zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen

Was gut ist: ich lese immer seltener “die Behinderten” und auch journalistische Negativglanzleistungen wie “leidet an [medizinische Bezeichnung eines körper-seele-funktion Umstandes]”.
Das ist alles, was gut ist und das liegt wahrscheinlich an mir selbst.

Ich habe mich radikalisiert. Ich lese kaum noch Artikel über behinderte Menschen. Konsequent und so radikal, dass es meine Leseliste um 90% verschlankt hat, lese ich nur noch behinderte Menschen, die über, von und mit behinderten Menschen schreiben/filmen/anders berichten.
Das mache ich nicht, weil das der Journalismus ist, den ich mir wünsche, oder weil behinderte Menschen, die besseren Berichter_innen sind – ich mache das, weil für mich jeden Tag „internationaler Tag der Menschen mit Behinderung“ ist.

Ich habe lange geglaubt, die Gewalterfahrungen, die ich machen musste, hätten mich als schwerbehinderte, kaputte und damit weniger werte Person zurückgelassen.
Das war gut, um die Ungerechtigkeit der Gewalt an sich und ihrem Wirken an und in mir überhaupt erfassen zu können. Das war wichtig, um in einen Trauerprozess um all die Optionen zu kommen, die es für mich hätte würde wenn eventuell vielleicht hätte geben können, wenn nicht …

Leider war das auch ein Ausdruck der opferfeindlichen und ableistischen Kackscheiße, die ich internalisiert habe und als ich dann, vor etwas über einem Jahr so sicher wie es in meinem Fall sicher sein kann, erfuhr, dass es all dieses hätte würde wenn, mit großer Wahrscheinlichkeit selbst ohne die Gewalt, die mir in der eigenen Familie passiert ist, nicht für mich gegeben hätte, war es einer dieser Momente, die weh tun, weil sie von einem kaputten Selbstbild und dem Verlust der eigenen Positionierung in der Welt herrühren.

Ich bin keine behinderte Person, die danach strebt ihre Behinderungen “nicht so schlimm” zu finden oder “zu sein, wie alle anderen Menschen”.
Ich will normal sein.
Und nein, das ist kein Widerspruch – das ist eine Kampfansage an die Norm.

Vor inzwischen 9 Jahren habe ich mich dazu entschieden aus einem Kontext auszusteigen, der mich über kurz oder lang das Leben gekostet hätte.
Ich gab es auf, eine Familie zu haben und wurde zu einer Waise, deren Eltern noch leben. Ich gab es auf, einen Lebenslauf zu haben, den ich ohne kosmetische Totaloperation zu einer Bewerbung tackern kann. Ich akzeptierte, dass die bürokratischen Strukturen des Landes, in dem ich lebe, weder Biografien, noch daraus hervorgehende Bedürfnisse und Behinderungen kennen, noch angemessen zu behandeln in der Lage sind. Ich tat einen, zwei, drei Schritte von meinen mir per Gesetz zugesicherten Grundrechten zurück und spürte, wie ich endlich etwas richtig machte.
So soll das nämlich sein, wenn man aus etwas hervorgeht, das nicht vorgesehen ist.

So schwere organisierte und häusliche Gewalt zu überleben, ist nicht vorgesehen. In dieser so gestalteten Welt nicht so funktionieren zu können, wie die Mehrheit der Menschen, ist nicht vorgesehen. Plötzlich nicht mehr zu funktionieren, ist nicht vorgesehen. Plötzlich anders zu sein oder sich Stück für Stück anders zu entwickeln oder für immer und trotz allem anders zu bleiben und Worte, Gründe und eigene Werte daran zu haben, ist nicht vorgesehen.

Und was nicht vorgesehen ist, das gibt es nicht.
Und wenn es etwas nicht gibt, dann ist völlig klar, dass man sich damit weder gut noch schlecht fühlen kann. Dass man sich fern von allem (= der Norm) zu positionieren hat und ergo niemals von irgendetwas, das passiert, angesprochen und mitgemeint fühlen kann.

Behinderte Menschen sind nicht vorgesehen. Egal, um welche Art der Behinderung es sich handelt und, egal wie hoch das Maß des Funktionierens innerhalb normalisierter Umstände und Umgebungen ist.
Sämtliche Strukturen sind darauf ausgerichtet die Norm zu erkennen und mit ihr umzugehen. Für “den Rest” gibt es Sonderstrukturen und wir hier im Westen haben das Glück in einem Kapitalismus zu leben, der daraus noch Gewinn erzielen kann.
Es gäbe keine Pflegeheime, Förderzentren, Sonderschulen, Werkstätten und Spezialtechniken, würde man damit kein Geld machen können.
Es ist kein Akt der Menschlichkeit und schon gar nicht der gelebten Inklusion, Sonderstrukturen zu haben, zu nutzen oder mit Altruismus zu erklären (und zu legitimieren).

Behinderte Menschen werden durch die Option dieser Sonderstrukturen zu einer wirtschaftlichen Ressource.
Das ist wie mit Müll.
Niemand will ihn in der Wohnung haben – aber der Typ, dem die Müllabfuhr-, der Typ, dem die Halde-, der Typ, dem das Recyclingwerk- , der Typ, dem die Firma für aus recyceltem Material gemachtem Zeug — gehört (und seine vielen Angestellten, sowie der Staat, der deren Steuern bekommt), die finden Müll so richtig geil.

Diese Metapher ist schmerzhaft, ne? Es ist aber die Art schonungsloses Bespiel, das die Verachtung und Entmenschlichung, mit der behinderte Menschen jeden – wirklich jeden! – Tag umgehen müssen, am deutlichsten aufzeigt.
Und es ist die Metapher, die mir am meisten hilft für meine Grund- und Menschenrechte einzutreten.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.
“Würde” bedeutet: jeder Mensch ist wertvoll.
Auch dann, wenn er nicht mitbedacht, nicht vorgesehen ist.

Menschenrechte gelten universell und niemand braucht mehr als die eigene Menschlichkeit um zu dieser Party eingeladen zu sein.
Niemand braucht mehr als das, um ganz üblich in seiner Würde und seinem Wert unangetastet zu sein.

Wenn es jedoch um den normierten Alltag geht, wird eine andere Party gefeiert, denn hier muss niemand über die eigene Menschlichkeit nachdenken.
Hier sind alle Menschen, die nicht vor der Treppe am Eingang, der Beschaffenheit der näheren Umgebung oder dem sozialen Code zum Einladungserhalt (und vielem mehr) gescheitert sind.
Es ist schwierig sich als gleichartiger Mensch zu erleben, wenn man permanent gezwungen ist, eine Subparty vor der Haustür oder im Begegnungszentrum drei Blocks weiter zu veranstalten und sich selbiges auch noch schön zu reden, weil „es ja auch schlimmer sein könnte und man ja niemanden zwingen kann, die Party einfach grundsätzlich woanders zu starten“.

Es ist diese fatale Normalität des Ausschlusses und der Abgrenzung, die mich unnormal macht und mir aufbürdet mich einzugliedern und anzupassen, um als Mensch anerkannt zu werden.

Ich will nicht normal sein, um besser und wertvoller zu werden, als ich jetzt bin.
Ich will normal sein, um von Staat und Gesellschaft als Mensch anerkannt zu werden und den täglichen Kampf um Gleichberechtigung, Partizipation und Selbstbestimmung beenden zu können.

Am „internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen“, geht es darum, genau das deutlich zu machen.
Egal, ob jemand ausschließen will oder nicht – egal, ob jemand behinderte Menschen ausgrenzen will oder nicht – egal, ob jemand “nichts gegen Behinderte hat” oder vielleicht doch – egal, wie gut oder schlecht eine nicht dauerhaft und global behinderte Person einer behinderten Person das Leben ermöglicht – der Ausschluss und die Entmenschlichung behinderter Personen ist real und passiert jeden Tag.

Das aufzuzeigen und/oder in Erinnerung zu rufen, ist alles, was so ein spezieller Tag leisten kann.
Etwas dagegen zu tun und die Universalität der Menschenrechte in die Lebensrealität aller Menschen gleich zu implementieren, das ist etwas, das mehr braucht.

Man muss es aber gewähren wollen.
Ohne selbst etwas dafür zu verlangen.

kein Trost

Wir waren im Kino und haben uns “Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind” angesehen.
Im Folgenden spoilere ich etwas aus dem Film, deshalb gibt es ein tl,dr am Ende des Artikels.

Ich fand den Film unfassbar traurig. Er ist traurig wie die X-Men-Filme traurig sind. Wie jeder Film, in dem Andersartigkeit zu Not und schmerzhaftem Miteinander führt, traurig ist.

“Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind”, spielt in der “Harry Potter-Welt”.
Eine Welt, die gespalten ist, in magische und nicht magische Wesen. In Könnende und Nichtkönnende. Eine Welt, in der die Einen die Anderen fürchten und verachten, mit etwas Glück jedoch bewundern und einander nacheifern.
Eine Welt, in der beide Seiten sich selbst nicht im Anderen erkennen können, obwohl ihre kulturellen Praktiken die gleichen Wurzeln haben.

Die Faszination solcher Filme liegt für mich in der Möglichkeit mir meine eigene Welt, mein Hier und Heute von außen anzuschauen. Ich kann die Konflikte, in denen ich mich selbst befinde, in einer übersetzten Variante als unbeteiligte_r und irrelevante_r Zuschauer_in betrachten und mir eventuell in Frage kommende Handlungsoptionen ansehen.
Oder, wie heute, einen Tränenstrom runterschlucken und denken: “Scheiße.”.
Denn anders sein ist scheiße.

Anders unter anderen zu sein, macht niemanden gleich.
Es macht nur alle anders und verbietet ein Leiden unter der eigenen Andersartigkeit.

Es gibt in dem Film eine Figur, die als Squib (eine nichtmagische Person, die eine magische Familie hat) eingeführt wurde und von einer hasserfüllten Adoptivmutter misshandelt wird. Im Verlauf taucht eine Vertrauensperson für diese Figur auf, die sie jedoch auch nur ausnutzt.
Der Angelpunkt ist die Verwandlung dieser gequälten Figur zu einem alles vernichtendem dunklen Wesen – das am Ende scheinbar getötet wird.

Über diese Wesen wird im Film gesagt, dass sie nicht alt werden.
Es gab keinen Fall von einem, das älter als 10 wurde.
Die Figur, die dieses Wesen ist, ist älter und alles, was dazu kommt, ist die Erwähnung “großer Kraft”.

In den letzten Ausklängen des Filmes ist ein Fitzel des schwarzen Wesens zu sehen.
Es hat wieder überlebt.
Weil es ja so stark ist vielleicht.

Mich hat das “abgeholt”.
Weil ich so müde bin und so überhaupt gar keine Kraft für irgendwelche Opferleistungen mehr habe. Ich kann nicht mehr verhandeln, ich kann nicht mehr ausreden lassen, ich kann meine Gedanken nicht mehr zusammenschieben, damit sie in die Schubladen anderer Menschen passen. Ich bin überarbeitet und 24/7 überfordere ich mich damit meine Überforderungen in Arbeiten zu zerhacken, die ich bewältigen kann, nur um festzustellen, dass es zu viele werden.
In meinem Kopf spulen sich mit jedem Fehler, mit jeder Erkenntnis etwas nicht zu schaffen, vor irgendetwas zu scheitern, mit etwas nicht rechtzeitig, nicht genug, nicht passend fertig zu werden, genau solche Misshandlungsszenarien wie in diesem Film ab.

Strafen, Not, Einsamkeit, dieses eingeklemmte Gefühl im Oberkörper, das man kriegt, wenn man sich selbst aus all dem rausschreien, rausstrampeln, freikämpfen will, aber nicht kann, weil vor lauter Arbeit gegen die Arbeit, gegen Überforderung und für all das, was man sich wünscht und will, schlicht keine Kraft mehr hat.

Es ist keine Hilfe zu wissen, dass es alte Dinge sind.
Dass es vorbei ist und mir niemals wieder jemand so weh tun kann.
Es hilft nicht, weil Erkenntnis nicht das Gegenteil von Schmerz und Not ist.

Was mich an solchen Filmen mit Zauberei und Superkräften tröstet, ist die Unwillkürlichkeit aller Protagonist_innen zu Beginn ihres Umgangs mit ihren Fähigkeiten. Die meisten haben Angst vor sich selbst, versuchen sich zu positionieren, vergleichen sich anderen und je nach Verlauf der Geschichte, finden sie Wege sich mit anderen Anderen zu befreunden und zu sich zu finden, oder sich in den Kampf um etwas zu begeben, das ihnen wichtig ist.

Ich bin viele und anders.
Wenn ich sterbe (= so stark dissoziiere, dass ich mich nicht mehr als “ich” wahrnehme) kommt etwas aus mir heraus, dass ich weder beeinflussen, noch spüren, noch mehr als erahnen kann. Wenn ich eins kenne, dann ist es das Gefühl jeden Moment zu einem schwarzen Loch zu werden, das alles und alle um sich herum verletzt, kränkt, falsch behandelt – ganz und gar anders ist, als ich.
Das ist mein “normal” und zwar schon immer. Mein ganzes Leben lang.

Dieser Film war, glaube ich, der dritte oder vierte, in dem ich eine Figur sehe, die anders ist und misshandelt wird – und ihre_n Misshandler_in tötet.

Neben all dem „Kraft zum Überleben-Blabla“, das Hollywood braucht, um Opferschaftserfahrungen zu verwursten, ohne die betroffene Person aufgrund dessen als schwach und minderwertig darzustellen, ist es das, was Filmemacher_innen dann einfällt.
Und mich weit mehr ängstigt als es irgendein Horrorfilm schaffen kann.
Genugtuung durch Rache mit Todesfolge.

Ich identifiziere mich mit solchen Figuren, weil mich ihr Anblick in meiner eigenen Existenz in dieser Welt versichert.
Wenn es in Filmen solche Figuren mit so anderen Eigenschaften gibt, dann gibt es mich auch.
Menschen erfinden nichts, was es nicht in irgendeiner Form bereits gibt.

Es ist schlimm anerkennen und akzeptieren zu müssen, dass auch ich das Potenzial habe Menschen zu töten. Menschen, die mich verletzt haben, zu töten.
Zu töten, wenn ich die Kontrolle über mich verliere und das schwarze Loch an meine Stelle tritt.

Das Drama des Wesens in dem Film ist, die Andersartigkeit unter anderen und eine Einsamkeit, die sehr viel weiter greift als bis zu dem Punkt, an dem es weder durch die magische, noch durch die menschliche Gemeinschaft eine Daseinsberechtigung erfahren kann, weil ist, was es ist.
Die absolute Einsamkeit, die globale Tragödie entspinnt sich erst dort, wo es überlebt hat. Schon wieder.

Es macht mir selbst klar, was mich an meiner eigenen Überforderung und Überarbeitung so in Not bringt.
Ich weiß, dass ich das überleben kann. Ich weiß, dass ich die Gewalt in meinem Kopf, in meinem Erinnern und Wiedererleben genauso überleben kann, wie das Selbst aus vielen Ichs, sie früher überlebt hat.

tl, dr:
Es ist kein Trost zu wissen, was man alles überleben kann, weil man es schon einmal überlebt hat.  Es ist so oft nichts mehr, als ein weiterer Schmerz, den man zusammen mit all dem, was ist und war und wird, jeden Tag aufs Neue überleben muss.

Gleichzeitigkeiten

Zum Erinnern an frühere Gewalterfahrungen kommt für mich inzwischen auch Stück für Stück das Erinnern an das Inmitten_Erleben in diesen Situationen. Neben der Erkenntnis, dass ich die Ereignisse, die ich als verschwommenes Dämmern oder Erinnerungsgrollen in meinem Denken und Fühlen wahrnehme, tatsächlich durchlebt habe, ergibt sich in der Traumatherapie auch die wachsende Idee davon, kein 100% passives, dumpfes Wesen mit geistiger Nulllinie gewesen zu sein.

Ich will es nicht verklären – ich merke, wie fieberhaft manche Innens die Situationen zu berechnen und einzuschätzen versuchten. Ich merke, welche dissoziativen Phänomene jeweils überhaupt erst ermöglich(t)en, dass bestimmte Strategien sich in bestimmten Innens haben entwickeln können (und bis heute bestehen).
Ich will nicht sagen: „Obwohl die Welt gebrannt hat, blieben wir cool.“ – das wäre falsch.

Aber ich will sagen: „Während die Welt gebrannt hat, ist etwas in uns vorgegangen.“ und setze in Klammern hinzu: (das mir hilft).
Auch das will ich richtig verstanden wissen: Es hilft mir heute – und Punkt.
Es hat nicht geholfen zu überleben, es hat nichts erträglicher gemacht – es war einfach nur auch da und hilft mir heute.

Ein Beispiel hat mit einer Taube, deren Gefieder braun-weiß gesprenkelt war, zu tun.
Sie war auf dem Fensterbrett eines Zimmers gelandet, in dem andere Wir’s von uns verletzt wurden.
Alles was war, passierte – Schonhaltungen, Täter_innenfokus, der Sprint der Kognition hinter der körperlich-seelischen Überreizung her – und gleichzeitig auch eine Erinnerung an (einen erst weiß-braun gesprenkelten) Kakao in einem Topf, auf einem Herd, in einer Klinikküche, in einem Moment, in dem es eine Idee eines Okay-Gefühls gab.
Nicht lange – aber lange genug.
Wofür auch immer.

Das bedeutet nicht, dass ich oder diese Wir’s damals nicht gelitten haben. Oder diese Gedanken nur deshalb da waren, weil es so schlimm war.
Es fällt mir schwer an die Theorie zu glauben, nach der sich überreizte/gestresste Gehirne in eskapistische Schleifen verirren, um sich zu entlasten.
Je mehr ich erinnere, desto mehr komme ich an die Überzeugung, dass solcherart Gedanken da waren (und heute erinnerbar sind), weil sie Teil der Gleichzeitigkeit dieser Situation waren.

Für mich ist die permanente Gleichzeitigkeit von allem der Grund, weshalb mir der Alltag und verschiedene Tätigkeiten darin schwer fallen.
Für mich ist es zum Beispiel schwierig zu entscheiden, wann ich dran bin etwas zu sagen, weil ich nicht durchgehend sicher priorisieren kann, was für wen wie wo und warum relevant und überhaupt wahrnehmbar ist. Woher soll ich wissen, ob mein Gegenüber es nicht so schlimm wie ich, findet, wenn der Klang meiner Stimme asynchron und allgemein dissonant mit dem Klang des Lampentickens ist? Welche Parameter gibt es für so eine Entscheidung?

Gewaltsituationen sind für mich ein Stück Lauf der Dinge, in dem die übliche Gleichzeitigkeit in einem Zustand wahrgenommen wird, der im und am Körper mit Gleichzeitigkeiten zu tun hat und deshalb als überreizend, überbordend, unaushaltbar einzustufen ist.
Mit dem Erinnern heute kommt das Gefühl der Vertrautheit dessen, was schon früher schwierig war und sich bis heute kaum verändert hat – obwohl heute heute ist.

Ich dachte oft, die Menschen, mit denen ich über eine Gewalterfahrung sprach, nähmen mich nicht ernst, wenn sie sich auf bestimmte Aspekte oder Dynamiken innerhalb der Erfahrung konzentrierten und andere Dinge ausgeklammert ließen.
Heute verstehe ich, dass wir einfach anders erfassen und auch in Gewaltsituationen früher anders erfasst haben, was passierte. Für uns passierte schon damals immer alles (mal mehr mal weniger gut voneinander abgrenzbar) gleichzeitig und ein Großteil unserer kognitiven Ressourcen ging (und geht) in die Vereinzelung der Dinge, obwohl wir allen Dingen den gleichen Wert in Raum, Zeit, Ist, zuschreiben, um mit anderen Menschen darüber sprechen zu können.

Aus einer Situation, in der ein Tagesplan kaputt geht, eine Heizung rauscht, eine Uhr tickt, Kleidung raschelt, 5 verschiedene Menschengeräuschdynamiken passieren, die Haare zwischen Kopf und Boden reiben,  meine Haut andere Haut fühlt, Schmerz passiert, nicht klar ist, welche Bewegung oder Handlung erwartet/gefordert ist, Ekel passiert, Angst passiert, das faszinierende Webmuster eines Stoffs vor Augen tausend Fragen in den Kopf schüttet, ein Kühlschrank pfeift, der Geruch von Büchern und Holz von Menschenkörpergerüchen bedrängt wird, eine Enge im Hals nicht zum Geräusch passt, das aus ihm kommt, eine Sockennaht schmerzhaft auf den kleinen rechten Zeh drückt … muss ein Satz werden, der nur noch die Informationen erhält, die für andere Menschen in etwa nachempfindbar sind, sonst verstehen sie die Schlimmheit des Moments für mich nicht.

Ich muss vereinzeln, reduzieren und damit auch meine Erfahrung kleiner_reden.
Manchmal passiert es dann, dass ich darüber bei scheinbar neutralen Sätzen wie: “Eine Person hat eine andere verletzt” lande, während für mich bereits die Benennung meiner Selbst als “Person” (also “Mensch” oder auch “Individuum” aus den Räumen “Menschenrechte” und “Seele”) für mich bereits hochgradig aufgeladen erscheint. Die Dichte unserer Vereinzelungen wird häufig nicht wahrgenommen. Der Umstand, wie stark wir vereinzeln und wie viel Energie wir daran verlieren diese Sortierungen vorzunehmen, wird häufig nicht wahrgenommen.
Heute erlebe ich es als wichtig mir das klar zu machen, wenn ich mich nicht ernstgenommen fühle.

Es ist wichtig, weil es auch die eigene Sortierung des erinnerten Inmitten_Erlebens betrifft.
Für uns ist ein Gedanke an Hausaufgaben während einer Vergewaltigung nie ein random Brainfart gewesen, der vernachlässigbar ist, weil der Kontext wichtiger ist oder die Bedeutung des Ereignisses oder seine Auswirkungen im Heute.

Ich merke, dass wir unseren Auftrag an die Traumatherapie verändern müssen, weil unser Zugang ein anderer ist.
Merke, wie sehr für uns selbst weder relevant ist, wie oder warum moralisch falsch oder justiziabel, noch wie schlimm oder zwingend wieder gutmachbar war, was wir erfahren haben.
Es geht nicht darum bestimmte schmerzhafte, quälende Handlungen an unserem Innern und seinem Körper zu erinnern oder bestimmte Kränkungen oder Zwänge, oder Ängste, denen wir ausgeliefert wurden. Es geht auch nicht darum zu ergründen, warum und für wen das passiert ist.
Für uns ist das, egal in Bezug worauf, nicht das Einzige, was uns dazu bringt über eine Gewalterfahrung zu sagen: “Das war so schlimm, dass wir das nicht verarbeiten konnten” oder auch “Das war so schlimm – ich kann mich gar nicht konkret erinnern.”.

Deshalb hilft mir die Erinnerung an auch solche Gedanken in Gewalterfahrungssituationen.
Und auch: deshalb tröstet mich die Erinnerung an solche Gedanken, denn sie zeigen mir, dass meine Annahme von Gewalt als alles abtötendes Gift in einem Menschen vielleicht falsch ist.
Sicher ist sie schlecht für die Entwicklung eines Menschen. Sicher ist sie schlecht für achtsam respektvolles Miteinander. Sicher kann sie töten.

Aber daneben ist sie dennoch immer auch nur ein Anteil einer Gleichzeitigkeit.
Und wir tragen mit unserer Anpassung an Menschen mit anderem Wahrnehmen als wir dazu bei, dass genau das aus dem Blick gerät – obwohl wir das gar nicht wollen. Wir vereinzeln unser Erfahren solcher Situationen – und wundern uns, warum wir im Innen so vereinzeln bleiben. Wir verdichten unsere Worte dafür – und wundern uns über Miss- und Unverständnis oder fühlen uns umgeben von Menschen, die scheinbar gar kein Erfahren mit uns teilen.

Hm.

Tag mit Macke

Es ist 6 Uhr 38 als ich an der Straßenbahnhaltestelle stehe, um zur Schule zu fahren. Unser Unterricht beginnt um 7 Uhr 30 und ich bin beschwingt es geschafft zu haben, in die perfekte Bahn steigen zu können. Sie ist fast leer, ich setze mich mit NakNak* auf “unseren” Platz, verstaue Ranzen und Sportbeutel unter mir.
Der Morgen lief glatt, der Tagesplan scheint einhaltbar.

Bis wir an der Umsteigehaltestelle aussteigen und sehen, dass die Bahnen in falscher Reihenfolge abgefahren sind. Wir müssen 10 Minuten warten, bis wir erfahren, dass unsere nächste Bahn 20 Minuten verspätet ist.

Der Bahnsteig wird voller. Jetzt strömen die Schulkinder durch die Halle, von zweien kann ich die in NakNak*s Richtung schießenden Hände umlenken, ein drittes spreche ich bereits an, als es uns viel zu nah kommt.

Ich könnte heulen, weil mir der ganze Tag durch die Finger rinnt und ich nichts tun kann, als auszuhalten. In der Schule zu fehlen, macht mir Stress – völlig egal, wie ich die Gründe dafür bewerte. Es stresst mich, weil es Mehrarbeit bedeutet. Weil ich nicht unzuverlässig sein will. Weil mich interessiert, was wir da machen und wissen will, was wir dort zu wissen erfahren dürfen. Weil es einfach der Plan in der Woche ist, zur Schule zu gehen.
Es ärgert mich, wie schlecht der Bahnbetreiber auf solche Fälle zu reagieren in der Lage ist. Ich ärgere mich darüber, wie ich wegen NakNak*s Unterstützung von weitem angeguckt werde, während ich so einen Druck erlebe und in getriggerte Gefühle rutsche.

Als ich trotz der Ohrstöpsel alles noch lauter wahrzunehmen beginne, raffe ich meine Sachen und wechsle das Gleis. Steige in die Bahn zurück nach Hause.
Komme in der Wohnung an und zerfalle zu einem Bündel Krampf und Tränen, als die Tür hinter mir zu ist.
Und merke wie groß der Hass für mich selbst in diesem Moment ist.

Weil es doch nur so eine kleine Macke im Tag ist. Weil ich mich doch an x vielen anderen Tagen erfolgreich durch solche Situationen kämpfen konnte. Weil ich nicht verstehe, wie mir solche Ereignisse so einfach den Boden unter den Füßen wegreißen können und mich in einem Zustand zurück lassen, in dem es mir nicht mehr möglich ist, mich als “Ich”, geschweige denn als ein Wesen mit “Selbst” zu erleben.
Es erschreckt mich so tief und unerwartet – obwohl ich es fast jeden Tag erlebe.
Obwohl ich weiß, dass es Gründe mit Wörtern dafür gibt, die in sich erklären, warum es an manchen Tagen kein Problem ist und an manchen jedoch sehr stark.

In unserem Umfeld ist niemand, di_er uns sagt, dass wir irgendwas schaffen müssen oder sollen.
Immer wieder sagen uns Menschen, dass wir uns mit oder wegen der Schule keinen Stress machen sollen und manchmal erlebe ich mich dabei gekränkt. Denn ich will schon auch jemand sein, an die_n man Erwartungen richtet, wie an alle anderen Menschen auch.
Ich will nicht, dass man davor kapituliert dysfunktionale Strukturen (wie zum Beispiel ein all morgendlich wackeliges Verkehrskonzept) zu verändern oder sich verkneift mir zu sagen, welche Teile meiner Strukturen ich zu verändern mal überlegen sollte, weil man sich von vorherein überlegt, keine Erwartungen zu haben.

Mein Schulbesuch ist nicht so etwas wie dieses Blog hier oder das Podcast oder das Nachwachshaus, wo wir enorm viel Zeit, Kraft und Arbeit investieren, weil wir das um das Projekt selbst willen gerne möchten. Es ist etwas, was durchzuziehen sehr schwer wird, wenn man von allen Seiten den Eindruck bekommt, dass es seltsam pseudoirrelevanter Quatsch ist, den wir wider besseren Wissens so angefangen haben, wie wir ihn angefangen haben.

Jedes Mal, wenn uns – und ja tut mir leid, vielleicht ist die Trennung jetzt blöd – nicht autistische/behinderte/traumatisierte Menschen sagen, ihre Ausbildung/ihr Alltag/ihr Leben sei ja auch nicht einfach, aber wir hätten uns ja dazu entschieden das jetzt zu machen, sagen uns damit gleichzeitig auch: “Dann mach es doch einfach nicht. Mach dir keinen Stress, lass es einfach bleiben. (Ist doch sowieso Quatsch – du kannst das doch schon alles.)”.
und lassen uns mit einem Gefühl zurück, das wir niemandem wünschen.

Wenig von dem, was uns im Moment begegnet ist etwas, womit wir rechnen konnten.
Wir sind zuletzt in Zeiten zur Schule gegangen, in denen wir weder Hunger noch Durst, noch Schlafbedürfnisse kannten. Wir saßen teils massiv verletzt in Klassenzimmern und kompensierten dabei eine Behinderung von der wir nicht einmal wussten, dass es eine ist.

Wir kennen die Welt außerhalb von Hartz 4 und der entsprechenden Isolation nur in diesem Modus und sind jetzt nicht nur in der Situation etwas Neues zu erleben und neue Dinge zu lernen. Wir selbst sind anders und neu für uns in dieser Situation und erleben es im Moment oft so, dass unser Außen es nicht schafft, diesen Komplex aus mehreren Ebenen der Unsicherheiten gepaart mit dem überall passierenden Ableismus und unserem Komplex in uns selbst zu erfassen und zu sehen.

Das heißt nicht, dass wir uns in unserer Belastung ungesehen fühlen oder, dass wir finden, alle müssten viel mehr für uns da sein – es heißt einfach nur, dass wir uns allein mit einer komplexen Situation erleben, die wir weder so mitteilen können, wie sie in allen Einzelheiten für uns ist, noch für uns selbst in irgendeiner Form sortieren und verarbeiten können.
Das ist nicht damit lösbar, dass uns unsere Leute flauschen oder sagen, dass sie uns verstehen. Vielleicht macht genau der Umstand, dass unsere Leute das tun, es sogar noch schlimmer, weil Flausch und Verständnis nicht sind, was wir brauchen, um uns mutiger, kräftiger, selbst_sicherer vor dem Er_Leben fühlen, das uns begegnet und in uns wirkt.

Es ist 8 Uhr 30, als ich mit einer Tasse Tee am Fenster stehe und darüber nachdenke, was wir heute noch schaffen können.
Ich setze mich hin, fange an zu schreiben und merke, wie dieser Tag mit Macke von Wort zu Wort zu einem anderen Tag wird.

Zu einem Tag mit Macke, an dem wir eine Freundin besuchen, in die Bücherei gehen und das Wochenende am Nachmittag beginnen lassen.

die erste Woche nach den Ferien oder: Was alle verstehen

Ich wollte diesen Artikel gerade  mit: “Es gibt nicht viele Momente, in denen mir bewusst ist, dass ich es in der Schule zu 90% mit Menschen zu tun habe, die bis zu 15 Jahre jünger sind als ich.” einleiten und bemerkte, wie unsinnig diese Aussage ist, wenn ich doch ein paar Absätze später erzählen will, dass ich sie schon wieder angemeckert habe.

Aber ich muss ein bisschen ausholen. Eine Woche weit muss ich ausholen. Mir einen diffusverwolkten Lautklumpen auf die Werkbank donnern und die Wortfeile zücken. (Vielleicht stellen sie sich jetzt ein Werkstattgeräusch vor – das verstärkt den Effekt meiner hier hingeschriebenen Bilder)

Es ist die erste Woche nach den Ferien gewesen. Alle waren mehr oder weniger voll von zu teilenden Geschichten – der Abstand hatte sich verringert – Grenzen und Fassungen aufgeweicht. Nicht nur in unserer Klasse, die sich so viel zu erzählen hatte, dass die 15 Minuten der Unterrichtspausen und die vielen anderen Minuten des Tages, an denen kein Unterricht passiert, nicht reichten.

In den letzten 5 Tagen gab es keine Pause für uns in der Schule. Einmal gab es eine für NakNak* – das war am Donnerstag als wir 8 Stunden hatten und in der Mittagspause in den Wald gegangen sind. Ansonsten huschten wir durch die Schulflure auf der Suche nach einer Ecke ohne Hall und Durchgangsverkehr, um uns über den Tages- und Arbeitsabläufe zu versichern, Testinhalte durchzugehen und etwas zu essen.
Auf den Schulhof zu gehen ist jetzt schwierig. Kalt und nass findet unsere Blase in der Regel scheiße. Da wir uns auf selbige und ihre Signale nicht zuverlässig verlassen können, wäre draußen zu sitzen jetzt zwar erheblich ruhiger, aber im Nachhinein vielleicht das Letzte, was wir brauchen.
So gingen wir also durch die Schulflure, wie alle anderen Schüler_innen auch.

Und wurden angeguckt und begafft.
Wir kennen das und merken trotzdem, wie es uns zertriggert, wenn das passiert. Wir wissen alles darüber, warum Menschen das tun und dass das nichts mit uns zu tun hat – jatta jatta – es ist trotzdem schwierig für uns, damit umzugehen. Denn immer wieder aufs Neue passiert das. Als würde diese Schule jeden Tag neue Schüler bilden, wie der Körper seine roten Blutkörperchen.

In dieser Woche wurde NakNak* hinter mir her angelockt, angefasst, gestreichelt. Wir wurden angepfiffen, um die Aufmerksamkeit des Hundes auf sich zu ziehen. Und auch hier: Wir wissen, warum Menschen das tun. Wir wissen, wie normal solche Grenzüberschreitungen unter Menschen sind. Und trotzdem machen sie mich unheimlich wütend, unfassbar traurig und letztlich: müde –  müde für andere Menschen.
Diese Menschen. Die nicht verstehen, wenn es ihnen niemand sagt und erklärt. Die einfach noch so jung und spontan, unbedacht und an manchen Stellen anders gereift sind, als ich.

NakNak* hat in ihrer Ausbildung gelernt, sich nicht ablenken zu lassen. Das ist jetzt etwa 5 Jahre und viele Millionen beschissen gelaufener Grenzüberschreitungen her. Sie funktioniert nicht mehr ganz genauso wie damals und wir wissen das. Wir trainieren jeden Tag und verlieren das nie aus den Augen – und doch. Jede Zeit unter Menschen, die nicht mit ihr und uns im Training sind, grätscht uns mit ihrer Normalität in ebenjenes Training rein.

Um so ärgerlicher wird es für uns, wenn wir dann in solchen Situationen dezidiert ausgegrenzt werden – NakNak* jedoch nicht.
Ja ups- da passiert Ausgrenzung. Wir werden nicht etwa angesprochen, ob der Hund gestreichelt werden darf. Warum wir mit dem Hund da sind. Was “Assistenzhund” bedeutet. Häufig wird sich nicht einmal unser Gesicht angeschaut. Wir sind nur der kopf(seele-geist)lose Körper zu dem, worauf die Aufschrift auf der Decke dieses niedlichen Assistenzhundes hindeutet. Wir sind die Hülle um das Fremde, das Unheimliche, das irrational Aversive. Der Hund ist okay. Der ist ja nur ein Hund.

Am Mittwoch stand ich morgens in der vollen Bahn mitten im Gang und wartete darauf, dass der Platz für behinderte Menschen frei wurde. Ich hielt mich mit beiden Händen in Balance an den Haltestangen über meinem Kopf. Währenddessen griff ein neben mir sitzender Mensch meinen Oberschenkel streifend an mir vorbei, um die vor mir sitzende NakNak* zu streicheln. Das Gesicht weich und selig lächelnd.
Wie hätte ich da reinboxen können?

Es war diesem Menschen nicht klar, dass seine Berührung etwas in mir an Situationen in Todesängsten erinnerte. Wahrscheinlich hatte er sie nicht einmal bemerkt, denn mich hatte er von dem Hund wegdissoziiert. Abgespalten und weggemacht.

Keine drei Stunden später ging ich durch einen Flur an einem Schülergrüppchen vorbei aus der sich ein Schüler löste und NakNak* im Vorbeigehen zu streicheln versuchte.

Am Donnerstagmorgen wartete ich zusammen mit Schüler_innen meiner Klasse vor einem Raum auf die Lehrerin. Aus einer der Schülergruppen um uns schallten Pfiffe zu uns. Übliche Lockpiffe, die ich für mich durch den Raumhall des Flurs nicht orten konnte. Ich wurde unruhig – NakNak* wurde unruhig. Noch ein Pfiff. Und noch einer. Inzwischen schauten uns alle Umstehenden an. Ich verlor die Beherrschung und rief in irgendeine Richtung: “Hör auf mit dem Scheiß!”. Antwortendes Lachen aus der Halle.
Trigger Trigger Trigger
Wir hätten gehen sollen. Hätten gehen können.

Alle hätten das verstanden.
Aber genau das ist das Problem.

Alle verstehen, wie problematisch so ein Verhalten für uns ist – doch genauso verstehen alle, warum dieses Verhalten passiert.
Und alle geben sie mir an die Hand, dass ich mich damit abfinden soll, weil es ja nicht zu ändern ist. Sie geben mir das Problem in die Hand.
Ich – wir sind die Person, die sich damit arrangieren soll, dass Menschen auf das beste Hilfsmittel, das unter Anderem dabei hilft, in Kontakt mit Menschen zu gehen und zu bleiben, so reagieren, dass ich am liebsten nie wieder mit Menschen zu haben haben will.

Wir wollen nicht jedes Mal alles von uns und unseren Problemen preisgeben müssen, um Menschen zu erklären, was ein Assistenzhund ist und was NakNak* genau tut.
Wir wollen unsere Grenzen sowohl als Mensch, als auch als Mensch-Assistenzhund-Team gewahrt erfahren dürfen, ohne uns auf eine Art zu öffnen, die für andere Menschen vor Fremden nie in frage käme. Es ist unser gutes Recht das einzufordern – selbst vor jenen, die meinen, weil wir offen zugänglich ins Internet schreiben, würden wir doch genau so etwas ganz toll finden!

Wir können nichts dafür, dass die Umgebung, in der wir uns bewegen (wollen) müssen so gemacht ist, dass wir am Besten mit einer hundischen Assistenz an der Seite darin funktionieren. Wir können nichts dafür, dass die Lebensumgebungen der selbsternannten “Normalen” oder “Nichtbehinderten” so frei von Menschen sind, die behindert sind und/oder werden, dass wir einen seltenen Anblick bieten.

Wir können nichts für all die Hindernisse zwischen den auftauchenden Fragen an uns als behinderte Person und dem Mut, sie auch zu stellen.
Wir sind nicht verpflichtet, die Kompensation unserer Behinderungen zu erklären. Wir sind nur verpflichtet die Kompensationsmöglichkeiten für andere Menschen nicht mit unseren Kompensationsmitteln- und wegen einzuschränken.

Es ist – und ja jetzt lasse ich mich hinreißen, man möge es mir verzeihen – ein verdammt netter Service und manchmal auch das undankbarste Ehrenamt, dass wir jeden Tag neu versuchen, freundlich, offen, besonnen und ruhig auf Menschen zuzugehen, für die wir fremd und beunruhigende Gefühle auslösend wirken.
Dieser  Aspekt wird nicht oft benannt in der Inklusionsblase – das scheißnette Immerlieb und Dauergelächel, dass sich für manche behinderte Menschen zu Recht wie ein viel zu enges Kostüm anfühlt und doch immer wieder nötig und wichtig ist.

Denn klar: für uns fühlt es sich immer gleich an, wenn sich irgendwelche Menschen irgendeinen dieser Makro-Mikro-Megafails an uns und unserer Menschenwürde erlaubt – doch es sind eben doch immer wieder andere Menschen. Mit anderen Hintergründen, mit eigenen Geschichten und Arten zu er_leben.

Das macht die Anstrengung nicht geringer. Das macht es nicht weniger frustrierend. Doch es ist wichtig.
Menschen, die mit uns umgehen, zu sehen und als eigene Individuen anzuerkennen, ist vielleicht nicht direkt funktional in dem Sinne, dass es etwas für uns macht, doch es ist wichtig für das, was wir diesen Menschen entgegenbringen: Respekt und den Raum gemeinsam mit uns zu sein, wie sie sind – nicht wie wir sie haben wollen und vielleicht auch manchmal brauchen.

Ich habe heute – nach einem Test, einer frustrierend anstrengend verwirrenden Unterrichtseinheit “Kommunikation” und zwei weiteren Pausen, in denen NakNak* und ich angegafft wurden, unseren Lehrer bequatscht, einen angekündigten Test doch heute bitte nicht mehr zu schreiben und stattdessen nochmal lieber die Aufzeichnungen durchzugehen und Erklärungen zu bekommen.
Das tat ich für mich (die auf dem letzten Loch pfiff und den Test, wegen vieler Fehlzeiten schlicht versemmelt hätte) und die Klasse, die sich in den letzten Tagen noch versuchte gegenseitig zu helfen, es jedoch nicht schaffte, weil niemand wirklich verstanden hatte, worum es ging.
Der Lehrer ließ sich drauf ein, die Schüler fanden es gut und schafften es sogar, sich einen ganzen Teil der Stunde nicht wie eine umgekehrte Stille Post – Filiale zu verhalten.

Bis ein neues Arbeitsblatt ausgeteilt wurde.

Nach 3 Minuten erinnerte ich mich daran, dass sie erst 15, 16, 17 … sind. Nach 5 Minuten sagte ich mir, dass der Lehrer bestimmt – ganz bestimmt bitte gleich was sagt. Nach 10 Minuten brüllte ich sie an. Fragte sie, ob sie überhaupt merken, wie unfair sie sich gerade mir gegenüber verhalten.
Ja und plötzlich konnte der Lehrer etwas sagen. Plötzlich konnte es still sein.
Die Stunde wurde beendet – ich hatte weder den Arbeitsauftrag noch die Wege zur Bearbeitung mitbekommen. Die Klasse tobte aus dem Gebäude – ich brauchte noch 20 Minuten obendrauf.

Ich weiß alles das, was man mir spontan dazu sagen will, um zu verstehen, was da passiert ist. Ich will aber keine spontan gesagten Zumirschiebephrasen mehr über solche Situationen. Ich will nicht verstehen müssen, was da passiert ist.
Manchmal – und gerade nach so einer Woche – will ich, dass mich jemand fragt, ob der Krach, das Viel der Klasse schlimm weh getan hat. Ob ich damit umgehen kann. Ob ich okay bin. Wie ich es in mein Bild von uns verarbeite, einen Overload nach dem anderen nicht wegkompensieren zu können.

Dann will ich, dass mir jemand sagt, ob ich mich verständlich ausgedrückt oder alles komplett falsch gemacht habe. Weil: laut sein und meckern, ist ja auch irgendwie nicht “normal” (und wieso genau das eigentlich alle™ so normal finden – ich werde das wahrscheinlich nie verstehen!)

Ich hätte gern anerkannt, dass ich nicht 24/7 als vermittelnde Auf- oder Erklärer_in oder Öffentlichkeitsarbeiter_in unterwegs bin, sondern immer nur dann, wenn ich das auch leisten kann.

Wenn wir in der Schule sind, sind wir privat unterwegs.
Da brauchen wir selbst Hilfe.
Jedoch nicht, weil wir andere/mehr Behinderungen kompensieren müssen, als andere oder, trotz unseres höheren Alters, sondern, weil wir nicht alleine dort sind.

Alleine muss man nur dann alles schaffen, wenn man alleine ist.
Wir sind nicht mehr alleine.
Wir sind Schüler_in.
Zusammen mit den über 20 Schüler_innen in unserer Klasse.
Zusammen mit den über 1000 Schüler_innen an der Schule.

Es kann nicht nur unsere Aufgabe sein, zu verstehen und zu akzeptieren, was da passiert, nur weil es uns (scheinbar) allein behindert und weh tut.

Fundstücke #36

Immer wieder mal kommen solche Phasen, in denen “Alpträume”, Flashbacks, allgemein intrusives Erleben ein Thema sind.
In diesen Phasen schlafen wir schlecht, wachen aus einer Mischung aus unterschiedlich quälenden Erlebensqualitäten auf, müssen über den Tag verteilt , etwas halten oder umgehen, das zeitver.rückt ist.

Wir wissen, dass es Phasen sind. Wir wissen, dass es auch wieder aufhört.
Es geht schneller, wenn wir darüber sprechen. Es tut mehr weh, wenn wir darüber sprechen. Und dann geht es doch nicht schnell genug, weil das, was man darüber sagen kann, meist doch nur ein aus der Kehle gequetschter Laut ist, der sich echter anfühlt, als jedes Wort, das man aus ihm zu formen versucht.

Wenn wir uns vornehmen, in der Therapie darüber zu sprechen, dann erscheint mir immer alles ganz klar.
Hingehen, was sagen, wieder weggehen.
Und dann sind wir da und es ist, als gäbe es nichts zu sagen. Oder lauter Dinge, die eigentlich nichts sind. Oder Dinge, die man lieber zeigen will, statt sie mit dem eigenen Blick anzufassen und über die Zunge im eigenen Mund nach draußen zu tragen.

Und dann ist da das Problem, dass wir (Rosenblätter) das Erinnerte häufig nicht mit einem Kontext verknüpfen können.

Wir haben uns das immer so leicht vorgestellt. Damals.
Man erinnert sich an etwas – kann das vielleicht sogar planen oder so hübsch in Phasen aufteilen, wie es die kranke Kasse oder Klinikkonzepte mitunter darstellen – und dann ist es bewusst und dann schaut man, dass man das irgendwie gut in sich verpackt bekommt und fertig aus.
Dann ist die Dissoziation in Assoziation umgewandelt und damit der erste Schritt zum Integrationsprozess angestoßen. Den Rest macht das Gehirn von allein – wir sind nur noch dazu da, es dabei möglichst nicht zu stören, sondern mit passendem Verhalten zu unterstützen.

Tatsächlich bin ich seit inzwischen Monaten in so einer Phase des spontan unwillkürlichen Erinnerns und habe erst in der letzten Therapiestunde den Faden zur Frage gefunden, welche Haltung ich, zu dem was ich erinnere, überhaupt einnehmen will.
Das Paradoxe ist ja, dass ich weiß, dass es irgendwie mit mir zu tun hat, denn ich erinnere es. Ich könnte nichts erinnern, wäre nichts von mir dabei gewesen.
Ich weiß aber nicht, was genau, wie, wo, durch wen, warum. Und stoße deshalb immer wieder an den Zweifel, ob es überhaupt Erinnern ist, was da mit mir passiert.

Es könnte ja auch ein einfacher Alptraum sein. Zu viele komische Bücher, zu viele komische Blogs gelesen, zu viele komische Filme gesehen. Zu viele verdrängte komische Phantasien. Sowas gibts – das steht in Büchern, in Blogs, in Filmen und ich kanns mir gut vorstellen.

Ich schaffe es inzwischen, nicht mehr stundenlang implodiert bis ins Kleinste im Bett zu liegen und die in mir wirkenden Empfindungen zu durchleiden, ohne mich davor schützen zu können.
Ich schaffe es, mich aufzurichten, das Licht anzumachen, NakNak* zu streicheln, aus dem Bett zu klettern und mich ans Küchenfenster zu setzen. Ich spiele Candy Crush und sage mir, was ich tun kann. Was alles geht. Was ich alles entscheiden kann.
Ich lüge mich an und spiele mir selbst eine Souveränität im Leben dieses Lebens vor, die ich nicht habe. Die Zettelberglandschaft auf meinem Küchentisch, die sich aus Kassenzetteln, Jobcenter-, Betreuungs- und anderen wichtigen Korrespondenzen zusammensetzt, zeigt mir das gnadenlos auf.

Irgendwann gehe ich zurück ins Bett und zwinge mich mit dem Weckerklingeln aufzustehen. Auch wenn das bedeutet am Ende nur 2-3-4-5 Stunden Schlaf zur Erholung gehabt zu haben. Die Tagesstunden werden schließlich gebraucht, um wenigstens zu versuchen dem Selbstbeschiss zu entsprechen.

Meine Selbstfürsorge basiert auf Beschiss und ich weiß das.
Ich lüge, wenn ich nach innen gebe, dass ich mich darum kümmere, dass wir in Sicherheit sind. Ich lüge, wenn ich nach inne gebe, dass wir sicher sind.
Niemand ist sicher, wenn si_er sich nicht vor sich selbst beschützen kann. Wo “Ich” so ein wackeliger Begriff ist, wo “Sicherheit” so relativ anzusetzen ist, wo die Fähig- und Fertigkeiten sich kompetent kümmern zu können, so unsicher abrufbar sind – da geht es nicht ohne Lug und Betrug.

Vorgestern gab es eine weitere Spitze um unsere Lebensverwaltung. Da ging es um Bafög und ergänzende Hartz 4 – Leistungen und uns, die sich zwischen angesägten Leimholzplatten, Vierkanthölzern und Sägespanschnee befanden.
Inzwischen ist klar, dass die Betreuerin erneut eine für unseren Fall unzutreffende Informationsbasis erstellt hat, die wir berichtigen müssen, um strukturell den Status zu halten, den wir haben. Es ist wie immer und wie immer ist es zu viel.
Und wie immer, wenn ich unsere Absprachen um Selbstschädigung berührt sehe, rief ich unsere Therapeutin an. Wie immer überrumpelte ich sie damit und erneut kam es darüber zu Missverständnissen und Verletzungen.

Ich merkte, wie sehr es mich zum Bahnhof zog. Wie weit weg jemand von uns wollte, um nie wieder zurück zu kommen. Um irgendwo anzukommen, wo es all das nicht mehr gibt. Weder meine Überforderung, noch meinen Selbst.Beschiss für den sie sich lohnen soll.

Am nächsten Tag entschuldigte ich mich bei der Therapeutin dafür, dass ich sie überrumpelt hatte. Mehr für mich als für sie, denn für mich war klar, dass sie mich nicht verletzt hätte, wäre sie nicht so spontan mit meiner unserer Not konfrontiert gewesen. Für mich wurde nur einmal mehr klar, dass sie nicht diejenige ist mit der ich sprechen kann, wenn es mir so geht, wie es mir ging.

Wann immer unsere Lebensverwaltung der Auslöser ist, sprechen die Menschen mit uns über eben jene Lebensverwaltung. Wir reden nicht darüber, dass wir nicht weglaufen müssen. Ich werde nicht von außen daran erinnert, atmen zu können, Dinge zu dürfen, sicher zu sein. Für mich setzt sich niemand ans Küchenfenster, zeigt mir bunte Farben und den Selbstzweck des Lebens.
Ich erwarte das von niemandem und fordere das auch nicht ein. Ich kann mir selbst machen, nicht den Kopf zu verlieren – aber das kostet Zeit, Kraft und nicht zuletzt auch Körper. Was wiederum bedeutet, das von mir immer weniger zu verlangen ist, denn mehr als ich habe, kann ich nicht geben.

Ich hatte die Therapeutin aufgefordert mir aufzuzählen, wozu wir das hier alles durchkämpfen. Wozu das alles sein soll.
Nicht, weil ich das nicht weiß oder, weil wir uns darüber noch keine Gedanken gemacht haben, sondern weil es mir fern, klein, unbedeutend und wahrhaftig gelogen erschien. Und noch immer erscheint.

Denn ich habe nie entschieden vor der Familie* wegzulaufen. Ich habe mich nie gegen die Lebensqualität entschieden, aus der heraus ich entstanden bin.
Ich, K., das monströse Kampfrosenblatt, hatte nie eine Familie. Ich weiß, wie meine Eltern aussehen, weil ich eine Hand voll Fotos aus den 80er und 90er Jahren besitze, die meine Familie* zeigen. Ich weiß, dass ich zur Schule gegangen bin, weil ich Zeugnisse besitze. Ich weiß, dass es mich gibt, weil es Entitäten gibt, die darüber bestimmen, was mit mir passiert, seit ich mich als mich denken kann.
Ich beginne zu einem Zeitpunkt, in dem übergriffige und/oder inkompetente Helfer_innen die zentrale Achse des Alltagsgeschäfts sind. Ich beginne aktiv dort, wo es nicht mehr möglich ist, wegzugehen, weil es nichts mehr gibt, wo man hingehen könnte. Außer die ewigen Jagdgründe.

Ich habe mich immer dafür entschieden nicht einzuknicken. Ich bin nie hingefallen, hab nie nachgegeben, hab nie aufgehört festzuhalten. Nie.
Obwohl ich bis heute nicht weiß, warum. Meine Grundhaltung für dieses Leben und mein Wirken dafür, hat keinen bewusst ursächlichen Kontext für mich. Ich weiß, dass es wichtig für uns alle ist, dass ich tue, was ich tue. Ich weiß, dass es uns das Leben gerettet hat und bis heute tut.
Doch der Ursprung dafür liegt an einem Punkt, den ich nicht begründen kann. Weder mir, noch anderen Menschen.

Ich weiß nicht, wie klar es für Außenstehende wird, wie bedrohlich und kontextlos, unverbunden und haltlos ich mich in der Folge fühle, wenn mir dann in solchen Momenten auch noch der für mich in die Zukunft gerichtete Grund fehlt. Wie das ist, wenn man weder weiß warum man ist, noch, weshalb man bleibt.
Bleiben will.

Unsere Therapeutin sagt an der Stelle oft, ich würde mich dagegen wehren, die Opferschaft anderer Innens als meine anzuerkennen. Weil Opfer ja schwach seien und das nicht mit meiner Stärke  zu vereinbaren sei.
Dass sie diejenige ist, die mich in dem Zusammenhang als stark bezeichnet, habe ich ihr schon oft gesagt.
Sie folgt dem Ansatz, der der Idee folgt, dass der Grund zu bleiben und für mich und uns weiterzukämpfen, quasi automatisch bewusst wird, wenn mir nur klar ist, wogegen man sich entschieden hat. Wovor man geflüchtet ist.

In meinem Fall ist das leider nicht anwendbar und auch das habe ich schon oft gesagt.
Ich treffe meine Entscheidung selten bis nie negativistisch. Also, dass ich mich für Dinge entscheide, weil ich gegen andere Dinge bin. Ich entscheide mich für Dinge, weil ich diese Dinge möchte. Mehr ist da nicht und mehr war da auch nie. Mehr brauche ich in der Regel auch nicht.

Ich muss nicht selbst erfahren haben, wie es ist Gewalt zu erleben, um anzuerkennen, dass jemand sie nicht (mehr) erfahren möchte.
Für mich hat die Familie* noch nie eine größere Rolle gespielt als die, ein nervenaufreibend zu kompensierender Nullpunkt in unserer Lebensverwaltung und –perspektive zu sein.
Eine Waise zu sein, deren Eltern noch leben, ist ein struktureller Gau, wenn man behindert ist. Dennoch habe ich nie den Wunsch gehabt, doch bitte deshalb keine Waise mehr zu sein oder ein besseres/anderes Verhältnis zu ihnen zu haben – sondern den Wunsch leichter bestehende Behinderungen kompensieren zu können, arbeiten zu können, mich und uns selbstbestimmt versorgen zu können.

Am Ende geht es mir in meinem Wirken immer nur darum, das “nicht aufgeben”, “nicht hinfallen”, “nicht loslassen”, “nicht nachgeben” weniger schwer für mich zu machen.

Ich bin egoistisch damit und ich weiß, dass ich Glück damit habe, dass genau das mein Anteil an diesem Inneren der H. C. Rosenblatt ist.
Es gibt andere Innens, deren Wirken besteht in der Zerstörung des Körpers, unserer Bindungen und Werte – deren Wirken wird weitaus stärker sanktioniert als meins. Die dürfen ihren Egoismus nicht im Ansatz so ausleben wie ich und manchmal tut mir das leid für sie.
Sie würden viel besser in solche Argumentationslogiken der Therapeutin passen und könnten sich viel besser auseinandersetzen mit den Themen “Abwertung von Schwäche bzw. Opferschaft” oder “die Familie* bevorzugen, weil hier gerade so viel überfordernder Scheiß läuft”.

Stattdessen höre ich mir das an, frage mich, ob ich in den letzten Jahren nicht schon oft genug gesagt habe, dass das für mich nicht passt, beantworte mir die Frage mit: “Ja, offensichtlich nicht, sonst würde sie ja nicht schon wieder damit ankommen” und falle in ein Loch, denn plötzlich fühle ich mich ihr fern, fremd und unverbunden. Als hätten wir niemals etwas miteinander geteilt oder wären je verbunden gewesen.
Dann warte ich eine Weile, stoße meine Gedanken wie Bergsteigerpickel in den wabbelweichen Haufen aus allen mit ihr gemachten Erfahrungen und schlage mein Zelt auf einer Schicht Fatalismus auf. Ich erzähle mir, wie ich jederzeit aufhören kann, mit ihr zu arbeiten. Wie ich jederzeit aufgeben könnte, wenn ich nur wollte, obwohl ich weiß, dass ich es nicht kann und nie konnte.

Wieder lüge ich mich an und wieder merke ich, dass es das Beste für uns alle ist, das zu tun.

Ich habe der Therapeutin gesagt, was ich sagen konnte und beendete das Gespräch mit der Gewissheit, dass mein Erinnern nutzlos ist, weil es ohne Kontext ist.
Die Therapiearbeit braucht diesen Kontext. Ich kann ihn nicht liefern.

Ich gehöre zu einem anderen Ende dieses Lebens und dieses Ende gehört im Moment nicht zur Therapie.
An meinem Ende passiert nur eine Phase.

Phasen sind irgendwann auch wieder vorbei.
Man muss sie nur durch.stehen.

eine Normale™, werden wir ja eh nie werden

Halb 8 kam die Sperrmüllabfuhr und zermalmte den Möbelleichenberg vor unserer Haustür.
Ich lag im Bett und hörte zu. Dachte darüber nach, noch schnell einige der noch gut funktionierenden Möbel hinzustellen und blieb doch still und unbewegt.
Es hätte mich gefreut, die ganze Bude leer zu haben. Weg mit all dem Scheiß, an dem die Familie* klebt. Weg mit all dem, was nun bei uns ist, weil es für andere Müll war. Weg damit. Raus. Raus. Raus.

Wir kennen Menschen, die haben so etwas schon mal gemacht. Zwei sogar schon mehrmals. Sie haben ihre Wohnungen geräumt und erst wieder gefüllt, als sie das Geld und das gute Gefühl dazu hatten. Sie haben aber auch ihre Kontaktlisten gelöscht, sich die Haare abrasiert und versucht sich zu töten.
Da bekam die leere Wohnung eine völlig andere Bedeutung.

Mir macht so radikales Durchgreifen eher Angst, aber ich kenne auch, wie befreiend es sich anfühlt. Dinge loswerden, Menschen loswerden, so viel von sich loswerden, dass man sich leichter ver.halten kann.

Wir haben noch immer ein Regal von H..
Der H. die uns durch den Ausstieg brachte und dann unbemerkt vergaß.
Wir haben noch Möbel von der Familie*.
Die wir seit der suizidalen Krise letztes Jahr, um diese Zeit, um Unterstützung bitten wollen, weil uns alles zu viel ist. Was wir nicht tun, weil es uns zu anstrengend ist. Ja – genau:  es ist uns zu anstrengend. Nicht: wir sind uns zu viel wert/wir haben uns von ihnen befreit/wir haben sie überwunden
Realitäten, Baby.

Ich merke, dass wir instabil genug sind für radikales Durchgreifen im eigenen Leben. Merke, wie wir kurz davor sind, uns abzusetzen, wegzulaufen, hinzuschmeißen, scheiße zu schreien und uns tot zu lachen.
Nicht, weil alles schlimm ist. Nur, weil es alles so viel größer ist, als alles, was wir geben können.

Wir haben es bis jetzt in diesem Jahr nicht geschafft uns die Hilfen zu holen, die wir uns selbst versprochen hatten, als alles brannte und vielleicht hätten wir uns die Kraft für die Hilfen, die wir versucht haben, sparen sollen. Wären wir im Mai schon zur Radtour aufgebrochen, statt in die Klinik zu gehen, wäre vieles und alles anders gekommen.
Zumindest würden wir weniger stark davon überzeugt sein, dass wir nirgendwo mehr hinkönnen und zu verquert für die stationäre Traumatherapielandschaft Deutschlands sind. Es würde sich weniger anfühlen, als gäbe es für uns keinen doppelten Boden und damit keine Hoffnung für das, worum wir uns kümmern wollten.

Vor ein paar Tagen dachte ich darüber nach, ob es dumm war die Dissoziation des Alltags therapeutisch aufzulösen.
Würden wir heute noch so funktionieren wie 2006, 2007, 2008, hätten wir schon versucht zu gehen, doch wüssten nicht so konkret wie jetzt, warum eigentlich. Wir wären durch die Klinikzeit gegangen, hätten keine Kraft für die Radtour gehabt und alles wäre anders gekommen.

Ich glaube auch, dass wir leichter durch die Schulzeit bis jetzt gegangen wären. Wir hätten den Anfall gehabt, hätten eine Hand voll Tavor eingeworfen, einen Spritzer Neurocil draufgegeben und hätten durchgeschlafen bis zum nächsten Schultag. Und dann wären wir wieder hingegangen.
Heute sind wir so offen und wund, dass das nicht mehr geht. Wir merken jetzt, wenn etwas weh tut. Wir sind so sicher, dass wir uns vor Schmerz schützen können. Und wir wissen jetzt, dass wir uns den Schmerz, die Überforderung, die permanente Überlastung nicht einbilden.

Das ist ein Schach und manchmal ein Schachmatt.
Egal, wie viele Menschen uns noch sagen, dass es nicht so ist und von uns locker kompensierbar wäre, würden wir nur nicht so furchtbar viel unnötigen Quatsch im Kopf haben.

Das erinnert mich an unsere Freundin C. , die bei sich zu Hause Kisten über Kisten mit Steckern Stöpseln, Kabeln, Verschlüssen, Dosen und und und hat und von allen Menschen immer wieder gesagt bekommt, es sei unnötiger Scheiß.
Bis man dann dieses eine bestimmte Kabel braucht.

Später am Tag, säge ich Vierkanthölzer zurecht, die als Tischbeine die Arbeitsplatte in der Küche und die im Arbeitszimmer stützen sollen und merke, dass, was mich so bedrückt, die Wiederholung eines Dramas ist.
Genau wie wir 2002/2003 noch nicht erfahren konnten, ob unsere DIS jemals komplett auflösbar (“heilbar”) ist – können wir heute nicht erfahren, ob Autismus etwas ist das, wenn schon nicht “heilbar”, so doch auflösbar im Sinne von verdünnbar, erleichterbar für uns ist.

Wir können alle Menschen verstehen, die sich diese Frage nicht stellen, weil sie sich weder krank noch kaputt oder dysfunktional erleben. Wenn wir gut durch die Tage gekommen sind, stehen wir auch an diesem Punkt und engagieren uns dafür, in unserem Funktionieren als üblich/normal anerkannt zu sein.
Wenn wir gut durch die Tage gekommen sind, haben wir ja gerade frisch erlebt, dass es geht.
Doch wenn wir so sehr wie in den letzten Wochen (und Monaten und seien wir ehrlich – dem Jahr seit dem Überleben durch stationäre Krisenintervention) immer wieder und wieder ganz bewusst merken, wie schwer und auch erschwert es ist, Tage überhaupt als solche wahrzunehmen und dann auch noch gut durch sie hindurch zu kommen, dann ist es nicht einfach, sich nicht permanent als dysfunktional und minderwertig zu erleben.

Erst 3 – 4 Jahre nach der Diagnosestellung der DIS, wurden wir vollständig darüber informiert, was die DIS eigentlich für eine Diagnose ist. Die Krise folgte auf dem Fuß – auffangen konnte uns nur das letztlich selbstzerstörerische Engagement einer Einzelperson und der Selbstbetrug, den wir an die Heilungsberichte von Menschen, die anders viele waren, als wir es sind, konstruiert hatten.
Und danach: Zeit und Umgangsroutine
Und danach: die Therapie mit der Therapeutin, die wir jetzt haben und in der es noch immer okay ist, weder die Angst vor der Prognose, noch die Realität, die diese Diagnose mitbringt, aushalten zu können.

Die Akzeptanz ist bis heute jedoch nicht vollständig gelungen. Wir ringen uns bis heute eine Toleranz ab, die es anderen ermöglicht mit uns zu arbeiten und umzugehen – doch, die für uns ein aktiven und immer schwelenden Kampf um das eigene Selbst und seine Definitionen bedeutet.
Und das nach inzwischen 13 Jahren.

Heute liegen auf unserem Lesestapel einige Bücher über Autismus und immer immer immer geht es um autistische Kinder. Um Eltern, die ihre Kinder lieben und wollen, dass sie ein gutes Leben haben. Es geht um Therapie – und Fördermöglichkeiten für autistische Kinder und manchmal auch um die Zukunft dieser Kinder als Jugendliche und Erwachsene.
Noch nirgendwo konnte ich etwas über die Lebensrealität traumatisierter Autist_innen lesen. Nirgendwo etwas darüber, wie spät mit Autismus diagnostizierte traumatisierte Menschen verarbeitet haben, was sich ihnen für Wahrheiten und Bitternisse offenbaren.
Wer unter der Unwiederbringlichkeit des Autismus leidet, scheinen laut meiner schlauen Bücher vor allem die Eltern zu sein. Insbesondere die Eltern, die sich um ein normales™ Kind betrogen fühlen oder denen eingeredet wird, sie hätten etwas falsch gemacht bzw. sie wären falsch.

Uns fällt es schwer, diese Kapitel zu lesen. Nachwievor gibt es wenige Erinnerungen an die eigene Kindheit und auf keine davon verlassen wir uns als faktische Wahrheit. Wir wissen nicht, wie auffällig oder unauffällig wir waren. Sehen aber über die Auseinandersetzung, wo Spuren unserer Erziehung und Sozialisierung “autistisches” Verhalten deckeln und sehen uns erneut damit konfrontiert, was für eine Hölle es gewesen sein muss könnte, ein Kind in dieser Familie und diesen früheren Lebensumgebungen zu sein.

Ich fühle mich um die Möglichkeit betrogen, fragen zu können, was ich für ein Kind war. Ich fühle mich um die Chance betrogen,  festzustellen, dass alles nur eine Folge von Missverständnissen war und ich doch eigentlich – in Wahrheit und echt – geliebt wurde. Und jetzt auch vermisst werde. Und mit Sorge bedacht, ob ich denn wirklich gut zurecht komme. Ob ich denn wirklich gut versorgt bin. Ob man mit der Frage, ob es mir gut geht, an mich denkt.
Und zwar nicht, weil man sich gesellschaftlich konventionell dazu verpflichtet fühlt, sich diese Frage zu stellen, weil man uns kennt, sondern weil man mich gemacht und nicht getötet hat.

Ich fühle mich um die Option einer Heilung betrogen.
Das tun nicht alle Rosenblätter und erst recht nicht alle anderen von uns. Aber ich tus.
Nicht, weil ich Krankheit schlimm finde und auch nicht, weil ich glaube, dass eine Heilung bedeutet, ein schönes Leben zu haben.
Ich habe ein Leben, das schön genug ist. Doch genau dieses Leben enthält einen Schmerz, den ich nur schwer in seiner erdrückenden Masse veräußern kann. Vor allem dann, wenn er als selbstgemachte Kopfgeburten abgetan und durch Ignoranz zu kurieren dargestellt wird. Noch dazu von Menschen, die ihn weder selbst kennen noch verstehen.

Ich erwarte nicht, dass andere Menschen verstehen, uns heilen oder versorgen oder ein Nest bauen, das unser Sarg werden darf.
Aber ich merke, dass es die häufig nicht einmal so bewussten Erwartungen anderer Menschen sind, die mir den Wunsch nach Heilung, nach “nicht so sein, wie ich bin” auslösen und mich abgekämpft und einsam mit der täglichen Niederlage zurücklassen.
Unsere Schwierigkeiten mit Behinderungen und Problemen ihrer Kompensation, werden immer und immer als so beweglich und veränderbar betrachtet. Als könnten wir uns dafür entscheiden, ob wir traumatisiert und autistisch sind. Als müssten wir das nur mal kurz vergessen und schon wäre alles kein Problem mehr.

Ich glaube nicht, dass diese Menschen merken, was sie für eine Verführung damit auslösen. Wie sehr ich mir wünsche, es ginge einfach ganz genauso. Als wäre es nur eine Frage wie stark, wie widerständig und kraftvoll wir uns dagegen entscheiden, traumatisiert und autistisch und darunter leidend zu sein. Wie groß das Potenzial einer dissoziativen Aufspaltung in uns wird, wenn ich mich in, für unseren Organismus toxisch stressvollen Lebenslagen, dagegen entscheide, zu sein, wer und was und wie ich bin. Wie wir, was und wer wir sind.

Ich glaube nicht, dass sie merken, wie sehr ich mich jeden Tag dagegen entscheide, darunter zu leiden, dass ich leide.
Dass sie merken, wieviel Kampf schon passiert ist, bis ich mir von ihnen anhören kann, es sei nicht genug oder der falsche Kampf gewesen.

Meine Konsequenz aus diesem Empfinden ist, den Kontakt mit mir unselbstverständlich zu machen.
Mit allen Folgen, die es für uns als Einsmensch haben kann.
Was nicht viele sind, denn ich bin nur eine_r von vielen.

Schwund ist immer.
Und Eine, eine Normale™, werden wir ja eh nie werden.

Störend

Ich hatte mich gefragt, wie sich der Begriff “emotionale Störung” wohl entwickelt hat, aber mein Leben ist im Moment deprimierend genug und so ersparte ich mir die Recherche. Doch erinnerte ich, wie meine Lehrerin in unserem Nachgespräch sagte, dass sie bemerkt hätte, dass wir nicht bei uns waren – nicht zentriert und eher “überwältigt von den Emotionen”, die in dem Moment in uns herrschten.

Ich versuchte ihr zu erklären, dass es nicht um ein Überwältigtsein von Gefühlen geht, wenn wir erleben, was sie von außen miterlebte, sondern um eine Art Zerfall von Welt und Sein, der für uns unaushaltbar ist.
Wie nachvollziehbar das jetzt war, weiß ich nicht und letztlich ist es auch nicht relevant in unserem Kontakt.
Aber ich fand es interessant meine eigene Beschreibung im Nachhinein noch einmal anzusehen und zu begreifen, dass es tatsächlich nie nur um Emotionen geht oder darum, dass uns Kompetenzen fehlen, mit Emotionen umzugehen.

Weder bei selbstverletzendem Verhalten, weder bei der Essstörung noch in irgendeinem anderen Moment, in dem uns unterstellt wurde (und bis heute wird) nur unseren Willen und Wunsch durchsetzen zu wollen, geht es darum frustriert darüber zu sein, dass es nicht geht, sondern um Überwältigtsein, Überforderung, Haltlosigkeit – unterm Strich: Not und tief greifende Trigger für Erinnerungen an frühe Erfahrungen der Haltlosigkeit, die verknüpft ist mit Todes- bzw. Vernichtungsangst und der Auflösung des Selbst.

Überwältigende Gefühle allein sind kein Problem für uns. Klar fuchteln wir dann ein bisschen und reden tagelang darüber, was diese Gefühle verursacht hat – es passiert etwas mit uns, wenn wir etwas Überwältigendes erfahren haben, ganz klar – aber wir können drüber reden, weil wir es erfassen konnten. Es gab einen Kontext, es gab uns und es gab eine Verbindung, die uns ermöglicht hat, die Überwältigung nicht nur zu erfahren, sondern auch einzuordnen.

Wenn wir zerfallen, wie am Dienstag, bleibt das aus.
Wir fuchteln nicht – wir schimpfen und schreien oder schlagen um uns (und verletzen uns dabei) – werden wir dann auch noch angefasst, verletzen wir vielleicht auch noch andere. Es gibt einen unterschiedlich umfassenden Zugriff auf die Erinnerung an die Situation und es gibt natürlich auch das Erkennen von stark in uns waltenden Gefühlen – es gibt aber keinen Willen zur Macht, keinen Frust über ausbleibende Optionen andere Menschen zu dominieren und auch keinerlei Gefühle, die über soziale Interaktion oder soziale (Wert-)Bindungen entstanden sind, die berührt werden.
Sehr wohl aber gibt es Not, Ohnmacht, Todes- und Vernichtungsangst. Das Gefühl weder selbst zu sein, noch als im Sein erkannt zu werden. Das kann man dissoziiert nennen – man könnte aber auch von einer Verschmelzung bis zur Selbstauflösung sprechen.

Wir haben ein Emotions-Mischungs-Problem. Eine Störung, die auftritt, wenn wir große Gefühle, mit großer kontextueller, räumlicher und zeitlicher Irritation vereinen müssen. Ich denke, dass alle Menschen irgendwann vor solchen Problemen stehen – ich nehme es aber so wahr, dass der gesellschaftliche Konsens dessen, wie groß genau eine Irritation auf den benannten Achsen sein kann/darf bis sie diese Störung in Menschen verursacht bzw. zum Problem wird, nicht mit unserer Einschätzung dessen, was “groß” ist, übereinstimmt.

Frust empfinde ich, wenn Menschen mir sagen, dass sie unsere Schwierigkeiten so verstehen, dass Dinge und Umstände für uns anders sind, als für andere Menschen, obwohl ich versuche ihnen klar zu machen, dass wir kein grundlegend anderes Erfassen von Dingen und Umständen haben, sondern viel mehr Sortierungs- und Prioritisierungsprobleme haben.
Für uns ist ein Tisch ein Tisch – das ist er aber erst, wenn es die Erkenntnis von Existenz über Tischplatte (mit ihren spezifischen Eigenschaften) und Tischbeinen (mit jeweiligen anderen Eigenschaften) unter den unterschiedlichen äußeren Einflüssen des Raumes (und manchmal auch der Zeit) zur Erkenntnis der Verbundenheit dieser Teile miteinander zur Erkenntnis der Abgrenzung vom Rest ihrer Umgebung geschafft haben.

Wir haben hier schon öfter darüber geschrieben, was wir meinen, wenn wir sagen “wir sehen viel” oder “wir nehmen viel wahr”. Viele Menschen haben das so gelesen, als würden wir sagen sagen wollen: “Wir sehen viel mehr als andere Menschen”. Tatsächlich aber sehen wir natürlich nicht “mehr” als andere Menschen – sehr wohl aber sehen wir in “mehr einzelnen Schritten” als andere Menschen und merken, welche Konstruktionsprozesse es braucht, bis wir orientiert und in Kenntnis gesetzt sind.

Frust empfinde ich, wenn ich merke, dass es egal ist, ob wir die Kraft aufbringen Menschen diesen Umstand mitzuteilen, oder nicht. Frust empfinde ich, wenn mir zu hoher Anspruch unterstellt wird, weil ich so viele Informationen einfordere, wie ich brauche und nicht nur so viele, wie andere glauben, dass ich sie brauche oder noch schlimmer: was andere Menschen glauben, was sie an meiner Stelle bräuchten und entsprechend gewähren.

Ich frage mich, ob eine emotionale Störung ist, wenn sich jemand von meinen Emotionen gestört fühlt. Wenn jemand denkt, meine Gefühle und Gedanken, meine Einschätzungen und Bewertungen eines Umstandes wären der Situation unangemessen, weil si_er sie nicht nachvollziehen kann. Und will.

Manchmal denke ich, dass ich es auch nicht nachvollziehen wollen würde, wäre es nicht so ein schon immer bestehender Bestandteil unseres Lebens.

Für uns ist das Umunsherum ein Wirbelsturm in einer Legotonne. Wir brauchen Zeit, Kraft und dieses eine Moment ohne Angst, um die Dinge und Menschen in ihrer Zusammensetzung, ihren Beziehungen zu- und miteinander zu erkennen. Die einzige immer in uns waltende Emotion (von der ich mir nicht einmal sicher bin, ob es eine Emotion ist) ist Angst (zu sterben).
Verändern sich Dinge, werden wir in unseren Annahmen irritiert, bekommen wir zu wenig Zeit, zu wenig Raum, krümelt uns auseinander, worin sich andere Menschen tritt- und selbst.sicher bewegen. Wem würde das keine Angst machen?

Seit einem Jahr scannen wir unsere Probleme auf die Schnittstellen von DIS und Autismus und verzweifeln an manchen Tagen darüber, wie sehr wir selbst unsere Probleme unterkomplexisiert haben, um bestehende Belastungen überhaupt auszudrücken. Um diese kleine Box der Psychotherapie nicht zu sprengen, um in Kliniken nicht mehr Aufwand zu bereiten, als eh schon durch die DIS-Diagnose entsteht, um Helfer_innen bei Hoffnung für uns zu halten. Um wenigstens etwas zu haben, anstatt allein mit dem zu bleiben, was jederzeit und jederorts in uns wirkt – egal wie positiv unsere Grundeinstellung ist, wie hoffnungsvoll wir in die Tage sehen, egal wie wir uns ernähren, egal welche Pillen wir essen usw. usw. usw..

Erinnert hat mich der “Befund” des Arztes am Dienstag daran.
Wie lange hatte ich die Idee, es würde uns viel besser gehen, wären wir nicht hochbegabt. Und wie lange hat es gedauert, bis ich diese Idee als ableistischen Bullshit identifiziert hatte.
Es ging bei uns nie um einen Geist, der zu viel Freizeit hat und uns Quatsch in den Kopf produziert, an dem wir dann leiden. Es ging immer wieder um Menschen, die unsere komplexe Problematik auf den kleinsten gemeinsammöglichen Diagnoseschlüssel, auf die allgemeingültigste Phrase, auf ein linear aufgebautes Naturgesetz eindampfen – und uns, die dabei mitgemacht haben. Aus Angst zu sterben. Aus Angst allein bleiben zu müssen.

Es geht nicht darum, dass andere Menschen zu dumm sind für unsere Probleme. Es geht darum, dass sie uns nicht verstehen können oder wollen. Das ist etwas anderes.
Das ist jedoch genau das, was uns nie zugestanden wird. Der Umstand wirklich genau so un- und missverstanden zu werden, wie wir das herausanalysieren.

Die wenigsten Menschen halten sich für normal. Doch die meisten Menschen halten ihre Art sich der Welt und sich selbst zu widmen für normal und damit für genau die Art “wie man das nun einmal so macht”.

Wir machen es anders.
Bei uns funktioniert es anders.

Vielleicht ist das schon alles, was stört.

Fundstücke #35

Seit etwas über einer Woche gehen wir mit kalten Händen und Füßen ins Bett. Zittern ein bisschen, rollen uns hin und her, stehen dann irgendwann doch auf, um die Körnerkissenschuhe und die Wärmflasche warm zu machen.

Wir essen genug, wir bewegen uns genug – es ist nur das Weiche im Körperinneren, das sich tot stellt.
So ist jedenfalls unser Erkenntnisstand im Moment, denn so wie es derzeit bei uns läuft, ist für uns auffällig, dass wir leichter als sonst auseinanderfallen. Dass es immer weniger braucht, um uns zu verwirren, zu verunsichern und innere Tode zu sterben.

Am Montagabend gingen wir ins Bett und standen noch zwei Mal auf, weil die Körnerkissen erkaltet waren. Um 7 ging der Wecker zur Schule.
Wir standen auf, folgten dem Tagesplan, motivierten uns zur Schule, in dem wir uns zeigten, dass wir nur Fächer haben würden, die uns liegen und wenig Stress bedeuten.
Wir kamen pünktlich zur Bahn – und die verspätete sich.

In der Schule kamen wir dann dennoch okay pünktlich an – nämlich zu dem Zeitpunkt, an dem unsere Mitschüler_innen die Tische umstellen sollten. So standen wir in dem Raum und wurden von der Lehrerin rausgeschickt, wegen des Krachs.
Sie holte uns nach einer Weile, die wir in der Flurhalle standen, in einen Raum rein, der nicht mehr unser Klassenraum war.
Wir wussten nicht, wo wir uns hinsetzen sollten und als wir uns für einen der einzelnen Tische entschieden hatten, kam die Information, dass wir einen Test schreiben würden.

Niemand hatte uns Bescheid gesagt. Trotz nerviger WhatsApp-Gruppe und ausgetauschten Telefonnummern, hatte es niemand geschafft uns mitzuteilen, was in der letzten Woche, die wir wegen des Krampfanfalls  verpasst hatten, unterrichtet und angekündigt wurde.

Das Nächste, das ich erinnere, ist mein Blick von unten auf die Linde im Schulhof, während der über uns hinwegfliegende Hubschrauber meinen Kopf mit seinem Krach zerschmetterte. Dann, wie niemand von unseren Notfallkontakten kommen konnte. Dann, wie mir Fragen gestellt wurden. Dann, wie wir durch einen von Röhrenleuchten durchgeflackerten Flur gefahren wurden.

Und dann das:
tweet

Da war der Pfleger, der uns genug Raum gab, uns langsam zu erholen und der Arzt, der uns später in den Arztbrief schreiben würde: “Verhaltens- und emotionale Störung bei leichter Intelligenzminderung” und eine “Intensivierung der Psychotherapie” vorschlägt.
Er ist Team “Du und deine Reaktionen sind das Problem – nicht deine Lebensbedingungen” und auch sonst ist er ein Arschloch, das ich zu hauen mindestens überlegen würde, sollte ich ihn jemals treffen, wenn ich mich nicht gerade so abgrundtief schlecht fühle, wie ich das nach so einem Krampfanfall tue.

Wir werden untersucht und dürfen auf unsere Ergebnisse im Ambulanzempfangsbereich warten. Das Telefon fräst sich 15 Mal durch unser Gehör. Viele Menschen schauen uns an, schauen wieder weg. Die sogenannten schwer- und schwerstbehinderten Menschen verhalten sich rücksichtsvoller und ich mag sie, obwohl mich ekelt, dass einer nach Urin riecht und ein anderer erkältet herumschnoddert.

Wir mussten ins Krankenhaus, weil die Schule die Verantwortung nicht übernehmen konnte. Im Krankenhaus macht man ein bisschen Standardzauber und teilt uns mit, dass ein Taxischein von der Krankenkasse nicht finanziert wird. Wir laufen also in die Stadt zur Straßenbahn. Übergeben uns in eine Grünanlage und reden uns ein, dass es nur die Anstrengung ist und kein Hirntumor, den man schon wieder übersehen hat. Wir merken mit jedem Schritt durch die spätsommerliche Stadt, dass die Verantwortung für uns weh tut und verstehen, warum sie niemand für uns mittragen will.

In der Fußgängerzone sehen wir unsere gesetzliche Betreuerin und ihren Mann. Erinnern uns daran, dass sie letzte Woche noch einen Antrag auf Verlängerung des Hartz stellen wollte. Wir schauen bei der Sparkasse vorbei und erfahren, dass der Antrag entweder nicht bewilligt wurde oder vielleicht auch noch gar nicht gestellt wurde.
Wir steigen in die Bahn. Steigen in unsere Wohnung und erinnern uns, dass die Rauchmelderwartung heute ist.

Ich will heulend zusammenbrechen, aber mein Zusammenbrechscharnier ist im Laufe der letzten Stunden von dem Eis in meinen Gliedmaßen erstarrt. Darum putze ich die Wohnung bis die Wartungsperson kommt.
Dann esse ich Ananasstücke, die mir die offenen Stellen im Mund (die ich mir von was weiß ich woher geholt habe) ausbrennen und schreibe unserer Lehrerin zurück, dass sie ruhig jetzt schon zu uns kommen kann, um NakNak* zu bringen.

Sie erzählt uns, dass wir geschimpft haben, bevor der Anfall kam und ich freue mich darüber. Ich finde es gut, dass wir laut geworden sind, statt uns ein weiteres Gliedmaß anzuschlagen. Sie zeigt auf, wie alle einfach so davon ausgegangen sind, dass wir Bescheid wissen.
Wir reden lange, finden Ideen so etwas in der Zukunft zu verhindern und treffen weitere Absprachen.  Unsere Mitschüler_innen müssen damit leben, dass wir wütend auf sie sind, wenn sie sich ignorant verhalten, auch wenn sie das nicht mit Absicht tun.
Ich muss damit leben, die zu sein, die wütend über ihr Verhalten ist, weil sie es, egal, wie sie es beleuchtet, nicht versteht.

Später telefonieren wir mit Renée und ich merke, wie sich der Stachelpanzerbuckel eines anderen Innens auf meinem Rücken langsam auflöst.

Am frühen Abend gehe ich mit warmen Körnerkissen und der Wärmflasche ins Bett und merke, dass die Fastleiche unter meiner Haut schreit, ohne einen Ton zu veräußern.

Diese Woche dürfen wir in der Schule noch fehlen. Dann sind Herbstferien.

Wir haben 3 Wochen für Leichenbergung und uns mehr unterstützenden Strukturaufbau.

“Man achtet zu wenig auf uns, wenn es um uns geht”

Vor dem Termin hatte ich Angst. Termine, die mit dem Gericht zu tun haben, machen mir immer Angst.
Nicht, weil ich fürchte, man würde mich für irgendetwas ins Gefängnis sperren oder mich bestrafen, sondern, weil ich weiß, dass wir dem, was dort passiert, nie gewachsen sind.

Wir haben das Problem, das viele Viele und viele autistische Menschen haben: man sieht uns nicht an, was in uns vorgeht.
Entweder macht mein Gesicht etwas, das von anderen Menschen nicht korrekt übersetzt werden kann oder es macht gar nichts, weil all meine Kraft in das Erfassen der Vorgänge um mich herum geht und nichts mehr übrig bleibt für Körpersprache.
Wir haben das Problem, das viele Menschen, die (lange) in sogenannten “Hilfe”systemen leben, weil wir es brauchen: wir sind abhängig von jenen, die strukturell oder persönlich als unsere Helfer_innen auftreten bzw. bestellt werden – was bedeutet, dass wir unfrei sind und nur so befähigt zur Befähigung sein können, wie sie (und die gegebenen Strukturen) uns dazu ermächtigen bzw. befähigen.

Und wir haben das Problem, dass wir uns all dessen bewusst sind. Während viele andere es nicht sind und auch nicht sein wollen.

Ich hatte vor dem Termin Angst, weil ich Angst vor unserer gesetzlichen Betreuerin habe. Vor ihrer Ignoranz mit der sie mit der Macht, die wir ihr übertragen haben, umgeht. Vor ihrer falschen Überzeugung, die sich durch keine unserer Richtigstellungen und Erklärungen korrigieren lässt.

Wir rutschen nachwievor selbst immer wieder in die Todesangst, von der wir Pädagog_innen und anderen Betreuer_innen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten, erzählen. Wir selbst erleben uns immer wieder in der Überzeugung, dass, wenn dieser eine Zettel falsch ausgefüllt wird – dieser eine Beschluss falsch ist – dieses eine Gutachten unzutreffend ist – dieser eine Bericht strunzfalsche Aussagen enthält – dieser eine Antrag inkorrekt ausgefüllt wird – wir sterben werden (weil wir etwas falsch gemacht haben/niemand uns helfen wird/wir allein und ausgeliefert (bleiben) werden/weil wir unter- oder gar nicht versorgt werden/weil das doch jede_r kann und es unsere Strafe ist, zB etwas Beantragtes nicht zu bekommen, damit wir es beim nächsten Mal gefälligst richtig machen…)

Das ist kein überkandideltes Einbildungsängstlein, das man im Fall des Falls auch durch eine Kognition auflösen kann. Das ist eine Angst, die uns den Hals zupulst und den gesamten Organismus mit toxischem Stress flutet. Das ist Traumawiedererleben. Das ist, was man, wenn man so will, “PTBS-Dünger” und “Traumatherapiegift” nennen könnte.
So ein Stresslevel verändert die Denkstruktur, verändert die rein neurologisch verfügbaren Möglichkeiten, um Inhalte zu erfassen und zu verarbeiten und verändert natürlich auch die Ressourcen der sozialen Interaktion und verbalen wie nonverbalen Kommunikation.
Zusammen mit unseren allgemeinen Schwierigkeiten andere Menschen zu lesen und ihre Handlungen und Aussagen zu verstehen, sind wir folglich bei allen Gesprächen mit solchen Schwerpunkten massiv gehandicapt.
Und ich schreibe hier bewusst “gehandicapt”, denn behindert werden wir an der Stelle ganz klar von der Ignoranz der Menschen, mit denen wir es dann zu tun haben und von den Strukturen, die diese Ignoranz erlauben.

Vor dem Termin hatte ich noch getwittert, dass ich mir NakNak* an unserer Seite bei dem Gespräch gewünscht hätte. Zum Einen, weil wir uns im Innen grundlegend anders aufstellen können, wenn wir nicht nur für uns, sondern auch sie sorgen müssen und sie uns frühzeitig einen Krampfanfall meldet – zum Anderen aber auch, weil sie durch ihre Anwesenheit als Assistenzhund greifbarer macht, dass wir eine behinderte Person sind. Dass wir “wirklich etwas haben” und nicht nur so tun oder es eine Frage der individuellen Einschätzung von Außen ist, ob da etwas ist oder nicht und wenn doch, wie sehr.

Doch bei Gericht herrscht kategorisches Hundeverbot. Natürlich könnten wir uns um einen medizinischen Zettel bemühen auf dem steht, dass wir echt was haben und der Hund in echt hilft, besser klar zu kommen – aber natürlich müssten wir dazu mal wieder eine_ Mediziner_in beanspruchen, unsere Zeit für andere Dinge abknipsen, unseren Fokus erneut nicht auf uns und das was wir brauchen legen, sondern darauf, was andere (ablierte) Menschen brauchen, damit sie etwas tun dürfen, damit wir bekommen, was wir brauchen.
Der Satz ist jetzt recht lang – man darf ihn sich trotzdem mal tief in den Kopf tun und dann einen Blick auf die Behindertenrechtskonvention werfen, bitte danke.

Ich wünsche mir mehr Bewusstsein um diesen Umstand bei anderen Menschen. Ich wünsche mir mehr Bewusstsein darum, dass Behinderungen der Wahrnehmungs_Verarbeitung existieren und ganz konkrete Folgen für das Miteinander haben.
Wir haben massive Probleme in Gesprächstermine zu gehen, ohne zu wissen worum genau es konkret gehen wird. Was von dem, was wir sagen wollen und wichtig finden, gehört überhaupt in diesen Termin? Was genau sollen wir leisten? Müssen wir große Entscheidungen treffen – und wenn ja – was sind die Kriterien, an denen wir uns dazu orientieren sollten/können/müssen?

Diese Probleme haben wir nicht erst seit gestern. Die haben wir schon seit immer – doch existenziell problematisch wurden sie erst, seit wir mit 15 zum ersten Mal vor einer Jugendamtssachbearbeiterin gesessen haben und ohne die Tragweite unserer Aussage überhaupt selbst umfassend verstehen und überblicken zu können, unserer Fremdunterbringung zustimmten.

Unser Gerichtstermin gestern, war die Folge unseres Anrufs dort, nachdem unsere Betreuerin auf unseren Zusammenbruch über das Ende unserer Sicherheit sagte, sie wüsste wie es uns jetzt ginge und anderen grenzüberschreitenden Bockkackscheißmist von sich gab, der uns in massive Zweifel brachte, ob sie überhaupt je verstanden hat, was wir ihr über unsere Geschichte, Trauma und Autismus als unsere zentralen Probleme gesagt hatten.
Was wir nicht wussten war, dass, wenn man in so einem Fall bei Gericht anruft und fragt, ob es Klärungsoptionen gibt, die man nutzen könnte, um weiterhin gut miteinander zu arbeiten, das automatisch als Beschwerde gilt und damit einen Betreuerwechsel einleitet.
Der Richter beantwortete unsere Unkenntnis dessen lapidar mit “Ja, manchmal sind Wissensdefizite hinderlich.”

Dass meine Erziehung und Therapie schon länger passiert war, fand ich in dem Moment auch hinderlich.
Denn statt ihn zu hauen oder anzuschreien, wie ich es gerne getan hätte, bekam ich den ersten Krampf im rechten Arm, Schreie im Kopf und einen Hyperarousel aus der Hölle.  Spätestens jetzt hätte NakNak* angefangen zu bellen und mich zu kratzen. Und alle Anwesenden hätten gemerkt, dass jetzt Stopp ist.
Dass jetzt schon der Moment ist, in dem nichts mehr geht. Weder lieb-Performance, noch brav-Tänzchen, noch konstruktiver Beitrag zum Thema.
Aber NakNak* war nicht da. Und ich habe es nicht gemerkt.
Ich dachte, ich müsste retten, was zu retten ist. Zusammenreißen, stark sein, nicht einknicken, dran bleiben, für mein Recht auf eine gesetzliche Vertretung, die angemessen ist, kämpfen, mich darum bemühen, verstanden zu werden, nicht aufgeben selbst zu verstehen – obwohl niemand merkt, dass ich nicht verstehe.

Ich traf eine Entscheidung von der ich nicht weiß, ob sie richtig war und auf Wegen, die sich mir nicht erschlossen, da ich noch längst nicht fertig war mit dem, was ich zu sagen hatte, war das Gespräch dennoch einfach plötzlich zu Ende.
Wir gingen raus auf den Flur, die Betreuerin wollte “schnell noch was mit uns besprechen” und ich hatte das Gefühl jeden Moment einen Schrei aus mir herauszukotzen, dessen Ursprung, Sinn und Ziel mir fremd war.

Für mich waren Zeit und Raum schon längst zerbrochen und lose an seinen Fäden aus dem Universum herunterbaumelnd, wie ein Sitz im Kettenkarussell. Und wenn man mich fragt, dann ist es genau das, wovor wir Angst haben, wenn wir Angst vor Kontrollverlusten haben.

Es ist Trauma 101.
Traumatische Erfahrungen sind deshalb traumatisch, weil das Gefühl für den Kontext (und sich selbst darin) verloren geht. Verstärkt wird es durch körperliche Versehrungen oder emotionale Not. Manchmal geht es auch darum, etwas zu erfahren, das niemand sonst erfährt bzw. das nicht alltäglich ist, was die Kontextualisierung erschwert.

Für uns hochtraumatisierte Person mit Problemen der Kommunikation und Interaktion, war dieser Termin von Anfang an einer, bei dem klar war, dass wir genau das (wieder)erleben werden. Und niemand hats gerafft. Niemand.
Ausnahmslos.

Wir wussten nichts vor diesem Termin über diesen Termin, außer, dass es um unsere Betreuungszukunft geht. Was alles bedeuten kann. Da wir noch keine gesetzliche Betreuung vor dieser hatten, haben wir noch nicht genug konkrete Erfahrungen auf die wir zurückgreifen konnten, um uns den Kontext zu erschließen.
Und da niemand verstanden hat, dass wir ein bisschen mehr brauchen als “kommen sie da mal hin, es ist ein wichtiger Termin”, haben wir auch nicht mehr bekommen – und natürlich auch nichts weiter gefordert.
Mehr Forderungen kosten mehr Kraft und davon haben wir seit einer Weile häufig gerade mal soviel, dass wir nicht vergessen zu essen, zu trinken, uns nicht das Leben zu nehmen.

Trotzdem lautet die Prämisse für alle und immer: Wenn sie was wollen/brauchen – fordern sie es ein.

Irrational sind sie. Solche Einladungen zu etwas, das in der Regel weder gemocht noch selbst gerne erfüllt wird.
Weshalb sie eben auch immer wieder an uns als Option herangetragen werden. “Soll sie halt was sagen, wenns ihr nicht passt – wer schweigt stimmt zu.”

Wer schweigt, weil zum Fordern keine Kraft da ist, hat in dieser Logik selbst schuld und damit die eigene Diskriminierung verursacht.
Muss ich jetzt noch einen Satz dazu schreiben wie unfassbar ignorant und abstoßend so eine Haltung ist?

“Keine Kraft” bedeutet in unserem Leben sowas wie: “Scheiße, ich hab mir die letzte saubere Hose vollgepisst, weil ich schon seit Stunden auf Küchenboden liege und nicht mehr hochkomme. Scheiße, ich muss Wäsche waschen. Scheiße, ich muss sie aufhängen. Scheiße, ich hab für morgen nur noch Klamotten, die zu groß sind, anzuziehen. Scheiße, ich hab so viel Gewicht verloren. Scheiße, ich muss mehr essen. Scheiße, hab ich heute überhaupt schon gegessen? Scheiße, hat der Hund gegessen? Scheiße, der Hund muss noch raus. Scheiße, ich bin so scheiße zu ihr. Scheiße, ich kann keinen Hundesitter engagieren. Scheiße, ich komme mit nichts hinterher. Scheiße, es ist so viel zu tun. Scheiße, ich bin so viel zu wenig vor all dem Viel.”, zu denken, währenddessen die Sonne untergehen zu sehen und zum x-ten Mal den Timer für irgendwas, was an diesem Tag zwingend dringend zu erledigen ist, zu bemerken.
Und. nicht. zu. können.
Nichts fordern zu können. Nichts sagen zu können. Und auch: nichts und niemanden um irgendetwas bitten zu können, weil irgendwann nicht einmal mehr klar ist, wo man überhaupt anfangen sollte. Was geht. Was man fordern könnte.
Was man mehr tun kann, als zu sagen: „Ich habe keine Kraft.“ oder „Ich kann nicht.“

Uns wird so lapidar hingerotzt, wir müssten einfach mehr Hilfe fordern, dass nicht gewertschätzt wird, wie viel es von uns abverlangt, wenn wir es tun. Wie viel Not dahinter ist, wenn wir das tun. Es wird übersehen, dass unsere Forderungen niemals und zu keinem Zeitpunkt so lapidar an andere Menschen herangetragen werden, wie es mit der Aufforderung dazu an uns passiert.
Man achtet zu wenig auf uns, wenn es um uns geht.
Und das ist uns gestern zum Verhängnis geworden.
Schon wieder.
Trotzdem wir mit dem Begleitermenschen da waren.

Die Betreuerin sagte etwas, ich stopfte mir den nächsten Schreiimpuls in den Hals und lief weg.
Ich erinnere mich daran, dass ich meine steinharte Hand mehrmals gegen Wandstücke schleuderte und daran, dass ich dem Begleitermensch etwas später sagte, dass ich deshalb ins Krankenhaus wollte. Tatsächlich hatte ich es ihm aber mit dem Talker vermittelt und auch danach noch einige Stunden nicht mit Lautsprache kommuniziert.

Wir hatten einen Krampfanfall, der übermäßig lange anhielt und waren auch lange danach nicht in der Lage zu re-interagieren.
Das Erste, was ich konsistent erinnere, ist die Wand des Krankenhausimmers, deren Oberfläche nach Kiwi schmeckte.

Ich erinnere Schwindel, Erschöpfung, den Wunsch nach Versorgung, die mir etwas von dem nimmt, worunter ich litt. Schmerzen, Scham, Selbsthass, Schuldgefühle, Wut, Ohnmacht, unerträgliche Mitgefühle für andere Menschen.
Nach einigen Stunden und zwei Röntgenaufnahmen des Arms, verließen der Begleitermensch und wir das Krankenhaus mit Schwindel, Erschöpfung, Schmerzen, Scham, Selbsthass, Wut, Ohnmacht und dem Gefühl, die eigene Not selbst verursacht zu haben.

Im Arztbrief steht der Begleitermensch als unser Betreuer.
Weil er weder Freund noch Passant war, wurde er eben der Betreuer für eine behinderte Frau, die weder zu sprechen noch Blickkontakt aufzunehmen hinkriegt und deshalb ganz sicher in einer betreuten Wohngruppe lebt.

Wenn wir allein ins Krankenhaus mit einem Krampfanfall eingeliefert wurden, dann wurde uns immer vermittelt, wir hätten uns nicht genug um Hilfe bemüht.
Nun waren wir Begleitung eines als helfend kategorisierten Menschen und entnehmen aus dem Brief, dass wir als jemand wahrgenommen wurden, di_er keine Hilfe mehr braucht, weil ja schon Hilfe da ist.

In “Die Soziologie der Behinderten” beschreibt Günther Cloerkes (unter anderem) wie so etwas passiert.
Es passiert aus Angst vor dem selbst gemachten und gelebten Tabu der Nonkonformität, die Behinderung und behindert sein bedeutet.
Wenn wir so sind – wann immer wir so viel Not durchleben und das nicht verstecken (können/wollen) – erschrecken wir Menschen, denn sie merken, wie wenig es braucht, um so wertlos/krank/ausgeliefert/leidend/bedürftig/* zu werden, wie sie uns gerade wahrnehmen und in was für eine prekäre Lage sie sich selbst mit allem, was sie in Bezug auf uns tun, manövrieren.
Es tröstet und entlastet, wenn man die Wurzel einer Behinderung in einem Menschen bzw. dessen Psyche oder Gehirn verorten kann. Es tröstet und entlastet, wenn man sich mit der Idee von einem “guten Platz für einen nicht so richtigen richtig normalen alle belastenden Menschen” ent.sorgen kann.

Was es mit uns macht, wenn wir diesen Menschen ihre Strategien immer wieder kaputt machen müssen, weil sie Bullshit oder nicht die Realität sind, bleibt dabei unbedacht.
Wie viel Kraft es uns kostet bei anderen (ablierten) Menschen das Unbehagen zu lösen, die Unsicherheit zu nehmen, zu versprechen, jederzeit alle möglichen Fragen zu klären und all diesen Extraservice zu stemmen, den es braucht, damit ablierte™ Menschen uns als “ganz normal” unter sich dulden – danach fragt niemand.
Daran denkt scheinbar auch niemand.
Und ja, ich finde das scheiße. Ich finde das richtig scheiße.

Und ich finde mich scheiße, weil ich das gerne könnte. Immer und für alle.
Kann ich aber nicht immer.
Weil ich eben doch eine Person bin, die ist, wie sie ist. Traumatisiert. Viele. Autistisch.

Und leidend.

Mal mehr mal weniger.
Mehr, wenn wir Tage wie gestern in eine Zeit, wie die der letzten Wochen und Monate integrieren müssen. Weniger, wenn wir genug Entlastung durch gute Hilfen haben, die an uns herangetragen werden, ohne dass wir bitten und betteln, fordern und kämpfen müssen, sondern, weil man versteht, was wir sagen.

Ich mag solche Jammerpostings nicht. Würde auch lieber einen kessen Spruch nach dem anderen bringen und zeigen, dass unser Leben nicht nur grau in schwarz in Not und Elend ist.
Aber manchmal ist es das.

Und dann wäre es schön zu spüren, dass das gesehen wird. Es wäre schön, sich damit nicht allein gelassen zu fühlen.
Es wäre schön gewesen, hätte man uns im Krankenhaus helfen können.
Es wäre schön gewesen, hätten wir an diesem Tag von vornherein jede Hilfe haben können, die wir gebraucht hätten.

Es hätte uns allen so viel erspart.