Lesung aus „aufgeschrieben“ und Austausch zu Gewalt, Strafe und Gerechtigkeit

 

Wir waren am 17. Oktober nach Wien eingeladen worden, um dort im schönen Café „Fett und Zucker“ aus unserem Buch „aufgeschrieben“ zu lesen und in einem Austausch über Gewalt und die Beziehungen zu Täter_innen zu sprechen.

Geworden ist daraus dann auch ein Austausch zu Ideen von Gerechtigkeit nach Gewalt, der begleitet von Kühlschränken, Geschirrspülern und anderen kompressorbetriebenen Gerätschaften, einen reichhaltigen Debattenbeitrag leisten kann.

 

shownotes:

 

 


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note on: der Polizei die Bilder der eigenen Gewalterfahrung zugänglich machen?

Die Dokumentation von sexualisierter Gewalt am eigenen Körper, an der eigenen Seele, der Polizei übergeben, um in geschlossene Foren einzudringen und Mit.Täter_innen so ausfindig zu machen.
Das ist ein Vorschlag, den Ingo Fock, Vorsitzender von “ gegen Missbrauch e.V. ” kürzlich in einer Live-Diskussion mit der hessischen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann aufbrachte und auch in einem Interview im Infoportal Rituelle Gewalt besprach.
Im Folgenden möchte ich beschreiben, wie ich das sehe.

Grundsätzlich: Auch Menschen, deren Gewalterfahrungen gefilmt, fotografiert, schriftlich beschrieben oder sonst wie dokumentiert wurden, haben Persönlichkeitsrechte an dem Material. Schon deshalb ist die Verbreitung von solchen Medien ein weiterer Gewaltakt, der den Gewalterfahrenen angetan wird.
Für mich: Völlig unabhängig davon, wer sie dann zu sehen bekommt.

Es stellt mich bereits vor eine enorme Hürde damit umzugehen, dass sich in meiner Therapeutin unweigerlich Bilder von mir in diesem Körper, in der von mir geschilderten Situation, entwickeln. So funktionieren Gehirne und weder ich noch sie können etwas dagegen tun.
Was wir tun können ist, diese Bilder zu entfernen und als das nehmen, was sie sind: die Art, wie Gehirne Aufgenommenes (Erfahrenes) verarbeiten.
Das heißt: Wir können einen Umgang damit finden, dass es sie gibt und, dass sie verschwinden, sobald sie verarbeitet sind.

Genau das passiert mit Gewaltdokumentationen, die von Mit.Täter_innen und Konsument_innen sexualisiert und benutzt werden, nicht. Auch nicht, wenn die Polizei sich das Material angesehen hat und die_n Täter_in.nen gefunden und evtl. (!) verurteilt wurden.
Da stellt sich mir die Frage: Wozu sollte ich das Material, von dem ich weiß, dass es das von mir gibt und kursiert, zur Verfügung stellen, wenn es doch weiterhin existieren muss/soll (und also potenziell immer wieder angesehen werden kann)?

Viele Mit.Täter_innen benutzen solches Material nicht als Ersatz für tatsächliche Handlungen, sondern als Erinnerungsstück oder auch als Trophäe. In Bezug auf Tauschplattformen und Foren auch als Währung, als Statussymbol, als wirtschaftliche Anlage.

Das ist wichtig zu wissen: Es geht nicht um die Personen, die abgebildet sind.
Es geht um Besitz. Um Macht. Um die Mit.Täter_innen und um Verewigung.

In dem SternTV-Beitrag wird vorgeschlagen, computergeneriertes Material zu erstellen, um in geschlossene Foren, in denen Material getauscht wird, einzudringen.
Für mich ist das ehrlich gesagt blanker Zynismus und wieder ein Punkt, auf den ich als Aktivist_in zeige und sage: Auf genau so eine Idee kann nur kommen, wer sich nie mit den Gewaltüberlebenden, Gewalterfahrenen, Gewalthinterbliebenen, Gewaltausübenden und Konsument_innen von Gewaltdokumentation auseinandergesetzt hat.

Denn: den Ersteller_innen, den Täter_innen, den Konsument_innen, den Verbreiter_innen, den Wegbereiter_innen ist es egal, ob da eine Animation abläuft oder ein echter Mensch gequält wird.
Auch digital erstelltes Material, das Gewalt an Menschen darstellt, ist Material, das Gewalt an Menschen darstellt.
Es wird Konsument_innen finden. Einen Fetisch gibts für alles und ja, auch animierter Gewaltsex* gehört dazu.
Es verhindert nichts, nur weil es keine reale Szene zeigt. Die Szene wird durch den Film real und das ist, was zu verhindern ist.

Meiner Ansicht nach, ist es die Aufgabe der Polizei die Produktion und die Umstände, durch die diese möglich wird, sowie die Verbreitung solchen Materials zu verhindern. Für mich auch: egal, ob real oder digital animiert oder in Form von “so tun als ob” (zum Beispiel Material, das zeigt, wie Menschen Puppen, die Kindern nachempfunden sind, “sexualisiert misshandeln”).
Was die Polizei aber tatsächlich tut ist: ermitteln, wenn es bereits passiert ist.

Das ist ein altes Dilemma der Strafverfolgungsbehörden, das weiß ich – es ändert aber nichts daran, dass der Staat Deutschland sich einen, was die Straftatsprävention- und –intervention, die “Sicherheitsherstellung- und aufrechterhaltung” angeht, doch eher dysfunktionalen Apparat hält, um sich nach innen und außen zu sichern und zu schützen.

Hinzu kommt ein Aspekt den Herr Fock im Interview mit dem Infoportal Rituelle Gewalt aufbringt: Irgendwann sieht eine digitale Figur einem real existierendem Menschen sehr ähnlich – und was macht das für ein Fass auf? Und wer kommt für daraus entstehende Schäden und Schwierigkeiten auf?

Fock betont wie Wichtigkeit der Freiwilligkeit, wenn es um die Frage nach der Zurverfügungstellung des Materials von eigenen Gewalterfahrungen geht. Er sagt auch, bei den Ermittlungsbehörden brauche es eine Anlaufstelle für Menschen, die sich das vorstellen können oder darüber nachdenken oder auch: sich fragen, ob es Material von ihnen im Internet gibt.

Die Gedankenkreisel um genau diese Ungewissheit ob oder ob nicht irgendwas im Netz gelandet ist, kenne ich auch.
Heute bin ich jedoch an einem Punkt, an dem mir das die Weiterentwicklung und Aufarbeitung der Gewalterfahrungen nicht mehr erschwert oder verwehrt. Ich gehe pauschal davon aus, dass es Material von meinen Gewalterfahrungen im Internet gibt, einfach, weil es in den Kontexten, in denen definitiv welche produziert wurden, eine logische Verwertungsinstanz darstellt.

So sehr das Außenstehende vielleicht auch erschüttert: Mir hilft es heute zu wissen, dass es bei all dem nie um mich ging, sondern um diese Menschen und ihre Interessen. Es hat meinen Körper getroffen, aber das Ziel war und ist bis heute (mindestens im Welt- und Selbstbild der Mit.Täter_innen) etwas anderes.
Und genau das kann man Mit.Täter_innen und Konsument_innen meiner Ansicht nach nehmen.

Zum Beispiel, indem Material jeder Art gelöscht bzw. unzugänglich bis zur polizeilichen Bearbeitung gemacht wird oder, indem Forenbetreiber_innen zur Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden gezwungen werden können, sobald diese auch nur den begründeten Verdacht hat, dass es sich um eine Plattform zum Tausch von illegalem Material handelt.

Daneben aber auch, indem man Mit.Täter_innen mit den Überlebenden und Hinterbliebenen ihrer Tat.en konfrontiert.
In Konkreten natürlich nur, wenn diese dem auch zustimmen, im Allgemeinen jedoch mit einer verbesserten Präsenz von Gewalterfahrenen, –überlebenden, – hinterbliebenen in der Öffentlichkeit.

Vielen Menschen ist nicht klar, dass aus vielen Kindern im Wort “Kinderpornografie”, irgendwann Erwachsene werden bzw. geworden sind.
Genauso, wie manche von der Gewalt traumatisierte Menschen, sich immer wieder hilflos, ausgeliefert, misshandelt und gedemütigt wie ein Kind erleben, weil sie mit Flashbacks und anderen Traumafolgen umgehen müssen, so haben die Täter_innen ihre Opfer für immer als Opfer, als kindlichen Körper, als unterlegenes Objekt in Erinnerung, auf Band oder Fotopapier.

Und genauso wie es für Gewalterfahrene wichtig ist, sich als mündiges Subjekt, als selbstbestimmte erwachsene Person zu begreifen und erleben, um zu heilen, Abstand zu gewinnen, zu verarbeiten, halte ich es für wichtig auch Mit.Täter_innen diesem Realitätscheck zu unterziehen und ihr Material als etwas zu enttarnen, dessen Sinn und Zweck ganz allein in ihnen passiert.

Nicht, damit sie begreifen, was sie getan haben, sondern, dass sie es einem Jemand angetan haben. Einem Jemand, das heute erwachsen ist, wie sie es damals waren und heute sind.
Und damit sie begreifen, dass sie sich selbst mit etwas umgeben, dass nur deshalb ewig bleibt – ihnen “nicht genommen werden kann” – weil sie sich selbst nur in dieser Vergangenheitsform erleben können/wollen.
Und nicht, weil das, was sie ihren damaligen Opfern angetan haben, auf ewig so geblieben ist, wie sie es angerichtet haben.

Natürlich ist besonders Letzteres etwas, das wenig mit der Strafverfolgung zu tun hat oder damit, was man machen kann, um Foren und Plattformen aufzulösen. Ich glaube jedoch, dass es wichtig ist, solche Aspekte und Möglichkeiten nicht außer Acht zu lassen, denn sie formen die gesellschaftlichen Kontexte, in denen man über den strafrechtlichen Umgang mit solchen Straftatbeständen nachdenkt.

Einen Schritt in diese Richtung hat Ingo Fock mit seinem Beitrag geleistet.
Gewalterfahrene als Personen zu markieren, die Rechte an den Materialien haben, die sie jedoch selbst nicht einfordern können, ist eine neue Art auf die Problematik der Gewaltdokumentation zu schauen.

Es wird deutlich: für diese Herangehensweise gibt es keine Strukturen. Gäbe es Strukturen, ergäben sich neue Mittel und Wege, wie mit dem Problem, wie mit dem Umstand, dass diese Gewalt passiert, umgegangen werden kann. Es zeigt auf: an erwachsene ehemalige Opfer und ihre Rechtsansprüche über das Unrecht, das ihnen mit der dokumentierten Gewalt geschah, hinaus, hat man bisher noch nicht gedacht.

Wie denn auch, spricht man doch nachwievor überwiegend von Kindern, die zu Opfern werden, statt von Erwachsenen, die Kinder waren, als sie zu Opfern gemacht wurden.

was “Objektivität” mit Opferfeindlichkeit zu tun hat oder: Wovon die “false memory syndrome foundation” lebt

“Auch Jennifer Freyd hat ein wichtiges Buch zu diesem Thema geschrieben. Sie ist die Tochter der Eltern, welche die False Memory Syndrome Foundation gegründet haben, eine international sehr mächtige pressure group von angeblich zu Unrecht des Missbrauchs bezichtigten Eltern. Jennifer Freyd hat ihre Eltern nie öffentlich angeklagt. Die Eltern sind in die Offensive gegangen und haben eine Stiftung ins Leben gerufen, die ausschließlich mutmaßliche Täter verteidigt und mit sehr viel Geld eine pseudo-objektive, tatsächlich aber opfer-diffamierende Öffentlichkeitskampange finanziert.”
[aus “Wege der Traumabehandlung” v. Michaela Huber]

Im Blog von Paula und Co gibts heute einen Artikel zur FMSF, den ich wichtig finde, weil er sich an HelferInnen* und UnterstützerInnen* richtet, die sich mit der Frage befassen, ob denn wahr sein kann, was sie von Menschen erfahren, die von Gewalt berichten.

Es gibt wenig klar umrissene Punkte über die sich so offen (salonfähig, gesellschaftlich (heimlich) akzeptiert) opferfeindlich geäußert werden kann, wie mit der Frage nach der Wahrheit der Ereignisse, die jemanden offiziell zum Opfer erklären, denn Wahrheit, ist etwas, das zu definieren sehr schwer ist. Vor allem, weil sie etwas anderes als Fakten ist.

Die meisten Menschen, mit denen ich mich über rituelle und sexualisierte Gewalt unterhalten habe und, die selbst nicht diese Erfahrungen machen mussten, dachten, sie fragten sich: “Ist das denn wahr?”.
Sie würden diese Ereignisgewalten als wahrhaft anerkennen, wenn sie sie selbst (mit)erfahren hätten, oder wenn diese Ereignisse reproduzierbar wie Umstände wäre, die Fakten hervorbringen. Es sich also um etwas wie das Phänomen handelte, das Wasser zu Eis verwandelt, wenn man es in den Froster stellt.
Letzteres ist noch eine sehr junge Art Wahrheit zu betrachten und findet ihre Ursprünge darin, dass Wissenschaftler(Innen* –  es waren erst einmal nur Männer, was mit dem Patriarchat  in dem wir Menschen im Westen leben (bis heute!) zu tun hat ) als Personen gelten, die Wahrheiten erforschen und Glauben(sinhalte) widerlegen bzw. berichtigen. Darauf könne man sich verlassen, denn Wissenschaft sei objektiv.

Nun ist es aber so, das nichts objektiv ist. Objektiviert, ja. Objektifiziert, ja. Aber so etwas wie “die Objektivität” gibt es nicht. Kann es gar nicht geben, weil jeder Mensch auch Subjekt seiner eigenen Wahrheit, Ergebnis seiner eigenen Sozialisierung und gesellschaftlicher, wie auch kultureller Konvention ist.
RichterInnen* sprechen kein Recht, weil sie die Wahrheit objektiv erfasst haben, sondern weil es Gesetze gibt, für das, was die unparteilich richtende Person aus dem, was ihm die klagenden Parteien schildern, gemäß der eigenen Lebensrealität und daraus folgend: seiner eigenen Wahrheit, zu rezeptionieren fähig ist. Gleiches gilt für AnwältInnen* und nicht juristische FürsprecherInnen*.

Wenn ich mit Menschen über die Schilderung von Gewalt anderer Menschen spreche, dann sage ich, dass es sich immer und in jedem Fall um die Wahrheit der Menschen handelt und frage nach, ob sich die Frage nach der Wahrheit bzw. der Wahrhaftigkeit auf Fakten bezieht, oder darauf, vor etwas zu stehen, das nicht mit der eigenen Wahrheit (die sich aus einer bestimmten Lebensrealität speist) in Verbindung zu bringen ist.
Meistens sagen die Menschen dann, dass es tatsächlich mehr darum geht, dass für so furchtbare Ereignisse absolut kein Anknüpfungspunkt in der eigenen Lebensrealität gesehen wird und es deshalb schwierig ist, die Wahrheit anderer Menschen anzuerkennen.
Ich habe aber auch schon mit Menschen gesprochen, die nichts von eigenen Wahrheiten halten. Was für diese Menschen zählt ist “Objektivität”, was in aller Regel Fakten in Form von Studien- und Untersuchungsergebnissen meint und ganz eigentlich sogar nur eine Sicht meint: die es gut situierten, weißen, heterosexuellen Cis-Mannes (mittleren Alters), auf dessen Blick auf die Welt, sämtliche westliche Forschung aufbaut und aus dessen Wahrheit heraus sich die Mähr der Objektivität überhaupt erst hat entwickeln können.
Irgendwann ist es einfach passiert: aus der weißen männlichen Subjektivität, die mittels Wissenschaft hinterfragt und/oder bewertet werden sollte, wurde urmännliche Objektivität, die fortan zur Wahrheit im Gewand des Faktes auftreten sollte.

Es gibt diesen einen global blinden (obwohl heute oftmals schon einmal angeleuchteten) Fleck in der Wissenschaft und zwar Gewalt bzw. Diskriminierungen
Je kleiner und unfähiger zur Bildung einer allgemein wahrnehmbaren Masse, die zu untersuchende Gruppe ist, desto wahrscheinlicher wird diese nicht in den Genuss kommen, ihre Lebensrealität und die daraus entstehenden eigenen Wahrheiten in Form von Fakten abgebildet zu sehen.
So entstehen zum Beispiel gerade im Bereich der rituellen Gewalt, die mit explizit antichristlicher Ideologie durchzogen ist, einerseits Anerkennungsdynamiken in unserem christlich kultivierten Land, gleichzeitig aber genau auch nur daraus resultierende Blindheit für zum Beispiel christlich fundamentalistisch motivierte rituelle Gewalt, oder die Rezeption dieser Art Gewalt, als ein Angriff auf “die Grundwerte” Deutschlands. Da geht es in der Argumentation dann sehr schnell darum zum Beispiel satanistischen Kulten eine antidemokratische Haltung zuzusprechen, auch wenn solche Kulte sich selbst vorgeblich als lediglich antichristlich wahrnehmen und (zu recht) aufgrund der “Trennung” von Kirche und Staat in unserer Demokratie™ als nicht an staatliche (demokratische) Werte gebunden.

Das gleiche Muster ist in Bezug auf sexualisierte Gewalt (an Frauen und Kindern) zu finden.
Einerseits wird anerkannt, dass es Vergewaltigungen und Verletzungen von Personen aufgrund ihres Genitals und das daran geknüpfte soziale Geschlecht gibt- andererseits gebietet es die Abwertung dieses sozialen Geschlechtes “Frau” und der Adultismus, der sich auf Personen unter 14 ergießt, diese Verletzungen nicht selbst beurteilen zu können.
Die Definitionsmacht liegt in Bezug auf Personen, die als Frauen angesprochen werden darauf, das eine der Objektivität (und eben nicht dieser hysterischen Subjektivität) verpflichteten Person (am besten (cis-)männlich, mit Macht und Würde) diese physischen (genitalen) Verletzungen (etwas anderes zählt nicht, weil Psyche individuell und ergo nie mit 100%iger Sicherheit in objektive (wahrhaftige) Kategorien pressbar ist) als existent und ergo geschehen und ergo wahr markiert.
Bei Kindern ist es tendenziell jede Person, die erwachsen ist oder als erwachsen gelesen wird.

Gruppierungen wie die false memory syndrome foundation machen sich genau diese Diskriminierungsdynamiken zu eigen. Und zwar zum Einen, weil sie es (aus Gründen) wollen und zum Anderen, weil sie es können und zwar mit wenig Aufwand und unter Einbeziehung der gesamten westlichen Kultur, die die Wissenschaft als (einzigen) Wahrheitsträger, Wahrheitsfinder und Wahrheitsdefinierer anerkannt hat.
Interessenvertretungen wie die FMSF bilden keine pressure groups, weil sie basierend auf Fakten eine große Gruppe von Personen, die zu Unrecht angeklagt/ angezeigt werden darstellen [vgl. hierzu die polizeiliche Untersuchungskommission von New York, 1974 und die Untersuchungen zu Falschanzeigen von Vergewaltigungen in Deutschland von Volk, Hilgarth und Kolter 1979, die zu dem Schluss kommen, dass nur 2% falsche Anzeigen waren – ergo 98% aller Meldungen Anzeigen sexualisierter Gewalt tatsächlicher Taten sind], sondern, weil sie es schaffen die anzeigende Person nicht offen eine/n/* LügnerIn* zu nennen.

Das false memory syndrome wurde genau dazu erfunden, die Glaubwürdigkeit von Personen, die durch ihr soziales Geschlecht und/ oder ihre gesellschaftliche Position in ebendieser bereits als abhängig von der Definitionsmacht überlegener Personen stehen, herabsetzend darzustellen und zwar über das Mittel der Pathologisierung und/oder dem sehr wirksamen Mittel der Deutung und Bewertung der Kontexte, in denen sich diese abhängigen Personen befinden.
So wird vertreten, das Psychotherapie Misshandlungsideen kreiere und die PatientInnen zu krank/so kognitiv dissonant/ zu ungebildet/ zu verwirrt sind, diese vom eigenen Erleben (und ergo Erinnern) zu trennen oder zu (emotional) abhängig von ihren BehandlerInnen sind, um diese Ideen eben nicht offen von eigenem Erleben (und Erinnern) abzugrenzen.
Ich komme nicht umhin einen Puls durchs Dach und einmal um den Erdball kreisend zu haben, ob dieser Unverschämheit, sich über die Wahrnehmung (und das subjektive Selbst) von Personen zu stellen, die sich in psychotherapeutische Behandlung begeben, und dem Implizit, dass PsychotherapeutInnen sich gezielt, um anderen Menschen (die sie nicht einmal kennen oder von deren Leiden sie selbst in irgendeiner Form profitieren, außer in ihrer Fantasie- was aber auch ohne den Aufwand der PatientInnenmisshandlung funktionieren würde) zu schaden, die Mühe machen, ihren PatientInnen irgendwas einzureden.

Ich vertrete die steile These, dass Menschen, die tatsächlich zu krank/so kognitiv dissonant/zu verwirrt/zu ungebildet sind, um fremde Ideen nicht von sich selbst zu trennen sind, ebenfalls nicht in der Lage sind, das Unrecht an sich zu erkennen, eine juristische Vertretung für sich zu finden, Tathergänge zu schildern, Beweise zu liefern, Anzeigevernehmungen und Klageverfahren durchzustehen. Nicht alleine. Nicht ohne, dass noch eine unbeteiligte Person noch mal und noch mal auf die Beziehung in der Psychotherapie zu schauen wagt.
Vor allem an dieser Stelle zeigt sich die unterschiedliche Wahrnehmung von Vorgängen rund um Lebensrealitäten von diskriminierten Personen, die zu Opfern von Gewalt wurden.

Was für ein einfaches Leben muss jemand haben- wie viele Erfahrungen von “ich sage etwas- dann passiert auch etwas und in aller Regel genau das, was ich will”, eine Person gemacht haben muss, um zu dem Schluss zu kommen: “Es muss nur einziges Mal jemand sagen: “Ich wurde von XY misshandelt” und zack landet XY im Knast (und es hat genau die Auswirkungen, die dieses jemand wollte)” , kann ich mir nur aus der Ferne überlegen.

Einige Kritik an der FMSF wird meiner Ansicht nach auch fehladressiert.
Es ist natürlich zu kritisieren, dass diese Gruppe propagiert, Erinnerungen könnten produziert werden und es gäbe nicht so viele Fälle von sexualisierter Gewalt, wie immer und überall geschildert – andererseits gibt es auch für das öffentliche Bild keinerlei Entsprechung für das Gegenteil. Und es ist nun einmal das öffentliche Bild, welches die Subjekte produziert, die dann “objektiv” richten/werten sollen.

Natürlich taucht mit schöner Regelmäßigkeit eine Studie auf, die uns Alarme schlagen lässt. Selbstverständlich gibt es inzwischen neurophysiologische Belege für die Phänomene um Dissoziation, PTBS und komplexe wie chronische Traumatisierungen, aber welchen Effekt haben diese blitzblank objektivierten Ergebnisse auf die Lebensrealität der Menschen im Alltag?

Wenn ich mich als Opfer von Gewalt mit meiner Expertise als Opfer von Gewalt in Fachkreise einbringen will, gilt diese Expertise nicht. “Zu individuell” heißt es dann. “Wollen wir nicht, brauchen wir nicht. Nicht wissenschaftlich genug”.  Meine Gespräche mit HelferInnen*, JuristInnen*, RichterInnen*, BeraterInnen* und anderen Betroffenen gelten nicht etwa als fachliche Korrespondenz oder gar als Beratung.
Weil ich keine “objektive” Sicht habe, gilt sie nicht.
Sie gilt nur als Opferwahrheit und wird damit mehr oder weniger bewusst, abgewertet.

Als objektiv gilt, wer die Macht hat, seine subjektive Wahrnehmung um ein Objekt, als objektiv zu bezeichnen.

Deshalb ist auch der Anspruch an Menschen, die von anderen Menschen als FürsprecherInnen* oder BegleiterInnen* gewählt wurden, objektiv zu sein so falsch.
Dieser Anspruch zwingt MedizinerInnen*, JuristInnen*, (Psycho-) TherapeutInnen*, BeraterInnen*, Hebammen und überhaupt alle Menschen, die andere Menschen begleiten, in eine Position,in  der sie selbst unter Umständen, Menschen beistehen müssen, die sie aber selbst verachten, ablehnen, abwerten und von ihren zu Begleitenden nicht als verachtend, ablehnend, abwertend handelnd markieren können.

Objektivität ist also auch ein Wegbereiter in das silencing – ins Wort- und Stimmlos machen von Personen, die sich an Personen wenden, um durch ihre Stimme gehört zu werden, weil es die Abhängigkeit der Personen voneinander zementiert und immer wieder zu einem Schauspiel um (Definitions)Macht führt.

Personen, die Gruppen wie die FMSF unterstützen, begründen ihr Engagement damit, dass sie wollen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Dass niemand zu Unrecht einer Strafe zu geführt wird.
Das ist toll und etwas, was unser Rechtssystem und auch unsere Gesellschaft wünscht und ergo unterstützt. Zum Beispiel in dem man “False Memory Deutschland” eine Gemeinnützigkeit anerkennt, weil diese keine StraftäterInnen* unterstützt und/oder schützt.

Dass sie dieses aber auf dem Rücken von tausenden Personen, die es aufgrund der von dieser Gruppe verbreiteten Falschinformationen und Ausnutzung bestehender Diskriminierungsstrukturen, nie und nimmer nicht überhaupt jemals auch nur in die Nähe von Sichtbarkeit und Anerkennung ihrer Lebensrealität als zu Opfer von Gewalt gewordenen Menschen schaffen, ist verabscheuungswürdig und ein Skandal, wie er nur in Kulturen passieren kann, denen eben jene Lebensrealitäten mitsamt der damit einhergehenden Subjektivität wertlos sind.

Netztipp aktuell: Recht haben – Recht bekommen

 der zweite Berliner Menschenrechtstag ist bereits im Gange und kann live gestreamt werden

„Live übertragen wird vom Beginn der Veranstaltung (10:00 Uhr) bis zum Ende (16:15 Uhr). Von den Foren (ab 13:15 Uhr) wird Forum 1 „Ohne Diskriminierung zum Recht kommen: Diversity in der Justiz“ live übertragen.

Die vor Ort anwesenden Gebärdensprachdolmetscherinnen werden durchgängig im Video gezeigt.

An den Programmpunkten mit Publikumsbeteiligung können Sie sich per Chat beteiligen: ab 11:45 Uhr an der Diskussion mit dem Publikum sowie von 13:15-15:40 Uhr am Forum 1 „Ohne Diskriminierung zum Recht kommen: Diversity in der Justiz“, heißt es auf der Webseite des Menschenrechtsinstituts.

von Gewaltbetroffenheit, dem Traumabegriff und individueller Schlimmskala

Man wollte keine Differenzierung machen zwischen Gewaltbetroffenheit und Traumatisierung, weil man niemandem sein Leiden absprechen mag. Und soll.
Ich stand in meinem eigenen Workshop und und hatte knäulweise lose Fäden in der Hand.
Ich hatte nicht daran gedacht, dass mein Sprechen direkt ins Englische, Spanische und Russische übersetzt werden würde. Nicht daran, dass die Tür immer wieder auf zu und zu gehen würde. Dass mir mein Hund, als Assistenz inmitten des Inmitten einmal so wahnsinnig fehlen würde. Ich bin geschwommen wie ein Kind auf dem Weg zum Seepferdchen und hatte mir den Faden der Differenzierung aufgespart.

Gestern aber ging erneut die Nachricht einer Gewalttat auf dem Alexanderplatz in Berlin durchs Netz und ich hatte endlich klarer, worum es mir bei der Differenzierung geht.

Mehrmals hintereinander berichteten verschiedene Nachrichtenportale darüber, dass jemand jemanden erstochen habe.
Mehrmals hintereinander wurden Gewaltbetroffene produziert und Erfahrungswunden (Traumatisierungen) dabei unsichtbar gehalten.

Jede Polizeimeldung ist die Meldung von Gewaltbetroffenen und einer Tat.
Jede/r* BeobachterIn* der Situation, jedes medizinische und (notfall)psychologische Personal, der beschriebene Täter (und alle, die für ihn gehalten werden), das verstorbene Opfer und dessen Familie, Freunde, ArbeitskollegInnen* – alle Gewaltbetroffene.
Jeder Mensch, der diese Nachricht gelesen hat, wurde von der Gewalt mit einer Fingerspitze berührt.

Wer hat dabei Seele geblutet?
Die Verwundeten. Die Traumatisierten.

Die, die eben nicht nach Hause gehen; einmal sagen was war; unter der Dusche alles abspülen und am nächsten Tag weiter leben. Um eine Erfahrung erweitert, eine Rille in der Reizverarbeitung vertieft. Angedellt, geknickt, durchgeschüttelt- aber nicht aufgerissen, gebrochen, mit einem Loch in sich selbst.

Es gibt einen massiven Unterschied zwischen dem Erfahren von Gewalt und dem Traumatisiertwerden von Gewalt. Auf jeden Fall.
Was aber bedeutet das für uns* im Umgang mit Menschen, die von Gewalterfahrungen sprechen? Müssen wir da differenzieren? Wozu?
Um zu unterscheiden wer mehr leidet? Wen es am Schlimmsten getroffen hat? Wer jetzt was verlangen darf und gestattet bekommen muss? Wem wir wie viel Opferschaft zugestehen?

Ich habe einen sogenannten Twittertroll am Arsch, der mir genau das immer wieder aufdrücken mag. Immer wieder kommen da Tweets an mich heran, die immer wieder meine Aussagen gegen die Vorstellung des Menschen stellt, was ein Opfer so ist. Was es seiner Meinung nach darf und muss und sollte und könnte und was nicht, wenn es denn kein echtes Opfer (mehr) ist.
Der Mensch merkt nicht und reflektiert offensichtlich nicht einmal, dass er seine Schlimmskala an mich dran hält und mir seine aufdrücken will- was wiederum zwischenmenschliche Gewalt ist.

Es ist die gleiche zwischenmenschliche Gewalt, die passiert, wenn man sagt, ein Trauma sei viel schlimmer, als eine Gewalterfahrung.
Zum Einen, weil man dem Menschen abspricht seinen eigenen Zustand selbst bewerten zu können – das ist was in unserem Gesundheitssystem schon so eklig ist: Niemand ist krank oder leidend bis es ein/e MedizinerIn oder anders Behandelnde/r sagt – und zum Anderen, weil man sich mit jeder Bewertung selbst in eine Position bringt, die Macht beinhaltet (ergo Gewalt inne hat).

Inzwischen wurde viel geforscht, weshalb manche Menschen von ein und demselben Ereignis traumatisiert (erfahrungsverwundet an der Struktur des Selbst) werden und manche nicht.
Aber auch das ist letztlich irrelevant für den Umgang mit diesen Menschen. Nur weil jemand keine offene Wunde von einem Ereignis davon trug, sondern eine Beule, heißt es doch nicht, dass er weniger Schmerzen hat, weniger Schonung braucht, weniger Raum zur Verarbeitung.
So sehr Gewalt als Fakt unsere Gesellschaft auch dominiert, normiert und aufrechthält, so ist sie als Ereignis doch nicht alltäglich in der Form, als das sie die Leib-Seelen-Integrität massiv und direkt erschüttert und auch verletzt. Alle haben immer das Recht zu sagen: “Das und das, war für mich krass/schlimm/arg/erschütternd/belastend/verletzend/traumatisch” – wer sind die ZuhörerInnen*, dass sie Ihnen absprechen wollen, wie etwas für jemanden war?

Ich kann nicht sagen, dass ich selbst diese Haltung immer zu wahren schaffe. Erst neulich las ich einen Artikel über “das Ferientrauma” von jemandem in der Zeitung und wollte einmal drüberkotzen, weil mir der Traumabegriff verwässert erschien. Ich habe den Artikel nicht ganz gelesen. Ergo habe ich meine Wortwutkotze für mich behalten – was weiß ich denn, worum es in dem Artikel am Ende noch ging? Vielleicht ging es ja doch nicht nur um etwas, was ich mit meinem individuellen Erfahrungsschatz als Wohlstandsgenörgel bezeichne.
Wenn jemand zu mir kommt und mir sagt, dass er sich an einem Ferienort so arg abgeschnitten, eingeengt, fremdgesteuert und unfrei gefühlt hat, dass er dort nie wieder sein mag und es als traumatisierend empfunden hat, dann nehme ich das an. Punkt aus.
Ich bin nicht diejenige, die über seine Wunden, Dellen, Erfahrungsfolgen zu beworten hat. Was für ihn schlimm ist, ist für ihn schlimm, egal wie viele Kanister Erfahrungswundwasser Marke “schlimm” ich daneben stellen kann.

Von der Gewalt sind wir beide betroffen, sobald wir unsere Erfahrungen teilen.
An der Stelle hätte ich gern etwas mehr Aufmerksamkeit. Ich fühle mich oft für Menschen (mit)verantwortlich, sobald sie mich ins Vertrauen ziehen und von ihren Erfahrungen sprechen.
Erfahrungen sind, was uns Menschen formt und diese zu teilen und darüber Verbundenheit aufzubauen ist Teil dessen, was uns zu sozialen Wesen macht.
Deshalb spreche ich mich sehr dagegen aus, den Begriff der Gewaltbetroffenheit nur auf Tatanwesende zu verwenden. Das ist ein Mittel Gewalt als eingrenzbares Einzelschicksal und/oder Phänomen darzustellen und gesamtgesellschaftliche Verantwortung an jeder einzelnen Gewalttat unsichtbar zu machen.
Außerdem trägt diese Ausdrucks- und Sichtweise dazu bei, dass Erfahrungswunden durch Bystanding noch weiter ins Dunkel rücken- obwohl gerade ZeugInnen, BeobachterInnen (JournalistInnen zum Beispiel, aber auch LiveberichterstattungskonsumentInnen vor dem Fernseher zu Hause! ) und auch notfallpsychologisches Personal durch die (erzwungene) (körperliche) Passivität vor einer Gewaltszene, ein nicht  zu unterschätzendes Risiko haben, vom sinnlich Wahrgenommenen verwundet zu werden.

Ich mag es nicht, wenn Opferschaft limitiert wird und erst recht mag ich es nicht, wenn Opfer erst dann als Opfer gelten, wenn irgendjemand anders sie als solche markiert.
Opferschaft definiert sich allein durch Ohnmacht in einem Machtgefälle (einem (dualen) Gewaltkontext) und wo diese anfängt und wo aufhört, obliegt denen, die sie empfinden.
Für mich bedeutet das übrigens nicht, dass TäterInnen*schaft allein von Macht definiert wird bzw. von einer Aktivität, die in Form einer Tat sichtbar wird (und Wunden schlägt). Für mich wird TäterInnen*schaft davon definiert, dass eine Wahl getroffen werden kann über die Art der Tat bzw. Aktivität. Das sind zwei Dinge, die nicht immer zusammen auftreten und deshalb die Frage nach der TäterInnen*schaft bzw. auch die nach der TäterInnen*opferschaft und der OpfertäterInnen*schaft aufwerfen und das Thema der Gewaltbetroffenheit as a thing markiert.

Ich möchte mich dafür aussprechen von Traumatisierungen zu sprechen, wenn man es mit (Erfahrungs)Wunden und Leiden, an Leib, Seele und Geist (gleichzeitig) zu tun hat, die auch noch lange nach dem Ereignis schmerzen und/oder behindern und diese als übliche Dimension unter dem Begriff (Gewalt)Erfahrung zu belassen.

Für mich ist es wichtig, dass ich und mein Leben weder als Schlimmskala herhalten, noch einer entsprechen muss. Ich leide nicht weniger oder mehr, wenn ich meine Erfahrungen “traumatisch” nenne oder nicht.
Von mir aus mag die Psychologie und die Medizin gerne weiter ausdifferenzieren was ein “traumatisches Ereignis” ist, und was nicht. Welche Parameter, wann und wofür erfüllt sein müssen, damit man in der Psychologie als Wissenschaft noch von einem Trauma sprechen kann. Ich bin keine Wissenschaftlerin.
Von mir aus, mag die Justiz auf die Psychologie hören, wenn es darum geht, die Schwere einer Tat zu beurteilen. Letztlich sprechen wir hier aber von zwei Gewalten, die sich über mein Erleben stellen und das gesellschaftlicher Gewaltennormierung entsprechend auch dürfen.

Sie sprechen Tatsprache – nicht meine als Opfer von Gewalt, die auch traumatisierend war.

Die Schlimmskala und die Worte derer, die zu Opfern wurden sind existent und gültig. Mindestens für diese Menschen.
Und diese nicht unterwandern, zu sabotieren, für falsch und nichtig zu erklären, zu relativieren und als übertrieben darzustellen, ist die Aufgabe derer, die ihnen zuhören*.

 

(*als Teil der Gesellschaft)
(*ich habe an der Stelle eine andere Haltung, wenn ich es mit FakerInnen* zu tun habe, weil sich diese in aller Regel genau daran orientieren, was die Gesellschaft ™ als schlimm wahrnimmt und von mir, als Teil dieser Gesellschaft spezifische Reaktionen erwarten, die mit einer Wertung einher geht, die ich nicht vornehmen will. Sie sind nicht an mir und meinen Reaktionen auf ihre Erfahrungen interessiert, sondern daran, was ich als Symbol für sie wie auch immer bewerte und mit Reaktionen belege. Das ist kein respektvoller Umgang mit mir und ergo ziehe ich mich raus. Kann man drüber streiten, ob das so schlau ist- aber ich lasse mich nicht zu einer Schlimmskala degradieren.)

inmitten der Gewalten

RosenachRegen Es hatte mir gefallen, wie viel Stärke und Leichtigkeit sie lebte. Wie viel Energie in ihr kreiste und Lasten klein werden ließ.
”So würde ich mir auch gut gefallen”, dachte ich. So groß und mächtig, dass es eine einfach gelebte Leichtigkeit im Sein geben kann, “Angst” zu “Respekt” verwandelt wird und das Recht auf Unversehrtheit von mir alleine durchgesetzt werden kann.

Und dann fiel mir auf, dass ihre Macht auf Missachtung … Dissoziation … beruht.
Sie ist stark, weil sie ihre Schwäche nicht spürt. Sie ist mutig, weil sie ihre Angst missachtet. Für sie ist alles ganz leicht, weil sie Hindernisse aus dem Fokus schiebt. Wenn sie verliert, dann verliert sie vor sich selbst nicht, weil sie Schmerz und Trauer tief in sich vergräbt und den Spaten dann wegschmeißt.

Wenn es einen Menschen gibt, in dessen Anwesenheit selbst das mächtigste Böse uns nicht verletzen könnte, dann ist sie es.
Nur darüber sprechen konnten wir nie mit ihr, ohne über ihre Missachtung zu stolpern und
verletzt zu werden.

“Eure Eltern!”, immer bewegt sie auf eine für sie so typische Art ihren Kopf und formt ihren Mund zu einem harten und doch feinem Lächeln. “Häuten und auf einen Ameisenhaufen binden! Mindestens! Eigentlich reicht das nicht mal!”.
Am Anfang hörten wir ihr noch zu und spürten den inneren Erdbeben nach, die sich aus ihrem Erzählen von sadistischen Fantasien ergaben. Lächelten schief. Zuckten mit den Schultern.
Warteten darauf, dass die Tür aufgeht und ein Inferno der Strafen über uns hereinbricht.

Irgendwann versuchten wir uns in kleinen Worten, die wie Kinderfüße das erste Eis auf dem See abtasten. “Ich weiß nicht…”.
“Hm, aber das ist ja auch nicht besser als…”
“Das macht Angst, wenn du so etwas sagst…”

und dann schob sich dieser große Schreibtisch zwischen unser beider Leben. Andere starke Sie’s, andere Verbündete, andere Gemögte, andere Menschen vor denen ES nicht verschwiegen blieb, traten in unser Leben und mit ihm weitere Sichten auf Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten.

Und doch begegnet uns diese Art Gewalt und Ablehnungsdynamik immer wieder.
Es ist, als würde sich die Gewalt, allein schon dadurch, dass wir ihr Wortkorsette anzulegen versuchen, sie in Laute wickeln und anderen Menschen in die Köpfe stapeln, fortpflanzen und eigenständig erneut gebären.
Aus dem Anblick, den ich vom Erlebten habe, wird für andere Menschen immer wieder das Gesicht, der Name, die soziale Position, das Sein der TäterInnen.
Egal, wie ich mich ausdrücke und versuche meine eigene Sicht zu unterstreichen.

“Kannst du bitte..? Ich kann das- bitte das ist meine Familie!”, ich weiß noch, wie schwer mir das aus dem Hals gewürgt wurde, um dann unter einem achtlosen Schwall rechtschaffenden Gewaltens begraben zu werden.
“Darf ich denn gar nichts mehr behalten, sobald ich mich auch nur ein kleines bisschen geöffnet habe?!”, stand es im Tagebuch, nach dem Termin bei dem Rechtsanwalt.

Die traurige Wahrheit ist: nein
und der schmerzhafte Teil an dieser Wahrheit ist nicht, dass uns schon wieder die Definitionsmacht über etwas genommen wird und damit von anderen Menschen als uns eine Haltung zu etwas vorgegeben wird, sondern, dass es andere Menschen, als die Beteiligten sind.

Niemand außer uns und den Menschen, die uns verletzt haben, waren dabei. Niemand hat gefühlt, gesehen… erfahren und gelebt, was wir jeweils gelebt haben- aber alle haben eine Meinung dazu, sobald aus unserer Erfahrung Worte und Geschichten werden. Und niemand verbirgt sie.
Ein Innehalten, die Frage, ob die Äußerung erwünscht ist, passiert nicht.
Da passiert gar nicht die Rückversicherung: “Hast du gefühlt, gedacht, gesehen, was ich mir gerade vorstelle, dass du es gefühlt, gedacht, gesehen hast?”.
Dort wird das Aufwachsen mit Gewalt zu einem Grund der Normalisierung selbiger- nicht zum Marker, der daraus entstehen Un-Fähigkeiten. Anwesenheiten werden damit erklärt- Abwesenheiten bleiben unsichtbar, unergründet, ungewichtig.

“Ich kann natürlich nicht fühlen, was du fühlst- aber ich gehe davon aus, dass du die gleichen Internalisierungen hast, wie ich und wir deshalb eigentlich immer das gleiche fühlen.”, das nehme ich oft wahr.
“Selbstverständlich tut es dir weh, wenn dieses und jenes mit dir passiert.”
“Natürlich fühlst du dich ohnmächtig, wenn dir jemand Gewalt antut.”
“Natürlich hast du das Gefühl, deine Eltern nicht verachten zu dürfen- sie sind ja schließlich deine Eltern”
“Na klar, bist du täterInnenloyal, du bist ja schließlich ein Opfer (= abhängiges Kind)”

und was ist, wenn das nicht so ist?
Was ist, wenn ich einfach nie Schmerz gefühlt habe? Wenn mir meine Eltern einfach irgendwie egal sind, weil es für mich poplige kleine Wichte sind, die ich weder brauche noch will? Wenn ich mich nie in Abhängigkeiten von TäterInnen gesehen habe?
Was ist, wenn ich durchaus Macht- und Überlegenheitsgefühle hatte und diese auch ausgelebt habe?

Was dann ist, ist, dass ich andere Menschen in ihrem Maßstab ausheble. Sie und ihre Werte, Normen und Internalisierungen greifen dann nicht mehr. Sie müssten mir meine Sicht auf die Dinge lassen, müssten mir Raum zur autarken, selbstbestimmten Selbstpositionierung lassen.
Und damit ich genau das nicht tue, hat auch die Opferschublade einen doppelten Boden: “Sie hatte ja keine andere Wahl, als sich einzureden, dass sie das alles wollte/ selbst bestimmt/ aktiv und von sich aus so wollte.”
Es kann sein, dass es tatsächlich keine andere Wahl gab- aber die Wahl wurde von mir getroffen! Es gibt immer die Wahl etwas nicht zu tun- auch diese Wahl hätte ich verweigern können- es ist so leicht aus sich herauszugehen und im Universum zu verschwinden.

Die Aktivität, der im Vergleich Passiven, ist nicht Passivität!

Mir ist eingefallen, dass ich einmal versucht habe meinen Vater anzupinkeln, als er mich an einem Bein durch die Luft schleuderte.
Nicht, weil ich wütend war, oder ihn verachtete, oder mir vor Angst eh grad der Urin abging, sondern, weil ich einfach so den Impuls dazu hatte.
Ist das “typisch Opfer”?
Wohl eher nicht.
Es ist aber genau das Spektrum von Opferschaft, das von der Aktivität des Täters/ der Täterin überlagert und später von Unbeteiligten mehr oder weniger systematisch unsichtbar gehalten wird, in dem die (Straf-)Tat zum Maßstab von allem wird.
Ich fand die Vorstellung, dass mein Vater meinen Urin an sich dran hätte lustig und saß lachend in mir drin, während er sich an meinem Körper abarbeitete. Schön blöd von ihm- ich hatte das Lachen und er Arbeit mit meiner “Erziehung”.
Ich hab gewonnen, denn das Ziel seiner Tat war ein anderes.

Klar wird mir mein Gehirn auch Schmerzen angetragen haben, Angst zu sterben, Ohnmachtsgefühle und Wut auf ihn, dass er sowas mit mir macht. Aber das war nichts Neues, nichts was noch großartig eine Aktion von mir einfordern konnte und mich innerlich irgendwie anregt. Und zwar nicht, weil ich “verroht” bin oder “nie etwas anderes erlebt habe”, sondern, weil es eben so ist. Mich fordern andere Dinge, regen andere Dinge auf.

Ich betrachte das als unfassbar großes Privileg, an den Taten an meinem Körper vorbeigucken zu können und zu sehen, was für Mechanismen darin walten. Einfach auch zu wissen, dass die Taten allein einfach gar nicht wirklich die Gewalt sind, die mir (uns) passiert ist.
Sicher bin ich ein Opfer von der Gewalt geworden, die meine Familie* an mir ausgeübt hat. Ich bin aber mit ihr zusammen zum Opfer ganz anderer TäterInnen- ganz anderer Macht-Ohnmachtdynamiken geworden.
Ich leide heute nicht nur an den Folgen einer Dynamik in der Familie*, sondern an denen, die unsere ganze Welt durchzieht.

Das gehört mit zu den Eckpunkten inmitten derer ich mich verorten will.
Ich will mich mitten drin verorten und nicht abgetrennt- missachtend und damit dissoziierend, weil es mir nur um einen klitzekleinen Bereich- die Summe aus “X” mal “misshandelt worden sein”- geht.
Denn genau das produziert Gewalt und füttert sie.

Und macht blind.
Blind genug um die Überlebenden immer weiter, von Gewaltdynamik zu Gewaltdynamik zu drängen und nicht zu merken, dass man sie dabei immer passiv – immer in der Position hält, die “Opfer” heißt.

Wir haben uns jetzt endgültig gegen eine Strafanzeige entschieden.
Sie bzw. die Justiz stellt sich uns als Gewaltinstrument dar, das uns sowohl als Opfer braucht, als auch hält, als auch erneut zu einem machen wird.
Sie wird in sich drin sitzen und lachen, während wir uns an ihr abarbeiten und eigentlich etwas ganz anderes wollen.

Es geht uns eben nicht um die TäterInnen, nicht um die Taten.
Es geht uns um uns und das was wir selbst tun können möchten.

Gewalt wird uns nicht helfen.
Auch wenn wir uns ganz kurz… kurz kurz kurz so stark und mutig und aktiv fühlen und sehen könnten, wie ich meine ehemalige Sie früher einmal gesehen habe.

das Opferetikett

wildeRose2 Wie eine Sandburg in der Brandung, lösten sich meine Beine auf.
Bis ich fiel und alle Scherben in mir über den Boden des Wartezimmers klirren hörte.

Wir hatten eine Therapiestunde, die mir aus den Händen geglitten ist, nach einem Tag, der mir am Denken vorbeigerutscht war, nach Wochen, die mich nur als Zaungast neben sich hatten.
Während es in mir schreit, kämpft, sich hartkrampft und ziellos durch den Schmerz hindurch vorwärts beißt, taumle ich durch die Gedankenschlösser, die auf dem brennenden Fundament eines fremden Maßstabes stehen.

Was mir begegnet, was mir ablehnend konnotiert begegnet, ist der Komplex einer Opferidentität. Wenn jemand sagt: “Ich bin ein Opfer”, passiert ein Schritt zurück. Ein Blick, der Wunden, Male, Zerstörungen sucht, um sich zu vergewissern.
Abzusichern und nicht einmal, kein einziges Mal zu fragen, ob dieser Blick überhaupt in Ordnung ist.
Dieser Blick kommt nicht aus einem Kopf heraus, der sich fragt, was er dort eigentlich sieht und warum. Mit welchem Recht.
Dieser Blick fragt nicht, ob er als Verletzung, als erneute Demütigung wahrgenommen wird.

Mir wird bewusst, was für mich das Problem in OEG und Strafanzeige nach Gewalt, nach sexualisierter Gewalt, in der Kindheit ist.
Es ist der fremd wertende Blick, der mich nicht nur streift, sondern durchbohrt. Mein Sein, mein Mich, mein Da, mein Früher und Heute auf einen Objektträger klatschen lässt und in feinsten Scheiben seziert, be-verurteilt, in Paragraphensoße ertränkt und mit einem guten Wein aus rape culture darreicht.
Ohne eine Wimper zum Zucken zu haben.

Ich werde nicht gefragt.
Und wenn doch, dann hängt an den Äußerungen anderer Menschen, auch denen der TäterInnen, ob wahr –scheinlich- ist, was ich sage.

Selbst die Verjährungsfrist durchbreche nicht ich, sondern die Vorladung der TäterInnen.
Nicht einmal das wird mir zugestanden.
Und ja, ich habe es als mein Vorrecht betrachtet, dass ich selbst in der Hand habe, ob das, was die Justiz als strafbare Handlung betrachtet, verjährt oder nicht (innerhalb des festgesetzten Zeitraumes). Schließlich wird ja auch die ganze Zeit an mich herangetragen, Gewalt anzuzeigen und sichtbar zu machen. Nicht an die TäterInnen.
Wie hatte ich ernsthaft glauben können, dass es irgendeinen echten Raum für Selbstbestimmung unter dem Schirm der opferbezüglichen Komplexe gibt?

Vielleicht hat es etwas mit dem sympathischen “Ich bin kein Opfer”- Gebaren zu tun, das immer wieder aus mir heraus kommt, sobald mir andere Menschen meine Kompetenzen und Rechte aufgrund der Gewaltfolgen absprechen wollen.
Die Etiketten “wehrhafter/resilienter/stolzer Grundcharakter”; “KämpferIn*”; “starke Persönlichkeit” machen gegen das schmerzhafte Bohren dieses einen speziellen Blickes immun.
Wenn ich das auf meine Stirn klebe und tue, was ich sonst auch tue, werde ich auf Ebenen unterstützt und gestärkt, die zwar in der Regel unfassbar weit an meiner Erwartung und Hoffnung vorbei gehen, aber mich einer Mehrsamkeit und damit Sicherheit versichern, die ich anders gar nicht oder tendenziell eher erneut in ungleichen Machtdynamiken eingebunden erhalte.

Das heißt, dass alles, was ein zum Opfer gewordener Mensch tatsächlich selbst bestimmen kann, ist, sich als ein solches zu erkennen zu geben oder nicht.
Alle Konsequenzen, alle Gewalten, die aufgrund dessen mit und an ihm passieren, hat er zu ertragen.
In Bezug auf das OEG nehme ich diesen Umstand als besonders infam wahr.

Denn ja: ich fühle mich dazu gezwungen einen Antrag zu stellen und mich damit als Opfer von Gewalt auf eine Weise sichtbar zu machen, die ich weder selbst bestimmen, noch beeinflussen kann- mit den Konsequenzen, die sich unter Anderem aus inexistentem Opferschutz, und anderen Leistungen zu meiner Unterstützung ergeben, hingegen wiederum unsichtbar zu bleiben.
Ich fühle mich gezwungen, weil es das einzige Mittel ist, meine Lebensrealität innerhalb des Systems, das für diese mitverantwortlich ist, sichtbar zu machen.
Natürlich könnte ich auch anfangen meine Krankenkasse zu verklagen, aber die Krankenkasse hat nicht im Schutz vor Gewalt versagt, wie der Staat.

Ich habe mich nie als Opfer betrachtet.
Jetzt fange ich damit an und spüre bereits, wie mir Boden und Beine unter all meinen kleinen und großen, zitternden und kämpfenden, frierenden und schmerzerfüllt weinenden Herzen wegrutschen- während mich der Lauf der Dinge unbeirrt an einer Schlinge um den Hals weiter hinter sich her zieht.

Es ist tröstlich, dass die Welt nicht stehen bleibt, weil ich das Etikett des Opfers neben all die eigenen hänge.
Es ist aber auch eine weitere Erfahrung, die mich in ein Gefühl der Machtlosigkeit bringt, weil sie keinen Effekt über mein klitzekleines Dasein hinaus hat. Wieder verortet sich alles in und an mir allein- nicht an den TäterInnen, nicht an dem System, nicht an unserer Kultur, nicht an G’tt.
Wieder bin ich mit etwas, auf diese eine ganz spezifische Art, die nur Gewalt produziert, allein.

In einem Moment des weißen Rauschens, da auf dem Boden des Wartezimmers gestern, schwamm dieser Satz des “Es ist vorbei” durch mich hindurch und ich fragte mich, ob es überhaupt noch irgendeinen Sinn hat, an irgendeinen Menschen ein “Ja, aber…” zu richten.
Diesen  Punkt des Wiedererlebens, den Gewalt, die an die Schwelle zum physischen, psychischen und geistigen Tod treibt, den erlebt man so allein, dass die Lüge des “es ist vorbei” von sonst niemandem gesehen wird.
Jedes “Ja, aber…” provoziert den Blick, die Abwehr, die Einsamkeit auf allen Ebenen.

 

Ich muss anerkennen, dass ich versuchte das Falsche zu wollen.
Anerkennen, dass “nichts bis wenig”, noch das Beste ist, was ich an “gut” zu erwarten habe.

Dass es für mich eben doch nie vorbei sein wird, nur weil es mir jemand sagt, der mit mir ist.

die Frage

Flauscheblume Es ist eine Frage, die ganz harmlos in einer Musterpackung Fragezeichen liegt. Sie beißt nicht, schreit nicht…
Sie war einfach da und rollte aus dem Mund des Anwalts in meinen Kopf hinein:
Was genau ist Ihnen denn passiert?

Seit 2001 stellen mir PsychologInnen, BeraterInnen, ÄrztInnen und Menschen aus anderen Kontexten, Fragen zu meinem Lebenslauf, meinem Befinden, meinen Vorlieben und Abneigungen, aber niemals hat jemand diese Frage gestellt.

Was genau ist denn passiert?

Die Frage belastet mich nicht, weil mir sofort eine besondere Situation eingefallen ist, oder weil ich Schweigegebote und Drohungen im Kopf hatte, sondern, weil sie sich langsam wie eine Retardtablette aufgelöst hat und mich dem Bewusstsein zuführte, dass ich bis heute die schlimmsten und mächtigsten Erfahrungen in meinem Leben mit niemand anderem als den TäterInnen teile und so eine Art TäterInnenkontakt halte, der näher kaum sein könnte.

Die Frage kullerte in meinem Kopf herum wie eine Kugel in einer Schale und stieß einen großen Ochsenfrosch an, der mit einem dumpfen “Quak” auf die Berührung reagierte.
Fröschequaken, Grillenzirpen, das ist die Art Stille, die sich auf solche Fragen ausbreitet. Es ist nicht Nichts, aber viel mehr als artikuliertes Hintergrundrauschen ist es in der Regel auch nicht.
Mein ganzes ES und alles DAS DA, ist eine einzige wabernde Masse. Wie ein Eintopf der 21 Jahre Zutaten erhielt und bereits 28 Jahre auf dem Herd steht.

Ein verbindendes Element meiner Gewalterfahrungen ist genau dieses Un(be)greifbare und die Definition des “_da_Seins”.
In den Situationen, an die ich gerade denke, war nichts und niemand _da_.
Ich sah nichts und hörte nichts als die Geräusche, die ich selbst verursachte und selbst die verschwammen irgendwann mit dem, was meine Nerven nur noch rudimentär an mein Bewusstsein weiterleiteten. Ich dachte meine Brocken und nahm die Qualität und ihre Zusammenhänge nicht mehr bewusst war.
Da war nur  Nichts und ganz viel Niemand zum Teilen. Zum Mit- teilen. Zum Anteil haben. Da wurde sich einfach irgendein abfallender (Persönlichkeits-) Anteil genommen, der selbst produziert wurde – und zwar von den TäterInnen.
Ich brauchte keine Worte dafür zu entwickeln oder zu verwenden, was mir passiert ist, denn passiert ist mir nur Kontakt mit einer Art von _Nichts_, das am Ende eines Schmerzes und einer Angst auftauchte, die völlig normal für mich waren und nie mit einem Begriff belegt wurden, der eindeutig war.

Ich habe meine Sprachmacke nicht, weil mir irgendein Genschalter umgelegt wurde, sondern, weil es genau das einzige Mittel war (und bis heute ist) an dem ich Punkte zur Selbstpositionierung finden konnte.
Doch niemand in meinem Umfeld sprach die gleiche Sprache wie meine Familie*.

In jeder Familie gibt es geflügelte Worte oder Synonyme, die nur in dieser Gruppe verstanden werden, eine Geschichte und Bedeutung haben, was gerade Familien oder ähnlich funktionierende Kleingruppen zu ganz einzigartigen Kosmen macht.
Natürlich gibt es dann auch eine Bewegung des Angleichens und Anpassens an äußere – andere – Systeme. Zum Beispiel den Kindergarten, die Schule und so weiter. Doch meine Chance dieser Anpassung mit einem Bezug zu beiden Systemen war bereits kaputt, als der Kontakt dazu unvermeidbar wurde.
Dazu kommt meine Hochbegabung, die mich sehr früh hat sowohl die Logik von Sprache erfassen, als auch die Verwendung der Wortbatterien in Bezug auf äußere Kontexte hat zuordnen lassen.

Als ich dem Anwalt gegenüber saß, kam mir ein weiteres Problem neben der Sprache in den Sinn.
Was genau meint er eigentlich mit “was genau”?

Ich weiß, dass in juristischen Kontexten konkrete Taten relevant sind- weiß aber auch, dass meine Schädigungen, nicht nur in genau diesen konkreten Taten begründet sind, sondern eben auch in dem allgemeinen Umgang voller Mikroaggressionen, Abwertungen, Abschottung und immer wieder betonter Andersartigkeit.
Wie oft sich allein am Esstisch über dem Abendessen gegenseitig und (für mich) systematisch gedemütigt wurde, dies aber vor anderen Menschen “Abends kommen wir alle zusammen und erzählen uns vom Tag” genannt wurde. Allein sowas macht in meinem inneren System heute Zahnräderknirschen auf mehreren Ebenen.
Das ist keine brutale Gewalt – aber es ist Gewalt unter der ich gelitten habe, weil sie mich immer wieder verwirrte und mit nichts kongruent anfühlte. Weder mit meiner Selbstwahrnehmung, noch mit dem Bild, das andere soziale Systeme von mir sowohl in, als auch mit meiner Familie* hatten.
Ich weiß, dass genau solche Gewalten nur allzu oft und allzu gerne auf die Betroffenen individualisiert werden und deshalb oft nicht mitgemeint sind in der Frage danach, was passiert ist und trotzdem sind es genau diese Situationen die immer herrschten.

Dieses grundlegende Klima von „Achtung Gefahr“ – „Gefahr“ – „inneres Sterben“ – „Ruhe/Stille/ Tod nach dem Sterben“ , das ist mir passiert. Das genau ist mir passiert.
Diese Wiederholung, diese Schlange, die sich in den Schwanz beißt- immer wieder, weil sie nie satt wird, das ist passiert. An mir, mit mir, in mir drin und immer wieder objektiv ungesehen, weil unbenannt von situativ objektiven BeobachterInnen.

Ich mache mir Sorgen, dass wir dieser Frage nach dem was passiert ist, die falschen Antworten geben. Nicht für das Außen, sondern für uns.
Ich weiß, dass die Justiz eine andere Sprache verwendet und weiß, dass auch der Fokus ein anderer ist. Weiß, dass es um Sichtbarkeit geht und als sichtbar eben gilt, was nicht nur individuell wahrnehmbar/ sichtbar ist. Es geht darum der Gefahr, dem Sterben eine objektivere Sichtbarkeit und Worte zu geben.
Obwohl ich und wir doch immer alle unsere Augen zugemacht haben, um gar nichts mehr wahrnehmen zu müssen; obwohl wir doch noch gar keine Chance hatten, Worte für das Erlebte – das objektiv sichtbar Erlebte- zu finden.
Auch, weil einfach wirklich nie jemand gefragt hat.

Am Anfang war das Wort.
Wo im Verlauf stehe ich, wenn ich kein Wort habe?

Genesis?

Hineinschauend in einen  Topf voll eigener Ur- Suppe?

OEG 2.1.

Und da saß ich nun also. Das beratene Opfer, das weiß, was es möchte und was nicht.
Ich kenne das OEG, kenne die Fallstricke, die strukturelle Gewalt, der ich mich ausliefere und alles. Ja verdammt- ich bin zigfach gepanzert gegen die Naivität, dass schon alles gut werden würde. Ich bin unempfindlich gegen die Versuchung zu denken: “Wenn ich nur etwas sage, dann reagiert meine Umwelt schon und es wird nicht schlimm.”.

Und trotzdem.

Ich weiß, dass ich keine Strafanzeige erstatten und auch keine Regressforderungen an die TäterInnen zulassen muss, wenn das bedeutet bzw. die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ich dann nicht mehr geschützt bin. Das Gesetz weiß das. Die Strukturen wissen das.
Der Anwalt wusste das wohl

aber dann doch eher theoretisch.

Im Nachhinein kann ich sogar lachen und wissenschaftlich interessiert nicken, was für ein absurdes Gespräch wir da geführt haben.
Was für Dynamiken mir angetragen wurden und auch wie schnell ich unter Druck komme. Noch immer, obwohl ich heute noch mehr als früher klar habe, dass die TäterInnen eben auch (neben vielem anderem) TäterInnen an mir waren.

Wir haben noch 3 Monate bis die Taten, die vor dem 18 Lebensjahr geschahen, verjährt sind.
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige für meine Geschwister?
Was für Konsequenzen hätte eine Anzeige, egal ob mit oder ohne Schuldspruch am Ende auf das Leben der TäterInnen?
Und wieso the fuck, denke ich jetzt über die TäterInnen nach?!

Was ist, wenn ich jetzt ablehne und mich aber in x- Jahren dann genau dafür hauen will?
Was ist, wenn ich jetzt anzeige und mich aber dann, wenn ich einer geschlossenen Station hocke, dafür dann nicht einmal mehr hauen kann, weil ich wieder so abgeschossen, wie vor Jahren bin?

“Wissen Sie, die Strafprozessordnung sagt auch etwas zu den Rechten der Opfer. Es geht auch darum, dem Opfer Genugtuung zukommen zu lassen.”.
Jetzt, drei Tage später, könnte ich darüber, bitter wie 20 Jahre alte Kapern, lachend vom Stuhl fallen.
Genugtuung? Hallo?
Was habe ich denn bitte davon? Kann ich mit 100 Pfund Genugtuung meine Therapie bezahlen? Aus 200 Kilo Genugtuung Lebensqualität klöppeln? Kann ich schlafen, wenn ich mich auf Genugtuung bette?! Macht meine Genugtuung, dass meine Geschwister selbstbestimmt entscheiden können, ob sie sich zu unserer Kindheit überhaupt in irgendeiner Form äußern möchten?! Werde ich Kraft all der ganzen Genugtuung so etwas wie Selbstwert, Bindungs- und Beziehungsfähigkeit und kohärente Selbstwahrnehmung entwickeln?

“Und wenn Sie eine Anzeige erstatten, dann sind Sie ja auch aktiv. Dann ist es ja auch ein Schritt aus der Opferrolle heraus und selbstbestimmter.”
– “Naja, das ist nicht selbst bestimmt, weil ich das ja nur machen würde, weil es das Amt verlangt, für den Bescheid zu einem Antrag den ich eigentlich nur deshalb stelle, weil die Krankenkasse, die Therapie nicht durchgehend finanziert…”
“Ja, aber man ist ja immer fremd beeinflusst”

Ich hatte nicht damit gerechnet selbst bei jemandem, der meine Anliegen vertreten soll, so massiv klarmachen zu müssen, dass es mir auf keiner Ebene um die TäterInnen oder Selbsterhebung geht.
Ich bin entsetzt, wie weit oben Opferinteressen eingestuft werden- gerade wenn es um so schwere Schädigungen geht.
Die TäterInnen könnten jetzt schon hinter Gittern sitzen- ich würde trotzdem noch meine Symptome haben, mich dieser ekelhaften Behandlung vom Jobcenter, kranker Kasse und der Gesellschaft ™ ausgesetzt sehen und alles sein- nur nicht so selbstbestimmt und gesichert, wie mir so untergeschoben werden will.

Ich will in aller Ruhe an mir arbeiten, heilen und mein Leben nach dem Trauma so gestalten, wie ich das heute noch kann.
Nicht mehr und nicht weniger.
Der Rest ist den Raubbau an mir, für mich persönlich nicht wert.
Ich sehe es nicht als meine Verantwortung an, Täterverhalten zu beeinflussen oder einer Beeinflussung zuzuführen. Das habe ich so lange so hart versucht, dass ich Viele wurde- jetzt ist Schluss mit dem Abarbeiten an den TäterInnen. Auch auf der Ebene.

Der Rechtsanwalt sagte, er müsse über die Mandatsannahme nachdenken und seine Effektivität prüfen. So hat er noch keinen Antrag auf Entschädigung nach dem OEG aufgezogen.

Ich habe mir inzwischen die Telefonnummer einer erfahreneren Kollegin herausgesucht.
Auch Testzweckklientin werde ich heute nicht mehr sein.

 

Und sie schreibt sich auf einen Zettel:
“Bei diesem OEG- Ding geht es nur um mich und das Leben, das ich heute habe.”

und hängt ihn sich an den Schreibtisch.
Auf Augenhöhe.

OEG 2.0 – Vorspiel –

Wasser2 Nächste Woche habe ich einen Termin bei einem Rechtsanwalt.
Es wird um einen Antrag auf Opferentschädigung und all den ganzen Rattenschwanz aus organisierter Gewalt und Opferschutz, DIS und Anonymität gehen.

Ich weiß nicht, ob er schon einmal Menschen vertreten hat, die mit so schweren Beeinträchtigungen in der Selbst- und Umweltwahrnehmung leben und/oder, die aus organisierten TäterInnenkreisen ausgebrochen sind. Eigentlich ist mir das auch nicht wichtig.
Der Antrag soll passieren, durchgehen, Therapiefinanzierung vorerst sichern und fertig aus.
Ich will keine OEG- Rente oder sonst irgendwas.

Aber werde ich überhaupt als Gewaltüberlebende wahrgenommen?
In der letzten Zeit nehme ich öfter auf, dass mir mehr zugetraut wird, als ich tatsächlich kann und, dass auch mehr Erwartungen an mich gerichtet werden, als ich entsprechen kann.
Natürlich stärkt mich das auch manchmal, aber in den letzten Wochen tut es das eher nicht.
Alles, was sich anschaltet, ist ein Modus in dem es mir prima geht, solange Menschen um mich sind.
Bin ich allein, geht es mir schlecht. Und damit meine ich nicht die “ein bisschen Schokolade auf der Couch und ein schönes Buch- dann wird das schon”- Variante, sondern die “ich bin so scheiße ich hasse mich ich sterbe jetzt mit einem Platzen als schleimig stinkender Ball, der es nicht verdient hat auf diesem Planeten zu sein bitte bitte bitte dieser Schmerz ist nicht aushaltbar”- Postkarte aus der Opferwelt.

Ich habe inzwischen genug Kontakt zu AnwältInnen, BeraterInnen, PsychologInnen und PsychiaterInnen gehabt, um zu wissen, dass es sehr wohl passiert, dass die Hilfesuchenden gescannt werden. Wie glaubwürdig sie sind. Wie sie wirken, ob sie lügen oder übertreiben- ob sie Ansprüche erfüllen bzw. Vorstellungen entsprechen.
Natürlich sind Menschen eben einfach so, ja. Von mir aus.

Aber wie soll ich dem nachkommen? Muss ich das überhaupt?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr kommt mir hoch und desto einsamer fühle ich mich. Zumindest emotional als eine, die etwas überlebt hat.
In all diesen Ansprüchen und Vorstellungen, gibt es eine Art Drehkreuz um Stärke, Belastbarkeit und diesen Klumpen aus subjektiver Vorstellung um die Schilderungen von Gewalterfahrungen.
Ich sage nie und habe nie vor jemandem gestanden und gesagt, was ich dazu sagen wollte.
Immer klebe ich irgendein Etikett darauf, von dem ich weiß, dass es pseudosynonym verwendet wird. Dann sage ich “Ich wurde als Kind misshandelt” oder “Ich habe massive Gewalterfahrungen gemacht”, meine aber ein geschrieenes: “IchbinvorAngstgestorbenEshatsowehgetanGenaumitteninmirdrin” und ein verzweifelt rausgeweintes “Dashateinfachnieaufgehört”.
Im Anspruch geht es um Sachlichkeit, wo höchste Emotionen in mir sind. Da geht es um aktives Handeln, wo ich ohnmächtig und voller Angst bin.

Immer wieder werde ich für so stark und belastbar gehalten, weil ich Aktivität und Sachlichkeit mit Worten vorgeben kann.
Was dahinter steht, rückt in den Hintergrund, in meine kleine private Hölle, in der Worte wie Sterne am Himmel glitzern, während ich mit dem Gesicht nach oben, wieder und wieder unter Schmerzen erinnerungssterbe. Lautlos. Spurlos. In meinem Kopf. In meinem Körper.

Das ist ein Muster, das mir so alt und so normal erscheint.
So viele Menschen in meinem Leben sind nach außen anders, als für sich allein oder privat und kaum jemand bezeichnet das als gesellschaftlich anerkanntes Spalten/ Dissoziieren von Lebensrealitäten.
Kaum jemand versteht mich, wenn ich sage, dass ich wirklich verrückt werden könnte, weil sich mir die Absurdität der äußeren Umstände durch den Verstand bohrt, wie ein Korkenzieher: Ich-  die Dissoziierte wie Dissoziierende- begibt sich in eine äußere Spaltung, um ganz erlaubt eine Therapie bezahlt zu bekommen, die mir helfen soll, meine Wahrnehmung zu verbinden.
Ich, die zur Gewalt sagen will, was niemand hören will, weil es zu viele Emotionen macht, soll sachlich machen, was ausgerechnet meine Psyche- etwas per Definition definitiv nichts Sachliches ist, betrifft. Ich soll aktiv tätig sein, weil ich passiv geopfert wurde.

Und das soll ich glaubhaft tun. So, dass man merkt, dass ich belastet bin, aber noch genauso kräftig, dass ich das auch vertreten kann und aber nicht zu sehr, da der Schaden sonst nicht anerkannt werden kann.

Und in all dem fehlt ein Part, den ich selbst sogar noch schütze, weil ich mich selbst schütze: die TäterInnen, die ich weder anzeigen, noch in Regress nehmen lassen will
Die ich benennen möchte mit der schlichten Etikette: “TäterIn” nicht mit  “hmhmhm”.
Deren Taten ich mit meinen Gefühlen benennen will, nicht mit dem, was man nach außen hätte sehen können.

An diesem ganzen Opferentschädigungsding stellen sich nicht verschiedene Gebote und soziale Ächtung schwierig für mich dar.
Es ist die Selbstdarstellung als Opfer nach außen, die so absolut keine positiven Folgen nach innen haben.
Egal, wie verbunden das sein wird, wenn mir ein Schaden anerkannt wird und ich offiziell “Opfer” bin- das wird Nächte, wie die letzte nicht wegmachen. Das wird mein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Gemögten nicht schrumpfen lassen. Das wird mir Erinnerungsschmerzen, Alpträume, schlaflose Nächte, Selbsthass, Angstattacken und dieses durchdringende Schreien in meinem Kopf nicht wegmachen.

Es ist die Selbstdarstellung als passives Opfer, obwohl ich doch jetzt aktive Taten ausübende bin.

Und es ist das Agieren, obwohl ich mich im Moment eher tot und unfähig vor allem und jedem fühle und mich schäme, weil ich weiß, dass ich für viele ganz anders erscheine.