jeden einzelnen Tag

Aktuell ist CSD-Zeit. Wo es möglich ist, wird der Christopher Street Day mit Umzügen, Partypommes und Informationsständen gefeiert.

Wir sind  so wenig in dieser Szene unterwegs, dass ich nicht einmal genau weiß, worum es dabei geht. Ich bin so wenig in der Auseinandersetzung um unser Queersein mit anderen Menschen, dass ich mich in der Regel nicht mitgemeint fühle. Weder vom CSD, noch von anderen special “LGBTQI*”- Dingen.
Es ist mir einfach zu viel L(esbian)G(ay) drin. Zu viele weiße cis gender Leute, die sich selbst nicht als Teil des Problems diverser *- genderfeindlichkeiten reflektieren und glauben, sie seien durch ihr schwul/lesbisch sein davon befreit, diese Leistung zu erbringen.

Neulich las ich von “transsexuellen Bedürfnissen” – als Überschrift zu einem Artikel, in dem es um ein Menschenrecht ging, das trans Menschen bis heute vorenthalten wird. Gesagt habe ich nichts. Kritisiert habe ich nicht. Wo soll man denn bei soviel Ignoranz anfangen? Bei Menschenrechte 101? Bei Gender-ist-ein-Spektrum 101 ? Bei Gewalt-geht-auch-von-dir-aus 101 ?

Viele der heute alten weißen cis Lesben und Schwulen haben sich nie mehr mit diesen Themen befasst, als es ihr direkt mit cis hetero vergleichbarer Lebensbereich nötig gemacht hat. Erst ging es um Strafbarkeit von Sex, dann um die Ehe und Familienglücke. Man argumentiert mit Lebensqualität und Gleichberechtigung, weil man das kann. Und gefühlt exakt nie wird sich damit auseinandergesetzt, warum eigentlich.

Da wird nicht darüber nachgedacht, was überhaupt “Geschlecht” und was “Genital” ist. Da wird sich nicht gefragt, was “gender” als Begriff meint.
So viele alte weiße Lesben halten sich für “keine “echte” Frau”, weil sie denken, bestimmte Körper seien nur bestimmten anderen Körpern bestimmt. So viele alte weiße Schwule halten sich für minderwertig, weil ihnen der gleiche letztlich ebenfalls misogyne Bullshit den Kopf vermüllt.
So viele inter Babys dürfen nie inter bleiben, weil sie direkt nach der Geburt zu Ehren der zweigeschlechtlichen Weltordnung verstümmelt werden. So viele trans Menschen glauben, ihre körperliche Verstümmelung, etwa in Form von Sterilisationen und plastischer Operation, sei der Preis, den das offene Leben ihrer Identität nun einmal erfordert, egal, ob sie überhaupt körperliche Veränderungen an sich wollen.
So viele Queers bzw. Nonbinaries wissen nicht einmal, dass es eventuell bereits ein Wort für ihre Identität gibt.

Zum CSD wird die Toleranz gepredigt und die Unsichtbarmachung von Identitäten umgesetzt. Die Sprachführung schwankt zwischen generischem Maskulinum und dyadistischem Gendern – man gedenkt der getöteten, im Gefängnis eingesperrten Schwulen und Lesben im Ausland, nicht selten mit offensichtlich kolonial rassistischen Entgleisungen in der Sprachführung – man spricht über Kinderwunsch bei Lesben, HIV bei Schwulen – bisschen Party, bisschen Regenbogenflaggengewedel und dann ist wieder Ruhe bis zum nächsten Jahr.

Es sei denn, es kommt zu Massakern, wie zuletzt im Nachtclub “Pulse” in Orlando. 50 Menschen sind gestorben und etwas mehr sind verletzt worden. 50 und mehr Menschen, deren Identität und Lebensrealität nicht nur schwul oder lesbisch, sondern auch nonbinary bzw. queer war.
Die deutschen Zeitungen schreiben jedoch was? Richtig: “Schießerei im Schwulenclub”. Allenfalls kommt da noch der Einwand, das man die Lesben nicht vergessen dürfe.

Dass eine schwarze Person, als Act für den Abend angekündigt war, dass sich auch queere und andere nonbinary Personen dort aufhielten; dass der Club allgemein für alle gender der Community der nicht hetero und cis Personen, offen war, wurde erst durch die Community, die sich über die social media-Kanäle mitteilte, sichtbar.
Wie kann man so etwas in der Berichterstattung unterschlagen? Wie kann man so relevante – ja, auch Straftatmotiv relevante! – Aspekte in seiner journalistischen Tätigkeit vergessen?!
Wie zum ***** kann man “vergessen” zu erwähnen, dass das nicht nur eine Schießerei in irgendeinem beliebigen Nachtclub war, sondern in einem Nachtclub, in dem sich eine mehrfachdiskriminierte und daher hochgradig gefährdete Personengruppe trifft, um mal abzuschalten, sich auszudrücken, sich sicher zu fühlen, Spaß zu haben, Sozialleben zu pflegen?!

Niemals wird dieser Aspekt vergessen, wenn in Schulen oder Universitäten, in Supermärkten oder Kinos eine Schießerei passiert. NIEMALS.

Wird die LGBTQI*- Community angegriffen spricht man nicht darüber. Man spricht nicht einmal in seinen Solidaritäts- und Trauerbekundungen drüber, um was für eine strukturell und sozial ausgegrenzte Personengruppe es sich handelt und wie krass die Zerstörung solcher safe spaces für diese Community ist.
Wenn weiße cis VertreterInnen  betrauern und bekunden, geht es um Toleranz und Freiheit.
Die TOLERANZ, die man trotzdem noch übt und die FREIHEIT, die man zu verteidigen gedenkt.

Wie zynisch das ist, merkt wohl nur die Community, die bis heute um Akzeptanz und Freiheit durch wahrhafte Gleichberechtigung kämpfen muss.
Denn wie viel die Toleranz und die Freiheit der weiß cis Anderen für die Sicherheit mehrfachdiskriminierter Queers und Nonbinaries wert ist, erlebt die Community nicht nur dann, wenn irgendjemand in ihre safe spaces eindringt, um sie abzuschlachten, sondern jeden einzelnen Tag, an dem sie unsichtbar gemacht bleibt.

Lieber P.

Bitte sag mir nie wieder, ich würde mich selbst behindert machen. Bitte sag mir nie wieder, ich würde mich selbst komisch machen.
Ich bitte dich nicht aus Gründen einer political correctness darum, sondern, weil mich diese dummen Worte von dir verletzen und dich zu einem Kontakt machen, der unerträglich ist.

Du verstehst wohl nicht, warum Menschen verletzende Dinge, wie auch das N-Wort nicht hören wollen. Weshalb sonst habe ich es an deiner Seite so oft gehört, wie noch nie neben anderen Menschen? ‚Politisch korrekt‘ ist wohl ein Witzchen für dich. Oder eine Randnotiz, an die man sich erinnert, wenn man mit den Betroffenen zu tun hat.
Eine Handlungsempfehlung. Keine Bitte darum, nicht gedemütigt, entwertet, verletzt zu werden. Kein Hinweis auf deine Privilegien als weißer Mann in unserer Gesellschaft.

Ich erinnere mich an deine Schilderung aus dem Buch eines Künstlers, dessen Beobachtung über die alltäglichen Anstrengungen und Kämpfe behinderter Menschen du so bemerkenswert findest. Und ich weiß, dass ich dir sagte, wie erbärmlich es ist, wenn Menschen, die sich nicht als behindert erleben, sich staunend daneben stellen, wie Menschen kämpfen können, um ihr tägliches Leben in irgendeiner Form zu gestalten.
Erbärmlich ist es, weil es so viel mehr Optionen gibt, den täglichen Kämpfen von Personen zu begegnen.
Weil es keine Wahl ist zu kämpfen, wenn man behindert ist und wird, sondern eine verdammt noch mal zwingende Notwendigkeit, sich selbst vor Verletzung, Unterdrückung und Ausbeutung zu schützen. Weil es sonst schlicht niemand tut. Kein Interesse da ist. Kein Bemerken passiert. Keine Anerkennung von einem Schmerz, der ist, auch, wenn er von niemandem sonst erlebt wird, geschieht.

Du und das Kunst-LK- Mädchen, ihr beide sitzt da mit eurem privilegiertem Leben hinter euch und sagt mir, ich würde mich selbst behindert machen, wenn ich offen aufzeige, dass Dinge für mich nicht sind, wie für euch.
Manchmal denke ich in solchen Momenten, ich würde irgendetwas falsch machen, wenn ich zeige: “Hallo – das hier ist ein Kampf für mich. Ich bin behindert. Ich versuche hier wie ihr zu partizipieren und kann doch nicht, was ihr könnt.“. Ich merke wohl, wie Menschen, wie du und dieses Mädchen, dieser Künstler, D. und wie sie alle in unserem Kurs sitzen, denken, ich würde immer nur über mich sprechen, wenn ich das Wort mit B sage.

Eine Behinderung im Leben zu haben, gilt als etwas Persönliches und nicht als etwas, das alle betrifft. Auch dann, wenn es nur eine Person ist, die damit lebt.
Nie bezieht ihr meinen Kampf auf euch, unseren Umgang miteinander, unsere gemeinsame Sprache, unsere jeweiligen Sozialisierungen, unsere spezifischen Lebenserfahrungen, den Kontext, die Räume, die Themen und die Arbeiten, die wir produzieren und begutachten, sondern immer auf mich.
Wenn ich Probleme habe, soll ich was sagen. Soll ich wissen, ich kann immer kommen.
Das Ding ist – einen Scheiß kann ich. Einen Scheiß lohnt es sich die Kraft dafür aufzubringen, ein Problem an euch heranzutragen, weil ihr vor jeder Unterstützungsüberlegung verlangt ein Problem zu verstehen, dass ihr selbst nie hattet, nie habt, nie haben werdet. Weil ihr von mir eine Barrierefreiheit in der Kommunikation verlangt, die ihr als übertrieben, political correctness-Spielerei, übermäßig raumeinnehmend benennen würdet, wenn ich sie von euch einfordere.

Als ich D. sagte, ich habe Krampfanfälle, hat er mich gefragt, was er dagegen tun soll.
Dabei war mein einleitender Satz: “Gibt es einen Ruheraum in der Schule? Gibt es einen Raum, in dem man sich in Ruhe aufhalten kann – das hilft mir beim Umgang mit den Krampfanfällen.”
Ich merke den Schlag ins Gesicht noch heute, wann immer ich mir die Rumpelkammer angucke, die er mir angeboten hat. Du weißt schon – der Raum, der immer vollgestellt ist mit den Bilderrahmen, den Kunstsachen zum Trocknen, dem lose hingeworfenem Werkzeug und dem Boden, der eben dann und wann mal gefegt wird. Was glaubst du, wie sich das auf meine Angst vor einem Krampfanfall in der Schule so auswirkt, wenn ich weiß: „Da muss ich rein, wenn ich merke, dass ich die Kontrolle über meinen Körper verliere.“? Hoch bis unters Dach, jemanden vorher noch bitten den Raum aufzuschließen, dann hinfallen. Vielleicht mit dem Gesicht auf eine vergessene Reißzwecke auf dem Boden oder mit einer Faust in die Glasplatte eines Bilderrahmens neben mir.

Er kommt sich hilflos vor, weil er aus meinen Worten viel mehr Mitverantwortung gedeutet hat, als da jemals drin war.
Er sagte mir, ich würde mich selbst komisch machen, wenn ich Menschen sage, dass ich nicht alles immer überall mitmachen kann, weil ich meine Behinderung mitdenken muss.
Heimlich hoffe ich auf einen Moment, in dem er mal ein alter Mann ist, der eine Inkontinenz immer mitdenken muss und selbst anfangen muss sich zu überlegen, was er wie wann wie oft und wie lange (spontan) mitmachen kann. Und natürlich wünsche ich ihm irgendein ignorantes Arschloch in seinem Leben, das ihm sagt, er würde sich selbst komisch machen, wenn er es schafft seine Scham zu überwinden und jemandem anvertraut, dass er da ein Problem mitbedenken muss, das er nicht beeinflussen kann.
Echt – ich hoffe, ihm wird irgendein peinliches, möglichst ungeeignetes Kleidungsstück für den Notfall angeboten. Und ich hoffe – einfach, weil ich auch nicht frei davon bin in Gedanken gewaltvoll und gemein zu sein – er pisst sich dann in die Hosen und das an einem gerade so irgendwie halbwegs passendem Ort.
Ich hoffe, ihm wird irgendwann klar, wie das für mich war nach einem Anfall im Schulklo zu liegen und zu wissen: “Keine einzige Person hier wird mir helfen. Keine Person hier wird das verstehen. Ich bin allein. Ich bin hilflos. Ich habe nichts unter Kontrolle.”.

Ich habe dir erzählt, dass ich seit der Autismusdiagnose merke, wie viele faule Kompromisse ich jeden Tag eingegangen bin.
Ich habe dir keine Bespiele gegeben, weil ich noch nicht so weit war. Inzwischen habe ich einige.

– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn mir Menschen sagen, ich würde Dinge fehlinterpretieren und Personen, deren Worte mich verletzen und demütigen würden sicher etwas anderes gemeint haben
– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn Menschen mir sagen, ich sei spitzfindig und viel zu differenziert
– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn Menschen mir sagen, mein Anspruch an respektvolles Miteinander sei zu hoch
– ich werde es mir nicht mehr annehmen, wenn Menschen nicht reflektieren, dass sie mich missverstehen und/oder schlicht ignorantes Verhalten an sich zu legitimieren versuchen mit Sätzen wie: “Ja aber früher hat man das immer so gesagt/gemacht/gedacht …” oder “Ja ja haha politisch korrekt müsste man ja sagen … aber naja – wir sind hier ja nicht so.”

Weißt du – was ist, wenn Menschen mich doch immer wieder verletzen und es schlicht nicht merken, weil es sie einen Scheiß interessieren darf, welche Wirkung ihre Worte haben (könnten)?
Gestern hast du mir gesagt, das sei ein gesellschaftliches Problem. Und nicht mitbedacht, dass jede Einzelperson ein Teil dieser Gesellschaft ist. Dass Gesellschaft immer genau dort beginnt, wo ein Mensch auf einen anderen trifft. Verdammt – es ist normal und im Grundgesetz für jede Person als Recht verankert, dass man nicht verletzt und gedemütigt wird. Auch dann, wenn die Person das nicht wollte. Mein Schmerz ist nicht über die Intension des Gegenübers zu definieren, sondern darüber, wie sehr er mich quält.

Ich weiß, “die Gesellschaft” mag das gern so tun. Deshalb haben wir so eine hohe Dunkelziffer von Menschen, die misshandelt werden. Weil immer alle sagen: “Er hat es ja nicht so gemeint.” Weil selbst viele Täter_innen sich sagen: “Oh – ups – das wollte ich nicht.” Und weil es noch immer hilfreich in Sachen juristischen Strafmaßes ist zu sagen, man hätte gedacht für die geschädigte Person würde die Tat nicht so schlimm sein.
Das nennt man übrigens Gewaltkultur und ist Kackscheiße, weil es den Opfern/den geschädigten/unterdrückten/minorisierten Personen sagt: “Dein Schmerz/dein Schaden ist egal, weil die Person, die dir wehgetan hat, diesen Schmerz nicht mitbedacht bzw. billigend in Kauf genommen hat.”

Nehmen wir an, es sei mein Autismus, der mich spitzfindig macht. Der mir nicht erlaubt über Details und einzelne Worte mit ihren spezifischen Bedeutungen hinwegsehen zu können. Nehmen wir an, mein Gehirn funktioniert so sinnbasiert, dass ich alle Schulkameras an dem Geräusch unterscheiden kann, das ihr Innenleben macht, wenn man die Einstellungen ändert. Nehmen wir an, meine Art auf Respekt und Gerechtigkeit zu achten, hätten etwas damit zu tun, dass ich in nicht ausbalancierten Situationen in Panik gerate, weil ich den Überblick und sämtliche Sicherheitsgefühle verliere und darüber in Erinnerungen an meine 21 Jahre andauernden Gewalterfahrungen getriggert werde.
Nehmen wir an, meine Interpretation der Situation hätten eine Basis, die die Mehrheit der Menschen um mich herum schlicht niemals hatte und niemals haben wird, weil Autismus eine neurologische Entwicklungsform zugrunde liegen hat.

Nehmen wir an, ich würde keine Wahl darüber treffen, was ich wann wie wahrnehmen würde.
Da würde jedes “Nu sei mal nicht so…” ein richtig großer Tritt in die Fresse sein, richtig?

Was ich wählen kann ist, wie sichtbar ich meine Wahrnehmung mache. Das heißt, von wem ich mich am Ende eventuell absichtlich ins Gesicht treten lassen würde, weil es schlicht so unterschiedliche Wahrnehmungsbefähigungen gibt.
Ich erwarte nicht, dass Menschen verstehen, was “es ist zu laut” für einen überbordend furchtbaren Schmerz für mich bedeuten kann. Ich erwarte nicht, dass Menschen Dinge für mich verändern, damit ich leichter und mit weniger Kraftaufwand am Leben teilhaben darf. Auch am gesellschaftlichen.
Aber ich erwarte, dass ich nicht auch noch dabei ausgelacht, in meiner Wahrnehmung und Einschätzungsfertigkeit in frage gestellt oder allgemein als “mich selbst behindert machend” bezeichnet werde, wenn ich versuche, das Leben für mich aushaltbarer/barrierenärmer/weniger einsam/respektvoller/generell lebenswerter zu gestalten.

Es sind nicht die Hilfsmittel, die man benutzt, die einen zu einer behinderten Person machen, lieber P.. Es ist die Behinderung durch Gesellschaft, Umwelt, Lauf der Dinge, die Personen behindern und/oder behindert machen.

Vielleicht kennst du aber auch das soziale Modell von Behinderungen nicht. Okay – kein Problem.
Wie gut, dass ich von Hartz 4 zu leben versuche, wie ein Großteil der schwerbehinderten Menschen in Deutschland, die in der Regel weit davon entfernt sind, sich dafür entschieden zu haben weder eine Berufsausbildung noch einen ordentlich bezahlten Job zu haben. Daran kann man es gut erklären.

Hartz 4 behindert mich, weil es nur dazu da ist, eine errechnete grundlegende Versorgung von Menschen ohne Einkommen sicherzustellen.
Und sonst nichts. Hartz 4 lässt einem Menschen keinen Raum sich einen so glatten Habitus anzueignen, wie ihn das Kunst-LK-Mädchen gestern schon an sich hatte. Oder wie ihn D. hat. Hartz 4 lässt nicht zu, dass man sich für eine Karriere so viele Fort-und Ausbildungen finanziert, wie man sie brauchen würde. Erst recht nicht, wenn es um Fort- und Ausbildungen geht, die Menschen mit Behinderungen/Behinderte mitdenken.
Man kommt darunter nicht vom Fleck. Hartz 4 ist nicht gemacht für eine Verweildauer über ein oder zwei Jahre hinaus. Die Realität sagt dagegen, dass die durchschnittliche Verweildauer inzwischen bei sieben Jahren ist. Und auch, dass die Schuldenlast von Hartz 4-Abhängigen mit jedem Jahr des Bezuges steigt.

Du erinnerst dich sicher an mein bitteres Jubiläum von 10 Jahren in Hartz 4.

Es ist kein Stock im Arsch oder unbegründete Angst, wenn ich mir jeden größeren und kostenrelevanten Schritt in meinem Leben 2, 3, 4, 5, 6 Mal überlege und dann doch verwerfe.
Hartz 4 ist eine Barriere. Strukturell gewollt. Gesellschaftlich benutzt, um sich selbst immer wieder darüber zu motivieren sich anzustrengen, mehr Leistung, mehr Geld, mehr Sicherheit selbst zu produzieren. Ich kann mich nicht entscheiden, davon einfach nicht mehr abhängig zu sein. Ich kann nicht mehr Leistung, mehr Geld, mehr Sicherheit produzieren. Ich kann es nicht, weil der Raum für Menschen wie mich, der das ermöglichen könnte, noch nicht erschaffen ist.

Weil es so viel leichter ist zu sagen, man müsse nur wollen und sich irgendein Negativbeispiel vor Augen halten.

Apropos Negativbeispiel.
Wo kommt eigentlich dein Denken her, meine Behinderung als irrelevant zu betrachten, sei Inklusion?
Seit ich dich als Menschen mit Fußspitzen in meinem Leben in meinem Artikel “Für mich bist du nicht behindert” beschrieb, denke ich darüber nach, was das eigentlich für ein Gedankendreh ist, weil es mich so sehr fasziniert, wie unbedingt bestimmte Sichtweisen immer und immer eine Bestätigung von sich selbst produzieren wollen.

Ich weiß nicht, ob es da, wie über so manche Medien transportiert, um Berührungsängste – also Ängste an sich – geht oder schlicht darum, die eigene Ignoranz zu legitimieren, aus Sorge dafür so verachtet zu werden, wie es angemessen sein würde.

Aber vielleicht schaue ich auch einfach selbst nochmal genau auf Ignoranz und Sichtbarkeit von behinderten Menschen beziehungsweise Behinderten. By the way ja – manche Menschen, und ich zähle mich dazu, nennen sich selbst “Behinderte” und inkludieren damit ihr Sein als ausgegrenzte und eben auf verschiedenen Ebenen behinderte Person in die Selbstbezeichnung. Das geht nicht allen Menschen so, deshalb mache ich so viele Wörter und spreche sowohl von Menschen mit Behinderungen, als auch von Behinderten. Das tut mir nicht weh. Im Gegenteil, es erfreut mich zu wissen, das beide Bezeichnungen dafür sorgen, dass ich selbst weniger ausgrenzend spreche.
Ich freue mich zu merken, dass ich meine Sprache so gestalten kann, dass weniger Menschen verletzt werden, während ich sie sichtbar zu machen versuche.

Es freut mich überhaupt Menschen mit meiner Sprache und über meine Handlungen im Alltag sichtbar zu machen.
Ich versuche mir immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, was meine grundlegenden Annahmen über die Kontexte, in denen ich mich bewege, sind. Das tue ich nicht, weil ich ein blütenreiner Gutmensch bin, sondern, weil ich mich innerhalb der Kontexte, in denen ich mich bewege, auf möglichst barrierenarme Art bewegen will und zwar für alle Menschen, die ihn mit mir teilen.
Weil ich das gut finde. Weil es beruhigend ist. Weil ich weiß, wie wenig Stress das bedeutet und darüber, wie gering mein Risiko für einen Krampfanfall, Overload oder dissoziative Symptome wird.

Ich kann nur dann gute und zutreffende Annahmen über einen Kontext haben, wenn ich alles, was in diesem Kontext ist, sehe im Sinne von “bewusst habe”.  Ich kann nur dann ein Klima von Respekt, Rücksicht und Akzeptanz gestalten, wenn ich nicht verlange, dass bestimmte Dinge versteckt und unsichtbar sind.

Du hast mich gefragt, warum ich an dem Berufskolleg, in dem ich mich für eine Ausbildung bewerben möchte, zuerst gefragt habe, wie barrierenarm die Schule für mich ist. Es sei doch sinnvoller gewesen erst meine Arbeiten zu zeigen.
Noch heute frage ich mich ernsthaft, wie man davon ausgehen kann, es sei nicht relevant vor einer konkreten Planung eines so großen Schrittes zu prüfen, wie gut oder schlecht man eine Chance zu nutzen in der Lage sein wird. Was glaubst du, wie das für mich ist, in einem Raum mit >15 Personen zu sitzen, eine unübersichtlich schwammige Sprache dekodieren zu müssen, um neue Inhalte zu begreifen und daneben vielleicht noch zu wissen: “Okay, meine Assistenzhündin kann nicht hier sein – ich werde also erst kurz vor knapp (oder auch gar nicht) merken, wann ich einen Krampfanfall habe/ich werde allein mit Panikattacken/Flashbacks/dissoziativer Symptomatik/Overloads zurecht kommen müssen (und natürlich so, dass niemand sonst von den auch nach außen sichtbaren Aspekten meiner Behinderung belästigt wird)”.

Ich bin 29 Jahre alt und weiß glücklicherweise bereits, dass es zu meinen Menschenrechten gehört (aus)gebildet zu werden.
Ich weiß zum Glück, dass es mich nicht verunsichern muss, wenn Menschen wie du nicht begreifen, dass Bildung für mich etwas ist, das ich mir zu 100% ab- und zusichern lassen muss – und zwar von denen, die verpflichtet sind sie mir zukommen zu lassen, weil es ansonsten niemanden interessiert, ob und wenn ja, wie ich aus all den strukturellen Abhängigkeitsverhältnissen herauskomme.

Du weißt ja, dass ich nicht zu den Glücklichen gehöre, die eine liebevolle und engagierte Familie in ihrem Leben haben.
Seit ich 15 bin lebe ich in staatlicher Fürsorge und diese deckt das physische Überleben einer Person ab. Nicht auch noch die Entdeckung und Entfaltung von individuellem Potenzial. Und erst recht eröffnet sie nicht so simple Dinge, wie einen Landeplatz für die Momente, in denen man doch nochmal auf Rückenstärkung und bedingungslose Fürsprache angewiesen ist.
Frag mal das Kunst-LK-Mädchen, wer sie so unterstützt. Fragen wir im nächsten Kurs doch einfach mal die Teilnehmenden, warum sie es sich leisten können, dauernd zu fehlen.

Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum ich nie fehle? Warum ich auch 5 Tage nach einem selbst verhinderten Suizidversuch in deiner Klasse stehe und alles Wissen, das du mit uns Schüler_innen teilst, aufsauge wie Wüstensand?

Einmal in der Woche kratze ich so schonungslos wie es andere Menschen sich wohl eher nicht antun würden, all meine Kraft zusammen und zerre meinen Arsch in diese Schule. Einmal in der Woche setze ich mich Menschenkontakten aus, die mich fordern bis überfordern. Einmal in der Woche öffne ich mich und versuche mich zurechtzufinden in einem Umfeld, das Lebensrealitäten wie meine weder kennt noch als normal und üblich wie die eigene betrachtet.

Einmal in der Woche verlasse ich meine Wohnung, meine Routine, meine Sicherheiten und berühre euren Kosmos, der nichts Besseres zu tun hat, als mich zu verletzen, neugierig, verwirrt, fragend und gleichzeitig ignorant vor meinem Abkämpfen um Teilhabe und Miteinander zu stehen und irgendwann – vielleicht, wenns dann in einem Gespräch um Menschen wie mich geht – daraus eine Anekdote für den nächsten Kurs, die nächste Unterhaltung über den Lauf der Dinge zu machen.

Einmal in der Woche habe ich 3 Stunden, in denen ich etwas haben darf, das mich befriedigt und satt macht: Ein Moment, in dem ich Dinge erfahren darf. Ein Moment, in dem ich Dinge auch mal nicht wissen darf und Fehler dazu gehören, ohne mich konkret zu bedrohen.
Ein Moment, in dem ich zum Teil einer physischen Gruppe werde.

Es ist so unfassbar traurig und ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, dass es für mich (und Menschen mit Behinderungen bzw. Behinderte allgemein) überhaupt so ein großes Ding ist, einmal in der Woche (für viele passiert es noch seltener!) unter Menschen zu kommen, die sie weder pflegen noch medizinisch/therapeutisch/bürokratisch behandeln.
Einmal in der Woche aus einer intrinsischen Motivation heraus Orte aufzusuchen, die ihnen zustehen, aber häufig genug verwehrt bleiben, weil sämtliche mögliche Barrieren schlicht nicht mitbedacht werden, von denen, die sie zur Verfügung stellen und/oder mitgestalten.

Und das, wo Deutschland doch so ein Vorreiter in Sachen Integration, Inklusion und Miteinander sein will.

Weißt du P. – du bist nur mein Lehrer. Das weiß ich. Es kann dir völlig egal sein, was wer aus dem Kurs mitnimmt und wer sich wie fühlt, während si_er da sitzt.
Ich weiß aber, dass du nicht so bist. Du bist einer dieser Menschen, die durchaus reflektieren können, wann sie etwas tun, das scheiße ist.
Du bist einer dieser wenigen Leute, mit denen ich gut gemeinsam in einem Raum sein kann.
Das ist eines dieser Dinge, die mich daran hindern mir das Leben zu nehmen.
Immer wieder sind es für mich aushaltbare Menschen, die mir versprechen mir etwas beizubringen, das mir wichtig ist und die Option immer immer immer lernen zu können.

Menschen mit meinen Gewalterfahrungen haben ein vier Mal höheres Risiko sich zu suizidieren.
Was glaubst du, wie lange würde das wohl dauern, bis jemand merkt, dass ich tot vom Dachsparren herunterhänge?

Richtig – mindestens eine Woche würde das dauern. Weil jede_r weiß, dass ich nie fehle. Weil alle Menschen, denen ich sage, dass ich traumatisiert, behindert und einsam bin, wissen, dass der Donnerstag der Tag ist, an dem ich die Welt berühre. Weil alle wissen, dass der Donnerstag der Tag ist, der mir so wichtig ist, weil ich dann zur Therapie gehe, in der Hoffnung das Geschehene zu verarbeiten und meine Versuche des Umgangs damit zu reflektieren und, weil ich mich zu dir in den Kurs setze, um zu lernen, wie ich die unglaubliche Schönheit und allumfassende Perfektion dieser Welt in Fotos festhalten kann, um sie zu teilen.

Menschen, denen bewusst ist, wie meine Einsamkeit zustande kommt und was alles damit zu tun hat, sagen mir nicht, ich sei selbst daran schuld, wenn ich so selten das Haus verlasse.
Menschen, die ein Bewusstsein darum haben, dass sie immer irgendwo hingehen und etwas tun, wenn sie das Haus verlassen, raten mir nicht “Einfach mal mehr unter Leute zu gehen”.

Menschen, die mich als die Behinderte sehen, die ich bin, fragen sich, wo ich denn eigentlich überhaupt wirklich gut und ohne einen großen Haufen fauler Kompromisse partizipieren könnte. Oder, wo ich mich willkommen und angenommen fühle. Manche fragen mich sogar, ob ich mich wohl gefühlt habe und was man verbessern könnte. Zu einem nächsten Mal, bei dem man mich gern wiedersehen würde. Weil es okay/bereichernd/schön/spannend/interessant war. Mit mir. Dabei. Mittendrin. Mit allem, was ich kann und nicht kann. Mit allem, was ich wahrnehme und wie ich es wahrnehme.

Lieber P., den ich wirklich sehr schätze, ich traue dir zu, dass du das auch kannst.
Ich traue dir zu, dass du verstehen kannst, wie groß und wie berechtigt meine Verletzung vor dem Hintergrund, den ich habe, ist.
Am Ende bitte ich dich erneut Rücksicht auf mich zu nehmen, nicht aus Gründen einer Korrektheit, die nur allzu oft verlacht wird, sondern, weil du mich nicht verletzen möchtest, wie du nicht von anderen Menschen verletzt werden möchtest.

Bis nächsten Donnerstag.
Mit vielen Grüßen,

Hannah

die Gewalt im Trost #Worldmentalhealthday

Heute ist “World Mental Health Day” und das Erste, das ich heute lese, ist dies:
ein Screenshot von einem Kommentar von
Das ist, was eine fremde Person zu meinem Leiden sagt. Zu meinem Leiden unter inzwischen 10 Jahren Zwangsferien mit Freizeitpark Hartz 4 mit den Attraktionen “Traumafolgen-Achterbahn”, “der Diskriminierungsgeisterbahn” und dem von allen hochgeschätzten “Nervenkitzelkabinett der enttäuschten Hoffnungen und der vergeblichen Anstrengungen”.

Ich denke: “Du bist dumm und deshalb schreibst du dummes Zeug in mein Blog.” und ich denke “Ich wünsche dir meine letzten 12 Jahre an den Hals.”, weil ich verletzt bin und ich nur diese Qual in meiner Lebensrealität als etwas greifen kann, das man anderen Menschen nur wünschen würde, würde man sie gleichermaßen quälen wollen.
Ich schäme mich, weil ich ableistisch und brutal reagiere.

Erfahre Trostversuche und den Tipp mir ein Video anzusehen bei Twitter.

Es ist dieses:

und ich fange an zu weinen, weil ich merke, was da für eine unbesehene Lücke klafft.

Weil ich weiß, wie leicht es ist, sich zu schützen und zu trösten, indem man denkt: “Was weißt du denn schon?”.
Weil ich weiß, dass man zu Nichtwissen nicht gleichermaßen, wie zu Leiden und Überleben gezwungen wird.
Weil ich weiß, wie viel leichter es ist, einfach immer wieder zu unterstellen, niemand hätte eine Kenntnis von dem, was im Leben, fern derer, die einen herabsetzen, demütigen, verletzen und stigmatisieren – derer, die ihre Schlimmskala an einen dran halten ohne zu verstehen, was daran gewaltvoll ist, passiert.

Mein Schmerz ist der, dass es jede_r wissen kann. Und eigentlich in seinem Inneren auch schon lange weiß.
Man tut nur gerne so, als wüsste man es nicht, weil es ein so viel besser auszuhaltender Vermeidungstanz ist, so zu tun, als handle man aus Unwissenheit – und nicht aus Einfältigkeit, Boshaftigkeit oder Ignoranz. Es ist leichter Belehrungen links rein und rechts rausrauschen zu lassen, als zuzugeben, dass man ein ignorantes Arschloch ist, das froh ist, weder arm, noch krank noch behindert noch jemals so global ohnmächtig gewesen zu sein, wie die Person über deren Rücken man sich erhebt.

Es ist weniger kraftaufwändig Menschen zu unterstellen, sie hätten keine Ahnung, als ihnen aufzuzeigen wieviel Wissen sie eigentlich haben.

Es ist unser alter Konflikt von Anbeginn des Blog von Vielen.
Wir sehen keinen Sinn in der klassischen Aufklärungsarbeit und halten die klassische Öffentlichkeitsarbeit beim Thema “seelische Gesundheit” im Kontext mit “Trauma” und “Gewalt” für nicht möglich, wenn man auf klassische Gewaltausübung verzichten möchte.
Wir sind nicht diejenigen, die anderen Personen erklären können, was richtig und was falsch ist. Wir lehnen es ab, als ein Mensch wahrgenommen zu werden, der alles weiß, der überlegen ist oder besser als andere.
Wir haben nichts davon außer einen besonders angreifbaren Platz innerhalb der Gewaltspirale um Deutungs- und Definitionsmacht.

Wir schreiben hier über uns. Unser Leben heute und das Überleben, das wir erinnern. Wir teilen unsere Gedanken, Gefühle, Ideen und geben uns die Stimme, die von der Gewalt innerhalb von Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit stumm gehalten wird, weil sie davon profitiert und komplett auf der Idee einer globalen und immerwährenden Stummheit, derer um dessen Leiden es geht, basiert.

Wir haben einen Krankheitsbegriff, der nicht kompatibel ist mit einer Gesellschaft, die sich Hörigkeiten nötig hält und Gewalt reproduzieren muss, weil sie zu feige/bequem/ängstlich/unsolidarisch ist Alternativen zu formulieren und zu etablieren.
Wir lehnen Pathologie ab. Wir richten nicht über jene, die uns verletzt und verdreht haben. Wir sprechen nicht für andere.
Wir sind nicht krank. Wir sind nicht gesund.

Wir sind wir und das ist genug, woran wir zu tragen haben.

Wir nehmen uns ein Recht auf Platz und Stimme, das uns innerhalb der Strukturen, die es derzeit gibt, nicht zugestanden wird und bitten nicht um Legitimation dessen. Das ist, was unser öffentliches Tun wertvoll und so verdammt revolutionär macht.

Hier kann jede_r lesen, di:er möchte und hier kann sich jede_r nehmen, was ihm_ihr hilft.
Niemand braucht unsere Worte hier – es ist aber gut, dass sie da sind, denn sonst würde niemand wissen, dass es sie gibt.

Heute ist ein Tag, an dem man sehr viele Leidens- und Lebenswege nachlesen kann. Besonders unter #WorldMentalHealthDay.
In diesem Blog kann man das jeden Tag, seit 2008, tun.

Man kann erfahren: zu Leiden ist im Leben mindestens eines Menschen ein Aspekt von “Normalität”. Man kann begreifen: “Armut” bedeutet mehr als “kein Geld haben”. Man kann miterleben: Das Leben mit einer Behinderung wird nicht von dem definiert, was nicht geht, sondern von dem, was möglich ist und möglich sein könnte.  Man kann begreifen: Hier ist es möglich etwas zu wissen, wenn man etwas wissen will.

Man kann begreifen, wie wichtig es ist sich von seiner Trostfloskel: “Was weißt du denn schon?”, zu verabschieden, weil sie auch gewaltvoll ist.

reclaim the NEIN

Mein am häufigsten genutztes Wort ist: “Nein”
Nein, ich kaufe dies nicht. Nein, ich mache das nicht. Nein, ich kann dies nicht planen und nein, dies kann ich auch nicht tun. Nein, ich darf dieses Angebot nicht annehmen und nein, Widerspruch gegen diesen Zwang einzulegen, geht auch nicht.
Ich sage so oft “Nein”, dass es schwierig ist, mir etwas zu verkaufen. Auch dann, wenn ich es mir leisten könnte. Ich sage so oft “Nein”, dass mir meine Optionen auch mal “Ja” zu sagen oft, viel zu oft, aus dem Blick geraten.

Ich bin trotzdem ganz glücklich mit all den Neins in meinem Leben.
Nicht alle wurden mir vom Hartz 4 aufgedrückt, oder kommen mit dem Zwang sich als ehemaliges Opfer organisierter Gewalt selbst schützen zu müssen, weil es sonst niemand tut.
Viele meiner Neins kommen aus Entscheidungen, die mir allein dienen.

Das Nein zu den einfachen Zuckern. Das Nein zu Lebensmitteln, die nicht koscher sind. Das Nein zu Hosen. Das Nein zu Settings, die hetero und cissexistische Normen stützen. Das Nein zu Lebensmitteln aus Übersee. Das Nein zu Atomstrom. Das Nein zum Entertainment im Fernsehen. Das Nein zu bestimmten Zeitungen. Das Nein zu bestimmten politischen und inneren Haltungen. Das Nein zum Ausverkauf meiner Lebensgeschichte. Das Nein zu Gewalt. Das Nein zur Ignoranz.

Niemand außer mir hat akut etwas von diesen Neins und mir gefällt das.
Es gefällt mir, weil es etwas ist, das ich neben allen Zwängen eben doch noch habe. Und sei es als letztes Stück Selbstbestimmung.

Mein so starkes Nein, wird vom Kapitalismus zum “Bitte überzeug mich” gemacht.
Erst hieß es, das Ziel des Kapitalismus sei es, eine Struktur zu erschaffen, die jedes Bedürfnis und Wünschen erfüllt. Heute geht es darum Bedürfnisse einzureden und Wünsche zu wecken, damit die Struktur wachsen kann.
Und wer nicht mitmacht ist doof.
Nicht etwa arm oder ein Mensch, der sich schlicht für ein Nein entschieden hat.

Ich hatte ausgerechnet jetzt im Januar, wo ich mit 54€ zurechtkommen musste, gleich 3 Mal Außendienstlerbesuch von Unitymedia.
Seit ich hier wohne, habe ich insgesamt 9 verschiedene Typen* vor der Tür stehen gehabt. Allesamt unangekündigt und nicht in der Lage, mein Nein als gegeben zu akzeptieren.
Weder mein “Nein, ich möchte nicht mit Ihnen reden.”, noch mein “Nein, ich möchte nichts kaufen.”, noch mein “Nein, ich möchte keine Informationen.”, noch mein “Nein, ich möchte auch in Zukunft keine Besuche.”.

In diesem Fall ist es auch sehr klar mein als (cis)weiblich gelesen worden sein – Nein, das hier übergangen wird.
Mein Nachbar unter mir, wird ganz anders angesprochen. Ihm werden keine NLP-Fangfragen gestellt, sondern direkt Zahlen an den Kopf geworfen, die ihm vorgaukeln sollen, er würde eine echte Entscheidung treffen. Er hört nicht, dass er ja dumm ist, die (vom Mietvertrag aufgezwungenen) Grundgebühren für den Kabelanschluss zu zahlen, aber das wundergute 30€ Extradings nicht zu kaufen. Mein Nachbar kriegt einfach die Informationsbroschüren in die Hand gedrückt (was ganz klar auch eine Missachtung des Neins, meines Nachbarn ist) und wird dann mit der Entscheidung betraut. Allein.

Ich habe gerade heute gezählt, wie oft ich “Nein” gesagt habe und wie oft ich in meinen Sätzen, auch ohne das Wort “Nein” zu sagen, verneinte. Es waren 4 Neins und 2 Verneinungen. In weniger als 5 Minuten.
Jeder Pick Up Artist würde sich bei so einem Verlauf abwenden und mich auf der Fickbarkeitsskala auf eine -100 runtersetzen. “Misandrie- ganz klar.”
Die Außendienstler von Unitymedia schieben mich auf ihrer Kundenliste einfach eine Seite weiter. “Nächstes Mal. Irgendwann sagen sie alle Ja.”

Ich nicht. Ich bin kein Kunde. Ich bin eine Kundin.
Ich bin eine Frau*, die mit Hartz 4 lebt.
Ich bin eine Person, die merkt, wann sie be-NLP-t wird.
Und ich bin geübt in Konsum-Neins und fühle mich damit nicht eingeschränkt oder benachteiligt, sondern oft auch sehr zufrieden.
Dabei bin ich nicht mal Hipster. Armut ist derzeit ja ziemlich chic und Verzicht das Geilste, was geht.

Ich mag meine aktiven und bewussten Neins.
Mir geht es dabei nicht darum eine oppositionelle Haltung einzunehmen oder mich abzugrenzen. Die Abgrenzung passiert als Folge meiner Entscheidung, nicht, weil das mein Ziel ist.

Was mich erschreckt und weshalb ich am Ende überhaupt zu dem Gedanken “reclaim the NEIN” kam, ist die völlige Legitimation, die die Gewalt im Rahmen der „Kundenbetreuung/bindung/akquise” zu Gunsten solcher Unternehmen erfährt. Gegen PUA(ersche) wird demonstriert, weil sie am weiblichen Nein herummanipulieren und Gewalt gegen bzw an Frauen in einer organisierten Form ausüben.
Wenn Verkäufer_Innen das tun, passiert nichts. So sind Verkäufer_Innen nun einmal. Der beste Verkäufer, wird noch Kühlschränke an Eskimos los – Hui!
– der geilste Stecher kriegt noch die monogamste Eins auf der Skala – Pfui!

Eklig, hm?
Ja, hab ich heute auch gedacht.

Am 14. Februar ist wieder One Billion Rising. Eine Veranstaltung, die es gibt, weil das Nein von bestimmten Menschen, einfach nie als das Nein aufgenommen und akzeptiert wird, als das es formuliert wird. Ich könnte jetzt schon kotzen, wie diese meist lauten Demos beworben werden, weil selbst darin bestimmte Neins übergangen werden. Ich will keine Gewaltszenen in Internetvideos sehen, ich mag den Biologismus “Vagina=Frau” nicht, ich mag den Anspruch “Wehr dich doch” nicht.
Ich sage Nein dazu – das letzte Video gegen Gewalt an Frauen, antwortet mit “Ja, aber…”, große namenhafte Organisationen sagen „Ja, aber…“ unsere Politik, die Gesetzgebung antworten mit „Ja, aber….“.

Ich will meine Selbstbestimmung nicht mit “Nein heißt Nein”-Kampagnen erbitten oder erstreiten. Einfach schon, weil ich nicht einsehe, um solche Selbstverständlichkeiten bitten zu müssen.
Ich fänds gut, wenn sich eine Bewegung entwickeln könnte, die sichtbar macht, wie oft ein “Nein”, mit einem “Ja, aber…” beantwortet wird. Egal, worum geht.

Ich hätte gerne, dass einfach mal klar wird, wie oft, sogar in Kleinigkeiten wie so einem Internetanschluss, der verkauft werden soll, das Nein einer Person, die als (cis)weiblich gelesen wird, einfach mal einen Scheiß bedeutet.
Ich bin es so leid, immer wieder den tiefgreifenden allumfassenden Vortrag über (cis)männliche Privilegien und kapitalistische Unterdrückungsdynamiken aufzusagen.

Ich will das Nein haben, von dem mir dauernd versprochen wird, es würde mich davor schützen miss-be-handelt zu werden.
Es muss ein tolles Nein sein.

“Was solls?”

Manchmal trifft es mich, wenn mir jemand sagt,  eine Lebensrealität wie meine wäre ihm fremd.
Da zucken Schultern und ein Mundwinkel wandert in die Höhe. “Was solls?”, denkt es vor sich hin und das Thema verdunstet.

Ich will nicht sagen: “Es soll dich treffen, wie es mich be_trifft.” und viele Gegenübers von mir wollen das auch nicht hören.
Mitleid, Schuld, Betroffenheit, das will man nicht. Das würde nämlich ein Miteinander, eine Mit.einander.verantwortlichkeit bedeuten.
Bezug und Bindung implizieren.

Ein Kind aus meiner Grundschulklasse hat über uns gewohnt.
Man konnte hören, wenn es misshandelt wurde.
Durch die Heizungsrohre.
Wie das so ist im Platten- und Altbau.

Wir haben nie miteinander darüber geredet.

Das Schreien und Weinen meiner Geschwister donnerte durch die gleichen Heizungsrohre, wenn sie misshandelt wurden.

Wir haben nie Worte darüber ausgetauscht.
Vielleicht hatten wir damals einfach noch keine.
Vielleicht haben wir einfach auch vergessen, wann wir aufhören konnten die Luft anzuhalten, um den Heulrotz im Kopf zu behalten.

Unser Haus hatte 5 Etagen mit 9 Parteien.
9 Universen, die nebeneinander her durch die Zeit flogen und nur über die Heizungsrohre miteinander verbunden waren.

“Was solls?” hat damals vielleicht die Themen “Einmischen”, “Kinder schützen”, “gegen Gewalt sein”, “für eine bessere Welt sein” verdunsten lassen.
Vielleicht ist “Was solls?” die Lebensrealität, die ich einfach nicht leben kann, weil es mich konkret betrifft und andere nur dann berührt, wenn Schreie aus ihren Heizungsrohren dringen.

 

 

Präsenz _da_ sein_ lassen

GlockenblumeIch saß auf dem Hügel aus Mutter_Erde und hielt die Hände eines Kinderinnens. Wir pusteten Seifenblasen in den Himmel beobachteten ihr Farbenspiel. 

Mittendrin hatte ich eine Art Epiphanie.
Da war wieder das Gefühl, ein Teil einer Umgebung, die einfach nur _da_ ist und nichts von mir will, nichts mit mir tut, nichts an mich heranträgt, weil ich da bin, sondern, weil ich ein Teil des gemeinsamen Raumes bin, zu sein. Dieses Schwindelgefühl, diese Art fernfremde innere Vibration auf das Bewusstsein: “Hier ist nichts, dass dich deines Seins versichert- du _bist_, wie alles andere auch _ist_ “ und die Erkenntnis: “Ich bin nicht, wo ich sein sollte, ich bin nicht, wer ich sein sollte, ich bin nicht für oder wegen etwas da – ich _bin einfach nur da_ und das bedeutet REIN GAR NICHTS.”

Ich weiß nicht, wie viel von meinem Text über Präsenz verständlich ist. Aber ich denke inzwischen, dass es fundamental ist, sich bewusst zu sein, dass jeder Mensch und alles was Menschen ausstrahlen, tragen und weitergeben, einfach immer erst einmal _ist_ und vielleicht einfach gar nichts weiter bedeutet, als, dass dort jemand oder etwas _ist_.

Ich habe in den letzten zwei Wochen viel darüber nachgedacht, was es mit meinem Retter* damals auf sich hatte.
Wieso er mich nicht einfach hat lassen können. Wieso mein Sein in seinen Augen nicht so bleiben durfte. Wieso meine Zufriedenheit nicht anerkannt war.
Ich hatte der Therapeutin gesagt, dass ich der Raum war, in dem ich war. Ich war es, dessen Rand mein Retter eingetreten hatte, um mich zu bergen. Diese Rettung damals ging mit einer Verletzung einher und niemand hat es gesehen. Weil niemand gesehen hat, was ich als mich betrachtet habe. Weil niemand gefragt hatte. Weil ich keine Worte in gemeinsamer Sprache hatte. Weil man nicht blutet, wenn man ein Raum-Sein ist, das verletzt wurde.
Ich hatte keine andere Wahl, als sein Eindringen als einen Angriff wahrzunehmen. Nicht nur, weil ich nur an Stille und simmernde Dunkelheit gewöhnt war und mich jedes seiner Signale angeschrien hat.

Vielleicht, das überlegten wir in der Therapie, weil das Gehirn in meinem Kopf nie die Chance hatte einfach nur _ da_ zu sein und darin respektiert und gelassen zu werden. Weil es vielleicht einfach nie okay war zu _sein_ .
Natürlich muss ich bis heute immer denken, alles was passiert, geschieht, weil ich nicht richtig bin.
Es kommt ja auch nie jemand daher und knallt mir eine, weil ich _da_ bin, sondern, “weil …”
Es passiert allgemein selten, dass GewaltäterInnen* sagen: “Ich habe XY misshandelt, weil sier* existent (_da_) ist”. Viel häufiger kommt: “Ich habe XY misshandelt, weil  XY das Falsche getan/gedacht hat “;  “weil XY falsche Merkmale/ falsche Charakteristika hat”; “weil ich dachte, XY denkt/macht/fühlt/glaubt… “ (und dies auf eine Unfähigkeit bei mir stieß, damit anders umzugehen).”

Es ist verboten und verpönt zuzugeben, dass einen das bloße Dasein von Individuen einfach nur ankotzt. Es ist ein Tabu, weil es so simpel ist. Weil da exakt 0 Spielraum für Schuldtamtam ist.
Wenn jemand jemanden tötet, weil er existent ist, dann kann schlicht niemand sagen, das Opfer trage eine Mitschuld. Niemand kann etwas für sein Leben.
Niemand kann darum bitten oder beeinflussen welche Eizelle, wann von wem befruchtet wird und sich dann so entwickelt, dass er oder sie oder * selbst entsteht. Das geht einfach nicht.

An meinem Sein und dem, was es in der Umgebung, in der ich nun einmal war, ausstrahlte, war alles in Ordnung.
Nichts von mir Transportiertes allein hat eine Legitimation ergeben zu tun, was mein Retter* tat, sondern der Kontext, in dem er meine Signale wahrgenommen und gedeutet hat. Ich muss ihm die Verantwortung an meinen Verletzungsgefühlen nicht abnehmen, nur weil sein Handeln angesichts der konkret bestehenden Lebensgefahr von einem anderen Standpunkt aus, als wichtiger gewertet wird und dieser Mensch eine Zilliarde soziale Kekse für sein couragiertes Eingreifen bekommen könnte.
Wir können alle nur spekulieren, was gewesen wäre, wenn er mich nicht wahrgenommen hätte. Ich wäre vielleicht gestorben- aber ich hätte niemandem Schuld daran gegeben. Vermutlich hätte niemand die Schuld an meinem Tod zugesprochen bekommen.

Ich, mit meinem Ich-Bewusstsein, als Innen XY in diesem Körper, hatte vor ihm noch mit keinem Menschen zu tun, kannte nichts vom dem, was woanders als dort war. Ich war nie mehr oder etwas anderes als dieser Raum bis zu dem Zeitpunkt. In meinem Kopf war nichts weiter drin als ein Rauschen aus Stille und schwammigunklaren Impulsen und wenn ich gestorben wäre, hätte das für mich schlicht _GAR NICHTS_ bedeutet.
Ein Spekulieren auf dem, was würde, wenn, hätte sein können, außerhalb der Umstände, in denen ich mich bewegte, haben mir zu Recht absolut nichts bedeutet. Ich kannte es nicht und habe es nicht begehrt.

Ich sehe solche Gedanken von: “Ja, man weiß ja nicht und es ist/wäre doch schade, was da noch verpasst wird, was alles noch gehen kann mit ein bisschen Hilfe/ Veränderung …” anders, wenn Menschen einander nah sind. Wenn sie voneinander tatsächlich mitbekommen, was welche Eingriffe bewirken. Wenn man miteinander in Austausch ist, Verbundenheit fühlt oder auch einfach familiär oder sozial verbunden ist.
Mein Retter* kam, trat in mich ein und riss mir mein Mich aus der Mitte für etwas, das mir egal war, unter Umständen, die mir nur Bedrohung- und Lebensgefahr signalisieren konnten.

Nein, ich muss dafür nicht dankbar sein, weil ich überlebt habe und heute Seifenblasen von Bergen in den Sommerhimmel pusten kann.
Es geht nicht um Undankbarkeit für eine Rettung – es geht darum, was Menschen von einander wahrnehmen und wie unterschiedlich die Bewertung dessen sein kann. Wie sehr das, was wir Menschen _sein_ und _da_  lassen können, davon abhängt, was es für uns bedeutet Momente, die Demut und Respekt abverlangen – auch und vielleicht gerade dann, wenn uns beides niemals jemand vorgelebt hat – tragen zu können, ohne eingreifend/ beeinflussend zu handeln.

Wir* verwenden so viele Arten sozialer Vermeidungstänze, sei es in Schuldgezirkel, Verantwortungsgeknote, V-Er-Zieh-ungsgezerre, weil es schwerer ist inne zuhalten und _sein_ zu lassen.
Für mich ist es so, dass ich heute einen Schmerz fühlen und tragen muss, der sich nicht über eine Sicherheit lösen wird, weil ich mit diesem Menschen einfach gar nichts zu tun hatte und habe. Ich werde nie erfahren, was er wirklich dachte. Ob er an meinem _da sein_ Anstoß genommen hatte oder wirklich in den Umständen, in denen er mich verortete. Er wird vermutlich nie erfahren, wie sein Handeln auf mich wirkte. Er wird nie erfahren, dass ich mir seine Rettung nie gewünscht habe.
Einfach schon, weil ich es damals nicht als Rettung wahrgenommen habe und selbst heute, das Wort dafür falsch empfinde. Semiheimlich, fastganz für mich allein.

Ich leide unter der Zeit, weil ich überlebt habe. Wäre ich tot, würde ich das nicht tun.
Für sein “hätte würde wenn”, in seinem eigenen Leben, bin ich nicht verantwortlich. Nie gewesen.  Auch deshalb ist mein Gefühl einer Verletzung, das über einer Dankbarkeit steht, in Ordnung.

Menschen füllen ihre Leben stetig mit Ansprüchen, Werten, Normen.
Wenn zwei unterschiedliche Systeme aufeinander treffen und ein Mensch oktroyiert dem Anderen seines, dann sprechen wir von Gewalt. Auch wenn ein drittes, viertes, fünftes kommt und sagt: “Hast fein gemacht.”. Es war _da_  und es ist keine HeldInnentat* fremde Werte, Normen und Ansprüche abzusprechen, zu vaporisieren. Und ja, für mich persönlich gilt das auch für Werte, Normen und Anspruchshaltungen, die ihrerseits absprechen und verschwinden machen wollen.
Ich kann nicht an nur eine Wahrheit, nur eine Art zu leben zu denken und zu werten glauben.

Nicht zuletzt auch genau deshalb, weil ich gezwungen war und bis heute bin, Abgründe, neben schwindelnden Höhen; Sadismus neben bedingungsloser Liebe; tiefes Begehren neben absoluter Entbehrung; Hass auf mein bloßes _da sein_ in mir selbst stehen zu haben und alles das zu tragen und _sein_ zu lassen.

Meine Epiphanie war nicht wegen dieser Gedanken eine. Sie war eine, weil sie sich gut angefühlt hat. Rund. Ohne Not.
Ich habe für einen Moment stehen lassen können, dass es damals so war, wie es war, eben, weil es eben so war- weil der Menschen in dem Moment genau _da_ war, wie ich selbst auch. Ich konnte aber auch gleichzeitig, mein Gefühl von Verletzung und Bedrohung durch sein _Sein_  stehen lassen, obwohl sich der Kontext, der dankbare Opfer vor “selbstlosen” RetterInnen* verlangt, nicht verändert hat.

Ich verstehe nun den Trigger an der Situation Anfang Mai, in der ein Mensch mein Leben retten wollte. Und ich verstehe meinen Schmerz daran.
Ich verstehe, dass es für diesen Menschen darum gehen musste mein Leben zu retten, weil ich schon immer als rettungsbedürftig wahrgenommen und eingeschätzt wurde. Weil es genug Ignoranz für meine Lebensumstände, meine Fähig- und Fertigkeiten gab, um immer das Opfer, das einer Rettung bedarf, zu sein.

“Ich könnte mir das nie verzeihen, wenn dir etwas passiert und ich das gewusst hätte.”, ist ein Satz auf den ich zu Recht fragen kann, warum mein Tod nicht verzeihbar ist, unerträgliche Lebensumstände und Qualen aber schon. Warum ich leiden darf, aber nicht sterben.
Warum ich hilfsbedürftig sein darf, es aber zu viel verlangt ist, wenn es dieser Mensch ist, an den ich mich dafür wende, weil ich aufgrund seiner Angaben, denke, dass er mir helfen könnte.

Ich verstehe, dass es mich schmerzt in meinem _Da-Sein_ ignoriert zu werden, nicht gehört und (für ) wahr- genommen zu werden, weil es für mich noch einmal um dieses Erlebnis damals herum eine Ebene gibt, die Gefühle der Todesnähe  beinhalten. Neben all dem was ich im Zuge von Menschen- und Psychiatriegewalt erfahren habe.

Ich bin nicht dafür verantwortlich, was sich andere Menschen nicht verzeihen können. Sie müssen es sich selbst verzeihen und wenn sie das nicht können, dann müssen sie es lernen oder damit leben, dass ich ihnen die Frage in den Kopf stelle, wieso sie sich Gewalt an mir verzeihen können, aber sich selbst nicht, wenn sie etwas oder jemanden _sein_ lassen.

Meinen Retter* habe ich nach meiner Befreiung damals nie wieder gesehen.
Der Mensch, der mir vor mehr als 2 Monaten noch so dringend das Leben retten wollte, dass es für vertretbar erschien mir Polizei und Krisendienst nach Hause zu schicken, obwohl ich sagte, dass das nicht nötig ist- dass ich für solche Momente andere verbindliche Absprachen habe, hat sich seitdem nie wieder bei mir gemeldet. Muss ihn ja brennend interessieren, was er da so gerettet hat.

In beiden Fällen, war ihr Handeln etwas, das mein Gefühl für mich selbst in dem Leben, das ich führe, massiver verletzte, als die Umstände, in denen ich mich befand. Sie haben sich über mich zu RetterInnen* erhoben und dann als ich gerettet war, mich selbst bzw. meinen Schicksal überlassen. Als meine Lage keine sozialen Kekse mehr hergab, war ich abgehakt.

Und in beiden Fällen könnte eine Instanz kommen und sagen: “Frau Rosenblatt präsentierte sich mit einem Leiden an…”
Und nicht: “Frau Rosenblatt sagte… und ICH dachte….”

Inzwischen, jetzt wo mehr als zwei Monate vergangen sind, glaube ich, dass mich nicht nur die Enttäuschung über die Menschen schmerzt, sondern auch, dass sie von anderen Menschen darin bestätigt werden, während ich hören muss, ich hätte es ja nicht anders gewollt.
Ich aber, habe es anders gewollt.
Ich wollte damals nichts weiter als Wasser. Etwas Anderes war gar nicht in meinem Kopf drin.
Und vor zwei Monaten wollte ich nichts weiter, als dass Menschen ihre Versprechen an mich halten. Mehr war einfach nicht _da_ .

Ich habe mich nicht präsentiert, ich habe keine Forderungen formuliert. Ich habe die Ansprüche gestellt, die mir legitim und logisch nachvollziehbar erschienen und war bereit mich in dieser Annahme auch zu täuschen. Mein Umfeld aber, hat sich einen Scheiß um das geschert, was ich wollte und dachte, fühlte und konnte.

Und das ist, was Gewalt gebiert: Ignoranz (um des eigenen Vorteils Willen)

Niemand muss sich für RetterInnen*gewalt („helfende“ Gewalt) an sich bedanken, nur weil er oder sie oder *, diese überlebt hat.
Niemand.
„Sei dankbar um dein Leben und halt die Fresse über deine Gefühle“, kann man nur an Unterlegene richten.
An die, die man sich selbst zum Opfer macht.