhaupt nicht zur Ruhe. Bubi ist eine große Orientierungshilfe für sie. Und eine emotionale Stütze für uns. Dieser große dunkle Riesenhund, dessen Gesicht inzwischen auch immer weißer wird.
Der aber noch längere Wanderungen mit mir schafft. Zum Beispiel Anfang dieser unserer Urlaubswoche an der Ostsee.

Landschaftsaufnahme durch kahles Gestrüpp auf die Ostsee unter leicht bewölktem Himmel

Ich habe in diesem Jahr sehr viele Dinge liegen lassen müssen, die mir wichtig sind. Einige Menschen hat das enttäuscht, die meisten aber hatten Verständnis und Geduld mit mir. Sie vertrauen mir und das stärkt mich.
Das nächste Jahr hat viele Tage – mal gucken, was wir da so alles hinkriegen.

10 Jahre

Das ist ein Meme. Heute vor 10 Jahren.
Ich habs bei Twitter gesehen. Manches ist witzig, manches boxte mir unvermittelt in den Bauch. Nun, wo 2019 fast ausgetrunken ist und im Hinblick auf so manche üble Entwicklung wenn nicht nach Schierling so doch bittersüß schmeckt, nehme ich mir die Zeit, meine letzten 10 Jahre zu überfliegen.
Wirklich – nur überfliegen.

Die ältesten Beiträge hier bei WordPress beginnen im November 2010.
„Multipel zu sein ist nichts womit man nicht leben kann. Es geht. Es gibt ein Heilen. Es gibt eine Normalität und es gibt eine Zukunft.“, das steht in einem der ersten Beiträge. Manchmal denke ich, dass wir vielleicht nie mehr als das hätten schreiben müssen. Weil: es ist so und alles mehr ist vielleicht einfach nur mehr, aber nicht nötig. Was weiß ich.

Vor 10 Jahren war NakNak* noch ein Hundekind, wir waren am Anfang ihrer Ausbildung. Jemand, die_n wir dieses Jahr zum ersten Mal persönlich getroffen haben, hat uns das ermöglicht und H. hat uns ermöglicht, dass sie_r uns das ermöglichen konnte.
H. ist vorbei. Vor – ich weiß das Datum nicht – vielleicht 6 oder 7 Jahren? – zum ersten Mal, letzte Woche zum zweiten Mal. Schmerzhaft. Obwohl es gut und richtig war. Wer weiß, wem wir außer uns noch geschadet hätten.

Die Therapeutin. Ist immer noch unsere Therapeutin. Es hilft nachwievor, mit ihr zu arbeiten. Es war ein Weg zueinander und ist es für manche von uns noch.
Wir Rosenblätter sind nicht mehr ausschließlich das „Therapiemach“-System. Suizidalität ist nicht mehr normal für uns. Einsamkeit ist nicht mehr normal für uns. Allerdings ist es normal geblieben mit manchen Viele-Dingen allein zu sein und normal geworden, keine stationäre psychotherapeutische Hilfe mehr in Anspruch nehmen zu können. Bitter.

Und auch etwas, was wir verstanden haben, weil Selbstbestimmung für uns kein abstrakter Kampfbegriff mehr ist, sondern ein allgemeines Menschenrecht. Der ganze politische Aktivistenklops. Der hat heute eindeutigere Formen. Mehr Hintergrundwissen, mehr Auseinandersetzungs- und Reibungsfläche als je zuvor. An uns, an unserem Leben, an allem, was wir tun. Es hilft unglaublich zu verstehen, was da passiert ist, wenn uns ältere, erfahrenere Frauen zur Selbstbestimmung verholfen, aber sofort von ihrer (zweiten) Welle geschubst haben, sobald wir über uns selbst bestimmt haben.
Es hilft zu verstehen, dass es nie nur therapeutisch war, sondern immer auch persönlich und deshalb politisch.
Es ändert nichts, aber hilft.

Seit 10 Jahren nehmen wir unser Schreiben ernst genug, um es zu tun. Regelmäßig. Nur ein Mal in den letzten 10 Jahren ging es nicht. In der großen Krise nach der Autismusdiagnose. Wie heftig, krass, schlimm – akut lebensbedrohlich – diese Zeit war, das habe ich erst einige Monate später verstanden. Nämlich dann, als man uns das Schreiben verbieten wollte und damit die letzte eigene Ressource, um mit dem umzugehen, was wir gerade erfuhren.
Unser Leben hat sich damals grundlegend für uns verändert und es wäre schön gewesen, diese Veränderung in aller Ruhe willkommen heißen zu können. Mit traumasensibler Unterstützung einordnen zu können. So wie es dann lief, war es re-traumatisierend. Unnötig schmerzhaft. Nicht fair. Gewaltvoll. 2016 war entsprechend das schwierigste der letzten 10 Jahre.

Auch wegen der Schule. Die Berufsausbildung mit Fachabitur. Typische Verzweiflungsüberforderung.
Es hat sich gelohnt, war eine tolle Erfahrung, ist ein persönlicher Triumph. Aber der Preis war hoch, sehr viel höher, als wir das kommuniziert haben und kommunizieren.
Wir würden es nicht noch einmal machen und sagen das nicht, weil wir den Abschluss und die Erfahrungen nicht wertvoll finden oder nichts davon haben. Wir würden heute unsere Grenzen nicht mehr so weit übergehen. Nicht so und nicht nur für eine Chance auf etwas, das man uns strukturell, gesellschaftlich, manchmal auch persönlich schlicht nicht zugestehen will.

Wir haben uns in den letzten 10 Jahren in eine Lebensrealität eingefunden, die voller Zwänge und Barrieren ist, die aufzuzeigen, zu erklären und zu diskutieren einen großen Teil unserer Arbeit ausmacht. Dass wir nicht aufgeben ist viel. Dass wir uns selbst darin Raum nehmen und gestalten noch viel mehr. Wir wollen dafür kein Lob, wollen keinen Orden für Durchhalten trotz allem am güldenen Band.
Es ist leben. Unser Leben. Es ist nichts besonderes, sondern etwas normales. Das ist in uns angekommen und zu einer stabilen Ressource gworden. Es geht nicht mehr um Leben oder Tod, es geht um das Leben und wie wir es er_leben wollen.

Wir sind nicht mehr die außerordentliche Betreute, von der man so mega viel lernen kann, dass man sich klemmt, beim Chef um angemessene Fortbildungen zu kämpfen. Wir sind nicht mehr der skurrile Fall, der irgendwie unterhaltsam und inspirierend zugleich ist, so dass man die Realität der Not dahinter gar nicht an sich ranlässt. Vor 10 Jahren waren das die Gründe, weshalb Menschen mit uns zu tun hatten. Sie haben uns betreut, sie haben unser Leben verwaltet, sie haben uns gerettet und manche haben uns deshalb ausgenutzt.
Heute werden wir respektiert, gemocht, geachtet und geliebt von jemandem, der das gar nicht muss.
Heute werden wir um Einschätzungen zu für Traumaüb.erlebende und ihre Behandler_innen relevanten Themen gefragt. Werden als Autorin geschätzt und werden für Analysen, die noch vor einigen Jahren als (zu) hochgeistige Vermeidungstendenzen nicht einmal angehört wurden, gelobt, belohnt und gezielt angefragt. Wir sind stolz auf unsere Arbeit und lassen uns das nicht mehr pathologisieren.

Der letzte Punkt ist der Name. Wir heißen nun anders und spüren, dass damit ein neuer Abschnitt beginnt. Es ist ein zweiter Ausstieg, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Wir gehen seit der Namensänderung durch Prozesse, die vorher nicht möglich waren, fühlen uns okayer als je zuvor. Nicht alles wird einfach werden, schon jetzt zeichnet sich auch viel Schmerz und Trauer ab, doch wir fühlen uns auch stark und sicher genug, dem begegnen zu können.

Zum Abschluss dieses Textes, vielleicht das, was mir für andere Viele, die es bis hierhin zu lesen geschafft haben, wichtig ist. 10 Jahre sind eine lange Zeit. 10 Jahre sind für manche Innens ihr ganzes Leben. Wie viele Prozesse und Ereignisse in 10 Jahre passen, hat mir dieser Text deutlich aufgezeigt und wieder eine Idee zu den inneren Kosmen der Kinderinnens und jugendlichen Innens gegeben. Sie tragen so unfassbar viel unserer Leben, wenn sie 10 sind. Oder 5. Oder 13. Sie sind mehr als ein Speicher, mehr als eine Datenbank, eine Sedimentschicht von allem, was uns ausmacht.
Eine Angabe von Jahren – auch über die Jahre, in denen man therapeutisch daran arbeitet, die erfahrenen Traumatisierungen zu erinnern und/oder zu verarbeiten – ist der Versuch, etwas einzugrenzen, was in sich keine Grenzen kennt. Nämlich Prozess. Entwicklung.

Wir möchten hier keine 10 Jahre Erfolgsgeschichte präsentieren. Sondern die Erfolge, die wir in den letzten 10 Jahren hatten. Aus Gründen. Einer davon ist, dass wir das im Moment für uns brauchen.
Es wird dir, euch, in 10 Jahren vielleicht ähnlich gut bis besser gehen. Vielleicht auch nicht. Aber Prozesse, Entwicklungen wird es gegeben haben und darum geht es in dieser Rückblende.
Prozess spüren, um ihm im Alltag mehr und mehr zu vertrauen.
Denn neben allem was war, ob es schlecht war oder nicht, wird es immer Prozess in dir, in euch, gegeben haben und vielleicht ist das etwas, das als Wissen Platz bei dir, bei euch, bekommen darf und zu einer Kraftquelle werden kann.

2016

Dieses Jahr hatte drei grobe Phasen.
Durchhalten, Aushalten, Festhalten.

Dazwischen gab es unzählbar viele Momente des Fragilen und Wundersamen.
Und der Momente, in denen wir Stärken berührt haben und sie als innere Konsistenzen verstanden.

2016 war ein Jahr, in dem viele Selbstverständlichkeiten auf den Prüfstand kamen.
Während wir unsere Entscheidung weiter am Leben zu bleiben von einem Klinikaufenthalt abhängig machten, verlieren jeden Tag tausende ihr Leben auf der Flucht vor Krieg oder Hunger.
Ein Apfel-Birne-Bezug und doch.
Es geht um nichts weniger als das Leben.

Es wurde weniger selbstverständlich für uns, sich wie der letzte Dreck zu fühlen.
War es früher obligatorisch um das Verstehen von Helfer_innen zu kämpfen und den Fehler bei sich zu suchen, wenn es sich nicht einstellte, eröffnete sich für uns in diesem Jahr ganz konkret die Option, es mit Menschen zu tun zu haben, die sich die eigene (berufliche) Daseinsberechtigung auf dem Rücken ihrer Klient_innen reproduzieren.
Das Thema Helfer_innengewalt wurde groß und die Unterwerfungs- und Gewaltdynamiken im therapeutischen Kontext benannt.
Natürlich ohne irgendetwas grundlegend zu verändern.
Und doch.

Für uns war das wichtig.
Wichtig um zu sehen, dass bestimmte Schwierigkeiten valide sind.
Wichtig um zu sehen, wie wenig wir von außen brauchen, um uns selbst sicher zu sein.

So starteten wir unsere Radtour an die Nordsee.
Wir zelteten in Brandschneisen, an Ackerrändern, auf Zeltplätzen. Fuhren durch einen Windpark, Naturschutzgebiete und die schönen Landschaften entlang der Ems.
Dann ging Pitti’s Gangschaltungslager unrettbar kaputt.
Wir schliefen eine Nacht auf dem Hof von Barbara und trafen Eisbär zum ersten Mal seit vielen Jahren des Emailkontaktes.
Dann kam Laura das neue Fahrrad und neue Herausforderungen, die uns fast glauben ließen, Emsdetten würde das Ende unserer Tour markieren.

Doch das Ende wurde Papenburg, wo wir NakNak* notoperieren lassen mussten, obwohl wir uns schon von ihr verabschiedet hatten.
Ihr Leben war uns nie so selbstverständlich, wie es für den Tierarzt selbstverständlich war, sie auch gegen unseren Willen zu behandeln.
Selbstverständlich war für uns, dass wir damit erneut aufgrund einer nicht von uns getroffenen Entscheidung finanziell überfordert sein würden.

Und dann kam die Unterstützung.
Wir wissen bis heute nicht, wer uns wieviel gespendet hat. Haben bis heute nicht den Dank aussprechen können, den wir aussprechen wollten.
Eure Hilfe war für uns so wenig selbstverständlich, wie überwältigend sie dann bei uns ankam.

NakNak*s Erkrankung und Genesung, auch durch unsere Fürsorge, öffnete uns Türen zu Erinnerungen und ermöglichte uns neue Einsichten.
Unsere Auseinandersetzung mit unseren Hilfe- und Unterstützungsbedarfen bekam eine Ebene dazu.
Wir entschieden uns endgültig, die Entscheidung um unser eigenes Leben bis auf weiteres auszusetzen.

Ein frischer Wind hielt bei uns Einzug.
Zufällig stellten wir unsere Ernährung um, trainierten Herz und Lunge mit täglichen Radtouren von bis zu 20 km und arbeiteten hart daran, uns in uns zu zentrieren, denn in diesem Jahr hatten wir mehrere ernsthafte Asthamanfälle.

Dann begann die Berufsausbildung und mit ihr die Phase des Festhaltens.
Wir halten uns, unsere Motivation, unsere Bereitschaft Hilfen anzunehmen.
An manchen Tagen fühlen wir uns damit einsam und ungesehen, an anderen Tagen gestört von jeder Anteilnahme daran.

In diesem Jahr haben wir uns der eigenen Rolle als früheres Opfer von Gewalt kritisch genähert und passende Abgrenzungen für uns gefunden.
Geholfen hat ein Workshop zu Täter_innenstrategien, den wir mit Claudia Fischer zusammen in Münster geben durften, die Teilnahme am MitSprache Kongress des Betroffenenrates und so ziemlich jeder Emailkontakt mit anderen Menschen, die sich in der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen früheren Opferschaft befinden.

Nachwievor hilft uns auch die Begleitung unserer Therapeutin und die unterstützende Begleitung des Begleitermenschen.
Manchmal denken wir sie beide als soziale Eltern und oft hilft uns ihr professioneller Abstand, einen Raum zu eröffnen, in den wir unsere biologischen und ideologischen Eltern stellen, um Vergleiche zu ziehen.
Eine Auseinandersetzungsform, die wir in über 15 Jahren mehr oder weniger durchgehender psychotherapeutischer Begleitung nicht gewagt haben.
Schließlich ist es selbstverständlich, dass in der Familie* bleibt, was in der Familie° passiert und keinerlei Berührung mit der Außenwelt erfährt.

Oder?

In diesem Jahr haben wir viel geschrieben, wenig fotografiert und noch weniger gezeichnet.
Verloren gegangen ist dadurch nichts und auch das ist eine der wichtigen Erfahrungen für uns aus diesem Jahr.
Wir haben konzentriert gearbeitet, weil wir es konnten.
Eine Fertigkeit, die wir unbedingt festhalten und in uns etablieren wollen. Soweit wie es möglich ist.

Nun ist der letzte Tag des Jahres 2016 und wir denken über Vorsätze und Ziele nach.

Wichtig ist uns die Struktur zu halten und eine bessere Selbstorganisation zu erreichen.
Wir haben gemerkt, wie viel besser es uns geht, wenn wir unsere Pläne ernstnehmen und achtsam mit unserer Zeit umgehen – auch wenn andere Menschen das nicht tun.

Unsere Kraft für Projekte und Alltagsbewältigung sind nicht selbstverständlich und frei für alle verfügbar.
Wir sind nicht frei verfügbar.
Das haben wir in diesem Jahr sehr bewusst wahrgenommen und wollen dieses Bewusstsein für uns bewahren..

Wir wollen in den Sommerferien 2017 unsere Radtour mit NakNak* nachholen.
Diesmal soll es jedoch direkt am Meer losgehen. Eine Idee ist eine Küstenradtour, die in den Niederlanden beginnt und so weit wie möglich in Norddeutschland endet. Eine Tour, die an der Ostsee beginnt und in Dänemark endet, ist jedoch auch attraktiv.

Wir wollen uns weiter mit Programmiersprachen und Webdesign befassen.
Vielleicht auch mal einen Workshop zum Thema Podcasting besuchen.

Der Rest sind Wünsche.
Wir wünschen uns weniger Kraftverlust an Dinge wie Hilfen- und Unterstützungsorganisation.
Wünschen uns den Mut für Körperarbeit, die über sportliche Aktivität hinaus geht.

Wir wünschen uns Möglichkeiten etwas zu geben, das jemand braucht.
Und die Möglichkeit auf Dinge zu verzichten, die uns weder nutzen noch glücklich machen.

Rückblick #2

Ein bisschen ratlos halte ich dieses triefende, durchlöchert und zerfetzte letzte Jahr in meinen Händen und merke wie mein Blick zwischen betrachten und wahr_nehmen hastige, zuweilen panische Haken schlägt.

“Wir haben viel geschafft.”, sage ich mir mechanisch. Fast wie unsere Bundesregierung. Obwohl die braune Scheiße durch Deutschlands Innenstädte quoll.
Häuser brennen. Menschen ihre Leben riskieren. Trotz der Scheiße.
Trotz all dieser braunen Scheiße.

Im Jahr 2015 sah ich das Foto vom ertrunkenen Aylan Kurdi und fing an zu weinen. Vor Scham. Vor Trauer. Vor Wut um die Ohnmacht, die Ignoranz, all die Ego’s, die um ihretwillen, die Leben von Millionen von Menschen ausliefern.
Und was habe ich getan?
Kleider gesammelt. Gespendet. Werbung gemacht. Vereine unterstützt. Und zwischendurch geheult. Weil kein einziger Tag verging und bis heute vergeht, ohne, dass sich Meldungen über weitere hundert ertrunkener Menschen im Mittelmeer mit Meldungen von brennenden Geflüchtetenunterkünften abwechseln.

Man kann nicht alle retten. Man kann sich aber dafür einsetzen, dass niemand mehr gerettet werden muss.
Denke ich.

Und wundere und erschrecke mich, wie fast hinterhältig anmutend unsere Politik jeden einzelnen Terroranschlag weiter ausnutzt, um mehr und mehr Überwachung zu legitimieren. Bereits jetzt sind wir alle in unseren Grundrechten beschnitten und vielleicht ist das die erbärmlichst mögliche Art, die das deutsche Angstvolk in Sachen “Gleichheit aller Menschen” dieses Jahr geschafft hat.
Vielleicht habe ich aber auch irgendeine gute politische Entwicklung verpasst.

Das kann sein, denn ich war beschäftigt. Mit Angst haben. Traurig und wütend sein. Mit politischem und sozialem Diskurs. Mit uns und dem neuen Wort für unser Denken. Damit, Menschen an Krisen, Not, Gewalt zu verlieren und in Zeiten der Krise, Not und Gewalt als Unterstützer_innen und Wegbegleiter_innen zu gewinnen.
Ich musste verdauen, was für eine tolle Jugendliche wir mal waren und woher sie kommt, die spontane Bereitschaft in Tränen auszubrechen, wann immer wir erfahren, dass Menschen ihre Flucht nicht überlebt haben. Wie wir.

Wir haben uns getraut an der Musik- und Kunstschule ein Vorstudium anzufangen. Und es auf das eine Fach zu reduzieren, das für uns am barrierenärmsten ist. “Inklusion – ja aber…”, ist ein Satzanfang von dort und vielleicht haben mir wenige Umfelder, in denen wir uns 2015 bewegt haben, die furchtbar selbstverständlich hingenommene kognitive Dissonanz, Unwissenheit und Ignoranz der sogenannten “Mitte der Gesellschaft” krasser aufgezeigt als dieses.

Neben dem Umstand einfach nicht zu diesem Teil der Gesellschaft dazu zugehören. Auch wenn diese Menschen mit Nachdruck in der Stimme sagen: “Ja aber du bist doch hier! Bist du denn jetzt ausgeschlossen?” und damit eine Art Mimikry an mir veranstalten, die ihnen abgrundtief peinlich wäre, wäre ihnen klar, was sie da tun.

“Arme dumme privilegierte Arschnasen.”, habe ich oft gedacht in diesem Jahr. Immer dann wenn jemand meinte, es wäre nötig gendersensible Sprache und Umgangsformen lächerlich zu machen. Immer dann, wenn jemand meinte empowernde Initiativen von diskriminierten und minorisierten Personen(gruppen) untergraben zu dürfen.
Vielleicht mache ich das auch weiterhin. Bis mir eine Alternative einfällt, die nicht idealistisch aber sinnlos ist.

Stichwort Idealismus.
Fiel nach dem ersten Austausch- und Vernetzungstreffen zum Nachwachshaus. Interessant, wie man zu solchen Rückmeldungen kommt. Dann irgendwann.
Lustig, wie Menschen vergessen, dass Idealismus ist, was wir als eine der positiven Ressourcen unbegrenzt für dieses Projekt haben.
Während andere Ressourcen nachwievor unmöglich zu erschließen sind. Vermutlich auch noch länger.

Auch wenn unsere Langzeithaterin und sicher auch andere Menschen denken, wir bekämen ja “dauernd was zugesteckt” und “wir uns ja auch jederzeit weiter durchschnorren können”, haben wir 2015 über mehrere Monate von <100€  gelebt. Weil das war, was übrig blieb von diesem “viel zu aktiv für unsere Krankheit” sein.
”Fuck you, du dumme kleingeistige Arschwarze.” hab ich irgendwann gedacht. Und merke selbst jetzt im Niederschreiben des Gedanken, wie schal der Geschmack von Beleidigungen am Ende ist.

Unsere Arbeitsgruppe gibt es aber. Immer noch. Trotz allem. Und wir haben viel geschafft.
Und Raul hat uns ermutigt. Das macht mich froh und lässt uns hoffen, 2016 noch mehr Idealist_innen zu treffen, die mitarbeiten wollen.
Wir haben sogar ne Webseite. Hust.

Apropos Webseite.
Das Blog von Vielen.  Wir wollten die 1000 Artikel in diesem Jahr schaffen.
Sind dann leider suizidal gewesen. Und irgendwie geblieben. Viele Worte gabs da nicht mehr. Am Ende gar keine mehr.
Suizid ist eine Wahl. Das ist auch der Titel des am meisten aufgerufenen Artikels in diesem Jahr.

Wir haben uns für das Leben entschieden. Das weiter, aber nicht ohne Unterschied zu vorher, leben. So lange bis wir nichts mehr lernen wollen oder gelernt haben, warum wir nur verlieren können. Win-Win könnte man sagen.

Das Podcast ist auch ein Win. Aber darüber wollen wir nicht schreiben. Wir möchten niemandem weh tun. Nicht mehr jedenfalls.
Als schon passiert.

Ein anderes Win waren die Handvoll Artikel, die wir bei der Mädchenmannschaft veröffentlichen durften.
Die zart anklopfenden Emails, die ihre warmen Wogen um unser Herz fließen lassen und die wir beantworten durften.
Wie wir es geschafft haben. Und schaffen.
Die Gespräche beim Inklusionscamp. Bei allen Tagungen, Konferenzen, Veranstaltungen, Versammlungen und Treffen, denen wir in diesem Jahr beiwohnen durften. Als Speakerin, als Teilnehmende, als Teilgebende. Als Fremde. Als Hannah.
Als wir.

Nun rappelt und zappelt 2016 in seinem Versteck vor sich hin.
Darüber schreibe ich später.

Rückblick #1

das sind unsere beliebtesten Instagramfotos von 2015

therosenblatts_full
– eine Schnecke am Bordstein des Weges, den wir fast jeden Tag mit NakNak* entlang laufen
– eine flauschige Hummel, auf einer flauschigen Blume, an einem flauschigen Tag
– ein Sonnenuntergang mit Wald an den Füßen
– ein Grashalm mit Sonnenuntergang im Rahmen
– der kleine Vogel aus der Inktoberchallenge
– der See in Berlin, den wir mit Renèe besucht hatten, nachdem wir uns für einen Sonnenaufgang über der Stadt um halb 5 aus dem Bett gehievt haben
– ein Frühlingsmorgen im Wald
– ein Sonnenuntergang mit Feuergluthimmel
– ein Pollenkonstrukt vom Wegesrand

und das sind die Instagramfotos, die uns 2015 am meisten gefallen haben


– der Blick auf die Uhr am Abend nach dem ersten Austausch- und Vernetzungstreffen der Arbeitsgruppe „das Nachwachshaus“
– ein Handyfoto von einem der ersten Fotokurse am Anfang des Vorstudiums an der Kunstschule
– ein Foto einer „Jungfer im Grünen“ nach einem Regenguss
– ein einzelne Tropfen auf einem blauem Blütenblatt
– Tropfen auf einem Gewächs mit knallgelben Blättern und knallroten Ästen
– eine Nachaufnahme vom „Haus“ der größten Weinbergschnecke, die je unseren Waldweg gekreuzt hat
– ein Herzblatt auf Schaum – in Bremen – was für eine Geschichte hinter diesem Foto ^^
– eine Feder, in unserem liebsten Rosenbusch der Nachbarschaft
– der Hundenüschel mit dem weichsten Flauschflaum der Welt unter der Nase

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Es ist die Zeit im Jahr, in der viel zurück und vor die eigenen Füße geschaut wird.
So drehe auch ich mich um und schaue durch die Finger vor meinen Augen.

2014 hat mich aufgeschlitzt, in den Seilen hängen und ausbluten lassen.
Herzblut, Wutblut, Mutblut.
Und mein Herz, das hat sich elektrisieren lassen. Hat mich hoppelnd von Akt zu Akt getragen und kleine Blüten in den Lauf der Dinge getropft. 

Ich habe gelernt, dass Lebens- und Seinskonstellationen wie meine extrem selten sind.
Was weh tut.
Herzen zer.springen lässt.
Fakt ist.

Ich habe gelernt, dass Menschen, die das Neue und Außergewöhnliche suchen, in aller Regel die Suche nach sich selbst scheuen und Neues erst akzeptieren, wenn sie eine Wunschversion von sich selbst darin erkennen können. Möchten.

2014 war das Jahr, in dem ich lernte, dass Macht immer korrumpiert. Auch Menschen, die ich “Gemögte” nannte.

Ich habe gelernt, dass ich in meiner Art über die DIS (dissoziative Identitätsstruktur) zu sprechen, streckenweise noch sehr allein bin. Zu politisch. Zu komplex. Zu abgehoben. Zu unkonkret. Zu unopferig. Zu unprofessionell. Zu viel Internet.
Ich habe gelernt, dass es leicht ist zu sagen, dass etwas “zu …” ist, wenn man sich selbst zu gemacht hat.

Anfang 2014 traf ich Menschen, die zur Traumafachtagung “Wir sind Viele” kamen, um sich von der Diagnose überzeugen zu lassen. Menschen, die davon überzeugt waren, dass es ja gar nicht so (schlimm) sein kann, wie es geschildert wird. Menschen, die davon überzeugt sind zu wissen, wie es ist, weil sie Menschen kennen und behandeln, die ihnen sagen, wie es für sie ist.
Für mich war die Teilnahme wichtig und ich bin nachwievor dankbar um diese Eindrücke und Einsicht in diesen kleinen Teil der Auseinandersetzung mit den Folgen, die so massive und zielgerichtete Gewalt auch haben kann.
Ohne Unterstützer_Innen, die ungenannt bleiben wollen, hätte ich weder die Tagungsgebühr, noch die Übernachtung, noch die Fahrt stemmen können.  

Eigentlich ist der Mai mein Monat.
Ich feiere Lebenstag, stärke und ermutige mich. Bündle mich für den Sommer, in dem es oft viel zu entdecken und erleben gibt.

Diesen Sommer habe ich damit verbracht mein Herz zusammenzuhalten, tapfer zu bleiben und mich nicht beirren zu lassen.
Irgendwo darinnen wurden wir eine 28 Jahre alte Person. Frau mit Sonderzeichen *.

Wir fingen an zu filmen und hörten auf, unsere Fotos als eigentherapeutisches Überbleibsel zu betrachten.
Die Verjährungsfrist für eine mögliche Strafanzeige wegen der Gewalt, die mich zu vielen machte, lief ab. Der Antrag auf Opferentschädigung rückte ins Nie. SonnenuntergangWalchensee
Das zehnte Jahr Hartz 4 begann. Ich verschuldete mich und erfuhr davon erst Monate später.
Unsere Therapeutin zog mit der Praxis um und wir hielten unseren ersten Workshop zur Sprachführung über Gewalt.

Ich fotografierte am Veranstaltungsort den schönsten Sonnenuntergang in diesem Jahr und schickte ihn mit meinem letzten Datenvolumen an die Person, die mir auch in diesem Jahr ein Leuchtturm war.

Wie viel Angst wir in der Zeit ausgehalten und getragen haben, konnten wir nicht formulieren. Wozu auch.
Am Ende zählt, was bleibt und das war im September dann ein Video von unserem Vortrag zur Sprachführung über Gewalt. Ich wollte ihn untertiteln und dann fiel mir auf, dass in dem Vortrag viele Stunden schwieriger Arbeit.szeit, Fahrtkosten, ein Kongressticket und die Aufgabe meiner Unanguckbarkeit gesteckt haben, die nicht honoriert bzw. erstattet wurden.
Wer Untertitel braucht, kann mich als Referentin* in einer Veranstaltung buchen (lassen), bei der direkt übersetzt wird.

Im Oktober zog ich aus, zu erfahren, wie das Böse in mir aussieht.
Nach Ereignissen im Jahresbeginn erschien es nötig darüber Klarheit zu bekommen.
Ich zog aus das Monster im Schwarz des Inmitten von mir zu finden und fand Teenagerinnens, die mehrfach den eigenen Suizid überleben mussten. Misshandelte, gequälte, verzweifelte, sprachlose, unfassbar verletzte Seelenstückchen, für die sich niemand interessierte, der für dieses Interesse nicht auch bezahlt wurde.

Ich fand die Wut und ich sah, dass sie gut war.
Nicht verantwortlich für die Signale auf die sie entsteht.

Im November zog unsere Therapeutin erneut um und wir bereiteten uns auf unseren ersten Vortrag zu ritueller Gewalt und einzelnen Punkten des Ausstiegs aus zielgerichteter Gewalt durch Personengruppen vor.
Inzwischen liegt eine vernünftige Aufzeichnung dazu vor. Die Kraft und der Mut, sich den Rückmeldungen derer zu stellen, die sich mit dem Thema aus einer anderen Perspektive als meiner befassen, nicht.
2014 ist das Jahr, in dem ich und mein komplett selbst hochgewuchtetes Tun mehr bewertet und beguckt wurde, als Haut über empfindlichen Stellen nachwachsen konnte.

Als Belohnung fürs Durch- und Aushalten fuhren wir 3 Tage nach Berlin.
Besuchten Menschen und Herzen. Erinnerten uns an die Relevanz dessen, was “Freiheit” heißt. Lernten, dass Kinder Übungs- und Gewöhnungssache sind. Erkannten, dass Berlin Mitte ein Stadtteil ist, in dem Todes.Angst und Bedrohung zum Lebensgefühl gehört, wie bei uns das provinzielle Flair, das denkt es sei von Welt.
Wir besuchten ein Konzert und betrauerten den leeren Platz neben uns genauso wie das klaffende Loch, das Gemochte und Gemögte Monate wie Jahre vorher in uns hineingerissen haben.

Kurz darauf kam die Möglichkeit den Zukunftskongress “Inklusion 2025” zu besuchen.
Es entstand der erste Artikel, der komplett gesponsert wurde und doch typisch Rosenblatt war, so wie der längste Artikel des Blog von Vielen.
Diese Tage waren rückblickend betrachtet das letzte Aufglühen.
Ein bisschen der letzte Versuch zu hören: Es gibt auch für dich Zukunft. Autonomie. Einen Platz in diesem System. In dieser Welt.

Ich habe gelernt, dass Inklusion für viele Menschen ein Geschäftszweig ist. Eine Art sich selbst und sein Agieren zu labeln. Ich habe gelernt, dass ich von Menschen, die selbst nicht behindert werden, nichts erwarten darf, ohne Verletzungen zu erleben, die nicht bewortbar sind, ohne Egos zu verletzen und Macht zu thematisieren.

Was mir in 2014 passiert ist, war das Moment, in dem ich deutlich wie nie zuvor gespürt habe, dass meine Zeit abgelaufen ist. Dass meine Zeit von Hilfen, wie ich sie brauche, vorbei ist.
Irgendwie bin ich zu einer Frau Rosenblatt geworden, die schon alles geschafft hat. Die ihren Weg schon gehen wird. Die schon irgendwie zurecht kommen wird. Die ein Netzwerkmensch, eine Macherin ist. Eine Frau Rosenblatt, die immer will und niemals braucht.

Ich habe gelernt, dass ich meine Bedürftigkeit ver.substantivieren muss und nicht kann.

Ich habe verstanden, dass Content im Internet kurz und heftig sein muss, um geteilt und gelesen zu werden und das einfach nicht meine Art Inhalte zu produzieren ist.
Jetzt in dieser Schwebezeit des Jahres komme ich an die Erkenntnis, dass wir im ganzen Jahr 2014 immer das Beste getan haben, was wir konnten. Immer das Beste von dem gegeben haben, was wir geben konnten.

“Ich bin auch noch da, wenn alle anderen weg sind”, ist der Satz dazu, der langsam beginnt, mich zu beruhigen und zu stärken.

Ich möchte vieles und ein paar Jemande in diesem Jahr zurücklassen.
Liegen, fallen, stehen lassen.

Sie und es nicht mittragen, wenn ich mich nach vorn drehe.