stabilisierte Instabilität

Zwei Tage später wird mir klar, dass es ok ist. Dass sie Abstand nimmt und nicht dranbleibt. Die Therapeutin mit Kapazitäten ohne Kassenzulassung, die nach dem ersten Ruckeln im Kostenerstattungsverfahren mit der Krankenkasse glaubt, da würde gar nichts gehen.
Ich hätte mich in den Kampf geworfen, weil ich von der Betreuerin, die wir jetzt haben, so gut vertreten werde und ansonsten erodiere. Ich fühle die Jugendlichen, ich fühle die Kinder, ich fühle meine Gedanken und wie ich unter dem Druck der letzten Wochen an Konsistenz verliere. Es ist der perfekte Zeitpunkt für irgendeinen beknackten Bürokratiescheiß, von dem ich mich verletzen lassen kann, um nicht selber zur Klinge greifen zu müssen.
Aber nein, sie steigt aus. Einige Tage nach dem Termin mit der letzten Therapeutin und dem Begleitermenschen, in einem inneren Zustand, den ich weder überschauen, noch sortieren, noch beworten kann.

Sie ist die zweite Person, der ich davon erzähle, dass die Therapeutin uns ein Angebot gemacht hat, unser Kommunikationsproblem anzugehen und die dritte, die uns sagt, dass das doch prima ist und wir das annehmen sollten.
Plötzlich bin ich die Person vor einem Tisch voller Optionen, die nur zugreifen müsste, aber zu keiner Regung fähig ist.

Denn da ist sie wieder. Die Hilfe-Falle.
Mein Zustand jetzt ist mit „stabilisierte Instabilität“ am besten zu beschreiben, ich habe keine eigene, erwachsene, Haltung zur Lage, möchte, dass alles ~einfach irgendwie gut wird~ und keine 2 Millimeter hinter mir passiert alles von Traumawiedererleben bis kalte Ordnung, um möglichst glatt abzuschließen.
Das ist nicht der Zustand, in dem ich mich für irgendeine Hilfe oder Unterstützung oder irgendwas, das mich persönlich betrifft entscheiden kann und sollte. Und gleichzeitig ist es der Zustand, in dem ich Hilfe oder Unterstützung dringend brauche.

Eine Woche später wird klar, dass sie Krankenkasse vielleicht nicht mal die Kosten für die probatorischen Sitzungen bei der privat behandelnden Therapeutin übernimmt und R., die mir nun seit Monaten mit ihrem „Menschen sowieso aber Therapeuten ganz besonders-Misstrauen“ im Ohr, im Hirn, im Sein hängt, wird zu einem glühenden Stahlgerüst entlang meiner Knochen. Unfassbar schmerzhaft, ständig präsent und starr.
Das kenne ich von K., aber meine Lösungsversuche scheitern. Es ist, als wäre da etwas eingerastet, das ich nun wirklich nicht mehr allein frei kriege und meine Motivation nach einer neuen Therapeutin zu suchen, hat ihren Tiefpunkt erreicht.

Ich glaube nicht, dass wir in dieser Zeit jetzt jemanden finden. Ich sehe auch nicht, woher ich noch einmal Kraft nehmen könnte, noch einmal alles zu erklären, noch mal alles zu erzählen, noch mal eine Schicht mehr über R. und damit eins der wichtigsten inneren Systeme zu legen, die kennen zu lernen doch so ein großer Fortschritt war.

Also entscheide ich gar nichts. Dass ich bleibe, ist wichtig und das merke ich auch. Früher wäre schon längst niemand mehr da gewesen. R. hätte geregelt, bis sie nicht mehr kann, dann K., bis das, was durch ihre traumalogische Regelei nötig wird, ein Ich ist, das auch ohne sie funktioniert. Jetzt regle ich, indem ich gar nichts regle und mich auf den Lauf der Dinge verlasse. Not sure if win.

Fundstücke #42

Die Emma ist mal wieder Thema. Als eine dieser Netzfeminist_innen™, komme ich irgendwie nie darum herum davon berührt zu werden, denn Tritte in den Rücken tun eben das, was sie tun sollen: treffen. Und fühlt sich eine_r getroffen, dann wird in meinem Umfeld darüber gesprochen. Und wird darüber gesprochen, dann nehme ich Anteil daran.

Mir ist aber gerade etwas aufgefallen, das mir neulich schon durch den Kopf ging, als ich einen Kommentar zu einem Text über Sexualassistenz aus der Emma las. Natürlich ist Sexualassistenz für Schwarzerfeministinnen gleich Prostitution und unter keinerlei Umständen jemals das, was es für andere Menschen ist.
Da gibt es auch nichts zu diskutieren oder gar zu differenzieren, denn da gibt es ja diese Redaktion, die für uns urteilt.
Uns – den Rest der Gesellschaft. Uns, die konkret Betroffenen. Uns, deren Blick ja völlig und immer komplett verwirrt ist von “dem Patriarchat”. Uns, den Jungen, die sich den Respekt und die offenen Ohren erstmal erarbeiten/erkämpfen/verdienen müssen, um es überhaupt wert zu sein ernstgenommen, anerkannt und respektvoll behandelt zu werden. Uns, den Anderen, die erstmal ihre Gleichartigkeit vorzeigen müssen, ohne jedoch das Gleichersein dieser Menschen in Frage zu stellen oder zu kritisieren.

Das ist das alte Emma-Alice Schwarzer-Problem: Gewaltreproduktion, die weder hinterfragbar noch kritisierbar ist.
Für mich braucht es nicht mehr, um diese Strömung der feministischen Bewegung zu meiden. Wer es nicht schafft, der Freiheit eines_einer Einzelnen einen Platz in der Freiheit aller zuzusichern, vertritt für mich nicht das, was ich mir für das gesamtgesellschaftliche Miteinander wünsche.
Soviel dazu.

Aber.
Interessant ist eine Parallele zu dem Ding, das wir letztes Jahr in der Klinik erlebten.
Das Verbot zu bloggen. Die Unmöglichkeit die Behandlungen wegzulassen, die weder gut taten noch hilfreich waren. Die unerwartete Schwierigkeit daran, selbst zu definieren, welche Themen dran sind und welche nicht.
Wir haben uns damit zurückgehalten von Bevormundung zu sprechen, denn wir haben uns nicht wie ein Kind behandelt gefühlt, sondern wie der letzte Dreck. Nämlich entwaffnet (das Ausdrucksverbot), erpresst (“Wenn du nicht mitmachst, wie wir das bestimmen (weil wir das können), dann …”) und entrechtet (“Du hast hier gar nichts mitzubestimmen, weil was du willst, ist alles Ergebnis deiner Krankheit/Traumatisierung/falschen Sozialisierung, was dich deiner Rechte entlässt.”).

Die Logik ist: “Wir sind normal – wir sind erfahrene Menschenlebenretter_innen – wir sind die, die es durchschaut haben– wir reißen uns schon länger den Arsch auf als andere – wir sind die Liga der Selbstgerechten – wir sind DIE GUTEN – scheiß auf den Rest. Scheiß auf die Anderen. Die sind eh in der Minderheit. Minderheiten ey! Weiß man ja eh drüber Bescheid… wir wissen ja nämlich sowieso alles. WIR! DIE GUTEN!!!”.
Ok ok – jetzt hab ich mich hinreißen lassen.
Trotzdem.
Das ist die Logik, die bei mir ankommt als unterlegene Einzelperson, die sich so einem Kollegium (Kollektiv) gegenüber sieht.
Völlig gleichgültig, ob sie selbst das so wollen. Völlig egal, wie sie sich selbst sehen.

Es ist Selbstgerechtigkeit. Es ist Ignoranz. Es ist das Gegenteil von Dialog.
Es ist Gewalt.

Das Tragische für mich ist dabei, so alternativlos zu sein bzw. überwiegend mit dieser Haltung konfrontiert zu werden.
So wie ich ständig Abgrenzungsarbeit dahingehend leisten muss, dass ich in meinen feministischen Idealen weit von denen einer A. Schwarzer abweiche, muss ich das als Speaker_in zum Thema Trauma und Viele-Sein ebenfalls immer wieder in Bezug auf verschiedene Größen der Szene tun.
Während mir das aber bei feministischer Auseinandersetzung nichts ausmacht, weil es um einen gesellschaftlichen Diskurs geht, ist es in Bezug auf diesen Arm der Traumaszene jedoch ganz offensichtlich problematisch.
Denn trotz allem, was mir zugetraut wird, um als Bedrohung zu gelten oder so wahrgenommen zu werden, bin ich eben doch nur ich allein, denn für niemanden sonst spreche/schreibe/arbeite ich.

In einer Diskussion würde man es drehen, wie Frau Schwarzer ihre “Kritiken” dreht: am Individuum festgemacht, basierend auf unreflektiertem Begreifen, gewaltvoll durch stringentes Vermeiden von respektvollem Dialog und ganz zuletzt runtergebrochen auf die ewig gleichen Egopfeiler, die entlang von Privilegien gewachsen sind, die ich in meinem Leben vermutlich nie inne haben werde.

So bedroht sich (selbsternannte) Mehrheiten allgemein von real greifbaren Individuen fühlen, so viel Fremdscham empfinde ich vor diesem Bedrohungsgefühl. Gerade dann, wenn es zu gewaltvollem Handeln, wie dem Aussprechen von Verboten oder öffentlicher Verurteilung einer Person kommt, die schlimmstenfalls auch noch ganz andere Menschen treffen und abmahnen soll.

Und am Ende?
Am Ende ist es tragisch, weil eine Spaltung besteht und bleibt.
Weil ein Miteinander unmöglich wird.
Weil es weh tut, selbst dann, wenn man einander nicht braucht.

Weil es Gewalt ist und bleibt.

“fett”, “dumm”, “ungenügend”, “falsch” sind keine Gefühle

Das Video hat mich daran erinnert.
“fett” ist kein Gefühl. “dumm” ist kein Gefühl. “ungenügend” ist kein Gefühl. “falsch” ist kein Gefühl.

Das sind Zuschreibungen. Wertungen.
Und auch wenn ich sie ständig und immer, in allen möglichen Variationen im Kopf habe, sie höre, sie als Tritte, Stöße, Ziehen, Reißen, Kratzen, Brennen, Wucht und Energie in und an mir fühle, sind sie nicht von mir gemacht. Selbst wenn sie als Stimme aus mir herauskommen, meine Haut tragen und mein Leben an sich nehmen. Sie sind nicht ich.
Sie sind in mir geworden.
Weils nötig war. Weil Menschengehirne – weil Leben auf Spiegelung und Kopie beruht.

Mir ist aufgefallen, wie oft davon gesprochen wird von etwas oder jemandem getriggert zu sein. Trigger zu meiden oder einen Umgang zu finden. Immer wieder geht es um Trigger und darum bestimmte Handlungen zu unterdrücken. Zu vermeiden. Umzulenken.
Es geht nicht darum zu sagen: “Ich fühle wie damals, als eine Person, der ich mich unterlegen fühlte/von der ich abhängig war, mir sagte, ich sei fett, dumm, ungenügend, falsch, weil sie mich demütigen, abwerten, unterdrücken, brechen, verletzen, zerstören wollte.”. Es geht nicht darum zu sagen: “Ich erinnere mich an eine Gewalterfahrung.” oder “Diese Situation, unser gemeinsamer (sozialer) Kontext erinnert mich an eine Gewalterfahrung.”.
Es geht um Trigger_reize und darum das Framing dieses Begriffes zur Abstraktion von Gewalt und ihren Folgen zu miss-ge-brauchen.

Was ein Trigger ist, ist schnell erklärt und jede – wirklich jede Person versteht das Reiz-Reaktionskonzept “Trigger”.
Aber wird es auch begriffen? Wird mit der Erklärung des Begriffs – der Bewortung eines Vorganges, begriffen, dass es um die Folge eines An- und Eingriffs in das gesamte Denken und Werten bezüglich jeder Regung innerhalb eines Individuums geht?
Nein.

Oft passiert es sogar, dass eine Spaltung aufgeht, was ein “echter Trigger” sei und was “ein irgendwie anderes Dings”.
So gibt es die Idee, dass ein echter Trigger direkt zum Flashback oder zum dissoziativem Symptom führt und alles andere einfach schon immer so sei und vielleicht bei jedem sogar gleich. Denn schließlich fühlt sich ja heutzutage jede x-te Person “fett”, “dumm”, “ungenügend”, “falsch”.
Obwohl genauso jede Person wissen kann, dass das keine Gefühle sind.

Aber wie oft setzt man sich schon hin und denkt darüber nach, wie man sich eigentlich fühlt?
Wann kann man sich Gefühle eigentlich erlauben?
Wann kann man seine Gefühle ertragen oder aushalten?

Sicher nicht, wenn man glauben muss, man sei fett, dumm, ungenügend und falsch.
Ganz sicher nicht, wenn man andere Zuschreibungen nicht gleichsam wahrnehmen darf. Und ganz sicher nicht, wenn man sie sich nicht einmal zu erlauben überlegen können darf.
Weil man auf den “richtigen Trigger” warten muss, bis das zu etwas werden darf, das man als nicht von sich kommend markieren kann.
Weil es eine neue Machtinstanz* mit eigener Sprache erlaubt.
Nicht etwa man selbst.

 

*hier: die Psychotherapie/Psychologie als Wissensmacht ergo Gewalt

euer komisches Berlin – Teil 4

und am Ende: Dis.kurs, Dis.kussion, Dis_Tanz inmitten meiner  DIS – sonanz

Der leere Platz neben mir im Konzert, das fast schlechte Gewissen beim Nach-Mit-Nebenherdenken feministischer und vielleicht auch allgemein emanzipatorischer Auseinander-Verschieb- Neube- Setzungen und dieser seit Samstag anhaltende Schrei in meinem Kopf.

Es tut mir gut, mich auszusprechen und merke das ganz deutlich, als ich Kaffee, der komisch guckt, aus einer Eulentasse trinke und auch meinen emanzipatorischen Bauch über den Rock hängen lasse.
Feminist_Innen und Personen wie ich, die den Begriff “Feminismus” verwenden, um ihre emanzipatorischen Überlegungen einzurahmen, wir dürfen uns nicht uneinig sein, dürfen uns nicht verkrachen, erleben unsere Diskurse immer wieder als Gräben und Spalten bewortet und bewertet, von Personen, die oftmals gar nicht beteiligt sind oder “anti” aus Prinzip und Selbstzweck sind.

Und wenn der Graben einmal da ist, dann passiert Geschichtsschreibung im Mauschelflüstern und nach einer Art Tiefenscan der Positionierung der Person mit der man spricht.
Ich fühle mich immer wieder sehr privilegiert, wenn es reicht, dass ich in der grundsätzlichen Strömung solidarisch bin und keine Positionierung vornehmen möchte. Wenn akzeptiert wird, dass ich netzfeministische Geschichte weder gänzlich kenne, noch an einen linearen Verlauf der selben glaube.
Wenn mein ständiges Dazwischen – oder manchmal auch Danebenstehen nicht als defizitärer Zustand betrachtet wird, sondern als Ist- Zustand #ausGründen , die nichts mit einer Wahl von mir zu tun haben.

Es ist dann am Ende nur mein Wunsch nach Harmonie und Ein-s-igkeit, die mich wünschen lässt, dass ich mit allen meinen lieben, klugen, engagierten Bubbleherzmenschfeminist_Innen an so einem Tisch sitzen kann, auch um vielleicht meine eigenen inneren Diskurse zu vereinen. Wenn ich dann aber wiederum bedenke, dass ich damit wieder ein Machtgefälle aufmache und neuerlich #ausGründen zu #inAbgründen mache, das ja aber genau kritisiere und nicht will … und aber… und …
ach… dann ist es, wie es ist und ich bleibe in meiner Dankbarkeit dafür, innerhalb dieser Diskurse meiner Ich- Struktur folgen zu dürfen und eben viele zu sein und mit vielen zu sein. Nebeneinander.

Dankbarkeit und noch einmal erweiterte Annahme von Grenzen, Spalten und Ab.Gründen
das habe ich, in meine Jacke gekuschelt auf einer Platzreservierungsinsel im Zug nach Hause, auf meinem Schoß gehabt.

Dass ich diese Reise machen konnte, hatte so viel mit anderen Menschen und ihrer Bereitschaft mich finanziell zu unterstützen zu tragen, wo ich nicht laufen kann, zu tun, dass mein Danke seinen Kopf in Wolken betten kann, während direkt daneben Risse bis an sensible Teile meines Innen klaffen, weil es eben doch nicht nur schön ist, immer wieder diejenige zu sein, die ohne Bei-Neben-Mithilfe nicht vorwärts kommen kann.

Am Montag fahren wir wieder nach Berlin.
Dann geht es um Inklusion.
Lustig, in einer Stadt, die so lange zerschnitten und gespalten war, darüber nachzudenken.
Zum Schreien komisch, dass ich mein Zerfaserrissenimplodiertsein auch dorthin trage.

 

Ende

vom Macht- “Ja” im “Nein”

aq Ich habe über Protest nachgedacht. Über Nicht- Zustimmung und seine Folgen.
Das Zusammenspiel von Ablehnung und Abgrenzung.

Ich habe dabei an die Verselbstständigungsphasen von Kindern und Jugendlichen gedacht und mir ist aufgefallen, dass es einen scheinbar stillen Satz gibt, der sagt: “Wo ein “Nein” ist muss ein “Ja” sein. (Man muss es nur finden, produzieren, erzwingen, Machtgewicht entsprechend drüber legen)”.

So werden dann Kinder die Treppen hoch getragen, weil das Hochgehen alleine zu viel Zeit in Anspruch nimmt (Macht des Erwachsenen zu definieren, was wie lange dauern kann oder soll oder darf – aus Erwachsenensicht, welche umfassender, erfahrungsreicher, in anderen Sicherungsdynamiken als die des Kindes entsteht vs. Wunsch des Kindes alleine (abgegrenzt vom Erwachsenen) die Treppe hochzugehen, Selbstbestimmung aus einer Sicht heraus, die sich auf Abgrenzungsprozesse und Selbstwahrnehmung bezieht)
und obendrauf kommt die Haltung, die mehr Bestätigung durch Machtposition erfährt: “Du sagst Nein zum Getragen werden – ich sage Ja zum endlich mal nach Hause kommen- das ist ja auch für dich besser/du willst es doch auch/ es ist wichtig/ nötig etc.”

Ich glaube, dass wir als Kinder viele dieser Dynamiken aufnehmen, unhinterfragt (lassen müssen) weitertragen und als Erwachsene in unsere Gesellschaft hinein installieren. Wir werden als Kinder (gerade auch als Kinder in einer Gesellschaft, die aus überwiegend Nichtkindern besteht) immer wieder damit konfrontiert, dass in jedem unserer “Neins”, immer mindestens im Außen ein “Ja” steckt. Und weil wir Menschen eigentlich alles per Gegenstück definieren, beziehen wir die Abwesenheit der Option eines Gegenstücks (bzw. die Anwesenheit beider Stücke nebeneinander) nicht ebenso ein.

Ich sehe darin viele Mitfaktoren für die Begünstigung zur Leugnung von Vergewaltigungskultur ja, irgendwie auch einer allgemeinen Gewaltkultur.
So werde ich als Eine, die radikal alle Dualismen als Gewalt(form) markiert, zur durchgeknallten Spinnerin, die ihre Erfahrungen nicht von der Realität abtrennt/ übertreibt/ Schwachsinn redet- nicht nur, weil ich als titelloses Gewaltopfer auf Hartz 4 und obendrein noch nicht cisgender, nicht heterosexuell und jüdisch; in meinen Neins, aufgrund meiner äußerlich weniger gestärkten Ansichten/Wahrnehmungen/ Überzeugungen, zu einem “Ja mit Sonderzeichen”.
Heißt: Mein “Nein” zu Gewalten wird gehört, aber zu einem “Ja, aber wenn…” verdreht.
So wird mir unterstellt, ich würde dieses oder jenes nicht mehr als Gewalt bezeichnen, wenn ich sie selbst ausüben könnte bzw. würde. Und auch mit diesem “Ja” in meinem “Nein” habe ich dann zu leben, weil es sich zwar um eine Hypothese handelt, durch die Markierung des mächtigeren (da gesicherteren) Menschen zu einem Fakt, der meine gesellschaftliche Position noch wieder eine Stufe weiter runterdrückt.
Dieser Mensch reagiert damit auf etwas, das er als Bedrohung vielleicht sogar Gewalt wahrnahm, weil die Option, dass ich diese Dinge nur so benenne- aber sie als Fakt allein nicht bewerte (also in einen weiteren Dualismus bringe), nicht gleichsam wie die Wahrscheinlichkeit einer Kritik (Nein mit Imperativkonnotation) in ihm war.

Ich habe darüber nachgedacht, dass ich mit meinem Artikel zu meiner Haltung zu Veganismus vor allem eines wollte: Nein sagen, um mich abzugrenzen.
Nicht nur von der Art des Protestes in Form von “etwas lassen”, sondern auch von der Schuld-Ekel-Moraldynamik, die manche VeganerInnen an mich herangetragen haben (bzw. wie ich sie bei PETA und anderen Organisation (nicht nur Tierschützer/retter/rechtlerInnenorganisationen) wahrnehme).
Ich erlebe Veganismus in meinem Umfeld allgemein als “nicht jüdisch”, “weiß”, “privilegiert” (nicht (nur) ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich gesichert zu sein in seiner (christlichen) Moral von Leid und Erbarmen, so wie der Vorstellung des Menschen als Zentrum einer Präsens und Fähigkeit), “passiv aggressiv” und vor allem frei-willig.
Ich feiere alle VeganerInnen, VegetarierInnen und was es sonst noch alles gibt, die von sich sagen: “Ich mach das, weil ich das kann- obwohl (und/ oder, weil) ich auch anders könnte.”.

Es gibt also Aspekte, von denen ich mich abgrenze, weil ich die Übereinstimmungen, die da sind (mein Weiße sein, meine Haltung zu Leid und meine Vorstellung vom nichtohnmächtigen Menschen) nicht kritisch genug betrachtet sehe bzw. nicht ausreichend auf mich übertragen kann.
Ich fühle mich nun einmal nicht freiwillig vegan lebend geworden, wenn mir durch Schockfotos, Menschtiergleichmachung, moralischen Druck, Verbotedruck, Schuld- und Ekelgefühle eine Entscheidung gemacht wird.

Das heißt nicht, dass ich in diesen VeganerInnen schlechte Menschen sehe, ihren Lebensstil ablehne, ihr “Ja” zum Veganismus mit meinem “Nein” füllen und ersetzen will.
Ich gehe aus dem Dualismus raus und sage: Ihr ja – ich nein = wir sind existent

Mir ist in meinen Überlegungen die Parallele zu dem großartig prägnanten Satz von Oprah Winfrey aufgefallen:
“No” is a complete sentence

Unsere Gesellschaft ™ fußt darauf, alles erklären zu müssen und nur mittels Erklärtsein zu gemeinschaftlichem Konsens und darüber wiederum zu Gütern, wie (sozialen) Privilegien durch Sichtbarkeit und damit Gewichtung zu kommen.

Damit wäre dann auch der Trugschluss des “Opferprivilegs” [Hashtag: #survivorprivilege] geklärt- hier geht man(n) davon aus, dass es etwas bringen müsste, ein Opfer zu sein, weil Opfersein erklärt werden kann durch die (im Vergleich so erscheinende) Abwesenheit von Aktivität – ist es nicht erklärbar (beweisbar durch das Gegenstück bzw. Zeugen/Beweise dafür) ist es Erschleichung von Anerkennung durch Erklärung. Ergo das Privileg als Opfer (Unschuldige) anerkannt zu sein. Nicht gesehen wird, dass das “Opferprivileg” allein in der gesellschaftlich notwendigen Anerkennung/Sichtbarkeit/das als (zum) Opfer erklärt sein ist, das anderen nicht gleichsam markierten Opfern nicht vergönnt ist, begründet liegt. Ohne Gesellschaft, die Opferschaft erklärt/begründet/bewiesen haben will, gibt es kein “Opferprivileg”.
Es gilt der gleiche Leitsatz, wie in allen Diskriminierungsdebatten: „Wer diskriminiert ist, hat keine Privilegien.“

Ohne Dynamik von “erklären” und “auf Erklärung reagieren” gibt es keinen (bzw. weniger häufigen) Konsens.
Insofern war mein Artikel zu dem Thema eigentlich dumm in dem Sinne, dass ich mein eigenes Nein, vom Satz zur Erklärung habe werden lassen. Er war aber konform im Sinne dessen, was von der Gesellschaft ™ anerkannt wird, als Mittel, das zu Konsens führt.
Mir erschien es als aktiveres, massiveres Nein, als der Satz, weil dieser nicht zur gleichen Abgrenzung führte.

Ich wollte mich selbst als abgegrenzt von Veganismus erklären, indem ich meine Ablehnung begründete, statt wie sonst im Alltag, mein scheinbar nicht gleichsam gewichtiges “Nein” ohne “Ja” anzubringen.

Am Ende stellt sich heraus, dass eine Gesellschaft ™ bzw. Individuen, die ihr “Nein” ausschließlich bzw. überwiegend im Dualismus erleben (müssen), diesen Dualismus sowohl internalisieren (und in sich selbst ausschließlich Dualismen arbeiten, bzw. die Fähigkeit diese zu suchen, zu finden, zu produzieren… ) als auch nach außen übertragen. Letztlich um sich in der eigenen Wahrnehmung/Sicht/Überzeugung zu bestätigen und darin zu manövrieren.
Was que(e)rschießt, fliegt raus und wird auf dem äußeren Rand gehalten bzw. exkludiert.

So wird meiner Ansicht nach sowohl Vielfältigkeit in sich selbst, als auch außen um sich herum, nicht nur aktiv unterdrückt, sondern auch die Fähigkeit dazu Vielfältigkeit wahrzunehmen und anzuerkennen, ohne sofort in Handlungs/Bewertungs/Gewaltdynamiken zu geraten.

In diesen Kontext kann das “Nicht alle [… beliebige Gruppe einfügen…] Syndrom” in Diskriminierungsdebatten ebenfalls als ein Versuch zu mehr Vielfalt im Diskurs betrachtet werden, würde es nicht immer wieder zu Zwecken der Gewaltausübung im Sinne einer Unterdrückungsgeste aus Dualismen heraus auftreten.

So ist als vorläufiger Schluss in Bezug auf Abgrenzungsbemühungen und Protestgesten, wiederholt klar geworden, dass unsere Gesellschaft ™ nicht nur auf Dualismen basiert, sondern auch auf ihrer Sicherung durch Unterdrückung von Vielfalt und Neutralität.

Mir ist klar geworden, dass Oprahs Satz erst gelten kann, wenn “Nein” immer und überall, in Bezug auf alles und jeden auch komplett frei von “Ja” sein kann und darf.
Was das für mich selbst bedeutet, weiß ich noch nicht.
Doch ganz sicher erscheint mir meine innere mal mehr und mal weniger diffuse Viel_heit, als ein Weg heraus aus genau den Dualismen, die sie mir produziert haben.
Auch wenn das bedeutet, diesen allein gehen zu müssen.