Als Behinderung wird von vielen Menschen eine (unheilbare, chronische) Krankheit, eine „Fehlbildung“ des Körpers oder „abweichende“ kognitive Leistungsfähigkeiten eingeordnet. Diese Einordnung wird von uns behinderten Aktivist_innen und auch in den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich (im weitesten Sinne) „mit Behinderung befassen“ als „medizinisches Modell von Behinderung“ bezeichnet.
Dieses Modell ist überholt, zweifelsfrei jedoch weiterhin die häufigste Sichtweise.
Das Kernmerkmal dieses Modells ist die Verortung der Behinderung in dem betroffenen Individuum selbst. Dies hat zwei Folgen.
1. Die Behinderung wird zu einer medizinischen Kategorie. Das macht die Behinderung zu etwas, das sich aus einem Defekt ergibt, den man objektiv (also ohne Bezug zur behinderten Person, dem Individuum) anschauen und bewerten kann und der, weil er dauerhaft besteht, als schicksalhaft hinzunehmen eingeordnet wird. Auch die Ursachen von Behinderung werden beim Individuum gesucht (und in aller Regel auch gefunden, aber dazu irgendwann mal wieder mehr).
2. Das Forschungsinteresse zu Behinderung orientiert sich an medizinischem Wissen (um die Krankheit, die als der Behinderung zugrunde liegend gesehen wird) und strebt eine größtmögliche Objektivität an. Die Relativität von Behinderung wird im medizinischen Modell so gut wie nie gesehen.
Das bedeutet: Wer Menschen als erst dann als behindert einordnet oder von ihnen geschilderte Umstände als sie wirklich behindernd anerkennt, wenn diese eine medizinische Diagnose und Prognose darüber haben, tut dies auf Basis des sogenannten „medizinischen Modells von Behinderung“. Dies bedeutet wiederum, dass es immer weiter einen Bedarf an Diagnosestellung und also Pathologisierung von als abweichend eingeordneten Menschen gibt. Und dass so natürlich auch weiter nur eine Profession unserer Gesellschaft dazu ermächtigt wird, die Fähig- und Fertigkeiten von Menschen überhaupt (in ihrem Wert) einzuschätzen, was sich als ein sich selbsterhaltendes System ohne jede wirklich konstruktiv nutzbare Funktion außerhalb von sich selbst darstellt. Denn ein Arzt wirkt rund um Diagnose und Abweichungskorrektur – nicht um Fragen der Lebensqualität, der Teilhabe oder die Inklusion, der als abweichend eingeordneten Menschen.
Wer sich am medizinischen Modell von Behinderung orientiert, kann gar nicht anders als behinderte Menschen als besonders, anders, krank, defekt, fehlgebildet oder -entwickelt – also ganz grundlegend abweichend einzuordnen und sie so ganz eindeutig von der Norm, also der Mehrheit der Menschen, auszugrenzen.