Schale

Ich fühle mich geschält. Wie diese Kartoffeln im Glas, nur dass der Zug, in dem ich sitze, das Glas ist und in kein Supermarktregal passen würde. Aber ich. Ich fühle mich so klein geschält, dass ich froh bin um diese große Hülle. Es ist Dienstagabend, reichlich spät, denn wieder hat mein Zuganschluss in Minden nicht geklappt. Wieder warten wir im Dunkeln, im Kalten, im Alleinen zwischen zwei Welten und sind dabei selbst weder fest noch flüssig.

NakNak* atmet auf meinen Schoß, in ihrem Fell wuseln die Anderen wie Flöhe auf der Suche nach Nähe, Wärme, Halt. Alles ist schwer, sogar an meinen Wimpern hängen Senklote.
Als wir aus dem vorletzten Zug aussteigen wollen, spricht mich eine Person an. Ich reagiere nicht, bin verzehrfertige Kartoffel-klein. Denke, soll er sich große Leute suchen, um zu sprechen. Er winkt mir zu, tritt näher an mich heran. Ich höre zu. Dann doch. Weil ich mich ohne Schale einfach nicht abgrenzen kann. Und weil ich keine Kraft mehr habe. Für Widerspruch, für meine eigenen Grenzen, für nichts und niemanden. „Wobei würde der Hund denn assistieren?“ fragt die Person und ich höre wieder weg. Dafür – für all das, was an dieser Situation falsch ist – habe ich erst recht keine Kraft. „Das ist eine extrem private Frage.“. Sagt eine andere. Dann hält der Zug und wir steigen aus.

Es ist kalt. Es ist dunkel. Ich bin allein.
Und trotzdem gibt es Dinge, die total privat sind.
Und eine andere, die noch eine Schale hat. Oder ist.

29

Heute gab es die Frage, wie man es geschafft hat, sich von Täter_innen zu distanzieren.
Ich hab überlegt, ob wir das haben. Und wenn ja, wie.

Wenn es keinen Tag im Leben gibt, in denen diese Leute nicht irgendwie Thema sind – ist dann da Distanz? Irgendwie nicht. Aber irgendwie doch. Denn es geht nie um die Leute, sondern um die Folgen ihres Handelns an uns und deren Auswirkungen auf unser Leben.
Speziell, wenn es um die Herkunftsfamilie geht, geht es vor allem um diese Distanz. Aber schafft das Sprechen über den Wunsch nach Distanz nicht irgendwie auch Nähe? In der Herkunftsfamilie wird sicher nicht jeden Tag über uns und unsere Abwesenheit gesprochen, wohl aber (Achtung jetzt kommt eine Homeproduction aus unserem Hirnkino) werden wir oft als schlechtes Beispiel und Quelle verschiedenster Ungemache beschrieben, wann immer nötig oder schlicht hilfreich.
Wir sind für sie das böse, kranke, fehlgeleitete Mädchen, das wir mit 15/16 sein mussten und werden sicher niemals die erwachsene, weitgehend selbstbestimmte und völlig okaye Person sein, die wir sind.
Gleichzeitig sind die Eltern und Geschwister für uns auch nie gealtert. Wir wissen absolut nichts über sie, haben sie nie anders als denn als Jugendliche_r erlebt.
Das ist doch auch unglaublich viel Distanz.

Ich glaube als Person, die Gewalt in einer Familie oder Partner_innenschaft erlebt, beginnt die Distanzierung oft mit der Erkenntnis, dass etwas schief läuft und, dass eigene Erwartungen regelmäßig enttäuscht werden.
Besonders das ist wichtig für uns gewesen. Erwartungen, die enttäuscht werden.
Denn es ist ja so: verletzt zu werden, passiert. Es ist die Rahmung, die das Bewusstsein und die persönliche Einordnung fördert oder hemmt. Wer verletzt wird und das als logische Konsequenz, g’ttlichen Willen oder natürliche Ordnung erklärt bekommt, muss mit viel mehr von der Welt und dem eigenen Bild davon hadern, als jemand die_r weiß: „Ich wurde verletzt, weil jemand sich dazu entschieden hat, mich zu verletzen.“
Und das ist das Problem. Viele Gewalt.üb.erlebende hadern mit der ganzen Welt und sich selbst als Teil davon, weil sie sich als festen Bestandteil dessen einordnen, was da irgendwie schräg ist. Die Ordnung und damit die Macht bleibt bei denen, die die Gewalt ausüben – um diese Menschen werden feste Grenzen gezogen. Sie werden sowohl als Versuch der Kontrolle über die Gewalt zu erlangen (z.B. durch ständiges Hervorheben von ihren Eigenschaften, Triggerpunkten und Wünschen), als auch als allgemeiner (im Fall von Kindern und Jugendlichen lebenswichtiger) sozialer Bezugspunkt der Macht, quasi ins Leben zementiert.

Es gibt auch Täter_innen, die das gezielt abverlangen und Täter_innen, die erst im Laufe der Gewaltbeziehung verstehen und ausnutzen, dass das passiert. In jedem Fall aber passiert es und für ihre Opfer gibt es nur schmerzhafte Wege da heraus. – Obwohl der Weg da hinein auch schon schmerzhaft war. Das ist die erste enttäuschte Erwartung gewesen, die man sich bewusst machen muss, aber oft nicht kann. Besonders nicht, wenn man als Kind von den eigenen Eltern verletzt wurde. Kinder haben keine andere Wahl, als zu erwarten oder entlang der Erwartung aufzuwachsen, dass sie nicht verletzt werden, weil das jemand so will und sich dafür entscheidet, das zu tun.
So funktionieren wir Menschen. Wir erwarten nicht verletzt zu werden, wenn wir es mit Lebewesen zu tun haben, denen Verletzungen auf die gleiche Art weh tun, wie uns. Das ist eine unglaublich wertvolle Erwartung und sie ist grundgut. Vielleicht der beste Teil an Menschlichkeit, denn darin liegt doch etwas, das ganz wunderbar ist: die Möglichkeit, dass Menschen alle miteinander gut sein könnten, wenn sie wollten.

Wir haben als Jugendliche_r ein Leben gelebt, in dem wir nicht wussten, dass unsere Grundannahmen von zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation auf autistischer wie dissoziierter Selbst- und Umweltwahrnehmung fußen. Wir wurden ständig enttäuscht. Freund_innen waren eigentlich keine Freund_innen; Was uns gefiel, was wir für wichtig hielten, das war irgendwie nie richtig mit.teilbar. Zeit und Raum, sozialer Kontext, das eigene Wünschen, Wollen und Werden – nichts, aber auch gar nichts davon war für uns  sicher vorhersehbar, erklärbar, kontrollierbar und mit am schlimmsten: irgendwie auch nie „unsers“, aber immer in unserer Verantwortung.

Die Distanz mit der wir in der Herkunftsfamilie gelebt haben, war immer schon groß und sie hat sich in der Pubertät vermutlich einfach nur in einer weiteren Facette gezeigt. Wir haben uns für den Suizid entschieden und das war die Art von Distanz, die für uns nur logisch war. „Alles ist falsch, alles ist schlecht, krank, nicht okay und dann kann man es noch nicht einmal verstehen, weil von allen Seiten unterschiedliche Impulse und Zwänge auf uns einwirken, die in alle Richtungen widersprüchlich sind.“ Uns ist damals der Bezugspunkt verloren gegangen und wir haben auch noch lange danach keine solche Bezüge hergestellt.

Ich erzähle das deshalb, weil ich glaube, dass man sich klar machen muss, wozu oder auch worin man Distanz zu Täter_innen einnehmen möchte.
Wir wollten Distanz zum Unaushaltbaren – das wir in unserem Amlebensein verortet haben und nicht in dem, was uns von anderen Menschen angetan wurde. Für uns war es entsprechend gar nicht so der krasse Akt von der Familie wegzugehen (es war ein krasser Akt – aber eben doch keiner, der mit Tränen, Schuldgefühlen oder schwerer Last auf dem Herzen verbunden war, sondern eher vom Willen getragen bitte nicht so zu sterben, wie es sich damals für uns abzeichnete).
Uns war klar, dass wir bald sterben würden und keine Kontrolle darüber haben würden, würden wir da bleiben. Keine Ahnung, wo das Entitlement zum selbstbestimmten Sterben in der Situation herkam, aber es war da und es hat uns ironischerweise das Leben gerettet. Und es ist die maximale Distanz, die man einnehmen kann ohne irgendetwas zu fordern oder zu wünschen. Man erwartet nur noch das Ende und wenn diese Erwartung enttäuscht wird, dann lebt man weiter, was durch den instinktiven Überlebenstrieb dann gar nicht mal so eine schlimme Enttäuschung ist.

Und ganz ehrlich: Insgesamt nicht ansatzweise so sehr weh tut, wie die Enttäuschung über Eltern, die sich dazu entschieden haben zu verletzen und obendrauf keinerlei Bewusstsein für die Tiefe und die Auswirkungen dafür haben bzw. zeigen.
Und die Enttäuschung der Hoffnung, dass sich das durch irgendetwas verändert, was man selbst tut.
Und die Enttäuschung, dass es Dinge auf der Welt gibt, die so sind. So unveränderbar, so schmerzhaft, so – weit weg vom eigenen Kontrollbereich, obwohl sie doch so nah gehen.

Ich glaube, weil wir uns dieser Enttäuschungen heute bewusst sind, können wir die Distanz einnehmen, aufrecht- aber auch aus_halten, die es braucht, um weitere Verletzungen an uns zu verhindern.
Wir haben eine okaye Routine um Gefühle, die damit zu tun haben, können uns selbst viel erklären und rahmen, was wir fühlen und denken und was Kinder- und jugendliche Innens fühlen und denken – wir können heute ganz andere Erwartungen an uns und die Umwelt entwickeln und ganz unterschiedliche Distanzbedarfe erforschen.
Und auch beobachten, was sich daraus so ergibt.

Aus manchen Distanzbedarfen ergibt sich eine Vermeidungsdynamik, aus anderen wiederum ein Weg in die Gewalt zurück, zum Beispiel wenn Kinderinnens denken, es wäre wichtig, nochmal zu versuchen, sich mit den Eltern lieb zu machen. Daraus ergeben sich Anlässe zu innerem Kontakt, woraus wieder Zugang zu Erinnerungen wird, woraus wieder etwas werden kann, das hilft zu verstehen, was da passiert ist.

Das ist Prozess. Entwicklung.
Wir wollen Prozess. Das ist eine der aktuellen Erwartungen an uns selbst in diesem Leben.
Prozessieren, Verstehen – und dann gucken, was sich daraus entwickelt, was zu prozessieren ist… was verstanden werden muss …
Da wollten wir nicht unbedingt hin und das ist auch nicht der Grund, der uns Kraft für alles gibt, aber es ist nah an uns dran und da wollten wir auf jeden Fall hin.

Unterstützung

Wir brauchen keine Unterstützung.
Aber wenn es welche gibt, wird vieles einfacher.

Zwei Sätze. Ganz einfach. So klar. Der Kampf um sie ging über Jahre und viele davon sind im Blog von Vielen dokumentiert. Heute sind sie eine der wichtigsten Säulen in unserem Leben.

Für viele Viele ist die Wahrnehmung der eigenen Begrenzungen mit Todesangst und also auch mit Dissoziation besetzt, weil sie wie wir in einem Klima aufgewachsen sind, in dem etwas nicht zu können, etwas nicht genügend zu schaffen oder bestimmte Fähigkeiten nicht rechtzeitig, gut, schnell, lieb … genug abrufen zu können mit akuter Gefahr für Leib und Leben verbunden war. Und für manche, die nachwievor in gewaltvollen Kontexten leben müssen, noch immer ist.

Bis heute können wir nicht gut mit Hilfe und Hilfsangeboten umgehen.
Denn Hilfe nimmt uns etwas weg. Wir haben psychiatrische und andere klinische Angebote als “Hilfsangebote” präsentiert bekommen, haben Betreuungen als Hilfen kennengelernt. Immer mussten wir dabei auf Dinge verzichten, die uns als Individuum, als Person mit angeblich unantastbarer Würde, Schutz und damit auch Kontakt zu uns selbst hätten gewähren können.
Ein Umstand, der uns als komplex traumatisierte Person immer wieder retraumatisiert hat, denn kein Schutz ist kein Schutz und keinen Schutz zu haben, bedeutet immer Gefahr – egal, ob diese real potenziell tödlich ist oder nur als solche wahrgenommen wird.

Wir haben uns in unserem Leben immer am Besten selbst helfen können. Wir haben uns gerettet, wir haben uns geschützt – zum Einen, weil es niemand für uns getan hat und zum Anderen, weil das, was wir an uns schützen, etwas ist, das so tief ins Menschsein hineingeschrieben ist, dass es im Grunde kaum bewortbar ist, geschweige denn sichtbar gemacht werden kann.

In den Extremen, die wir überlebt haben war das wichtig. Und auch in den Mittelmäßigkeiten, den alltäglichen Einerleiigkeiten bleibt das wichtig. Denn die Erfahrung ist da. Sie ist uns in das Innen gepresst, wie die Erfahrung, dass Wasser nass und Eis kalt ist.

Was wir außerdem gelernt haben ist, dass zu leben hart ist.
Überleben ist in einigen Qualitäten vielleicht härter, doch wenn man lebt, dann gibt es keinen einzigen Zeitpunkt, an dem nicht alles auch von Kräften aus sich selbst zehrend ist.
Heute, mit mehr Kontakt untereinander, merken wir, an wie vielen Stellen wir an unsere absoluten Limits gehen. Wie viel wir jeden Tag von unserer gesamten Lebenskraft in alle möglichen Dinge schütten, nur, um sie überhaupt machen zu können.

In unserem Leben haben wir das Glück und die Privilegien, von Menschen umgeben zu sein, die uns nicht helfen wollen. Die verstehen, warum wir das nicht wollen und sich selbst so weit reflektieren können, warum das überhaupt insgesamt immer auch eine Gefahr für Menschen darstellen kann. Selbst dann, wenn es ganz lieb gemeint ist.

Wir bekommen Unterstützung von ihnen. Manchmal, weil wir darum bitten, meistens, weil sie uns welche anbieten, ohne je Bedingungen daran geknüpft zu haben.
Das ist eine krasse Erfahrung für uns gewesen, als wir zum ersten Mal damit konfrontiert waren.
Dass man uns hat machen lassen und bei Bedarf, oder der Annahme von einem solchen, so unterstützt hat, dass wir auch weiterhin alleine weitermachen können.
Heute bedeutet uns Unterstützung die Kommunikation von Respekt. Respekt für das, was wir tun und wie wir das tun. Auch, warum wir tun, was wir tun. Es ist unsere Sache und trotz des Umstandes, dass wir unsere Dinge durch Unterstützung tun, bleibt sie das auch.
Was für eine große Sache das ist, können wir kaum kommunizieren, denn nachwievor berührt es die Wunde um das, was die Gewalterfahrungen neben vielen anderen Dingen angefasst haben: das Eigene, das niemals angefasst werden darf.

Ich habe diesen Text geschrieben, um aufzuzeigen, was uns Unterstützung bedeutet.
Auch finanzielle Unterstützung für unsere Projekte.
Ja, wir können ohne Geld von anderen Menschen bloggen. Ja, wir können auch ohne Geld das Podcast machen. Ja, wir können all die Verantwortung, die mit unseren Veröffentlichungen einhergehen, allein tragen.
Aber es ist leichter, wenn wir unterstützt werden.
Wenn es leichter ist, macht es mehr Spaß.
Wenn es leichter ist, ist es freier, sind wir freier.

Das Blog von Vielen wird im Moment von 2.433 Menschen verfolgt.
Das sind enorm viele Menschen, selbst dann, wenn die Hälfte das Abo vielleicht schon vergessen hat, ein Drittel nur dann und wann mal reinschaut, und nur 1 Prozent regelmäßig liest.
Es ist Öffentlichkeit. Eine kleine vielleicht im Vergleich zu der anderer Blogger_innen mit anderen, vielleicht eher anschlussfähigen Themen, aber eine große für uns, die sich anders als andere Personen eben nicht so öffentlich zeigen können und wollen, wie man das in der allgemeinen Verwertungslogik von Öffentlichkeit so tut.

Wir wollen diese Öffentlichkeit nutzen. Für unsere Themen, für die Verbreitung von Wissen über die Folgen komplexer Traumatisierung in den Leben der Überlebenden, für einen Beitrag zur Weiter_Entwicklung einer politischen Bewegung der traumatisierten, diskriminierten und ausgebeuteten Menschen in unserer Gesellschaft.

Dabei könnt nur auch ihr uns unterstützen.
Klickt euch ein Unterstützer_innenpaket auf Steady für das Blog von Vielen oder das Podcast “Viele-Sein”.
Die Einnahmen fließen in die technische Infrastruktur, in die Erstattung von Reisekosten für Interviews, die Produktion von Grafiken, kleinere Printprojekte wie Zines, die Deckung von Fahrt- und Unterbringungskosten zu Vorträgen, Workshops und Lesungen …
und irgendwann – eventuell vielleicht – auch mal in einen Bonbon für unsere Arbeitszeit, aber auch die von Renée und Christiane, mit denen wir Formate des Podcast zusammen machen, und Judith, die uns die Podcastfolgen nach und nach transkribiert.

Das Blog von Vielen wird immer kostenlos lesbar sein.
Aber wir möchten vom Schreiben und unseren Schriften leben können. Das geht in dieser unserer Zeit, unserer Gesellschaft und auch in unserer persönlichen Lebenssituation nicht anders als mit einem Preisschild an unserer Arbeit. Ihr könnt wählen, ob ihr uns in der Form unter die Arme greifen möchtet, oder nicht.

Das ist die Unterstützung, die wir annehmen können und wollen.
Sie macht uns freier und damit auch unsere Arbeit besser.

Vielen Dank

Fundstücke #73

WhatsApp auf, “Entschuldige dich, Arschloch”, löschen, schließen. Augen zu. Atmen. Zittern. Vor Angst vor Wut vor dem Kontrollverlust, den ich entlang meiner Knochen von mir weggieße. Heiß glühend, weiß, bis alles wieder starr und steif ist.  Ich schließe die Tür zu meinem Büro, kühle mich mit Tränen ab, die hinter meinen Augen bleiben.

“Andererseits – für so einen kleinen Zettel mal eben 200€ kriegen. Andere arbeiten dafür einen halben Tag.” Wichser Arschloch verpiss dich aus meinem Leben Was bist du für ne miese Sau ich box dir die Fresse weich

Ich bin geblieben. Kontrolliert. Sachlich. Konnte nicht deutlicher sagen, dass es nicht vergleichbar ist. Weil: offensichtlich war es das ja doch. Einen Folgeantrag an den Fonds sexueller Missbrauch zu schreiben und ein halber Arbeitstag. Fuck you shithead. Fuck you very much. Du hast keine Ahnung.

Du hast sowas von keine Ahnung.

 

 

Und warum hab ich überhaupt was davon gesagt.

Fundstücke #72

Woche 8 nach dem Umzug, ich durchsuche die Kartons auf denen “Unterlagen” steht. In Niedersachsen braucht es einen Sachkundenachweis, ich habe den bereits erbracht. Vor 11 Jahren oder so, bei einem Tierarzt, den ich zuletzt vor … hm … 5 Jahren aufgesucht habe?
In der Praxis findet man mich nicht mehr, sie können mir den Beweiszettel nicht nochmal zukommen lassen. Uff.

Aber ey – 11 Jahre, wer hebt schon 11 Jahre irgendwelche Quatschzettel auf? – sprachs und wühlte sich durch bald 20 Jahre alte Klinik- und Jugendhilfeberichte la li la

Zwei Boxen fallen mir in die Hände. Die eine voller Kleinigkeiten mit dem alten Namen drauf. Schülerausweis, Schwebi-Ausweis, ein Stück von dem Handtuch. Mir kommt es vor wie ein creepy Totenschrein, aber ich weiß auch, dass es das nicht ist. Irgendjemand lebt da drin, muss noch da drin bleiben. Im Dunkeln, allein, sicher vor Heute, Hier und mir. Der übliche Vieleshit, wenn man so will, aber ich bin ja grad nicht Viele. Das legt sich wie eine zweite Schutzhaut um mich drum, nichts von all diesem staubigen, grauen Schrunz kann mich wirklich anfassen.
Es ist alles wie doppelt und dreifach fern. Vor allem die zweite Box.

Hier ein Zertifikat über irgendein Handywerksdings – ach ja ach ja die Handwerksphase, dachts und fühlte wie ein erinnertes Geräusch versucht, sich durch den Kopf zu fressen. Nothing to see here la li la

Diese bescheuerte Rumgetänzel, dieses dumpfe Sichselbstverweigern dummdummdudumm du dumm dumm dumm

Ich finde den Zettel nicht, denke darüber nach, ob und wie wir weiter ausräumen, einräumen, Möbel bauen wollen. Wir. Denn da ist es eben doch. Die Wahrheit über mich. Dieses beschissene Vielesein. Ich kann mich denken hier und jetzt, aber wie ich etwas tue, das über Augen zu und lalala hinausgeht, beinhaltet die Anderen wie die Luft in meinen Lungen.
Die Anderen und ihren Scheiß.
Ihren g’ttverdammten Traumascheiß.

Traumascheiße

Es ist mittags, halb 1, ich fühle mich nach halb 1 in der Nacht.
”Das Runterkommen fühlt sich genauso scheiße an, wie das Aufrechthalten”, denke ich und beschließe, dann jetzt doch zu bloggen. Obwohl ich weiß, wer das alles liest, obwohl ich weiß, dass jede_r darauf reagiert, obwohl es nichts mit ihnen zu tun hat. Zur Zeit ist es kaum möglich, irgendetwas im weitesten Sinne “unbe(ob)achtet” zu tun, das ist so. Vielleicht hört das bald auf, vielleicht müssen wir später – mit mehr Kraft, mehr Haut, mehr Grenze – deutlich machen, dass das passiert und tief reintriggert. Wer weiß, jetzt nicht, nicht noch eine Baustelle öffnen. Obwohl und obwohl.
Jetzt ist Donnerstag. Gestern hat uns der Freund nach mehr als einer Woche voller Arzttermine, Arbeitstreffen, Festival-Workshop-Reise und Therapiestunde abgeholt. Wenn ich so darüber nachdenke, kommt mir das wie ein Traum vor. Das alles. Es war einfach so viel, so viel zu viel des Guten, Interessanten, Aufregenden, Neuen, Wichtigen. Es ist noch nicht realisiert, nicht verarbeitet. Jetzt will ich mich eingraben, fern sein, versorgt sein, schlafen, mich Gedanke um Gedanke abarbeiten, lochen, einordnen. Stempel drauf, Echtheitszertifikat drüber.
Aber.
Es fühlt sich scheiße an.
Traumascheiße.

Es ist die alte Dynamik: Alles ist aufregend, ich könnte auf einer Egowelle hoch zehn schweben, weil ich noch da bin, alles geschafft habe – nicht gestorben bin und alles immer noch da ist – doch alles Wasser steht mir am Hals und begräbt mich zuweilen unter sich. Vornehmlich dann, wenn ich allein bin. Mit meinen Gedanken, meinem Sein, mir – uns.
Und weil ich so aufgerieben bin, weil ich gerade nicht mehr so ganz richtig gut kann, ist es keine Option mehr, mit Menschen zu sein, mit jemandem zu reden, sich damit zu befassen. Niemand kann gerade etwas für mich tun, ohne, dass es meine wunden Stellen aufreibt oder mich zu sehr berührt.
Ich hasse das. Ich hasse mich, wenn ich so bin. Ich will nicht so zart, so sensibel sein. Will mich an die Wand schmeißen, damit das von mir abplatzt und meinen unzerstörbaren Kern freilegt. Meine Härte, meine Stärke – das, was unendlich hochfahren kann, ohne müde, hungrig, durstig, schmerzig zu werden.

Und während ich das so aufschreibe, denke ich, dass das einfach genau das Problem ist.
Dass mein “Hochfahren” eins ist, das meinen von Trauma und Scheiße gestählten Kern erfordert und nicht einfach so ein zwei Hautläppchen weniger, auf die man mal kurz gut verzichten kann.
Es ist einfach kein aufregendes Abenteuer, eine lange Reise mit interessantem Input und ach ja uff, ist es nicht immer irgendwie anstrengend. Es ist immer – immer noch, nach so viel Traumatherapie – sofort eine traumafunktionelle Handlung. Ein Überleben.
Sicher eins, das Spaß macht, ganz sicher eins, dem ich mich auch entziehen könnte, wenn ich das wollte. Es ist kein Gewaltwiedererleben – aber es ist nachwievor ein Wie-auch-im-Trauma-üb_Er.Leben.

Vor allem für die, die ich jetzt – immer noch – in mir schreien spüre.
Scheiße ist das.
Traumascheiße.

Jobcenter like its 2015 (and back into Hierjetztheute)

“Seit wann sind Sie denn im Leistungsbezug?”
“Seit es Hartz 4 heißt, also 2005.”
”Ouh. Das ist lange.”

Ja. Das ist lange.
Und, jetzt, wo ich mit unserem neuen Sachbearbeiter beim Jobcenter rede, kommt das alles wieder bei mir an. Auf die Umzugserschöpfung, die Anpassungsanstrengungserschöpfung, die 3 Wochen ohne gesetzliche Betreuerin und die 2 Wochen ohne Therapie-Erschöpfung, die Überforderungsgefühle, dieses Telefonat überhaupt so unvorbereitet und allein führen zu müssen, obendrauf.
Ich könnte heulen, stattdessen depersonalisiere ich. Höre jemand anderem zu, wie er für mich redet, bin zu entfernt, um irgendetwas beizutragen.

Als das Gespräch zu Ende ist, rufe ich bei der Neurologin an. Aus irgendeinem Grund denke ich, dass sie ans Telefon geht und ich an ihr abprallen kann, um in mir selbst zu landen. Quatschidee, sie ist in 15 Jahren, die wir ihr_e Patient_in sind, genau 1 Mal am Telefon gewesen, wenn wir da angerufen haben und wer weiß, wieso das so war. Etwas von mir und etwas von jemand anderem, vereinbaren einen Termin mit der Sprechstundenhilfe. Im Oktober.

Ich erlebe einen Flashback ins Jahr 2015. Wo sich so viel für uns verändert hat, aber das Jobcenter am Arsch zu haben und die Notwendigkeit von regelmäßigen Terminen bei ihr, so viel alltäglicher, normaler waren, als jetzt.
Der Tee in meiner Hand, die beiden Hundenasen, die mich anstupsen und zu weichen Flanken werden, die gestreichelt werden wollen, erden mich.
Aus der fremden Hasswut auf die Umstände, wird mein emotionales Sumpfgebiet mit Steinen aus Selbsthass, die als einzige Halt unter den Füßen bieten.

Ich bin es nicht mehr gewohnt. Diese Jobcenterscheiße. Dieses Gepule in meinem Leben, meiner Privatsphäre. Diese ständige Frage darum, ob und wenn ja in welchem Umfang, ich berechtigt bin zu leben.
Ich habe keine Haut mehr für diese spezielle Form der strukturellen Demütigung, das bürokratische Muskelspiel, das mich klein machen soll.

In den letzten 3 Jahren ist mir eine Haut gewachsen, um auch unter Zeitdruck kreativ zu bleiben, um inmitten von Leuten, die helfen wollen, diejenige zu bleiben, die sich effektiv auch helfen kann. Ich habe Schulausbildungshaut, Zuhausearbeitenhaut, Schriftsteller_innenhaut, ein bisschen Buchbinder_innenhaut, Hobbyfotograf_innenhaut. Haut, die mich als Subjekt umschließt, schützt und stärkt.
Für den Umgang mit mir als Objekt ist da nachwievor nur meine Traumahaut und davon habe ich in den letzten Jahren viel zu viel abgebaut, um das jetzt hier ohne Schmerz, – Leid – , zu empfinden.

Daneben zeichnet sich schon jetzt ab, dass es wird wie immer.
Wir sind widersprüchlich, falsch behindert, können nicht so, wie es der Arbeitsmarkt will.
Medizinische Gutachten folgen auf psychologische Gutachten, es gibt einen weiteren Zettel auf dem steht, was auf den Zetteln von 2005 bis 2015 schon steht: 70% schwerbehindert, Merkmal B, dissoziative Krampfanfälle, DIS, Ängste und Depressionen gemischt,( ASS wird dann neu da stehen), nicht arbeitsfähig.
Obwohl wir arbeiten. Obwohl wir wirklich hart arbeiten und tun und machen.

Ich selbst muss diesen Widerspruch nie aushalten. Ich lebe ihn und ich denke manchmal, dass die DIS dabei sehr hilft. Ich merke meine Arbeitsunfähigkeiten nicht, wie ich meine Arbeitsfähigkeit merke. Ich arbeite meine Sachen ab, bin zu Hause, mache meinen Kram, bereite mich vor auf Arbeiten, die außerhalb von zu Hause sind – kann mich in unseren Kosmos hineinspalten und stückeln, solange niemand konstante Verfügbarkeit von mir erwartet.
Das zu erklären ist so schwierig.

Vor allem, weil ja selbst die Erklärung in einen Rahmen passen muss, wo sie überhaupt nicht reinpassen kann.
Ich muss einerseits sagen: “Hey, ich kann nicht in die 10km entfernte Jobcenter-Filiale kommen, weil ich noch keine Assistenz habe.” und andererseits: “Hey ich bin im Oktober für eine Woche allein in Wien, um aus meinem Buch zu lesen und mir Dinge anzugucken.”

Muss sagen, dass ich es nicht schaffen kann, jeden Tag 3, 4 oder 8 Stunden zu arbeiten, während ich jede Woche eine Podcastepisode produziere, was mindestens 3 Mal 8 Stunden in der Woche sind. Während ich an Buchprojekten arbeite, Buchbindeunterricht habe, meine Kunst mache und meine Ehrenämter bespiele.

Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich etwas nicht schaffe oder kann.
Es ist auch nicht so, dass mir nicht selbst auffällt, wie viel wir eben doch schaffen.

Es ist eben einfach so widersprüchlich, nicht linear, anders.
So bin ich, so ist mein Leben, so ist mein Funktionieren. Es gibt nun mal einfach Menschen, die so sind.
Das bin nicht nur ich, weil wir autistische viele mit Spezialinteressen, die produktiv nutzbar sind, sind.
Wir können nichts für einen Arbeitsmarkt, an dem teilzunehmen alle quasi zwangsverpflichtet sind, obwohl ebenjener Arbeitsmarkt auf Talente und Kräfte, wie unsere scheißt, sobald sie nicht unbegrenzt zur Verfügung gestellt werden können.
Wir können nichts für Arbeitsbedingungen und –umstände, die Menschen, wie uns mehr und tiefgreifender schaden, als anderen.
Das macht das Jobcenter und sein Handeln immer wieder zu einer Strafinstanz für uns. Wir können nichts dafür, müssen versagen, rausfallen, “alles falsch machen” und werden dafür mit Drohungen, Leistungskürzungen und anderem bestraft.

Daneben sind wir heute privilegiert. Im Vergleich zu 2015 geht es uns heute sehr sehr gut. Wir sind sehr sicher, sind sehr geschützt, unterstützt, geliebt, gemocht, gehalten und wenn nötig, würde man uns sogar tragen.
Das macht die Erfahrung jetzt etwas anders. Wir wissen mehr über unseren Autismus, wissen mehr über unsere dissoziative Mechanik, uns als Subjekt. Das macht viel aus, hilft mir jetzt, mich hier aufs Schreiben konzentrieren zu können. Ganz sicher zu spüren, dass es okay und wichtig ist, mit diesen Gedanken und Gefühlen nicht allein zu bleiben, wenigstens virtuell nicht.

Ich kann mich dem Ärger, der Wut annähern, sie teilen. Die spontane Spaltung wieder schließen.
Ich kann mich jetzt aber vor allem mit zwei lieben, warmen Hunden ins Bett legen, Tee trinken, ausruhen und nichts Schlimmes wird passieren, denn am Ende hängt eben doch nicht mehr wirklich unser Leben am Jobcenter, wie noch 2015.

der Monsterzyklus

Tag 21, Woche 3 nach dem Umzug.
Es ist der 33ste Tag meines Zyklus und ich spüre das wie etwas, das von innen an jede einzelne Zellwand trommelt. Solche Monsterzyklen sind untypisch für uns geworden. In den letzten Jahren können wir unsere Regelblutung als „regelhaft“ bezeichnen und das ganz klar an Therapiefortschritten und einer dadurch allgemein verbesserten Lebenssituation festmachen.
Es ist nicht mehr normal für uns über Wochen und Monate hinweg, konstant gestresst, angespannt, beuruhigt oder vielleicht sogar (todes)verängstigt zu sein und wie super ist das, wenn es bedeutet, nicht mehr ständig mit Sorgen um eine unerwartete Schwangerschaft oder ernsthaften Erkrankungen befasst zu sein?!

Jetzt passieren viele Dinge gleichzeitig. Nichts davon ist ungewollt – außer der Stress, den es auch bedeutet. Auch Spaß, Glück, Erfolg, das freudige Verfolgen gewünschter Prozesse ist Stress. Wir verdrängen das gern. Ich ganz besonders, denn ich möchte vermeiden, vor anderen Menschen, aber vor allem mir selbst zu wirken, als wäre nie irgendwas einfach problemlos.

Die Realität aber ist die, dass wir mit einer tiefgreifenden Stressverarbeitungsstörung und einer generell nicht neurotypischen Art der Reizverarbeitung leben. Für uns ist nichts jemals einfach „problemlos“ im Sinne von „nicht beachtenswert“ oder „vernachlässigbar“. Selbst dann nicht, wenn wir so tun, als ob es doch so wäre. Wenn es eine Konstante gibt auf die ich mich in Bezug auf meine Möglichkeiten des Funktionierens verlassen kann, dann ist es der Umstand, dass meine Fresse mehr Bodenkontakt als empfehlenswert ist bekommt, wenn ich so handle, als gäbe es die Grenze zu unserem individuellen und jeden Tag etwas anderem „zu viel“ nicht.

Trotzdem wirkt in mir natürlich meine Sozialisierung. Selbst in mir, die nie die Gewalt der Anderen erlebt hat, wirken schädigende Ansprüche an mein Funktionieren. Ich erwarte von mir eine Verfügbarkeit und entsprechend auch eine Produktivität, die mein „zu viel“ konsequent ausblendet.
Eine Strategie, um mich damit zu konfrontieren ist der „braindump“. Das bloße Runterschreiben der Dinge, die ich gerade in mir und meinem Tagesgeschehen jongliere. Was mich beschäftigt und auch, was mich ängstigt oder besorgt. Diese Liste hat für mich an guten Tagen 3 bis 5 Items – seit Februar diesen Jahres umfasst diese Liste konstant 15 und mehr. Und zu welchem Zeitpunkt fällt mir das auch endlich auf? Richtig – ein halbes Jahr später, als mein Zyklus mich zu blutlüsternden Gedanken verleitet, die sonst nur Graf Dracula hat. Und das, obwohl ich mich regelmäßig damit konfrontiert habe, dass gerade alles ganz schön viel, und oft viel zu weit über „zu viel“ hinaus ist.

Es liegt übrigens auch nicht ausschließlich an der Dissoziation, dass das so ist. Die ist ja immer nur die Reaktion auf etwas. In meinem Fall die Unfähigkeit, mit den Konsequenzen von Unproduktivität, Planänderungen und Versagen umzugehen. Zum Einen sehe ich mich selbst einfach lieber als produktiv, kraftvoll und kompetent, zum Anderen bin ich mental nicht so flexibel, wie es Planänderungen oder (unerwartete) Veränderungen in der Regel erfordern. Selbst dann nicht, wenn ich mich ganz easypeasy offen special tiefenentspannt und enttraumatisert darauf einlasse. An dieser Stelle renne ich gegen eine Mauer, die gegen ganz doll wollen und super hart anstrengen immun ist. M.Eine Behinderung.

So wie meine Umwelt in der Regel mit m.einer Dysfunktionalität nicht gut umgehen kann, kann ich es auch nicht. Und genauso wie meine Umwelt auf dieses Problem reagiert, reagiere ich selbst mir gegenüber auch: Wenn ich das Eine nicht schaffe, dann muss ich das Andere schaffen. Alles ist nicht schlimm, so lange ich noch irgendwas anderes schaffe. Als Trostpreis, als Teilnehmer_innenurkunde im Alltagsfunktionieren.

Das zu wissen und zu spüren, dass mich so ein selbstverliehener Trostpreis auch tatsächlich tröstet, ist schmerzhaft für mich. Kein Wunder, dass ich das lieber dissoziiere.
Denn das Nachdenken darüber, was man anders machen könnte, wie es anders laufen sollte, wäre wieder ein Item mehr auf der Liste. Ein Ding mehr im Bereich jenseits des zu vielen.

Folgerichtig baue ich jetzt mal noch ein paar Regale zusammen, der Kühlschrank kommt heute und dann können hurra hurra endlich noch ein paar weitere Kisten geleert werden…

das „Was würdest du deinem 14jährigen Ich heute sagen?“-Meme

Einige Tage vor meinem 33sten Geburtstag las ich einen Tweet mit der Frage, was man seinem 14 jährigen Ich heute sagen würde. Das hat mich eine Weile umgetrieben, denn ich erinnere mein 14 Jahre alt sein nicht so richtig.
Das war wieder so ein Moment, in dem mir einmal mehr bewusst wurde, dass das etwas ist, was viele andere Menschen so gar nicht haben. Also, so wirklich jetzt.
Und, dass das, was sie als damals vielleicht schwer oder unangenehm oder vielleicht sogar quälend einordnen, für sie eigentlich gar nicht mehr der Rede wert ist. Sie sagen „Pubertät“ und meinen eine schwierige Lebensphase, die nun glücklicherweise hinter ihnen liegt. Viele wollen ihrem 14 jährigen Ich sagen, dass es vorbei geht; dass es besser wird; dass es okay ist; dass es heute nichts mehr bedeutet.

Und ich feiere meinen 33sten Geburtstag und spüre sehr sehr deutlich, dass alles auch heute noch etwas bedeutet. Dass es besser, aber nicht gut ist. Dass es vergangen, aber nicht vorbei ist.

Ich weiß, dass mein 14 jähriges Ich nicht mehr leben will. Dass es sich zum Leben zwingt, weil es noch nicht genug Kraft für den Suizid aufbringen kann. Ich weiß, dass mein 16 jähriges Ich innerhalb von 2 Jahren 3 Mal gehört hat, dass es keine 20 Jahre alt werden wird und das glaubt, weil sein_ihr Leben die Hölle ist, die niemand sieht, niemand versteht, niemand beendet.

Ich weiß, dass ich, dass wir einfach nicht den Abstand zur Gewalt, zum Trauma haben, um die Ebene zu erreichen, von der aus andere Menschen auf sich schauen. Vielleicht ist es auch überhaupt nicht erstrebenswert als Erwachsene_r in die eigene Jugend zu schauen und zu denken, dass das alles in Wahrheit ja eh nur spinnerter Killefitt war, den man viel zu ernst nahm, weil man noch sehr jung war. Aber, es wird nicht so weh tun. Nicht so schwer sein.

Wenn man so lebt und tickt, dann feiert man die eigenen Geburtstage anders.
Da hat man keine Angst davor, ob es okay ist, wenn Menschen gratulieren. Da ist man nicht den ganzen Tag hintergründig damit beschäftigt, sich noch einmal mehr als sonst darin zu versichern, dass es okay ist immer noch zu leben; dass es auch ein Geburtstag ist, wenn Mutti und Vati nicht dabei sind; dass es im Grunde nur bedeutet, dass sich der Tag jährt, an dem man geboren wurde – und weiter nichts. Null. Absolut gar nichts.

Am Ende meines Geburtstages lag ich im Bett und fühlte viel Dankbarkeit der Kinder- und Teenagerinnens. Für den Kuchen, für das Playstation spielen, für die Pizza und die vielen Glückwünsche über Twitter. Meine eigene Dankbarkeit galt dem Umstand, dass wir noch leben. Dank der 14, der 15, 16 17 jährigen Ichs. Mehr hatte ich ihnen, in dem Moment, nicht zu sagen.

Fundstücke #71

“Das Kind hat überlebt”,  hatte die Therapeutin gesagt. Montag. In unserer Therapiestunde.
Erst später kam das bei mir an. Also, so richtig.

Und jetzt fällt mir immer mehr auf, wie selbstverständlich in mir ist, dass die Gewalterfahrungen der anderen in einem eigenen Leben, einer eigenen Zeit stattgefunden haben und irgendwie immer an dem Punkt der völligen Zerstörung bzw. Dissoziation geendet haben. Haben müssen, denn alles Danach bin ja ich, sind wir, die Rosenblätter.
Obwohl wir erst Jahre nach ihnen da waren.

Wieder so ein Widerspruch, von dem ich spüre, dass er irgendetwas in mir machen sollte, aber nicht tut.