named

vonbisSie hat sie gefragt, ob sie ihren Namen sagen kann.

Und ich, die sich durch das wabernde Ungreifbar kämpfte, stolperte und klatschte der Länge nach auf den Bauch. Sie hat uns noch nie nach unseren Namen gefragt.

Es ist nicht wichtig.
Außer vielleicht in der Therapie.
„Um dem Kind einen Namen zu geben“.

Ich lache

Fortsetzung folgt

Wiederholungsmüde

pinkblackI don’t wanna talk
If it makes you feel sad
And I understand
You’ve come to shake my hand
I apologize
If it makes you feel bad
Seeing me so tense
No self-confidence

But you see
The winner takes it all
– ABBA –

Wie ich es leid bin, um Kontakte zu kämpfen.
Selbst darum zu kämpfen gesehen zu werden und gleichzeitig vor Angst unter Blicken zu vergehen.

Ich bin es so leid, nicht in Austausch zu kommen, um ein Nebeneinander in Respekt und Verständnis zu sichern.
Ich bin es so leid, Zuschreibungen auszuhalten.
Ich bin es so leid, immer dazwischen und mittendrin zu sein und gleichzeitig außen vor.

Immer wieder muss ich mich ohrfeigen, weil ich mich in ein Zentrum stelle, das gar nicht da ist.
Nicht jede kritische Äußerung, nicht jeder Wunsch, nicht jede Aussage, die an mich gerichtet ist, hat ein Gefahrenpotenzial in Bezug auf mein Überleben. Und trotzdem legt sich dieser Schalter immer wieder um.

„Ich muss…“
„Ich bin scheiße…“
„Ich bin ungenügend…“
„Ich sollte…“

und immer läuft es darauf hinaus eine Beziehung bzw. einen Kontakt zu sichern. Immer wieder geht es darum Innens wegzumachen, damit der Rest von uns von jemandem behalten wird. Immer geht es darum zu gewinnen, weil verlieren diesen Schmerz hat, den diese Angst vor dem Sterbeprozess mit sich bringt.

Ich wünsche mir eine Instanz, die das Spiel abpfeift. Und jetzt, wo ich einen Gedanken an so eine Instanz habe, fällt mir auf, dass sich das Spielfeld schon längst in eine Arena, mit ineinander verknoteten und verbissenen SpielerInnen in sich, verwandelt hat.
Egal, wie sehr ich versuche meine Kämpferscharenschaft abzuziehen, die Starre ist da. Irgendwas zwischen Beißkrampf und Schmerzstarre.

Und der Witz- das Ding über das ich mich ausschütten könnte, dass mir das Grinsen im Kreis um den Kopf herum wandert und die Augen aus den Höhlen springen, ist: Es ist scheiß egal, ob ich selbst das direkt mache oder nicht. Ich hab Innenleben, das statt meiner in so eine Arena geht und beißt oder gebissen wird.
Ich spiele immer mit. Egal, ob ich will oder nicht.

Wir sind so gut darin uns immer wieder an Menschen zu heften, die uns zeitgleich das Gefühl von Sicherheit, wie das Gefühl von Todesangst verursachen. Die immer wieder genau das Muster der Familie° an uns heran tragen. Das machen wir parallel nebeneinander her und jede/r auf seinem Gebiet…

Selbstverständlich ist so ein Spiel nie zu gewinnen. Das haben wir in unserer Familie° auch nicht wirklich gewonnen. Da sind wir auch einfach abgehauen, weil uns jede/r gesagt hat, dass man die eigenen Eltern nicht ändern kann.

Und jetzt wollen wir wieder abhauen. Alles ungeschehen machen und neu anfangen.
Dabei wissen wir, was die Verluste bedeuten. Wissen, was beim Abhauen so alles von uns abgeschnitten wird. Wissen das ganz genau. Wenn die Therapiererei in den letzten Jahren eins gezeigt hat, dann wie viel verdammt tiefer Schmerz und wie viele bis heute verletzte Innens den Weg von dort weg gepflastert haben. Wie viel „was wäre gewesen wenn…?“ bis heute immer wieder aufkommt.

Es wäre eine Wiederholung. Nichts weiter.
Ich bins leid zu wiederholen.
Stehe zum x-ten mal vor diesem Loch im Weg und will es anbrüllen, dass es mich vorbei lassen soll, damit ich nicht schon wieder reinfalle.

Ich will kein Gewinner sein.
Ich will nur nicht schon wieder verlieren.
Ich möchte es schaffen, mit Menschen ein Miteinanderspiel zu haben, in dem es weder oben noch unten, weder Gewinner noch Verlierer gibt.

Nur wie machen, wie gestalten, wie einfädeln…?
Ist es vielleicht nur ein Unwille anzunehmen, dass wir zu unfähig für dieses Ziel sind, der mich hier grad so antreibt einfach alle Kontakte nicht mehr zu erkämpfen, sondern versickern zu lassen?

Oder einfach ein lichter Moment?

der Witz, der keiner ist

… geht so:
Kommt ein multipler Mensch in ein Selbsthilfeforum für Menschen mit Gewalterfahrungen: „Und dann… muahahaha… dann musst du, um der beste Multiple von allen zu sein, dies und das und jenes tun. Nur so wirst du überall akzeptiert und du bekommst was willst- auch wenn du nicht wirklich multipel bist.“
Kommt ein anderer multipler Mensch dazu und …

keine Pointe.
Obwohl der Saal zu brüllen scheint.

Humor kennt keine Grenze- schon gar nicht die des guten Geschmacks, die des Anstands, die der Empathie zu jenen Menschen, die irgendwo mitgemeint sind oder sich als mitgemeint empfinden müssen. Nun ja- darum geht es bei manch bissigem Humor vielleicht auch. So sind satirische Abhandlungen zwar immer wieder der Anstoß in kontroverse Debatten und formen immer wieder den Umgang mit gewissen Themenbereichen und sind damit letztlich eigentlich ein sehr gutes Mittel zu thematisieren und lösend zu debattieren, doch ist dafür, meiner Meinung nach, eine mehr oder weniger neutrale Umgebung notwendig.

Witze bzw. ihre Positionierung und ihr Inhalt sind, meiner Meinung nach, auch ein Herrschafts- und Machtinstrument.

Das Typische „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ zum Beispiel in der N-Wortdebatte, wie in der Z-Wortdebatte, wie eben überall dort, wo sich gegen eine Fremdbezeichnung verwehrt wird, kommt immer- immer!- von jenen, die darum gebeten werden, das Privileg der Verletzung und/ oder Diskriminierung (also eine Art der Gewaltausübung) anderen Menschen gegenüber aufzugeben.
Und genau diese Menschen sind es, die einen Witz auch dann noch für einen Witz halten, wenn das N-Wort darinnen ist oder die Pointe des Witzes purer Rassismus ist.

Genau diese Menschen, sagen den Menschen, die sie verletzen und auf etwas reduzieren das deren Menschlichkeit bewertet und jenen, die es genau so sehen und empfinden, dass ihre Empfindungen „humorlos“ sind. „Ach- is doch nicht so gemeint- ist doch nur ein Witz- stell dich mal nicht so an.“.
Ganz großartig ja auch, wenn dann noch jemand meint auf diesem momentanen Deutungshoheitenhochwasser mitfahren zu müssen und so Perlen wie: „Ich bin ja selbst auch irgendwie gemeint/könnte gemeint sein und finds total witzig. Und jeder Mensch, der das nicht so sieht, ist humorlos und hat hier eh nichts zu suchen.“ kommen.

Im Grunde läuft es darauf hinaus: Auf eine Gewaltanwendung, die genau das tut: Sie definiert, wer sich wie zu welchem Thema äußern darf und wer eben nicht.
Außerdem passiert Folgendes: Aufgrund solcher Äußerungen werden Wahrheiten produziert, die ausschließlich bestimmten Menschen dienen und bestehende Probleme im Miteinander noch weiter unterfüttern.

So wie jeder Witz diverse Rollen braucht, so zementiert er sie mit jeder Wiederholung.
Ich will keine Judenwitze mehr hören, weil ich sehr klar im Kopf habe, welche Kackscheiße gemeint ist.
Ich will keine Blondinenwitze mehr hören, weil mit jeder Entwertung nicht nur blonde Menschen, sondern weibliche Menschen gemeint sind und so weiter und so weiter.

So will ich eben auch keine witzigen Textchen über Menschen mit DIS oder solchen, die nur so tun als hätten sie eine DIS, lesen, weil eben bestehendes Faken, Vorurteile und Klischees, denen ich hier im Blog und auch sonst, wenn ich irgendwo offen als Menschen mit DIS lesbar bin, ausgesetzt bin, immer wieder aufs Tapet gebracht werden und wieder in irgendjemandes Kopf eine Schneise fahren, wo sonst gar keine weitere Schneise zum Thema DIS ist.

Solche „Nicht-Witze“ machen es sowohl mir, als auch anderen Menschen mit DIS, immer wieder schwer so wahrgenommen zu werden, wie wir sind- unabhängig von irgendwelchen Möglichkeiten und Klischees. Auch vor Menschen, die ebenfalls diese Diagnose erhalten haben, ist so kein unbelasteter Austausch mehr möglich.

Immer wieder kommt es so zu einem „Kampf“ um die Deutungsmacht über mich und mein Verhalten als Mensch mit Stempel: „Ist sie echt oder ein Faker?“- „Ist sie nur ein bisschen multipel oder ganz doll?“.

Ich finde es zum Kotzen überall dort, wo ich mich als multipel oute – vor allem in Selbsthilfeforen/ Selbsthilfegruppen- immer wieder und wieder durch dieses so called „Selbstschutzradar“ gejagt zu sehen, obwohl ich niemandem etwas getan habe und auch keine Verantwortung für die Verletzung durch andere Menschen trage.
Ich finde es zum Kotzen, dass ich mich inzwischen nicht einmal mehr in Schutzräumen wirklich traue offen zu sein, weil es genau solche Sprüche, Texte und „satirische Einwürfe“ gibt.
Ich finde es zum Kotzen, dass das Machtverlangen- das Kontrollbedürfnis- anderer Menschen über andere Menschen als legitimes Verhalten nach Verletzung gilt und ohne Widerrede erlaubt wird.
Undiskutierbar, weil jedes Aufbegehren zum Rütteln am Thron wird und damit ja eh schon etwas ist, was nur bedeuten kann, eben außerhalb der Gruppe zu sein, die geschlossen definiert was lustig ist und was nicht- was verbindend ist und was nicht- was wo von wem wie gefunden wird oder nicht. Innerhalb der Gruppe muss ja nicht gerüttelt werden- da ist ja alles klar.

Ich finde es bitter genau das jetzt gerade in einem – ja doch trotz allem- Schutzraum erleben zu müssen.
Feststellen zu müssen: „Oh ja, ist doch ganz gut, dass ich nicht sofort und offen als multipel lesbar bin.“, „Gut, dass ich von diesen Menschen nicht so abhängig bin, wie es sich durch ihr Verhalten manchmal anfühlt.“.

Dort ist nicht die Frage was Humor darf- dort ist die Frage, ob es sich überhaupt um Humor als Kommunikationsmittel und Anstoß einer (kontroversen) Debatte handelt, wenn die Auswirkungen solcher Texte/ „Nicht-Witze“ in anderen Bereichen (zum Beispiel eben dieser Selbsthilfeforen- eben jenen Freiräumen, in denen eine Abwesenheit solcher Inhalte als nötig und normal betrachtet werden sollte), diskutiert, beweint und beschimpft werden (müssen).

Ich habe hier im Blog mal ein „Ave Multipla“ veröffentlicht.
Als mir klar wurde, welche Art Diskurs ich damit verhinderte- nämlich den, in dem es um einen konstruktiven Austausch, Anerkennung der Menschen als Menschen, die sie sind- nicht als die Menschen, zu denen ich sie mit meinem Labeling mache- und die Möglichkeiten einander respektvoll zu begegnen, stellte ich ihn als „nicht mehr sichtbar“ ein.
Ja, ich habe auch meine Vorurteile- meine Klischees- sehe diverse Strukturen, die sich wiederholen.
Aber ich will sie immer wieder hinterfragen und tue das auch. Bei jedem Menschen neu.

Wer das nicht tut oder tun will (meistens hingegen: nicht tun muss), der nennt Kackscheiße einen Witz und jene, die nicht lachen humorlos.
Letztlich geht es dabei darum, sich über andere zu stellen, was eine schwierige Haltung ist. Denn wer sich nicht hinterfragt, ist in meinen Augen nicht derjenige Mensch an den ich mich halten oder mit dem ich mich austauschen möchte, wenn es um die Definition einer Situation oder (soziale Werte-) Konstellation geht.

rotesBlattIch möchte den Menschen offen begegnen.
Empfinde es als emanzipatorisch mir erlauben zu können, keine generalisierte Angst vor Menschen haben zu wollen und mich bei jeder Begegnung aufs Neue von dem was mir im Kontakt begegnet, beeinflussen zu lassen.
Das hat sich bisher als unglaublich wertvoll für mich herausgestellt.
So wertvoll, dass ich Nicht-Witze dann eben auch als solche benenne.

Manch ein „Witz“ ist eben keiner.
Egal, wie viele lachen.

das Deutungseigentlich

Als ich noch wenig Kontakt nach innen hatte und mich mehr oder weniger von bewusster Insel zu bewusster Insel hangelte, konnte ich auf die Frage, wie es mir ginge, meist nur antworten: „Hm.“. Meine Therapeutin fragte dann so etwas wie: „Was ist denn los?“ und meine Standartreaktion war: „Alles scheiße“. Und das wars. Mehr nicht. Mehr war ja auch nicht.
Meistens fragte die Therapeutin dann: „Was ist denn eigentlich los?“
Was denn eigentlich?! Wohin hätte mich ein „Eigentlich“ gebracht?

420088_web_R_B_by_Dieter Schütz_pixelio.deEigentlich ist doch alles toll?
Eigentlich stelle ich mich doch nur an?
Eigentlich liegt die Lösung von allem in mir selbst?
Eigentlich nehme ich nur falsch wahr?
Eigentlich will ich doch etwas ganz anderes sagen?

Das pseudotherapeutische „Eigentlich“, hat für mich immer nur einen Zweck: „Du verdeckst den Kern deiner Aussage, um deine Umwelt für deine Probleme verantwortlich zu machen.“. Immer läuft es darauf hinaus, dass ich nicht auf etwas reagiere, sondern verschieben will.
„Ich bin wütend auf Sie, weil sie mir immer ein Eigentlich unterstellen!“
-„Eigentlich sind Sie doch gar nicht wütend auf mich, sondern auf Ihre Eltern“ oder noch schlimmer: „Eigentlich sind Sie nur wütend auf sich selbst.“.

Das Schlimme an diesem „Eigentlich“, das so vielen Psychotherapeuten und Psychiatern hilft ihre Klienten so richtig auf den Rücken und ihr eigenes Sein und Handeln allein zurückzuschmeißen, ist, dass es eine Strategie ist, bei der sowohl die Lebensumstände des Klienten, wie auch FragestellerIn selbst unsichtbar bleiben. Unangreifbar. Nicht hinterfragbar. „Professionell abstinent“.
„Ich habe damit nichts zu tun- es geht nur um Sie- ich werde dies und das und jenes nicht diskutieren, weil es nicht um mich geht. Ich unterstelle Ihnen nichts- ich sage Ihnen nur, was Ihnen eigentlich ihre Probleme verursacht.“.
Manche garnieren das sogar noch mit einer Art Zwang zur Dankbarkeit aus sozialem Druck heraus: „Ja, üben Sie ruhig die Wut, die Sie sich Ihren Eltern gegenüber nicht eingestehen können, an mir- ich bin gern Ihre Projektionsfläche. Mich kann nichts treffen, denn ich weiß ja, dass es Ihnen nicht um mich geht.“.

Vielleicht merkt der Leser schon, dass es in so einer Art Gespräch keinen Weg gibt, dem Gegenüber zu vermitteln, was man ihm vermitteln möchte oder die Annahme dessen, was wortwörtlich gesagt wurde zu erwirken. Immer bleibt man am ausgestreckten Arm hängen und das, was man tut bleibt wirkungslos.

Zurück bleiben Zweifel, Ohnmachts- und Auslieferungsgefühle. Die Selbstwirksamkeit vergammelt in der Ecke des Zimmers und die einzige Erkenntnis, die sich im Kopf ausbreitet ist die, dass man selbst schuld an etwas ist, oder unfähig zu etwas, oder sogar selbst ein schlechter/ kranker/ feiger/ dummer/ unfähiger Mensch ist.
In der Psychiatrie gilt es dann als „Krankheitseinsicht“ oder „Selbstreflektion“- nicht etwa als Unterwerfungsgeste oder Reflektion dessen, was in dem Gespräch auf einen eingewirkt hat.

Es ist ein Werkzeug zur Machtausübung.
Gerade in der Psychiatrie, in der es ein Machtgefälle sondergleichen gibt, begegnete mir diese Gesprächsführung oft. Ambulante TherapeutInnen, die so agieren, kenne ich auch und auch einige Menschen ohne diese Profession, die dem einmal ausgeliefert waren und es als Muster zum Kontrollerhalt für sich angenommen haben.

Eigentlich sehr schlau sich das anzunehmen, denn nichts garantiert so wenig Verletzung durch soziale Interaktion, wie das gnadenlose von sich weisen der Worte allein. Die Suche nach der Deutung- dem „Eigentlich“- ist vielseitig und auf alles anwendbar. Gerade in Konfliktsituationen, ist das suchbare „Eigentlich“ ein Garant für Entfernung von sich selbst und die Beschränkung des Gegenübers.

Solche Menschen wirken immer sehr stark und unverletzbar- sind es in der Kommunikation meistens auch und müssen es in der Regel auch aus irgendeinem Grund sein, um sich zu schützen.

Die Frage, wie man darauf reagiert, kann ich mir selbst nicht ganz beantworten.
In der Psychiatrie hat man keine andere Wahl als zu spalten. Man behält (hoffentlich) das ein, was man meint und agiert aber nach außen so, wie es verlangt wird. Nach der Entlassung sucht man sich jemanden, der ohne diese Art Gewalt mit einem interagiert.
Ambulante TherapeutInnen, die so agieren gibt man am Besten gleich den Therapieplatz zurück. Egal, wie schwer die Suche nach jemand anderem wird, sie wird sich immer mehr lohnen als das, was einem dort angetan wird.
Bei Menschen außerhalb dieses Kontextes fehlt die Komponente des „Ich will etwas von dir“. Man könnte also auch einfach gehen.
Doch was ist, wenn man merkt, dass es sich um jemanden handelt, den man gern hat? Oder es jemand ist, bei dem man die Strategie durchschaut und weiß, dass man in manchen Situationen etwas in ihm bedroht?
Was ist, wenn derjenige das offene Lernfenster vor seiner Nase ignoriert und nicht begreift, dass ihm gerade eine Chance begegnet zu erfahren, dass ihm vom Gegenüber nichts geschieht, was diesen Schutz nötig macht?
Wenn nicht einmal durchdringt, dass man verstanden hat und akzeptiert?
Steter Tropfen? Holzhammer? Oder Schulterzucken und sich selbst immer wieder ein „Eigentlich“ vorsagen, wenn es wieder losgeht?

Ich weiß es nicht und ich selbst mache es vom Grad meiner Erschöpfung abhängig, ob ich gehe oder bleibe. Immer wieder etwas aushalten zu müssen, ist nicht die Art Kontakt, die ich mir wünsche und die mich heil lässt. Obwohl ich mich glücklich schätze, diese Dynamik nach vielen Jahren in Psychiatrie und zerstörerischer Beziehung zu TherapeutInnen erkannt zu haben.
Ich möchte nicht diejenige sein, die, und sei es nur vor sich selbst und aus Schutzgründen, zum Mittel der Gegengewalt- zum „Deutungseigentlich“- greift.
Für mich ist es bereits ein Grenzübertritt zu erwarten, dass das Gegenüber etwas Anderes, als seine Worte sagen will. Davon auszugehen, dass hinter dem, was er mir zeigt, noch viel mehr stecken muss, nur weil ich das so deute.

Wer bin ich, dass ich mich zur Deutungshoheit über seine Aussagen stellen darf? Er spricht doch zu mir und sagt, was er sagen kann. Vielleicht ist es auch nicht mehr, als das, was er eben sagt. Und sei es drum, dass es nur zwei Worte sind, wie ich sie früher oft benutzte: „Alles scheiße.“.
Es war für mich eben alles scheiße. Alles um mich herum war scheiße. Es war scheiße, eingesperrt zu sein. Scheiße, keine Privatsphäre zu haben. Scheiße, „krank“ zu sein. Scheiße, sich nicht gut zu fühlen. Scheiße, keine Perspektive zu haben. Scheiße, ich zu sein. Alles eben. Alles war eben scheiße.
Um zu der Feststellung zu kommen, musste nichts passieren. Um es so zu empfinden, brauchte es keine tiefere Ursache, als das, was da war. Und der Grund, weshalb ich es sagte, war der, dass mein Gegenüber mich gefragt hatte.

Ich kann überlegen, ob sich ein Aushalten lohnt. Ob ich meine Erschöpfung von solchen Situationen besser kompensieren kann. Ein „Eigentlich“ hilft mir bei der Sortierung, der Verarbeitung dessen, was mir diese Erschöpfung verursacht hat, ganz klar. Aber ich will keine Kontakte, bei denen es ausschließlich das „Eigentlich“ für mich selbst ist, das mir hilft mit jemandem zurecht zu kommen bzw. jemandes Verhalten einzusortieren.
So habe ich oft genug in anderen Kontexten aushalten müssen.

Es sind schwere Überlegungen und der einzige Grund für diese Überlegungen sind egoistische Motive zur Mehrsamkeit. Ich bin lieber mehrsam, als einsam.
Doch den Preis dafür muss ich mir festlegen.

die Sache mit dem Schreien nach Aufmerksamkeit

Da gab es einen Satz in der letzten Therapiestunde, der mir sowohl „Autsch“ als auch „Stimmt“- Impulse näher brachte:
„Wer schreit, kann nicht zuhören“

Wie wahr, wie wahr. Wenn jemand schreien muss, um gehört zu werden, dann bringt er in der Regel viel Energie auf und hat schlicht keine Kapazität mehr, um zuzuhören. Ab einem Punkt gibt es auch keine Ratio mehr. Dann ist ein Level erreicht, in dem es nur noch darum geht, gehört und sich seiner angenommen zu fühlen.

Dieser Satz brachte mich zurück in meine Kinder- und Jugendpsychiatrie- sowie meine Heimzeit als Jugendliche. Wie oft habe ich dort – ausgerechnet dort! – den Antisatz schlechthin gehört: „Ach – sie will ja nur Aufmerksamkeit“? Ich habe es nicht gezählt.

Es ist ein Antisatz, weil er oft zur Sackgasse verleitet.
Wer in der Lage ist, jemanden schreien zu hören, der kann auch zuhören und entsprechend handeln. Sich mit einer Beschreibung bzw. auch einer Deutung eines Verhaltens darzustellen, als jemand, der dies schon richtig einschätzt und damit sein (unter Umständen falsches) Handeln- oder auch Nichthandeln oder gar Ignorieren rechtfertigen darf, der nutzt etwas aus.
In meiner Klinik- und Heimzeit war es ein Machtgefälle.
Ich brauchte Hilfe und schrie es auf viele Arten heraus und manche Helfer standen da, sahen dies und legten mit dem Satz „Ach, sie will nur mal wieder Aufmerksamkeit“, die Hände in den Schoß. Werteten meine Not ab und verstärkten sie damit gleichzeitig, denn die Verzweiflung wuchs: Da hatte jemand mein Schreien bemerkt und mich doch wieder nicht wahrgenommen. Mir genug Aufmerksamkeit geschenkt, mein Schreien als solches zu hören, aber nicht genug, um es anzuhören und sich mir in der Folge zu widmen.
Ich war auf Hilfe angewiesen und jene, die sie mir hätten zukommen lassen sollen, ignorierten sie aus was weiß ich für Gründen. Einen Vorteil hatten nur sie davon. Ich konnte mich nicht mehr anders ausdrücken, doch jedes weitere Schreien konnte unter ihrer Deutungs-/ Definitionsmacht weiter abgewertet werden. Egal, was ich tat – es war nicht das, was zu dem führte, was ich brauchte.

Wenn wir Menschen geboren werden, können wir unter Umständen bis ins dritte Lebensjahr nichts Anderes tun, als mehr oder weniger artikulierte Schreie und Laute von uns geben. Die erste Form von Ausdruck über Befindlichkeiten und auch Nöte ist das Schreien.
Es ist ein Akt, der unglaublich viel Kraft abverlangt und deshalb im Laufe der Jahre immer gezielter eingesetzt wird, sobald das Gehirn so weit ausgereift ist, dass es klar und eindeutig Ursache und Wirkung miteinander verbinden kann. Bis es ein Gefühl für Selbstwirksamkeit gibt:
Ich schreie = das, was außerhalb von mir ist, reagiert darauf = mein Bedürfnis wird befriedigt

Sind wir Menschen in der Lage, Worte zu verwenden, Werkzeuge gezielt zum Ausdruck innerer Prozesse und Gefühle zu nutzen, brauchen wir nicht mehr Schreien oder auf unartikuliertes Ausstoßen von Tönen zurückzugreifen. Wir tun es aber trotzdem, wenn wir in großer Erregung sind. Wenn durch unsere Adern alles schießt, was da schießen kann. Angst, Schmerz, sexuelle Erregung, Freude, Verzweiflung. Selbst wenn kaum noch etwas schießt, zum Beispiel bei einer Depression oder im Sterbeprozess, schafft es unser Organismus noch unartikuliertes Stöhnen oder Seufzen zu produzieren, um eine Ausdrucksmöglichkeit bereitzustellen.

Ist das nicht der Hammer schlechthin? Was unser Körper alles an Kraft aufzubringen in der Lage ist, um eine Entlastung durch die Befriedigung unserer menschlichen Grundbedürfnisse zu erreichen!

Warum fällt es so schwer, der Seele den gleichen Platz wie Hunger, Durst, Nähe- und Wärmebedürfnisse, ja sogar das Bedürfnis nach Spiritualität einzuräumen?
Weil sie unsichtbar ist? Die Bewertung der seelischen Bedürfnisse einzig subjektiv vornehmbar ist? Oder nicht vielleicht auch, weil unsere westliche Vorstellung von Gesundheit, nach wie vor eine Trennung von Körper und Geist und Seele vornimmt?

Ich könnte jetzt einen kleinen Exkurs in Psychosomatik beginnen – mache aber doch nur einen kurzen Abstecher.
Jeder, der mal Liebeskummer hatte, weiß, dass es gegen diesen Schmerz keine Tablette gibt – dass aber eine Selbstmedikation aus Selbstmitleid, Trost von außen und viel Schokolade sehr gut hilft. Will sagen: ja – da ist eine Trennung – doch nicht so eine Trennung, als wäre die Seele ein eigenes Organ, ganz ohne Einfluss auf den Körper. Sowie andersherum Dinge, die dem Körper zugeführt werden, einen Einfluss auf die Seele nehmen.
Das kann man in dem täglichen Miteinander voneinander lernen, wenn man sich einander widmet und seinem Schreien zuhört.

Ich habe es an mir gelernt, als ich begriff, dass ich immer dann den Drang mich aufzuschneiden spürte, wenn ich eigentlich das Bedürfnis nach warmer Nähe- nach liebe- und verständnisvollem Kontakt hatte. Ich einfach nur jemanden brauchte, der sich mir widmete.

Es ist tatsächlich ein Schreien. Ein unglaublich kräftezehrendes Schreien.
Wir mussten zu Klinikzeiten ein Protokoll führen, um das Muster der Selbstverletzung, der Essstörung, der Dissoziation zu erkennen.
Dieses Protokoll half uns, das Bedürfnis, welches das Schreien (in diesen Fällen das Hungern und Schneiden) nötig machte zu erfassen und auch zu reflektieren, wann genau der Moment vorbei war, in dem der „flüsternde“ Ausdruck dieses Bedürfnisses nicht gehört oder auch direkt übersprungen wurde, weil gemäß der Lernkette kein Flüstern lohnte.

Der Satz „Die will ja nur Aufmerksamkeit“ ist etwas, das so eine „Ach – hier lohnt das Flüstern gar nicht“- Lernkette verfestigt. Er bestätigt die Lernkette: Ich sage etwas = niemand reagiert.

Man kann so eine Erkenntnis für sich haben. Natürlich. Man kann als Helfer da stehen und ein Verhalten für sich so einordnen. Aber dann muss ein weiterer Schritt kommen!
Im günstigsten Fall auf den Schreienden zu.
Dieser kann dann erfahren, dass seine Nachricht irgendwo angekommen ist. Und dann wird das Schreien verebben. Und DANN ist auch wieder Platz für Ratio und Zuhören.
Vorher nicht.
Ganz einfach.

Von Schreienden zu verlangen, die Klappe zuhalten, ihren Ausdruck zu unterlassen, ist Gewalt.
Eine Gewalt mit der wir hier in unserer Kultur alle durch Bank weg, mehr oder weniger stark (und zerstörerisch) konfrontiert waren, als wir selbst Kinder waren. „Kinder soll man sehen – nicht hören“. Ein Satz aus der Jahrhundertwende. Heute sagt ihn niemand mehr – es wäre aber ehrlicher, ihn zu sagen. Denn in vielen kleinen und großen Zusammenhängen erwarten wir Erwachsenen genau das von Kindern: „Sei still!“.
Und dieses Muster tragen unsere Kinder unter Umständen weiter. Es sei denn wir widmen uns ihnen und schaffen es ihre Perspektive einzunehmen und ihnen ihre Ausdrucksmöglichkeiten zuzugestehen. Diese zu akzeptieren und im Miteinander zu berücksichtigen.

Manchmal denke ich: „Ach Mensch, es ist doch so einfach eigentlich. Wieso klappt das denn nicht? Gerade in Einrichtungen, in denen viele Menschen sind, die vor sich hinschreien – sich vielleicht sogar richtig festgeschrieen haben. Es kann doch nicht sein, dass das immer und immer so ungehört bleibt! Es wäre doch im Vergleich schneller ‚erledigt‘, wenn man sich ihrer annimmt …“
Ab und an habe ich den Verdacht, dass es vielleicht auch eine Angst gibt, das eigene Schreien nicht mehr gehört zu wissen. Als Helfer in der Not nicht mehr schreien zu dürfen – seine Bedürfnisse nicht mehr ausdrücken zu dürfen. Als sei die Annahme anderer Menschen etwas, das eigene Nöte ausschließt.

Und tatsächlich finde ich diesen Gedanken oft bestätigt.
Es gilt als unprofessionell emotionale Tiefs zu haben und diese deutlich zum Ausdruck zu bringen. Als schwach gilt, wer Mitleid empfindet und selbst ein paar Tränen vergießt. Gerade im Bereich der Pflege, Pädagogik und auch im psychiatrisch-medizinischen Bereich.
Da gibt es die Vorgabe von strikter Abgrenzung und Unpersönlichkeit. So ein Ideal vom Halbg’tt in Weiß, an dem alle Emotionen wie von gleichsam weißen Lotus abperlen. Wer dem nicht entspricht, ist schwach, unprofessionell, nicht geeignet für seinen Beruf. Unterm Strich: minderwertig.

Ich will jetzt nicht dazu aufrufen, dass mir meine Therapeutin heute oder auch früher meine Betreuer oder die mich betreuenden Krankenschwestern hätten ihre Probleme erzählen sollen. ABER – ich hätte mit: „Ich habe heute einen miesen Tag-bin krank-meine Ohren und mein Herz sind heute überhaupt nicht auf für deine Not“ oder auch „Ich sehe dich, aber ich habe keine Kraft/ keine Zeit/ keine Ideen, um dir gerade gut und hilfreich beizustehen“ lernen können:
Ich schreie = jemand hört mich, kann mir aber gerade nicht zuhören – ich muss warten/ zu jemand anderem gehen/ XY tun (vielleicht dem Menschen helfen?) = dann wird mein Bedürfnis befriedigt

Mit: „Du willst ja nur meine Aufmerksamkeit“ wurde nur gelernt, dass ich weiterschreien muss.
Und sei es meine Verzweiflung darüber, dass mich niemand wirklich hört. Wie früher. Wie damals, als so viel durch meine Adern schoss, dass ich nichts weiter tun konnte, als wie am Spieß zu schreien. Wie damals, als ich noch gar nichts anderes konnte als mich durch Schreien verständlich zu machen. Und das vor Menschen, vor denen ich nur deshalb stand, weil bereits damals niemand zugehört hatte.

Ich bin froh und dankbar, dass ich heute viele Ohren habe.
Dass ich schreiben kann.

Und dass ich heute gehört werde.

von der Psychiatrie und der unbezahlbaren Hilfe

Ein Artikel über die Psychiatrie.
Als Aperitif gibts ein Horrorfoto.
Thema: Legalisierung von Zwangsbehandlung im Hauptgang.
Definitions-Allmacht von (überarbeiteten, im Verhältnis zur Arbeitszeit unterbezahlten, eher einseitig fortgebildeten) Ärzten zum nur hauchzarten (kaum erwähnenswerten) Dessert.

In meinem Kopf rattert sie Uhr tornadoardoartig rückwärts.
2001- 14 Jahre alt.
Gerettet aus einem Gefängnis- entkommen aus einer versteckt gespaltenen Welt
Erneut eingesperrt in ein Gefängnis und in eine ganz offen gespaltene Welt.

Weil es keine Alternative gibt.
Weil mir dort geholfen werden kann, wie sonst nirgends.
Weil ich dort verstanden werde.
Weil es mir dort besser geht.

Niemals war auch nur ein Mensch so ehrlich zu uns zu sagen, dass sie schlicht hilflos waren. Weil es keine andere Möglichkeit des Schutzes gibt. Dass wir diese Internierung aushalten mussten, weil die Menschen uns nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie unsere Geschichte nicht aushalten konnten oder wollten. Weil sie die Folgen davon nicht aushalten konnten oder wollten.

Sie haben es sich leicht gemacht und mich abgeschoben- weggesperrt- verwahrt- ausforschen- verbiegen bis zum Brechen lassen.

Sie haben nicht gesehen, dass sie ab dem Zeitpunkt unserer Aufnahme dort, nun unsere Eltern ersetzten. Und wie deutlich sie das taten… Himmel ja WIE verdammt noch mal deutlich sie genau das Gleiche getan haben, wie unsere Familie. Nur haben sie es nicht “Pseudoreligion” genannt, sondern “Hilfe”.

Es war ein Tausch nichts weiter. Hellgraue gegen Arztseifenweiße Folter

Was sie gesehen haben war eine 14 Jährige, die sich immer wieder selbst verletzte. Eine 15 Jährige die den vierten, fünften, sechsten, siebten, achten…. fünfzehnten Suizidversuch gerade eben so mal noch überlebt hat. Eine 16 Jährige, die plötzlich aus heiterem Himmel anfängt zu schreien, niemanden zu erkennen scheint und auf Mitarbeiter losgeht. Eine 17 Jährige, die so abgeklärt über psychische Krankheiten spricht, als wäre sie selbst die Ärztin.

Was wir waren war eine lichtentwöhnte 14 Jährige, die den Boden küsste über den sie laufen durfte- komplett verwirrt über das was mit ihr passierte- ausgeliefert unmündig und hilflos.
Eine 15 Jährige, die sich von ihrem ambulanten Therapeuten hat missbrauchen lassen, weil sie unter anderem befürchten musste, wieder eingesperrt zu werden. Wieder ausgeliefert, unmündig und hilflos. (Und zu dem Zeitpunkt schon völlig allein auf sich gestellt).
Eine 16 Jährige, die anfängt sich an die erlittene Gewalt zu erinnern und gerade mal so das Glück hat, in einer psychosomatischen Klinik zu sein- statt in einer Psychiatrie, wo es alles noch viel schlimmer hätte sein können.
Eine 17 Jährige, die in 3 Jahren durch 7 Kliniken und 5 Jugendverwahrungseinrichtungen hindurch geflippert wurde und deren einziger Hoffnungsfunke auf Heilung und Leben ohne Gewalt, eine dreizeilige Email in ihrer Hosentasche ist; geschrieben von einem Menschen, mit dem sie vielleicht 2 Stunden Zeit verbracht hat und nicht einmal wirklich kennt.

Wir waren die ganze Zeit allein und hatten keine Menschenseele, die sich darum geschert hat, was mit uns dort passiert. Die, die Entwürdigung der Massenabfertigung und den Raub der Selbstbestimmung für uns beklagt hat. Da war niemand, dem wir unsere Gewalterfahrungen mit Pflegern hätten sagen können, ausser den Patientenvertretern zu denen wir aber keinen Kontakt aufnehmen konnten, ohne die Hilfe des Personals. Zusammen mit einer Diagnose die gleichbedeutend mit Unzurechnungsfähigkeit und  Realitätsverlust ist, hatten wir schlicht keine Chance.

Es war wie in der Hölle, die gerade vorher verlassen hatten.

Was wir durchgemacht haben ist unglaublich. Es ist unglaublich schlimm, unglaublich viel, unglaublich viel Nichthilfe. Und was wir in Bezug darauf heute wahrnehmen, ist unglaublich viel Ungläubigkeit.
Nein, uns wurde nicht das Gehirn unter Strom gesetzt. Nein, unser Frontallappen wurde nicht therapeutisch wertvoll verletzt. Unser Gehirn wurde uns ausgedörrt in den vielen hundert Stunden zwischen den “Behandlungen”, in denen man völlig auf sich geworfen ist- äußerlich strengstens reglementiert, während der Same des Wahnsinns unter dem tumben Starren auf Klinikflure, Klinikessen, Kliniktüren, Klinikroutine, Klinikklinikkliniklinikatmosphäre überhaupt erst zu wachsen in der Lage ist.

Wir wissen (zum Glück) nicht, wie es für Erwachsene ist, so in Not und ohne ausreichendes soziales Netz zu sein, dass man sich in eine Klinik begeben muss, um Schutz vor sich selbst (oder anderen Menschen) zu erfahren. Und freiwillig werden wir das auch nicht erfahren.

Die Psychiatrie war für uns das Trauma nach dem Trauma.
Die ersten 2 Therapiejahre nach der letzten Entlassung brauchten wir dafür auf, überhaupt auch nur wieder irgendeinen Helfer (nicht nur Menschen überhaupt)  näher als eine Diagnostik an uns heranzulassen. Ein öffentliches Feindbild wie zum Kindesmisshandler gibt es für Helfer nicht. Eine Hetzpropaganda, wie aktuell gegen die Institution Kirche, gibt es nicht für die Institution Psychiatrie. Vor der breiten Öffentlichkeit steht man vor solchen Erlebnissen ganz genauso verlassen und ohnmächtig, wie vor der gezielten sexuellen Ausbeutung von kleinen Kindern mitten in Deutschland. Jeder kriegt einen Schauer der den Rücken herunter rieselt, jeder hat seine Gedanken dazu. Doch wenn es darum geht eine Hand zu reichen, wird sich weggedreht und unsichtbar gemacht. Und in beiden Fällen muss man sich mehr oder weniger krassen Eigenschuld- (im Sinne einer Eigenverantwortungs-) zuweisungen aussetzen.

Vor ein paar Wochen noch, bekam unsere Therapeutin die volle Breitseite dessen ab, was hier los geht, wenn uns jemand mit der Einweisung bedroht. Und für uns beginnt die Bedrohung schon mit der überhaupt-igen Nennung der Psychiatrie als Option für Hilfe.

Keiner- absolut kein Mensch auf dieser Welt würde das, was real in einer Psychiatrie vor sich geht, als hilfreich bezeichnen, wenn man das Ganze schlicht losgelöst vom Status der „Retter der Gemütskranken“ heraushebt:
Eine Woche hat 168 Stunden
minus jeweils 8 Stunden Schlaf, ergibt das 112 Stunden Wachsein.
Davon werden ca. 8 Stunden therapeutisch gestaltet (je nach Klinik- ich nehme einfach mal den Standard aus meinen Zeiten in der Ballerburg).
Das ergibt unterm Strich: 104 Stunden geistig- seelische Nulllinie, die man mit Kettenrauchen, Gedankenkarussell, Patientengesprächen, Illustrierte lesen, nicht-an-seine-Probleme-denken-aber-doch-dazu-zwingen-weil-man-ja-dafür-da-ist und mit dem intensivem Beobachten aller emotionalen und sozialen Vorgänge auf der Station wiederzubeleben versucht.
Würde man diesen Behandlungsstandard auf ein akutes Herzversagen oder auch eine chronische Lungenentzündung übertragen hieße das unter Umständen: “Wie jetzt hier- sie kriegen so wenig Luft- sie kriegen doch schon 8 Stunden am Tag die Maschine an den Hals!”; “Ich hab schon 8 Sekunden mit der Lebensrettung verbracht- was will der denn noch?!”

Man führt ein Leben wie Schrödingers Katze:  eingesperrt in einer Box und ob man noch lebt oder nicht ist Definitionssache. Und die Macht über diese Definition, könnte mit dem Gesetz nun auch noch in jedem Fall- egal wie diese ausfällt (ob zutreffend oder nicht) rein bei den Ärzten bleiben. Komplett unhinterfragt oder in der Lage die Box zwecks Überprüfung zu öffnen.

Es ist ein Witz. Es ist infam. Es ist eine gesellschaftliche Schande, dass wir solche großen, relativ sicher finanzierten Kästen wie die Psychiatrie, überhaupt noch haben und sogar brauchen.
Es ist die medizinisch-kapitalistisch-sozialdarwinistische Vermeidungsblase, die uns davor bewahrt den Wahnsinn, Kontrollverluste und schiere menschliche Natur zu nah uns heranzulassen. Realitätsverlust als “kann mal vorkommend” zu betrachten. Menschliches Elend von uns fern zuhalten. Uns nicht zu belasten. Uns nichts ans Bein zu binden. Um uns vor gesellschaftlicher Verantwortung zu drücken.
Uns selbst nicht zu fragen, wie wir verhindern können, dass es anderen Menschen schlecht geht.

Uns daran zu hindern jedem unserer Freunde zu sagen, dass sie auch mitten in der Nacht bei uns klingeln dürfen, um von uns vor sich geschützt zu werden-von mir aus auch eingeschlossen zu werden und die nötigen Mittel aufgedrängt zu bekommen und die Hand durch die Neben- und Nachwirkungen zu halten.

Wir sind dankbar dafür, dass wir uns in der Hinsicht auf unsere Gemögten verlassen können. Niemand von ihnen würde uns abweisen, stünden wir mit diesem Anliegen vor ihrer Tür.

Als wir (noch vor 6 Jahren) nicht in der Lage waren zu essen wie Menschen, gab uns unser mit uns verbündeter Mensch den Rahmen der nötig war- ohne uns zu verachten. Als wir nicht wussten, ob und wenn ja wer, von uns Kontakt zu Tätern aufnehmen könnte/versuchen würde, sich das Leben zu nehmen/versuchen würde, ihn zu verletzen… Als wir so depressiv waren, dass sogar das Heben der Augenlider eine einzige Qual war… Als schon ein unsichtbares Geräusch Innenkinder hochspülte die noch mitten im Traumaerleben sind… Als wir so richtig tief in der psychischen Scheiße standen- alle Weichen auf Psychiatrie standen, brauchte es doch nur jemanden, der schlicht da war und den Schlüssel zur Wohnung versteckte. Taschentücher, Kotzeimer, Schlaftabletten, ein starkes Rückgrat und ein liebevoll fürsorgliches Herz hat.

Leider ist das etwas, das die Krankenkasse nicht leisten kann und der Staat, oder diejenigen die es leisten könnten, nicht leisten wollen.

Denn die wahre Hilfe kommt von Menschen, deren freies starkes Dasein einfach unbezahlbar ist.

Interessantes und Nützliches zum Thema
– die schlaue Patientenverfügung gibt hier zum Download
– Steinmädchen schreibt auf ihrem Blog über “Psychiatrisch- Patriarchale Kontrolle” und unterstreicht die Notwendigkeit von geschlechtsspezifischen Therapiemöglichkeiten
– viele Bücher, Sachwissen und Zugang zu Alternativen bietet der Antipsychiatrieverlag von Peter Lehmann
– die internationale Arbeitsgemeinschaft “Soteria” stellt sich und seine Ziele hier vor
– das Berliner “Weglaufhaus” sollte jedem sofort in den Kopf kommen, wenn es um Alternativen zur Psychiatrie geht- es braucht so viele NachahmerInnen, sowie offene UnterstützerInnen wie nur möglich
– zum Thema Psychopharmaka und Psychiatrie mein Artikel „auf wundersame Weise“
– als weitere hilfreiche Anlaufstelle bietet sich auch der sog. „Trialog“ (Patient, Klinik, Mittler) der Stadt an- Kontakt hierzu bekommt man über den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt in der man wohnt
– zu: „einem erweiterten Verständnis psychischer Störungen, neuem Wissen über genesungsfördernde Faktoren in der Psychiatrie, der Entwicklung neuer Methoden und umfassender Inhalte in der Fachkräfteausbildung und innovativen Angeboten psychiatrischer Dienste“ informaiert und aktiviert „Ex-In„. Ein vielversprechendes und umfangreiches Pilotprojekt. Weitere Informationen zur Genesungsbegleitung durch „Ex-In“ gibt es auch auf dieser Website.
– grundsätzlich muss das Motto derzeit leider noch immer sein: „Niemals allein Kontakt mit der Institution „Psychiatrie“ haben- hab immer jemanden mit im Boot, der dich im Zweifel da raus streitet und für dich eintritt“

 

Vielleicht an alle die aus Angst vor Täterkontakten regelmäßig in de Psychiatrie gehen (müssen):
Immer wenn ihr raus seid- greift zum Weberschiffchen und vernetzt euch. Es ist schwer und gruselig- vielleicht sogar noch verboten. Aber wenn ihr etwas anderes erreichen wollt, als das was ihr jetzt gerade durchmachen müsst, dann müsst ihr auch etwas anderes tun als jetzt.

So gemein es klingt, hatte Einstein schon Recht als er sagte:
“Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, aber immer ein anderes Ergebnis zu erwarten.”

Immer wenn ihr eine Fingerspitze aus der Scheiße herausstrecken könnt- versucht nach echten Helfern zu greifen. Es lohnt sich, denn es geht um euer Leben und eure persönliche Freiheit.
Ihr dürft das.

der bestmögliche Mensch

Der bessere Mensch

Es ist es nicht interessant, wie wir uns selbst gegenseitig schon mit der Formulierung abwerten? Wer oder was definiert, wer ein schlechter oder guter und wer ein besserer oder schlechterer Mensch ist? Ist es das, was er tut oder das, was er lässt? Macht uns eine bestimmte Meinung besser als andere? Macht uns ein Weltbild oder die Auffassung von selbiger zu einem besseren Menschen?

Warum reicht uns Menschen nicht, die Annahme, dass jeder Mensch der bestmögliche Mensch ist?
Warum müssen wir immer ein Wertgefälle erzwingen, wo gar keines nötig ist?

Ich hatte mal einen Artikel darüber geschrieben, dass ich denke, dass wir Menschen es uns eigentlich leicht machen sollten und uns eine gewisse Art “Tiersein” zugestehen sollen.
Unser Hund ist immer der bestmögliche Hund für uns. Sie ist immer die Tollste- ganz egal ob sie sich schon zum 3ten 4ten oder eine Millionsten Mal in Dreck gewälzt hat, mir den x-ten dicken Knüppel auf die Füße wirft oder einfach immer noch kein Schmusehund ist. Wir wissen, dass sie tut was sie tut, weil sie es tun kann und nicht, weil sie sich besser oder schlechter stellen will.
Genauso wie wir Menschen im Grunde auch nur tun was wir tun, weil wir es können.

Aber immer wieder müssen wir uns aufwerten, Unterschiede noch unterschiedlicher machen, um unsere Individualität nochmal und nochmal zu unterstreichen. Ohne uns zu überlegen- uns bewusst zu machen, was genau wir damit tun und was wir unter Umständen mit diesem Verhalten nähren.

Neulich sind wir mit NakNak* durch den Wald gegangen und es raste uns ein Sportradler entgegen. Kopfhörer auf den Ohren, Kippe um Mundwinkel, bergab durch den Wald. Ich sah NakNak* schon seinen Rädern und rief sie ran, nahm sie an die Seite, hielt sie fest. Der Radler stoppte und schaute mich an. Ich winkte ihm zu, er könne uns nun gefahrlos überholen (als wäre NakNak* oder ich die Gefahr- nicht er in seiner stumpf-rücksichtslosen Art durchs Naturschutzgebiet zu donnern). Er aber blieb oben und schrie (!) mich an, ob ich mir denn jetzt wie ein besserer Mensch vorkäme.
Ich war erschreckt, sagte nichts, ließ NakNak* laufen und ging weiter. Dachte aber: Hm, ich kam mir zuvorkommend, mich selbst und meinen Hund schützend, feige und defensiv vor- aber wie ein “besserer Mensch”? Er hatte doch nicht seine Biologie verändert, oder?

Wann fühle ich mich besser vor als andere?
Nie. Ich fühle mich nachwievor immer schlechter, wertloser, widerlich anderen gegenüber.
Wann wird mir gesagt, ich sei besser als andere?
Wenn ich einen Wettbewerb mittels einer meiner Fähigkeiten gewonnen oder im Wettstreit mit jemandem war und mittels einer mir eigenen Handlung siegte.
Wann bin ich ein besserer Mensch? Wann und in welchem Kontext kann ich mir besser in meinem Menschsein vorkommen?
Immer dann wenn ein Maßstab zu meinem Gunsten angelegt wird.
Also… zum Beispiel bin ich ein besserer Mensch als mein Hund. Oder mein Laptop. Ich bin ein besserer Mensch, als ein Skelett. Und so weiter.
Aber wenn ein anderer Mensch neben mir steht… Er ist einer- ich bin einer. Homo Sapiens Sapiens. Beide gleich. Hier verbietet sich jeder Vergleich- jede Wertung ist hier fehl am Platz.

Unsere Existenz ist in jedem Fall gleich- immer. Und unser Sein ist ganz grundsätzlich immer “menschlich”.  Unser Verhalten kann schwanken, unsere Empfindungen und unsere Werte ebenso- aber sie alle können nur so weit schwanken wie es unser Sein- das Menschsein- zulässt. Wir Menschen können uns noch so sehr verhalten wie die Tiere- wir werden nie aufhören ein Mensch zu sein. Und wir werden im Vergleich der Tierischkeit immer abstinken gegen echte Tiere.

In der Philosophie des Humanismus geht man soweit, dass man davon ausgeht, dass Menschen in ihrer Menschlichkeit einen Rang erreichen könnten. So seien es „Taten der Güte”  (Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Menschenliebe und Mitgefühl) die Menschen zu besseren Menschen machten. Als unmenschlich gilt wem andere Menschen egal in ihrem Sein und Leiden sind. Auch diese Philosophen erzwangen einen Dualismus, obwohl sie doch- gerade sie!- , sich doch mit dem Menschen auseinandersetzten und dies als etwas typisch Menschliches hätten erkennen sollen! Kein Tier macht so was! Und Pflanzen auch nicht.
Kein Mensch ist fähig zu Unmenschlichkeit. Keiner!

Man kann sich verhalten, als wäre man keiner. Man kann so tun, als sei man keiner. Aber grundsätzlich ist jeder Mensch menschlich.

Und egal was ein Mensch sagt, ob er sich überheblich darstellt, oder arrogant ausdrückt; ob er sich egoistisch verhält, raffgierig, unbarmherzig, sadistisch oder offen brutal; ob er mordet oder unglaublich viele Kinder zeugt; ob er Tiere oder andere Menschen quält oder liebevollen Respekt, Menschenliebe und Solidarität lebt… er ist immer “Mensch”.
Jeder Mensch ist immer der bestmögliche Mensch.

Ich pfeife darauf, ein besserer Mensch sein zu wollen- bin aber unglaublich verletzt wenn mir jemand unterstellt, ich würde mich als ein “besserer Mensch” aufgrund einer Meinung, meiner Fähigkeiten oder meiner Taten betrachten.

Der Punkt an dem ich es mir (uns) erlaubte, mich als Mensch überhaupt anzunehmen und so mir selbst zu erlauben, dass ich einen Platz in der menschlichen Großgesamtheit einnehme, war der größte Frevel, der mutig brutalste Schritt zur Heilung, den wir bisher genommen haben.
Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass wir uns inzwischen wenigstens das ohne Wertedualismus und ohne Tausch im Innen zugestehen können.

Ich bin froh, dass ich unter meine Avatarbeschreibung schreiben kann: “Ich bin ein Mensch”.
Denn für mich galt das lange nicht.
Ich sah mich in meinem Sein wie ein grundlegend schlechtes DING. Ein Es. Ein Objekt. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass Menschen eben auch absolut brutal, empathielos und sadistisch gegenüber Menschen sein können. Dass man, um solche Qualen zu erleben, kein Objekt für andere sein muss.

Indem ich meine Gefühle und Gedanken als die eines Menschen annahm, nahm ich auch alles unmenschliche Verhalten von mir und anderen Menschen an. Und als ich das tat, wurde mir eine Wertung und damit eine stetige Quelle von Verletzungen gleichgültig.

Man kann jede Biologisierung für menschliches Verhalten ablehnen, weil sie Dinge ausschließt, die wichtig sind. In Punkto Menschlichkeit aber, sollte sie ganz dringend wieder Einzug finden und getrennt werden von sozialbezüglichen Wertigkeiten.

Alles andere ist die Abwertung der Grundlage unseres Seins als Menschen in dieser Welt.
Wir sind in der Lage auch wertschätzend und liebevoll, rücksichtsvoll und nächstenlieb miteinander umzugehen, ohne besser oder schlechter zu gelten oder gelten zu wollen.