…bis zum Ende des ersten Tages

Inzwischen ist es Mittag. Und immer noch Samstag.
Wir laufen auf glänzendem Steinboden zur Gepäckausgabe auf dessen Laufband der kleine Koffer unserer Gemögten einsam seine letzte Runde dreht.

Der Gedanke, dass mein Magen und meine Gefühle in mir, etwa die gleiche Strecke zurückgelegt haben könnten, wie der Körper als Ganzes, streift mich und geht in einem unwirklichem Flimmergefühl unter.
In den Ohren knistert es und ganz schwach ist da die Erinnerung daran, dass die Trommelfelle nicht so heil sind, wie die anderer Menschen. Vielleicht sind sie etwas in der Fähigkeit zu schwingen eingeschränkt.

In der Halle laufen wir „unserem Menschen“ fast in die Arme.
Und plötzlich eine seltsame Stille. Was soll man jetzt sagen?
Ich habe mir keine Worte überlegt.
Wieso nicht?
Achja- da war ja diese Kleinigkeit des ersten Fliegens, die mich absorbiert hatte.

Der Mensch holt zwei Granatäpfel aus der Tasche.
Ich spüre, dass ich viel ehrfürchtiger oder vielleicht auf eine andere Art dankbar oder anerkennend vor dieser Geste stehen sollte. Meine Fühler sagen mir: „Das bedeutet etwas.“.
Und zwar etwas Anderes als: „Hier hast du eine Frucht von mir.“.

„Eigentlich“, so denke ich, als wir durch einen Abschnitt mit einer Baustelle zur Bahnhaltestelle des Flughafens laufen und ich diese fremde Frucht in den Händen wiege, „weiß ich doch schon so, ohne jede andere Bedeutung, die an diese Frucht geheftet ist, dass es viel zu viel ist. Der Mensch hat an uns gedacht, als der sie in den Händen hielt und sie mir geschenkt. Und jetzt habe ich sie hier und weiß nicht einmal was genau es ist.“.

Irgendwann zwischendrin sage ich zu meiner Gemögten, dass es eine Frucht ist, die komisch guckt.
Wie die Avocado, die mir Frau Shehadistan geschenkt hatte und der kleine Hokaidokürbis, der irgendwann mal von einer anderen Gemögten kam.
Solche Früchte liegen in der Regel vorwurfsvoll schauend im Supermarkt, weil wir sie nie mitnehmen. Meistens, weil schlicht nicht klar ist, was wir damit anfangen sollen.

Wir fahren mit Fahrkarten, die Billets heißen, in einem Zug der schön riecht und gemütlich ist.
Sprechen und lassen unsere Fühler der Reihe nach übereinander gleiten. Ich soll alles sagen und machen, „wie es mir wohl ist.“. Dabei weiß ich doch gerade nicht einmal so wirklich, ob ich überhaupt gerade bin.

Wie schräg die Möglichkeit des Schlafens ausschlagen zu müssen.
Es war die dritte Nacht, mit knapp 3 Stunden Schlaf drin, in Folge. Hätte ich mich hingelegt, wäre ich eingeschlafen und nicht wieder richtig wach geworden. Doch bereits am Nachmittag soll der erste Teil stattfinden.
Wir besprechen also das Mittagessen und schauen auf die schöne Landschaft zwischen Zürich und Brugg, der Stadt, in der wir übernachten und für das Filmprojekt drehen.
Wie schräg übers Essen zu sprechen, Essen auszuwählen, wenn der Magen noch Flügel hat und zwischen den im Wind flatternden Adern unter der Haut, Schweinebammel macht.
Wie schräg durch eine Stadt zu laufen, die fast auch Gütersloh oder Minden sein könnte.
Wie schräg, dass hier keine Einhörner auf der Straße herumlaufen und ihre güldenen Hufe auf den Bonbonboden klicken lassen!

Mit vollen Bäuchen und einem groben Ablaufplan landen wir in unserem Hotelzimmer mit Blick aus den Eisiplatz. Es ist nicht das erste i am Ende eines Wortes, das uns für die nächste Zeit vor Lachkichergiggel die Gesichtsmuskeln und ach überhaupt alles entspannt.

Wir reden lauter Quatsch und stöhnen uns unsere Müdigkeiten vor, als wir nebeneinander auf den Betten liegen und die eisbecherförmigen Wandlampen angucken.
Meine Gemögte sieht aus, als wenn sie jeden Moment einschläft. Das darf sie aber nicht.

Einschlafen, das wäre jetzt wie weggehen.
Nach vorn machen wir Quatsch, aber nach hinten ist wachsende Fassungslosigkeit, dass sie immer noch da ist. Immer noch nicht die Schnauze voll hat von uns, von dem was wir sagen und machen, was das ganze Ding hier ist.
Es ist ein Spannungsfeld sie beim Dösen zu stören, weil es die Kinderinnens beunruhigt, obwohl es die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie wirklich von uns genervt ist und uns dann verlässt.

Um 14 Uhr 30 klopft es an der Tür und wir beginnen mit dem ersten Teil.
Es ist eine erst aufgeregte Atmosphäre, die sich aber nach und nach lockert. Das was ich sage, habe ich so oder so ähnlich schon vor vielen TherapeutInnen gesagt, im Blog geschrieben und sonst wie abgebildet. Alles was stört, ist die Müdigkeit und nach 2 Stunden ist der Kopfofen auch völlig aus.

Es ist okay. „Alles, wie es mir wohl ist.“.
Und an der Stelle merke ich ganz deutlich, dass es mir wohler ist, die letzten beiden großen Fragen auf ein Morgen nach viel Schlaf zu verlegen.
Später sagt mir meine Gemögte, die hinter uns saß, dass meine Konzentration spürbar war und es wie ein Energiestaubsauger gewirkt hatte. Ich glaube ihr das. Irgendwo in mir hatte sich auch etwas an alles und jeden in der Umgebung geheftet, um Kraft in meine Worte zu leiten, ohne welche von Innen abzweigen zu müssen.

P1010015Kurz nach 17 Uhr laufen wir durch die Altstadt von Brugg.
Die Aare ist der größte Nebenfluss des Rheins und wir stehen fast direkt daneben. Im Sommer, so denke ich, kann man hier bestimmt schön sitzen. Vielleicht angeln, schnulzige Gedichte schreiben und Leben essen.
Es rauscht schön, dieses schwarz goldene Strömen.

Dann gehen wir wieder ins Hotel und ziehen uns die Schuhe aus. Uffzen uns auf die Betten und atmen für eine Weile vor uns hin.
Ein bisschen Quatsch machen wir auch.
Ich merke, dass meine Ohren nicht mehr knistern.

Als unser Mensch mit bestelltem Abendessen zu uns kommt und wir im Bett (!) sitzend essen, hat es fast etwas von einem Hanni und Nanni- Mitternachtsfestessen.
Obwohl wir schon zur Seniorenzeit- also irgendwas um 21- 22 Uhr herum- in unsere Hüpfburgmatratzen hineinsinken und von Kirchengeläut begleitet einschlafen.

Fortsetzung folgt

…ein Fenster voll Himmel neben sich…

„Oh, jetzt nimmt es aber Anlauf!“, merkt etwas im Innen an.
Wir waren eine kurze Zeit auf dem Rollfeld spazieren gefahren und nun beschleunigt die Maschine.

Es gibt viele lustige Gifs, in denen jemand die Hände ans Gesicht legt und sehr langgezogen tönt. Wenn ich nicht damit beschäftigt gewesen wäre, mich gegen den Druck in den Sitz zu wehren… wenn ich nicht eigentlich so dringend weg gewollt hätte… wenn ich nicht gerade auf dem Weg gewesen wäre, eine Zusage zu erfüllen… wenn mir nicht so schlecht gewesen wäre…
vielleicht hätte ich diese Gifs dann in beeindruckender Neuauflage nachgespielt.

Eine Ewigkeit lang fühle mich auseinanderklaffend und merke Kinderinnens in ihrem Schmerz genauso deutlich wie nach vorn stiebende BÄÄÄMs in all ihrer dunstenden Toxizität. Genau jetzt, bin ich zeitgleich bedürftig und gefährlich. Irgendwas zwischen Antikraft und hoffnungslos verloren.
Und irgendwo da verlassen wir die Troposphäre mit einem doch angenehmen Schwebegefühl im Bauch.

Die Sonne geht auf.
Wie Milchhaut liegt die Wolkendecke, die es am Boden hatte grau und trüb aussehen lassen, nun strahlend weiß und angeflockt unter uns.
Ungehindert ins Universum hineinschauend, versuche ich den Ohrenschmerz wegzuschlucken und bin doch froh über das kurze Stechen.
Schmerz ist das beste Antidissoziativum, das es gibt.
FlugzeuggetränkEine Gemögte neben einem allerdings auch.

Wir reden, lachen, schauen aus dem Fenster.
Ich denke kurz, dass ich den Menschen rechts neben mir bewundere. Nicht nur wegen der Fähigkeit ausgerechnet jetzt ein Flugzeugcroissant und ein Flugzeuggetränk aus einem Flugzeugbecher zu sich zu nehmen. Ist mir doch so schwummerig, dezent übel und das nur notdürftig unterdrückt, wenn der Mensch, der die Maschine steuert, uns ordentlich in der Waagerechten fliegen lässt.

Etwas entfernt taucht bereits nach einer halben Stunde schon das Stück Alpen auf, das nicht mit Wolken zugedeckt ist. In weniger als einer Stunde halb Deutschland überquert. Mindestens doppelt so schnell, wie die schnellste Zugfahrt, die wir je erlebt hatten.
Kurz flammt die Angst wieder auf, doch dann fängt das Flugzeug an Kurven zu fliegen und ich darf mich wieder mit Ohrenschmerzen und Übelkeiten ablenken. Ist wohl der Specialbonus für Erstfliegende, neben dem Gefühl, dass jetzt auch gleich Gollum um die Ecke kommen könnte, um eine mit uns zu rauchen.

Das Fenster voll Himmel neben mir, füllt sich rasch mit Wolken und Dunkelheit, als wir in Zürich landen.
In der Schweiz.
Wir sind da. So einfach ging das.

Wir bleiben sitzen, bis die ersten Menschen weg sind. Laufen zum Ausgang und lächeln die FlugbegleiterInnen zum Abschied an.
Jetzt heißt es hoffen, dass wir den Menschen wiedererkennen, mit dem wir hier verabredet sind.

Fortsetzung folgt

geguckt

Sie stehen vor dem hellgrauen Gebäude und schauen in den Himmel.
„Hümm, also das ja mal ne Nebelsuppe, die heut zu uns serviert is, ne?“, sie dreht sich halb nach innen. Versichert sich mit dem blinden Auge. „Das ist nich so gut zum Fotos machen. Dann sieht das aus wie ne Fischfabrik und nich wie ein Erwachsenenhogwarts.“.
Unter ihrem Gesicht arbeitet es in Richtung Enttäuschungsflunsch.

„Du kannst alles fotografieren, was du willst. Das ist deine Stadtführung, mein Herz.“.
Sie atmet ein und lässt meine Federn wieder los.

„Ist gar keiner da der sagt: „Pfoten weg“. Das ist schön.“, sie schaut sich um, lässt ihre wurzelfeinen Antennen wie Schneckenfühler aus ihrer Stirn wachsen und tastet das Umsieherum ab.
„Hab ja ehwieso gar keine Pfoten, ne? Ich bin ein Mensch mit Händen mit 8 Fingern und 2 Daumen… ne?“, noch ein kurzes Versichern zu mir. Ich nicke bestätigend: „Ja mein Herz, du bist ein Mensch.“ und hoffe, dass unser Gespräch noch ein Stück tiefer als bis hier hin sickert.

Diese Fläche hier ist vergleichsweise tot.
Es gibt Beton, Gras, eine hier offenbar obligatorische Baustelle, ein bisschen umher fliegender Müll und Herbstlaub.
Sie hat Recht. Ohne die Sonne, die gestern so schön schien, kann man die Universität, in der wir in den nächsten Tagen noch öfter sein werden, nicht ins rechte Licht rücken.

„Guck maaaal!“

BielefelderFeder2
Sie macht ein paar Aufnahmen, hält den Finger fest auf dem Auslöser, hat den Mund offen.
Behält die Pfoten bei sich.
Niemals würde sie die Objekte anfassen.

„Eigentlich will ichs ja wieso nicht anfassen. Ist schön so…“.
Ich nehme sie zwischen meine Federn um sie zu beruhigen. Sie hält sich fest, pulst flirrend.

Wir schweigen. Gehen weiter.
Irgendwann ist es kurz vor 16 Uhr. Wir müssen rein, wenn wir etwas lernen wollen.

Stellung halten

Ein Korsett von 18 hundertirgendwann
Ich musste daran denken, als ich heute morgen aufwachte.
Nach langer Zeit des Korsetttragens, auf diese damals modische Art, verkümmert die Muskulatur im Rücken, die den Oberkörper stützt.
Haltung war wichtig.
Weniger der Halt an sich

Über die Haltung wird Position bezogen. Die Position definiert wiederum die Stellung.
Eine Stellung zu halten, wird so zu dem, was später wichtig ist. Wofür auch immer.

„Halt die Stellung“ heißt für mich soviel wie: „Geh nicht weg. Bleib und erfülle deine Aufgabe. Steh dazu.“.
Imperativ. Ein Befehl.
(Fahnen-) Flucht hat Konsequenzen. Tödliche vielleicht. Das kann man nie wissen.

Aus meinem Steinchenkrampfimpuls ist ein spürbares Korsett geworden, das meinen gesamten Rumpf bis ins Hüftgelenk hinunter umfasst und zudrückt.
Normalerweise atme ich nach hinten- auf meinen Rücken bzw. das Stückchen zwischen meinen Schulterblättern zu.
Da ist alles drauf. Da ist meine Haltung, da ist meine Verantwortung, da ist meine Schuld. Da ist, was mir Grund zum Stellung halten gibt.

P1010325Jetzt muss ich an einem Kloß im Rachen, durch einen Ring im unteren Hals in ein Niemandsland hineinatmen. Als wären meine Stachel nach innen gerichtet und könnten die mit Luft gefüllten Blasen, die ich mir zaghaft hineinatme, platzen.
Ich muss nach vorn atmen und das tut mir mehr weh, als jedes übliche Schmerzen im Hinten, das mich meiner Haltung versichert.

Vorn, da ist es so schnell auf. Da perlt es, brennt es unter Berührung; ist es weich und Kaltes liegt manchmal ganz nah an Warmem.
In meiner Vorstellung ist mein Vorne eine Art mit Haut und Fett bespannter Ballon, der nur einen Faden breit vom Hinten getrennt ist.
Ein Kinderinnen hat mal gesagt, es habe Angst, dass ihm der Bauch herausfällt. Das konnte ich gut verstehen und nahm es in mein Hinten.

Ich muss mich bewegen, um weicher zu werden.
Aber die Muskeln, die mein Vorne halten, sind verkümmert.

Es kommt mir vor, als sei meine Haltung irgendwie doch nichts weiter, als ein hohles Gerüst, das ich mir anlegte, weil es nötig war und jetzt anlegen muss, weil beim Tragen etwas verkümmerte, das mir weh tut, wenn ich versuche es abzulegen.

Es ist eine Art organischer Käfig, dessen ich mir bewusst und bewusster werde.
Und ich bekomme Angst davor, ihn zu verlieren. Vielleicht eine Art Angst davor, alles Verkümmerte zu spüren und nicht zu wissen, wie ich ohne Stellung halten soll.
So bin ich doch auch gerade dankbar für den Schmerz und auch die erschwerten Bedingungen in Bewegung zu kommen.

Es tut weh, also bin ich.
Ich bin, also bin ich da.
Bin ich da, halte ich die Stellung.
Ich übernehme Verantwortung und trage meine Schuld.

So hat niemand Grund mich einzusperren.

named

benannt2Es gibt Dinge, über die mache ich mir erst Gedanken, wenn so etwas wie vor ein paar Tagen passiert.
Wir liefen mit unserer Gemögten durch den Wald und irgendwo in unserem Gespräch mischte sich ein anderes Innen hinein.
Das ist etwas, das oft passiert und in der Regel ist das für mein Gegenüber nicht so zu spüren. Wir erwachsenen Innens, die viel Alltag leben, sind nicht so wahnsinnig unterschiedlich nach Außen bis auf Kleinigkeiten, die erst dann zum Merkmal für „Oh- das ist jetzt aber jemand anders“ werden, wenn jemand von unserem Viele-sein weiß.

Wir kennen diese Gemögte jetzt seit ungefähr 3 Jahren. Dass wir ein Mensch mit „Wir- Gefühl“ sind, haben wir ihr nach einem dreiviertel Jahr erzählt. Wie das alles so ist, haben wir ihr mit Bücherbergen und Wortgebirgen erklärt und den Rest einfach miteinander gelebt.

Als wir im Wald standen, fragte sie das Innen an der Front, ob es ihr ihren Namen sagen könne und ja, das hat mich geplättet.
Das ist eine Art Interesse, das so tief geht, dass ich nicht sicher bin, ob klar ist, wie tief. Was diese Frage mit Offenheit zu tun hat und nicht zuletzt einer Art gelebter Unlogik, die einerseits ein Selbstgefühl stärkt, andererseits die Funktionsweise der Einigkeit von Namen für Menschen ad absurdum führt.

Menschen werden geboren und es wird ein Name vergeben.
Das ist so, weil darum.
Anstatt weiterhin zu warten, welche Eigenschaften die kleinen Menschen entwickeln und sie anhand dessen zu benennen, wie es lange Zeit in Europa noch Normalität war (Stichwort: Kindersterblichkeit), gab es irgendwann einen Umschwung zur Namensvergabepraxis. Ob es daran lag, das auch kleinen Menschen eine Seele und ein Selbst zugestanden wurde, das benannt werden wollte oder, ob es einfach so war, dass es üblicher wurde, wenn ein Kind das 5te Lebensjahr erreichte, weiß ich nicht.
Trotzdem finde ich den Ansatz, den Namen nach den Fähigkeiten oder auch Eigenschaften des Menschen auszusuchen, an sich clever.

So in etwa, habe ich auch meine erste innere Landkarte gestaltet. Ich wusste nicht, wie sich die Innens selbst benennen und hatte nur die Beschreibungen von Außen. So gab ich ihnen Namen, um in der Therapie über sie sprechen können und so wiederum irgendwann auch mit ihnen sprechen zu können.

So wurde mein eigenschaftsbezogener Name für sie zum Werkzeug, mich an ihr Sein, das einen anderen Namen hat, anzunähern.

Im Therapieverlauf habe ich dann die Namen ergänzt bis irgendwann so ein Punkt war, an dem klar wurde, wie privat die Namen der Innens sind und was für eine Nähe mit dieser Privatheit einhergeht.
Ich muss niemandem besonders nah sein, um zu sagen, dass ich Hannah heiße. Es gibt aber auch Innens die sich schutzlos und vielleicht auch wie enttarnt fühlen, wenn sie benannt werden.
Das war für mich ein Moment, in dem mir auch ein Stück weit klar wurde, was damit gemeint ist, wenn es heißt: „Du bist dazu da, andere Innens zu schützen.“. Ich bin nicht nur dazu da, Teile des Lebens für sie zu leben, die sie überfordern, ängstigen oder für die sie einfach nicht gemacht sind, sondern eben auch, um einen Abstand zu anderen Menschen zu generieren.
Was sich hier gezielt „gemacht“ anhört ist etwas, das sich einfach so entwickelt hat, weil es nötig war. Das ist, was sich hinter dem Begriff „struktureller Dissoziation“ befindet. Es ist nicht: „Wir bringen mal System (Funktion nach Schema) in dieses wirre Dissoziieren“, sondern: „Oh- da ist Struktur im scheinbar wirren Dissoziieren“.
Auch im Hinblick darauf, dass es Menschen gibt, die trotz Bewusstsein um Trauma und die Folgen- vielleicht auch Wissen um Dissoziation und ihr Spektrum-  von außen versuchen „Ordnung reinzubringen“, ist es vielleicht sinnig nochmal zu sagen, dass die Namen, die dort hin- und hergeschoben werden; eingeordnet und sortiert werden, ein „jemand“ sind, das einfach -ist-.
Die Ordnung ist schon da- sie muss nicht reingebracht werden. Sie muss nur verstanden werden.

Das ist die Übergriffigkeit, die für mein Gefühl viele Menschen nicht auf dem Schirm haben, wenn sie so etwas sagen wie: „Ja dann sag dem Innen doch, dass es dies und das nicht mehr machen soll“ oder (Bullshitbingo:) „Dann macht das doch so: der macht das, der macht das und der macht das…“.

Da beginnt der Bereich der gelebten Unlogik, den ich eingangs erwähnte.
Wir sind alle Eine- doch jede/r/s von uns ist Eine/r/s.

Ich habe nie darüber nachgedacht, warum ich auf den Körpernamen reagiere- für mich, vor mir selbst, aber Hannah heiße. Ich weiß nicht, woher ich immer genau wusste, dass mein Name etwas ist, das nur meins ganz allein ist. Heute weiß ich, dass ich in einem Moment „geboren“ wurde, in dem „ich“ eben nicht -war-. Weder Name, noch Identität; in meinem Fall eben nur noch Eigenschaft mit Kompatibilitätsoption nach außen.
Es gibt Innens bei denen nicht einmal mehr das da war.
[Von außen wird das gern als der Moment der Selbst- entfernung/trennung (Dissoziation) bezeichnet- für uns ist dies allerdings ein Zustand- darum das „-war-“ und „-ist-„]

Sich selbst zu benennen ist eine Art der Aneignung seiner Selbst, die unfassbar viel sein kann, wenn eben das eigene Sein nach Außen so nicht mehr -ist-, vielleicht auch nie anerkannt oder auch gewahrt wird.
In der Hinsicht haben zum Beispiel auch Menschen mit Transidentität oder auch Intersexualität meine volle Solidarität, wenn sie sich für einen anderen Namen entscheiden. Es geht darum sich an sich selbst- sein eigenes Selbstsein  anzunähern- innerlich, wie äußerlich.
Es fällt mir nicht schwer zu sehen, dass eine „Maria“, deren Körper mit „Martin“ benannt wird, mit jeder Körpernamenserwähnung missachtet und ja, so auch gequält wird- also Gewalt erfährt.

Die innere Namensgebung fällt so auch in einen Bereich, der nach außen oft übersehen wird, wenn es um Gewaltleben und -überleben geht.
Gewalt ist all (selbst-) umfassend, doch etwas vom „Vorher“ (auch dann wenn selbst dieses „Vorher“ eines voller Gewalt ist) bleibt immer. Irgendetwas bleibt und entwickelt sich unter den gegebenen Umständen weiter.
So betrachte ich unsere Namensgebung im Innen als Fähigkeit zwischen innen und außen doch sehr wohl unterscheiden zu können- obwohl die Anpassung (bei manchen Innens bis zur Verschmelzung) immer wieder nötig war, um zu überleben.
So bildet die Selbstbezeichnung bereits eine Art Schutz vor Zerfall, denn benannt wird nichts, was nicht ist. Der Moment des Nichts-sein- des „nicht -seins-“ ist der, den es zu umgehen gilt.
Wenn etwas -ist-, kann es nicht -nicht sein- .

Übersehen wird manchmal, dass Aneignung etwas ist, das so lange funktioniert, wie Anzueignendes da ist und sei es eben jenes kleine -ist-, das noch ist, wenn sonst nichts mehr -ist-.

Ich denke nun ist erkennbar wie kostbar das ist, was unsere Namen bezeichnen?

Für das Miteinander mit dem Außen bedeutet das Folgendes:
Ich bin da, wie gesagt, nicht so. Ich finds schön, wenn Menschen mich mit „Hannah“ ansprechen und nicht mit „Körpername“ oder noch schlimmer „Frau Körperfamilienname“.
Ich kann das aber erst haben oder in der Folge logisch nachvollziehbar einfordern, wenn das Außen
a) weiß, dass ich als Einsmensch multipel bin, aber gerade als Einzelinnen – da bin-,
b) weiß, was das bedeutet
c) mir das glaubt
und d) wenn dann noch so viel Wertschätzung für mich/uns da ist, dass mir zugestanden wird, mich wohl zu fühlen, wenn ich angesprochen werde.

Manches Außen fragt vielleicht nun, ob es jedes Innen erkennen und mit „seinem/ihrem/deren Namen ansprechen muss.
Bei uns ist das nicht der Fall. Es gibt als gesamtinneren Konsens, dass der Körper(familien)name nicht passt und jeder Name besser ist, als dieser. So lassen sich auch viele andere Innens eben „Hannah“ oder eben wie hier im Blogkontext „Hannah Cecile“ oder nur „C(ecile)“ Rosenblatt nennen.
Da ist jeder Mensch (mit DIS) anders. Ich habe schon von Menschen mit DIS gehört, die von ihren Mitmenschen gewünscht haben, jeweils mit den „richtigen Namen“ angesprochen zu werden und von Menschen mit DIS, bei denen die Innens nicht so eine Aversion gegen den Körpernamen hatten und sich auch so nennen ließen.

Das Namensgefühl verändert sich auch.
Die Selbstbenennung schwankt bei mir auch mit dem inneren Beieinander.
So ist es dann manchmal so, dass ich in der Therapiestunde sitze und die Therapeutin mich fragt, mit wem sie gerade spricht. Manchmal fühle ich niemand anderen und antworte dann: „Hannah“ und manchmal fühle ich ganz deutlich- fast organisch mit mir zusammengeschmolzen ein anderes Innen und antworte: „Hannah und…“. Es gibt bei uns einige Innens die, nachdem sie auf Dauer verschmolzen waren, eine ganz andere Selbstbezeichnung für sich hatten.

Benannt wird immer, was ist- nicht was sein könnte oder sein soll, wie das eben im Außen passiert, wenn ein Neugeborenes direkt einen Namen zuschreibender Bedeutung bekommt.

In der Situation im Wald kippte das Innen auf die Frage weg.
Vermutlich genau über die Kante, über die ich stolperte und die mich bäuchlings vor die Füße unserer Gemögten fallen ließ.
Es war zu nah, obwohl als Frage an sich völlig in Ordnung und folgerichtig im Annäherungsprozess an uns als Vielheit.

Aber unsere Namen sind das, was wir uns ganz allein gemacht haben. Unsere Namen haben uns – jede/n/s für sich allein, -sein- lassen, als gar kein -Sein- mehr war.
Der Name ist das bisschen Selbst, welches alles im Innen benannte und über alles hinweg gerettet werden konnte. In unserem Fall, ohne bewusste Überlegung, sondern einfach so. Vielleicht, weil das etwas war, was noch ging. Trotz und wegen allem, was war und was eben nicht war.

Das wird eben nicht von allen mit allen geteilt.

named

vonbisSie hat sie gefragt, ob sie ihren Namen sagen kann.

Und ich, die sich durch das wabernde Ungreifbar kämpfte, stolperte und klatschte der Länge nach auf den Bauch. Sie hat uns noch nie nach unseren Namen gefragt.

Es ist nicht wichtig.
Außer vielleicht in der Therapie.
„Um dem Kind einen Namen zu geben“.

Ich lache

Fortsetzung folgt

ein Mensch sein?

Hast du vergessen, dass du ein Mensch bist?

Da ist dieser Moment, in dem es wieder hochwallt. Das Gefühl ein Es zu sein, ein „da mit Eigenschaft“ oder „eine Fähigkeit mit Kompatibilitätsoption“.
Keine Seele, kein Kürschnörkel, der in den Himmel lacht und Gräserspitzen unter seinen Fingerkuppen fühlt.

Dumpf und sprachlos, der Atem eine feine Linie nah über dem Boden und doch da. Es geht immer weiter gerade aus, in einem starren System, inmitten von Begrenzungen, die allein dem gelten, was schon längst zur fernen Idee einer Idee eines Wunsches zur Erfüllung eines dieser Kürschnörkelbedürfnisse verblasst ist.

Du darfst das

Irgendwann mal habe ich gelernt, warum sich Pupillen vergrößern und verkleinern. Lange dachte ich, dass es etwas damit zu tun hat, das Leben in seinen Kopf zu saugen. Das Licht in sich hineinzusaugen.
Es ist kein religiöses Denken, das Leben für das Licht zu halten.

Wenn es erst hell wird, wenn jemand kommt, um Wasser auf den Flächenbrand von Hunger und Durst zu schütten, dann wird das Leben zum Licht.

Wenn Schmerz sich lohnt, weil es hell wird, etwas bewirkt ist; man ein „da mit Fähigkeit“ wird und am Ende eine Art Rettung steht,
dann ist das Leben Licht.
Und kurz sogar Energie.

Du bist
am Leben

Vielleicht ist der Nebel, den ich die ganze Zeit mit herum trage und, der, wie mein Atmen, nah über den Boden wabert, die Antidichte zur Stille um mich gewesen.

Ich sehe sie da stehen. In der Mitte. Genau ausgerechnet mit dem unveränderlichen Maß ihrer Füße. Das Album von Britney Spears singend.
Bis sie zerdrückt war und ihre Scherben zu den Hürden wurden, über die andere hinwegrobbten, um an Wände, Widerstand und Grenzgefühl zu kommen.
Im Kino gibt es zu solchen Momenten epische Hintergrundmusik.

Den Momenten, in denen man vergessen hat, ein Mensch zu sein.

„Hab ichs geschafft?“ eine Luftblasenfrage.
„Ja, mein Herz, du und wir alle, haben es geschafft.“ ein einzelner Stein an dem sie zerplatzt.

Sperrkunst2

kleines Dings- großes Kino

Dass es ein Film sein könnte, fiel mir auf, als ich die Hände abwehrend vor mein Gesicht hielt und es spürbar besser wurde. Hinter dieser Händewand kann nichts sein, das mir das Gefühl macht einen viel zu kleinen Kopf zu haben.

PingPingPing Jäckpot! Sie haben ein Ticket in erster Reihe gewonnen. Gezeigt wird ihnen nichts- aber glauben sie mir- es wird sie überwältigen!

„Danke nein“, dachte ich, „Ich mache mir einen vorbildlichen Tee, atme nach Übungsschema, rede mir ein wahnsinnig groß zu sein. Vielleicht hänge ich mich ein bisschen aus dem Fenster und tue so, als ob der Blick direkt herunter, der Blick zu meinen Füßen sei. Ich kann echt nicht jeden Tag so verdissen.“.

Irgendwann später spürte ich, dass es mir plötzlich grundsätzlich wieder gut ging. Keine Schmerzen, kein Druck unter den Augen; Nase und Hals schleimfrei, vom Zahn nur ein sachter Restdruck.
Dafür ein Gedanke, der in seiner Mächtigkeit fast an eine Erinnerung herankommt und sich doch meinem Be-Greifen entwindet.

Ich brauche eine bessere Strategie. Vielleicht eine andere Schmerzmittelversorgung. Vielleicht muss meine Gemögte doch ein bisschen hier schlafen.
Vielleicht kriege ich mich auch endlich einfach mal ein, verdammt Axt.

Es ist doch nur ein winzig kleiner Zahn. So ein klitzekleines Gnupsdings aus „hart“ mit Autschn drin, das sich hier aufführt wie Käpt’n Iglo auf Landgang.

Schmerzkunst2Ich kann mich so schwer konzentrieren und pendle zwischen dissen, schlafen, geikeln und Wörter auf die Blogmaske schmeißen. Zwischendurch das sabbertriefende Ententier von NakNak* vom Bein pflücken und zum Spielen benutzen. Tee kochen, kalt werden lassen, einen Schluck trinken und den Nächsten aufsetzen. Den Abwasch betrachten und froh sein, dass kein Sommer ist. Den Kakaobecher eines Kinderinnens umstoßen, Angst haben und darüber nachdenken, was schlimmer ist: Die Umweltzerstörung durch dieses hübsche Küchenpapiergeschenk oder der Angstpuls, der durch den Kiefer jagt und den Hals wieder verengt.

Hallooohooo Filmfestival
Gucken, ob
die Sommers schon einen weiteren Film geschafft haben.
Gute Gedanken hinschicken. Schadet ja nie und wo man schon mal dabei, ist gleich noch überall da hin, wo es gerade aus unterschiedlichsten Gründen eventuell noch ängstlich, traurig, schmerzerfüllt pochen könnte.

Der Wecker klingelt.
Erlaubnis für eine weitere Schmerztablette und die Hoffnung auf ein Zeitfenster, in dem Schlaf gehen könnte.

Das mit dem Kriegen und Einkriegen dann, wenn die Wirkung wieder nachlässt.

Tag mit Zahnschmerzen

Plätschern„Ich glaub, die Kariusse und Baktusse graben einen Tunnel aus ihrem Zahnhaus raus.“, sie sitzt im Schlafanzug in der Höhle, streichelt NakNak* über den Kopf und spricht ins Telefon.
Sie erzählt der Gemögten die Geschichte von dem Bullergeddo, das Karius und Baktus, wie dereinst die Siedler von Catan, in unserem Mund errichtet haben. „Mit Spielplätzen und Gärten, wo Gemüse wächst für die ganzen Kinder auch noch!“.

Übertreiben kann sie. Ihre Vermeidungstänze sind immer so besonders kreativ aufgebläht. Haarscharf an der Grenze zwischen ehrlich und tonnenschwer aufgelockert weg, von dem was ist.

Zahnschmerz ist ein Schmerz am Kopfinneren. Einer, der nicht von Schonhaltung oder Anpassungsverhalten weggeht.
Das ist ein Schmerz, der uns mit Leichtigkeit in Ohnmachtsgefühle schmeißt und dort auch hält, bis er weg ist.
Aber Ideen sähen und Welten pflücken kann sie noch.

„Konntet ihr ein bisschen schlafen letzte Nacht?“, fragt die Gemögte. Aus meiner Ecke, etwas von ihr entfernt, schaue ich die Kleine fragend an. Sie schüttelt mir den Kopf zu und sagt: „Ich weiß nicht genau.“.
Sie schweigen.

Im Dunkeln hocken Augen und Schreie, die rausquellen, wenn man sie zu lange anguckt.
NakNak*s Herzchen puckert unter der Hand der Kleinen.

Sie will raus. Stößt sich den Kopf. Hat vergessen, dass sie auf einem Auge blind ist. Taumelt kurz gegen den Schmerzschatten, fängt sich kurz vorm Fall und hopst auf einem Bein weiter. „Wie ein Clown“, denke ich. „Das soll so.“, sagt mir ihr ernster Blick.

„Wann geht ihr wieder zur Frau Doktor?“
– „Üüüühmmmmm ich glaub, ich weiß nicht genau aber vielleicht in 2 Stunden?“

Kurze komme ich mir vor wie einer dieser unförmigen Teletubbies, der ein qieksiges „OhOooh!“ in die Kamera quäkt, als mir klar wird, wie lange ich jetzt gerade schon nebenaußer mir herumschwebe, ohne etwas dagegen zu tun.
„Seid ihr schon angezogen?“
„Schon mit NakNak* unten gewesen?“
„Haben schon alle ihre Wachmacher gehabt?“
„Zähne geputzt, Haare gekämmt und Gesicht gewaschen?“

Jetzt prasseln ihre Fragen, überfordern die Kleine und ziehen an mir wie eine Angelschnur. Ich überlege, ob es sinnig ist zur Schmerzprüfung (harrharr) zur Zahnärztin zu gehen und mir vorher die Höchstdosis Ibuprofen in den Kopf zu schmeißen. Es ist erst morgens- der Tag wird sicher sehr lang… Mir fällt die Junkiedenke auf und ich schwanke schon wieder.

„Hey- äh- kannst du mir grad mal bitte sagen, dass ich auch wenn ich heute Abend noch richtig schlimme Schmerzen haben sollte, eine Möglichkeit habe irgendwas dagegen machen zu können?“
Sie sagts. Verspricht mit uns in die Notaufnahme zu fahren, wenn es gar nicht anders geht. Sagt, dass es okay ist. Sagt, dass ich okay bin.

Sagt, dass ich die Hufe schwingen muss, wenn ich nicht zu spät kommen will.
Wir verabschieden uns.
Verabreden uns für den späten Abend.

Ich springe von einem Punkt zum Nächsten. Bin so bewusst wie möglich, bei dem was ich tue. Keine Schmerzen. Nur Handlung. Nicht ohnmächtig.

14 Stunden später bin ich ein Schemen im Schatten der Höhle, der Fetzen des Gesprächs hört und sich fragt, wie der Tag nun abgelaufen ist.
Dieser Ende- Oktober- Tag mit Zahnschmerzen.

mit Stein zur Zahnärztin

P1010475Ich war gerade hier in dieser Stadt gelandet, da lernte ich meine Zahnärztin kennen.
Eine der ersten Fragen von ihr war, obs denn nicht wahnsinnig weh täte.
Fast 3 Jahre konnte ich das immer verneinen und ließ sie ohne Betäubungen an und in meinem Kiefer herummachen.

Bis ich ihr dann einmal halb vom Stuhl springen musste, weil ich etwas spürte. Und wie!
Warum auch immer griff die Dissoziation von Schmerz plötzlich nicht mehr und sie durfte mir fortan jedes Mal eine ihrer „zärtlichen Betäubungen“ setzen. Sie sagt wirklich „zärtliche Betäubungen“ und das ist auch richtig gesagt. Ich habe den Einstich noch nie gespürt.

Mein Zahnstatus ist unterirdisch. Das weiß ich genauso, wie sie.
Ich habe kein Zahnarztbonusheft und auch nicht die Ernährungs- und Zahnreinigungsweise, die zu Zahngesundheit beitragen könnte. Niemand kann erwarten mehr Zahn als Loch im Mund zu haben, wenn mehr als 13 Jahre lang Essstörungen, Fremdkörperaversionen und Armut herrschen.

Lange kam ich mir in der Zahnarztpraxis wie eine Patientin letzter Klasse vor, weil ich sogar für kleinste Zuzahlungen um Raten bitten musste. Meine Zahnärztin verwendet kein Amalgam und das finde ich gut.
Mein Geldbeutel hingegen ächzt schwer auf- vor allem, weil nicht nur eine Füllung gebraucht wird, sondern bereits seit Jahren mehrere.
Ich komme zu ihr, wenn ich Schmerzen oder Geld habe. Vorsorge und sonstiger Schnickschnack ist fern ab.

Mir gefällt es bei ihr eigentlich ganz gut.
Dort arbeiten nur Frauen und es angenehm kühl, was mir hilft nicht ins Dissoziieren zu rutschen, wenn sie etwas Schwieriges macht. Außerdem hat sie Kunst mit Donald Duck in den Räumen und seit einigen Jahren eine Hipsterbrille auf der Nase.

Allerdings hat sie einen Liegestuhl und macht manchmal doch Dinge, die weh tun oder so gruselig sind, dass ich schon mal vorsorglich Schmerzen spüre.

Alles das verbindet sie mit Geschwindigkeit und einer Art wenig Worte zu verschwenden. Wenn sie spricht, muss ich keine Füllwörter oder Wiederholungen herausfiltern und wenn sie Untersuchungen macht, macht sie nur die Nötigsten. Einmal Karies dauert nur wenige Minuten und die meiste Zeit davon beansprucht die Betäubung.

Heute war ich wegen meiner vor Monaten verlorenen Wurzelfüllung und Druck im Zahn daneben da.
Wir haben ein reiches Jahr 2013 und ich konnte ihr das auch sagen. Sie freute sich für mich und meine Müdigkeit trat noch mehr in den Hintergrund.
Es machte mir nicht mehr viel aus zu hören, dass der Kurs nun lautet „Wurzelbehandlung und neue Füllungen in beiden Zähnen“. Aber das kurze Ziepen dazu hatte gereicht, um mich aus meiner Imaginationsübung zu reißen und eine andere Bildabfolge vor Augen zu haben.

„Sich einkriegen“ ist das Eine.
„Sich überhaupt erst mal zu kriegen“ (es sind flatternde Rosenblätter von denen ich spreche) eine Andere.

Ich machte ein Zeichen und sie stoppte. Ich bat um etwas zum Festhalten und sie bot ihre Hand an.
Eines dieser komischen Spucktücher hätte ich auch genommen.
Ihre Menschenhand…
Die fasse ich nicht einfach so an.
Ob sie dann einfach meine genommen hatte oder nicht, weiß ich nicht mehr. Ich war dabei mich zu entschuldigen und zu versuchen mein Innenleben und meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, als ich bemerkte, dass ich den Handschuh um ihre Hand spürte.

Meine Zahnärztin ist klein und präzise. Sie wirkt technisch und sachlich.
So deplatziert mein Fastwegdriften wirken kann, so seltsam wirkte es auf mich, dass sie plötzlich so Sachen sagte wie: „Ist ja jetzt vorbei.“ und mich in meine Sicherungsketten aus: „ich bin groß, ich bin stark, ich kann das, ich will das, ich mach das jetzt“ brachte.
Es war dann auch schnell vorbei. Aber, ob das jetzt meinen wundertollen Reorierentierungskünsten lag, oder daran, dass sie mich damit total verwirrt hat, weiß ich nicht.

In den nächsten Wochen werden wir uns öfter sehen.
Vielleicht schaffen wir das Ziel von vor 10 Jahren ja doch irgendwann mal noch: „einmal alle Karies weg und dann ein Bonusheft anfangen“.

Zum Festhalten nehme ich aber in Zukunft doch lieber wieder meinem Stein mit, den ich heute morgen vergessen hatte.