über die Schwere, die dazu kommt

Ich hatte beim Lesen unserer Einträge gestern einen „glory Moment“- ein kleines „Pling“ sozusagen, dass mit meiner Giftsuppe zu tun hat.

Ich habe schon immer ein BÄÄÄM neben mir stehen, das mir zu jeder Gelegenheit sagt: „Du bist dumm, wie Bohnenstroh“, und ein Unverständnis meiner Umgebung als Beweis dafür nimmt, genau auch wie die Tatsache weder Abitur, noch Studium oder Arbeit vorweisen zu können. Laut dem BÄÄÄM alles Dinge die nicht so wären, wäre ich nicht dumm.

Es hat mir geholfen meinen Intelligenzquotienten zu wissen, denn so konnte ich die Differenzierung zwischen „Dummheit“ und „Unbildung“ vornehmen. Das Testergebnis sagte mir, dass ich hochbegabt bin- ergo nicht unfähig Bildung zu erfahren.
Es sagte mir aber auch, dass ich zu den 2% der Menschen gehöre, die so ein breites Spektrum zur Aufnahme und Verknüpfung von Informationen verwenden, dass es für andere Menschen zu viel sein kann, um mir zu folgen, wenn sie ein etwas schmaleres Spektrum nutzen.

Damals hat es mich ein wenig erleichtert und mir geholfen, weniger ungeduldig und auch dominant gegenüber meinen Mitmenschen zu agieren. Meine Bereitschaft meine Gedanken zu erklären und nachvollziehbarer zu machen, wuchs proportional zum Sinken meiner Bereitschaft Kontakte zu pflegen, bei denen ich dies tatsächlich auch tun muss.

Menschen, die selbst ungeduldig sind, nehmen sich nicht die Zeit mir zuzuhören. Menschen, die von ihrem Denken hochgradig überzeugt sind und sich darin stabil fühlen, stellen weniger gern andere Aspekte daneben oder integrieren sie. Und dann gibt es natürlich auch die Menschen, die meine Massen, so wie ich sie transportiere, auch wirklich einfach nicht aufnehmen können, egal wie gut oder schlecht sie erkläre.

Es kostet uns Kraft mit Menschen zu interagieren. Da spielen die Folgen der Gewalt hinein und wirken noch zusätzlich als Klotz am Bein. So ist bei uns eine Dynamik entstanden, in der es viel ums „schwer sein“, „zu viel sein“, „zu anstrengend sein“, „eine Belastung darstellen“ geht.
Manche Innens erleben es so, wie es das Eine in „die Einladung zur Klassenfahrt Teil 2“ beschrieb und manche so, wie ich es jetzt versuche zu erklären.

Ich habe nicht viel von der Schulzeit erlebt, aber das was ich erlebte, passt ganz genau in die typischen Problembereiche für Menschen mit Hochbegabung.
Einmal hielt ich ein Referat im Geschichtsunterricht und die Lehrerin kommentierte ihn mit: „Zu lang, am Thema vorbei, Note 3.“. Es ging um die Ständegesellschaft um die Jahrhundertwende.
Sie wollte eine platte Darstellung der Stände, mit ein paar Fotos aus dem Internet und dem Fazit: „Jo, war ne schlimme Zeit- ist ja aber zum Glück vorbei.“.
Ich lieferte eine Entwicklungsgeschichte der Stände, die Faktoren die zum langen Überleben dieser Gesellschaft führten, die Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft, sowie einen Vergleich zur heutigen Klassengesellschaft und dessen Auswirkungen auf unser Leben.

Als ich für das Referat recherchierte, drängten sich mir diese Dinge auf und ich fand sie alle wichtig. Ich dachte, mein Schlussplädoyer („Hallo- es hat sich nichts verändert- wir nennen es nur anders“) sei nachvollziehbarer, wenn ich das auch alles gleich mit reinnehme.
Ich denke bis heute, dass das so war- es war ein gutes Referat. Nicht nur, weil ich so viel mehr Zeit dafür aufgebracht hatte, sondern weil es umfassender war, als die tabellarische Darstellung die meine Mitschüler vorzeigten.

Der Auftrag war klar formuliert: „Informiere dich über die Ständegesellschaft um 1900 und vergleiche sie mit der Gesellschaft von heute.“.
Der implizierte Auftrag war aber: „Gib wieder, was ich dir schon mal gesagt habe- nicht, was du selbst denkst und herausfindest.“.

Sag mir was ich dir zeige- nicht das, was du siehst.
Damit kann ich das Problem gut beschreiben. Das ist es was mir so oft begegnet und mich scheitern lässt. Ich kann nur wiedergeben, was ich sehe und das ist viel. Das ist mehr, als das, was viele andere Menschen sehen und mir zeigen.

In der Wissenschaft ist es leicht kompensierbar, denn die Wissenschaft ist suchend. Sie will ein breites Spektrum um die Wahrheit zu finden; um breit anwendbare Gesetze und Funktionen zu erstellen.
Die soziale Interaktion hingegen ist meistens gewillt Bestätigung zu finden. Sie ist darauf angewiesen Muster zu haben und diese zu wiederholen. Man sucht die Gleichheit und kreist in ihr. Muster mit anderem Etikett, lassen sich manchmal mit einbringen, doch je mehr Muster hinzukommen, desto schwerer erscheinen sie vereinbar. 351578_web_R_B_by_Oliver Haja_pixelio.de

Ich habe das mal mit einem Mandalastapel verglichen. In der Wissenschaft sagt man: „Wooohoo geil- so viele Schnittpunkte passen übereinander- lasst uns das „Intersektionalität“ nennen und damit arbeiten.“. Im Miteinander sagt man mir: „Das ist mir zu hoch- das Reden mit dir, ist mir zu anstrengend- geh weg oder machs anders.“.

Wir haben heute ein Kontaktnetz, dass wir relativ flexibel dosieren können.
Da gibt es hochgebildete Menschen, die uns am Privileg „Bildung“ teilhaben lassen, unsere Vielheit aushalten und sich den Punkten widmen, die sie erfassen können. Alle zusammen in einer Person zu haben wäre ein Nirwana für uns. Aus kleinen Spezialbuden würde ein Laden werden, der alles hat.

Doch natürlich gibt es das nicht und inzwischen haben wir auch aufgehört so jemanden zu suchen. Wir sind froh und dankbar um jeden der uns als ein Mensch der Viele ist und viel sieht, nimmt, wie wir sind und wertvoll findet, was wir zeigen- egal, ob es ganz erfassbar ist oder nicht.
Wir haben Menschen gefunden, die suchend oder mindestens motiviert zur Suche sind. Sie sind offen und erkennen auch soziale Intersektionalität als etwas Bereicherndes an- nicht als etwas Schweres, dass man vermeiden muss, um sein Gefühl von Stabilität zu erhalten.

Sie sind so ein wertvolles Gegengewicht zu dem sozialen Gift aus Ablehnung und Ignoranz, die allein unser Sein, als Ursache einer Belastung an sich betrachtete und uns damit immer wieder vermittelte falsch zu sein. So falsch eben wie Bohnenstroh, statt Bohnenfrucht in einer Mahlzeit.

Es ist ein Topf mit Düngersuppe und immer wenn wir sie treffen gelangt ein Tropfen davon zu uns.
Wir werden nicht leichter zu tragen und der Wunsch nach Vereinfachung von allem geht deshalb nicht weg. Aber sie machen es uns leichter schwer zu sein.

Und es vielleicht irgendwann auch mal selbst richtig und gut zu finden.

was meine Essstörung mit meiner Freiheit zu tun hat

Ich stand mit zwei Hosen übereinander und Steinen im BH auf einer Klinikwaage und wusste, sie würde eine Zahl anzeigen, die auf einem Aufnahmebogen vermerkt würde. Meine Ärztin würde eine Scheibe aus ihrem Schreibtisch nehmen, ein bisschen hin und her schieben und einen BMI von 18,5 in meine Akte schreiben.

Mindestanforderung an den BMI in der Klinik also erfüllt.
Man würde es im Blick behalten, doch von weitere Wiegeaktionen absehen. Hatte ich doch angegeben genügend zu essen, um das Gewicht mindestens zu halten.

In meinem Kämmerlein wusste ich, dass ich log und wusste auch, dass sie davon ausging, ich sei fixiert auf Zahlen, wie sie. Mein Aussehen und den Körper als manipulierbares Objekt sehen und hätte Kalorientabellen und Nährwerte in meinem Kopf, die ich mir vornähme, sobald es um meine Ernährung ginge.

Ph. Pustekuchen.
Nach damals 7 Jahren Gewichtsachterbahn rauf und runter, war ich von den Zahlen weg. „Anxiety“ und ich waren aufeinander eingespielt und lebten in einer Dynamik miteinander, die ausschließlich reaktiv war (und ist).
Ich wohne allein, esse, hungere, kotze allein.
Ich koche nur, wenn ich einen Job habe und mir frische Lebensmittel durchgängig leisten kann. Ich gebe kein Geld für Zeitschriften aus, auf deren Titel Diäten und neuste Kleiderkollektionen angepriesen werden. Ich suche keine Geschäfte auf, in denen riesige Plakate von normschönen Menschen über den Umkleidekabinen hängen. Nicht nur, weil ich mich dann schlecht fühle, sondern weil ich mir diese Sachen noch nie leisten konnte. Ich habe mit dem Sport im Verein aufgehört, doch nicht weil ich keinen ausufernden Ehrgeiz oder Auftrittskostüme in großen Größen mehr riskieren will, wie damals, als alles anfing, sondern weil es schlicht zu teuer ist.

Als ich damals in die Klinik ging, hatte ich die Möglichkeit zu sagen, dass ich hungrig bin, ohne die Reaktion „Ja, dann essen sie mal was…“ zu kassieren, wie ich es von anderen Außenstehenden erfuhr.
Was für eine Wohltat!
Wir wurden gefragt, was uns satt machen könnte.
Ich habe den Zettel immer noch auf den ein Innen schrieb: Freiheit

Wir sprachen also über Freiheit und Autonomie. Angstfreiheit als Privileg und unsere Möglichkeiten diese für uns zu erlangen.
„Anxiety“ ist Angst und Angst ist etwas, dass uns dazu verleitet, uns ein Gefängnis zu bauen und uns darin sicher zu fühlen. Darin geht es nicht um Normen und Werte, um Anpassung ans Außen oder dergleichen. Uns geht es darinnen einzig darum die Angst nicht zu spüren. Wer keine Angst hat, fühlt sich in der Regel, als hätte er Einfluss und Kontrolle über gewisse Dinge, dabei ist alles was beeinflussbar darin ist, der Grad der Wahrnehmung seiner Angst.
Ich esse und stoße damit an meine Gefängnistür- „Autsch- Waaaa!“
Ich esse nicht und schrumpfe immer weiter von den Stäben um mich herum weg- „Aaaaah- Frieden…“
Ich esse ganz viel und quelle an den Gitterstäben vorbei- „Arghgrmbl- ein stetiger Dauerschmerz, vielleicht wird er irgendwie wegdissoziiert…“

Wir waren damals noch massiv in Gewalt verwickelt und auf keiner Ebene autonom- obwohl wir allein lebten und allein alle unsere Kämpfe zu führen hatten. Behörden bestimmten über uns, die Täter bestimmten über uns. Unser Alltagsleben vermittelte uns durchgängig Abhängig- und Minderwertigkeit. Der freiste Akt war die Nahrungsaufnahme und ausgerechnet den haben wir uns verformt zu etwas, dass uns unter Umständen töten kann.

Wir hatten kein Sozialleben, dass uns mehr als ein „Ich HelferIn hier- Du die Durchgeknallte/ Abhängige/ Bedürftige/ Benutzbare da.“ zeigte.
Während der Therapie in der Klinik kam in einer Sitzung der Satz, Freiheit sei auch, die Freiheit sich mit Menschen zu umgeben, die nicht so mit uns in Kontakt gingen. Zum Beispiel eben die Freiheit in die Klinik zu gehen und zu erfahren, dass man trotz einer Schräglage der Macht auf Augenhöhe angesprochen wird. Als jemand der frei entscheiden kann und darf.

Über diese Erfahrung wurde es uns möglich unsere erste Gemögte kennenzulernen und einen Kontakt zu gestalten in dem eine Schräglage nur im Inneren existiert und nur dort wirkt.
Wir haben unser erstes Picknick mit dieser Gemögten gemacht. Gelernt, dass man auch frei auf einer Wiese sitzen und Camembert auf eine dicke Schicht Butter legen kann. Seine Bissabdrücke im Brot vergleichen und darüber lachen kann- obwohl „Anxiety“ im Innen tobt.
Wir kamen nach einigen Jahren an den Punkt, an dem wir erfahren konnten, dass diese Angst uns nicht tötet, wenn wir sie toben lassen. Wir spürten deutlich, wann sie anfing und endlich auch, dass sie auch wieder aufhört.

Es änderte sich nichts an dem Gefühl minderwertig und zu viel zu sein, die Angst ging nicht weg. Aber der bohrende Hunger, der da war, egal was wann wie und wie viel Nahrung dem Körper zu geführt wurde, wurde gestillt.

Wir nennen es „Leben essen“ und meinen damit „Freiheit konsumieren“.
Es ist eine freie Entscheidung und eigene Wertung innerhalb unseres Rahmens. Selbst wenn wir mehr Geld hätten als jetzt, würden wir uns zwei Mal überlegen, ob ein Besuch im Espritstore und das Gefühl von Hässlichkeit im Vergleich zu Modelplakaten den Wert der Kleidung, die wir dort erwerben können, unterliegt. Wir würden nachwievor keine „Frauen“zeitschriften kaufen, weil wir den sonstigen Informationsgehalt in anderen Zeitschriften höher bewerten. Und wir würden uns auch trotzdem nicht die Biogemüsekiste nach Hause liefern lassen, weil wir das Gefühl von freier Wahl im Super- oder auch Wochenmarkt einfach höher bewerten.

Dieses Gefühl von Freiheitspraxis ist mit großen Ängsten besetzt, doch sie hat mehr Nährwert als Zahlen und Regulierung der Essstörung selbst. Sie lässt uns leben, im Leben wirken, wachsen und das Privileg des Frei-seins von Machtstrukturen in denen wir von außen behandelt werden, als wären unsere inneren, uns zerstörenden, Wahrheiten auch außen wahr, untermauern und ausbauen.

Den Faktor den Nahrung in unserer Geschichte von je her einnahm, habe ich hier bewusst ausgeklammert. Wer Hunger kennt fürchtet ihn, lernt ihn aber auch anders einzuschätzen und mit ihm umzugehen, als jemand der ihn nicht so erfuhr. Unsere Omama hat uns Kinder nicht aus Liebe mit literweise Kakao abgefüllt, genauso wenig wie Täter uns aus Hass haben hungern lassen. Sie haben an uns etwas kompensiert bzw. befriedigt und benutzt. Sie trugen dazu bei, dass sich Ängste entwickelten, doch lösten nicht die Essstörung als solche aus.

„Anxiety“ war und ist also auch, neben allem anderen, was sie ist, ein Teil unserer Autonomie, die wir früher wie heute haben.
Selbst wenn wir real unfrei sind, können wir uns in ihrem Gefängnis frei fühlen.

Wenn HeldInnen reisen

…dann treffen sie auf andere HeldInnen.
Ob nun im Gewand einer jungen Frau, die gleichzeitig 3 Smartphones benutzt; der Mutter, die es schafft ihre 4 kleinen Kinder mit Malbüchern und den beiseitig sitzenden Reisenden zu unterhalten oder, der alte Held, der bereits im Zug die Blumen für seine Gastgeberin in der Hand hält.

Meine Heldinnenhaftigkeit bestand darin, überhaupt in dieses ratternde laute Gefährt zu steigen, noch während ich obendrein NakNak* dabei hatte, eine Fahrt von über 600km vor mir lag und ich den Menschen, dem ich dort begegnen wollte, noch nie real getroffen hatte. Vollbepackt mitten in den Butterfahrtenwaggon der grau-beigen Gesellschaft für „Also nee- die jungen Leute von heute“. Wunderbar.

Ich hätte gern mein Cape flattern hören, als mir der empörte Gegenwind in Gesicht und Hirn blies. Doch alles was kam, war das Rascheln meines Berechtigungszettels für den Sitzbereich, der für Menschen mit Behinderung reserviert ist. Hat auch gereicht.
NakNak*s Box aufzubauen ging leicht, denn wie jeder vernünftige Held, hatte ich das Auf- und Abbauen, die ganze Nacht in meiner Bäthöhle geübt. Jeder Held ist nur so gut, wie seine Fähigkeiten. Grundkurs Heldenschule.

Sie haben alle geguckt. Haben alle mich und den Hund angeguckt.
Mein Hirn endschied sich für die Dissoziation. Wir spielten eine Runde: „dieser Film wird ihnen präsentiert von der „Das Leben einer Anderen“- Gruppe.“.

Umsteigen in Köln? Kein Problem. In diesem Film ist nichts ein Problem. Alles läuft automatisch und in einem wirren Mix aus Zeitlupe und Highspeed: Box abbauen, Rucksack auf den Rücken, Handtasche links, Boxtragetasche rechts umhängen, Trolleyreisetasche links, Hundeleine rechts festhalten. Aussteigen, Bahngleis suchen, warten, einsteigen, Platz suchen, Box aufbauen, Gepäck verstauen.
Diesmal ein Doppelsitz mit Sichtschutz. Film Ende.

Aaaaah. Okay- ist alles von mir mitgekommen? Wart mal- ich? Ach- Hallo Körper! Bist ja auch da- schön, dich mal wieder zu fühlen! So, jetzt eine SMS und dann in NakNak*s Ohrenfell verkriechen. Jetzt kommt der Teil Deutschlands, den wir noch nie zuvor gesehen haben.

„Dürre, Wüste, Afrika… ach fuck BLASE!“, die tollste Landschaft kann nicht anstinken gegen die Macht von 3 Liter Kaffee, der nötig war, um die Therapiestunde vom Vormittag erlebbar zu machen. Nächste HeldInnentat also: Bahnklo mit Hund. „Schade, dass wir zwar die Ausmaße des 00 Elefanten haben, aber nicht seine reinigenden Superkräfte“, dachte ich mir so, als ich mich über das WC zirkelte- mit einem Zeigefinger an der Wand abstützend, mit der anderen Hand NakNak* fühlen müssend. Aufs Händewaschen verzichtend, weil die Desinfektionstücher aus der Erste Hilfetasche des Hundes irgendwie nötiger erschienen.

Aber dann… frisch entleert und entkeimt, haben wir die für uns höchsten Berge ever gesehen. Man guckte aus dem Fenster links und schwusch! Nordwand Zugspitze- mindestens! Rechts dann alles etwas entfernter und schöner. Weinberge noch und nöcher, schöne Fachwerkhäuser wie sie M. so gerne später mal zimmern wollte, schöne aufwendig gebaute Kirchen, Burgen oder Schlösser? vielleicht auch einfach nur große Gutshäuser, die wie Kulissengeber von „Der Name der Rose“ auf den Bergen klebten. Das alles im tollen 18 Uhr Abendlicht der langsam untergehenden Sonne. Einfach toll!

NakNak* lag inzwischen auf unserem Bauch und hielt ihre Nase in die Lüftungsschlitze am Fenster. Die Zugbegleiterheldin dazu: „Ach lassens doch liegen. Für den Kleinen ist das doch alles auch ganz viel“. Barbiegesicht. Jetzt bloß nicht losheulen vor Dankbarkeit- Heldinnen weinen erst in ihrer Bäthöhle!

Mannheim. Höllenschlund von einem Bahnhof. Die 10 Minuten Umsteigezeit, verbrachten wir in diesem vollen dunklen dröhnend lauten Tunnel, auf der Suche nach dem richtigen Gleis. Wer ist die Heldin? NakNak*!
Souverän, wie ich sie noch nie erlebt habe, ging sie neben uns her, achtete auf jedes „Warte“, „Sitz“, „Links“, „Rechts“ und „Voran“, das vom Roboter des nun panisch hin und her fliegenden Rosenblättersalates kam.

Gleis gefunden, ICE steht, knallvoll- selbstverständlich.
Dankbar für die Erfindung von Inkontinenzvorlagen, und das Glück den richtigen Zug erwischt zu haben, legten wir im Ein- und Ausstiegsbereich der Bahn ab. Hundebox? Wohin?! Gepäck? Wohin?! Bin ich eigentlich überhaupt selbst da?
Noch zwei Stunden und draußen gräute uns das Unwetter aus dem Breisgau, von dem unsere GastgeberInnen erzählten schon entgegen. „Ja- weißte Bescheid wie du sterben wirst, wenn sich Eschede jetzt wiederholt, ne? Wirst n hübsch beregnetes Zieharmonikakörperchen- is doch gut, dann wird das mit der Beerdigung nicht so teuer, weil Sarg ja unnötig“. Toll. Danke Kopf, du Blödmann.

Zugbegleiterheldin 1 hat einen Anruf. „Ah Isch musch da jetz roangehn, weil desch is meine Tochder. Die isch heude das oarste Mal bei ihrer Tagesmudda und geht jetze ins Bett.“ Ach Herzi- du feiner Mensch! Sie stimmte mir zu, dass die Hundebox jetzt nirgendwohin kann und NakNak* durfte auf dem Schoß sitzen. Ihr ruhiger Heldinnenatem übertrug sich sowieso gerade so gut auf mein ZNS und verhinderte ein unkontrolliertes Wechselfeuer der Innens. Barbiegesicht, Weinen wird erneut verschoben.

Eine Stunde später wurde ein Platz frei.
Trotzdem kein Platz für die Hundebox und das Gepäck.
Ich sitze im teuersten Zugangebot der deutschen Bahn und fühle mich doch, wie in einem Viehtransport. Entsprechend wurde ich auch von Zugbegleiterheldin 2 behandelt. „Das ist egal, dass sie hier keinen Platz haben, wenn der Hund kein eigenes Ticket hat, dann hat er in einer Box zu sein und zwar die ganze Zeit!“ Sie guckte von oben auf mich runter und hat mit Sicherheit nicht die ganzen Kinder gesehen, die darauf warteten, dass die ersten Schläge auf sie einprasseln. Barbiegesicht. Federrascheln des Schwans im Innen, verkrümeln in den weichen Haaren an NakNak*s Ohren. Aushalten. Dissoziieren. Ich bin gar nicht da.

Und dann, nach einer halben Stunde, klopfte etwas ans Frontalhirn.
„Wir sind gleich da! Wir habens fast geschafft. Gleich sehen wir die HeldInnen und dann fahren wir zu ihnen nach Hause und dann ist das hier vorbei.“ Vorfreude! Endlich! Ich hatte schon gedacht, dass wir gar nicht mehr dazu kommen. Zu groß waren die Ängste und das Heldentraining der letzten Tage und Wochen, der Reisevorbereitung und Planung.

Positive Flashbacks. Obwohl wir uns nun gegenüberstanden, war es wie die sichere Umgebung zu Hause, während wir eines unserer 4 Stundentelefongespräche führen. Getragen von einem Gefühl von Erwachsenenfreiheit und Heldenhaftigkeit einander etwas Großes ermöglicht zu haben.

Wir trafen auf eine Heldin des Berufsalltags, der Selbstversorgung unter erschwerten Bedingungen und des Gastgeberin- seins. Letzte Vorbereitungen für die Phoenix AG Sitzung, eine PC-Aufräumaktion, Umgebungserkundung mit NakNak*.
Wir haben gesehen wie Wolken geboren werden.
wie Wolken geboren werden

Wir haben einen Tauschaufschub mit dem dunkelbunten Imperium vereinbart. Essen, schlafen, keine Schmerzen. Am Sonntag, haben sie einen Freifahrtschein.
Wir haben geschlafen. Pizza gegessen und keine Strafe aushalten müssen. Was für ein seltsames Gefühl. Wie ein Stau in einem durchgehend reißenden Strom, der uns seit über 9 Monaten hin- und herschmeißt.

5 Uhr morgens aufstehen und nach Frankfurt fahren. Eine weitere Phoenixheldin mitnehmen. „Ihr Heldinnen“, kam per SMS.
Göttingen hatte Sonne und Wärme, die der Rosenblätterhäckselsalat zwischen sich nahm, wie Seelenkleber.
Die AG selbst, verschwand mir irgendwo im Frontallappen. Auch gut. Ich kann das ja alles nachfragen. Helden dürfen das, wenn sie unter Helden sind, die Heldenhaftes tun. Schließlich ist so ein Seminarraum ja auch sowas, wie eine Bäthöhle, wo gerade die Heldentat erarbeitet wird.

Dann eine Stunde Abendsonnenbad vorm Hauptbahnhof mit der schlafenden NakNak* an der Seite. Zum ersten Mal saß ich an einem Bahnhof und fühlte mich nicht verlassen und allein. Ich spürte den Wegegänger und seine apokalyptische Wahrnehmung der Umgebung, doch nicht wie sonst im wirren Tanz aus blinder Panik und stumpfem Sein, sondern eher tastend über die Stellen des Körpers, die von der Sonne berührt wurden.
„Du bist auch ein Held, nicht wahr?“. Keine Antwort, aber auch kein unartikuliertes Buchstabengewirr.

„Entschuldigung? Darf ich euren Platz okkupieren? Ich muss den Hund in eine Box setzen und in den Reihen ist kein Platz dafür.“. Mein Heldencape musste nicht flattern. Eine ruhige Stunde bis Hannover. NakNak* legte sich zum ersten Mal richtig ab in der Box und schlief.
Eine halbe Stunde in Hannover und dann die Restfahrt bis nach Hause inmitten von an- bis vollgetrunkenen Menschen. Aus dem Innen das anbrandende Grollen des dunkelbunten Imperiums. Zeit für eine Runde Dissoziation. Ich bin gar nicht da.

In der dunklen Bäthöhle den Hund füttern und dann der Zerfall.
Hier wohnen die Helden. Sie legen Cape und Maske ab und sind nur der Mensch, der seine Hölle in sich trägt und über sich ergießt, egal, was er gerade vorher getan hat. Ihre letzten 2 Stunden Vakuum nutzen sie, um einen Artikel zu schreiben, der ihrer Heldenhaftigkeit zumindest in Worten eine Würdigung ermöglichen soll.
Was dann kommt, ist eine Heldenhaftigkeit, die sie nicht verstehen, nicht annehmen und eigentlich nur deshalb aushalten können, weil sie nicht daran sterben.

Jede/r Held/in hat ein Geheimnis.
Welches sie haben, werden wir hoffentlich bald erfahren.

F.

F. war 5, als sie sich das erste Mal die Nase am Aquarium des mit uns verbündeten Menschen, die Nase platt drückte.
Auf die Frage wer sie denn sei, schwieg sie beharrlich, hatte sie doch eine Mission. „Achtung, jetzt kommt was- Augen und Ohren auf, mach dich ganz weit, damit alle hinter dir in Sicherheit sind.“

„Wenn ich groß bin, werd ich Ichtikologin. Das sind Leute, die sich mit Fischen auskennen. Hast du das gewusst?“. Elegant sind ihre Aufforderungen zum Vermeidungstanz bis heute.

Sie kauften ein zweites Aquarium zusammen. Einen „Fischekäfig“.
F. durfte mit aussuchen. Sie wurde gefragt, welche Fische sie schön fand und sie wurden dann auch gekauft.

In der Schreibtischschublade bei uns zu Hause, wuchs der Stapel von Bildern, auf denen zu sehen war, was sie alles auf einmal durfte. Katzen streicheln, Fische aussuchen, Blumen pflücken, Süßigkeiten essen, albern sein, etwas über „Prokojoten und Eukanidoten“ (Prokaryoten und Eukaryoten) erfahren, Spongebob gucken, eine Verbündete haben, Sachen fragen und erklärt bekommen…

Und dann, nach vielen solcher Momente, wurde sie zur Helferin für unsere Verbündeten.
„Sag mal F. kennst du das Innen, das…? Weißt du was es will? Was kann man da machen?“.
F. wusste es nicht immer, aber oft schon. 184426_web_R_K_B_by_Verena N._pixelio.de

Sie richteten unsere Guppyfarm ein. Wenn der Mensch mal keine Zeit für sie hatte, saß sie davor und fing an, den Fischen von ihm zu erzählen, während im Innen die Ohren aufgingen und lauschten.

F. ist gewachsen.
Jeder Moment mit diesem Menschen, der sie so ernstnahm und achtete, brachte sie mit weniger klar umrissenen Innens zusammen. Sie erwarb Kompetenzen wie Geduld, die Möglichkeit sich klarer auszudrücken und die Fähigkeit Gefühle, die ihr vorher fern lagen, wahrzunehmen.

Nach ein paar Jahren, stand sie dann da und sagte, dass sie jetzt „zweistellig ist“. Sie fühle sich älter und würde keine Babywörter mehr sagen. „Das ist kein Fischkäfig!“- sie atmete ein und sagte, als würde sie mit einem Menschen sprechen, der es nicht wüsste: „Das ist ein A-qua-ri-um! Ich bin nicht mehr klein. Du kannst jetzt ruhig mit Erwachsenenwörtern reden.“.
Es wurde gewürdigt. Das Wort blieb trotzdem. „Weils so niedlich ist.“

Wir haben von F. und über F. viel über uns selbst erfahren.
Ihre Aufgabe ist wichtig- auch wenn ihre Anwesenheit einen Hintergrund hat, den wir bis heute nicht kennen und ihr Auftauchen oft nicht an äußeren Umständen festmachen können. Sie hat einen Blick auf die Welt und ihre Menschen, der uns Alltagsinnens komplett fern und doch etwas ist, dass uns schon manches Mal geholfen hat, wenn er uns reflektiert wurde.

Sie ist ein Innenkind. Kindlich- doch das schon sehr lange. Sie versteht nicht immer alles gleich, aber sie kennt keine Scham wenn es darum geht, Dinge herauszufinden oder die Vermittlung dessen einzufordern. Sie mag Tiere und weiß, wie man mit ihnen umgehen muss. Ihr Blick dafür ist messerscharf und gleichsam intuitiv.

Sie wartet nicht darauf, dass sie jemand schützt. Sie wartet darauf, dass das Gegenüber merkt, dass es das bereits durch sein Sein tut.

Und doch.
Wenn sie im Körper war, habe ich blaugraulila Fingerspitzen und kalte Füße. Fühle in mir einen schrecklichen Gefühlsnachhall und Blitze in der rechten Sichtperiphere, während ich auf dem linken Auge lange nur sehr unscharf sehe.
Ihre innere Weite kommt mir manchmal vor, wie die liebenswerte Verpackung einer Bombe. Dann bin manchmal froh, dass sie für manche Menschen auf immer „die Kleine mit dem Fischekäfig“ sein wird und nicht die Stallhüterin der inneren Apokalypsenreiter, der sie auch ist.

Wir lernen an ihr, dass Innenkinder mehr sind, als der Einsmensch „C. Rosenblatt“ als Kind; oder als eine Ansammlung von Bewältigungsstrategien für die Gewalt in unserem Leben, die irgendwann abgepalten wurden, ohne sich weiter zu entwickeln. Sie ist ein Teil von uns, der sich doch bis heute nie ganz gezeigt hat, obwohl er, wenn er da ist, unübersehbar ist.

Das breite Lächeln und der leicht federnde Vermeidungstanz, ist dann doch immer wieder das, was überwiegt.
Bis sie sich vielleicht doch irgendwann mal eine Pause erlauben kann.

„der Weg“ ist der Weg- nicht das Ziel

Nach einem Tag wie gestern, in dem viel ums Wachsen ging,553608_web_R_K_by_Andreas Hermsdorf_pixelio.de
kommt auch die Gedankenwuselei um die Zukunft auf und damit die Unsicherheiten, unbequeme Realitäten und Fakten.
Wir selbst und die Steine, die wir sowohl uns selbst, als auch von außen in den Weg gelegt bekamen.

Wie geht es weiter mit den Rosenblatts?
Sie sind noch keine 30, haben eine mittlere Reife, geistiges und körperliches Potenzial. Sie sind motiviert grundsätzlich etwas zu schaffen und leicht zu begeistern.
Aber was denn nun zum Geier? Und vor Allem: Wie?

Letztes Jahr haben wir 152 Bewerbungen rausgeschickt, um im Handwerk einen Platz zu bekommen. Doch trotz lautstarkem Gejaule der Branche, konnte es sich selbige dann doch noch leisten 17 jährige männliche Menschen zu bevorzugen.
In den letzten 5 Jahren haben wir so viele Absagen und Zettel über Teilnahmen an diversen Trainings, Praktika und Probearbeitszeiten kassiert, dass wir einen Aktenordner füllen konnten und haben es dann aufgegeben.

Dann die Idee doch das Abitur zu machen. Abendschule. Wieder. Obwohl wir doch eigentlich genau wissen, dass das so derartig kräfteraubend und auch systemverändernd ist. Es ist für jeden Menschen- egal, ob multipel oder nicht, klar, dass kein Mensch, der in der Woche ca. x Stunden schläft, permanent körperliche Verletzungen heilt und einfach grottig schlecht in Sachen Ernährung gestellt ist, in der Lage ist, so funktional zu sein, dass er es ohne Versehrung irgendeiner Ebene schafft, sich an 5 Tagen in der Woche auf Lerninhalte zu konzentrieren. Die Rosenblatts aber- die melden sich für die Schule an. Könnte ja klappen- hat ja immer geklappt.

Die Zeit nach der letzten Abendschule- ach- war doch toll so dünn! War doch trotzdem geschafft und hey- wir haben uns gut regeneriert danach, so mit dem ganzen Krams drumrum, den Pflegetieren und den Jobs und so…

Eigentlich haben wir gerade ein Level erreicht in dem es uns „okay“ geht.
Am Tag werden zwei Artikel geschrieben. Sich weitergebildet, damit man keinen Quatsch schreibt und damit auch ja keiner merkt, was für eine minderwertige Abfallexistenz diese Worte aneinandergereiht hat.
Das Buch wächst langsam vor sich hin und wird vielleicht eventuell etwas, von dem viele Menschen etwas haben. Oh ja das Buch wird etwas, das vielleicht endlich mal etwas ist, dass die Rosenblatts zu jemandem macht, der auch etwas zurückgibt. Endlich!

Aber noch ist es so, dass jeder Artikel, jeder Satz ,jede Aktivität die verrichtet wird, sowas von ein inneres Verbrechen ist, dass das Leben außerhalb dessen, eigentlich nur eine Bezeichnung zulässt: Qual an deren Ende gearbeitet werden muss.

Es ist subtil- man merkt es nicht, wenn man mit uns zu tun hat und die Spaltungen, die wir in uns und im Außen haben, generieren nur allzu leicht ein Leben damit. Dinge die uns belasten könnten, belasten niemals die leidende Ebene, sondern ausschließlich die Kompensierende. Jene Ebene, die eigentlich die Leidende unterstützen könnte. Doch das ist schmerzhaft und konfrontiert mit einer Ohnmacht.

Wer wählt die Ohnmacht, wenn er Macht und Aktivität wählen kann?
Wir haben die ganzen Bewerbungen immer rausgeschickt, weil wir davon ausgingen, dass wir auch mit Abstrichen zwar, in jedem Fall in der Lage gewesen wären, das alles auszubalancieren.
Jetzt ist da der Freiheitsschock. Da ist eine Bombe hochgegangen und es ist nicht mehr die Frage, wie man Schutt und Asche aus der Vergangenheit verschiebt, um neue Häuser aufzubauen, sondern die Frage, wie man verhindert, dass einem die Verletzten wegsterben, die Brände gelöscht und die umherfliegenden Schrabnellen der Vergangenheitstrümmer, das neu aufgebaute Strohüttchen und Lazarettzelt noch kaputt fetzen- noch WÄHREND man sich auf den Weg macht, neue Häuser zu bauen, Bäume zu pflanzen und Bedingungen zu erschaffen, die ein gesellschaftlich höher anerkanntes Verdingen ermöglichen.

Es ist ein Schwanken zwischen alt und neu- bekannt, doch einfach nur furchtbar und unbekannt, doch so sehr gewollt. Dann sind da Rosenblätter die sachte rauschen: „Hey- es ist Zeit! Keiner außer das Arbeitsamt drängelt, dass wir etwas machen sollen. Dafür haben wir die Zettel auf denen draufsteht, dass wir chronisch krank sind- das impliziert, dass man zwar Absprachen machen kann, aber nie und immer genauso wie chronisch gesunde Menschen auch dem so zu entsprechen in der Lage ist. Wir können doch jetzt die Kraft in die Therapie stecken- nicht arbeiten oder lernen. Keine Vermeidungstänze machen mit zig Jobs und Parallelleben aneinander vorbei… Einfach erst mal wieder ein Plateau erschaffen, das man nicht „Stück für Stück- Suizid“ nennen sollte. Schlafen, Essen, keine körperliche Selbstversehrung mehr. Das ist doch die Basis. Wir würden doch anderen Menschen die genauso überleben, wie wir es tun- und auch noch gezwungen sind das „Leben“ zu nennen, weil wir gerade in diesem Zustand existieren und zurecht kommen- auch nicht auferlegen, zur Schule zu gehen, gefälligst niemandem auf der Tasche zu liegen, sich jetzt aber endlich doch mal aufzuraffen etwas Anderes zu tun, als das, was ihnen Kraft und Hoffnung, ein Ausleben ihrer Begabungen ermöglicht…“

Doch dann sind da die Rosenblätter, die genervt sind. Die sich aufbäumen und sich gefangen fühlen. Stets und ständig abhängig gemacht sehen: „Wir sind doch jetzt nicht mehr so bedürftig! Wir haben schon das das das das und das geschafft! Jetzt muss doch endlich mal ein Schritt vorwärts kommen, der uns auch nach außen autonom macht! Wie soll das denn werden in der Zukunft? Hartz4 und Kinderwunsch- ein absolutes no-go! Kinderwunsch und DIS- oh man- man kann ja schon richtig hören was „die Leute“ dazu denken! DIS und die Welt besser machen- das kann doch nur schief gehen! Wir machen das jetzt einfach alles gleichzeitig- jetzt kurz 3 Jahre zusammenreißen, Abi, Studium, bezahlte Arbeit, Familie mit Kind. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir kriegen das schon hin irgendwie. Es geht immer irgendwie…“

Und dann sind da die beobachtenden Rosenblätter, die daneben stehen und sehen, dass sich das gesamte Rosenblättergemisch mittels Zukunftsgedanken einfach nur wieder ein Werkzeug für den Suizid schnitzt.
Also schreiben sie ein Artikel darüber, merken, wie Kraft des Tages wieder in Worte geflossen ist und nicht in das Abschicken der Hartz4-Zettel für die vollständige Anmeldung in der Schule, nicht in die Selbstfürsorge und auch nicht in die Veränderung dessen, was man verändert haben will.

Vielleicht schafft man es heute endlich mal darüber zu weinen. Vielleicht mal so etwas wie eine Trauer darüber, dass man nun frei ist, zuzulassen. Nicht zu wissen, wo man jetzt steht und auch nicht zu wissen, wo man steht, wenn „Zukunft ist“. Vielleicht ist es dran zuzugeben, dass man das Ende seiner Gefangenschaft, trotz aller Schmerzen und Leiden, auch als unglaublich großen Verlust empfindet und nur deshalb in zu hohe Ansprüche geht, weil man so etwas noch nie von anderen AussteigerInnen wahrgenommen hat.
Bei denen steht immer soviel bockige Energie- da steht immer was von Kampf und Mut. Vom Annehmen, der inneren Dunkelbunten und „ihnen beibringen, dass es jetzt alles toller ist“. Da steht immer so viel Zukunft.

Aber irgendwie selten die Gegenwart, die sich in festumklammerten Selbst-s-Foltermethoden aus bekannter Verpflichtung heraus und Sturmdrang in Richtung Leben und Freiheit in Gänze vermischt. Diese Episode, in der man wie mit Vollgas und angezogener Handbremse auf das Ergebnis des Todes zuschießt- Stückchen für Stückchen, total subtil, händchenhaltend mit all seinen Gemögten und Begleitern und Verbündeten.

Einfach so- noch während man ein anderes Ziel für sich konstruiert und von den Wellen der Kraft auf denen man manchmal so reitet, auch zu ertrinken Gefahr läuft.

Vielleicht hat es auch mit einem Akzeptanzprozess (einem Wachsen) zu tun, dass man aktuell zu einem Opfertäter an sich wird. Und der Akzeptanz, dass man dies erst wirklich genau weiß, wenn man in dem Bereich ausgewachsen ist. Dann, wenn Zukunft ist.

die Liste

Es raschelt leise, als sie die abgegriffene Liste aus dem Bauch des Plüschnilpferds herauszieht.
„Dinge die ich machen will, wenn ich frei bin“

Es dauert nicht lange, da tropfen die hundertsten Tränen an den Rand.
So viele Dinge sind bereits durchgestrichen oder mit großen Stolzbuchstaben kommentiert. Ein kleiner Kringel neben die Dinge, die man an der Seite eines Menschen erlebte, der nun so fern erscheint.
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„Das ist wie ein Leben im Leben in Freiheit, das bereits fertig gelebt wurde, nicht wahr?“. Sachte streichen weiche Federn über ihr Gesicht, lassen die Trauer etwas weichen und den Griff um den Brustkorb lockerer werden. „Ja. Irgendwie ist dieses Leben fertig entwickelt und ausgeglüht. So wird es nie wieder.“

Sie greift zum Taschentuch und macht sich frei. Streichelt den Hund, tupft die Feuchtigkeit vom Papier.

„Gibt es etwas davon, was du heute versuchen möchtest?“, es raschelt leise hinter ihr.
Sie atmet ein, horcht nach innen, überlegt und liest sich die Punkte durch.

– in einem Laden ein ganz neues unreduziertes Kleidungsstück kaufen, das gefällt
– einen ganzen geräucherten Fisch kaufen und essen- ganz mit ohne alles
– Schnittblumen in einem richtigen Blumenladen kaufen
– etwas schreiben, ganz nachts, an einem offenen Fenster, wenn ein bisschen Wind herein kommt

„Ja“, ein Lächeln durch die Schleier des Moments.

Es raschelt, als sie Liste aus ihrer Jackentasche zieht.
Eier
Milch
Butter
Backmischung
Wasser
Fleisch
ein ganzer geräucherter Fisch (
das ist von der Liste und du musst mir helfen damit)

„Nunja… „, sie schnalzt mit der Zunge und stampft sich den Weg durch den Markt. „Aber wenn schon, denn schon.“ Sie nimmt den größten, schönsten, festesten, den sie finden kann und legt ihn vorsichtig in den Korb.
Sie schreibt auf die Rückseite ihrer Liste:
Etwas, dass ich möchte, wenn wir frei sind – einen ganzen FRISCH geräucherten Fisch essen, mit Beilage, in angenehmen Ambiente.

„Es ist, als würde sich ein Leben nach dem Anderen neu konstruieren, noch während man eines lebt, nicht wahr?“
Sie wischt sich die fettigen Finger an einem Tuch ab und kichert. „Oder, als würde Einer nach dem Anderen langsam merken, dass wir solche Sachen heute wünschen können, ohne, dass etwas Schlimmes passiert.“ Sie streicht einen Punkt durch und überträgt den Neuen.

Täter_Abkehrschmerz_Kontakt Teil 5

Und dann ist da der Schmerz der kommt, spürbar ist und bleibt.
Freiheit sollte keinen Preis haben.
Für Menschen ohne Ressourcen hat sie das aber unter Umständen schon.

Ich muss, während ich dies schreibe, an den Kommissar a.D. Hr. Paulus denken, der bei der Tagung, so emotional für frühe Interventionen eintrat. Wir waren verdammt früh dran, für alles das was in unserem Leben passierte und doch scheint es für uns als Mensch in einer (kapitalistischen) Leistungsgesellschaft, als sei doch schon alles zu spät. Als sei das, was für uns gut und wichtig ist, nichts, was uns irgendwann in die Lage bringt tatsächlich jemals so frei zu sein, dass wir wirklich und tatsächlich sagen können: „Ja, hier habe ich das Sonderangebot der kostenlosen Freiheit in der Hand, von dem ich im allerersten Artikel zum Thema „Täterkontakte“ geschrieben habe.“442855_original_R_by_Günter Havlena_pixelio.de

Wir waren minderjährig, als wir, aus welchen Gründen auch immer, (psychisch) auffällig wurden. Minderjährig, als wir aus eigener Kraft wegliefen und uns in räumliche Entfernung brachten. Minderjährig, als wir uns jahrelang durch die Mühlen von Institutionen der ja fast industriellen Massenbearbeitung zwecks „Heilung“ (die eigentlich „Anpassung“ meint) hin und her schieben ließen. Minderjährig, als wir Entscheidungen treffen mussten, die ein Leben beeinflussten, von dem wir noch nicht einmal wussten, wie genau das aussehen könnte/ sollte/ müsste.

Wir haben so ziemliche jede Etappe, die uns aus den destruktiven Konstrukten herausbrachte, fast allein gekämpft. Nur diesen Aspekt der Gewalt, haben wir in einer Art beendet, die uns in Kontakt brachte.
Und nun, wo wir alles das hier aufschreiben, kommen wir in Kontakt mit dem Trennungsschmerz.
Dabei ist das alles schon viele Jahre her. Doch diesen Punkt- den Verlust und die Bedeutung all dessen, was vielen Innens Sein und Ziel gab (und noch immer gibt), haben wir bis heute nicht bearbeitet und verkraftet. Es schwelt wie ein blubbernder Pudding unter der Haut und kommt ab und an mal wieder hoch.
Weil wir eben mit genau dem unglaublich allein stehen.

Es ist der Haken an Pseudoreligiosität oder auch den sozialen Rollen in Gewaltbeziehungen.
Du bist etwas und stehst für etwas. In deinem kleinen Leben, das so voller Schmerz ist, bist du etwas für jemanden (oder etwas). Da gibt es Pflichten, Zwänge, Regeln, die genau deinen Wert abzirkeln, dich genau wissen lassen, wo du stehst. Es ist unverfälscht und steht im direkten Bezug zu dir.
Fällt es weg, bist du nichts mehr- weder vor anderen noch vor dir selbst.

Das ist der Punkt, der unglaublich anfällig für die nächste Sekte, die nächste gewalttätige Beziehung, die nächste Extremistengruppe macht. Ich las neulich einen Artikel in dem stand, dass Aussteiger nach dem Ausstieg aus satanistischen Kulten ihren Zugang zum Christentum finden und klebte unter der Decke, weil ich mich direkt fragte, wo dann da bitte die Freiheit blieb?
Selbstdefinition passiert über das was man tut und die Wertschätzung, die einem darüber entgegen kommt.

Jeder sagte uns nach dem Ende der Gewaltkontakte, dass wir das toll durchgestanden hätten und gut für uns gekämpft hätten. Aber niemand hat gefragt, was dann kam.
Und so kam einfach: Nichts.

So ist das, wenn man spaltet. Da ist dann einfach nichts. Lieber nicht dran denken, lieber nicht dran rühren. Man hat ja nun geschafft, was immer in den tollen Büchern steht und was „die Anderen“ sich so für einen wünschten. Die schlimmste Angst ist ja jetzt weg. Der regelmäßige Schmerz ist ja jetzt weg. Jetzt ist der Wasserhahn ja abgedreht.
Dass er in unserem Fall noch tröpfelte, haben wir unterschätzt; dass es BÄÄÄMs und noch immer hoffende MittelBÄÄÄMs in Winkeln bei uns sitzen gibt, nicht gewusst, weil es keinen Kontakt gab.

Und jetzt, wo er endgültig zugedreht ist, hören wir das Knacken und Knirschen der Wanne.
Man steht davor und weint immer mehr Tränen hinein, weil man- trotz aller Kämpfe und aller Kraft und auch aller Erfolge, noch immer nicht genug in Kontakt mit seinen Händen ist, um den Stöpsel zu ziehen und alles das, was sich da angesammelt hat, rauszulassen.

In der ganzen Zeit haben wir gedacht, dass wir, wenn wir erst mal frei sind, nicht mehr soviel Kraft vergeuden würden müssen, weil wir ja dann nicht mehr ständig Gewalt wegdissoziieren müssen. Dass wir mehr Energie zur Verfügung hätten, um uns richtig doll anzustrengen und auch endlich einen Beruf zu erlernen und nicht mehr in dieser menschenunwürdigen Hartz-Maschine zu stecken. Beim Beginn der ambulanten Psychotherapie nicht von Anfang an auch noch darüber nachdenken müssten, ob wir uns XY leisten könnten, oder ob wir nicht doch lieber noch ein Wochenbugdet beiseite legen um Stunden selbst zahlen zu können- wir wollten ja arbeiten und uns das leisten können.
Wir dachten ja, wenn man frei von Täterübergriffen sei, sei man tatsächlich frei und (man-) selbst- ständig.

So war es aber für uns nicht.
Alles was sich änderte war die Gewalt. Von der Gewalt, mit der wir aufgewachsen und an die wir angepasst waren, die uns Sinn und Sein gab, zu der Gewalt aus der man schlicht nicht aussteigen kann, ohne die komplette Aufgabe all dessen, was man sich doch so hart erkämpft hat.
Natürlich könnten wir in den Wald ziehen und von Gänseblümchen leben. Könnten auf den Staat pfeifen und uns durchschnorren. Doch dafür haben wir das alles nicht auf uns genommen.
Dafür haben wir das alles nicht überlebt- dafür haben wir nicht die Wertnormen aller uns umgebenden Welten von uns abgetrennt. Für ein Leben in Haltlosigkeit ertragen wir diesen Abtrennungsschmerz nicht.

Und doch ist genau dies unsere derzeitige Phase.
Zu erkennen, dass man nicht wirklich frei ist, sondern schlicht haltlos frei herumfliegend.
Im Moment unglaublich tief erschöpft von der Suche nach Halt durch Hilfen und Begrenzungen.

Ja, wir haben mehr Energie und es geht uns in vielen Bereich besser als zu der Zeit, in der manche Innens noch regelmäßig gequält wurden. Aber das, was wir als Ergebnis dieser Befreiung erhofft hatten, ist schlicht nicht eingetreten.

Es ist also auch eine Abkehr dessen, was uns lange durch diesen Prozess getragen hat: Das Denken, es gäbe eine Ordnung und einen Rahmen für uns, wenn wir auf etwas verzichten, was in dieser Welt außerhalb dessen aus dem wir kommen, verurteilt ist.

Vielleicht gibt es diese Ordnung irgendwann. Vielleicht sind wir einfach zu erschöpft von dem Stück für Stück Selbstmord den wir seid dem endgültigen Zudrehen des Täterkontaktes letztes Jahr begehen. Das weiß ich nicht. Ich bin zu jung, um zu wissen was jetzt kommt. Wie lange und was für ein Leben habe ich schon gelebt, um nun auf bereits gemachte Erfahrungen mit so schweren Sinnkrisen zurückgreifen zu können? Da ist keine Basis- nur Material, um etwas Neues aufzubauen und mir selbst einen Rahmen zu zimmern.

Doch dafür brauche ich noch mehr Kontakt mit meinen Händen. Eine vielleicht nur noch zu zwei Dritteln gefüllte Badewanne. Hilfe von außerhalb. Mut und Zutrauen, diese auch anzunehmen.
Aber im Moment habe dies einfach nicht.
Ich bin müde, habe Schmerzen und quäle mich durch die Tage, versuche die Menschen, die mir begegnen nicht anzuschreien, obwohl ich permanent das Bedürfnis dazu habe. Schreibe mich hier täglich leerer, weil ich denke, dass es mich irgendwie definiert als jemand, der etwas tut. Jemand der etwas erschafft und nicht nur Ressourcen frisst.

Die Hilfe, die wir bis jetzt hatten, gibt es so in der Form nicht mehr, dass wir sie nutzen können.
Die Beziehung zu den mit uns verbündeten Menschen hat sich verändert, in den letzten Jahren. Wir sind nachwievor verbündet- aber nicht mehr auf dieser Ebene. Die Kontakte, die wir haben, können alle nur ansatzweise versuchen zu verstehen und nachzufühlen, was in uns vorgeht. Das ist nicht schlimm oder ein Defizit, aber es ist eben nicht das, was wir im Moment ge-brauchen können. Wir brauchen sie! Wir brauchen sie alle! Nur ge-brauchen können wir sie eben nicht.

Wir können keine der sich derzeit bietenden Klinikkonzepte nutzen, weil wir über das hinaus sind, was da angeboten wird. Keine Sektenberatung kann uns helfen, weil die Alternative zu geistig-religiös-spiritueller Haltlosigkeit eben geistig-religiöse-spirituelle Konstrukte sind, die alle samt und sonders- egal wie liberal man sich in div. Gemeinden gibt, einsperren und bei uns alles explodieren lassen würden (unser Eiertanz, den wir hier ab und an zeigen, reicht ja eigentlich, um zu zeigen, wie schwer es schon in Eigenregie ist).

Trotz allem, was jetzt gerade brennt sind diese Gedanken und Schmerzen anders, als die, die es früher gab.
Ja- wir kämpfen wieder um unser Überleben- genau wie wir das noch zu Zeiten in denen andere Menschen noch über uns verfügten, tun mussten.
Doch heute zerstören wir uns selbst, (leben also eine Eigenmacht aus) und sind einer Art Gewalt unterworfen, der sehr viele andere Menschen auch unterworfen sind.

Wir sind also nun, durch alles was wir geschafft haben, immerhin in der Position selbst und eigenmächtig zu bestimmen, ob und wie wir leben oder sterben.

Es ist ein bitterer Sieg.
Aber es ist ein Sieg.

Ende

Täter- Angst!- Kontakte Teil 3

Und dann ist da die Angst.

Angst ist hochgiftig und mitunter tödlich. Das weiß jeder, der mal wild durch einen Hühnerstall getobt ist oder Aquarienfische zum Umsetzen einfangen musste. Wird es zu viel für den Organismus, ist eben Ende.

Menschen die immer wieder Traumatisierungen erleben, passen sich auf verschiedene Arten an die Angst an. Manche „haben dann eben keine mehr“, manche werden Profivermeidungstänzer und manche agieren dann „plötzlich mit übermenschlicher Kraft“.
So ein Angstdorn vorm Täter sitzt ganz gern im Fleisch und fängt an Wurzeln zu schlagen. Die Blüten der Angstpflanze hat viele Gesichter und früher oder später treten Einzelne davon immer offen ans Licht.

Angstblüten stinken ganz erbärmlich.427490_web_R_K_by_Lizzy Tewordt_pixelio.de
Unsere erste Angstblüte war selbstverletzendes Verhalten par excellence in Form einer Essstörung und selbst zugefügten Wunden. [Etwas, das ich immer wieder nicht verstehe ist, dass die ersten Erklärungen von außen für so ein Verhalten in Ebenen der Betroffenen und deren Alltagsleben gesucht werden, die natürlich nicht außen vor bleiben sollten, doch den Kern unberührt lassen. Meiner Meinung nach ist der Grund für so ziemlich jede Unter- Nebenart von „Wahnsinn“ oder „psychischer Krankheit“ schlicht Angst und die Versuche mit ihr irgendwie um zugehen. Das Stigma des „psychisch Kranken“ hilft dabei übrigens überhaupt nicht!]

Was das mit Täterkontakten zu tun hat?
Na- schnuppern Sie gerne an stinkenden Blumen, wenn Sie nicht gerade der Züchter selbiger sind?

Wer es richtig gut drauf hat, Ängste zu sähen, zu pflegen, zu nähren und in ihrer Entwicklung zu beeinflussen, der wird ihre Früchte genießen und nutzen können. Im Bereich der organisierten/ rituellen/ ritualisierten/ lange anhaltenden Gewalt finden sich außerordentlich versierte Angstpflanzenzüchter.
Sie schaffen es vor Allem und Jedem Angst zu verbreiten. Sei es durch schmerzhafte „Strafen“, durch gezielte Folterungen, Erpressung, Drohungen (die ab und an wahrgemacht werden) oder durch Nutzung der derzeit absolut opfer(frauen)feindlichen Gesellschaftsstrukturen.

Wie man Ängsten begegnet ist klar: Man schaut sie sich an, findet heraus, worum es bei der Angst geht, wägt ab, wie berechtigt oder unberechtigt sie ist und probiert herum, welches (andere- nicht/ weniger destruktive) Agieren, oder auch welches Agieren anderer Menschen, oder auch welche Umwelteinflüsse sie positiv im Sinne einer Linderung beeinflussen.

Wie soll ein Mensch der evtl. von Geburt an gelernt hat, dass seine Angst nur dann erträglich wird (oder gar nicht aufkommt), wenn er tut, was der Täter sagt? Wenn er vielleicht sogar noch irgendwann Angst vor Ängsten oder Angst vor Ängsten die wiederum Ängste aufkommen lassen entwickelt hat- ohne überhaupt sagen zu können, worum es dabei eigentlich geht, weil es dissoziative Barrieren gibt?
Schönes Beispiel unsere Frontfrau.
Sie hat bis heute kaum mehr als ein bedrohliches Dämmern, wenn es um Dinge unserer Biographie geht, die vor dem sechzehnten Lebensjahr geschahen. Aber Angst ohne Ende. Das ist dann mal ein Puzzle, das hier rum liegt und für ein anderes Innen eine Assoziation mit einem Erlebnis aus eben jenem Zeitabschnitt ermöglicht. Die Frontfrau kriegt diese Verbindung nicht hin- weiß aber, dass sie sich mindestens davon bedroht fühlt. Dann kommt da die Lernkette: „Immer, wenn in mir etwas dämmert verliere ich Zeit“- „Immer wenn ich Zeit verliere, tue ich Dinge, die gar nicht meiner Meinung/ Wunsch/ Naturell/ Fähigkeiten entsprechen“- „Diese Dinge kann ich nicht erklären und erst recht nicht so in der Form erinnern/ wiederholen geschweige denn (vor mir selbst) rechtfertigen“- „Ich bin in der Falle (werde nie entsprechen können)“- „Alles ist aus“
Dies macht in unserem Gesamthirn einen Wechsel- da dies die Art tödlicher Angst ist, vor der es sich zu schützen gilt.

Ein ähnliches Wechselmuster gibt es bei Multiplen mit Täterkontakten. Ob gezielt eingebrachte oder schlicht Personen- Umstandsgebundene Trigger: die Folge ist ein Schutzversuch- der Versuch seine (sehr berechtigte und sich ja immer wieder neu bestätigende) Angst zu verhindern (bzw. zu lindern).

Ich schrieb es im ersten Teil. Die Dränge…
Phoa wir hatten so eine Angst verdammt und immer wieder haben wir versucht das altbekannte Muster zur Linderung dieser Ängste zu fahren.
„Schnell hin- anrufen- Besuche machen- alles und alle beschwichtigen- hier nimm mich- da, du kannst mich haben und alles ist wieder „gut“.“
„Okay, jetzt war ich nicht da- jetzt sollte ich mich opfern- besser ich machs jetzt bevor…“
„Ich habs nicht gemacht- Jetzt wird XY passieren- ganz sicher- ich habs ja mit eigenen Augen….“
„Ich bin noch immer da ich minderwertiges Stück Dreck- ich bin….ich muss- ich sollte- es wird sicher…“
„Sie werden mich hassen… meine lieben… sie werden enttäuscht sein- ich will sie doch nie enttäuschen….“
Die Liste ist so lang und dies hier ist nur ein Abriss.

Die Angst ist pur gewesen. Da gab es schlicht keinen Platz für Rationalität.
Daumen hoch oder runter. Nur das diesmal, dort in diesem geschützten Rahmen, mit jemandem an unserer Seite nicht die Entität des Imperators* saß, sondern einzig meine ekelhaft stinkende Angstdiktator*pflanze.
Ich glaube heute, dass die Schmerzen, die wir während des ersten depressiven Schubs hatten, eine Art Vergiftungserscheinung waren.
(Depressionen lassen einen nicht nur so fühlen als sei man „irgendwie tot“- im Gehirn passiert dann auch real nicht viel mehr als das Sparprogramm)
Die Möglichkeit zu erfahren, dass keine der Ängste (und Überzeugungen) die in uns tobten von außen her bestätigt wurden, war es die uns sehr half. Nun hatten wir einmal erfahren, dass uns an der Seite dieses Menschen und in seiner Obhut nichts von dem geschah, was wir befürchteten und es gab einen kleinen Bruch in der Lernkette, der sich immer weiter vertiefte je länger wir durchhielten und den wir immer deutlicher (und mehr von uns) spürten.

Ich hätte mir in der Zeit sehr gewünscht, dass uns unsere Therapeutin oder auch unsere Psychiaterin näher gestanden hätten, als sie es taten. Das was wir da betrieben haben, war ein Blindflug und weder wir noch unser mit uns verbündeter Mensch, hatte wirklich eine Ahnung, wann diese Angsthölle durchgestanden sein würde, was genau eigentlich gerade passiert und so weiter. Doch unsere Angst vor Menschen in helfender Position und auch die dissoziativen Barrieren rund um die Frontfrau, verhinderten eine klare Kommunikation der Gesamtumstände. Es gab leider keine Vernetzung zwischen den Behandlern, den Betreuern und unseren Verbündeten. Ich bin darüber noch immer wütend und auch traurig, weil es mit diesem Wissen im Nacken schwer fällt andere Betroffene davon zu überzeugen, dass es sich lohnt sein Helfernetz so weit und eng wie nur irgend möglich zu spannen. Ich habe ja erlebt an was für Eitelkeiten und Unbeeinflussbarkeiten genau dies scheitern kann.

Wie gesagt- das war für uns nicht das Ende des „Täterkontaktes“, aber es war das Ende des „den gewaltvollen Täterkontakt- Suchens, weil man Angst hat (und einer Verpflichtung nachgeht, um Schlimmeres zu verhindern)“. In der Folge riefen wir auf jeden Anruf mit fremder Nummer (die übrigens nie zurückrufbar waren), auf jeden Zettel, jede seltsame Begegnung bei unseren Verbündeten an, statt dort, wo man es von uns erwartete. Die Angst war plötzlich nicht mehr pur und radikal. Da gab es langsam ein Zeitfenster von ein paar Minuten und die konnten wir nutzen um unser Netz abzutelefonieren- um dann beim Ersten, der abnahm abzuschmieren- logisch. Aber! Wir sind nicht bei einem Täter abgeschmiert, sondern bei Menschen, die diese Ängste beruhigen helfen konnten durch die Erinnerung daran, dass schon so und so lange nichts passiert ist, dass das und das Ding einfach gegen sämtliche Logik und Naturgesetze wäre… und so weiter.
(Und hier ein Seitenhieb den ich mir dann doch nicht verkneifen will: Helfer mit Telefonsprechzeiten und striktem Kontaktreglement, die gleichzeitig drängeln Täterkontakte zu beenden…. wunderbar! Einfach wunderbar. 24 Stunden Erreichbarkeit ist nicht erforderlich. Aber zu vermitteln, dass der Klient bitte exakt Donnerstags zwischen 14 und 14:30 Uhr seine Krise zu planen hat und sonst nicht stören soll- sorry, dass ist dumm und hilft nicht.)

4 Monate durchgängig und intensiv in jeder Beziehung zu lernen, dass jeder Unwille von uns zu respektieren ist (und zwar von jedem Menschen), zu lernen, dass nichts von den ganzen furchtbaren Befürchtungen eintrat, von denen viele von uns überzeugt waren (und manche trotzdem noch immer sind!) und ganz direkt und nah zu erfahren, dass wir einfach mal so sein gelassen werden, wie wir sind, hat geholfen.

Fortsetzung folgt

*der Imperator ist der Befehlshaber übers Militär gewesen- der Diktator ist Befehlshaber über den gesamten Staat…*

täter?- KONTAKT! Teil 1

Immer wieder kommen Menschen mit Suchanfragen bezüglich des Themas „Täterkontakte“ auf diesen Blog.
Ja- phu- was für ein Thema- natürlich unglaublich wichtig und eigentlich dauerpräsent.
Natürlich möchte ich dem angemessen begegnen, breche hier dann aber gleich zu Beginn einfach mal ab.

Nein- wir reden jetzt mal nicht über TÄTER(kontakte), sondern über KONTAKTE.

Über die Täter wissen wir schon richtig viel und täglich wird es mehr.
Doch die Einsamkeit der Opfer bleibt unbenannt und das ist etwas, das unter Umständen tödlich ist. Im Gegensatz zur Gewalt, die sie vorher überlebten und oft noch eine ganze Weile überleben, wenn es um organisierte oder auch Partnerschaftsgewalt geht.

Es war eine der bittersten Erkenntnisse die wir im Verlauf unseres „Ausstiegs“ (den ich im weiteren Text lieber „Abkehr“ nennen möchte- da wir niemals einen „Einstieg“ hatten, sondern hineingeboren wurden) hatten:
Gewalt ist überlebbar– auch wenn es sie sich nie so angefühlt haben kann. Immer gefühlt endlos dauerte und immer weiteren Schaden in uns verursachte.
„Wir sind fähig grausame Qualen zu erfahren und am nächsten Tag wieder zur Schule zu gehen, unsere Betreuer und nahe stehenden Menschen im Glauben zu wiegen, es gäbe keine Täterkontakte.“

Zwischen dieser Erkenntnis und der Kraft sich tatsächlich direkt zu verweigern, lagen bei uns etwa 3 Jahre.
Wir hatten in der Zeit ein Kontingent von über 20 Fachleistungsstunden pro Woche im Rahmen der ambulanten Jugendhilfe, eine ambulante Psychotherapeutin, eine Psychiaterin, einen Hausarzt und eine Klinik mit Schwerpunkt auf der Behandlung von Traumafolgestörungen in der Stadt, die wir zur Intervalltherapie aufsuchten.
Doch keinen einzigen Menschen, dem es rein um uns ging. Und obendrauf, waren wir nach unserer Odyssee der Unzuverlässigkeiten nicht einmal mehr in der Lage uns auf Menschen in helfender Position in irgendeiner Form einzulassen, die mehr verlangte als das was vertraglich/ gesetzlich vorgeschrieben war.

Wenn uns unsere Betreuerin begegnete, haben wir über den Alltag gesprochen, der übrigens nie ein Problem war. Man musste uns nicht beibringen wie wichtig Hygiene und Ordnung, Zuverlässigkeit oder Ehrlichkeit ist.
In der Psychotherapie ging es um „Stabilisieren, was stabilisierbar ist“. (Dies ist zumindest das Fazit heute)
Der Hausarzt klatschte noch bei einem BMI von 17 Applaus und hat bis heute keinen Zugang zu den auch körperlichen Folgen von (Psycho)Traumata- doch um einen anderen zu suchen gibt es noch zu viele Hürden.
Die Psychiaterin verschrieb weiter und weiter Antidepressiva, Benzodiazepine und Neuroleptika.
Nur in der Tagesklinik hatten wir die Chance eine Basis aufzubauen, die es uns in kleinen Schritten ermöglicht hatte eine unserer ersten Verbündeten in unser Leben zu lassen und überhaupt das kleine Fünkchen Resilienz, dass uns knapp 6 Jahre vorher hatte räumlich flüchten lassen, zu hüten und wachsen zu lassen.

Doch wir waren so erst mal unglaublich einsam. Gingen an die Abendschule und versuchten den Normen einer Welt zu entsprechen, die uns verboten war (und nachwievor ist) und kauten uns durch eine Zeit, die absolut bis in die Grundfesten gespalten war; trafen Menschen und enttrafen sie wieder. Was wussten sie denn schon?
Mit Anfang 20 hat kaum jemand so eine Geschichte hinter sich und weiß obendrein noch, dass das was er da gerade erlebt, wahrnimmt und durchmacht so weit außerhalb der Norm liegt, dass selbst jene, die sich mit Extremen befassen, einander darüber in die Haare bekommen.
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Und dann kam da dieser Mensch.
Laut in jeder Hinsicht, mutig, resilient, mitten im Leben und einer zauberhaften Attitüde auf uns zu. Begann Gespräche, diskutierte und debattierte mit uns. Über Monate hinweg kam da stetig jemand auf uns zu, war an uns interessiert, ohne uns „haben zu wollen“. Nicht wir haben den Kontakt eingefordert, sondern dieser Mensch und trotzdem war alles anders, als mit den ganzen Menschen die wir vorher trafen.

Da ging es nicht um Geld, Verantwortung, Zwang oder Ziele.
Da ging es um das Leben und Gemeinsamkeit.
Plötzlich sprach jemand für uns- nicht: statt uns. Sorgte sich um und für uns. Einfach so, weil er sich dafür entschieden hatte.

Über diese Tatsache sind wir dann erst einmal gepflegt zerfleddert. An so eine Beziehung waren wir nicht angepasst- hatten noch nicht eingeübt, wie man ohne Selbstabgabe, ohne den Preis des Schmerzes oder die Notwendigkeit des Verschweigens so einen Schatz bewahrt und mit ihm umgeht.
Bei gemeinsamen Aktivitäten tauchten nach und nach Innens auf, in der Erwartung genommen zu werden- nicht damit rechnend schlichte An-nahme zu erfahren.

Das war wiederum eine Situation, die für diesen Menschen schwierig war. Doch- oh wow! Nein- er ging nicht weg! Er holte sich Unterstützung- doch nicht etwa in einem schlauen Buch allein oder von der Profiseite, sondern von einem Menschen, der ebenfalls multipel ist und machte uns mit ihm bekannt. So trat also der nächste Mensch in unser Leben, der ähnlich verbündet mit uns wurde. (Und übrigens auch „unser erster anderer Multi“- hatte auch was, zu sehen, dass es irgendwie doch ganz normal nach außen aussieht, Viele zu sein…)

Unsere Verbündeten und wir. Ein Bündnis. Eine Ver- Bindung.
Die erste nicht von Machtausübung dominierte Beziehung in unseren 20 jährigen Leben.

Während des Folgejahres wurden wir Stück für Stück unzuverlässig für die Täter. Nicht mehr jeder Zettel in unserem Briefkasten, nicht mehr jedes Angesprochen werden auf dem Weg zur Schule, nicht mehr jedes Klingeln des Telefons wurde beantwortet. Wo wir uns aufhielten und was wir machten, konnten wir nicht verstecken. Wir hatten keine Chance uns bürokratisch zu befreien, obwohl wir es durchgängig mit jedem Antrag der ambulanten Hilfen versuchten und so ziemlich jeden juristischen Hebel durchexerzierten. Der Gesetzgeber schützt die Kernfamilie. Auch die Kernfamilie die ihre Mitglieder zerstört.
Solange keine Strafanzeige gestellt wird und eine Gefährdung eindeutig nachgewiesen werden kann (und das konnte sie eben nicht) gibt es keinen Schutz vom Staat.

Zwei Mal wurde in unsere Wohnung eingebrochen. Einmal stand mitten in der Nacht ein fremder Mensch in unserer Wohnung. Was dort geschehen ist, wissen wir bis heute nicht genau.
3 Wochen später (!) half uns die Betreuung das Schloss auszutauschen.
Dort wir kehrten nicht wieder dorthin zurück.

Die Schutzmöglichkeiten, die sich nun boten, waren ein Witz. Die Notfallausweichwohnung der Betreuung war eine vom Vorbewohner verwüstete Antibiotikazuchtstation in der gerade mal noch unsere Haustiere zum Übergang bleiben konnten. Als Alternative gab es einen Platz in einer Wohngruppe oder die Psychiatrie.
So an die Wand gedrückt, haben wir es dann gewagt und das Angebot angenommen, bei dem mit uns verbündeten Menschen unterzukommen.

Es folgte noch ein Täterkontakt, der in einer kurzen Prügelei und einem deutlichen NEIN endete.
Da wo wir nun lebten, waren wir sicher, das wussten wir.
Nicht weil es doppelt- und dreifach verriegelbare Türen, Panzerglas und keinen Kontakt zu Außenwelt gab oder weil es soviel Bewusstsein über die Täterstrukturen gab oder ein konkretes Wissen darum, was uns wo wie und durch wen angetan werden könnte, sondern, weil es jetzt definitiv jemand bemerken würde, wenn wir plötzlich nicht mehr da sind.
Wir wussten, dass dieser mutige Mensch keine Hemmungen hätte, beim leisesten Verdacht die Polizei anzurufen und zur Not zu erstreiten, dass diese sich zu uns in die Wohnung bewegt. Dass dieser Mensch gegenüber den so verletzten Innenkindern ein so großes Schutz- und „Behüt“-Bedürfnis hat, dass er sich in jedem Fall an unsere Seite stellen würde, um uns daran zu hindern von uns aus Kontakt aufzunehmen oder uns oder ihm etwas anzutun.

Und dann kamen die Dränge.
Erst der Drang zu gehen, Besuche zu machen. Dann der Drang zu sterben. Dann die große Depression, die mit unsäglichen Schmerzen einher ging. Dann die Flashbacks. Dann die Panik. Dann die inneren Zeitverschiebungen. Dann der letzte Überfall. Dann der Drang sich zu entschuldigen. Dann die ersten Krampfanfälle (die sich übrigens als seltene Nebenwirkung eines Medikamentes herausstellten, das wir in der Zeit anfingen zu nehmen). Und dann der kalte Entzug der Benzodiazepine, weil uns sonst die Sanitäter nicht mehr helfen konnten, wenn der Krampfanfall nicht anders als mit Medikamenten unterbrochen werden konnte.
Dann die inneren Tenöre. Dann der Hass nach Außen. Dann wieder die Depression. Dann wieder die Angst. Dann die Trauer. Dann die Wut. Dann wieder die Angst. Geschlafen haben wir in der Zeit so gut wie gar nicht (wenn dann eben durch Medikamente).

Und dann… nach etwa 3- 4 Monaten: Sonnenbrand.
Vogelzwitschern. Kinder im Hof. Kein Schuldgefühl beim Griff nach einem Lebensmittel. Erster Galgenhumor über einzelne Situationen der letzten Monate. Die Katze auf dem Bauch deren Schnurren den eiskalten Klumpen im Bauch antaute. Mehr Aktivität als das Liegen auf der weißen Couchwolke. Eine neue Wohnung in Aussicht und Pläne diese einzurichten.
Ohne an uns zu zweifeln, suchte der Mensch erst Pia und dann Mia mit uns aus. Zwei wunderbare kleine Katzenseelchen, die uns erfreuten, Sorgen umlenkten, strukturierten, eingrenzten und doch über uns hinaus wachsen ließen.
Ein Neustart.


Wir haben nie wieder Gewalt durch Täter ertragen müssen.
Obwohl es nachwievor „Täterkontakte“ gab. Die bürokratische Zwinge konnten wir nicht aufbrechen und durch viele Datenschutzlücken und auch Nachlässigkeiten unserer Betreuer (bzw. jetzt der Menschen in den Ämtern, von denen wir abhängig sind), waren (und sind wir nachwievor) gefährdet.

Doch wir sind sicher, denn wir haben KONTAKT hergestellt.
Nicht nur zu (inzwischen vielen) Verbündeten, Gemögten und HelferInnen, sondern auch zu unserem Resilienzfünkchen und der Welt die so schön- wenngleich so verboten ist.

Fortsetzung folgt


P.S. Es gibt bereits einen Artikel der sich mit dem Thema befasst. Doch die Häufigkeit der Suchanfragen, rechtfertigt für mich ein häufigeres Aufgreifen, auch weil ältere Beiträge gezielt gesucht werden müssen.

„Einstieg in die Freiheit“, statt „Ausstieg“

Es ist für uns gerade eine Zeit in der sich unser Fokus weitet und uns vielschichtig aufspreizt- vielleicht auch neu zerreißt? Wieder wird klar, warum wir uns hier nicht offiziell eingemeinden lassen können. Warum wir uns zu Recht noch nicht als „wirklich ausgestiegen“ betrachten können.

Wir leben schon viele Jahre nicht in mehr in physischer Abhängigkeit derer die uns pseudoreligiöse Werte vorlebten und sind auch nicht mehr in der Situation Gewalt und Ausbeutung aushalten zu müssen. Aber wir schleppen ein Erbe mit uns herum.
Sind innerlich noch längst nicht ganz ausgestiegen.

Vielleicht ist „Ausstieg“ auch nicht das, was wir wollen und schaffen möchten. Denn der Begriff des „Ausstiegs“ impliziert einen Standpunkt und einen Zeitpunkt des Einstiegs. Wir aber sind nie eingestiegen- wir wurden hineingeboren und aufgezogen mit diesen Werten und hatten zu keinem Zeitpunkt wirklich einen einzelnen Standpunkt. Es war schon immer so, dass es Innens gab, die sich gegen Unrecht und Gewalt eingesetzt haben- während andere Innens genau Unrecht und Gewalt er- und ge-lebt haben.

Es ist für uns wichtig geworden zu spüren, wie berechtigt der Wunsch ist keine Schmerzen und Demütigung aushalten zu müssen- doch es ist ein anderes Wertesystem. Eines, das nur deshalb als gut und richtig und wichtig geschätzt wird, weil es der Masse der Menschen als gut und richtig und wichtig vorgelebt wird.
Unabhängig davon, wie wir dieses Wertesystem bewerten liegt es an uns, uns dem hinzugeben oder eben auch nicht. Es hat etwas damit zu tun sich dafür zu öffnen und es in sich hineinzunehmen. Es hat etwas mit Anpassung zu tun- aber nicht mit tatsächlicher Freiheit.

Eine unserer ersten Diagnosen war „Anpassungsstörung“.
Kein Wunder- erlebten wir doch gerade einen Weltenchrash der an Parallelen kaum noch zu überbieten war.

Gab es vorher die „helle“ und die „dunkle“ Welt (beides gruselig, weil nie in Gänze erfass- einschätz- und erinnerbar), gab es dann plötzlich „drinnen“ und „draußen“ sowohl räumlich als auch direkt bei uns. Plötzlich waren wir minderwertiger Patient drinnen (der für sich behalten soll, was in ihm ist- aber trotzdem immer wieder gezwungen (ja wirklich- gezwungen!) wird, etwas von sich und seinen Gedanken, Normen und Werten zu erzählen) und draußen waren die, die wertvoll und frei waren (die Ärzte, Therapeuten, Pfleger, Besucher… die man alle nicht zwingen konnte, etwas von sich preiszugeben).

Diese Zeit war für uns ein schlimmer Fallstrick- ja- eigentlich sogar ein ganzes Fallstricknetz, so dass es uns nie wundert, weshalb viele der Betroffenen, die wir so kennengelernt haben im Lauf der Zeit keinen Ausstieg in dem Sinne schaffen, als dass sie in Freiheiten kommen, wenn sie immer wieder in psychiatrische Stationen müssen, die geschlossen sind. (Und dort oft von Helfern behandelt werden, die um ihren Kopf ein herrlich stabiles Holzhaus gebaut haben, auf das dort niemals etwas heraus oder herein kommt.)

Wenn man aus einem abgeschlossenen Sozialkonstrukt heraustritt und alle Handlungen und Tätigkeiten die in ihr als wertvoll und zwingend normal (im Sinne einer Norm) angesehen werden, steht man erst mal völlig allein da- es sei denn man hat sich andere Dinge bewahrt- und sei es die Fähigkeit seine Werte in einem Teil seines Selbst neu bilden zu können.

Ich habe oft den Eindruck, dass der Faktor der Anpassung an „die Gesellschaft“ (hier nicht näher definiert) der Anreiz für den Ausstieg sein soll oder auch die Anpassung den Ausdruck der eigenen Normen und Werte gegenüber anderen Menschen zu finden.
Als sei Freiheit etwas, das man nur erlangen kann, wenn man sich gut an „die Gesellschaft“ und „die Welt, wie sie außerhalb der Pseudoreligion nun mal ist“ angepasst hat und sie für sich nutzt.

Doch gerade jetzt denke ich, dass es nicht darum geht. Und auch nicht gehen sollte.
Der Wunsch nach Anpassung ist da- natürlich. Wir Menschen sind Individualisten mit Gruppenabhängigkeit- unsere Evolution war so nett uns dies als teilweise genetisch verankertes Markerchen mitzugeben. Doch das ist das, was uns frei macht: die Fähigkeit ganz wir selbst- ganz individuell zu sein.

Wir haben uns früher nie eingesperrt gefühlt- weder in der „hellen“ noch der „dunklen“ Welt. Es war einfach unsere Welt. Der große Katastrophenknall der Erkenntnis kam erst, als wir an einem der pseudoreligiösen Feiertage in unserer ersten eigenen Wohnung saßen und merkten, dass die Art der Wertschätzung des früheren Sozialkonstruktes uns auf eine Art verletzte, die dazu führte, dass uns jemand von außerhalb dessen vermittelte, was genau aus ihrer Sicht dort mit uns passierte.
Wir mochten diesen Menschen und fühlten uns ihm verpflichtet- das Gleiche galt aber auch für jene hinter bzw. in diesem uns verletzenden Sozialkonstrukt. Wir haben uns hin- und herziehen lassen, bis wir den Knall endlich rauslassen konnten und wir uns für eine radikale Zu-Nichts-Niemand-Nirgendwo-in-Gänze-Verpflichtung entschieden.

Für konsequente Nirgendwoanpassung sobald wir uns selbst dabei verloren.
Schwupp war der Druck raus, bekamen wir eine Ahnung von freiem Durchatmen und den Möglichkeiten der Denkrichtungen, zu der unser Gehirn als Ganzes in der Lage ist.
Und doch ist bei aller äußeren Freiheit noch das Gefängnis im Innen da.

Da gibt es nachwievor Innens die diesen Selbstbefreiungsrundumschlag nicht miterlebt haben. Die nachwievor in Teilen der früheren „hellen“, der „dunklen“ und auch der „drinnen“ Welt kleben. Sie sind das, was damals alle an uns ziehenden Seiten jeweils noch immer in der Hand halten.

Diese Innens haben keinen Standpunkt- sie können nicht „aussteigen“, weil sie nicht stehen.
Sie haben keine Basis und Trittbretter herbei zu schaffen, liegt an uns. Doch wo sollen wir sie hernehmen, wenn wir doch immer wieder feststellen, dass eine Anpassung- nicht eine Freiheitspraxis von uns erwartet wird?Eine Freiheitspraxis die auch unabhängig von unseren HelferInnen und all dem, das doch nur dafür da ist, uns zu helfen, passieren darf, ohne als unpassend oder sogar minderwertig zu gelten.

Es ist für uns sehr traurige Freiheitspraxis eben nicht eingemeindet zu sein und die Feiertage allein zu 212289_web_R_K_B_by_Ruth Rudolph_pixelio.deverbringen. Sehr anstrengende Freiheitspraxis dem Sog des Suiziddrang-zwangs zu widerstehen und so in Kauf zu nehmen in ein einem bestimmten Konstrukt eben dann als schlecht und und minderwertig zu gelten. Es ist traurige Freiheitspraxis zu wissen, dass die Menschen die uns umgeben (außer denen die das jetzt lesen und uns kennen) keine Wertschätzung dem gegenüber zeigen. Es ist beängstigend zu spüren, dass wir auch keine klinischen Hilfen mehr in Anspruch nehmen können, weil die Strukturen unnachgiebig und starr (und damit für uns kaum bis gar nicht nutzbar) sind- wir also nicht einmal mehr so frei in der Annahme von Hilfe sein können, wie wir uns da doch ursprünglich erkämpft haben.

Es ist außerordentlich schmerzhaft so frei zu sein, dass man fast haltlos ist.
Freiheit bedeutet auch Dinge nicht anzuerkennen und rebellisch und störrisch zu wirken. Anzuecken und zu hinterfragen. Unangepasst an „die Gesellschaft“ und doch Teil von ihr zu sein. Strukturen zu erfassen, ganz für sich abzuschätzen und zu versuchen sich an sich anzupassen- nicht sich selbst ihr anzupassen.

Ich komme mir vor als wandere ich durch die Wüste und sammle trockenes Holz. Trittbretter für jene Innens die keinen eigenen Standpunkt haben. Immer weiter und weiter- einfach weil wir als Einsmensch kein Sklave mehr sein wollen. Schritt für Schritt auf einer Reise, die aber nicht in einem heiligen Land enden wird.
Sondern in der persönlichen Freiheit.

 

Vielleicht sollte man es für alle so nennen: „Einstieg und Anpassung an Freiheit“.
Irgendwie macht mir meine Wortsynästhesie dieses Wortpaar passender für das was erreicht werden will, als die Wortgruppe „Ausstieg und Loslösung aus destruktiven Zusammenhängen“.

An Erstem sind kleine Rippel zum Festhalten dran.

 

P.S. Auch hier gibt es wieder ein offenes Ende- wir wirbeln immer noch herum und taumeln gerade eher ein bisschen hin und her und ergießen uns hier eher als wirklich fest und klar zu schreiben, worauf wir hinaus wollen. Gehört dazu denken wir- also kriegts einen Platz.