auftauen

Da lieg ich im Bett mit den heißen Körnerkissenschuhen an den Füßen, der heißen Körnerkisseneule auf dem linken – die heiße Körnerkissenrobbe auf dem rechten – Knick zwischen Oberschenkel und Becken und veratme den Schrei in meinem Kopf zu einem wattigen Hintergrundrauschen.
Ich fühle mich stark und schwungvoll. Allgemein auf eine Art “an”.
Ich fühle meine Ränder im Moment sehr gut und ich habe fast Spaß an meinem Mut mit ihnen irgendwo entlang zu kratzen.

Es ist der Wind, die Winterkälte und vielleicht auch die Erinnerung daran, dass es total egal ist, was ich tue. Wie ich es tue. Ob es nun gut ist oder schlecht, ob und was andere über mich denken – völlig egal.
Ich merke, ich kann jederzeit sagen: “Ja, ich bin ja auch scheiße. Passt schon alles.” und fühle mich damit so frei von den Urteilen und Bewertungen anderer Menschen über mich. Dass ich scheiße bin, muss mir ja niemand mehr sagen. Weiß ich ja schon. Und wenn ich für andere nicht scheiße bin, dann ist es ja schön für diese Personen. Ist ja nicht meine Sache, wer was wie findet für sich. Es hat nichts mit mir zu tun.
Hach. Geil.

Ich drehe meinen Kopf zur Seite und lege meine Stirn an NakNak*s Schulter.
Die Schindeln am Hausdach klappern unter den Sturmböen.

Im Innern meiner Zehen knackt das Eis auf. Um meine Mitte herum steigt Dampf hoch.
“und jetzt taue ich auf” denke ich und vielleicht lächle ich genauso wie der Schneemann Paul in der Frühlingssonne.

Und dann sterbe ich in die Nacht hinein.

 

 

 

Zeitlücken

Es ging mir besser, hatte ich gedacht.
Meine Zeichnungen waren ruhig und fließend, ich tröpfelte langsam in sie hinein.

Und dann verweigerte der Scanner den Dienst, weil er auch ein Drucker ist, dessen Tinte auch aufgebraucht werden kann.
Ich habe das Gerät von jemandem übernommen, mit dem ich heute keinen Kontakt mehr habe. Also nehmen Fragen wie: “Wo füllt man die Patronen am günstigsten auf, ohne extrem viel zahlen zu müssen? Wie macht man das? Wie entfernt man die Patronen? Wenn ich in den Drucker fasse, werde ich dann sterben?” viel Platz ein und irgendwo darinnen habe ich mein Bewusstsein für Körper, Raum und Zeit verloren.

Meine Zeitverluste merke ich nicht so, dass ich das Gefühl habe “da schiebt sich ein anderes Innen vor” oder “und dann wurde alles schwarz und plötzlich wieder hell” oder “ach da war ich ein bisschen konfus und ich weiß nicht mehr genau…”. Für mich ist es so, dass ich das Gefühl habe zu vergessen, dass ich da bin. Als würden solche Fragen, wie die nach den Druckerpatronen, mich aus dem Raum saugen, in dem mein Bewusst-sein für die eigene Existenz ist.

Früher habe ich nicht so deutlich gespürt, wann sie Zeit so eine Falte für mich geschlagen hatte. Da war ich irgendwie mal weg und irgendwann merkte ich mehr oder weniger überraschend, dass es mich ja gibt, ohne Zeit zu haben, mich darüber zu wundern oder zu erschrecken, weil ich damals noch zur Schule ging. Einen Tagesablauf mit Struktur im Außen hatte.
Ich hatte keine Zeit, keinen Raum und keinen Anlass mir Gedanken anzusehen wie: “Habe ich eine Familie? Was bedeuten die Worte Mutter, Vater, Familie, Liebe, Nähe, Zukunft und Vergangenheit für mich eigentlich?”. Heute weiß ich, dass das Teil der Funktionalitätserhaltung ist, die die DIS eben bedeutet.
Ich wäre zerfallen, wäre mir damals wie heute bewusst gewesen, dass ich keine Erinnerungen an meine Familie habe. Das ich nie geliebt habe und mein emotionales Spektrum zwischen Angst und Produktivität allein liegt. Wäre mir damals aufgefallen, dass ich mich nie erinnerte, wie, wo und wann – vielleicht mit wem zusammen – ich meine Hausaufgaben gemacht habe, hätte es mich zerrissen.

Heute ist mein Tagesablauf ein “unser Tagesablauf” und ich weiß das.
Dass ich Zeit verliere ist mir bewusst und den anderen auch. Wir wissen, dass wir auf Angstspitzen achten müssen – nicht auf konkrete Ereignisse im Außen. Es hat keinen Sinn ins Tagebuch zu schreiben, dass der Scanner nicht arbeitet, weil die Druckerpatronen leer sind. Das Innen, das statt mir an der Lösung des Problems arbeitet, muss notieren, dass es Überforderungsgefühle und Ängste gab [und vielleicht noch hochgetriggerte Reste- die wiederum aber nur mit Überschriften benannt werden] und zwar um XY Uhr in, zum Beispiel, der eigenen Wohnung.
Und dann geht die Listenschreiberei los. Das Innen notiert seine gemachten Etappen – wenn es denn schreiben kann* – neben seiner eigentlichen Aktivität.

Und genau so eine Liste habe ich mich gestern schreiben sehen.
Von mir, aber eben doch nicht mir.

Ich hatte nie das Gefühl, das ein anderes Alltagsinnen mal beschrieb, dass es sich wie ein Püppchen in eine fremdbekannte Welt gepflanzt fühlt, wenn es wieder bewusst für sich und uns wird. Aber diesmal hatte ich es und es war furchtbar mit einer neuen Dimension.
Normalerweise wäre so eine Episode so ausgegangen, dass ich vor dem Drucker verschütt gehe und Stunden später im Zeichnen/Schreiben/Lesen merke: “Oh, ich bin ja ganz schön steif geworden – ich mach mir mal einen Tee- Oh es gibt mich – Oh Mist – wie viel Zeit hab ich verloren? Wo ist die Liste? – Ah okay, es ist nichts sehr Außergewöhnliches passiert. Uff, okay Business as usual…”

Und diesmal saß ich in einem Café in der Altstadt, von dem ich weiß, dass wir es eigentlich boykottieren, weil es nicht barrierefrei und sowieso auch viel zu teuer für uns ist, vor einer Tasse Kakao und sah meine Hand aufschreiben, dass das Auffüllen der Druckerpatrone 25€ kostet und man sie in einer Stunde abholen kann.

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich war noch nie in einem Café drin. Als Gästin.
Was ich von der Innenstadt gesehen und erlebt habe, sind die Innereien von BehandlerInnen*praxen und dem KünstlerInnen*bedarfeladen.

Und dann saß ich eine halbe Stunde vor der Tasse, als wäre ich in einem Wartezimmer.
Und obwohl ich mich unwohl fühlte, hatte ich Angst rauszugehen und den Laden zu suchen, in dem ich die Patronen abholen konnte. Die Stunde war schon längst um, draußen dunkelte es Novemberdunkelheit, aber es war dieser Zustand des “da und doch weg” in dem ich mich der Stadt stellen sollte, der mich wieder in Angst fallen ließ.

Und als ich Stunden später dachte: “Hm, ich müsste den Drucker allgemein mal wieder reinigen” war schon alles vorbei.
Ich pustete meine Comicseite für mich auf. Machte sie nötiger fertig zu stellen, als eigentlich geplant, um nicht noch mehr zu denken oder zu fühlen. 

Ich erinnere mich nicht einmal, ob dieser Kakao gut geschmeckt hat. Habe ich ihn getrunken? Ich erinnere mich nicht.

Zeit verlieren ist nicht lustig. Meine Amnesien produzieren für mich nie irgendeine Situation, über die ich dann eine ach so lustige Episode schreiben könnte, die einen Platz im großen Märchenbuch der Multimythen bekommen könnte.
Es geht immer wieder um Angst, die für mein Gehirn nicht anders  kompensiert werden kann, als mit der Dissoziation.

Sein eigenes Dissoziieren spüren und beworten zu können, kann heißen, dass es einen Fortschritt gibt. Aber wenn sich dieser Fortschritt so stückig und schlimm anfühlt, vergeht mir schon der Impuls zum hoffnungsvollem Blick auf das Geschehen.
Dann geht es mir plötzlich doch nicht wirklich besser.
Dann bekomme ich auch Angst vor dem eigenen Heilen.

Sonntag im Bett

Ich hatte gedacht, ich würde einen Tag brauchen, um meine Akkus aufzuladen, mich zu sammeln, auszuschlafen, mich zu fokussieren.
Jetzt weiß ich, dass ich ihn brauche und mir nicht selbst machen kann.

Ich habe einen Podcast gehört und gezeichnet. Mir fällt nicht mehr ein, worum es ging.
Ein Umschlag liegt im Regal. Der Name meiner Therapeutin steht drauf.
Heißes Zeug also. Pfoten weg, Nase raus.
Das verschwindet schon von allein.

Mein Herz klopft bis an den hinteren Teil meines Gaumens und nichts ist okay.
Ich merke, dass sich in mir irgendetwas anstrengt mir den Rücken freizuhalten, mich zu halten. Ich fühle diese Anstrengung als Schweißtröpfchen auf meiner Oberlippe.

Ich habe mal eben ein Comixxeblog gemacht und weiß nicht mal wieso.

Im Ofen bäckt Essen. Mir ist schlecht und schwindelig.
Am Freitag habe ich meinen Termin bei der Ärztin vergessen.

Vergessen, weil oder obwohl? ich nach der Therapie am Donnerstag auch noch das Gespräch zum Gutachten mit der Neurologin hatte.
Ich war so müde und zerrieben zwischen dem Therapiefieber, den Bilderresten, die mir im Kopf waberten und dem Austarieren, wie die Neurologogin zu uns steht. Zu uns und diesem Behindertending. Ich war da und sah den Wutmutigen beim Schnellreden und so- tun- als- wäre- alles- gut- tun, zu.

Es macht mich kaputt dieses: “Ja, ich weiß, dass du meine Behinderung nicht sehen kannst- kannst du bitte trotzdem die Behinderungen, an denen ich mich gerade abarbeite, sehen?”.
Und es macht mich nicht kaputt, weil manche Menschen wirklich einfach keinen Blick dafür haben oder ignorant sind, sondern, weil ich mir meine Schwäche, meine Müdigkeit, meine- diese- innere Anstrengungen noch immer nicht zugestehen kann, wenn mir niemand von außen bestätigt, dass sie da sind.

Ich weiß, dass ich das nicht brauche.
Ich weiß, dass mir die ganze Welt egal sein kann, wie sie mir wichtig ist.

Aber.

ein Nachmittag mit Erkenntnis

“Jetzt hat sich mein Auge wohl ganz verabschiedet”. Ich denke den Verlust zu einem Klumpen Erkenntniskalk und bröckle ihn mir auf den Schreibtisch.
“Wie gut, dass es ein Projekt ist, das nicht perfekt sein muss und ein bisschen … therapeutisch wert -vollbetankt… auch nicht perfekt sein soll.”.

Trotzdem.
Das Kind zum Auge klebt mir wie eine Fliegenfalle hinter dem Gemüt und schmaucht seinen Unbehagensgnatsch zu einer Aura um mich herum.
Es stresst mich, mich nicht auf meine Sinne verlassen zu können. Es stresst mich, so viele fast lauter “DAS DA” herausbrüllende Kinderinnens auf dem Arm zu haben und gleichzeitig meine Sachen zu regeln.
Ich bin bei meiner Kommentiererei nach innen geblieben, obwohl ich merke, dass ich vor allem mich damit beruhige und nur ab und an etwas davon da ankommt, wo ich es haben will.

Heute Mittag wurde ich, beim Überqueren einer Straße, fast angefahren. Ich hatte nicht gemerkt, dass sich mein Hören zu einem Rauschen verändert hatte. Zusätzlich zum Nichtsmehrsehen auf dem linken Auge.
Immerhin hatte mir der Schreck das Bewusstsein für die Unvollständigkeit meiner Sinneseindrücke ermöglicht.

“Ich glaub, ich hab sie nicht mehr alle”, tippte ich in eine SMS an meine Gemögte.
Sinnesausfälle sind für mich worst case Symptome. Das ist mehr als “Oh ich habe ein bisschen Stress- mal auf den Schlaf, die Ernährung, die Bewegung, die Versorgung des verletzten Innereiengekröses fokussieren”.
Es gehört zu genau der Art apokalyptischer Reiter, wie das Kinderinnen mit dem Auge. Auf ihren Fahnen steht nicht: “Bitte eine Imaginationsübung zur Rettung der inneren Landschaft”, sondern: “So, ich mach das jetzt hier. Ich bin das Notstandsgesetz und ich tue, was ich will. (because of fucking darum)”

Sie forderte mich auf zu fühlen, wo “sie” denn jetzt hinfließen. Ob ich das spüre. Ob ich mich an unsere gemeinsame These erinnere, nach der jedes abgetrennte Wahrnehmen (dissoziierte Inhalte allgemein) als etwas irgendwo neu oder fremd wieder auftaucht.
Was ich spürte, waren knallharte Muskeln, galoppierender Puls und eine Art Machtbewusstsein mit Namen irgendwie genau darunter.
”Mit so einem Selbst- Bewusstsein würde ich auch aufs Hören und doppelgesichertes Sehen verzichten können.”, dachte ich.

Meine Gemögte fragte, was ich noch erledigen müsste und später, ob sich für mich etwas verändert, wenn ich mir das Vorhaben “zum Gericht gehen” nochmal ganz genau in allen nervigen Kontexten und Einzelheiten vorsage.
Ich hatte die schon gar nicht mehr im Kopf. Also noch eine Stufe weiter zurück. Kontext sammeln.

Gerade frisch dem Tod von der Motorhaube gehopst, taub und halbblind, fängt Frau* Rosenblatt erst mal an sich zu überlegen, warum sie eigentlich gerade tut, was sie tut und versucht dabei nur halb so dämlich auszusehen, wie sie sich fühlt. Klassiker since ever.
Es hat aber geholfen. Im Laufen habe ich mir selbst alles nochmal erzählt, mir die Berechtigung für mein eigenes Handeln versichert und nebenbei noch etwas von diesen Inhalten unter meinen Puls geschickt.

Ich konnte die Beamtin im Gericht gut verstehen, die mich fragte, zu wem genau ich denn wollen würde und mir damit aus Versehen fast das Hasenherz hat explodieren lassen.
“Wenn ich auf jemanden wie mich aufpassen müsste, würde ich wohl auch drauf achten meinen Puls nie zu weit absinken, die Muskeln nie ganz entspannt zu lassen…”
Ach Erkenntnis- why so schmerzhaft immer wieder?!

Nur das mit dem Auge klappt so nicht.
Warum weiß ich noch nicht.

Wie gut, dass mein Projekt nicht perfekt sein muss. Wie gut, dass ich dafür auch ein bisschen halbblind sein kann.

 

(und wie- ein bisschen- gut, dass da jemand oder etwas in mir so viel weniger Sicherheiten als ich braucht, um im Fall des Falls auch agieren zu können- das ist so krass wie ein persönliches Hulkbaby)

because…

Es hat etwas damit zu tun Haltung zu wahren und sie unmerklich zu verlieren.
Dieses Nichtweinen, Nichtausruhen, Nichtstillhaltenlosrennen. Diese Implosion, über die ich hinwegsehe, als wäre sie nicht da, um doch auf Zehenspitzen drumherum zu tanzen.

Ich will das, ich kann das, ich mach das. Nicht obwohl, sondern weil.
”Because of fucking darum”, wie die andere neulich in den Waldboden spuckte.

Ich halte mein Leben, den bürokratischen Teil meines Lebens, jetzt den vierten Monat in meinen klapprigflatternden Händen und bin dabei irgendwas zwischen Pisas Turm und Jenga unter Kindergartenkindern.
Ich stehe für meine Fehler, Fehl- und Falschangaben gerade, unterzeichne mit einem Namen, der mich Würgen lässt. Ich gehe ans Telefon und rede, auch wenn ich falsch angesprochen werde.
Ich hab aufgehört vor Unrache zu heulen, hab mir das Atmen gegen das Zwerchfell angewöhnt. Ich bin so cool wie Espenlaub und smooth wie Apfelmus.
Und versage mit Pauken und Trompeten.

Wer hätte das gedacht.

Mir helfen Fremde* im Internet besser, als der zuständige Dienst meiner Stadt. Selfpedia– ich danke dir <3

Meine Haltung ist mir aufgefallen.
Vorhin, heute Nachmittag im Schaufenster gegenüber des Geldautomaten, der mir kein Geld ausspuckte.

Ich sehe geschlagen aus.
Nieder geschlagen.
Bucklig, schief und krumm.

Schonhaltung ist der Vermeidungstanz des Körpers.
Meine Körperteile winden sich um Schmerzpunkte herum, schlagen Haken und zurren sich gegenseitig fest. Damit keins, aus Versehen, herunterfällt.

Mir fällt schon was ein. Ich krieg das schon hin. Nicht trotzdem, sondern weil. Atmen. Kopf hoch. Weiter weiter, von stehenbleiben verändert sich nichts, Herzi. Zack Zack.

Mir ist meine Haltung aufgefallen, als ich am Herd stand und bemerkte, dass ich Hartzpanik esse.
Das ist Essen, das es eigentlich gar nicht recht aus der Packung auf den Herd in ein Geschirr in mich hineinschafft, sondern mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem reingedrückt wird, damit man satt ist, bevor alles weg ist.

Mir ist eingefallen, dass ich im ersten Hartzjahr genau so in meiner winzigen “Küche” stand.
Mein Rücken tat weh. Meine Beine. Meine Haut. Aus Gründen, die ich bis heute nicht kenne.

Aber meine Kundennummer. Meine Kundenidentifikationsnummer vom Jobcenter hatte mir ein Haltungskorsett angelegt.
Man nannte es mal ”Stütze”. Aus Gründen, so scheint mir.

Natürlich könnte man es auch Käfig nennen. Sagen, dass wer darin getreten und nieder_geschlagen wird, auch einfach nie die Haltung verlieren kann. Selbst wenn er wollte.

Morgen stelle ich meinen zweiten Eilantrag auf gesetzliche Betreuung.
Morgen rufe ich in der Praxis von einer Medizinerin* an, die sich mit Schmerzbehandlung auskennt.
Morgen wird mir schon was einfallen.

in 50 Tagen sehen wir das Meer
und dann können wir uns immer noch ein neues Darum überlegen

Take 1

Manchmal macht sie mir noch kurz Angst mit ihrem großen Auge, diese Videokamera.
Aber im Moment ist es leicht mir Angst zu machen. Mich an den Rand meiner Kraft zu bringen.

Das Wetter, das Leben, die kommenden Termine strengen mich jetzt schon an und zwischendurch fühle ich mich, als würde ich auf einer Nadelspitze Pirouetten tanzen wollen.
Aber ich fühle mich gehalten von diesen Anstrengungen. Die Hitze, die sich zusammen mit NakNak* in meiner Dachwohnung an mich drängt, gibt mir genauso viel Halt, wie Vorbereitungen für Termine und Arbeiten.

Ich denke nicht viel.
Wenn ich anfange zu denken, dann denke ich Neualtes über Vergangenjetziges.
Also machen wir neben den Fotos und der Kunst auch noch Filme.

hier ein Ausruhfilm

 

und hier einer, in dem jemand von uns erklärt, wie man Zines machen kann

ein Tag

Es begann damit, dass der Wecker um 7 Uhr klingelte. 2 Stunden nachdem die Augenlider wie schwere Vorhänge vor die Glutbröckchen mit denen sie Buchstaben zu erkennen versuchte, rutschten und 2 Stunden bevor der nächste Zahnarzttermin war.
Nur einmal nachpolieren. Am Montag hatte sie eine Panikattacke bei der Zahnärztin. Nur einmal kurz die Panikleiter rauf. Hyperventilieren und dann unter dem Lächeln der Assistentinnen erstarren. Innehalten, den Kiefer einrasten lassen. Warten. Gehen.
Auch mit der scharfen Kante.

Halb 10 in der Innenstadt.
Frühstücksbuffet hier, Kaffeeduft da. Tauben die Bettler anbetteln und Hunde, die in dieser Wüste aus Stein und Grau der Natur ihren Lauf lassen.
Hunger bohrte sich durch sie hindurch. Ihre Schritte schlackerten wie nett gemeinte Gesten unter ihrem Körper daher. Die Sonne versuchte sich in kurzen Stippvisiten.

“Gehts mir wieder gut?”
Mit der Zunge fuhr sie über die Lücke, die noch immer scharf und rau zwischen 5er und 6er klafft.
“Hab ichs jetzt überwunden?”
Da stießen schon wieder Tränen aus den unsichtbaren Grotten neben der Nase.

Sie fuhr nach Hause, streichelte den Hund. Legte sich hin und schlief ein paar Stunden.
“Bin ich jetzt bereit?”, sie schlug die Decke von sich.

Sie stand auf der Wiese und beobachtete die Hände, die die Videokamera umschlossen. Hörte dem Murmeln des Innens zu: “Nicht wackeln. Ausatmen und halten. Langsam- nur halten. Der Rest passiert allein. Ich kann das. Ich übe nur…”

Eine Biene, eine Hummel, eine Fliege, eine Schnecke, Klee, Disteln, Kamillen, Gräser, Luft, Sonne und Himmel.
Stille.

“Ich bin draußen.”

Vielleicht war es zu viel Luft zum Atmen.

Es endet mit dem Fazit:
Versuche eine Krise von sich aus für beendet zu erklären scheiterten erneut.

und einem Wahrnehmen eines Innen, das wächst

 

ein Montag

Geisterhaar “Ich habe einen Drive- G’tt sei dank. Dann ist dieses übelste aller PMS-Dinger ever vielleicht morgen schon durch.”, dachte sie und kämmte die nassen Haare.
”Duschen ohne weinen. Auch schon länger her.
Gehört das zu “Wie Sie existieren”?”.

Dem dumpfen Branden im Hinterkopf lauschend, schreibt sie lächelnde Emails, füllt Überweisungträger aus.
Telefoniert mit dem Betreuungsgericht.
“Nächste Woche noch mal anrufen”, kritzelt sie als Gesprächsnotiz an die Innenseite ihrer Gedanken.

Die nassen Lockwelldellen wirbeln im frischen Sommerwind, als sie zur Sparkasse geht. “Ich könnte ja auch mal wieder in die Bücherei gehen… Nadia und Charlott lesen so coole Sachen und ich immer nur Arbeitszeugs.”. Der dicke Stapel Kontoauszüge gemahnt ihrer Schlampigkeit.
“Du kannst echt nicht mit Geld umgehen.” knirscht es in ihrem Kopf. Enttäuscht. Muttienttäuscht.
– “Mir hat nie jemand beigebracht, wie “man” mit Geld umgeht”, schickt sie zurück. Enttäuscht. Tochterenttäuscht.

on another love …
all my teeeears…

la la lalaaaa

on another love…

Sie macht Fotos.
“Wie Ihr Existieren aussieht” hatte die Therapeutin gesagt. “Machen sie mal Fotos davon” und sie hatte abgewiegelt.
Unser Hartz 4 – Palast mit Kellerleben drin, nein so wie er ist, zeigen wir ihn nicht.
Aber das Existieren vielleicht. Irgendwie, wenn Fotos so etwas transportieren können.

Ein neues Regal haben wir. Ein blaues hohes Regal von dem zugemüllten Schrotthaufen auf dem Dachboden nebenan. Alle Mal- und Kunstkrempelsachen sind dort jetzt drin und das Arbeitszimmer evolutioniert sich langsam zum Wohnzimmer.
Vielleicht wird es aber auch eine Art Gebärmutter.

Dort war noch kein Fremder drin, der keine Erlaubnis dazu hatte.

Auf dem Herd kocht ein Gulasch. Szegediner Gulasch ohne stopfige Kartoffeln gibts heute.
Wir wollen ab jetzt einmal in der Woche richtig echt kochen. Nicht “essen machen” und damit Glutamatsuppe oder andere gesundheitsschädliche Dinge meinen.
Mal sehen, wie lange das klappt.

Heute hatten wir PMS- Wonderwomenstiefel an.
Morgen arbeiten wir an unseren Projekten weiter.

I wanna cry and I wanna love
but all my tears have been used up
On another love, another love,
All my tears have been used up

das Ist

Stifte rollen über den Tisch, Farben ergießen sich auf festes Papier und zerlaufen zu Formen.
Töne und Laute schrauben sich im Hals zusammen, um von der Zunge springen gelassen zu werden.

Da passiert so viel, wenn sie miteinander telefonieren.
Es braucht das freundlich vorsichtige „Hei du“ um anzufangen; die Lautsprachenmaschine im Rachen anzuschalten, die Betriebssysteme hochzufahren und aus dem stummstillen Sein, das nicht einmal mehr mit dem Hund sprechen kann, heraus zu brechen.

Es ist eine komplizierte Sache geworden das Sprechen. Die Sprache. Die Fähigkeit etwas auszusagen.
Treffen und soziale Interaktionen, die direkten Kontakt erfordern, sind abhängig von einer gewissen Unwissenheit, einem: „Ach ich red halt drauf los.“ vom Gegenüber, um die Tür zum Sprachserver zu öffnen.
Wenn es keine Ansprache gibt, gibt es keine Worte.

Das ist eine Abhängigkeit, die sie genau spürt und von der sie bemerkt, dass die meisten Menschen überhaupt keinen Zugang zu diesem Umstand haben.
„Ich bin ja auch verrückt“, denkt sie und schmiert eine weitere Schicht Panzerplattenepitel auf ihren Rücken.

Sie kann es noch.
Worte sammeln. Sinne bündeln. Fäden spinnen, aus denen ich Texte webe.
Sie kann es noch.
„Hei du“ wie Morgentau auffangen und in den Rachen fallen lassen. Erste Satzreflexe abhusten und sich der Situation versichern.

Dann sprechen andere und die sprechen anders.
Sichtbar, fröhlich, freundlich, offen und bewusst. Nah und fürsorglich, manchmal albern oder besorgt.
Die Ansprache macht sie wach.

P1010188Sie öffnen sich wie eine Rose von Jericho und lassen ihre Kunst zur Sprache ohne Worte werden.

Sie selbst hat sich einen Orden gemacht.
Für außerordentliche Mutigkeiten.

Dazu gehört das Telefonieren genauso, wie das Nichtsterben, wenn sie die Bilder am Morgen einsammelt und in die Mappe legt.

Wortlos, denn wann sie das nächste Mal ein Mensch anspricht, damit überhaupt Wortmaterial in ihrem Kopf landen kann, ist von Tag zu Tag anders.

Das ist, das Ist.

die Hängematten im Hof

392095_web_R_K_by_Clara Diercks_pixelio.deDraußen im Hof hingen Hängematten.
Wir durften alle 2 Stunden in den Hof. Rauchen. Kontakt zu Rauchenden von der anderen Station haben. 5 Minuten schaukeln und wieder rein.
Auf Station.
Obwohl ich das Wort „auf“ in Bezug auf „Station“ noch nie verstanden habe.
Ich stieg ja nicht auf etwas drauf, sondern ging viel mehr in etwas hinein.

Sam hatte eine Drogenpsychose.
Oder etwas Ähnliches. Er hatte auf jeden Fall was mit Drogen. Dauernd hatte er seinen Tabakbeutel mit Wasser geflutet und dann den Tabak auf der Heizung trocknen lassen.
Das sollte etwas mit der Stärke machen.
Sam hatte dunkle Haut. Sie rieten ihm deshalb zu Rastas, um das Bild vom jamaikanischen Rastahaschischmann zu vervollkommnen. Sam hatte Halluzinationen von Insekten in seinen krausen Haaren.
Ich glaube, er war froh, wenn er seinen Tabak stark genug bekommen hat.

Diana war schizophren. Und ein bisschen verrückt auch.
Sie hatte mich vor den Hängematten gewarnt. Man könne nie wissen. Sie wuselte, wie eine kleine runde Maus durch den langen Gedärmschlauch in dem sich der Wahnsinn tummelte und doch nur den seltsamen Namen „Station“ trug. Diana hinterließ überall Botschaften. In deutsch, englisch und kauderwelschisch. Geheime Informationen offen zu hinterlassen war ihr Trick. Sie sagte: „Wenn man alles offen schreibt, fangen sie nicht an zu suchen.“ Ich finde das sehr schlau. Bei meinen Rasierklingen hatte das auch immer geklappt. Drei Päckchen klauen kaufen und zwei pseudoverstecken. Ein Drittes suchen sie nicht.
Sie das sind die, die Diana kleine Sender in die Tabletten stecken, damit sie immer wissen, was sie denkt. Deshalb denkt sie oft an Einhörner und Schmetterlinge und nur manchmal daran, wie eklig es aussieht, wenn ihre Gedärme aus den Hängematten quellen.

Tschakkliiien hatte geklaut. Und gelogen. Und mit Jungs rumgemacht. Und sie trug keine ordentlichen Mädchensachen. Und sie hatte ihrer Mutter gesagt, ihr Freund sei ein Kinderficker.
Tschakkliiien gabs gleich drei Mal und in verschiedenen Versionen. Modell Mädelhopper, Modell bunte Doc Martens und Modell Freundschaftsarmband mit Goazeichen. Ich hab zugehört und genickt, wenn sie mir mit glänzenden Augen von irgendeiner Band, einem Konzert oder der Geilheit von Drogen erzählt haben. Sachte von links nach rechts in den Hängematten schwingend, hastig und heimlich noch eine zweite und dritte Zigarette rauchend.
Tschakkliiien kam ins Heim. Der Freund ihrer Mutter kam nicht ins Gefängnis. Schließlich hatte sie ja schon mal gelogen und war deswegen sogar in einer Psychiatrie. Der Freund ja nicht.

Lisa war ein Stöckchen. Ein zittrig zartes Stück Hartholzstock. Sie klapperte ihre Runden im Hof und an den Wänden der Station entlang. Manchmal verwischte sie aus Versehen Dianas Botschaften. Dann huschte sie sachte klickernd in ihr Zimmer und lauschte, wie Diana unter lautem Geschrei über den Flur geschleift und in der Sackgasse- der Endstation Ende von Ende- ausgesetzt wurde.
Lisa aß nicht. Vielleicht weil ihre Holzzähnchen vergammeln, wenn sie Fett oder Zuckerlösung abbekommen. Sie ging zum Essen ins Schwesternzimmer und hob ihren Wollpulli hoch. Sie hatte eine Luke im Bauch, die für Essenseingaben geöffnet und geschlossen wurde.
Sie sagten ihr, sie sei eine wunderschöne Frau. Immer wieder sagten sie ihr, wie schön sie sei. Und wie noch viel schöner sie, mit ein paar Kilos mehr, sein könnte.
Als sie mit einem Herzinfarkt vor einer der Hängematten zusammenbrach, fand ich sie nicht schön. Sie war keine schöne 12 jährige. Sie war ein verhungerndes Kind.

Pätrik und Kevin hatten ADHS. Und viel Langeweile.
Wenn sie keine Langeweile hatten, hatten sie Spaß. Mit Fußball. Kicker. Fangen. Kloppen. Irgendwas mit Actionhelden. Wenn sich keiner um sie kümmerte, hatten sie ADHS.
Ich glaube, sie waren eine Impfung für die Irren. Die Antikörper des Wahnsinns. Eine Dosis krankgeredeter Alltagsschmerz. Sie rüpelten, nervten, witzelten, verärgerten, forderten, ermunterten, johlten und klatschten. Mit Volldampf. Aus allen Poren. Immer.
Warum ständig an ihnen gezogen wurde, habe ich nicht verstanden. Manchmal mussten sie „Dipi“ schlucken. Sie waren die Einzigen, deren Medis nach Süßkram rochen und deren Eltern dauernd angerufen haben.

Ab 19 Uhr war Telefonzeit.
Und freie Rauchzeit. Niemand suchte mich bis 20.30 Uhr. Außer vielleicht Diana, die kontrollieren musste, ob ich nicht gerade von Pferdedärmen erdrückt würde. Man kann ja nie wissen.

Ich guckte in den Himmel und stieß mich immer am Fenster ab. Rauchte bis mir schlecht war. Einmal hatte ich 12 Stück in einer dreiviertel Stunde geschafft. Dann hatte mich Sam gestört, weil er trockenen Tabak zum Rauchen brauchte und ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob mir vom Schaukeln oder dem Rauchen schwindelig war.

Für die Irren ist es Telefon- und Wartezeit, für ihre Wärter ein täglicher Parcourlauf mit Hindernissen:
Sam heult, weil der heilige Tabaksaft die Heizung runterläuft und das Telefon zur Abnahme und Weiterreichung klingelt, während Diana mit jedem Ton des Geräts einen spitzen Qiekser von sich gibt, worüber Kevin und Pätrik lautstarkes Gebrülllachen schütten, was eine der Tschakkliiiens zu bändigen versucht.

Ich lag in der Hängematte und schaute ihnen manchmal zu. Inhalierte den Rauch und pustete ihn auf die faustgroße Deoverbrennung auf meinem Unterarm. „Auf Fettgewebe“, dachte ich. Ich dachte immer, es sei Fettgewebe. Meistens war es aber einfach nur die Hautschicht unter dem ledrigen Teil.
Manchmal überlegte ich, was Diana wohl zu so einem Anblick sagen würde. Aber sie war schon so oft im Wartehäuschen der Endstation. Ich wollte nicht, dass sie anfängt zu überlegen, was für Poster sie sich dort aufhängen könnte, um es wenigstens etwas gemütlicher zu haben.

Meine Lieblingshängematte war zwischen zwei Dachpfeilern gespannt. Diese waren rundherum mit Platten gepflastert. Zwischen diese Platten passte genau eine halbe Wilkinson. Schützend eingewickelt, in das Papier der Hülle. Die andere Hälfte passte perfekt in den Hohlsaum der Hängematte.

Das Telefon klingelte nie für mich zwischen 19 und 20 Uhr 30.
Aber ich klingelte zwischen 23 und 1 Uhr nachts nach der Nachtschwester.
Meistens, weil mein Fettgewebe nicht aufhörte zu bluten.