Kompensation

Der Nachricht der lange weg gewesenen Kollegin folgte ein Bruch in mir. Ganz leise. Wie ein Haarriss, der sich von einer Ecke zu einem feinen Netz ausbreitet.
Letztes Jahr hat sie gesagt, sie würde wiederkommen. Jetzt kommt sie nicht wieder. Nicht so.
Ein Jahr habe ich durchgehalten. Die fehlende Struktur. Der fehlende Gesamtüberblick. Die Ruhe und Klarheit in Erklärungen von Strukturen und Anträgen. Das nie wirklich so richtig ganz klar wissen.
Jetzt bleibt das so.
Mein so toller, schöner, erfüllender Arbeitsplatz, er wird voller Barrieren bleiben.

Jetzt lösen sich die Motivationsposter, die ich über all meine Probleme mit der Arbeit geklebt habe, um durchzuhalten. „Ist nur ein Jahr“, „C. kommt wieder.“, „Es kann sich alles entwickeln“, „Was ich nicht kann, kann ich lernen“. Ich werde wütend auf mich, weil ich mich wieder ein Mal für etwas in Zwänge motiviert habe, in die sich andere Menschen eher nicht bringen würden. Wütend auf die Kollegin, obwohl ich mitdenke, dass sie vielleicht schon vor einem Jahr gesagt hat, dass nicht so wiederkommt wie vorher. Es ist gut möglich, dass sie immer gesagt hat, dass sie nicht wiederkommt und ich es einfach nicht hören wollte. Denn ich wollte die Unabhängigkeit vom Jobcenter, das Geld und den Job, so wie er bis zu ihrem Weggang war.
Und ich hatte mir ja ein schönes Sicherheitsnetz aufgebaut.

Ich hatte eine Autismustherapeutin, die mir helfen sollte, Struktur in mein Homeoffice zu bringen. Weil ich das nicht alleine kann. Nicht so, dass es mich nicht auffrisst.
Die ist nicht mehr da. Ersatz gibt es nicht. Autismus ist weiterhin nicht als eine Behinderung von Erwachsenen begriffen.

Ich muss es alleine schaffen und irgendwie schaffe ich es auch. Ich, der Liter Kaffee morgens und der halbe Liter Frizz Cola ab um 2. Die ungezählten und praktisch nie bezahlten Überstunden unter der Woche und die Wochenenden voll mit „allem anderen“. Ich und meine Traumareaktionen auf Schlafmangel, soziale Todesängste und allgemeine Desorientierung. Mein Wunsch dazuzugehören und die Idee, nur mit einem Job ist es wirklich verantwortungsvoll und okay an meinem Kinderwünschen festzuhalten. Wir kriegen es hin.

Die ständige Verwirrung, das ständige Greifen in Informationsgelee, ohne jede weitere Stabilisierung, das ist mein Grundrauschen neben dem Rauschen in den Kopfhörern bei jedem scheiß Zoom-Meeting seit 2020. Kein Tag ist strukturiert, alle machen, wie es ihnen kommt und geht, ganz spontan, einfach so und ich passe mich an so weit ich kann.
Was ich nicht kann, ohne mich selbst zu verlieren.

„Du wirkst unglücklich“, sagte mein Partner gestern, „Schon länger“, und ich wäre fast in schreiendes Weinen ausgebrochen. Ging aber nicht. 10 Minuten später hatte ich einen Termin. Gruppengespräch zu einem Projekt, in dem ich nicht verstehe, was wir machen. Aber wozu. Und das ist mir extrem wichtig. Also bleibe ich. Unbezahlt. In meiner Freizeit. Obwohl und obwohl.

Ja, ich bin unglücklich.
Ich wollte in dieser Zeit meines Lebens um Kinder kreisen. Mich mit angetrocknetem Schmodder auf Kleidung und beknackten Dussels auf dem Spielplatz befassen.
Oder meine Arbeit machen, um etwas zu bewirken.
Ich wollte nicht mehr immer davon müde sein, autistisch in einer nicht-autistischen Umwelt zu leben und zu arbeiten. Sondern vom Leben und Arbeiten.

Ja, ich bin unglücklich. Ich bin müde. Ich fühle mich in meiner Kompensation nicht gesehen und das frustriert mich unendlich. Denn es macht auch Lob und Erfolg so unbedeutend. „Cool, dass ihr das macht, Hannah“ erfasst einfach nicht, was es für mich bedeutet etwas zu machen. Es berührt nicht im Geringsten meinen Mehraufwand. Den Verlust von Ich-Zeit. Den Mangel an Aktivitäten, die mir Kraft geben. Und ist auch kein Ersatz für das Gefühl, etwas geschafft und fertig zu haben. Das Gefühl von „Ist gut jetzt“. Pause. Warten, bis wieder Luft, Lust und Kraft für was Neues ist. Das hatte ich wirklich lange nicht mehr.

Was ich im letzten halben Jahr hatte, war Geduld. Nachsicht. Einsicht. Rücksicht. Lauter Dinge, die mit Sicht zu tun hatten. Meine Umsicht, die nur allzu oft mit Perfektionismus, Zwanghaftigkeit und fehlender Flexibilität gleichgesetzt wird, hat mir das ermöglicht. Ja, wir können mir kein Kind machen, wenn der Partner mit 85 % Sauerstoff im Blut aufs Klo torkelt. Scheißegal, was das mit mir macht. Monat für Monat für Monat. Seit Jahren.
Ja, die meisten Leute sind einfach nicht so anpassungsfähig und müssen jetzt ohne Masken und Abstand durch die Gegend laufen, ständig krank sein und sich darauf verlassen, dass sich schon jemand findet, die*r einspringt.
Ja, ich kann halt keine 5 Stunden für eine Aufgabe einplanen, wenn sie – wegen Barrierenkompensation – in Wahrheit 10 Stunden erfordern wird. Es gibt einfach Grenzen und ich denke sie alle immer mit. Gleichzeitig. Und finde immer Wege, sie zu übergehen. Vor allem meine. Denn wenn ich die von anderen übergehe, kriege ich Angst. Schäme mich. Finde mich scheiße und meine Grenzen wertlos. Die Notwendigkeit mich anzustrengen und zu funktionieren noch größer.

Im letzten Arbeitsmeeting habe ich gesagt, dass ich gerade nicht weiß, ob ich im September noch arbeite.
Danach kümmerte ich mich um Informationen zum Thema Arbeitsassistenz.
Und plante eine Wanderung.

Im September.

 

Anhang
autism friendly jobs (YouTube Video, englisch)

Sichtbarkeit ist nicht das Problem – #unsichtbar

Am Ende dachte ich darüber nach, warum es eigentlich ist, dass jede „Betroffenen-Sparte“ auf die immer gleichen Verstrickungen hereinfällt.
Dabei hätte es doch genau mich ansprechen sollen. Eigentlich müsste ich doch in diesen #unsichtbar gehen und mich pausenlos bestätigt fühlen. Echokammer yeah!
Aber nein.
Erst musste ich meine internalisierten Ableismen runterwürgen. Dann die täterloyalen Innens. Und dann war da eigentlich nur noch Wut und Frustration über einer ohnmächtigen, hilflosen Hoffnungslosigkeit. So tief, dass ich sie nicht weiter erforschen wollte.

Ich habe schon vor längerer Zeit immer wieder geschrieben, dass die Unterscheidung in „unsichtbare“ und „sichtbare“ Behinderungen genauso problematisch ist, wie die Unterscheidung in „behindert“ und „nichtbehindert“.
Nun, wo viele behinderte und chronisch kranke Menschen sich und ihre Probleme aber als „unsichtbar behindert“ einordnen, ist es natürlich auch von mir schlicht zu akzeptieren, dass sich so viele Menschen nun einmal so empfinden und einordnen und dies als die Sprache, den Rahmen für ihre Schwierigkeiten wählen.

Aber… und hier kannst du dir mich vorstellen, mich windend und dabei immer wieder mit dem Kopf an Wände und Tische schlagend, weil ich da so viel sehe, was daran problematisch ist und kaum weiß, wohin damit … es hat so viele schwierige Implikationen, dass es nichts am Problem ändert und das macht mich einfach fertig.

Unter #unsichtbar haben zu Beginn ausschließlich? autistische Menschen getwittert. Inzwischen versammeln sich darunter aber auch Menschen mit anderen Diagnosen, denen allen gemeinsam ist, dass man ihre Behinderungen im Allgemeinen nicht aufgrund der Nutzung von Hilfsmitteln oder über die Körperform und -funktion annimmt bzw. herleitet, dass eine Behinderung vorliegen könnte.
Für mich war schon nach kurzer Zeit des Lesens klar, dass sich nichts Neues daraus ergeben würde. Man würde wieder Gewaltgeschichten in die Gesellschaft pusten und niemand würde es bemerken, weil niemand schreibt, dass es um Herrschaft geht. Wieder tritt man an eine falsch definierte und deshalb als homogen gedachte Gruppe („die Nichtbehinderten“/“die da draußen“/“die Ahnungslosen“) heran und sagt ihr sinngemäß: „Hier hömma – ich bin unsichtbar für dich – Immer bin ich unsichtbar – wär mir ein Arm ab, würdest du mich besser behandeln.“, was, wie Menschen, die andere Behinderungen kompensieren wohl bestätigen dürften, nicht der Fall ist. Neben dem Umstand, dass es ein unsolidarischer Kackmove ist, der seinerseits gewaltvoll gegen behinderte Menschen wirkt.

Was ich verstehen und auch emotional nachvollziehen kann ist, dass „unsichtbar“ hier als Metapher verwendet wird, um auszudrücken, dass man sich in den eigenen Kämpfen und Problemen nicht wahrgenommen fühlt. Nicht erkannt, nicht anerkannt. Dass man denkt: „Wer ich bin, was mich ausmacht, was ich brauche, das ist nicht offensichtlich – nicht völlig klar – für andere Menschen.“
Es gibt aber auch Posts, die ganz konkret das Wort „unsichtbar“ meinen, weil sie sich als behinderter Mensch und die eigene Kompensation von Behinderungen für weniger auffällig halten, als etwa die von Leuten, die einen Stock benutzen oder eine Prothese.

Beides muss meiner Ansicht nach benannt und verdeutlicht werden, wenn man (politisch) etwas dagegen tun möchte. Beides wäre jedoch besser nicht mit dem Begriff „unsichtbar“ getan, sondern mit den Begriffen „unerkannt“ und/oder „nicht anerkannt“.
Denn, wie ich gestern bereits in einem Twitterthread (Link zum Thread) schrieb: „Es ist ein Vermeidungsmärchen. [Dass man nicht jede Behinderung sieht und/oder „sieht“] Nichts weiter. Mit der Rahmung von Behinderungen als unsichtbar wird es eine Superkraft sie überhaupt wahrzunehmen – übermenschlich. Und deshalb im Alltag genau das „zu viel verlangt“ gegen das ihr eure Aufklärungsarbeit, euren Aktivismus macht.
Immer wenn jemand vertritt, es gäbe unsichtbare Behinderungen wird ein Mal mehr die behinderte Person auch die Behinderung selbst und nicht die Umstände in und von denen sie behindert wird. Das ist ein Problem.
Ja, es ist wichtig aufzuzeigen, dass viele Menschen besonders im sozialen Bereich, wegen ihrer individuellen Wahrnehmung behindert sind und werden – aber um das auszudrücken, darf man durchaus sagen, dass es um Missachtung, fehlerhafte Einordnung, Ignoranz und Gewalt geht.
Denn um nichts anderes geht in jeder Story um „XY übergeht meine Bedarfe, weil sie_r meine Behinderung/Grenzen/meinen Willen nicht beachtet/wahrt.“
Was also unter
#unsichtbar (Link zum Hashtag bei Twitter) vor allem unsichtbar bleibt ist, dass es um Gewalt gegen behinderte Menschen geht.
Auch ein Vermeidungsmove übrigens – weil man als behinderte Person zweimal nicht immer das Opfer sein will & noch mal Mitleid oder Abwehr abkriegen will, aber es ist, wie es ist und es ist wichtig sich dessen bewusst zu werden/sein/bleiben, um etwas zu verändern.“

Ja, es ist relevant, wie Menschen aussehen und ja, manche Erkrankungen und genetischen Varianzen lassen Menschen „besonders/anders/auffällig“ aussehen, weshalb im Kontakt mit ihnen sowohl schneller angenommen als auch anerkannt wird, dass sie Behinderungen oder Krankheiten kompensieren müssen. Aber auch diese Menschen werden deshalb nicht „richtig(er) gesehen“ oder erhalten deshalb leichter oder öfter auch das, was sie wollen und brauchen. Das einzige, was sie nicht machen müssen, ist in anderen Menschen die Idee aufkommen zu lassen, sie könnten ein behinderter Mensch sein. Mit allen Konsequenzen, die das hat. Vor allem für Menschen, die „anders aussehen“, aber gar nicht behindert sind.

Und ja, es ist auch relevant, dass Anpassung zu sehr viel Unauffälligkeit führt. Aber auch das beste Masking autistischer Menschen schafft eben nur das: Unauffälligkeit. Nicht: Verschwinden oder Unsichtbarkeit.

Für mich ist das Unsichtbarkeitsthema dieser autistischen Bubble das Einhornthema queerer Menschen.
„Some people are unicorns get over it“, war so ein Slogan, den wir eine ganze Weile auf einem Patch auf dem Rucksack trugen, weil uns von cis hetero Personen oft vermittelt wurde, dass wir uns unsere Geschlechtsidentität nur ausgedacht hätten und sie deshalb nicht anerkannt werden muss. Wie Einhörner nur ausgedacht sind und nur als solche anerkannt werden müssen.
Heute merke ich, wie ich sehr ich selbst zu diesem gewaltvollen Narrativ beitrage, wenn ich mich als Einhorn darstelle, das es aber real gibt. Erstens mache ich mich weniger menschlich und zweitens fordere ich so die Anerkennung meiner Person als etwas, dass es „eigentlich (in Wahrheit) ja aber nicht gibt“ ein. Also als Ausnahme von der Regel – nicht als Teil der Regel, der ganz selbstverständlich, wie alle anderen Menschen in allen Aspekten anerkannt wird.
Heute benutze ich das Einhorn nur noch unter anderen queeren Menschen als eine Art Insider-Gag. Als Gruppenmarker sozusagen. Denn nur in dieser Gruppe ist das auch sicher für mich und nicht gewaltvoll. Queere Menschen akzeptieren in der Regel meine Geschlechtsidentität. Sie kennen meine Kämpfe, sie kennen meinen Schmerz. Sie sind an meiner Seite etwas dafür zu tun, dass wir an.erkannt werden.

Die gleichen Dynamiken laufen in der Bubble der Menschen, die sich als „unsichtbar behindert“ einordnen.
Wir werden ständig mit Erwartungen daran wie behinderte Menschen aussehen konfrontiert, die von Menschen formuliert werden, die ihre Behinderungen mühelos kompensieren können und nicht auch von Strukturen behindert werden. Immer wieder sehen wir die Rollinutzer_innen, die Prothesenbesitzer_innen, die Leute, deren Körper „besonders/anders/auffällig“ aussehen in der Aktion Mensch-Werbung, auf Plakaten für Behindertenverbände, in Broschüren und Bilderbüchern. Und vergessen dabei, dass das immer immer immer lookistische, also ableistische Repräsentation behinderter Menschen für in der Regel lookistisch ableistisch einordnende Menschen ist. Dass das also nie die Realität abbilden kann zum einen und zum anderen vor allem dafür da ist einen Personenkreis anzusprechen, der in den eigenen Annahmen von behinderten Menschen und Behinderung an sich bestätigt werden muss, um sich ihnen überhaupt zu widmen. So traurig es ist, ist das Grundproblem bei dieser Werbung nun also nicht primär, dass nicht alle „Arten von Behinderung“ re_präsentiert werden, sondern dass es Werbung ist, die die ableistischen Annahmen der breiten Gesellschaft bestätigt, um an Gelder zu kommen, um mit Projektförderungen jeder Art etwas gegen diese Annahmen zu tun. Also für ein Unterfangen, das sich selbst erhält und deshalb kritisiert werden muss.

Nun aber zurück zum „unsichtbar-Thema“.
Wenn „wir Menschen, deren Behinderungen nicht an Hilfsmitteln oder Körperform und -funktion erkennbar ist“ untereinander von einer Unsichtbarkeit sprechen, ist das etwas anderes als unter einem Twitterhashtag mit dem Anspruch, dass „~alle~“ kapieren, dass es uns gibt und dass uns schlimme Ungerechtigkeiten und Gewalt passieren.
Und zwar, weil wir voneinander wissen und wir einander anerkennen. Wir kennen unsere Er_Leben und unsere Kämpfe.
Außerhalb dieser Gruppe ist das anders. Da werden wir nicht an.erkannt. Und zwar erstens, weil wir die Erwartungen daran „wie Behinderung aussieht“ und „wie behinderte Menschen sind“ weder erfüllen noch bestätigen und zweitens, weil die Bedarfe genauso wie die individuellen Er_Lebensrealitäten behinderter Menschen generell nicht anerkannt werden.
Das macht aber weder uns, noch „unsere Behinderung“ unsichtbar. Niemand wird unsichtbar, nur weil sie_r nicht angeguckt und an.erkannt wird. Aber alle, die ignorieren wollen, profitieren unfassbar stark davon, wenn diese Idee vertreten wird.

Deshalb sage ich, dass man davon wegkommen muss zu sagen: „Ich bin mit meinem Autismus (z. B.) unsichtbar behindert.“, weil es die Perspektive der in der Regel gewaltvollen und ignoranten Seite bestätigt und man anfangen muss zu adressieren, wer wem wann warum verweigert gesehen und „gesehen“ zu werden. Denn in beiden Themen – dem Einhorn-Thema, wie dem Unsichtbar-Thema, macht es einen großen Unterschied, ob man sagt: „Ich bin ein Einhorn, get over it“/“Ich bin unsichtbar, guck mich an“
oder ob man sagt: „Du entmenschlichst mich, um mich nicht anerkennen zu müssen“/“Du ignorierst meine behinderungsbedingten Bedarfe, um mich nicht (auch) als behindert anerkennen zu müssen.“

Ich verstehe, dass das alles komplex und schwierig ist. Dass man es für leichter hält, weil es so eine allgemeine Floskel, so eine allgemein oft benutzte Redewendung ist. Aber überlegt doch mal, warum das so ist. Warum können wir uns so easy in die Gegend stellen und sagen, wir wären unsichtbar – aber bleiben ohne jeden Erfolg mit egal welcher Forderung, wenn wir sagen, dass wir mehr oder weniger absichtlich ausgegrenzt werden? Sicher nicht, weil Sichtbarkeit das Problem ist.

Behinderung #3 – die Relativität von Behinderung – #DisabilityPrideMonth

Als komplex traumatisierter autistischer Mensch werde ich von Dingen, die mich sensorisch überreizen und sozialen Normen, die meine Regulations- und Kompensationsmöglichkeiten stark begrenzen bis verbieten, pathologisieren oder bestrafen, behindert.
Diese Konstellation könnte so verstanden werden, dass ich immer – jeden Tag im Jahr und überall – behindert werde und bin.
Das bin ich jedoch nicht und das hat etwas mit der Relativität von Behinderung zu tun.

Dieser Begriff ist wichtig für die Auseinandersetzung mit der Frage

Wer ist und wird eigentlich wann wie und warum überhaupt behindert?

In Deutschland kann man sich eine Behinderung amtlich anerkennen lassen.
Dazu stellt man einen Antrag bei der zuständigen Behörde[1], schickt ärztliche Atteste oder Stellungnahmen mit und wartet. Manchmal sehr lange. Und dann kommt ein Brief zurück, in dem drin steht, ob die Behörde die Behinderung anerkennt und wenn ja, in welchem Grad. Liegt der Grad der Behinderung (GdB) bei 50, so wird von einer Schwerbehinderung gesprochen. Dann erhält man einen Schwerbehindertenausweis und hat eine Grundlage, um verschiedene Nachteilsausgleiche zu beantragen.

Dieser Vorgang führt bei manchen Menschen zu der Idee: „Aha, ich muss also nur eine Behörde überzeugen, dass ich es wirklich sehr schwer habe und zack bin ich behindert und kann mir auch noch Vorteile einstreichen.“
Behinderung ist jedoch keine bürokratische Kategorie, sondern eine soziale. Sie erscheint – besonders hier in Deutschland – als bürokratische Kategorie, weil behinderte Menschen und ihre Bedarfe hochgradig bürokratisch verwaltet und behandelt werden.
Und Vorteile bringen Nachteilsausgleiche oder auch Ermäßigungen für schwerbehinderte Menschen praktisch nie. Dazu empfehlen wir die aktuelle Podcast-Folge von „Die Neue Norm“ (Link zur Webseite) und meinen nächsten Text, in dem es um Behindertenfeindlichkeit gehen wird.

Keine Behinderung wirkt immer gleich bzw. stellt sich immer gleich dar. Wenn mir ein Daumen fehlt, ist das anders, als wenn einem professionellen Pianisten einer fehlt.
Aber jede behinderte Person muss das immer gleiche kompensieren. Nämlich die negative soziale Reaktion auf die unerwünschte Abweichung von einer wie auch immer definierten Erwartung und dessen Folge(n). Sowohl der Pianist als auch ich, müssten kompensieren, dass es praktisch keine Kleidungsverschlüsse gibt, die ohne Daumen leicht zu benutzen sind und Ähnliches.

Viele Menschen übersetzen „Behinderung“ auch mit „Leiden“ und erleben die Anerkennung ihrer Behinderung auch als Anerkennung ihres Leidens unter den negativen Auswirkungen der Behinderung und ihrer unter Umständen schlechteren Lebensqualität.
Besonders im bürokratischen Anerkennungsprozess führt diese Übersetzung zwangsläufig zu emotionaler Verletzung, Kränkung, bei manchen Menschen auch (Re-) Traumatisierung.
Da es sich um einen reinen Verwaltungsakt handelt, dessen Hauptanspruch die Einordnung von objektiven Sachverhalten ist, kann diese Anerkennung nicht auch auf der emotionalen Ebene erfolgen.

Auch das Leiden unter oder an (einer) Behinderung ist relativ, da hochgradig subjektiv.
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Leiden darunter als Faktor die Relativität der Behinderung im Kontext einer bürokratischen Einordnung bestimmt. Also, dass wer am stärksten leidet, den höchsten GdB anerkannt bekommt.
Im Kontext der sozialen Einordnung hingegen gilt das Leiden unter einer Behinderung häufig noch mit am stärksten als maßgebend. Das liegt an der ableistischen Überzeugung nur „nicht behindert“ lebe es sich angenehm und leidensfrei. Die soziale Reaktion darauf ist in der Regel Mitleid, Infantilisierung, Bevormundung und die Einräumung von Schonräumen, die die behinderten Menschen nicht verlassen können, weil dies zu einer anderen negativen Reaktion führt: Dem Vorwurf nur so getan zu haben als bräuchte man Unterstützung/Hilfe (als ob Schonung immer Hilfe/Unterstützung sei), also implizit dem Vorwurf, eine Person und ihre Reaktion ausgenutzt zu haben.

Das Konzept der Relativität von Behinderung verstanden zu haben, ist also notwendig in der Auseinandersetzung mit der Frage danach wann wer warum behindert ist, aber auch bei der Beantragung einer behördlichen Anerkennung. Vor allem für behinderte Menschen, die unter (der) Behinderung leiden und ihre eigenen Ableismen noch nicht konfrontiert und bearbeitet haben.

 

[1] Link zur Webseite „Besser Leben Service“, wo man für jedes Bundesland die passenden Antragsformulare herunterladen kann.

Behinderung #2 – das soziale Modell – #DisabilityPrideMonth

„behindert sein – behindert werden“ zeigt zwei Modelle von Behinderung auf.
„behindert sein“ gehört zum medizinischen Modell, das im letzten Text beschrieben wurde. Danach ist ein Mensch behindert, wenn dessen Körper, Seele oder das, was mit dem Wort „Geist“ oder „Kognition“ oder auch „Intelligenz“ beschrieben wird, von der medizinisch definierten Norm abweicht.
„behindert werden“ gehört zu einem Modell, das ich hier „soziales Modell“ nenne, um zu vereinfachen. Danach sind Menschen einfach wie sie nun einmal sind und werden von Normvorstellungen und ihrer Um- bzw. Durchsetzung im Alltag behindert.

Tatsächlich werden hier von mir drei Aspekte unter einen Begriff gefasst.
Diese Aspekte sind:

  • Behinderung als Resultat sozialer Interaktion
  • Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen
  • Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Behinderung als Resultat sozialer Interaktion

Soziale Interaktion nimmt bei den meisten Menschen den größten Anteil ihres täglichen Lebens ein.
Es ist eine soziale Interaktion, wenn wir einander „Guten Morgen“ sagen, es ist aber auch eine soziale Interaktion, wenn wir uns überlegen, wen wir zu einer Geburtstagsfeier einladen und wen (warum) nicht. Und es gehört zur sozialen Interaktion, wie wir einander „Guten Morgen“ sagen – aber auch warum.

Behinderte Menschen enttäuschen mehr oder weniger zwangsläufig bestimmte Vorstellungen, die sich Menschen, die ihre Behinderungen nicht (genauso) erleben, von ihnen machen. Das betrifft oft die Fähig- und Fertigkeiten, manchmal aber auch die Vorstellungen von sich selbst und die Ambitionen, die sich daraus ergeben.
Zum Beispiel erwarten viele Menschen, die ohne Probleme oder viel Anstrengung laufen können, dass alle Menschen laufen können und wenn es jemand als Sport macht, dass die Leute sich wünschen am schnellsten zu laufen. Treffen sie dann auf einen Menschen, der nicht oder nur mit großer Anstrengung und vielleicht auch Verletzungsgefahren laufen kann, wird ihre Erwartung („Alle Menschen können laufen“) enttäuscht und sie bezweifeln, ob der Mensch überhaupt Sport machen kann oder sich generell dafür interessiert.

Solche Situationen werden oft im Netz besprochen, weil sie emotional verletzen und kränken. Manche behinderten Leute sagen dann so in etwa: „Boa, diese Nichtbehinderten sollten mal ihren Ableismus klarkriegen!“, weil sie sehen, dass es um Erwartungen an Fähig- und Fertigkeiten geht. Die Erwartung an sich jedoch „produziert“ noch keine Behinderung.
Eine Behinderung durch soziale Interaktion entsteht in der Regel durch den Versuch bestehende (soziale) Normen zu festigen, obwohl sie (von behinderten Menschen) infrage gestellt werden. Zum Beispiel, indem man viele Begriffe und Kategorien für behinderte Menschen erfindet („Rollifahrer“, „Blinde_r“, „Autist_in“ … „behindert“) und dann zum Beispiel sagt: „Ach für Blinde ist Kino halt nix, da muss man sehen können“ oder „Ach, die Person hat eine Lernbehinderung – da brauchen wir ja gar nicht erst anfangen über eine Berufsausbildung oder ein Abitur nachzudenken.“

Behinderung als Folge von Ausdifferenzierung anhand erbrachter Leistungen

Beim Begriffspaar „Leistung“ und „Ausdifferenzierung“ denken viele Menschen sofort an Schule, aber vielleicht auch an Sportwettkämpfe oder die berufliche Karriere. Ich persönlich denke sofort an das Hartz-4 System und an die Struktur von Krankenkassen.
Wer bestimmte Leistungen nicht erbringt – und dabei geht es nicht darum, warum nicht! – wird in aller Regel nicht belohnt oder dazu ermächtigt, sie zu erbringen.
Bei diesem Aspekt ist mir wichtig aufzuzeigen, was konkret der „Behinderung produzierende“ Teil davon ist. Es ist nämlich keineswegs so, dass eine Schule zum Beispiel einfach nur die Benotung abschaffen und das Gebäude, wie den Unterricht barrierefrei gestalten müsste, um inklusiv zu sein! Es gibt Schulen, weil es ein Arbeits- und Gesellschaftsleben gibt, das nur bestimmte Leute, mit bestimmten Fähig- und Fertigkeiten und einem bestimmten Leistungsniveau durch Mitwirkung teilhaben lassen will (und kann).
Wer nicht leistet, wird ausgesondert. Das kann die Sonderbeschulung meinen, kann aber auch ein Leben ohne Arbeit, abhängig von Leistungen wie Hartz 4 oder in einer Form von Rente sein.
Es kann aber auch die Ausladung von einer Geburtstagsfeier meinen, weil es eine Person nicht schafft laute Musik, andere Gäste, freundliche Unterhaltung zu kompensieren, nachdem sie sich für die Beschaffung eines Geschenkes verausgabt hat. Leistung hat nicht nur etwas mit Gewinn oder Ertrag zu tun!

Die Behinderung entsteht also durch Ausschlüsse, die gemacht werden, weil Menschen bestimmte Leistungen nicht (wie vorgesehen) erbringen.
Hier gibt es eine Verschränkung mit dem dritten Aspekt.

Behinderung als Folge kapitalistischer, rassistischer, ableistischer, sexistischer, adultistischer, ageistischer Gesellschaftsordnung

Viele Menschen nehmen an, dass bestimmte Strukturen ganz einfach aus dem Menschen natürlich inne liegenden Ideen entstanden sind.
Tatsächlich aber dient jede Struktur dem Erhalt, der Sicherung und dem Zugewinn von Macht durch Überlegenheit durch Einhaltung und also Bestätigung von Normen, die von der Mehrheit (also einer mengenmäßig überlegenen Gruppe!) der Menschen ohne Probleme eingehalten werden können. Egal, ob wir uns Schulen anschauen oder Eiscafés, ob wir ins Vereinswesen oder das Versorgungsamt schauen, ob wir unsere eigene Clique betrachten oder die unserer Eltern – immer kann man herausarbeiten, dass es da Normen gibt, die vorgeben, wer profitiert und wer nicht – und dass es in der Regel von Nachteil (und also auch behindernd) ist, nicht zu profitieren.

Bestimmte *ismen sind in unserer Gesellschaftsordnung so fest verankert, dass sie maßgeblich darüber entscheiden, wem was wann unter welchen Umständen und zu welchen Bedingungen zugestanden wird. Diese *ismen sind Rassismus, Sexismus, Ableismus (wozu auch Saneismus gehört), Ageismus, Adultismus und Kapitalismus.
Jeder *ismus ist ein abgeschlossenes Konzept. Das bedeutet, dass es sich immer von etwas abgrenzt und also Menschen mit bestimmten Eigenschaften ausschließt. Dieser Ausschluss ist das „Behinderung produzierende“ Moment und wir haben in unserer Gesellschaft nicht einen einzigen Aspekt des Lebens und Miteinanders, in dem niemand ausgeschlossen ist.

Bevor du diesen Text aber mit dem Gedanken verlässt: „Aha, also sind wir alle behindert, ja klar.“ und mir einen Vogel zeigst, bitte noch ein Mal kurz konzentrieren.

Es gibt Ausschlüsse, die kann ich gut verkraften. Ich muss nicht zu den Partypeoples gehören. Mir geht auch überhaupt nichts ab, wenn mir jemand nicht zutraut Olympiagold im Kugelstoßen zu holen. Aber es gibt Situationen, in denen so viele Ausschlüsse passieren, dass ich existenziell bedroht bin, weil ich nicht als behinderter Mensch, sondern nur als behindert oder schlimmer noch als Behinderung gesehen und behandelt werde.
Das kann zum Beispiel passieren, wenn man als schwarze behinderte Frau ein Kind alleine versorgt.
Weil viele Menschen annehmen, behinderte Menschen seien nicht sexuell attraktiv glauben sie auch, dass sie keinen Sex haben. Und wer keinen Sex hat, kann nicht schwanger werden. So kommt es vor, dass Menschen davon überrascht – und bürokratische Strukturen gesprengt – werden, wenn behinderte Menschen zu Eltern werden. Und wenn diese dann ganz spezifische Problemlagen haben, weil sie an anderen Stellen, etwa von Krankenkassen, dem Versorgungs- oder Integrationsamt ausgeschlossen werden – ihnen aber aufgrund ihrer sexistischen Rollenzuordnung als Frau oder Mann auch spezifische Anforderungen zu erfüllen abverlangt werden, die sie nur mit Unterstützung schaffen können.

In dieser Lage ist es nicht nur Ableismus das Konzept, das den Ausschluss und dadurch eine Behinderung produziert, sondern auch Kapitalismus (denn Versorgungsämter beispielsweise teilen Gelder (also Kapital) zu) und andere *ismen, die den Zugang zu dieser Struktur gewähren oder auch nicht. Das ist dann häufig Ageismus bzw. Adultismus – denn nicht die Kinder stellen die Anträge, sondern die Eltern bzw. gesetzliche Vetreter_innen – aber auch Rassismus. Der zeigt sich darin, dass Menschen, die nicht weiß sind, seltener gesagt wird, dass es Antragsmöglichkeiten gibt oder ihre Anträge weniger oft genehmigt werden, weil es die Annahme gibt, die Antragsstellenden würden lügen oder übertreiben, um sich staatliche Leistungen zu erschleichen, die ihnen nicht zustehen.

Wie man also sieht, ist das soziale Modell von Behinderung eines, in dem nicht die behinderte Person im Fokus steht, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie lebt. Mit diesem Modell über Behinderung nachzudenken ist komplex und geht nicht ohne auch über die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft nachzudenken.

Behinderung #1 – das medizinische Modell von Behinderung – #DisabilityPrideMonth

Als Behinderung wird von vielen Menschen eine (unheilbare, chronische) Krankheit, eine „Fehlbildung“ des Körpers oder „abweichende“ kognitive Leistungsfähigkeiten eingeordnet. Diese Einordnung wird von uns behinderten Aktivist_innen und auch in den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich (im weitesten Sinne) „mit Behinderung befassen“ als „medizinisches Modell von Behinderung“ bezeichnet.

Dieses Modell ist überholt, zweifelsfrei jedoch weiterhin die häufigste Sichtweise.
Das Kernmerkmal dieses Modells ist die Verortung der Behinderung in dem betroffenen Individuum selbst. Dies hat zwei Folgen.
1. Die Behinderung wird zu einer medizinischen Kategorie. Das macht die Behinderung zu etwas, das sich aus einem Defekt ergibt, den man objektiv (also ohne Bezug zur behinderten Person, dem Individuum) anschauen und bewerten kann und der, weil er dauerhaft besteht, als schicksalhaft hinzunehmen eingeordnet wird. Auch die Ursachen von Behinderung werden beim Individuum gesucht (und in aller Regel auch gefunden, aber dazu irgendwann mal wieder mehr).
2. Das Forschungsinteresse zu Behinderung orientiert sich an medizinischem Wissen (um die Krankheit, die als der Behinderung zugrunde liegend gesehen wird) und strebt eine größtmögliche Objektivität an. Die Relativität von Behinderung wird im medizinischen Modell so gut wie nie gesehen.

Das bedeutet: Wer Menschen als erst dann als behindert einordnet oder von ihnen geschilderte Umstände als sie wirklich behindernd anerkennt, wenn diese eine medizinische Diagnose und Prognose darüber haben, tut dies auf Basis des sogenannten „medizinischen Modells von Behinderung“. Dies bedeutet wiederum, dass es immer weiter einen Bedarf an Diagnosestellung und also Pathologisierung von als abweichend eingeordneten Menschen gibt. Und dass so natürlich auch weiter nur eine Profession unserer Gesellschaft dazu ermächtigt wird, die Fähig- und Fertigkeiten von Menschen überhaupt (in ihrem Wert) einzuschätzen, was sich als ein sich selbsterhaltendes System ohne jede wirklich konstruktiv nutzbare Funktion außerhalb von sich selbst darstellt. Denn ein Arzt wirkt rund um Diagnose und Abweichungskorrektur – nicht um Fragen der Lebensqualität, der Teilhabe oder die Inklusion, der als abweichend eingeordneten Menschen.

Wer sich am medizinischen Modell von Behinderung orientiert, kann gar nicht anders als behinderte Menschen als besonders, anders, krank, defekt, fehlgebildet oder -entwickelt – also ganz grundlegend abweichend einzuordnen und sie so ganz eindeutig von der Norm, also der Mehrheit der Menschen, auszugrenzen.

Ableismus #2 – Ableismus als Idee zum Leben – DisabilityPrideMonth

Ableismus ist das falsche Konzept, um den Wert eines Menschen, dessen Leben und Potenziale einzuschätzen.
Besonders wenn Menschen, die sich ganz ohne Hilfe oder besondere Anstrengungen durchs Leben begeben können, es auf behinderte Menschen anwenden. Denn die Perspektive auf die Fähig- und Fertigkeiten, die man hat, ist untrennbar mit der eigenen Lebens- und Leibeserfahrungen verknüpft. Die Ideen, die man davon hat, welche Fähigkeiten man wofür braucht, ergeben sich direkt daraus.

So kann man also auch aufzeigen: Die ableistischen Überzeugungen von Menschen, die sich stets ungehindert durchs Leben bewegen können, bestätigen vor allem ihre Perspektive darauf, was man können muss, um (gut) zu (über)leben. Sie glauben also: „Was ich mache, um gut zurechtzukommen ist richtig, weil es funktioniert. Wer also nicht gut zurechtkommt, macht etwas falsch – und ist also irgendwie auch falsch.“

Manche Menschen, die ihren Ableismus verteidigen wollen, sagen: „Es war immer wichtig, dass der Mensch alles kann, nur so konnte er überleben! Steinzeitmenschen hatten keine Blindenführhunde oder Insulin. Wer krank war ist gestorben und nur die überlebensfähigen Menschen haben es geschafft.“
Diese Aussage ist kein Argument, das man in unserer Lebenszeit anwenden kann. Denn heute im 21. Jahrhundert wird völlig anders gelebt und auch gestorben als in der Steinzeit. Ohne tiefere Kenntnis über die Todesursachen der Steinzeit sage ich, dass heute mehr Menschen an dem Handeln und Nichthandeln anderer Menschen sterben als früher. Und dass dies etwas ist, das anzuerkennen den meisten Menschen schwerfällt, weil sich niemand gern bewusst macht, dass sie_r für andere Menschen auch feindlich handelt.

Ableismus als Idee zum Leben ist also auch eine Idee zum Überleben der Menschen, die den Menschen als Gefahr für andere Menschen ausklammert. Eine Eigenschaft des Konzeptes, die es erschwert von allein auf die Idee zu kommen, dass man selbst es ist, die_r es nötig macht, das Menschen aus sich selbst heraus Fähig- und Fertigkeiten entwickeln, die dem Überleben dienlich sind.

21072020

„Ey voll behindert Alter“ Die Straßenbahn fährt ab. Ohne die drei jungen Leute mit den Masken unterm Kinn, bunten Turnschuhen an den Füßen und einem Gebaren als gehöre ihnen die gesamte Haltestelle. In meinem Kopf gehe ich hin, halte meinen Schwerbehindertenausweis neben mein Gesicht und sage: „Ich bin voll behindert – dass ihr die Bahn nicht gekriegt habt, ist nur scheiße.“ und dann gehe ich und sie sagen nie wieder „behindert“ statt „kacke“, „scheiße“, „schlecht“, „nervig“, „ärgerlich“.

Tatsächlich tue ich nichts. Schaue weg, mache meine Musik lauter und bleibe in meiner Maske. Meinem Abled-Passing. Der oft als so bezeichneten „Unsichtbarkeit“ m.einer Behinderung. So wie sie sich verhalten, wird eine_r von ihnen mal krass auf die Fresse kriegen, einen Unfall mit einem völlig übertriebenem Auto haben oder so viel zu spät mit einer schweren Krankheit zum_zur Arzt_ Ärztin gehen, sodass das Thema „Behinderung“ irgendwann auch in ihrem Leben eine andere Rolle spielt als heute.

Wir werden alle behindert geboren und sterben behindert. Behindert zu sein, behindert zu werden, das ist Teil jedes Lebens und es hat nur einen Sinn, Unterschiede zu kreieren, indem man aus Leuten, die ihr Leben lang behindert sind und werden, zu einer homogenen Gruppe zusammenfasst. Ausschluss. Abschluss. Grenzen. Die Verstärkung und dadurch so wahrgenommene Bestärkung der Eigenschaften der Gruppierung, als ginge es um unumstößliche Eigenschaften. Feste Zustände. Unveränderlichkeiten.

Behinderung ist kein schlechtes Wort. Es ist ein notwendiges Wort. Jede Person, die ausrückt, wenn es Behinderungen auf der Fahrbahn gibt; jede Person, die damit beschäftigt ist, Lösungen zu entwickeln, wann immer es zu Behinderungen im Betriebsablauf kommt; alle, die auf Assistenzen angewiesen sind und beim Amt Anträge ausfüllen, um die Finanzierung dessen zu ermöglichen … – sie alle wissen, wie wichtig dieses Wort ist. Und was es bedeutet. Dass es nichts weiter beschreibt als einen Umstand. Dass es nichts mit persönlichen Eigenschaften zu tun hat. Alle wissen, dass „Behinderung“ niemals auf etwas deutet, das in einer Person liegt, sondern immer in dem Zusammenspiel mit ihrer direkten und indirekten Umgebung.

Auch, dass das Wort als Beschimpfung oder negative Bewertung verwendet wird, hat etwas mit diesem Zusammenspiel zu tun.
Behinderungen stören. Auf der Autobahn, im Betrieb, im Leben von Menschen.
Und Menschen funktionieren so, dass sie sich störendes, negatives deutlicher einprägen als reibungslos ablaufendes. Die Frage ist, was es für das Miteinander der Menschen bedeutet, wenn Begriffe, die von so hoher Relevanz für viele Menschen sind, für andere als Beleidigung oder Fluch verwendet wird.

Ist es ein Ausdruck von Behinderten – und damit Menschenfeindlichkeit?
Oder Ausdruck von Behinderungsfeindlichkeit und damit etwas logisch nachvollziehbares?

14072020 – #NonBinaryDay und #DisabilityPrideMonth

Heute ist „Non Binary Day“. Ein Tag, an dem der Hashtag #NonBinaryDay mit vielen hilfreichen Informationen zum Thema gefüllt, aber auch viel Solidarität und Liebe geteilt wird.
Es ist ein Tag, an dem wir noch einmal mehr Validierung von Außen erfahren als sonst. Das fühlt sich gut an und stärkt uns.

Im analogen Kontakt outen wir uns in der Regel nicht oder erst bei engerem Bezug als nicht binär. Das hat nichts mit einem Gefahrerleben zu tun oder mit Scham, sondern damit, dass oft niemand weiß, was das überhaupt ist oder bedeutet.
Für die meisten Menschen gibt es nur Menschen, die „männlich“ oder „weiblich“ oder „was anderes“ sind. Manchmal ist „was anderes“ noch mit „intersex“ bezeichnet, aber auch das ist eher selten und wird oft doch als „was anderes“ gedacht, nämlich als Abweichung von der Norm oder biologischer Quirk.

„Non binary“ bzw. „nicht binär“ ist ein Sammelbegriff. Unter ihm können sich Menschen verschiedener Gender einfinden. Es gibt agender Personen, die sich als nicht binär bezeichnen, genderfluide, genderqueere und auch Menschen, die trans sind. Mit dem Begriff bezeichnet man also eine Positionierung auf dem Genderspektrum und nicht unbedingt ein Gender an sich.

eine gerade Linie an deren Enden mit Vierecken markiert
What people think non-binary means
ein bunter Kreis, an dessen horizontalen Enden des Durchmessers male und female steht (verbunden durch eine schwarze Linie) auf dem Rest des Kreises sind verteilt an unterschiedlichen Punkten kleine Dreiecke über denen
what non-binary actually means

 

Unzureichende Bildung.smöglichkeiten/zugänge, hetero_normative cis sexistische Grundhaltungen, Ideale und Politiken tragen bis heute dazu bei, dass Menschen außerhalb des linear gedachten Gendergradients als Abweichung eingeordnet werden. Der Umgang mit nicht binären Personen (und anderen Menschen, die sich nicht eindeutig als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen (lassen)) der westlichen bis in ihren Kern ableistischen und gewaltkulturell definierten Gesellschaft, ist bis heute von Pathologisierung, Abwertung und der Negierung real erfassbarer Existenz geprägt.

Dieser Umgang ergibt für behinderte Personen eine Schnittmenge, die zu einer sogenannten „Mehrfachdiskriminierung“ führt.
Behinderte Menschen erfahren ebenfalls eine durchgehende Pathologisierung ihrer Normalitäten, aufgrund ableistischer Grundannahmen und Werte, die einzig durch cis Gender und heterosexuelles Begehren verkörpert bzw. belebt werden. Zudem wird behinderten Menschen aufgrund ihrer Behinderung jedwedes Begehren oder sexuelle Aktivität abgesprochen. Auch wird dieser Personengruppe in Korrelation zu der so eingeordneten, „Schwere der Behinderung“ abgesprochen, überhaupt eine Geschlechts_Identität zu haben und im Außen eine Entsprechung und Annahme dessen vorfinden zu wollen.
Behinderten Menschen wird damit eine für die allgemeine Er_Lebensqualität relevante Ebene ihrer selbst abgesprochen. Sie erfahren dadurch die Degradierung zu verkörpertem Leben in einer als minderwertig ein.ge_schätzten Form, da keinerlei andere Funktion.alität als der Selbsterhalt (so dieser ohne Hilfsmittel und medizinische Unterstützung überhaupt gegeben ist) zugetraut und anerkannt wird. Entmenschlichung wie diese, erleichtert es Politikern wie Jens Spahn, Gesetze, wie das aktuell vielstimmig kritisierte, da gegen Artikel 3 der deutschen Grundgesetze verstoßende, „Intensivpflege“stärkungs“gesetz“ überhaupt zu denken.

Aber auch Kinder und alte Menschen – die aufgrund ihrer noch nicht entwickelten oder durch ihr Alter und die damit einhergehenden Einschränkungen nicht mehr durchführbaren Fertig- und Fähigkeiten, „voll funktionsfähig“ („abliert“) sind – sind von „Entsexualisierung“ betroffen und erleben sich häufig nicht als sexuelle Wesen mit Geschlechtidentität akzeptiert und behandelt.
Hier ist besonders zu erwähnen, dass es in der Regel Ableismus ist, der zuerst zu dieser Diskriminierung führt und nicht Sexismus oder Hass auf Menschen anderer Geschlechtsidentität als „männlich“ oder „weiblich“. Sexismus fußt auf Ableismus, wie es praktisch jeder andere *ismus auch tut.

Nicht binäre Menschen und andere Personen, die in dieser Gesellschaft nicht als real existierend eingeordnet werden, sehen sich jeden Tag in verschiedenen Aspekten vor der Herausforderung, sich selbst zu validieren und als existent zu markieren. Sie werden nicht kriminalisiert, sie werden nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, ihnen wird die Ehe nicht verweigert, sie werden nicht davon ausgeschlossen ein politisches Amt zu bekleiden oder ein Land zu regieren – weil es sie offiziell gar nicht gibt.
So kommt es immer wieder zu Konflikten in Kreisen, die sich für die Rechte von LGBT+ Personen einsetzen. Unter anderem deshalb, weil z. B. der deutsche LGBT+-Aktionismus stark beeinflusst ist von weißen Menschen, die durch ableistische, klassistische, rassistische Strukturen und kulturelle Praxen kaum existenziell bedroht bzw. diskriminiert sind. Sie mussten nie den Kampf um Sichtbarkeit und Repräsentanz führen, wie ihn alle Menschen, die mit diesem putzigen „+“, manchmal auch „*“ zusammengefasst wie eine homogene Masse hinter den Buchstaben stehen, jeden Tag führen und ertragen müssen.

In dieser Woche startet auch die „Non Binary Awareness Week“.
Ihr könnt diese Woche nutzen,

  • um @NBWeek auf Twitter zu folgen
  • um diesen umfangreichen Thread von @cuffedCatling zu lesen
  • um die Serie „One Day At A Time“ bei Netflix kennen und lieben zu lernen, denn es ist eine der ersten Serien, in der ein nicht binärer Charakter auch offen als solcher bezeichnet auftritt – ohne pathologisiert oder abgewertet zu werden
  • um euch die Beiträge unter #NonBinaryDay durchzulesen und sie zu teilen, um damit zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen
  • um mal zu schauen, ob ihr schon mal ein Buch, ein Lied oder Kunst von einer nicht binären Person genossen und weiterempfohlen habt. Falls euch auffällt, dass ihr das noch nie getan habt: Viele Bücher und mehr zum Thema von Menschen, die es betrifft, findet ihr bei transfabel.de.
  • um euch darüber zu informieren, was geschlechtliche Vielfalt bedeutet. Um Texte dazu zu verstehen, kann das Queer-Lexikon hilfreich sein.
  • euch zu überlegen, ob ihr uns mal für einen Workshop zur Thematik einladet (wir bieten derzeit ausschließlich Online-Workshops an)
    Unsere E-Mail-Adresse ist im Impressum hinterlegt. Auch über speakabled.de und speakerinnen.org könnt ihr Kontakt mit uns aufnehmen.

05072020

Wir sitzen beim Frühstück. Es ist Sonntag und es kommt mir vor, als hätten wir ewig nicht so zusammengesessen. So richtig. So „Sonntag 11 Uhr Frühstück in unserer Küche“- richtig.
Ich mag das. Ich mag die Tischdecke unter unserem schönen Geschirr, ich mag unser Besteck, ich mag, dass alles so aufgeräumt ist, dass ich alles finden kann, weil ich mich auskenne. Wenn wir so frühstücken, kann ich mich entspannen und wirklich so richtig ganz da sein. Beim Freund, bei unseren Gesprächen, ich habe sogar Kapazitäten dafür, dass Kleckerunfälle auf den Stoff oder Abfallschlachten auf dem Teller des Freundes passieren und sich alles mit den Brotkrümeln vermischt.

„Wie viele Autist_innen gibt es denn so?“, fragt der Freund. Viele, finden wir heraus. Aber weniger als Menschen mit (komplexen) dissoziativen Störungen. Und sehr viel weniger als traumatisierte Menschen.
„Und das ist genetisch ~irgendwas~?“, fragt der Freund. „Ja“, sage ich, „das nimmt man neben vielen anderen Faktoren an. Eine möglicherweise vererbbare Prädisposition.“ Ich presse Luft gegen den Druck um mein Zwerchfell. Das Kinderthema. Für mich sofort da, in Worten nicht im Raum.

Ich sage, dass ich froh bin, möglicherweise nur den Autismus und nicht das Vielesein zu vererben. Merke, wie ich für einen Bruchteil einer Sekunde in Tränen zerfließen könnte, aber doch nichts passiert.

zum International Disability Day

Gestern war „International Disability Day“, deshalb habe ich darüber nachgedacht, ob ich über unser aktuelles Behinderungsding schreibe, aber

Ich hab erst neulich geschrieben, dass mich meine eigenen Redunanzen nerven. Sie nerven mich und manche tun mir einfach weh, weil ich weiß, dass sie trotz der permanenten Wiederholung nicht an Relevanz verlieren oder tatsächlich auch als Wiederholung verstanden werden.
Sackgasse. Wörterblockade. 5 Gedanken zurück, noch einmal über Los.

Nach der Berufsausbildung hätte eine klitzekleine bezahlte Stelle für mich möglich sein können. Klitzeminiwinzig klein. Mit genau dem Umfang, den ich schaffe. Mit genau genug Geld, um mal einen klitzemini Rentenpunkt zu bekommen und mit gezielt gesetzten Einkünften über Blog, Podcast, eigenes Zeug vielleicht sogar mal ein zwei drei vier Monate im Jahr weder Hartz noch Wohngeld zu brauchen.

Und dann wurde ich vom Jobcenter erneut medizinisch begutachtet, gab es eine anscheinend neue Ausgangslage durch die Ausbildung.
Weil ich nach fast 11 Jahren Arbeitslosigkeit die Ausbildung geschafft habe, wird nun diese miniklitzekleine Stelle in dem Betrieb – den ich kenne und mag und der mich will; wo ich tun kann, was ich kann, wie ich das kann – nicht vom Jobcenter gefördert. Die Ausbildung hat die Arbeitslosigkeit unterbrochen. Eine Förderung durch einen anderen Topf reicht nicht aus. Der Betrieb ist sehr klein, die volle Förderung ist nötig.

Die neue Betreuerin hat mir das letzte Woche am Telefon erklärt. Sagte dabei so etwas wie: „Bei Ihnen ist ja auch nicht davon auszugehen, dass das wieder weggeht“. Ich wollte schreien. Und als ich das jetzt aufschreibe, weine ich zum ersten Mal darüber.

Wieder bin ich an diesem Punkt. Zwischen bodenlosem Einsamkeitsgefühl, Kränkung, Ent_täuschung und der Bewegung, die nur Traumatrigger auslösen. Zwischen inklusionspolitischen Themen und soziologischen Phänomenen, zwischen dem Außermir und der Welt, in der ich lebe.
Das klingt pathetisch und überdramatisch, Hannah, des geht nicht um dein Leben – ja, aber ja, doch auch.

Ich bin vor ein paar Jahren dafür kritisiert worden, dass ich Arbeiten als Privileg beschrieben habe. Ich habe nie direkt darauf reagiert, weil ich kein Interesse an einem Shitstorm mit weißen ablierten Marx-Linken habe, deren Begriff von Arbeit einzig die Ausbeutung und Unterdrückung von Arbeiter_innen kennt. Als ginge Unterdrückung und Ausbeutung nicht auch durch den Entzug von Arbeitsmöglichkeiten. Als wäre der Kapitalismus allein mit der Abschaffung entlohnter Arbeit lösbar.

Als behinderte Person, die zusätzlich auch chronisch erkrankt ist, gibt es für mich die gleichen Perspektiven wie für alle anderen Menschen im Kapitalismus auch: Entweder rein in die Verwertung oder raus aus der Verwertung.
Diese Entscheidung ist zu treffen, ob man will oder nicht und allein der Tod bedeutet das „raus aus der Verwertung“. Denn: selbst wenn man nicht direkt selbst ver_wertet, so ist man im Kapitalismus selbst ein Wert.
Ich bin Teil der Sozialwirtschaft. Ich schaffe mit meinen Bedarfen Arbeitsplätze. Die Verwaltung meiner Belange ist Teil der Arbeit vieler Menschen. Ich esse, ich wohne, ich scheiße, an Weihnachten bestelle ich Geschenke bei Amazon. Landwirt_innen, Haustechniker_innen, die Ab_Wasserwirtschaft und die armen Schweine, die jetzt von Amazon ausgebeutet werden, haben direkt mit mir zu tun – doch ich kann meinen Konsum nicht mit ihrem gleich machen. Mein Geld kommt nicht aus einem Entlohnungskreislauf, sondern aus einem kapitalistisch pervertierten Solidaritätsgedanken, an dessen Anfang mal die Idee stand, dass jeder Mensch jederzeit (chronisch) krank, behindert oder aus anderen Gründen arbeitsunfähig werden kann und damit das Privileg der autonomen Versorgung durch eigene Mittel verliert.

Ganz selbstverständlich ist in diesem Gedanken die Idee, dass Menschen, die in welchem Umfang auch immer nicht autonom handeln können, das Kolletiv brauchen. Doch die Rolle der Menschen im Kollektiv ist bis heute eine, die nicht auf Gleichheit beruht, sondern auf Unterschied.

Mein Wunsch danach arbeiten zu gehen wie andere Menschen auch, entspringt der Selbst-, wie Fremdverortung als nicht gleiche Person. Also meine Exklusion durch meine individuellen Grenzen der Fertig- und Fähigkeiten, die meine Art und Weisen der Arbeit zu etwas anderem macht, als die anderer Menschen.
Wenn ich so etwas schreibe, dann lesen viele ablierte Menschen einen Vorwurf des Ausschlusses. Den formuliere ich an der Stelle aber gar nicht. Ich beschreibe lediglich, dass er passiert und wirkt.

Ganz konkret nämlich genauso, wie ich es in meiner aktuellen Situation erfahre.
Ich bin 14 Jahre in Hartz 4, weil meine damals noch nicht bekannte Behinderung, eine schlechte Versorgungslage und inexistenter Opferschutz, die Behandlung meiner chronischen Krankheit massiv erschweren. Dann wird die Behinderung erkannt, Kompensationsmöglichkeiten entstehen und neue Fertigkeiten werden entwickelt. Eine Berufsausbildung erscheint schaffbar. 3 Jahre und unfassbar viel Bildungs- und Inklusionsarbeit nebenbei später ist sie geschafft, ein Zettel mit dem Beweis der Gleichheit in Fertigkeiten wird erlangt.
Doch die grundlegende Andersheit ist weiterhin da.
„Das geht bei Ihnen ja nicht mehr weg.“

Behindert zu sein (und zu werden) funktioniert nicht wie das Märchen vom hässlichen Entlein, in dem man als Ausgeschlossene_r einfach nur die Gleichen finden muss, um glücklich und zufrieden, gleich im Kollektiv der Gleichen zu sein Es ist viel quälender, denn das Kollektiv der mir Gleichen ist immer das Kollektiv der Ausgeschlossenen.

Ich will an der Stelle nicht darauf eingehen, welches Kollektiv sich nach wem ausrichten sollte. Wer schließt wen aus, welches Kollektiv ist das Gute, welches das Schlechte. Darum geht es mir nicht, obwohl die Frage gestellt werden muss, wer sich nach wem warum ausrichtet. Das ist ja der schmerzhafte Teil – warum will ich denn tun und können, was Leute tun und können, die nicht behindert und/oder chronisch erkrankt sind bzw. ihre Behinderungen und/oder chronische Erkrankungen so gut kompensieren können, dass sie nicht zu Problemen in Produktivität und damit Autonomie führen? Warum sind die mein Maßstab und nicht andere Menschen in meiner Lage?
Na, weil Menschen, die nicht in meiner Lage sind privilegierter sind und ein entsprechend autonomeres und damit freieres Leben führen können. Nicht, weil ich sie für die besseren Menschen halte oder mich selbst für wertlos. Das kommt erst danach, denn das ist der Schluss zu dem meine Lebensrealität zwangsläufig führt (und führen soll).

Das Jobcenter hat mich jetzt wieder als arbeitsunfähig eingestuft.
Obwohl ich im Moment zwischen 12 und 15 Stunden in der Woche arbeite. Das ist mehr als ich jemals zuvor geschafft habe. Ich bin stolz darauf, weil ich weiß, dass ich mit dieser Leistungsfähigkeit viele Urteile über mich Lügen strafe. Ich schäme mich für diesen Stolz, denn ich weiß, dass er in eine Dynamik reinspielt, die am Ende nicht nur mir, sondern allen Menschen schadet.

 

Ich weiß nicht viel über den International Disability Day. Ich bin kein Teil „der Inklusionsbewegung“. Ich kann keine berührenden, empörenden Texte über Beispiele gescheiterter Inklusion, Diskriminierung oder irgendetwas sarkastisch witziges darüber schreiben, als Objekt der Inspiration missbraucht zu werden oder einen Alltag zu leben, in dem fremde Menschen nach meinem Rollstuhl grabschen. Ich kann keine visuell erfassbaren Stereotypen brechen, die auf ihre Existenz aufmerksam machen.
Die Behinderung mit deren Auswirkungen ich lebe, ist von meiner chronischen Erkrankung nur schwer zu unterscheiden. Ich bewege mich in einer Gemengelage doppelter Abwehr und allgemeiner Unkenntnis. In meinem Leben geht es nicht nur darum, zu erklären, was Autismus ist und was eine dissoziative Identitätsstörung und dann die passende Lücke zu finden. Es geht auch darum auszuhalten, dass der Autismus meinen Ausschluss besiegelt und die DIS etwas ist, das mich mit vielen Nicht-Ausgeschlossenen gleich macht.

Ich passe wieder nicht rein. Nicht mal in den International Disability Day.