Am Ende dachte ich darüber nach, warum es eigentlich ist, dass jede „Betroffenen-Sparte“ auf die immer gleichen Verstrickungen hereinfällt.
Dabei hätte es doch genau mich ansprechen sollen. Eigentlich müsste ich doch in diesen #unsichtbar gehen und mich pausenlos bestätigt fühlen. Echokammer yeah!
Aber nein.
Erst musste ich meine internalisierten Ableismen runterwürgen. Dann die täterloyalen Innens. Und dann war da eigentlich nur noch Wut und Frustration über einer ohnmächtigen, hilflosen Hoffnungslosigkeit. So tief, dass ich sie nicht weiter erforschen wollte.
Ich habe schon vor längerer Zeit immer wieder geschrieben, dass die Unterscheidung in „unsichtbare“ und „sichtbare“ Behinderungen genauso problematisch ist, wie die Unterscheidung in „behindert“ und „nichtbehindert“.
Nun, wo viele behinderte und chronisch kranke Menschen sich und ihre Probleme aber als „unsichtbar behindert“ einordnen, ist es natürlich auch von mir schlicht zu akzeptieren, dass sich so viele Menschen nun einmal so empfinden und einordnen und dies als die Sprache, den Rahmen für ihre Schwierigkeiten wählen.
Aber… und hier kannst du dir mich vorstellen, mich windend und dabei immer wieder mit dem Kopf an Wände und Tische schlagend, weil ich da so viel sehe, was daran problematisch ist und kaum weiß, wohin damit … es hat so viele schwierige Implikationen, dass es nichts am Problem ändert und das macht mich einfach fertig.
Unter #unsichtbar haben zu Beginn ausschließlich? autistische Menschen getwittert. Inzwischen versammeln sich darunter aber auch Menschen mit anderen Diagnosen, denen allen gemeinsam ist, dass man ihre Behinderungen im Allgemeinen nicht aufgrund der Nutzung von Hilfsmitteln oder über die Körperform und -funktion annimmt bzw. herleitet, dass eine Behinderung vorliegen könnte.
Für mich war schon nach kurzer Zeit des Lesens klar, dass sich nichts Neues daraus ergeben würde. Man würde wieder Gewaltgeschichten in die Gesellschaft pusten und niemand würde es bemerken, weil niemand schreibt, dass es um Herrschaft geht. Wieder tritt man an eine falsch definierte und deshalb als homogen gedachte Gruppe („die Nichtbehinderten“/“die da draußen“/“die Ahnungslosen“) heran und sagt ihr sinngemäß: „Hier hömma – ich bin unsichtbar für dich – Immer bin ich unsichtbar – wär mir ein Arm ab, würdest du mich besser behandeln.“, was, wie Menschen, die andere Behinderungen kompensieren wohl bestätigen dürften, nicht der Fall ist. Neben dem Umstand, dass es ein unsolidarischer Kackmove ist, der seinerseits gewaltvoll gegen behinderte Menschen wirkt.
Was ich verstehen und auch emotional nachvollziehen kann ist, dass „unsichtbar“ hier als Metapher verwendet wird, um auszudrücken, dass man sich in den eigenen Kämpfen und Problemen nicht wahrgenommen fühlt. Nicht erkannt, nicht anerkannt. Dass man denkt: „Wer ich bin, was mich ausmacht, was ich brauche, das ist nicht offensichtlich – nicht völlig klar – für andere Menschen.“
Es gibt aber auch Posts, die ganz konkret das Wort „unsichtbar“ meinen, weil sie sich als behinderter Mensch und die eigene Kompensation von Behinderungen für weniger auffällig halten, als etwa die von Leuten, die einen Stock benutzen oder eine Prothese.
Beides muss meiner Ansicht nach benannt und verdeutlicht werden, wenn man (politisch) etwas dagegen tun möchte. Beides wäre jedoch besser nicht mit dem Begriff „unsichtbar“ getan, sondern mit den Begriffen „unerkannt“ und/oder „nicht anerkannt“.
Denn, wie ich gestern bereits in einem Twitterthread (Link zum Thread) schrieb: „Es ist ein Vermeidungsmärchen. [Dass man nicht jede Behinderung sieht und/oder „sieht“] Nichts weiter. Mit der Rahmung von Behinderungen als unsichtbar wird es eine Superkraft sie überhaupt wahrzunehmen – übermenschlich. Und deshalb im Alltag genau das „zu viel verlangt“ gegen das ihr eure Aufklärungsarbeit, euren Aktivismus macht.
Immer wenn jemand vertritt, es gäbe unsichtbare Behinderungen wird ein Mal mehr die behinderte Person auch die Behinderung selbst und nicht die Umstände in und von denen sie behindert wird. Das ist ein Problem.
Ja, es ist wichtig aufzuzeigen, dass viele Menschen besonders im sozialen Bereich, wegen ihrer individuellen Wahrnehmung behindert sind und werden – aber um das auszudrücken, darf man durchaus sagen, dass es um Missachtung, fehlerhafte Einordnung, Ignoranz und Gewalt geht. Denn um nichts anderes geht in jeder Story um „XY übergeht meine Bedarfe, weil sie_r meine Behinderung/Grenzen/meinen Willen nicht beachtet/wahrt.“
Was also unter #unsichtbar (Link zum Hashtag bei Twitter) vor allem unsichtbar bleibt ist, dass es um Gewalt gegen behinderte Menschen geht.
Auch ein Vermeidungsmove übrigens – weil man als behinderte Person zweimal nicht immer das Opfer sein will & noch mal Mitleid oder Abwehr abkriegen will, aber es ist, wie es ist und es ist wichtig sich dessen bewusst zu werden/sein/bleiben, um etwas zu verändern.“
Ja, es ist relevant, wie Menschen aussehen und ja, manche Erkrankungen und genetischen Varianzen lassen Menschen „besonders/anders/auffällig“ aussehen, weshalb im Kontakt mit ihnen sowohl schneller angenommen als auch anerkannt wird, dass sie Behinderungen oder Krankheiten kompensieren müssen. Aber auch diese Menschen werden deshalb nicht „richtig(er) gesehen“ oder erhalten deshalb leichter oder öfter auch das, was sie wollen und brauchen. Das einzige, was sie nicht machen müssen, ist in anderen Menschen die Idee aufkommen zu lassen, sie könnten ein behinderter Mensch sein. Mit allen Konsequenzen, die das hat. Vor allem für Menschen, die „anders aussehen“, aber gar nicht behindert sind.
Und ja, es ist auch relevant, dass Anpassung zu sehr viel Unauffälligkeit führt. Aber auch das beste Masking autistischer Menschen schafft eben nur das: Unauffälligkeit. Nicht: Verschwinden oder Unsichtbarkeit.
Für mich ist das Unsichtbarkeitsthema dieser autistischen Bubble das Einhornthema queerer Menschen.
„Some people are unicorns get over it“, war so ein Slogan, den wir eine ganze Weile auf einem Patch auf dem Rucksack trugen, weil uns von cis hetero Personen oft vermittelt wurde, dass wir uns unsere Geschlechtsidentität nur ausgedacht hätten und sie deshalb nicht anerkannt werden muss. Wie Einhörner nur ausgedacht sind und nur als solche anerkannt werden müssen.
Heute merke ich, wie ich sehr ich selbst zu diesem gewaltvollen Narrativ beitrage, wenn ich mich als Einhorn darstelle, das es aber real gibt. Erstens mache ich mich weniger menschlich und zweitens fordere ich so die Anerkennung meiner Person als etwas, dass es „eigentlich (in Wahrheit) ja aber nicht gibt“ ein. Also als Ausnahme von der Regel – nicht als Teil der Regel, der ganz selbstverständlich, wie alle anderen Menschen in allen Aspekten anerkannt wird.
Heute benutze ich das Einhorn nur noch unter anderen queeren Menschen als eine Art Insider-Gag. Als Gruppenmarker sozusagen. Denn nur in dieser Gruppe ist das auch sicher für mich und nicht gewaltvoll. Queere Menschen akzeptieren in der Regel meine Geschlechtsidentität. Sie kennen meine Kämpfe, sie kennen meinen Schmerz. Sie sind an meiner Seite etwas dafür zu tun, dass wir an.erkannt werden.
Die gleichen Dynamiken laufen in der Bubble der Menschen, die sich als „unsichtbar behindert“ einordnen.
Wir werden ständig mit Erwartungen daran wie behinderte Menschen aussehen konfrontiert, die von Menschen formuliert werden, die ihre Behinderungen mühelos kompensieren können und nicht auch von Strukturen behindert werden. Immer wieder sehen wir die Rollinutzer_innen, die Prothesenbesitzer_innen, die Leute, deren Körper „besonders/anders/auffällig“ aussehen in der Aktion Mensch-Werbung, auf Plakaten für Behindertenverbände, in Broschüren und Bilderbüchern. Und vergessen dabei, dass das immer immer immer lookistische, also ableistische Repräsentation behinderter Menschen für in der Regel lookistisch ableistisch einordnende Menschen ist. Dass das also nie die Realität abbilden kann zum einen und zum anderen vor allem dafür da ist einen Personenkreis anzusprechen, der in den eigenen Annahmen von behinderten Menschen und Behinderung an sich bestätigt werden muss, um sich ihnen überhaupt zu widmen. So traurig es ist, ist das Grundproblem bei dieser Werbung nun also nicht primär, dass nicht alle „Arten von Behinderung“ re_präsentiert werden, sondern dass es Werbung ist, die die ableistischen Annahmen der breiten Gesellschaft bestätigt, um an Gelder zu kommen, um mit Projektförderungen jeder Art etwas gegen diese Annahmen zu tun. Also für ein Unterfangen, das sich selbst erhält und deshalb kritisiert werden muss.
Nun aber zurück zum „unsichtbar-Thema“.
Wenn „wir Menschen, deren Behinderungen nicht an Hilfsmitteln oder Körperform und -funktion erkennbar ist“ untereinander von einer Unsichtbarkeit sprechen, ist das etwas anderes als unter einem Twitterhashtag mit dem Anspruch, dass „~alle~“ kapieren, dass es uns gibt und dass uns schlimme Ungerechtigkeiten und Gewalt passieren.
Und zwar, weil wir voneinander wissen und wir einander anerkennen. Wir kennen unsere Er_Leben und unsere Kämpfe.
Außerhalb dieser Gruppe ist das anders. Da werden wir nicht an.erkannt. Und zwar erstens, weil wir die Erwartungen daran „wie Behinderung aussieht“ und „wie behinderte Menschen sind“ weder erfüllen noch bestätigen und zweitens, weil die Bedarfe genauso wie die individuellen Er_Lebensrealitäten behinderter Menschen generell nicht anerkannt werden.
Das macht aber weder uns, noch „unsere Behinderung“ unsichtbar. Niemand wird unsichtbar, nur weil sie_r nicht angeguckt und an.erkannt wird. Aber alle, die ignorieren wollen, profitieren unfassbar stark davon, wenn diese Idee vertreten wird.
Deshalb sage ich, dass man davon wegkommen muss zu sagen: „Ich bin mit meinem Autismus (z. B.) unsichtbar behindert.“, weil es die Perspektive der in der Regel gewaltvollen und ignoranten Seite bestätigt und man anfangen muss zu adressieren, wer wem wann warum verweigert gesehen und „gesehen“ zu werden. Denn in beiden Themen – dem Einhorn-Thema, wie dem Unsichtbar-Thema, macht es einen großen Unterschied, ob man sagt: „Ich bin ein Einhorn, get over it“/“Ich bin unsichtbar, guck mich an“
oder ob man sagt: „Du entmenschlichst mich, um mich nicht anerkennen zu müssen“/“Du ignorierst meine behinderungsbedingten Bedarfe, um mich nicht (auch) als behindert anerkennen zu müssen.“
Ich verstehe, dass das alles komplex und schwierig ist. Dass man es für leichter hält, weil es so eine allgemeine Floskel, so eine allgemein oft benutzte Redewendung ist. Aber überlegt doch mal, warum das so ist. Warum können wir uns so easy in die Gegend stellen und sagen, wir wären unsichtbar – aber bleiben ohne jeden Erfolg mit egal welcher Forderung, wenn wir sagen, dass wir mehr oder weniger absichtlich ausgegrenzt werden? Sicher nicht, weil Sichtbarkeit das Problem ist.
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