Die vierte Etappe

Die Stimmung ist im Erdgeschoss. Das ist vor allem deshalb traurig, weil ich heute morgen noch von Dächern gerufen hätte, wie cool es gerade ist, unterwegs zu sein.

Die Sonne wurde von Wolkendiesel gestreut, wir hatten 16 Grad, leichten Wind, okaye Wege. Haben auf Bäckerbrötchen spekuliert und sehr leckere, noch warme, bekommen. Die haben wir auf einem Wegstück durch Felder im letzten Morgendunst gegessen, NakNak* geschäftig um uns herumwuselnd. Und dann kamen wir durch ein Nazidorf. AfD-Plakate, altdeutsche Schrift überall, „unser Land, unsere Regeln“, „Deutschland, aber normal“ auf großen schwarzen Autos.

Das kam so unvermittelt, dass es uns sehr traf. Und die dunkle Wolke blieb hängen. Als wir durch die nächste Stadt fuhren, war der Wurm dann irgendwie drin. Niemand hat mehr gegrüßt, wir wurden zwei Mal vom Weg weggedrängt, ein Mal fast angefahren. Dann kam die Frage auf, ob wir, wie von der offiziellen Route vorgeschlagen durch Wolfsburg fahren oder nicht. Wollten wir nicht. Nicht am Sonntag~nach~mittag, nicht am Montagmorgen. Also sind wir einen Umweg gefahren. Der im Nichts endete.

Lichtblick: Ein Rentnerpaar, dem es genauso ergangen ist. Die kannten sich aber aus und haben uns unter ihre Fittiche genommen. Ihre E-Bike-fitten Fittiche. Also unbekannte Umgebung, fremde Leute, überangestrengtes Gestrampel ihnen nach und am Ende landeten wir auf dem einzigen Campingplatz auf der Ecke. Winzig, eng, hässlich, Schatten erst am späten Nachmittag. Und überteuert. Logisch.

Und der Knüller: Der Platz, zu dem wir morgen wollten und übermorgen wieder, weil wir dann auf dem Rückweg sein wollten, geht nicht.

Das heißt, dass wir die Strecke wechseln müssen. Was wiederum heißt spontan eine 2 bis 3 Tages-Strecke zu planen, was wiederum heißt, dass wir morgen Vormittag schön Zug fahren. Wenn wir das Rad, den Anhänger den Hund und alles reinkriegen. In jeweils 7 und 4 Minuten Umstiegszeit. Und das auch nur, wenn der Streik fertig ist, über den ich nichts gelesen habe, wie ich über auch sonst gar nichts irgendwas gelesen habe.

Weil ich mich ENTSPANNEN wollte. 😂

Die dritte Etappe – Radtour 2021

Wäre ich nicht so erschöpft gewesen, wäre ich weitergefahren. Es gibt einige Anzeichen zum Erkennen guter und okayer Campingplätze. Wenn am Eingang noch Preise in DM stehen, dann ist das zum Beispiel kein gutes Zeichen. Genauso, wenn man nach 2 Metern auf dem Platz denkt: „Hm, hier könnte man gut Horrorfilme drehen“ und nach 4: „Oh man. Oh man. Oh man.“ Aber wenn man nicht mehr kann, dann kann man nicht mehr und zumindest mir ist es dann auch egal, ob ich im Schlaf zerschnetzelt oder im Wachzustand tot gegruselt werde.

Also dieser Zeltplatz gilt als Naturcampingplatz mit Kiosk und Restaurant und vor 30 bis 50 Jahren war er das sicher auch. Heute ist er bis auf die Klos komplett überaltert und in einem Zustand kurz vor verwahrlost.

Die Duschen: Sandstrahler, die einem das Eiswasser in die tiefsten Hautschichten pressen wollen und das, klar, nur gegen 1€ Duschmarke. Klopapier muss man sich selber mitbringen, aber man könnte auch easy in die verwilderten Parzellen pinkeln ohne dass es jemand merkt.

Plätze wie dieser sind zu schön, um sie schlecht zu bewerten – sie sind aber zu schlecht, um sie gut zu bewerten. Und so fahren wir am nächsten Morgen um 8, nach einem Frühstück, das von einem Eichhörnchen kommentiert und begleitet wurde, wieder los.

Heute sind die Wege besser. Sand-Schotterwege, fester Waldboden, viele Betonplattenwege, nur ein Mal Schotter wegen einer Baustelle. Eine Stunde nach Fahrtbeginn lassen wir NakNak* raus. Die geht im Fluss baden, stratzt vor uns her, guckt, riecht und plötzlich kann sie auch unser Tourkommando bei anderen Radfahrer_innen wieder.

Wir durchfahren die Altstadt von Celle, wo heute Markt und ansonsten viel alte Fachwerkarchitektur ist.

Fachwerkhausreihe in der Altstadt von Celle, davor einige Marktstände

Es ist voll, ich kann nur der Route folgen und die geht mitten durch den Markt. Also gehe ich all in. Kaufe mir ein Stück Melone (war nicht lecker), Tomaten (die waren mega) und eine Gurke (naja, Gurke halt). Später sitzen wir am Fluss und essen alles auf. Dann geht’s weiter.

Wir kommen da an, wo wir hinwollten, weil es ein Kloster zu besichtigen und Kuchen zu speisen gibt, aber weil auf dem nächsten Campingplatz „Reisende und Landfahrer“ nicht erwünscht sind, müssen wir weiter. Es sind die längsten 6.3 Kilometer der letzten Tage und es passiert doch das Beste der letzten Tage: ein Feld-Wassersprenger, der den Radweg mitbesprengt. 😁

Nun sind wir auf einem Platz ohne Regeln und mit vielen Mücken. Die Duschen sind aber neu.

Die zweite Etappe – Radtour 2021

Um kurz nach 2 Uhr morgens war NakNak* ausgeschlafen. Das hatte damit zu tun, dass sie seit der Ankunft auf dem Zeltplatz nur ein Mal zum Fressen und ein Mal zum Pieseln wach war. Nun quäkte sie durch die Nacht und kraxelte über die knisternde Schlafmatte, wollte trinken, dann pieseln, dann die Brust, dann das Gesicht gekrault bekommen. Mir schlief ständig etwas ein, irgendwann auch ich selbst.

Am Abend hatten wir ein freundliches Paar beim Abendessen getroffen und am Morgen frühstückten wir auch zusammen. Sehr bedachte Menschen waren das. Die Art Menschen, die sich die Shirts bügeln und ihre Wasserflasche nach jeder Benutzung ausbürsten. Deren Schuhe immer sauber sind, deren Waschmittel wie Parfüm funktioniert. So. Irgendwie sauber. Aufgeräumt. Geordnet.

Es war angenehm Ihnen zuzuhören und zuzugucken. Es war wie der Vaude-Werbefilm mit älteren Wander_innen, den ich bisher noch nicht gesehen habe.

Später kam der Partner mit Bubi und unserem Impfausweis, dann mussten wir feststellen, dass wir das Abenteuer „QR-Code“ alleine bewältigen mussten, denn es war schon später am Morgen und das Rad passt nicht ins Auto. Also ging es nach einem Kaffee und ein bisschen Quatschen weiter.

12 Kilometer bis zur Apotheke, in der es dann aber ganz fix ging, den Code zu bekommen. Die Apothekerin war nett, sie fand NakNak* süß und hat uns eine gute Reise gewünscht. Auf dem Weiterweg merke ich, dass wir überhaupt nicht gewohnt sind die Coronapandemie mit anderen Menschen zu durchleben bzw. Alltag mit ihnen zu machen. Und die Unsicherheit durch die Leute, die die Krankheit/das Virus leugnen, die hängt auch noch über allem.

Heute schaffen wir 30 Kilometer durch Sand, Kies, Schotter und Buckelpisten. Einige davon wandern wir, NakNak* trippelt vor uns her wie früher als Junghund. Die Grillen zirpen, durch manche Alleen zu laufen bedeutet in vielstimmiges Gezwitscher einzutauchen. Die Sonne scheint, es gibt etwas Wind. Ich muss mich motivieren, bin angestrengt, aber auch zufrieden damit wie es ist.

Wir radeln in die Verfolgungsjagd einer wunderschönen grauen Britisch Kurzhaarkatze hinein, die an einem Bäumchen endet, vor dem ein Zaun steht. Zwei Eichhörnchen wackeln in der kleinen Krone umher, die Katze klettert ein Stück hoch, springt dann wieder ab. Schaut mich an, wackelt mit dem Schwanz. Wir fahren weiter.

Nachmittags kommen wir auf dem Campingplatz an. Eine Erfahrung über die wir morgen mehr schreiben.

Die erste Etappe – Radtour 2021

Ich trage keine Kopfhörer, der Fahrtwind ist mein Auftaktgeber. Wir haben gebummelt, sind eine Stunde später als geplant los, es ist okay so. Kein Zielstress. Möglichst gar kein Stress. Dann erschreckt mich das Navi mit seiner Ansage.

Unsere erste Etappe besteht hauptsächlich darin, die eigentliche Tourstrecke zu erreichen. Es sind 20 Kilometer bis dahin, danach sind es noch mehr als doppelt so viele bis zum ersten offiziellen Ziel. Ich merke meinen Kopf leer werden, spüre jemand anderen, freue mich über dessen Neugier auf die Fährfahrt, die mir eher Sorge bereitet.

Blick von einer Fähre über die Weser.

Unser Weg führt durch eine Nadelbaumplantage. Ein Reh steht auf dem Weg und beobachtet mich eine Weile bevor es weghüpft. Später sehen wir ein Eichhörnchen, das durchs hohe Gras hüpft wie eine Antilope. Und noch später eins, das im Baum sitzt und etwas zerknuspert.

Der Weg ist gut, das Wetter perfekt. Wir sind überwiegend allein, treffen nur auf andere Menschen, wenn sie uns überholen. Was nicht schwer ist, denn wir channeln die Schnecke als unsere mentale Tempovorgabe.

Wir machen eine Pause an einer alten Mühle, neben einem Pfeiler, in die Erde gerammt 16hundertirgendwann. NakNak* ist müde, will nicht einschlafen, ich bin müde, will es nicht zugeben. Google Maps wollte uns schon wieder mit einem Streckenvorschlag umbringen, der Umweg führte 16 extra Kilometer durch Wäldchen mit Sandwegen und Feldwege ohne Schatten, von dem uns Komoot unbedingt wegleiten wollte. Doch ab jetzt wird alles einfacher. Dieser Weg ist betreut und gut ausgeschildert. Es sollte keine Umwegeabenteuer mehr geben.

Irgendwann tun mir die Hände weh, ich fange an mir die 20, 18, 16 Kilometer zum Ziel schön zu rechnen. Zeit einen Zeltplatz zu suchen, alte Wanderregel.

Wir finden einen netten kleinen Platz direkt am Fluss, werden eingehüllt von Kinderlärm und der Aussicht auf eine Dusche.

So wund an der Stelle um die eigene Familie werde ich schwer bei dem Geplapper und Geschnatter der Familien an der Badestelle. Aber auch weich, weil es diese Familien eben gibt. Meine gibt’s, diese gibts, es gibt so viele Familien und dann auch noch die, in der wir heute leben. Die vermisse ich auf einmal.

Kann mich aber trösten, denn morgen muss uns der Partner unseren Impfausweis nachtragen. 😅

Eltern, die ihre Kinder hassen

Diesmal ist es kein Schnelldurchlauf, sondern eine Zeitlupe und das Quietschen meiner Nackenmuskeln. Gedämpfter Straßenlärm, das Atmen der Therapeutin mir gegenüber.
„Meine Eltern hassen mich.“ „Ich glaub, er wollte mich umbringen.“ So schieben sie sich zusammen. Sie von links aus der Sitzung mit der Autismustherapeutin, er von weiter weg aus der Traumatherapie. Keine Kinder mit großen feuchten Augen, die einem das Mitleid aus dem Herzen zapfen wie den Sirup aus dem Baum, sondern bodenlos hoffnungslose, verdreckte, abstoßende … Ichs in einem Zeit-Raumempfinden von vor über 20 Jahren.
Ich bin so weit weg, dass ich sie wahrnehme aber nicht spüre. Sie bleiben Fremde für mich. Sind Einheimische in einer Welt, die ich nur begleitet aufsuche, um zu vermitteln, dass ES vorbei ist und DAS DA nicht wieder passiert. Jedenfalls nicht so. Nie wieder so.

Diesmal habe ich keine Feldnotizen. Kriege meine Gedanken nicht um die Dimension ihrer Not, weil es nicht um Mangel geht, sondern um etwas, das über das Tabu der Gewalt an sich hinaus geht.
Gegen Hass kann man nichts machen. Der ist nicht in Liebe zu verwandeln. Nicht einmal in achtsame Zuwendung oder Fürsorge. Hass ist absolut, deshalb kann man aus ihm heraus so einfach gewaltvoll sein. Braucht fast so wenig Anstrengung wie aus Ignoranz oder Todesangst.
Und ja, was anderes sollte ein Kind über die Motive von jemandem denken, der es praktisch zu zerreißen versuchte, als dass es um einen Tötungsversuch ging?

Elternschaft ist ein Status, kein Zustand.
Liebe, Achtsamkeit, die Fähig- und Fertigkeiten sich selber zu regulieren, um die eigenen Kinder zu begleiten, Fürsorge, Mitgefühl, Geduld – ja nicht einmal das Interesse am Mensch „Kind“ sind nicht einfach so da, nur weil man ein Kind geboren und es am Leben erhalten hat. Am Ende sind alle Eltern einfach nur Leute, die sich an jemanden gewöhnen, den sie selbst gemacht bzw. für immer in ihr Leben eingeladen haben. Sie bedeuten für ihre Kinder nichts, weil sie Eltern sind, sondern weil sie überlegen sind und mit jeder ihrer Entscheidung für oder gegen den liebevollen, achtsamen, interessierten, fürsorglichen Umgang eine Entscheidung über das Über_Leben treffen. Wenn Eltern hassen sind ihre Kinder nicht nur machtlos, wie es Kinder nun einmal sind. Dann sind sie ausschließlich über die Gewalt an sie gebunden, denn das ist alles, was Hass will und braucht. Dann ist das eigene Kindsein kein Zustand, sondern ein Status, der keinerlei Bedeutung für das Leben mit den Eltern hat. Es macht dann also weder einen Unterschied noch ein Kind zu sein, noch das Kind dieser Eltern zu sein. Man könnte auch ihre Haustür, ein Stück Klopapier, der Biomüll von letzter Woche sein.

Ich kann mich nicht erinnern schon mal davon gelesen zu haben. Hassende Eltern.
Natürlich wird das oft unterstellt, wenn jemand das eigene Kind getötet hat. Oder anderen zum Töten überlassen hat. Oder sich einfach nicht gekümmert hat. Es ist so leicht zu glauben, dass man nur tötet, was man hasst. So viel leichter als sich Mörder_innen zu widmen. Gewalttäter_innen. Leuten, die getötet haben, ohne so richtig klar zu haben, warum eigentlich.
Wir leben in einer Zeit in der Mütter nicht bereuen dürfen Kinder bekommen zu haben. Wo soll da der Raum für das Thema „Hass auf die eigenen Kinder“ herkommen? Wie soll das kein Tabu bleiben?

Und dann bin da auch ich selbst. Die_r mit dieser kindlichen Wahrheit in Kontakt geht und weiß, dass es für immer eine innere, eine vielleicht ausschließlich traumalogische Wahrheit bleibt, weil wir nie den Tag erleben werden, an dem sie uns sagen: „Ja, wir hassen dich.“ oder „Nein, wir hassen dich nicht.“

Noch so eine Opfersache mit der man Ende völlig allein zurückbleibt.

ein verbindendes Element

In der Autismustherapie sprachen wir darüber, dass Menschen manchmal Dinge sagen und keine Aussage damit machen wollen. Dass sie einander manchmal einfach nur Phasen vortragen, als wären sie Teil des traditionellen Miteinander-Tanzes, über deren Schritte man nicht nachdenkt, die vielleicht unnötig sind aber irgendwie doch dazugehören. Und, dass es weder eine Konzentrationsfrage noch eine Motivationsfrage ist, diese Kommunikationsform zu bemerken. Es ist vielleicht nicht einmal nur eine Frage des Erkennens oder Entschlüsselns, sondern der Ver_Bindung. Das denke ich zumindest jetzt, eine Woche später.

Denn ja, manchmal bemerken wir es nicht, wenn man uns aus einem Gespräch herausphraseln möchte oder auf einer unverbindlichen Ebene des Gesprächs bleiben möchte oder unausgesprochene Ziele verfolgt. Was darunter allerdings leidet, ist in unserem Fall nicht unbedingt das Gespräch, sondern die Bindungsbereitschaft der anderen Person und damit eine Grundlage für das Miteinander als Ganzes.

Wir können es nicht verhindern, wenn Menschen zum Beispiel unangenehm finden, dass wir ihnen auf (für sie) kurz zu beantwortende Fragen, alles antworten, was wir dazu wissen, weil ihre Frage zu unspezifisch für eine kurze Antwort war. Oder wenn sie sich ertappt (oder bedroht) fühlen, weil wir ihnen im Versuch einer Problemlösung statt prosozialer Phrasen eine Analyse mitteilen, in der sie vielleicht nicht so harmlos, lieb und gut gemeint wirken, wie sie sich selber sehen.
Wir können es nicht verhindern – merken aber deutlich, dass wir Erwartungen enttäuschen und deshalb oft unverbunden mit anderen Menschen bleiben oder eine Ver_Bindung haben, die von Furcht vor Exposition, eigennütziger Intention oder Projektion auf uns motiviert und getragen ist.

Es gibt nur wenige Menschen, mit denen wir zu tun haben, die unsere Bemühungen die Erwartungen anderer Menschen zu erkennen (für) wahr_nehmen und noch weniger, die dies nicht als nur traumabedingt einordnen. Denn die Erzählung über komplex traumatisierte Menschen mit DIS enthält nach wie vor auch, dass Kinder zum Überleben davon abhängig sind, immer zu wissen, was von ihnen erwartet wird und immer auch herstellen/präsentieren/machen können, was von ihnen erwartet wird. Und weil sie es als Kinder so perfektionieren mussten, haben sie auch als Erwachsene noch dieses Muster, um sich selbst zu schützen, beziehungsweise darin Sicherheit zu finden.

Auf meiner „Traumaachse“ kann ich das durchaus auch sehen. Ich sehe aber vor allem die Traumalogik darin. Wenn ich aus traumalogischen Gründen, die Erwartungen anderer Menschen erfahren will, dann tue ich das aus Todesangst heraus. Ich habe Angst zu sterben, wenn ich nicht verstehe oder erfülle, was Menschen erwarten, denen ich eine momentane oder generelle Autorität zuschreibe.
Auf meiner „Autismusachse“ bin ich manchmal beeinflusst von meiner Traumalogik, in der Regel jedoch funktioniere ich nach allgemeiner Überforderungslogik und dem folgend nach den Prinzipien der Effizienz. Autorität zum Beispiel ist extrem ineffizient in einem 1 zu 1-Kontakt, also beachte ich sie nicht weiter, sondern konzentriere mich auf den Gegenstand des Kontaktes, um genug Energie dafür bereitzuhalten. Dabei treffe ich keine Entscheidung gegen die Autorität der Person oder gegen das Zeremoniell oder die Person selbst, sondern nur die Entscheidung mich auf das zu konzentrieren, weshalb wir in Kontakt sind. Beziehungsweise das, wovon ich glaube, dass es der Grund für den Kontakt ist.

Das ist etwas, worüber ich mich anderen Innens – auch die, die noch gar nicht orientiert sind, also sich noch im Trauma erleben – nähern kann. Wir teilen die Zerrissenheit etwas auslassen zu müssen, um Kontakte machen, halten, gestalten zu können – die Unverbundenheit mit Menschen, die wir ganz sehen und verstehen, aber nicht gleichermaßen ganz fühlen können – die Fragmentierung, die nicht (nur) (trauma)reaktiv dissoziativ, sondern auf eine Art irgendwie bio_logisch ist – und die Verwirrung darüber, welche Funktion und welche Bedeutung die Erwartung anderer Menschen an uns hat. Besonders dann, wenn diese Menschen gewaltvoll mit uns umgehen.

Willen wollen

Die Regenjacke klebt auf der feuchten Haut, dem feuchten Shirt. „Hat wohl aufgehört zu atmen“, denke ich. „Letzte Dinge für die Radtour“, denkt es mir und schwimmt zwischen Früher und Heute, wie ein Korken mit eigenem Sein.

Ich bin zu dick für Sportsachen, zu dick für Outdoorsachen, ärgere mich darüber, dass ich mich nicht mehr ok fühle und die Mitarbeiterin im Laden mir auf die kurz einärmelten Arme guckt, als hätten die irgendwas damit zu tun.
Es soll schön werden. Ein letztes Mal wollen wir mit NakNak* länger unterwegs sein. Sie spüren, uns spüren, ein gemeinsames Heute haben, das wir nicht mit Arbeit, dem Partner, Bubi, dem tagein Dies tagaus Das teilen müssenkönnensollten. Und so werfe ich mir die tote Jacke wieder auf die Schultern und gehe in einen anderen Laden.
Die Pandemie ist hier vorbei, ich lerne Seitenstraßen kennen, die ich noch nie entlang gelaufen bin.

Angekommen merke ich ihre Aufmerksamkeit auf mir. Warten vielleicht, ob ich mich gleich wieder zu dick und also falsch finde, Er_Warten, ob ich an dem inneren Weinen ertrinke oder mich im Heute halten kann. Ob ich weiter will oder schneller aufgebe. Ob ich weiß, dass etwas zu wollen grundsätzlich falsch ist.

„Das kann ich dir zeigen“, denke ich und stürze mich in die Flut von Zeug und Reiz. Finde ein Oberteil in meiner Größe, gehe in die Umkleidekabine. Spüre meinem Willen nach, merke, wie banane es ist, so etwas wie Willen an etwas so serviertem wie Konsum als in Ordnung markieren zu wollen. Frage mich, ob es wichtig ist so niedrig anzusetzen und ob das überhaupt wirklich niedrig ist oder nur leichter als so etwas Krasses wie sich selber zu wollen – in dieser Gesellschaft, dieser Welt, diesem Heute – durchzusetzen.
Sie ist mir so nah, dass ich sie im Spiegel sehe, ihre Aufmerksamkeit in meine tropft. Ich merke, dass sie mich beobachtet, weil sie sich nicht ertragen kann. Ihre Verletzung, ihren Schmerz, ihren Willen. Das Inferno hinter sich, von dem ich nur Konturen erahne.

„Ist ok“, denke ich. „Ich bin hier und wo ich bin ist es vorbei.“

Ausklang – die disability pride moth – #DisabilityPrideMonth

Gestern stießen wir auf der Hunderunde auf eine Ahorneulenraupe. Eine etwa kleiner Finger-lange Raupe mit leuchtend gelben Haaren und einer Punktreihe auf dem Rücken, die ganz zielgerichtet auf unsere Handykamera zugelaufen kam, als wir sie filmten.

Die Begegnung passte gut zu meinen Gedanken während des Spazierganges, denn heute endet der Disability Pride Month und damit der Versuch eines Themenmonats im Blog. Ich dachte über die Transition des Themas nach und darüber, ob es sich lohnt die Texte aufzuheben. Vielleicht in einem Zine oder E-Book. Was soll von der Anstrengung bleiben und was hat sie jetzt schon gebracht? Werde ich das nächstes Jahr wiederholen oder etwas anderes machen?
Ich will mich nicht wiederholen, sondern weiterentwickeln. Wobei es seinen Reiz haben könnte sich zu spezialisieren in der Kommunikation von zwei bis fünf Kernpunkte. Es kann geil sein, als schillerndes Aktivisti aufzufallen, zu veröffentlichen und Menschen hinter sich zu versammeln, die diese Punkte teilen. So wenig wie – besonders die Forderungen von behinderten Aktivist_innen! – überhaupt unterstützt und institutionell oder gar politisch aufgenommen und umgesetzt werden, braucht es ja vielleicht sogar wie ein riesiges, permanent ballerndes, Ausrufezeichen in der Meinungs- und Empörungswirtschaft zu stehen und zu wiederholen, was gebraucht wird.

Aber Inklusion ist so viel mehr für mich als zwei bis fünf Punkte, die sich im Grunde auf die Grundrechte aller Menschen herunterdampfen und sich nahtlos in das bestehende System von Staat und staatlicher Ordnung hineinschmelzen lassen, was am Ende eigentlich nur bedeutet, dass sich dann eben auch behinderte Menschen an staatlicher Gewalt und Ausbeutung beteiligen können bzw. beteiligt werden.

Ich bin Anarchist_in. Durch und durch will ich ohne Herrschaft leben. Das bedeutet, dass ich keinen Staat und entsprechend dessen Gewalt(taten) und Ordnung so nicht bestehen lassen möchte. Das heißt nicht, dass ich jetzt durch die Gegend ziehe und Autos anzünde oder meinen Personalausweis abgebe, weil ich in einem Land mit Staat lebe oder sowas, aber es bedeutet, dass die von mir immer wieder wiederholte Thematik ist, dass nur die anarchistische Gesellschaft eine wirklich inklusive Gesellschaft sein kann und wir uns noch viele Generationen von behinderten Aktivst_innen lang ausbrennen und tot diskutieren werden, wenn unsere Ideen und Forderungen der Inklusion sich weiterhin nur auf Vermögen, Arbeit, Schule – kurz: den Zugang zur kapitalistisch, ableistisch, sexistisch, rassistisch … genormten und normenden Ordnung beziehen.

Ich will die Bewegung. Die Veränderung. Die Metamorphose. Und die entsteht nicht dadurch, dass wir bestehende Themen immer wieder durchrühren aber ab und an den Löffel (das Paradigma) wechseln. Sondern vielleicht dadurch, dass wir mal aufhören uns auf die zu konzentrieren, die von unserer Diskriminierung profitieren und uns fragen, wer dann eigentlich noch was von der Rührerei hat. Es geht doch um uns und alle, die wir als uns gleich annehmen. Darum kann man sich doch kümmern. Strukturen entwickeln, Visionen erdenken und ausgestalten, anders probieren, neu machen.

Ich dachte an eine Disability Pride Moth. Eine Motte, ihre verschiedenen Leben, ihre Lebensphasen. Es machte mich hoffnungsvoll mir vorzustellen, dass wir gerade vielleicht Teil von einer Bewegung sind. Irgendwo in einem großen Kreislauf hin zu etwas, das anders ist als jetzt.

Buch-Verlosung „beHindert und verRückt – Worte_Gebärden_Bilder finden“ – #DisabilityPrideMonth

Cover des Buches beHindert & verRückt - Worte_Gebärden_Bilder finden, es ist ein buntes Cover mit gelb, rot, blau und gründen Feldern, die von unterschiedlichen Texturen und Mustern bedeckt werden.
Cover des Buches „beHindert & verRückt, Worte_Gebärden_Bilder finden“

Mit dem Buch „beHindert und verRückt – Worte_Gebärden_Bilder finden“ bündelt Herausgeb*erin Eliah Lüthi 42 Beiträge beHinderter und verRückter Er_lebensrealitäten.
Mit Gedichten und Erzähl_Texten aber auch Theater- und Sprechstücken, sowie Bildern und Gebärdenstücken feiert es den selbstbestimmten Ausdruck und beHindert verRücktes Leben. Es entsteht ein ganz eigener Zugang zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Behinderung“ aber auch „Inklusion“, „Selbstbestimmung“, „Wahr_Nehmung“ – Leben.

Ein Buchprojekt, das seinesgleichen sucht.

Die Veröffentlichung besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil war die Veröffentlichung als Buch im Jahr 2020 bei der edition assemblage.
Der zweite Teil ist die barrierefreie Veröffentlichung des Buches in der digitalen Bibliothek bidok – behinderung inklusion dokumentation. Dort soll es die Beiträge als barrierefreie PDF, als Audio oder Audiodeskription und in Gebärdensprache geben.
Das Projekt kann weiterhin finanziell unterstützt werden. Alle Informationen dazu finden sich auf der Projektseite von bidok.

Anlässlich des #DisabilityPrideMonth verlosen wir drei Exemplare des Buches!

Und zwar unter allen, die uns bis zum 15. August einen Kommentar hier oder eine entsprechende Reply bei Twitter geschrieben haben. Nach der Auslosung nehmen wir direkt Kontakt zu den Gewinner_innen auf.
Die dafür nötigen Kontaktdaten werden ausschließlich zur Zusendung des Buches verwendet und nicht gespeichert

Cartoon-Buchtipp „Zeugen der Inklusion“ – #DisabilityPrideMonth

Buchcover, "Zeugen der Inklusion" in rot, "behinderte Cartoons 8" blau, "von Phil Hubbe schwarz, darunter ein Cartoon mit einer Szene an einer Haustür, links steht eine Frau mit schwarzer Sonnenbrille und weißem Stock, neben ihr sitzt eine Frau im Rollstuhl und hält ein Buch hoch auf dem das Piktogramm der Rollstuhlfahrer drauf ist, aber mit Flügeln und Heiligenschein. Sie fragen: "Dürfen wir mit ihnen über das Thema Behinderung sprechen?" Rechts steht ein Künstler mit Verband am Kopf und antwortet: "aber gerne bin ganz Ohr" - an seinem Klingelschild steht "Vincent"
Cover des Buches

Phil Hubbe gibts seit 1966, seine Cartoon-Reihe „behinderte Cartoons“ seit 2004.
Er lebt seit 1985 mit Multipler Sklerose und wurde von Freund_innen dazu ermutigt, Behinderung als Thema aufzugreifen. Zum Glück, denn es gibt durchaus Witze, die man mit und über das Leben mit Behinderung machen kann, ohne zu verletzen oder schlicht behindertenfeindlich zu sein.

Mit Knubbelstyle und Blick fürs Profane sind die Cartoons ein echter Lichtblick für zwischendurch.

alte Dame mit Hund (beide tragen eine Schutzmaske) fragt eine Person: "Hätte es eine einfache Schutzmaske nicht auch getan?", die Person schiebt jemanden im Rollstuhl, der in ein riesiges Kondom gehüllt ist und antwortet: "Er gehört zur Risikogruppe, da geht Schutz vor"
Cartoon aus dem Buch „Zeugen der Inklusion“

„Zeugen der Inklusion“ ist der achte Cartoon-Band der Reihe und im Lappan-Verlag erschienen. Mehr über Phil gibts auf seiner Webseite.