Huch, jetzt bin ich über Selbstoptimierungskackschiet gestolpert

Herzi Heute morgen um halb 8 hat mich mein Wecker schräg von der Seite gemacht.
Für meinen Termin bei der Zahnärztin.
Ich wachte neben NakNak* auf, die seit 3 Tagen (und 4 Duschbädern) stinkt und mir in ihrer Position als Zeckentransporteuse bereits zwei Mal Deluxeekel bereitete.

Hach! Dieser Tag begann so perfekt, dass ich gleich erst mal noch meine Emails beguckte.
Montags ist Blogschau bei uns. Dann kommen die ganzen Blogbeiträge anderer BloggerInnen per Mail und meistens ist dies meine montägliche Psychohygiene.
Diesmal nicht.
Heute morgen dachte ich: “Ach, guck die Literaturagentur hat sich gemeldet. Gleich mal lesen.”

Den Zahnarztermin hab ich dann abgesagt.
Dann hab ich drüber nachgedacht, was für eine ominöse Zielgruppe man denn bitte wohl nur im Internet antrifft.
Und dann hab ich mich und NakNak* geduscht.

Naja.

Ich habe auf Gefühle gewartet und als keine kamen überlegt, ob ich mir die jetzt denken soll.
Alternativ hab ich meine frische Milchtüte den Boden knutschen lassen.
NakNak*s Kalziumbedarf dürfte damit dann jetzt auch gedeckt sein.

In diesem Internet hab ich mir dann ein bisschen Flausch abgeholt und dann hab ich vor lauter Gedanken an Gefühle ein wuscheliges Eulchen gemalt.
Das war auch ganz schön.

Dann sind wir spazieren gegangen und ich hab überlegt, ob ich beleidigt bin.
Da wurde mir dann doch schlecht. Nee, ganz so weit geht meine Arroganz dann doch nicht. Jedenfalls noch nicht. Aber das Potenzial ist da und das ist doch gut zu wissen.
Es ist immer gut zu wissen, was man hat.
Falls einer kommt und sagt, ich hätt ja nix zu bieten.
Dann kann ich immer noch sagen: “Ja- das denken SIE- aber ich hab noch einen ganzen Batzen Arroganz am Leib. Was glauben Sie, was ich noch für schöne Flüge auf die Fresse erleben werde!”

So.
Und jetzt ist der Tag um.
NakNak* stinkt immer noch, als wenn sie was Totes im Fell spazieren trägt.
Ich hab immer noch keine Gefühle.
Aber eigentlich ganz gute Gedanken, wie ich meine Idee besser beschreibe und vielleicht auch, wie ich die Leseproben umstelle.

Wir sind vielleicht auch grad so voll von dem ganzen Herzischmacht über die Eulengeschichte, der uns so angeschwappt hat. Vielleicht schwimmen wir einfach noch ein bisschen in diesem rosa Einhornglitzersee herum und sehen uns als eine, die ein Bilderbuch schaffte, als sie bei ihrem Buch versagte, weil Viele viele Leben leben und eben nicht nur einen roten Faden, um das was andere nicht mal Leben nennen würden, herumwickeln können.
Auch wenn der Kapitalismus befriedigt aufrülpsen würde, nach so einem Wurf in den Rachen.

Morgen hat der Wecker jedenfalls Sendepause.
Ich geh nicht unausgeschlafen mit NakNak* in den Hundesalon.
Und müde und aufgeregt rufe ich auch keine AgentInnen mehr an.
Dann vergess ich wieder zwei Dreiviertelste und am Ende frag ich mich einen ganzen Tag, was ich denn jetzt fühle und merke nicht, dass ich über Selbstoptimierungskackschiet gestolpert bin.

 

P.S. Wenn ich euch nicht hätt, wär meine Argumentationskette für das Buch nach innen jetzt nur noch: “Aber mir doch egal- aber will”. Wir sagen euch zu selten, was das mit uns macht, wenn ihr uns lobt, unsere Texte verteilt und uns Emails schreibt… Liegt halt dran, dass es unbeschreibbar viel ist. Die Buchidee kam von einem Blogleser, ein riesengroßer Großteil der Möglichmachung für Buch, Reisen und Eulentick trägt ein Blogleser und jede/r BesucherIn hier, schiebt uns immer wieder vom Abstellgleis mitten auf die Achterbahn, die wir heute unser Leben nennen. Das ist schon krass.
Ihr hier <3

Zielgruppe, die wir besser im Internet erreichen.

Kchkch

Danke!

die Geschichte von der kleinen, fast ganz erwachsenen, Eule

Einmal, vielleicht ist es noch gar nicht lange her, da hockte eine kleine Eule auf einem Ast, in einem Baum, in einem Wald…
vielleicht gar nicht so weit von hier.

Schon eine Weile, hopste sie vor der Höhle, in der sie geschlüpft war, hin und her. Mal hinein, mal heraus und manchmal traute sie sich sogar ihre Flügel ganz weit auszustrecken, während sie auf dem Ast entlang lief.

Die kleine Eule war eigentlich gar nicht mehr so klein. Vielleicht ein bisschen kleiner, als ihre Euleneltern. “Aber nur ein gaaaaaanz klitzebisschen!”, fand die kleine Eule, “Ich bin auch fast ganz erwachsen!”.
Dann erzählte sie anderen Vögeln immer, wie sie sich ganz allein aus ihrem Ei gepickt hatte, weil es ihr darin viel zu eng wurde und sie ja auch gerne mal ihre Euleneltern sehen wollte, die sie so fleißig ausgebrütet hatten. “Und dann irgendwann wurde mir auch diese kleine Bude hier zu eng. Phü- nur ein Fenster und das ist auch noch die Wohnungstür! Nee, nee- ich bin jetzt fast erwachsen, da kann ich auch unter dem Blätterdach des Baumes schlafen.”, sagte sie und plusterte ihre feinen Daunen über der Brust auf. “Und wenn mir das nicht mehr gefällt, dann gehe ich eben woanders hin. Vielleicht dort drüben hin, in diese schöne Buche. Oder da in die Kiefer!”.

Eine Krähe keckerte: “Du kleines Eulchen- du kannst ja nicht einmal fliegen. Bevor du es dort hinschaffst, muss noch jede Menge passieren!”.
Da war die kleine Eule geknickt. Fliegen… nein, das hatte sie noch nicht probiert.

Einmal, da war sie geflatterhopst und plötzlich hatten ihre Füße den Ast nicht mehr berührt! Huch, hatte sie sich da erschrocken! Und weit und breit kein Eulenelter da und alle hatten geguckt, wie sie vor lauter Schreck erst mal ein bisschen weinen musste.
Da war sie lieber etwas vorsichtiger geworden und hatte lieber nur in ihrer Höhle geflattert. Aber irgendwann passten ihre großen, fast schon Erwachsenenflügel nicht mehr hinein.

“Wie geht denn Fliegen?”, fragte die kleine Eule, “Was muss ich denn dafür machen?”.
Die Krähe lachte: “Du wartest auf den richtigen Moment und dann Schwusch! passiert das ganz von allein.”.
Ein anderer Vogel sagte: “Also unser Nachwuchs, der hat sich immer gegenseitig aus dem Nest geschubst und dann konnten sie auch fliegen.”.

Der kleinen Eule wurde mulmig. Woher sollte sie denn wissen, wann ihr richtiger Moment war? Und was, wenn jemand käme, der sie einfach schubste?
Auf einmal kam ihr alles fast erwachsen geworden sein viel einfacher vor, als das Fliegenlernen. Plötzlich merkte sie, wie ihr Herz vor lauter Angst, einfach vom Ast runterzufallen, wummerte. Und dann dachte sie, dass sie ja auch gar nicht echt fast erwachsen war, wenn sie nicht einmal fliegen konnte.
Ach, jetzt hatte sie einen kleinen Schmerz im Bauch vor lauter Traurigsein und weinte kleine Eulentränen.

Da landete ein Eulenelter neben ihr und trug eine kleine Mahlzeit im Schnabel.
Es sah, dass die kleine Eule traurig war und fragte: “Ach mein Herz, warum weinst du denn so sehr?”.

Die kleine Eule erzählte von der Krähe und dem anderen Vogel und dem Fliegen und dem Runterfallen und am Ende pustete sie mit ihrer letzten Luft raus: “Ich bin noch gar nicht richtig erwachsen!”. Da nickte das Eulenelter und sagte: “Ja, das stimmt. Du bist noch nicht erwachsen, weil du noch nicht ganz ausgewachsen bist.”.
Ausgewachsen? Das war ein neues Wort für die kleine Eule.
Sie legte den Kopf schief und hörte zu.

“Jetzt wirst du flügge und lernst flattern und hopsen und geflatterhopsen und klettern mit flattern. Da schaue ich dir zu und bringe dir noch Essen, denn das kannst du ja auch noch gar nicht: das Jagen.”. Die kleine Eule wollte kurz noch einmal weinen. Da war ja noch etwas, was sie noch gar nicht konnte, aber sie wollte doch jetzt schon alles können!
Aber das Eulenelter sprach weiter: “Wenn man Dinge lernen will, dann muss man manche Dinge vorher schon gut können. Dann hat man irgendwann auch gar keine Angst mehr, weil man das schon so oft gemacht hat, dass es nicht mehr unheimlich ist. Du übst ja jeden Tag ein bisschen Flattern und Hopsen, nicht wahr?”. Die kleine Eule nickte eifrig.
Das Elter nickte: “ Siehst du und vor dem Fliegen, kommt das Flattern. Und ganz nebenbei, wenn du das übst, werden deine Flügel ganz genug auswachsen, damit sie dich tragen können und dann ist das Fliegen fast nur noch ein klitzebisschen anders als Flattern.”

Das klang für die kleine Eule schon alles gar nicht mehr so traurig. Sie würde ganz viel flattern üben und hopsen testen und dann irgendwann bestimmt fliegen können. Und wenn sie fliegen konnte, dann konnte sie auch in der Dämmerung jagen lernen, wie ihre Eltern das machten. Dann wäre sie ausgewachsen und könnte das alles.

Aber eines, das musste die kleine Eule noch wissen, bevor sie futtern und üben konnte: “Bin ich denn jetzt trotzdem schon bisschen fast ganz erwachsen? Ein klitzebisschen fast?”.
Da lachte das Eulenelter und drückte die kleine Eule an ihren Bauch.
“Ja, mein Herz. Ein klitzebisschen fast erwachsen bist du jetzt auch schon.”.

kleineEule2

jetzt

Pfote2 Ich schaue durch die Löcher vor mir.
Die Nacht trage ich durch meinem Rücken, um sie an NakNak*s Körper entlang wandern zu lassen.

Ich liege da und warte auf den Tag.
An meinem Hals zittert ein Tierchen unter meiner Haut.
In meiner Brust kullern Wackersteine zwischen den Muskeln herum.

Der Geruch von verbrannter Haut liegt unter dem Knistern ihrer Asche. Direkt an meinem Ohr.

Ich bin ein waberndes Es, das ist und nicht ist. Ich denke Gefühle und fühle Gedanken einer Zeit, die vergangen ist, als ich den Blick aus dem Käfig wandte.

Ich weiß nicht, ob ich träumte oder erinnerte.

Ich weiß nichts.
Doch ich spüre den sachten Atem meiner Hündin, wie einen Wellengang, der sich an der Linie zwischen meinem Nacken und meinen Oberschenkeln bricht.

Vorsichtig schiebe ich meine kalte Hand hoch und beginne das zitternde Wesen in meinem Hals zu streicheln.
Dass ich Atmen muss, daran erinnern mich ruhige braune Augen, deren Anwesenheit mitten im Irgendwo sein muss.

Also atme ich.
Stoße an meinen Panzer, torkle gegen den Käfig, wecke NakNak*.
Sie schmaucht und öffnet ihre Augen.
Gähnt und rollt sich neu ein.
Legt ihren Kopf auf meinen aufklaffenden Bauch und leckt meine Hand ab.

Ich atme, streichle, sehe durch die Löcher des Käfigs eine feine Morgenröte.

Und ich weiß, dass jetzt alles in Ordnung ist.

… und beleuchte die Dunkelheit

Gestern Abend hatte ich es mal wieder in der Hand
“… und besiege die Finsternis” von Marie Balter, geboren 1930.
Psychiatriepatientin. 20 Jahre lang.
In den Anstalten der 50 er Jahre.
Zu Zeiten der massenhaften Medikalisierung. E- Eis- Insulinschock- Folter im Namen der medizinischen Hilfe.
Das ist keine leichte Kost. Aber ich mochte das Buch.

Sie hat überlebt, wurde Ärztin und sprach dann für die Betroffenen. Sie ist 1999 verstorben.

Das letzte Kapitel des Buches heißt “Eine Stimme für die psychisch Kranken”.
Damals, als ich das Buch zum ersten Mal las, verbrachte ich die meiste Zeit des Lesens getriggert und mich und mein Leiden kleinredend.
Das letzte Kapitel erschien mir so wohltuend in all dem, was dort steht.
Sie schreibt von ihren Vorträgen, den Reaktionen der ZuhörerInnen, aufbauschenden, oberflächlichen JournalistInnen, ihrer Angst abzustumpfen, ihren Gebeten, den Menschen, denen sie bei der Verfilmung ihres Lebens begegnete.
Und: “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen. Doch das darf nicht so weit gehen, dass andere nicht mehr eigenständig handeln können.”

Vor 2 Wochen habe ich das Exposé für mein Buch bei einer Literaturagentur landen lassen. Als Leseprobe ist ein Artikel dabei, der meine Zeit in einer der vielen Kinder- und Jugendpsychiatrien aufnimmt. Ich glaube nicht, dass ich damit Hoffnung verbreite.

Mir fiel aber auch auf, dass ich denke: “Ja haaaa ICH muss anderen Menschen Hoffnung geben, denn ich habe ja überlebt. ICH muss den Menschen ja sagen, dass man das alles überleben kann. Und das dann alles besser ist…”. Ich merke, dass ich mir schon wieder ein Kostüm in einem Schrank anschaue, das mir weder passt noch gefällt. Das ich mir aber natürlich trotzdem anziehen würde, weil … darum.
Während bei vielen Vielen das Thema “Überlebensschuld” kreiselt, kreiselt bei mir “Überlebensverpflichtungen”. Immer wieder der Komplex: “Ich habe überlebt und jetzt? Was gebe ich jetzt zurück und wie stelle ich das an?”.

Ich glaube nicht, dass ich heute keine Psychiatriepatientin mehr bin (oder auch die Gewalt überlebte, die mich dort hinbrachte), weil meine Seele so besonders stark ist, oder weil in mir irgendein Schalter umgelegt wurde, der mich zu neuer Hoffnung und Kraft brachte. Ich glaube auch nicht, dass ich überlebt habe, weil an oder in mir irgendetwas ist, dass mich durch die Momente der Todesnähe trug und etwas zu erhalten vermochte, als scheinbar nichts (und niemand) mehr in mir war.
Ich weiß, dass ich keine Schuld an meinem Überleben trage, weil niemand Schuld an seinem Sterben trägt.

Aber ich merke, dass ich nicht nur etwas überlebt habe, sondern auch von etwas zeuge. Meine Schäden sind ein Er-Zeugnis der Gewalt. Wenn ich beschreibe, was ich sah und erlebte, dann ist es eine Art Zeugnis ablegen von dem, was für andere- die Verschonten, die Ungeschlagen, wie C. Emcke sie so treffend nennt, unsichtbar, unerlebt- und un- über-lebt ist.

Das Überleben ist mir einfach so passiert. Ich habe weder darum gebeten, noch dafür gekämpft.
Die Lebensrealität in der ich und die Zerstörung an mir unsichtbar sind, und sogar gehalten werden, hingegen, betrachte ich als unbedingt zu verändern. Denn es ist eben genau die Unsichtbarkeit, in der Gewalt geboren und genährt wird. Es ist immer wieder genau das Moment, in dem man Gewalt nicht Gewalt nennt, auch das Moment, in dem Gewalt triumphiert und sich weitere Opfer einverleibt.

Ich stelle mir nicht die Frage “Warum ist mir das passiert?” oder “Warum habe ich überlebt, aber dieser und jener Mensch nicht?”.
Ich habe meine Antworten dazu und daraus eben auch die Anforderung an mich, zu verhindern, dass es anderen Menschen auch so ergeht. Dieser Überlebenskult, diese Mystifizierung des Überlebens und dessen, was es abverlangt, ist in meinen Augen eine zwar nachvollziehbare menschliche Eigenschaft, doch nicht hilfreich, wenn es darum geht, einen Weg zu gehen, der ohne Gewalten auskommt und so immer wieder Menschen zum Überleben zwingt.

Es kann nicht sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, der es einerseits völlig egal sein kann und darf, was in Psychiatrie, Heim, Gefängnis, Misshandlungsfamilie passiert, die Überlebenden dann aber in eine Position bringen darf, in der besonders wertvolle Eigenschaften impliziert sind, die sich zeigten, als es dieses Umfeld und die ihm inne liegende Gewalt, abverlangte!

Marie Balter hatte zu ihrer Zeit immer wieder betont, dass es nicht reicht, die Menschen rauszuholen. Sie war eine der ersten, die darauf zeigte, wie unterschiedlich die Welten “Psychiatrie” und “draußen” sind. Was es für einen krassen Bruch bedeutet von der Rechtlosigkeit in die Stigmatisierung; aus dem Klima eines menschenverachtenden Nihilismus in ein Klima des Anspruchs dem (noch bzw. nicht immer sofort) zu entsprechen ist, zu gehen.
Sie sagte immer wieder, wie wichtig es ist, dass entlassene Menschen aufgefangen werden und Orientierungshilfen bekommen.
Heute gibt es Peer to Peer- Hilfen, ambulante Betreuungen, ein bis heute ausbaufähiges obgleich immer weiter zusammengespartes und so dauermarodes System von Hilfen, die Menschen über den Bruch helfen und in ein Leben in Eigenständigkeit hinein begleiten soll.

Aber Gewalt taucht in all dem als Begriff nicht auf.
Hilfe darf nicht auch Gewalt genannt werden, obwohl hier und da schon Verknüpfungen bekannt sind, beobachtet werden und Überlegungen angestellt werden, wie sie zu verhindern sein könnten. Alles natürlich systemimmanent und orientiert am Status Quo, den zu hinterfragen komplex und unbequem ist.

Ich habe das Buch weggetauscht und werde es auf die Reise schicken.
Gestern dachte ich noch, dass ich in der Geschichte so viel Schönes gelesen habe und nicht noch einmal groß darüber nachdenken möchte. Heute ist mir klar, dass ich diesen Absatz “Anderen Menschen Hoffnung zu bringen, heißt ihnen die Macht geben zu ändern, was sie bedrückt. Wir, die wir Möglichkeit haben, müssen sie nutzen.” in meinem Denken umändern muss.

Vielleicht in “Anderen Menschen von der Dunkelheit erzählen, heißt ihnen Macht zu geben Licht zu verbreiten. Wir, die wir beides kennen und die Möglichkeiten haben, müssen sie nutzen.”.

hölzerner Schatz

P1010092“Sehe ich festlich aus?”, fragt sie und schraubt sich die Hände vom Bauch weg.
Sie schaut sie an und lächelt. “Ja, sehr festlich. So könnt ihr gehen, das ist hübsch.”. Sie wird rot, streicht mit den Handflächen über den glatten Stoff über ihrer Haut.

Ein Festtagskleid zu Purim.
Dem Freudentag.

Dem Tag, an dem sie rückwärts, wie vorwärts denkt.
Von Familie° umgeben ist.
Religion lebt.

Tausende Zeichen wollen hier stehen. Von Gemeinschaft, Dankbarkeit, Demut, Erfüllung und Wahrhaftigkeit.
Zeichen, die von Gefühlen kunden. Von Menschlichkeit, Verletzlichkeit, Leben und Tod.

Doch ich bewahre sie.
Vor Blicken, Bewertungen, Fremdwahrnehmung, Definitionsmacht, Neugier.

Ein hölzerner Schatz.
Doch einer, der das Kleid, die Feier, die Gebete, die Worte zum Tag noch wertvoller erscheinen lässt.

weiter nichts

BlattimBach2 Ich spüre ganz genau diesen vertrauten Schmerz.

Wie sie sich von mir abtrennt, meine Haut vom Sein reißt, sich in die Ränder einwickelt und Schleifen an die Ecken bindet.

Wie sie meine Muskeln bluten lässt, mit jedem erbarmungslosem Schritt diesen Berg hinauf, hinunter, die Kilometer unter sich ablaufend.
Durch die Sonne, mit dem Wind, in Gedanken, die keine sind.

“Dann sag ich nichts mehr dazu. Dann ist das so. Egalegalegal…”. Mit jedem Schritt ein Egal mehr. Ein Wollen weniger.

JoggerInnen, FahrradfahrerInnen, andere SpaziergängerInnen sprengen die Blase um sie herum und lassen das tragende Stakkato in ihrem Kopf zittern, wie Gräser in der Brise.

Sie setzt sich an das Rinnsal, das ihre Stadt an Wasser zu bieten hat.
Schluckt, atmet, streicht dem Hund Insekten aus dem Gesicht.
”Alles ist gut”, kreist es in dem Raum den ihre Schädelknochen bilden.

Weiter nichts.

Bis die Sonne untergeht.

Bis die Tränen ins Nimmermeer fließen und mein Sein wieder bekleiden.

Mutter Liebe Leben

BlattgerippeNeulich habe ich von meiner Mutter geträumt.
Es war einer dieser Träume, in denen man unglaublich viel rennt, ganz dringend etwas erledigen muss, aber an den Menschen abprallt wie Regen auf Lotusblüten. Ich weiß nicht mehr genau, worum es ging, aber es war ein Bild von meiner Mutter darin, das mich noch ein paar Stunden nach dem Aufwachen beschäftigte.

Dieses zusammengekrümmte Hocken, die eine Hand vor dem Bauch, nach unten atmend, die andere Hand stützt sich, ein Messer über Gemüse auf einem Schneidbrett haltend, an der Arbeitsfläche ab. Die Brauen sind zusammengezogen und von irgendwo in ihrem Brustkorb kommt ein Stöhnen.

Als ich 16 oder 17 war, habe ich ihr mal einen Brief geschrieben: “Wie kannst du nur – du solltest ihn verlassen blablablabla…” schön peinlich- sogar in Anbetracht jugendlicher Dummheit. Ich glaube, da stand sogar etwas von “Hast du mich denn je geliebt?” drin.
Ich habe natürlich nie eine Antwort auf den Brief erhalten. Auf die Frage nach ihrer Liebe für mich, gebe ich mir inzwischen selbst die Antwort: Ja klar!

Vor noch etwas längerer Zeit hatten wir darüber nachgedacht, was Liebe genau ist und, ob wir dazu fähig sind.
NakNak* wird in zwei Wochen 5 Jahre alt und ist damit unser längster sozialer Kontakt, der mit uns Dach, Bett und Futter teilt. Lieben wir sie?
Oder haben wir uns nicht doch eher freundlich zugeneigt und an ihr Dasein an unserer Seite gewöhnt? Was genau macht Liebe aus? Und was genau ist an Mutterliebe so wahnsinnig viel wichtiger, als an Vater- Tier- und Umweltliebe?

Ich stellte mir die letzte Frage, weil mir auffiel, dass ich immer wieder meine Mutter als erste Adressatin für die Frage nach Liebe für mich aussuchte. Immer wieder und bei so ziemlich allem, was ich tat. Obwohl ich noch den ganzen Rest der Familie zur Verfügung gehabt hatte.
So kam ich zu meinen Recherchen zum Mutterkult, der unter den Nazis hochgepusht wurde und bis heute seine Ausläufer hat, um Menschen, die zu Müttern werden, ein Ideal ins Leben zu donnern, das dort so überhaupt mal gar nichts zu suchen hat.

Meine Mutter war sehr jung- ist jung. Sie war sehr krank- ist noch immer krank. Sie hat sich an meinen Vater gewöhnt und nennt das Liebe. Vielleicht geht es ihm nicht anders. Wer weiß das und wen interessiert das? Geht es mich überhaupt etwas an?
Wer bin ich denn mehr, als ein Lebewesen, das aus Versehen in ihr wuchs und dann halt blieb?

Wenn ich mich in Literatur, Kunst und Film umschaue, begegnet mir Liebe immer wieder sehr umfassend. Tief bis in tiefste tiefe Fasern und immer steht ein Begehren im Vordergrund. Unwillkürlich tauchen vor meinem inneren Auge riesige Kraken auf, die einander aufzusaugen versuchen, ihre vielen Arme um einander herumwickeln und jede Zelle des Anderen in sich aufnehmen wollen. Ganz im Anderen aufzugehen- sich den Anderen ganz und gar- mit Haut und Haaren- zu nehmen; irgendwie, ja, fast anzueignen und mit einem befriedigten Schnurren in sich drin zu halten- noch während man selbst nicht mehr man selbst, sondern der Andere ist.

Im Fall der Fötenentwicklung ist das ja sogar gegeben. Die kleinen humanoiden Zellhaufen schwimmen in einem anderen humanoiden Zellhaufen herum und teilen sich mehr, als es nach der Trennung in irgendeiner Form wieder möglich sein kann. Könnte man hier von Liebe sprechen? Lasst uns mal einen Fötus fragen- oh wait!

Doch nun ein Sprung zu meinem peinlichen Brief.
Ich hatte damals noch genau diese Einstellung: Liebe kann alles schaffen und alles überwinden und Schwallablabla-Filmkitschblödsinn.
Fakt ist, das Liebe eben nicht alles schaffen kann.

Um zu verhindern was war, hätte meine Mutter mich gar nicht erst auswachsen und gebären lassen müssen. Sie hätte sich selbst den Gefahren eines Schwangerschaftsabbruchs aussetzen müssen und das war in der Zeit Schwachfug. Ich als kleiner Zellhaufen, Fötus und später Baby, Kind, erwachsener Mensch, habe ihr nicht gleichsam geschadet.

Ich glaube, dass ich eine ganze Tasche voller moralischer Empörungen über meiner Mutter ausschütten könnte, die alle mehr oder weniger zutreffend sind. Aber alle diese moralischen Überzeugungen fußen auf genau diesem Gerede davon, dass Mutterliebe und Liebe allgemein, zwingend Respekt, Schutz, Annahme, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Nähe, Wärme, Nährung und geistig emotionale Verbundenheit zur Folge haben müssen. Ganz besonders, wenn der eine Mensch den anderen Menschen geboren hat.

Entweder bin ich seelisch so kaputt, dass ich moralisch falsch liebe oder Liebe, die Moral hinter sich herzieht ist etwas, das ein Ideal produziert, dem nur entsprechen kann, wer bereitwillig sein Selbst in anderen Menschen auflöst und in sachtem Gegurgel verdauen lässt (um dann in kleinste Teilchen zerhäckselt ausgeschissen zu werden und schwer zu leiden).

Was ich hingegen glaube ist, dass meine Mutter mich und uns und auch sich selbst, mit mehr moralischer Festigkeit hätte besser leben lassen können.
Doch wer bin  ich, dass ich über ihre Festigkeit zu richten habe? Vielleicht tuckert in ihrem Herzen doch ein kleiner Kaffeefrachter voller Respekt vor dem Leben anderer Menschen herum, doch kann nirgends andocken, um seine Fracht abzuladen?

Ich bin ihr, der Natur, G’tt dankbar, dass ich leben kann. Dankbar- nicht von Liebe und Hingabe erfüllt, dass es mir fast übern Rand schwappt.
Ich versuche diese Werte von positiver Widmung, Achtung vor der Unantastbarkeit des Inneren anderer Menschen, Hingabe ans Leben mit all seinen Facetten zu leben und bilde mir ein, dass ich so auf diese Art ein Lieben praktiziere, das mich eben nicht dazu zwingt, mich ganz in anderen Menschen zu verlieren oder ihnen so nah zu treten, dass ich ihnen Briefe, wie den an meine Mutter schreibe.

Meine Mutter hätte nichts verhindern können, ohne sich selbst zu gefährden.
Das war zu meiner Entstehung so und das ist bis heute so.

Was wäre das für ein Totalausfall von mir, zu verlangen, dass sie sich für mich zu opfern hat?! Und warum ausgerechnet sie und nicht mein Vater, meine Geschwister, meine Großeltern- meine LehrerInnen, ErzieherInnen- die Nachbarn, die Freunde* und deren Eltern? Sie alle hätten mir damals helfen können.

Mir ist das Bild, das ich im Traum sah, nachgehangen, weil es das Einzige ist, das sie nicht stark, durchsetzungsfähig, und wandelbar zeigt. Sie wirkt nicht schwach auf mich, sondern gequält und damit in höchster Gefahr.
Das entschuldigt nicht. Aber es macht mein Bild, in dem ich mich/uns positionieren kann, klarer.

Ich muss mich heute damit abfinden, dass mein Bild von meiner Familie* wohl nie, von meiner Familie* selbst korrigiert oder berichtigt oder gar um noch mehr Facetten erweitert wird. Das ist ein Verlust für mich und darum trauere ich manchmal.
Meistens aber bin ich froh um den Abstand zwischen uns.

Bin froh, dass ich meine Dankbarkeit für mein Leben fühlen kann und von dem Früher räumlich, wie zeitlich so entfernt bin, wie heute.
Ich glaube, wir würden uns immer wieder in Gewalten wiederfinden, wenn wir Kontakt hätten.
Doch ich habe mich dagegen entschieden.

Vielleicht war mein Wunsch, dass sie ihn verlässt davon getragen:
Ich bin gegangen- geh du doch auch!
Es wäre schön, mein gewaltfreies Einsamkeitsexil ohne familiäre Bezüge mit ihr zu teilen. Eine Verbündete zu haben, die weiß was es heißt, ein weiblicher Mensch in dieser Familie* gewesen zu sein. Die mit mir zusammen erkundet, wie es ist ein weiblicher Mensch in dieser Welt zu sein. Die mir erinnern und integrieren hilft. Mit der zusammen ich wachsen könnte. Vielleicht Stärke ansammeln und Qualen abstreifen könnte.
Ja. Das wäre schön.

Aber sie hat keinen Grund zu gehen oder genau das auch schön zu finden- oder gar zu wünschen.
Sie hat aber tausend Gründe, genau das eben nicht zu tun.